Kapitel 14
Gesetzesbrecher II: Der Drogendealer

New Journalism ist ein Reportagestil, bei dem der Autor sich selbst zum Teil der Berichterstattung macht. Truman Capote hat damit angefangen, bekannt wurde dieser Stil durch Hunter S. Thompson und seine Werke über die Hell’s Angels. Er lebte ein Jahr lang bei der Motorradgang, er wurde ein Teil von ihr, dann schrieb er darüber. Thompson wurde heftig kritisiert, rechtfertigte seinen Stil jedoch damit, dass es so etwas wie journalistische Distanz gar nicht geben könne. Er radikalisierte den Subjektivismus von René Descartes oder Immanuel Kant und trieb diese literarische Form nach dem kommerziellen Erfolg von Hell’s Angels immer mehr auf die Spitze.

Wie ist es, wenn man selbst Teil wird einer Geschichte über Menschen, die man abgrundtief hasst? Wie ist es, wenn man einen Drogendealer porträtieren muss?

Die zerstören wissentlich das Leben anderer Menschen und machen damit Geld. Sie bewegen sich nicht in einer juristischen Grauzone oder einem moralischen Dilemma. Diese Menschen sind Verbrecher. Sie bringen Leid und Elend zu anderen Menschen.

Den Kontakt hat mir ein Kollege vermittelt, der vor ein paar Jahren einmal eine Geschichte über Drogen in Deutschland gemacht hat. Eine Telefonnummer ist alles, was ich bekomme – und ich habe keine Ahnung, was mich da erwartet: ein Typ im Anzug, der wie ein Geschäftsmann seine Waren vertickt – oder doch eher ein Hippie wie der Charakter aus Pulp Fiction, der John Travolta mit »zwei Gramm Wahnsinn« versorgt.

Wir treffen uns an einem Samstagabend, weil er mir am Telefon versichert hat, dass an diesem Tag ein bisschen was los sei – und er dennoch genügend Zeit habe, um sich zu unterhalten. Er wohnt in einer Gegend, in der man eher reiche Familien vermuten würde. Er sieht aus wie eine Mischung aus Popstar und Profifußballer – nur eben zehn Jahre nach der Karriere. Der Mann ist eine Kreuzung aus Stefan Effenberg und Axl Rose.

Er trägt Worn-Out-Jeans, die ein wenig eng sitzen. Er kann sich das allerdings leisten, weil er die Hüften eines durchtrainierten Abiturienten hat. Über den schmalen, aber doch definierten Schultern hängt ein T-Shirt aus der Adidas-Star-Wars-Kollektion, auf dem Darth Vader abgebildet ist, wie er vor seinen Fans die Arme ausbreitet. Dazu Sneakers, Kettchen um den Hals und beide Handgelenke. Tattoo am Unterarm. Drei Ringe, keiner davon am Ringfinger. Er trägt die 2012er-Version des Mario-Gomez-Haarschnitts, nur dass sein Haar schon ein wenig dünn ist und die Farbe eines Fünf-Cent-Stücks hat. Seine Haut sieht aus, als hätte man dunkelbraunes Leder über die Knochen gespannt, sie ist so faltig wie die Innenseite einer Walnuss.

Wissen gegen den Knast

Der Konsum auch harter Drogen
wie Heroin und Kokain ist in
Deutschland erlaubt. Strafbar ist,
was man sonst mit Drogen tun
kann: Herstellung, Handel, Er-
werb, Besitz, Anbau, Einfuhr und
Ausfuhr. Das macht es quasi un-
möglich, Drogen zu konsumieren,
ohne eine Straftat zu begehen.
(§29 Betäubungsmittelgesetz)

Ich muss ihm High Five geben, er sagt: »Komm rein, Alter!« Dann dreht er sich um und geht in sein Wohnzimmer. Seine Knie federn beim Gehen, er wirkt ein wenig, als würde er tanzen. Hin und wieder zuckt er, als würde ihm jemand auf die Schulter tippen. Er hebt seine Schulter, dreht den Kopf nach rechts, und nachdem er festgestellt hat, dass niemand was von ihm möchte, sieht er wieder nach vorne, als wäre nichts gewesen.

