Drei Promille. Und kein bisschen
glücklich.
Sie wusste nicht, wovon ihr der Schädel mehr
brummte: von dem Champagner, mit dem sie ihre Depression bei Laune
hielt, oder von dem Stimmen-Cocktail, der jeden Harvey
Wallbanger in den Schatten stellte:
Irgendwann zwischen dem zwölften und fünfzehnten Glas hatte sie
aufgehört, in den Gesprächen mit herumzurühren. Jetzt stand sie nur
noch da und hielt sich an ihrem Champagnerglas fest. Konzentriert
genug betrieben war auch dies eine abendfüllende
Beschäftigung.
4 cl Kulturgewäsch,
2 cl Berliner Hauptstadtgeist,
einige Tropfen Wermut,
das Ganze aufgegossen mit reichlich Testosteron.
2 cl Berliner Hauptstadtgeist,
einige Tropfen Wermut,
das Ganze aufgegossen mit reichlich Testosteron.
Sie hatte fast vergessen, dass sie mehr war als
ein Champagnerständer, als der Gastgeber mit ausgebreiteten Armen
auf sie zugesegelt kam. Instinktiv duckte sie sich zur Seite. In
dem weißen Anzug sah er aus wie eine fette alte Möwe.
»Meine Liebe, aber Sie langweilen sich ja. Ich
bitte Sie, das darf nicht sein. Die Nacht ist viel zu schön, als
dass sich eine schöne Frau wie Sie langweilen dürfte. Wollen Sie
ein wenig an die frische Luft gehen mit mir?«
Aber sicher doch. Was tat man lieber, als mit
fetten alten Möwen an die Luft zu gehen. Zumal, wenn sie der Boss
waren. Und Geburtstag hatten.
Er fasste ihren Ellenbogen und lenkte sie hinaus
in eine der lauen Berliner Sommernächte, in denen das Thermometer
den Gefrierpunkt gnädig von oben umschmeichelte. Sie hätte nie
geglaubt, dass ihr das künstlich verdunkelte
Bassorgan ihres Chefs jemals angenehm erscheinen könnte. Doch
jetzt träufelte diese Stimme wie reiner Single Malt in ihre
Ohren.
»Habe ich Ihnen eigentlich schon gesagt, wie
glücklich ich bin, dass Sie bei uns arbeiten.«
Sie schüttelte den Kopf. Bis gestern Morgen
hast du noch gar nicht gewusst, dass ich bei dir arbeite, du
Arschloch.
Er strich sich über den silber-schwarz melierten
Vollbart, der so sorgfältig getrimmt war wie der englische Rasen,
über den er sie führte. Die Halme kitzelten ihre großen Zehen, die
aus den offenen Goldstilettos herausschauten. Zielsicher steuerte
er auf die dunkle Lärchengruppe im hinteren Teil des Parks zu.
Glücklich der Mann, der solche Botanik sein Eigen nennen
durfte.
Ein verzweifelter Lachanfall trieb ihr den
Champagner in die falsche Kehle. Sie legte einen Keuchhusten hin,
der die Traviata neidisch gemacht hätte.
Die alte Möwe lachte herzhaft mit. Und schlug ihr
- ganz väterlicher Freund - auf den Rücken. Sie beglückwünschte
sich im Nachhinein dazu, dass sie in ihrem Kleiderschrank kein
rückenfreies Abendkleid gefunden hatte.
»Wissen Sie, dass Sie viel zu schön sind für
Ihren Beruf?«
Wusste sie.
»Mein Gott, warum sind Sie so schön?«
Wusste sie nicht.
Die Lärchen rückten näher. Da half das
ergreifendste Traviataröcheln nichts. Die väterliche Hand war so
frei, auch ohne Einladung eines Rückendekolletés arschwärts zu
wandern.
Sie warf das Champagnerglas ins Gras, hörte auf
zu husten und streifte die Goldstilettos von den Füßen. Reizende
Maid barfuß im Mondenschein.
»Foltern Sie kein Geburtstagskind.«
Die Stimme tropfte nicht länger in ihr Ohr. Sie
leckte.
»Mein Gott, warum sind Sie so schön?«
Die Schuhe lagen gut in ihren Händen.
»Sie müssen, Sie müssen einfach -«
Und sie hatte immer geglaubt, Lärchen hätten
weiche Rinden. Ein Irrtum. Und ein weiteres Argument gegen
rückenfreie Abendkleider.
Er konnte den Blick nicht von ihr wenden.
Seine Augen, zwei trübe, blutverschlierte Bälle, waren aus den
Höhlen gekrochen. Reglos hockten sie in den Eingangslöchern und
bestarrten das weiße Fleisch, das vor ihnen tanzte.
In seinem Leben hatte der Alte viel weißes
Fleisch gesehen. Aber keins war weiß gewesen wie dieses.
Der Arsch, auf den er stierte, war so
alabastern und vollendet geformt, dass er sich sämtliche Hörner der
Welt hätte aufsetzen lassen, um ihn hochheben und fortschleppen zu
können. Der Abgrund, der die göttlichen Hügel trennte, verjüngte
sich nach vorn zu einem Spalt. Die Lippen schienen aus Elfenbein
geschnitzt, an den Innenwänden schimmerte Perlmutt. Zwei marmorne
Brüste ragten hoch über dem Zwischenbeindelta und spendeten ihm
Schatten.
Immer glasiger schauten die welken Augäpfel
unter dem Schädeldach hervor. Die Schönheit raubte ihm den
Atem.
Das Mädchen drehte sich langsam um die eigene
Achse. Es ging in die Knie, öffnete die Schenkel, schloss die
Schenkel, stand auf und drehte sich weiter. Teilnahmslos
durchstreifte sein Blick den Raum. Es war der unbewegte Blick einer
Eule.
Kalter Schweiß stand dem Alten auf der Stirn.
Seine Augäpfel hatten die Sehnerven ins Schlepptau genommen. Blind
drängten sie ins Freie, dem Alabasterarsch, dem Elfenbeinspalt, den
Marmortitten entgegen.
Die Bewegungen des Mädchens wurden langsamer.
Es legte den Kopf in den Nacken, reckte beide Arme in die Höhe
und stöhnte. Mit einer Hand streifte es den kupferroten Haarhelm
ab, der sein Gesicht umrahmte. Von seiner Rechten troff Blut.
Schritt für Schritt ging es auf den Alten zu. Die schwefelgelben
Augen blitzten.
Ihre Silhouette zerfloss vor seinem Blick. Je
näher sie kam, desto flirrender wurde der Glanz, der sie umgab. Er
starrte, ohne mit der Wimper zu zucken. Keine Sekunde ihres
Anblicks wollte er sich entgehen lassen. Sollten seine Netzhäute
zerreißen, seine Glaskörper bersten - es war ihm egal.
Ihm. Dem abgehackten Kopf.