2. DIE WELT NEU GESTALTEN

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bekamen die Imperialordnungen eine neue Gestalt und Qualität. Die mit der Dampfkraft und der Elektrizität verbundenen Technologien spielten eine immer wichtigere Rolle für die Handelspraktiken, politischen Regime und kulturellen Debatten europäischer wie nichteuropäischer Imperien. Nach 1870 lösten die Dampflok, das Dampfschiff und der Telegraph dann endgültig das Pferd, das Segelschiff und den Kurier als Hauptkommunikationsmittel auf globaler Ebene ab. Diese Innovationen ermöglichten es den Imperien, größere Mengen an Rohstoffen aus ihren Kolonien schneller und zu geringeren Kosten zu importieren; gleichzeitig bedeutete es, dass sich größere Mengen an fertigen Gütern wieder zurück in die Kolonialmärkte exportieren ließen. Als der «neue Imperialismus» auf aggressive Weise Gebiete absorbierte und ferne Gegenden in expandierende Imperialsysteme integrierte, wurden wichtige Nutzpflanzen, Rohstoffe für die Industrie, hochwertige Waren, ausgeklügelte Maschinen, erlesene Fertigprodukte, wirtschaftliche Informationen, politische Nachrichten und neue Ideen häufiger, schneller und über größere Entfernungen hinweg transportiert und ausgetauscht. Für die damaligen Zeitgenossen gab es wenig Zweifel an der globalen Bedeutung dieser Entwicklungen. Wie der französische Politiker und Freihandelsverfechter Yves Guyot 1885 bemerkte, sei die Kolonialpolitik in der Lage, Häfen, Kanäle und Eisenbahnen «sur tous les points du monde» einzurichten.[84]

In diesem Abschnitt befassen wir uns mit der Interdependenz zwischen empire building und Kommunikation bei der Entstehung einer immer stärker integrierten Weltordnung zwischen 1870 und dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese Beschäftigung mit der Entwicklung von Technologien und interkulturellen Verbindungen ist der Tatsache geschuldet, dass diese Fragen in den intellektuellen Debatten, politischen Auseinandersetzungen und kulturellen Formationen, welche sich in dieser Zeit weltweit entwickelten, eine zentrale Rolle spielten. Karl Marx zufolge waren Eisenbahnen, Lokomotiven und Telegraphen «Organe des menschlichen Willens über die Natur», die den Industrienationen «vergegenständlichte Wissenskraft» verschafften.[85] Diese Technologien waren von grundlegender Bedeutung für eine gierig expandierende industrielle Ordnung und bildeten den Kern des Imperialsystems, das diese Form von wirtschaftlicher Organisation beförderte und seinerseits davon beeinflusst wurde. Eisenbahn und Telegraph sind die wichtigsten Beispiele für die Einbettung von Technik in komplexe Systeme, in denen Maschinen, Infrastruktur und Institutionen zusammenwirkten, und für ihre Abhängigkeit von einem komplexen Gefüge aus Praktiken und Prozessen, die mit großer Geschwindigkeit und Regelmäßigkeit abliefen. Diese Kommunikationskomplexe, die enorme Investitionen an Kapital und Arbeit, eine detaillierte Planung, beträchtlichen Aufwand in Sachen Unterhalt sowie umfangreiche Verwaltungssysteme erforderten, entwickelten sich ab 1870 zu Schlüsselelementen imperialer Praxis.

Technologie und imperiale
Modernität

Diese komplexen technologischen Systeme beruhten häufig auf kolonialen Formen von Schuldknechtschaft oder Semi-Fronarbeit – einer neuen Form von imperial-industriellem Proletariat. Zudem bezogen sie ihre Energie aus dem Vordringen nicht nur in die kolonialisierten Landschaften, sondern auch in lokale politische Ökonomien, Gemeinschaftspraktiken sowie in die Schlupfwinkel des kolonisierten Ichs. Diese Epoche, die mit dem Siegeszug des Dampfschiffs begann und mit dem Aufkommen der Flugreise als ultimativem Ausdruck moderner Mobilität endete, erlebte eine ganze Reihe revolutionärer technologischer Entwicklungen, die den «Abendländern» ganz neue Möglichkeiten eröffneten, aus den verschiedensten Gründen – Philanthropie, Tourismus, Reformeifer oder eine Mischung aus allen dreien – an entlegene und «exotische» Orte zu gelangen. War der Impuls, der hinter der Entwicklung dieser neuen Formen von Fortbewegung und transnationaler Verbindung stand, ökonomischer Natur, getrieben von der Suche nach Märkten und Rohstoffen, so war eine global weitreichende Folge davon die Veränderung der sozialen Beziehungen zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten. Diese Formen von Mobilität schufen neue Orte, an denen diejenigen, die für diese «Bahnstrecken der Nation» (lines of the nation) arbeiteten, und die, die auf ihnen durchs Land und durchs Imperium glitten, aufeinanderprallten.[86] Am meisten profitierten vermutlich die Frauen der Elite – in Großbritannien, Frankreich, Japan, China, Russland – von der Bewegungsfreiheit, die diese technischen Errungenschaften ermöglichten, während die subalternen Subjekte zunehmend feststeckten in ihrer gesellschaftlichen Stellung als Arbeitskräfte oder als Objekte immer ausgefeilterer staatlicher Mechanismen, die Mobilität und Staatsbürgerschaft überwachten.

Der allmähliche globale Aufstieg dieser Kommunikationsweisen und Verbindungsformen spielte eine zentrale Rolle bei der Schaffung einer ganzen Reihe volatiler, wechselnder und sich teilweise überlappender imperialer Kulturordnungen. Diese Ordnungen waren mächtig – sie waren in der Lage, große Truppenverbände zusammenzuziehen, Unmengen an Arbeitskräften zu mobilisieren und immer ausgeklügeltere und professionellere Überwachungs- und Zwangsinstrumente einzusetzen –, aber auch in einem ständigen Veränderungsprozess begriffen, für den neue Technologien, die verschiedenen Marktkräfte sowie die brutalen Kämpfe um Ressourcen, Rechte und Macht, die im Zentrum kolonialer Begegnungen standen, verantwortlich waren. Diese Imperialordnungen befanden sich in ständigem Fluss, denn sie waren von arbeitenden Körpern abhängig, die sich nicht immer in die neue globale Industrieordnung fügten und die, wenn sie es denn doch taten, auf eine Weise nach Inklusion strebten, welche die rassen- und geschlechtsspezifischen Hierarchien, die von Paris bis Peking, von Sibirien bis San Francisco zu dieser Ordnung gehörten, in Frage zu stellen drohten. Bedenkt man, was asiatische Arbeiter beim Eisenbahnbau auf mehreren Kontinenten leisteten, ist es nicht übertrieben, wenn man davon spricht, sie seien entscheidend an den Prozessen beteiligt gewesen, mit denen die Welt in dieser Zeit zusammengeschlossen wurde. Zwar wird das ständig Prozesshafte imperialer Gesellschaftsformationen oftmals mit Geschichten imperialer Kultur und Identität assoziiert, doch auch im Hinblick auf die Infrastruktur des Imperiums lässt sich problemlos belegen, dass Imperien niemals eigenständige, völlig autarke Systeme waren.[87] Ganz besonders gilt das in einer Zeit, da die Imperialordnungen zunehmend abhängig waren vom internationalen Handel, vom Aufbau kapitalintensiver Infrastruktur-, Verkehrs- und Kommunikationssysteme sowie von hoch mobilen kolonialen Arbeitskräften, welche die Kolonien sowohl mit ihren Nachbarn als auch mit der imperialen Metropole verbanden.