Seine Wohnung sieht aus, wie man sich eine WG von Stefan Effenberg und Axl Rose vorstellen würde: Poster von halbnackten und ganz nackten Frauen an der Wand. Couch. Tisch. Fernseher. Bierkiste. Kondome. Volle Aschenbecher. Auf dem Tisch liegen Eintrittsbändchen verschiedener Diskotheken und Konzerte.

Er heißt Toby, seine Kunden nennen ihn Toby, seine Freunde nennen ihn Toby – und ich soll ihn auch Toby nennen. Er hat also nicht einmal einen abgefahrenen Spitznamen wie etwa »White Mike« aus dem Roman Twelve von Nick McDonald. »Warum sollte ich?«, sagt er, als er sich eine Zigarette anzündet und mir ein Bier hinhält.

Die Realität ist kein Film und kein Roman.

Er besteht darauf, dass wir anstoßen, dann macht er sich über die Dose her wie ein Geier, der ein Stück Aas auf der Straße findet. Die Zigarette raucht er in weniger als vier Zügen, dann drückt er sie aus und steckt sich eine neue an. Er schaltet seine Stereoanlage ein, wir hören House-Musik, nebenbei läuft im Fernseher die Zusammenfassung der Fußballspiele des Nachmittags. Immer wieder klingelt das Telefon, Toby antwortet und sagt meist nur »Ja« oder »Geht klar«. Hin und wieder sagt er: »Geht nicht.« Nach jedem Telefonat dreht er sich zu mir um und sagt: »Kundschaft.« Dann schreibt er etwas in seinen Notizblock.

Wenn er glaubt, dass ich den Namen des Kunden kennen müsste, sagt er, wer ihn angerufen oder eine Nachricht geschickt hat. Es sind offensichtlich Menschen, die in Tobys Weltbild unter den Begriff Prominenz fallen. Ich kenne keinen einzigen Namen.

Er erzählt mir von der Freiheit, die er durch seinen Job hat, und von dem vielen Geld, das er verdient. Es ist ein sechsstelliger Betrag pro Jahr. Um ehrlich zu sein, höre ich ihm nicht wirklich zu – weil das bedeuten würde, dass ich ihn ernst nähme. Aber das kann ich nicht. Ich will keinen Menschen ernst nehmen, der Drogen verkauft. Und ich kann keinen Menschen ernst nehmen, der 40 Jahre alt ist und dessen Wohnung mit Ed-Hardy-Accessoires gepflastert ist.

Lieber Leser, ein kleiner Hinweis: Die Götter haben uns eindeutige Hinweise geschenkt, welche Menschen wir keinesfalls ernst nehmen dürfen: die Aufschrift »Ed Hardy« auf jeder Form von Kleidung. Der Autoaufkleber mit der Silhouette von Sylt. Das Reiseziel »Ballermann«, wenn man älter als 23 Jahre ist.

Es wird schnell klar: Toby macht das nicht, weil er es muss oder weil er da hineingerutscht ist oder weil er keine andere Möglichkeit hat, im Leben zurechtzukommen. Er macht das, weil er es will und weil er es offensichtlich cool findet. Wenn ich mir vorstelle, dass mein Sohn in 15 Jahren mal von so einem Menschen angesprochen wird, dann fällt es mir schwer, diesem Typen nicht schon heute eine aufs Maul zu hauen. Rein prophylaktisch.

Toby hat keine Lust, darüber zu sprechen, von wem er die Drogen bekommt, er zeigt mir nur, wo er sie aufbewahrt. Er hat unter seinem Bett einen Schubkasten, darin sind in verschiedenen Kammern verschiedene Sachen. Es sieht ein wenig aus wie im Medizinschränkchen meiner Eltern; er beschreibt den Inhalt so, wie meine Eltern den Inhalt ihres Medizinschränkchens beschreiben würden. Kokain gehört offensichtlich immer noch zu den Klassikern, obwohl es »auf der Straße angekommen ist«, wie er behauptet. Auf der Straße angekommen, das bedeutet, dass sich anscheinend nicht mehr nur die Reichen und Berühmten – oder wen Toby für berühmt hält – etwas leisten können, sondern dass offensichtlich sehr viele Menschen etwas davon wollen und deshalb auch viele Konkurrenten etwas davon verkaufen würden. Viel besser für sein Geschäft seien die Drogen, die nicht so viele Konkurrenten anbieten, weshalb er sich mittlerweile darauf spezialisiert habe. Crystal Meth besorgt er sich – das rutscht ihm heraus – persönlich aus der Tschechischen Republik vom Vietnamesenmarkt. Heroin sei zu viel Stress, weshalb er so etwas nicht verkaufen würde.

