Kapitel 60
Es war Zeit, eine neue Ausgabe der Daily News zu planen, aber Melhuish hatte seinen Lesern nichts zu bieten – nur ein Exemplar mit Artikeln, die man auch in Konkurrenzzeitungen lesen konnte. Schipp lieferte nicht mehr, und die Aura, die ihn umgeben hatte, als er die Story angebracht hatte, verblasste allmählich.
»Es ist so lange her, Schipp«, brummte Melhuish. »Wir haben die Story aufgetan. Wir waren auf der Überholspur. Und jetzt haben wir nichts mehr in den Händen.«
Schipp holte tief Luft. »Die Cops strengen sich genauso sehr an wie ich, diesen Bastard aufzuspüren, aber alles, was ich habe, ist eine Stimme. Was soll ich machen, wenn meine Quelle versiegt und sich der Typ nicht mehr meldet?«
»Keine Ausreden mehr, Schipp. Bringen Sie mir Schlagzeilen!«
Schipp schmollte und dachte über Auswege aus diesem Dilemma nach.
»Wann können wir anfangen, diesen Prozess auszuschlachten?«, erkundigte sich Melhuish unumwunden.
»Die Staatsanwaltschaft möchte einen Mord nach dem anderen durchgehen, und sie fangen kommenden Freitag damit an.«
»Wie lange werden sie brauchen, bis sie sich mit dem nächsten Mordfall befassen?«
»Einen Verhandlungstag. Vielleicht zwei.«
»Gut. Wir reservieren jeden Tag die Seite eins für eine große Story. Nur die Namen, die Nolan seinen Opfern gegeben hat – mit einer Zeichnung, auf der die Todesart dargestellt wird. Sorgen Sie dafür, dass wir den besten Zeichner dafür gewinnen. Ich möchte, dass die Zeichnungen richtig gruselig sind.« Melhuish winkte ihn hinaus. »Machen Sie sich an die Arbeit.«
Schipp ging zur Tür.
»Und ich möchte in der Minute, in der die Stimme Verbindung mit Ihnen aufnimmt, davon erfahren, klar?«
»Ganz klar, Sir.«
Die Gerichtsverhandlung begann relativ unspektakulär. Die Geschworenen wurden ohne große Kampfansagen von Staatsanwalt Goode und Leadbeater ausgewählt. Jeden Tag war die Galerie mit Schaulustigen voll besetzt, und jeden Tag saß Neela mit Nick an ihrer Seite in der ersten Reihe und ließ die zermürbenden Zeugenaussagen über sich ergehen. Der einzige Hoffnungsschimmer war Esthers Anwesenheit; sie nahm an jedem Prozesstag den Platz hinter Neela ein.
Das Verfahren zog sich endlos hin. An den ersten beiden Tagen formulierte Goode ausführlich die Anklage und sprach dabei die Jury direkt an, während er versuchte, unumstößliche Beweise für Dermot Nolans Schuld anzuführen. Und einige Geschworene machten den Eindruck, als würden sie sich seiner Ansicht anschließen. Als er zum Ende kam, ging er zu seinem Platz zurück.
Dann hatte Leadbeater seinen großen Auftritt. »Ich werde später ins Detail gehen, aber vorerst möchte ich von einer Tatsache sprechen, die von der Verteidigung nicht in Frage gestellt wird. Der Angeklagte war an dem Ort, an dem später die Leichen von Gareth und Laura Nash gefunden wurden. Aber wie oft war er dort? Und stattete er dem Ort des Verbrechens noch einmal einen Besuch ab, oder hatte er lediglich Recherchen betrieben, um seinem Roman Authentizität zu verleihen? Die Anklage wird mit schauerlichen Hinweisen und Indizien gegen meinen Mandanten aufwarten, aber es wird Ihre Aufgabe sein zu entscheiden, ob berechtigte Zweifel bestehen.«
Trotz Leadbeaters geschickter Argumentation blieb Goode bei seiner Linie und jagte allen Anwesenden Horrorschauer über den Rücken. Bald wurde klar, dass der Staatsanwalt ein ganz neues Bild von Dermot Nolan zeichnete. Der Beklagte war gestört, neigte zur Gewalt und verspürte den erregenden Drang, Bars zu besuchen, in denen Prostituierte verkehrten. Am Nachmittag präsentierte Goode erdrückende Beweise gegen Dermot Nolan: Fingerabdrücke und Blutspuren vom Rand des Wassertanks, in dem der Schädel von Bruce Major gefunden worden war; Erdproben von Dermots Stiefeln bestätigten, dass er am Wasserturm gewesen war. Natürlich bewies das nicht, dass sich Dermot dort aufgehalten hatte, als Bruce Major ermordet wurde, aber es untermauerte die Anklage.
Leadbeater konterte mit dem Hinweis, die forensischen Beweise stützten lediglich die Behauptung, dass Nolan in Erfahrung bringen wollte, ob die Details in dem Tagebuch der Wahrheit entsprachen. Selbstverständlich gab es Fingerabdrücke, die zeigten, dass Nolan irgendwann dort gewesen war. Genau wie die Erdproben von seinen Stiefeln und Autoreifen. Aber mehr als das bewiesen diese Indizien nicht: Dermot Nolan war einmal dort gewesen. Niemand konnte sagen, wann genau.
Der Richter vertagte die Sitzung relativ früh. Leadbeater nahm Dermot und Neela mit in ein Vorzimmer, wo sie mit Harold Fountain über die Ereignisse des Tages diskutierten. Sowohl Fountain als auch Leadbeater fanden, dass der Verhandlungstag so gut verlaufen war, wie sie es erwartet hatten.
Doch so geschickt Leadbeater und Fountain in ihrem Job auch waren, sie sahen nicht, dass ein Kaninchen in Goodes Hut sprang.