Auf den ersten Blick könnte es den Anschein haben, als sei das Wirken des Imperiums in einem solchen Kontext zunehmend «entkörperlicht» worden; gesellschaftliche Kommunikation, geschäftliche Transaktionen und ideologische Auseinandersetzungen, die früher auf persönlichem Kontakt beruhten, wurden immer stärker zu Routinevorgängen, die sich in entpersonalisierten, bürokratisierten und mechanisierten Formen vollzogen. Das vielleicht deutlichste Beispiel für eine derartige moderne Imperialbürokratie bietet die amerikanische Politik auf den Philippinen, wo die Autorität der Kolonialmacht auf der genauen Überwachung der lokalen Bevölkerung und auf der Sammlung riesiger Datenmengen beruhte. Grundlage dieses Unterfangens waren ein innovativer Komplex von Informationstechnologien (darunter umfassende Telegraphen- und Telefonnetze), der breite Einsatz der Photographie, um die Kolonialbevölkerung dokumentarisch zu erfassen, sowie die rasche Erzeugung und effiziente Verwaltung von Informationen durch den Einsatz von Schreibmaschine und numerierten Akten.

Diese Techniken kamen an vorderster Front zum Einsatz bei dem Versuch Amerikas, angesichts anhaltender Herausforderungen durch eine revolutionäre Volksarmee, militante Gewerkschaften, messianische Bauernführer und muslimische Separatisten die Herrschaft über die Philippinen aufrechtzuerhalten. An der Spitze dieser Kampagne stand die Division of Military Information, die ungeheuer viele Informationen über diese verschiedenen Rebellengruppen sammelte, und dieses Material wurde dann mit Hilfe eines Karteikartensystems organisiert, das Informationen über jeden Einzelnen enthielt, der als Gegner der amerikanischen Herrschaft galt. Ein besonders auffälliges Beispiel für diese imperialbürokratische Moderne findet sich bei der Befriedung der Hauptstadt Manila, als die von den Amerikanern ins Leben gerufene metropolitane Polizeitruppe ebenfalls ein riesiges Archiv mit Informationen über die Kolonialbevölkerung einrichtete: Binnen zwei Jahrzehnten war die Zahl der alphabetisch geordneten Karteikarten auf Fotos und Informationen über 200.000 Menschen angewachsen, also rund 70 Prozent der Bevölkerung Manilas.[88]

Gleichwohl führt uns dieses System – mit seinen Photographen, Beamten, Polizisten und Geheimdienstoffizieren – vor Augen, dass Technologien sich nicht im luftleeren Raum bewegten, sondern ihr Einsatz durch menschliche Entscheidungen und Aktivitäten gesteuert und festgelegt wurde. Eine der Geschichten des imperialen Kommunikations- und Verkehrssystems, die bislang viel zu wenig historiographische Beachtung fand, ist freilich die, dass die kolonialen Körper der Rohstoff waren, der die Schaffung dieser Verbindungssysteme überhaupt erst ermöglichte. Industriekapitalisten setzten temporär zwangsverpflichtete Arbeiter (indentured workers), neue Migranten, Arbeitskräfte aus den niederen Kasten sowie halb-nomadische Stammesvölker ein, um Bäume zu fällen, Sümpfe trockenzulegen und die Landschaft umzugraben und so Platz für die «Highways» des Imperiums zu schaffen: für Telegraphenleitungen, Eisenbahnstrecken, Straßennetze und Hafenanlagen. Es waren in erster Linie nicht-weiße Arbeiter, die den Großteil der Arbeit erledigten und die beschwerlichsten, kräftezehrendsten Aufgaben verrichteten. Infolge ihrer Stellung in den «rassifizierten» Hierarchien der Arbeitswelt waren nicht-weiße Arbeitskräfte am ungeschütztesten. Sie waren es zumeist, die durch Krankheiten wie Cholera und Grippe dahingerafft wurden, während Züge und Dampfschiffe mit erstaunlicher Geschwindigkeit Grenzen und Weltmeere überquerten. Von den Krankheiten (chronischen und sonstigen), die durch den Umgang mit Rohstoffen und Nebenprodukten industrieller Produktion wie Staub, Splittern und Dämpfen hervorgerufen wurden, wollen wir gar nicht erst reden. Wenn Substanzen wie diese in die Körper der Arbeiter eindrangen, bekam die «Einverleibung» der industriell-imperialen Moderne noch einmal eine ganz neue Bedeutung.[89]

Imperiale Macht beruhte zwar weiterhin auf der Fähigkeit des Kolonisators, die Disziplinarmacht der Gewalt (oder zumindest ihre Androhung) gegen die Kolonisierten einzusetzen, doch die Mechanismen der Kolonialverwaltung, die Formen, in denen der Imperialhandel ablief, und der Charakter imperialer Imagination erfuhren eine Veränderung durch die Ausbeutungsmöglichkeiten, die sich aus den Industrietechnologien und der wahrhaft globalen Ausdehnung des Kapitalismus ergaben. Im Folgenden wollen wir einige dieser Transformationen näher beleuchten und dabei vor allem Fragen von Zeit und Raum, Zwang und Zustimmung im Auge behalten. Zu Beginn skizzieren wir dabei die zunehmenden Konvergenzen zwischen Imperium und Industrie, ehe wir die unterschiedlichen Muster technologischer Entwicklung in drei Imperien – dem britischen, dem japanischen und dem osmanischen – in den Blick nehmen. Unsere These lautet, dass Technik von grundlegender Bedeutung für die tatsächliche Ausgestaltung und Organisation imperialer Regime war, gleichzeitig aber auch die Debatten über die politischen, moralischen und geistigen Folgen des empire building bestimmte. Es folgen Überlegungen zum ungleichmäßigen Charakter dieser Integrationskräfte; im Mittelpunkt steht dabei, inwiefern imperiale Netzwerke und interkulturelle Verbindungen unterschiedliche Ergebnisse und neue Ungleichheiten zeitigten. Wo immer möglich, wollen wir verstehen, welche kulturellen Folgen diese Ungleichmäßigkeit vor Ort hatte und wie das gewöhnliche Volk, insbesondere die kolonialen Arbeitskräfte, die materiellen und symbolischen Formen beeinflusste, welche die globale technologische Moderne im Kontext des Imperiums annahm. Abschließend beschäftigen wir uns mit den unerwarteten Konsequenzen, die diese neuen Formen imperialer Verbindung in einer Reihe von Bereichen hatten, von der Religionsausübung bis zur Geschichte der Seuchen. Wir konzentrieren uns dabei vor allem auf eine wesentliche politische Folge, welche die Integrationsarbeit von Kolonialismus und Kommunikationsformen hatte, nämlich die Globalisierung des nationalstaatlichen Modells; insbesondere zeigen wir, welche Rolle Technik und Mobilität dabei spielten, die Nation bis 1914 als primäre politische Organisationseinheit auf globaler Ebene zu etablieren.

Kanäle, Geschäft
und Kommunikation

In den 1860er Jahren kam es zu einer bemerkenswerten Konvergenz von technologischem Wandel, Ausweitung des Handels und empire building. Selbst dort, wo die europäische Kolonialherrschaft durch regelmäßig wiederkehrende Krisen – insbesondere in der Karibik, in Neuseeland und in Kanada – in Frage gestellt wurde, breiteten sich die imperialen Handels- und Kommunikationssysteme aus und richteten das wirtschaftliche und politische Handeln neu aus. In den 1860er Jahren wurden Telegraphen, Eisenbahnen und Dampfschiffe zu gängigen Bestandteilen imperialer Aktivität, nicht zuletzt deshalb, weil sie nach dem Aufstand gegen die britische Herrschaft 1857/58 an Bedeutung gewannen. Denn diese Technologien spielten in den Diskussionen über die Ursachen der Rebellion und über die Schwächen des Kolonialstaats eine tragende Rolle. Und sie waren fundamental wichtig bei der anschließenden Wiederherstellung britischer Autorität, als private Vertragspartner und der Staat selbst großangelegte Bauprojekte starteten, mit denen die Telegraphen- und Eisenbahnnetze rasant ausgeweitet wurden. Denn die Rebellion hatte nicht zuletzt deutlich gemacht, dass Kolonialregime schnelle Kommunikationsmittel und ausgedehnte Verkehrsnetze entwickeln mussten, um ihre militärischen Ressourcen effizient einsetzen zu können. Angesichts dessen bemühten sich zahlreiche Kolonialstaaten intensiv darum, die für ihre Macht so wichtige Infrastruktur der Eisenbahnlinien und Bahnhöfe, der Telegraphen und Telegraphenbüros, der Straßen und Brücken auszubauen. Denn ein Zusammenbruch der Technik, so er denn vorkam, konnte noch den phlegmatischsten Beobachter aus der Metropole lahmlegen. So schrieb der Londoner Korrespondent der New York Times im Juni 1895: «Die ganze Woche über war kein einziges Wort über den russischen Einmarsch in der Mandschurei zu vernehmen. Zwar gibt es dort in der Nähe nirgendwo Telegraphen, aber zumindest gewisse Neuigkeiten hätten wir doch inzwischen bekommen müssen, es sei denn, man hält sie von offizieller Seite aus zurück.» Sichtlich frustriert über den Zusammenbruch der Informationstechnik klagte die Zeitung darüber, wie sehr «die Geduld der Öffentlichkeit strapaziert» werde, die unbedingt Nachrichten über das Schicksal der Mandschurei erhalten wolle.[90]