Ketamin sei eines seiner Lieblingsprodukte, es sei ein Schmerz- und Narkosemittel, bei dem der Konsument Friede und Ruhe verspüre. Vor allem Menschen nahe am Burnout würden geradezu darauf abfahren, was ihm gerade in München monströse Umsätze beschert. Auch Nachtschattengewächse würden gerade ein grandioses Comeback feiern. Hat er aber nicht im Sortiment. Er kennt zwar viele Drogen, verkauft selbst aber nur vier: Kokain, Ketamin, Marihuana, Crystal.

»Nimmst du das Zeug selbst?«

Er sieht mich erstaunt an, als ich das Gespräch in diese Richtung lenke.

»Früher habe ich ein paar Sachen probiert, aber nie über einen längeren Zeitraum. Hab keinen Bock darauf.«

Ich wette, das ist die Standardantwort eines jeden Dealers. Kurz darauf zuckt er wieder, als würde ihm einer auf die Schulter tippen.

»Woher weißt du dann, dass die Sachen gut sind, die du verkaufst?«

»Weiß ich nicht!«

»Und woher wissen deine Kunden, dass es gut ist, was du da verkaufst?«

»Das wissen sie, wenn sie es nehmen!«

»Aha.«

»Das ist eine Sache von Vertrauen. Natürlich kommt jeden Monat einer daher, der glaubt, er könne einfach einsteigen – aber so funktioniert das nicht. Ich bin seit 15 Jahren im Geschäft – und ich bin gut darin.«

Er ist offensichtlich stolz darauf, wie er seine Arbeit macht.

»Schon mal erwischt worden?«

»Kein einziges Mal – auch wenn es ein paar Mal knapp war! Ganz ehrlich: Die Polizei kontrolliert nicht wirklich, manche lassen einen gegen ein paar Geschenke in Ruhe. Hin und wieder opfert sich einer, damit wieder Ruhe ist. Hoffentlich bleibt das so.«

Er klopft mit der Faust auf seinen alten Wohnzimmertisch.

»Und was ist mit den Menschen, denen du das verkaufst? Du weißt, dass du ihnen damit schadest …«

Er hat auf diese Frage gewartet.

»Klagst du jede Brauerei an, wenn einer Alkoholiker wird? Willst du dich mit Verkäufern von Messern anlegen, nur weil einer den anderen absticht? Ich bin Geschäftsmann. Ich kaufe Sachen ein und verkaufe sie mit Gewinn. Fertig. Aus. Dass meine Produkte illegal sind, macht die Sache gefährlicher, aber auch lukrativer. Nur die Harten überleben.«

Diese Antwort hat er auswendig gelernt und sie offensichtlich schon vielen Menschen erzählt, weil er die Sätze absolut fehlerfrei vortragen kann.

»Schon mal erlebt, dass einer deiner Kunden ins Krankenhaus musste oder gestorben ist?«

Er sieht mich an, dann atmet er kurz und wuchtig durch die Nase aus, sodass es seinen Oberkörper anhebt, dann schüttelt er den Kopf.

»Na?«

Er sieht mich wütend an: »Keine Ahnung! Nein!«

»Schon mal ans Aufhören gedacht?«

»Und das hier aufgeben? Niemals! Mir geht es gut, ich habe Spaß, und mein Leben ist der Wahnsinn.«

In diesem wahnsinnigen Leben sitzt er am Samstagabend daheim, beantwortet Anrufe mit einem Wort und trinkt gerade sein fünftes Bier, während ich mich an meinem zweiten herumplage.

»Los geht’s. Arbeiten.«

Er zieht sich kurz um, prüft im Spiegel seine Frisur, reibt sich Creme in sein Gesicht und sprüht Parfüm auf sein T-Shirt (Aufschrift: Ed Hardy), das ich zuletzt als Teenager gerochen habe. Dann zählt er Bars auf, in die er gehen möchte. Normalerweise trifft er sich mit den Kunden auf der Straße, hin und wieder auch in Bars und Clubs. »Nie daheim«, sagt er. Er hat einen Laufweg, den er in den nächsten Stunden absolvieren will. »Gott sei Dank ist heute kein Konzert – zumindest keines, auf das ich gehen muss.«

»Ist das nicht anstrengend?«

Er sieht mich an.

