Kapitel 24

Nach dem Lunch im Flower Street Café nahm Nick Neela mit zu Sotheby’s, weil er sich ein Bild anschauen wollte, für das er im Auftrag eines Klienten mitbieten sollte. Danach setzte er sie zu Hause ab. Er war nicht überrascht, dass von Dermot keine Spur zu sehen war. »Glaubst du, er ist tatsächlich losgefahren und gräbt diese Leichen aus? Das konnte er doch nicht ernst gemeint haben.«

»Wer weiß?«, antwortete Neela matt. »Er wird immer launischer. Wie vorhin … Ich wünschte, ich könnte ein bisschen Prozac in seinen Jack Daniels mischen, wenn er nicht hinsieht.«

Sie durchquerte das Wohnzimmer und ging in die Küche, dann schloss sie die Schiebeglastür zum Garten auf. Sie steuerte den kleinen Gartenschuppen an und vergewisserte sich, ob die Schaufel noch da war. Sie atmete erleichtert auf; wäre die Schaufel nicht an ihrem Platz gewesen, hätte sie gewusst, dass Dermot losgezogen war, um die Leichen auszugraben. Aber wo, zum Teufel, trieb er sich wirklich herum?

Nick rief aus dem Haus: »Neela, er ist wieder da!«

Sie lief ins Haus und war entsetzt, als sie Dermot sah.

»Gib mir einen Drink, Nick«, forderte Dermot und ließ sich in einen Sessel fallen. Sein Gesicht war aschfahl. Das Jackett und die Krawatte hatte er sich über eine Schulter geworfen.

Neela schüttete drei Finger hoch Bourbon in ein Kristallglas. »Was ist passiert? Hat dich jemand angegriffen?«

»Nein. Ich wurde festgenommen. Das ist alles.«

»Das ist alles? Festgenommen? Willst du mich auf den Arm nehmen?«

»Nein. Aggressives Fahrverhalten. Was soll ich sonst noch dazu sagen?«

Neela setzte sich zu ihm; sie ärgerte sich über seine Schnodderigkeit. Für ihn war offenbar alles ein großer Witz.

»Hast du vor, uns mehr darüber zu erzählen? Oder wird dies ein nervenaufreibendes Frage-und-Antwort-Spiel?«, fragte sie.

Dermot seufzte. »Ich habe einen anderen Peugeot auf dem Santa Ana gesehen und dachte, es wäre der Wagen, der mir schon einmal gefolgt ist – ihr wisst schon, ich habe bereits von ihm gesprochen. Dieses Mal vertauschte ich die Rollen – ich fuhr hinter dem anderen Peugeot her. Wie sich nach einer ziemlich interessanten zehnminütigen Verfolgungsjagd herausstellte, saß eine vollkommen verängstigte Frau, die ihre kleine Tochter von der Ballettstunde abgeholt hatte, am Steuer. Sie dachte, ich wäre ein Geistesgestörter, der sie umbringen wollte.« Dermot trank einen großen Schluck Whiskey. »Vier bewaffnete Streifenpolizisten machten der Jagd ein Ende. Sie nahmen mich fest und brachten mich in Handschellen zum Revier.« Er sah erst Neela, dann Nick an. »Okay. Reicht das? Oder wollt ihr noch mehr schaurige Einzelheiten hören?«

Neela hatte Mühe, ihre Emotionen im Zaum zu halten. War Dermot jetzt vollkommen verrückt geworden? Wurden diese grotesken Mätzchen Teil ihres normalen Lebens? Sie hatte große Mühe, ruhig zu bleiben. »Hat die Frau Anzeige gegen dich erstattet?«

»Nein. Und die Polizei auch nicht. Ich habe Mike Kandinski angerufen und ihm geschildert, was geschehen ist. Er meinte, er würde sehen, was er für mich tun könnte. Er kennt diese Detectives, wie er sagte.«

»Das war ein Geniestreich«, bemerkte Nick.

»Allerdings. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist ein Eintrag im Vorstrafenregister wegen gewalttätigen Verhaltens.« Dermot kippte seinen Drink hinunter. »Kann ich noch einen haben? Ja, ich weiß. Schon wieder einen. Aber heute Abend fahre ich nicht mehr.«

»Natürlich, Liebling. Ich bringe dir einen.« Neela nahm sein Glas.

»Dann hast du der Polizei von der Arnold-Geschichte erzählt?«, wollte Nick wissen.

»Verdammt nein, Nick!« Dermots Ausbruch erschreckte Nick und Neela. »Was denkst du denn? Lieber Himmel, Mann! Ich habe dir im Flower Street Café gesagt, dass ich der Polizei ohnedies schon wichtige Informationen vorenthalten habe – Fakten, die ich ihnen hätte melden müssen. Ich habe sie angelogen. Was sollte ich machen? Mich mit ihnen zusammensetzen, nachdem ich mich aufgeführt hatte wie ein Verrückter und sie mir gerade die Handschellen abgenommen hatten, und ihnen eröffnen, dass ich den Fahrer des anderen Peugeots für den Komplizen eines Serienmörders gehalten habe? Eines Serienmörders, der mir sein Tagebuch, in dem er seine letzten Gräueltaten beschreibt, zukommen ließ? Dann säße ich längst in einer psychiatrischen Klinik, vollgepumpt mit Medikamenten. Und ihr beide würdet darum kämpfen, zu mir vorgelassen zu werden.«

»Aber Dermot …«, begann Neela; er ließ sie nicht aussprechen.

»Außerdem habt ihr mir klargemacht, dass dieses Tagebuch mein Schlüssel für den nächsten Karriereschritt wäre. Und jetzt hört mir zu! Falls ich herausfinden sollte, dass Arnold allein gehandelt hat, oder zumindest kein schlechtes Gefühl mehr bei dem Gedanken habe, werde ich sein Tagebuch ausschlachten, so gut ich kann, und uns vor dem Armenhaus bewahren. Okay? Ich habe mich entschieden. Ende der Geschichte. Also kein Wort mehr davon!«

Nick griff nach seinem Stock und erhob sich. »Es liegt an dir, Dermot«, sagte er auf dem Weg zur Tür. »Aber ich? Ich brauche ein bisschen Schlaf. Wir sehen uns. Und pass auf dich auf, okay? Wenn du morgen meine Hilfe brauchst, sag mir Bescheid. Ich begleite dich.«

Plötzlich wurde Dermot verlegen. »Tut mir leid, Nick. Ich bin zurzeit einfach ziemlich nervös. Und ich bin noch nie zuvor verhaftet worden – das hat mich zusätzlich ziemlich fertig gemacht.«

Nick lächelte. »Hey, mach dir meinetwegen keine Gedanken. Nimm deine Frau in den Arm – das kann sie nach dem Tag heute gut gebrauchen.«

Dermot befolgte den Ratschlag und war froh, Neelas Nähe zu spüren.