Zur gleichen Zeit schufen die europäischen Imperien immer dichtere und ausgedehntere Handels-, Kommunikations- und Verkehrsverbindungen, die weit voneinander entfernte Häfen, Märkte und Stationen miteinander verknüpften. Frankreich etwa weitete seinen Imperialhandel aus und zwang Saigon 1860, sich dafür zu öffnen; und als Frankreich in den 1860er Jahren seine Herrschaft über Tonkin, Annam und Cochinchina festigte, kontrollierte es zunehmend den Handel mit wichtigen Waren wie Reis zwischen diesen Regionen. Französische Kommunikationsnetzwerke erlebten einen rasanten Ausbau, man schuf 1863 Alternativverbindungen zwischen London und Hongkong und baute die Handelsverbindungen im Nordosten Afrikas, im arabischen Raum und in Persien aus. Neue Unternehmen und Initiativen verstärkten zudem den imperialen Einfluss und die europäische Geschäftstätigkeit im Nahen und Mittleren Osten sowie in Teilen Afrikas. 1864 eröffneten die französischen Messageries Impériales wie auch die Peninsula & Oriental Line (P&O) neue Linien, die Kapstadt mit Aden verbanden. Überall in den Imperialsystemen entstanden neue Hafenanlagen und Dockunternehmen; die Kapazitäten der Häfen von Shanghai, Hongkong, Singapur, Karatschi und Yokohama wuchsen in rasantem Tempo, was eine neue Handelsmatrix zur Folge hatte, welche die Weltwirtschaft bis zum Ersten Weltkrieg und darüber hinaus bestimmen sollte.[91] Die bedeutsamen technischen Fortschritte, welche die Effizienz der Dampfschiffe verbesserten – also ihre Frachtkapazitäten steigerten und gleichzeitig den Treibstoffverbrauch reduzierten –, standen als treibende Kraft hinter diesen Neuerungen.

Vor allem aber war es die Fertigstellung des Suezkanals 1869, die als mächtiges Symbol fungierte und die Grundlage für eine Umgestaltung imperialer Kommunikations- und Verkehrsformen darstellte zu einer Zeit, da die Reichweite europäischer Macht wahrhaft global wurde. 1854 erhielt der ehemalige französische Diplomat Ferdinand de Lesseps von Said Pascha, dem Vizekönig von Ägypten, eine Konzession zur Gründung eines Unternehmens, das einen Kanal zwischen dem Mittelmeer und dem Golf von Suez im Roten Meer bauen sollte. De Lesseps, der sich bei seiner Arbeit auf Pläne des österreichischen Ingenieurs Alois Negrelli und auf französisches Kapital stützte, leitete das elf Jahre dauernde Bauprojekt, bei dem in hohem Maße Kontraktarbeiter aus Ägypten, Nordafrika und der arabischen Welt zum Einsatz kamen. Trotz anfänglicher internationaler Skepsis gegenüber dem Projekt erwies sich der Kanal schon bald nach seiner Eröffnung im November 1869 als großer Erfolg und wurde rasch zu einem wichtigen kommerziellen und strategischen Korridor, auf dem Schiffe von Europa nach Asien gelangen konnten, ohne Afrika umrunden zu müssen. 1875 kaufte die britische Regierung mit Hilfe von Finanzmitteln der Rothschild-Bank die ägyptischen Anteile am Kanal, nachdem Said Paschas Nachfolger Ismail Pascha sich heillos verschuldet hatte. Dass Großbritannien dafür vier Millionen Britische Pfund ausgab, macht deutlich, wie sehr man sich der Bedeutung des Kanals für die eigene Wirtschaft und das Empire bewusst war. Während die liberale Presse die Investition kritisierte, feierten konservative Kommentatoren und die meisten Meinungsmacher in den Kolonien diesen Schritt, denn sie betrachteten den Kanal als imperialen «Highway», auch wenn Frankreich weiterhin Mehrheitseigner war. Für britische Beobachter wurde der Kanal gar zu einem Symbol der Moderne – zu einem Monument für die Macht der Ingenieurskunst und der kapitalistischen Finanzierung –, das in deutlichem Gegensatz zu einem Ägypten stand, von dem man glaubte, es könne wegen der Last des antiken Erbes und der vermeintlichen Auswirkungen des Islam niemals in vollem Maße modern werden.[92]

Der Suezkanal verringerte die Reisezeiten zwischen Europa und Asien deutlich: Die Entfernung zwischen London und Bombay schrumpfte um 41 Prozent, die zwischen London und Colombo um 36 Prozent und die zwischen London und Singapur um 29 Prozent.[93] Das hatte eine deutliche Zunahme des Schiffsverkehrs im Roten Meer zur Folge, wodurch alte Häfen wiederbelebt und lokale Märkte gefördert wurden. Doch auch für die imperiale Strategie und die internationale Diplomatie spielte der Kanal eine zentrale Rolle. Britische Strategen waren der Überzeugung, der Kanal sei entscheidend, um die «Sicherheit des Empire» zu gewährleisten, da er den raschen Einsatz militärischer Ressourcen erlaube. Aus diesem Grund blieben der Suezkanal wie auch die britischen Marinestützpunkte im Mittelmeer und im Roten Meer bis zum Zweiten Weltkrieg (und auch noch danach) wichtige Bestandteile der britischen Imperialstrategie. Da parallel zum Kanal auch eine Telegraphenleitung verlief, spielte er auch für die Kommunikation zwischen Indien und Großbritannien eine zentrale Rolle. Sir Richard Temple, der ehemalige Gouverneur von Bombay, bemerkte, diese Leitung bedeute, «dass binnen weniger Minuten Nachrichten über die dazwischenliegenden Meere und Kontinente hinweg übermittelt werden, was über Gewinn oder Verlust wichtiger Transaktionen entscheidet».[94] Die Bedeutung des Kanals und seiner Telegraphenleitung animierte Unternehmer und Spekulanten dazu, Pläne für den Bau eines Kanal- und Telegraphennetzes in Mittelamerika zu entwerfen, denn sie hofften, damit könnten eine weitere lukrative Verbindung für den Welthandel und eine neue Kommunikationsroute entstehen, die amerikanische wie auch britische und französische Interessen zusätzlich befördern würde. Zwar wurde der Panamakanal erst 1914 fertiggestellt, aber schon 1874 geisterte er durch die Vorstellungswelt von Finanziers, und es gab auch bereits eine Konzession Perus, was die wachsende Überzeugung widerspiegelte, der Suezkanal sei ein Modell, das sich zum Nutzen der Imperien auch anderswo nachahmen lasse.[95]

Die Eröffnung des Suezkanals, 1869. Für die Zeitgenossen demonstrierte der Kanal die Fähigkeiten der europäischen Mächte, das Reisen zu beschleunigen und die Wirtschaftsbeziehungen zu intensivieren. Der Kanal beförderte die Dominanz der Dampfkraft und den maritimen Aufstieg Großbritanniens.