»Sollte ein Samstagabend nicht anstrengend sein? Mann, Alter, du bist echt zu alt!«

Ich bin zehn Jahre jünger als er.

»Ich hänge jetzt mit Freunden ab und verdiene Geld dabei.«

Es geht diesem Menschen nicht ums Geld, dieser Beruf – oder was er als Beruf bezeichnet – ist nicht so sehr der Weg, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Er ist vielmehr seine Eintrittskarte in eine Welt, für die Menschen in seinem Alter eigentlich kein Ticket bekommen oder es sich teuer erkaufen müssen. Er ist kein Geschäftsmann, er ist jemand, der nicht weiß, was er sonst mit seinem Leben anfangen soll, als durch die Clubs zu ziehen und zu feiern.

»Kommst du?«

»Ja, aber ich will nichts mit dir zu tun haben. Ich rufe ein paar Freunde an, damit sie auch kommen, dann wird mir nicht langweilig.«

Ich will nicht der Sidekick eines Menschen sein, der Drogen verkauft. Ich glaube, dass ich entweder zu nervös wäre – oder dass ich irgendwann die Polizei rufen würde, weil ich es nicht mehr aushalte.

»Schon okay. Wenn du willst, können wir uns so gegen drei Uhr vor dem Eingang treffen, dann erzähle ich dir, wie der Abend so war. Und natürlich bringe ich dich und deine Freunde in den Club. Das kann ich für dich drehen.«

Ich muss ihm wieder High Five geben.

Ich dachte, High Five unter erwachsenen Männern, die nicht professionelle Sportler sind, ist Mitte der 90er verboten worden.

Wir gehen in einen Club – und tatsächlich muss Toby eingreifen, damit der Türsteher meine beiden Freunde und mich hineinlässt. »Ohne Frauen ist das für Nichtstammgäste immer schwer«, sagt er. Man merkt, dass er recht stolz darauf ist, auch ohne Frau am Arm hineinzudürfen.

Drinnen haben etwa 70 Prozent der Menschen mindestens ein Kleidungsstück von Ed Hardy an, und ich bin mir sicher, dass die anderen 30 Prozent entweder einen Sylt-Aufkleber auf dem Auto haben oder gerne zum Ballermann fahren. Ein Bier kostet so viel, wie man im Getränkemarkt für eine komplette Kiste ausgeben würde, ein Cocktail hat den Gegenwert eines Abendessens.

Toby verteilt High Fives – offenbar feiert das Abklatschen ein grandioses Comeback wie auch der Künstlerschal, den die Männer trotz einer Temperatur von mindestens 30 Grad tragen. Die Männer klatschen sich dauernd ab. Einer erzählt was, dann lachen die anderen, und dann gibt es High Five. Schließlich wird das teure Getränk auf ex geleert und das nächste bestellt. Für die Frauen dagegen ist der gesamte Club eine Mischung aus Laufsteg und Spielfeld. Der Wettkampf scheint zu sein, dass die Frau gewinnt, die am meisten Cocktails spendiert bekommt. Es ist ein harter Wettbewerb, denn ich habe in meinem Leben noch nie derart viele hübsche Frauen gesehen, die ihre Schönheit derart durch Make-up und Silikon zerstören.

Es ist die Sorte Club, in der ein Mann zu einer Frau sagen kann, dass er gerne Arsch und Titten sehen würde – und ihm die Frau tatsächlich Arsch und Titten zeigt.

Toby fühlt sich wohl, ihm gehört die Tanzfläche. Er beherrscht Tanzstile aus vier Jahrzehnten: Bei rockigeren Liedern präsentiert er den Mir-ist-eine-Bowlingkugel-auf-den-rechten-Fuß-gefallen-Hüpfer mit Luftgitarre, bei Hip-Hop packt er sich eine jüngere Frau und vollführt die Aufwärmübungen eines Menschen, der gerne Koitus betreibt – er kann sogar Electric Slide und Wippen-und-mit-den-Fingern-Schnippen, wenn er sich einer Frau nähert, die sich nun gar nicht bewegen kann.

Hin und wieder verschwindet er.