Dies zeigt: Der Erfolg des Suezkanals war nicht nur bedeutsam, um Raum und Zeit im französischen und im britischen Imperium neu zu justieren, sondern sorgte auch für die Neugestaltung von Handel und Kommunikation auf globaler Ebene. Der Bau des Kanals markiert einen wichtigen Einschnitt in der Geschichte der Seefahrt: Er strukturierte die Seerouten neu und veränderte auch den Charakter der Schiffe. Er förderte den Schiffsbau und verschob das technologische Gleichgewicht noch weiter in Richtung Dampfkraft. Zwischen der Eröffnung des Kanals und 1914 erlebte die Schifffahrtstechnik einen bemerkenswerten Wandel: An die Stelle von Segelschiffen aus Holz, die noch 1870 auf den Weltmeeren dominierten, traten rasch Dampfschiffe mit Eisen- und dann insbesondere Stahlhülle. Befördert wurden diese Veränderungen durch Fortschritte in der industriellen Metallproduktion, aber auch durch die Besonderheiten des Suezkanals und deren Auswirkungen auf die Schiffsmodelle. Insbesondere die unzuverlässigen Winde im Roten Meer und die hohen Kosten, die es verursachte, wenn man sich durch den Kanal schleppen lassen musste, bedeuteten, dass er nur als Wasserstraße für dampfgetriebene Schiffe wirklich funktionierte. Als der französische Dreimaster Noël, das erste Segelschiff, das den Kanal befuhr, sank, läutete dies das Ende der Segelschiffe auf den Ozeanrouten zwischen Europa und Asien ein.[96]

Die Tatsache, dass Schiffe dank des Kanals große Entfernungen rasch zurücklegen konnten, zementierte den Primat der Geschwindigkeit innerhalb der Schifffahrtsbranche – und bedeutete einen weiteren Sargnagel für die Klipper, die 1869 noch ein zentrales Merkmal des «Osthandels» gewesen waren. Mitte der 1870er Jahre waren es dann schon mehrheitlich Dampfschiffe, die hochwertige Waren (etwa Tee, Ingwer und Baumwolle), aber immer öfter auch sperrige Güter von geringerem Wert wie Reis oder Jute transportierten. Sie sorgten auch für neue Handelsverbindungen, denn mit ihrer Hilfe wurde tiefgefrorenes Fleisch aus Australasien und Argentinien nach Großbritannien und Europa importiert. Dieser lukrative Handel bestimmte die Wirtschaftsentwicklung und die Veränderung der Umwelt in Argentinien, Australien und Neuseeland für mindestens ein Jahrhundert: Diese Länder entwickelten sich zu Farmen für das Empire. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie der Welthandel zwischen 1869 und 1914 wuchs und sich diversifizierte. 1913 war sein Volumen zehnmal so groß wie noch 1850 und stabilisierte sich anschließend auf einem Niveau, das bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs weitgehend gleich bleiben sollte. Tatsächlich war der Schiffsfernverkehr Anfang des 20. Jahrhunderts extrem effizient und kostengünstig: So lag der Durchschnittspreis für eine Fernfracht 1910 rund 20 Prozent unter dem von 1869 und betrug ein Drittel der Rate, die zehn Jahre später bezahlt werden musste. Ägypten allerdings, und das ist wichtig zu erwähnen, profitierte so gut wie gar nicht vom Kanal. Zwar förderte das Kanalprojekt die Urbanisierung und das Wirtschaftswachstum auf der Suez-Landenge und sorgte für den Ausbau lokaler Straßennetze, doch der Reichtum, der mit Hilfe des Kanals generiert wurde, floss weitgehend nach Großbritannien und Frankreich, und letztlich behinderte der Kanal die wirtschaftliche Entwicklung Ägyptens sogar eher, als dass er sie befördert hätte: Diese Maschine, welche die Geographie des Imperiums neu ausrichtete, marginalisierte in Wirklichkeit Ägypten, obwohl sie die Region zu einem wichtigen Teil der internationalen Kommunikation machte.[97]

Angesichts dieser materiellen und symbolischen Bedeutung als globaler Knotenpunkt von Macht und Zirkulation überrascht es nicht, dass der Kanal ins Zentrum internationaler Rivalitäten, insbesondere in Kriegszeiten, geriet. Während des Zweiten Weltkriegs blockierte die Luftwaffe der Achsenmächte im östlichen Mittelmeerraum den Kanal zwischen 1940 und 1943 und zwang die Schiffe der Alliierten somit, den Umweg um das Horn von Afrika zu nehmen, was den Transport von Truppen, Waffen und Nachschub nachhaltig beeinträchtigte. Gleichzeitig waren die alliierten Verbände mit Nachdruck darum bemüht, die Verteidigungsstellungen am Kanal zu verstärken, und installierten ein ausgeklügeltes System von Suchscheinwerfern, das die Bomber der deutschen Luftwaffe in die Irre führte und orientierungslos machte. Nicht minder bedeutsam aber ist, dass der Kanal in den rauschhaften Tagen von 1919 und danach Schauplatz von Arbeiterprotesten und nationalistischer Agitation war, als sich Kanalarbeiter und Gewerkschaftsanhänger mit antibritischen Ressentiments zusammentaten und gemeinsame Sache machten, was die britischen Imperialverwalter bis in die höchsten Ebenen hinauf – bis zu General Allenby – alarmierte. Streikende Arbeiter versetzten Franzosen und Briten gleichermaßen in Unruhe, denn sie zeugten von einer zwischenethnischen Solidarität, die durch nationalistische Kräfte in Ägypten noch befeuert wurde. Das Ergebnis war nicht weniger als «die Geburt einer Arbeiterrevolution inmitten einer nationalistischen Revolution».[98]

Kommunikation und Gewalt

Diese miteinander zusammenhängenden Entwicklungen – der Bau des Suezkanals und die weltweite Dominanz des Dampfschiffs – waren zentral, um Großbritanniens Vorherrschaft vor dem Ersten Weltkrieg sicherzustellen. Der globale Wirkungsbereich der Royal Navy war von fundamentaler Bedeutung, damit die Briten ihr ausgedehntes Seereich zusammenhalten konnten, doch ihre Dominanz zur See war auch ein Spiegel ihrer Vormachtstellung beim Bau von Dampfschiffen. Zwischen 1890 und 1914 stammten zwei Drittel aller Schiffe weltweit aus britischer Produktion. Großbritannien kontrollierte damit die Produktion der meisten Schiffe für die Flotten anderer Nationen und besaß selbst die größte Handelsflotte der Welt.[99] Die britische Seemacht war lebenswichtig, um die Fernhandelsnetze und die bestehenden Kolonien zu schützen, doch sie sorgte auch dafür, dass die Briten ihren Machtbereich ausdehnen konnten. In Afrika ermöglichten es Raddampfer, die als Vermessungsschiffe eingesetzt wurden, kleine Dampfschiffe und Kanonenboote, dass britische Händler, Missionare und Militärexpeditionen über den schmalen Küstenstreifen hinaus, der vor den 1880er Jahren normalerweise das Betätigungsfeld der Europäer gewesen war, weiter ins Landesinnere vordringen konnten.

Gleichzeitig stellte die rasante Ausweitung des Seekabelnetzes zwischen 1870 und 1914 eine entscheidende strukturelle Entwicklung dar, welche die rasche Expansion britischer Herrschaft unterstützte und das Wesen kolonialer Macht grundlegend veränderte. Nach den demütigenden Erfahrungen während des Zulukrieges (1879) stützte sich die Imperialstrategie der Briten in Afrika zunehmend auf küstennahe Telegraphenleitungen und Telegraphenstationen. Infolge der Lobbyarbeit von Politikern und Kaufleuten in den Siedlerkolonien wurde auch zwischen Kanada und Australasien ein transpazifisches Seekabel verlegt – eine weiterer Schritt auf dem Weg, eine «all red route» zu schaffen, also ein weltumspannendes Kommunikationsnetz, das vollständig britischer Kontrolle unterstand. Doch die wachsende Reichweite telegraphischer Kommunikation schränkte die Handlungsfreiheit imperialer Prokonsuln an den frontiers des Imperiums nur ganz allmählich ein. An den bürokratischen Verfahrensweisen des Colonial Office änderte das neue Medium nichts, und die «Männer vor Ort» bewiesen einiges Geschick darin, telegraphische Botschaften zu verfassen, mit denen sie sich die Erlaubnis für ihre Aktionen und ihre Politik sichern wollten. Deutlich stärker wirkte sich der Telegraph im Bereich von Wirtschaft und Kultur aus. Vor allem in den neu entstehenden Diensten und Formen journalistischen Austauschs, die das in den 1870er Jahren sich herausbildende imperiale Pressesystem kennzeichneten, war er allerorten anzutreffen.[100] Auf dem Feld der Kultur antizipierte der Telegraph einige der wichtigsten Konsequenzen, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus dem Aufstieg des Rundfunks ergaben, als die BBC sich zu einer wichtigen Bindekraft entwickelte, welche die Briten nicht nur über die Kolonien informierte, sondern auch die disparaten Teile des Empire trotz aller rassenbedingten, sprachlichen und dialektalen Unterschiede zusammenhielt.[101]

Doch so wichtig diese Formen von Kommunikation und Verbindung waren, um die konstituierenden Teile imperialer Systeme zusammenzubinden, so beruhten doch alle Imperien letztlich auf dem Einsatz von Gewalt (oder zumindest auf der Androhung von Gewalt). Ab 1870 nutzten Großbritannien und andere europäische Mächte Industrietechnologie für militärische Zwecke, weil sie gemerkt hatten, dass man mit Hilfe von Wissenschaft und Technik immer schnellere, wirkungsvollere und effizientere Tötungsmaschinen produzieren konnte. Der Erste Weltkrieg führte die Zerstörungskraft dieser neuen Technologien auf schreckliche Weise vor Augen, als Maschinengewehre, Panzer und chemische Kampfstoffe fester Bestandteil des Schlachtfeldrepertoires waren. Doch einige dieser Techniken waren bereits in den Jahrzehnten zuvor in den Kolonialgebieten zum Einsatz gekommen.

Allen voran entwickelte sich das Maxim-Maschinengewehr – das mit seinem neuartigen Munitionsgürtel 500 Schuss pro Minute abfeuern konnte – zu einer wirkungsvollen Waffe in «kleinen Kriegen», die an den kolonialen frontiers ausgefochten wurden und in denen kleine britische Einheiten ihre Herrschaft über große Gebiete und die beträchtlichen Truppen, die von Stammesführern versammelt wurden, durchsetzen wollten. Nach einem ersten Einsatz in Gambia (1888) fand diese Waffe regelmäßige Verwendung und trug entscheidend zu den spektakulären Siegen britischer Truppen am Shangani-Fluss (1893) und in der Schlacht von Omdurman bei der Rückeroberung des Sudan (1898) bei. Bei Omdurman stießen die Truppen von General Herbert Kitchener, die auf Flussdampfern und mit der Eisenbahn herantransportiert worden waren, auf eine zahlenmäßig deutlich überlegene sudanesische Streitmacht, die mit Gewehren und einem großen Artilleriearsenal bewaffnet war; doch das Schnellfeuer der Maschinengewehre, die von der britischen Infanterie eingesetzt und von Kanonenbooten aus abgefeuert wurden, verschaffte den Briten einen entscheidenden Vorteil.

Christopher A. Bayly hat darauf hingewiesen, dass die Weltmachtstellung Großbritanniens letztlich darauf beruhte, dass das Land in der Lage war, Imperialkonkurrenten und kolonisierte Völker zu töten, und diese Fähigkeit wurde durch die industrielle Militärtechnologie deutlich gesteigert.[102] Der in London lebende Dichter Hilaire Belloc hat diese zentrale Bedeutung der Militärtechnik – und des weißen imperialen Selbstbewusstseins – für die britische Vorherrschaft satirisch so auf den Punkt gebracht: «Was auch immer passiert: Wir haben das Maxim, und sie haben es nicht.»[103] Doch die Machthaber in den Metropolen wussten nur zu gut, dass eine überlegene Militärtechnologie kein Garant für imperialen Erfolg vor Ort war; die brillante Strategie der Zulus unter Cetewayo und der Guerillakrieg der Buren zwei Jahrzehnte später haben das drastisch vor Augen geführt.

Ein frühes Maxim-Maschinengewehr, eingesetzt von der britischen Royal Navy im Ersten Burenkrieg 1880/81. Diese Waffe war ein wirkungsvolles Instrument der Kolonialherrschaft und Symbol für das Zusammenspiel von Industrietechnologie und imperialer Macht.

Auch für die wirtschaftliche Entwicklung der britischen Kolonialökonomien waren Dampfkraft und Elektrizität nach 1870 entscheidend. In den Tropenkolonien der Briten dienten Eisenbahnen in erster Linie dazu, Zugriff auf wertvolle Güter zu bekommen und fertige Waren sowie Arbeitskräfte in die großen Hafenstädte zu bringen, die wichtige Rädchen im Getriebe des imperialen Systems waren. In Indien verband ein riesiges Eisenbahnnetz noch den kleinsten Marktflecken oder rohstoffreichen Ort mit der Imperialökonomie. Gleichzeitig entwickelte sich die Eisenbahn zu einem wichtigen strategischen Instrument im «Great Game» mit dem Zarenreich im Nordwesten Indiens und in Zentralasien. Das indische Liniennetz galt als zentrales Werkzeug, um den wachsenden Einfluss russischer Imperialmacht in Zentralasien zu bekämpfen, der sich nicht zuletzt im Ausbau der kaspischen und transkaspischen Eisenbahn manifestierte. Dieses indische System, welches das Netz in Großbritannien 1895 weit in den Schatten stellte, war berühmt für seine technische Ausgereiftheit, für seine eindrucksvollen Brücken über die großen Wasserwege Südasiens und für seine straffe Verwaltung. Während das britische Netz die Wirtschaftszentren im Landesinneren mit der Küste verband, verliefen die Linien in Indien oft quer zu bestehenden Routen und Verkehrsströmen, was dazu führte, dass einige etablierte Marktstädte und wichtige Wasserwege enorm an Bedeutung verloren.[104]

In der Folge entstanden neue Formen ökonomischer Ungleichheit innerhalb von und zwischen einzelnen Regionen, und diese verfestigten sich rasch im Umfeld der eisernen Hauptschlagadern des Imperiums. Diese Veränderungen unterstreichen, dass die britischen Investitionen in die indischen Eisenbahnen Ausdruck des tief sitzenden Wunsches waren, die indische Volkswirtschaft neu auszurichten, nämlich nach draußen, und sie spielten eine zentrale Rolle bei der Umwandlung einer ausgeklügelten Exportökonomie, die in erster Linie Textilien produzierte, in eine Hauptquelle für Rohstoffe und ein Absatzgebiet für in Großbritannien hergestellte Waren. Umgekehrt verfügten die afrikanischen Kolonien der Briten (mit Ausnahme Südafrikas) nur über spärliche und unterkapitalisierte Netze, die erst viel später als in Indien ausgebaut wurden. In einigen bemerkenswerten Fällen, etwa bei der Entwicklung des afrikanischen copperbelt Anfang des 20. Jahrhunderts, baute man neue Eisenbahnnetze, um die Kupferminen mit den wichtigen Häfen zu verbinden. Im Allgemeinen jedoch waren diese Linien teuer und ineffizient. Das tropische Afrika wurde nie so fest ins Britische Empire (oder in irgendeines der europäischen Imperien) eingebunden wie Indien.[105]

Für die britischen Siedlerkolonien waren Eisenbahnen wirkungsvolle Motoren des ökonomischen Fortschritts, denn sie sorgten für die Ausweitung von Landwirtschaft und Siedlungstätigkeit durch die Kolonisten und sie verbanden Farmen, Gruben und Goldfelder im Landesinneren mit den Hafenstädten und der Imperialökonomie. In Australien sorgte die Ausweitung des Eisenbahnnetzes dafür, dass sich das Grasland im Südosten und Südwesten des Landes in ein Getreideanbaugebiet für den Export verwandelte. Weiter nördlich in Queensland behinderten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die begrenzte Zahl an befahrbaren Wasserstraßen, ein spärliches Verkehrsnetz und fehlendes Kapital für den Bau von Hafenanlagen die Ausweitung der Zuckerindustrie, doch mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurden diese Hindernisse weitgehend beseitigt.[106] Auch für die Entwicklung der neuseeländischen Kolonialökonomie war die Erweiterung des Streckennetzes dringend notwendig. Während das Haupteisenbahnnetz in Neuseeland wichtige Häfen und urbane Zentren effektiv mit einander verband, war man noch Ende des 19. Jahrhunderts bei Reisen in viele kleinere Provinzstädte auf die lokalen Straßen angewiesen, bei denen gefährliche Flussquerungen und Gebirgspässe zu überwinden waren.