Er verfügt über die Energie eines 20 Jahre alten Studenten, der drei Mal pro Woche laufen geht, Fußball spielt und hin und wieder ein Fitnessstudio von innen sieht. Nur: Ich war mit 20 Jahren nicht so fit wie er, obwohl ich Fußball spielte und hin und wieder im Fitnessstudio war. Ich frage mich, woher er diese Energie nimmt.

Hin und wieder zuckt er auch beim Tanzen nach rechts.

Ich hatte mir das Leben eines Drogendealers anders vorgestellt – wahrscheinlich deshalb, weil ich mir nur vorstellen konnte, was ich zuvor im Fernsehen oder in Büchern kennengelernt hatte. In meiner Fiktion ist ein Dealer entweder ein stinkreicher Sack in einer Villa voller Models und Ganoven, er organisiert nebenher Boxkämpfe und sorgt dafür, dass die pelzverarbeitende Industrie auch weiterhin existiert. Oder er ist ein schüchterner Student, der unerkannt um die Häuser zieht und seinen ehemaligen Schulkameraden in dunklen Gassen ein bisschen Marihuana verkauft.

Die Realität ist manchmal verrückter als die Fantasie.

Irgendwann möchte ich nach Hause. Ich kann Toby eine Stunde lang nicht finden, also gehe ich und bedanke mich per SMS für das Gespräch.

Ich will nicht mehr mit ihm sprechen, weil ich keine Lust mehr habe. Zum ersten Mal seit Beginn des Projekts will ich aufhören. Da gibt es einen Menschen, der kann sich frei bewegen, der tanzt in Diskotheken, der fühlt sich wie Leonardo DiCaprio am Bug der »Titanic« – und der verdient sich dieses Leben damit, dass er das Leben von anderen kaputt macht. Und es scheint kaum jemanden zu interessieren, denn selbst wenn Toby aufhört oder erwischt wird, wartet schon der Nächste, der sein Leben übernimmt.

Und wir sehen nur dabei zu.

Das macht mich wahnsinnig.

Ich sehe seine Antwort am nächsten Morgen und kann mir nur vorstellen, wie er die Nachricht in sein Handy getippt hat. Er hat nebenbei High Fives verteilt und erzählt, dass er mit einem berühmten Schriftsteller hier sei. Wahrscheinlich haben die Leute dann die Augenbrauen hochgezogen und sich gedacht: »Jürgen wer? Kennt kein Mensch, diesen Typen!« Aber das ist Toby egal. Er tanzt und verteilt High Fives. Und nebenbei verkauft er Drogen.

Erinnert sich noch jemand an die Zeit zwischen Abitur und Studium, zwischen Schulabschluss und Beginn der Ausbildung? Diese drei bis sechs Monate, in denen das Leben daraus bestand, sich an einem See zu treffen, sich mit Bier und billigem Schnaps zuzuschütten und sich dann auf die Suche nach einem paarungswilligen Gleichaltrigen zu machen? Als die wichtigste Tätigkeit am nächsten Morgen darin bestand, sich eine Kopfwehtablette zu besorgen, den Freunden von der letzten Nacht zu erzählen und den nächsten Abend zu planen? Als die größte Sorge im Leben war, genügend Alkohol und paarungswillige Gleichaltrige auf die nächste Party zu bekommen?

Nein? Keine Sorge, ich auch nicht.

Hin und wieder tauchen in meinem Kopf Bilder auf, und ich weiß dann, dass es eine tolle Zeit war. Aber sie kommt mir weit entfernt vor, aus der Erinnerung ist ein Film geworden, den ich mir hin und wieder gerne ansehe und worüber ich herzlich lachen muss, in dem ich aber um Gottes willen nicht mehr mitspielen möchte. Ich halte mich manchmal für ein missverstandenes Genie – dann stelle ich fest, dass ich kein Genie bin und die anderen mich einfach nur für dumm halten. So geht es mir an diesem Abend: Ich bin der Dumme.

Toby spielt seit 20 Jahren in diesem Film mit. Er muss einem nicht leidtun, denn er spielt gerne mit. Aber wenn ich ihn das nächste Mal sehe, dann muss ich aus drei Optionen wählen, von denen für mich höchstens zwei infrage kommen: Entweder gebe ich ihm High Five. Oder ich zeige ihn an. Oder ich haue ihm gewaltig aufs Maul.