Die Technik spielte auch bei der Konsolidierung politischer Zugehörigkeiten eine zentrale Rolle, insbesondere in den Siedlerkolonien, die Mitte des 19. Jahrhunderts eine verantwortliche Regierung bekamen. Die Eisenbahnpolitik bildete den Hintergrund für die Entstehung der kanadischen Konföderation 1867 und blieb ein wichtiger Faktor für Bündnisse und Konflikte, als die nationale Politik Gestalt annahm. In Neuseeland hatten die Ausweitung des Bahnnetzes und die enormen Gewinne, die aus Verträgen mit dem Staat resultierten, nach der Abschaffung der Provinzen in den 1870er Jahren enorme zentralisierende Auswirkungen, doch die regionalen Loyalitäten blieben bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts stark ausgeprägt. Im Tasmanischen Meer in Australien verhinderte die Stärke der Staaten, die eigene Kommunikationsnetzwerke geschaffen hatten, dass sich tiefgreifende Verbindungen nationalkultureller Art und eine einheitliche nationale Identität herausbilden konnten. Hatten die australischen Kolonien bei der Schaffung von Telegraphenverbindungen zwischen den Staaten seit 1858 kooperiert, so erwies sich der Aufbau einer kohärenten nationalen Eisenbahninfrastruktur als langsamer und schwieriger Prozess.[107]

Während diese «Nationalisierungsprojekte» dazu beitrugen, spezifische koloniale Formen kultureller Identifikation zu festigen, gab es auch deutliche Zusammenhänge zwischen Arbeit, Technik und der Entstehung neuer politischer Ideologien. In Dunedin, einem der ersten Orte industrieller Entwicklung in Australasien, waren es die Eisenbahnwerkstätten, an denen von den Arbeitern neue, fortschrittliche Arbeiterideologien formuliert wurden, wobei diese Visionen von Arbeit und Sozialismus in einer Sprache der «Bruderschaft» gehalten waren, was die Schwestern und Mütter der Werktätigen ausgrenzte; dabei waren diese Frauen selbst frühe Verfechterinnen des Frauenwahlrechts.[108] Viele Führungspersönlichkeiten, die sich dieser Sprache in der nationalen Politik bedienten und an der Wende zum 20. Jahrhundert damit die wegweisenden Sozialreformen in Neuseeland voranbringen wollten, waren auch entscheidend an Gesetzen beteiligt, die sich gegen Asiaten richteten, sie propagierten Neuseelands Imperialbestrebungen im Pazifikraum und unterstützten Initiativen, welche die Macht von Maori-Heilern und -Propheten zerschlagen sollten. In New South Wales verband die Eisenbahn Gemeinschaften von Bahnarbeitern in hohem Maße auf geschlechtsspezifische Weise, denn die Frauen (zumeist die Ehefrauen der Arbeiter) brachten ein deutliches Missfallen gegenüber dem Dreck des «iron horse» zum Ausdruck.[109]

Eisenbahnpolitik wurde auch zum Gegenstand heftiger Rassenkonflikte. Ende des 19. Jahrhunderts versuchten einflussreiche Maori-Führer in Neuseeland, die Ausweitung des Eisenbahnnetzes auf Regionen zu verhindern, wo die Maori nach wie vor Ressourcen und Landbesitz fest unter ihrer Kontrolle hatten; sie machten damit deutlich, dass sie sich des Zusammenhangs zwischen Kommunikation, Kapitalismus und der Effektivität kolonialer Macht sehr wohl bewusst waren. Derweil erwiesen sich die von den Briten in Südasien massenhaft mobilisierten lokalen Arbeitskräfte als äußerst geschickt darin, sich gegen die Bestrebungen britischer Verwalter und die eigenen Arbeitsbedingungen zu wehren. Diese Arbeiter bedienten sich höchst unterschiedlicher Taktiken: Sie legten Arbeitsdauer und Arbeitsrhythmus selbst fest, sie verfassten Petitionen und Briefe, sie setzten auf informelle «go-slows» oder formelle Streiks oder sie verließen einfach ihre Arbeitsplätze, wenn Krankheiten ausbrachen oder sich die Erwartungen der Verwalter änderten.[110] Auch bei der Arbeitsorganisation auf Dampfschiffen spielten «Rassenfragen» eine zentrale Rolle. Anfang des 20. Jahrhunderts hatten Nicht-Weiße in den euroamerikanischen Imperien immer weniger Chancen, im Bereich der Schifffahrt Arbeit zu finden. Die ökonomischen Vorteile und gesellschaftspolitischen Allianzen, in deren Genuss Seeleute asiatischer oder afrikanischer Herkunft ein Jahrhundert zuvor noch gekommen waren, wurden Ende des 19. Jahrhunderts systematisch untergraben. Eine neue «Rassenordnung» verfestigte sich dort, wo Schiffseigner, Schifffahrtsbürokraten und Kapitäne die Redeweisen von Rasse und Geschlecht miteinander verwoben, um die Ausbeutung nicht-weißer Arbeiter und deren zunehmende wirtschaftliche und politische Marginalisierung zu rechtfertigen. Dieser Prozess war nicht auf das Leben an Bord von Schiffen beschränkt, sondern fand auch in Gesetzen Ausdruck, die Mobilität und Staatsbürgerrechte nicht-weißer Seeleute einschränken sollten.[111]

Die Politik der Konnektivität

Angesichts dieser Entwicklungen überrascht es nicht wirklich, dass die wachsende koloniale Kommunikation in den britischen Diskursen über das Empire eine zentrale Rolle spielte. Cecil Rhodes, dessen Karriere auf der Begeisterung für den Eisenbahnbau ebenso beruhte wie auf dem Reichtum aus dem Bergbaugeschäft, plädierte für den Bau einer Eisenbahnlinie «von Kairo bis zum Kap» unter britischer Kontrolle: Zwar scheiterte dieses Projekt an logistischen Problemen und an mangelndem Enthusiasmus von offizieller Seite, doch Rhodes’ Vision ist ein aufschlussreiches Beispiel dafür, wie eng Technologie und imperiales Denken Ende des 19. Jahrhunderts miteinander verwoben waren. John Robert Seeley, Professor für Geschichte in Cambridge, formulierte diesen Zusammenhang in seiner berühmten, unter dem Titel The Expansion of England (1883, dt. Die Ausbreitung Englands) veröffentlichten Vorlesung ausdrücklich so: «Die Naturwissenschaft hat dem politischen Organismus durch den Dampf einen neuen Kreislauf und durch die Elektrizität ein neues Nervensystem gegeben.» Diese Technologien, so behauptete er, erforderten ein grundlegendes Überdenken der Organisation des Empire: «Erst jetzt sehen wir die Möglichkeit – und zugleich fast eine zwingende Notwendigkeit –, den alten Traum eines Größeren Britanniens zu verwirklichen.»[112] Die Ausbreitung von Telegraphenverbindungen, Dampfschiffrouten und Eisenbahnlinien, die als Hauptschlagadern eines aggressiv expandierenden Imperialsystems fungierten, bedeutete, dass in den 1880er Jahren offenkundig der gesamte Globus die Bezugsebene britischer Politikanalyse darstellte. Zwar wurde Seeleys Vision von einem globalen und vereinten «Greater Britain» niemals Wirklichkeit, doch stand sein Werk für die Neuausrichtung britischen Denkens und britischer Theorie, nämlich als der Anwendung der Industrietechnologie auf die Entwicklung des Imperiums.

Was die Männer, die diese imperialen Entwicklungen vorantrieben, möglicherweise nicht voraussehen konnten, war, dass Frauen für ihre eigenen imperialen Ambitionen fleißig Gebrauch davon machten. Mary Kingsleys Erkundung Afrikas, die sie in ihrem Buch Travels in West Africa (1897) festgehalten hat, war von der Dampfschifffahrt abhängig, und zwar nicht nur als Fortbewegungsmittel, sondern auch als Plattform, von der aus sie ihre Imperialethnographie vornahm. Ihre Reise von Gabun auf dem Ogooué flussaufwärts führte zu einer wahren Flut von Beobachtungen über Flora, Fauna und die «Unmenge an schwarzen Deckpassagieren», zu denen sie sich mit einer Mischung aus Unbehagen und Erregung gesellte. Ihre Beschreibung der nächtlichen Routine auf dem Schiff ist es wert, in voller Länge zitiert zu werden:

«Die schwarzen Passagiere verfallen in ein dumpfes Schweigen, sie lagern auf Deck und leiden. Alles, was unter den Sitzen im Unterdeck haust, kommt hervor und versammelt sich zum Tanz und spielt Bäumchen wechsle dich. Sobald die Nacht hereinbricht, wird die Szenerie zunehmend pittoresk: die mondbeschienene See, die sich glitzernd am dunklen Ufer bricht, der schwarze Wald und die Hügel, die sich gegen den sternenbesäten purpurnen Himmel abheben, und zu meinen Füßen der Kesselraum, der durch das rosenfarbene Glühen des Ofens erleuchtet wird. Das große Holzfeuer schüren zwei nahezu nackte, vom Schweiß wie polierte Bronze glänzende Heizer mit Rotholzstücken, die wie frisch ausgelöste Fleischbrocken daliegen. Der weiße Ingenieur tanzt um die Luke herum, ruft Befehle nach unten und klettert ab und an die Leiter hinunter, um sie selbst auszuführen. Zwischendurch stellt er sich auf die Reling und streckt den Kopf über den Rand des Sonnendecks, um den Kapitän zu verstehen, der auf dem kleinen Oberdeck steht, da es keinen Telegraphen in den Maschinenraum gibt und die Stimme unseres galanten Kommandeurs nicht sehr kräftig ist. Während der weiße Ingenieur auf der Reling hockt, kommt der schwarze ab und zu die Leiter herauf und starrt mich an. Also gebe ich ihm eine Rolle Tabak, und jetzt hält er mich offensichtlich für hellsichtig, denn genau das war es, was er wollte. Namenlose Sehnsucht im Blick eines schwarzen oder weißen Mannes bedeutet immer, dass er Tabak will. Düstere Verzweiflung gemischt mit aufbrausender Laune zeigt an, dass mit seiner Pfeife etwas nicht stimmt. In diesem Fall sollten Sie ihm eine geradegebogene Nadel anbieten. Nachdem der schwarze Ingenieur seinen Tabak bekommen hat, geht er wieder zum Feuerloch zurück und raucht eine kurze Tonpfeife, so stark und so schwarz wie er selbst. Der Kapitän zieht eine riesige, lange Pfeife vor. Wie er es schafft, mit ihr so herumzuwedeln, ohne sie alle zwei Minuten in Stücke zu brechen, ist mir ein Rätsel.»[113]

Das war zwar vermutlich kaum die Utopie von einem Greater Britain, wie sie Seeley und anderen vorschwebte, doch die Tatsache, dass Mary Kingsley ihren Tabak mit dem afrikanischen Ingenieur teilte, verweist ohne Zweifel darauf, dass gänzlich neue Welten der Begegnung, des Kontakts und des Austauschs möglich waren – ganz zu schweigen von einer historisch beispiellosen Form des Weltvertrauens, wie es nur bei den Reisenden des spätviktorianischen Empire zu finden war.

Überall im Britischen Empire profitierten Frauen von den Möglichkeiten, die der technische Fortschritt in mehr als nur einer Hinsicht eröffnete. Wie etwa die junge Miss Golightly in Anthony Trollopes 1857 erschienenem Roman The Three Clerks investierten sie – wenn auch nicht in großem Maßstab – in Eisenbahnaktien. Nimmt man noch George Eliots Investitionen in Unternehmen wie die Great Indian Peninsular Railway (und die daraus resultierenden Gewinne) hinzu, so lässt sich erahnen, wie sehr die Welt der Literatur in die Entwicklung des Empire eingebettet war und welche Rolle britische Frauen aus der Mittelschicht für die imperiale Unternehmensökonomie spielten.[114] Abgesehen davon, dass Eisenbahn und Dampfkraft wohlhabenderen Frauen Ende des 19. Jahrhunderts ein Mehr an Mobilität ermöglichten, wurde die «Weltreise» schon bald zu einem wesentlichen Aspekt der «Neuen Frau». Die neuen «gemischten» öffentlichen Räume des Eisenbahnwaggons und des Bahnsteigs weckten große Ängste vor einer «gendered modernity», und zwar bei den kolonisierenden wie bei den kolonisierten Patriarchen gleichermaßen. Wie im amerikanischen Süden der Jim-Crow-Gesetze sah man in ihnen nicht weniger als Vehikel für die «Rassenmischung der Moderne».[115]

Gleichwohl reisten Frauen durch die Welt. Von besonderem Interesse ist im Kontext des Britischen Empire, inwiefern weiße Siedlerinnen von diesen neuen Möglichkeiten profitierten, wenn sie von Sydney und Wellington über Colombo und Aden reisten und dabei ihr Selbstempfinden als Kolonialsubjekte festigten. Ihre «Heimfahrt» nach London beförderte bei ihnen oftmals ein Gefühl des feministischen Internationalismus, der durch «Networking» in der Metropole und im pazifischen Raum ermöglicht wurde – Erfahrungen, die sie unter der Ägide globaler Schwesternschaft mit Aborigines- und asiatischen Frauen in Kontakt brachten. In dieser Hinsicht boten ihnen Eisenbahn und Dampfkraft die Chance, das einzufordern, was sie als ihre «rassenspezifische» Bestimmung betrachteten – nämlich eine Art Weltbürgerschaft –, denn ihre Begegnungen mit Aktivistinnen anderer Hautfarbe brachten die Vorstellungen von Kolonisatoren und Kolonisierten ins Wanken und verlangten von ihnen, zu verstehen, inwiefern und warum die Welt der Frauen auf einer pazifischen Achse genauso im Ungleichgewicht war wie auf einer imperialen.

Japans Eisenbahnimperialismus

Eisenbahnen, Telegraphen und Dampfschiffe spielten für die Imperialordnungen zwischen den 1860er Jahren und 1945 eine zentrale Rolle, ganz gleich ob es sich um seit langem etablierte Imperialstaaten handelte, die über eine zusammenhängende Landmasse herrschten (wie das Osmanische Reich, das Qing-Reich oder das russische Reich), oder um Seeimperien, in denen ein Staat über eine Vielzahl an Kolonien verfügte (beispielsweise das britische, französische oder japanische Imperium). Ausgehend von dem, was wir weiter oben über die Bedeutung von Technik und Transportwesen für die britische Expansion gesagt haben, wollen wir nun nach der Entwicklung dieser Verbindungssysteme in zwei Imperialregimen fragen, die im Gegensatz zum Fall Großbritannien stehen. Während die Briten über ein seit langem bestehendes und wieder auflebendes Seeimperium verfügten, war unser erstes Beispiel, das japanische Großreich, das Ergebnis eines verdichteten Industrialisierungsprozesses und einer aggressiven Vergrößerung des Territoriums. Unser zweites Beispiel ist das Osmanische Reich, der dauerhafteste der muslimischen gunpowder empires, der unmittelbar von der Ausweitung europäischer Imperialbestrebungen und Einflusssphären betroffen war. Uns interessiert dabei vor allem, inwiefern die neuen Kommunikations- und Fortbewegungstechnologien für die Imperialherrschaft eine Rolle spielten, inwieweit sie die Grundzüge imperialer Wirtschaftsbeziehungen prägten und wie sehr sie die Beziehungen zwischen verschiedenen Imperien beeinflussten. Im Falle Großbritanniens beruhten die rasante Ausbreitung und Ausdehnung dieser Netzwerke auf früher gelegten imperialen Fundamenten und waren geprägt vom komplexen Wirtschaftsaustausch zwischen etablierten Kolonien, neuen imperialen frontiers und Einflusszonen sowie der imperialen Metropole. Im japanischen Fall war es umgekehrt: Hier fand das empire building inmitten eines rasanten politischen Wandels, einer beginnenden Wirtschaftsrevolution und umfassender Experimente mit neuen Technologien statt. Gleichwohl waren die Verbindungen zwischen neuen Imperialbestrebungen und der Eisenbahnpolitik glasklar zu erkennen, wenn nicht schon von Beginn der Meiji-Zeit an, dann mit Sicherheit spätestens seit Ende des Jahrhunderts – so deutlich, dass eine Zeitschrift in Tokio beinahe beiläufig bemerken konnte: «Das beste Mittel, um das eigene Territorium ohne den Einsatz von Truppen auszudehnen […] ist Eisenbahnpolitik.»[116]

Besonders aufschlussreich ist dabei, wie es zu einer derartigen Überzeugung von der Wirksamkeit des Eisenbahnimperialismus kam. Im Gefolge der «Öffnung» japanischer Häfen mittels amerikanischer Kanonen und Diplomatie Ende der 1850er Jahre gab Japan die Politik der sakoku, der Abschottung auf, welche die Grundlage des Edo-Shogunats gebildet hatte. Die Flotte «schwarzer Schiffe», die Commodore Perry im Juli 1853 und Februar 1854 vor der japanischen Küste auffahren ließ, löste bei der japanischen Elite eine Mischung aus Interesse und Schrecken aus. Die «Geschenke» – eine Vielzahl neuester Waffen, Telegraphenausrüstung, ein kleiner, aber funktionaler Dampfzug und kreisförmige Schienen –, die Perry dem Shōrgun darbot, waren eine machtvolle Demonstration westlicher Fertigkeiten in Sachen Industrie und amerikanischer Militärmacht. Japanische Beamte, die sich schon lange für westliche Medizin und Technik interessierten, nahmen diese Objekte genau unter die Lupe; Wissenschaftler und Militärs diskutierten über ihren Wert und fertigten detaillierte Skizzen von der Funktionsweise eines Colts und eines Kavallerie-Gewehrs an.[117]

Unmittelbar nach Perrys erstem Besuch erkundeten eine ganze Reihe von japanischen Bürokraten, Kriegsherren und Wissenschaftlern die Möglichkeiten und Implikationen von Perrys «Gaben». Man entwarf Pläne für die Gründung einer Institution, die Japans Erforschung neuer Industrie- und Militärtechnologien koordinieren sollte, der Bansho Shirabesho («Amt zur Untersuchung barbarischer Schriften»). Diese Forschungsstelle war dazu gedacht, die militärische Stärke, die technologische Entwicklung und die strategischen Ziele von Japans Rivalen zu analysieren, sie sollte aber auch Bücher über «Bombardierung», «Schanzarbeiten», «Bau von Kriegsschiffen», «Maschinen» und «Produkte» übersetzen. Die Einrichtung der Bansho Shirabesho sorgte für eine grundlegende Umstrukturierung der Wissensproduktion innerhalb Japans und von Japans Beschäftigung mit der Welt. Die Versuche, neue Wissensformen zu entwickeln, gewannen nach der Meiji-Restauration 1868 an Einfluss, welche die Herrschaftsstrukturen zentralisierte und den Aufbau «nationaler», vom Staat initiierter und überwachter Wissensbestände ermöglichte.

Ein Kernelement der Meiji-Versuche, ein «reiches Land und eine starke Armee» (fukoku kyōhei) aufzubauen, bildete die Entwicklung neuer Kommunikations- und Verkehrssysteme. Seit Perrys Ankunft hatte Japan mit der Telegraphentechnik experimentiert, und 1895 gab es bereits mehrere tausend Kilometer Leitungen und ein dichtes Netz von Telegraphenämtern. Mit Unterstützung und Kapital aus Großbritannien – beides entsprang dem britischen Wunsch, die eigene Position als wichtigster Handelspartner zu sichern – wurde 1872 die erste japanische Eisenbahnstrecke eröffnet, die Tokio mit dem Hafen von Yokohama verband. Zwischen 1872 und 1912 trieb der Meiji-Staat den Bau eines umfangreichen und immer ausgefeilteren Streckennetzes voran, während lokale Unternehmer zahlreiche lokale Stadtbahnen einrichteten. Der Ausbau dieser Netze stützte sich in hohem Maße auf Lokomotiven, Expertise und Kapital aus dem Ausland, doch auch eigene Experimente mit Dampfkraft und Eisenbahnen machten zügige Fortschritte. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde die Eisenbahnentwicklung in Japan zunehmend von innen heraus vorangetrieben. Diese Verkehrssysteme verbanden sich mit einer Reihe von Häfen, die von einer Vielzahl internationaler wie auch japanischer Reedereien wie etwa der Mitsubishi-Linie angelaufen wurden, die zunehmend das expandierende Netz der Küstenschifffahrt dominierten, gleichzeitig aber auch neue Verbindungen nach Hongkong und zu anderen regionalen Verkehrsknoten ins Leben riefen.[118]

Der Ausbau dieser Netze leistete einen wichtigen Beitrag zur Nationalisierung der Kultur. Sie förderten die Bewegung von Individuen und Ideen, erleichterten die Verbreitung der staatlichen Ideologie und verschafften neuen Vorstellungen vom Wesen Japans als moderner Identität zusätzliches Gewicht. Ähnlich wie in Europa und den USA dienten die städtischen Pendlerzüge als Nexus zwischen Wohnen, Arbeit und Freizeit, denn sie integrierten die Menschen massenhaft in eine neue soziale und kulturelle Ordnung. In Japan wie auch anderswo konnte dieses Bahnnetz dem wirtschaftlichen Austausch dienen, es bot aber auch die Gelegenheit für (gewollte und ungewollte) sexuelle Begegnungen, wurde zum Thema literarischer Texte und zum Schauplatz politischer Proteste. Die Dialektik von Intimität und Entfremdung war, so scheint es, eine weit verbreitete, wenn nicht sogar globale Folgewirkung der Modernisierung mittels Eisenbahn.

Als wichtiger Faktor beim Aufbau eines japanischen Imperiums über die «nationalen» Grenzen hinaus verfügte die Eisenbahn über die einzigartige Fähigkeit, auch die imperiale Identität zu beschwören und zu festigen. Besonders große Wirkung entfalteten die Prozesse der Assimilation und Identifikation qua Eisenbahn in denjenigen Gebieten, die erst in der Meiji-Zeit in den japanischen Staat integriert worden waren, wie etwa die Ryukyu-Inseln (einschließlich Okinawa) und das «Land der Ainu» (Hokkaido). Sobald diese Regionen in den Staat und in die Diskurse über nationale Kultur eingegliedert waren, betrachtete man Völker wie die Ainu oder die Bewohner Okinawas zunehmend eher als «rückständige» Elemente innerhalb der Nation denn als «Fremde»; das wiederum verstärkte den Wunsch, diese Gemeinschaften und ihr Umfeld zu modernisieren, indem man sie immer stärker in den Schoß einer sich industrialisierenden Nation einband. Moderne technologische Innovationen waren ohne Zweifel entscheidend für den Prozess der «Rassifizierung», mit dem die Japaner der Metropole andere im Inneren (wie die Ainu) wie auch in der Nachbarschaft (die Chinesen) pathologisierten. Doch abgesehen davon konnte das Reisen sogar mit der Eisenbahn beschwerlich sein, die Unterkünfte waren oft primitiv und das nationale Prestige eine fragile Angelegenheit. Das musste der japanische Reisende Ōgoshi Keiriku erfahren, als er gegen Ende des Jahrhunderts in die Mandschurei fuhr – wo, wie er zu seinem Leidwesen feststellen musste, die Japaner noch immer nicht mit russischen Zügen fahren durften.[119]

Jenseits der nationalen Grenzen waren neue Technologien und Kommunikationsnetzwerke gleichermaßen wichtig für das japanische Bestreben, seinen Platz in der Welt neu zu finden. Kolonien und ressourcenreiche frontiers waren für Japan von besonderem ökonomischen Wert, wenn man bedenkt, dass der japanische Archipel nur über eine endliche Menge an landwirtschaftlich nutzbarem Land, über begrenzte natürliche Ressourcen und eine hohe Bevölkerungsdichte verfügte. Bis zum Ende des Chinesisch-japanischen Krieges 1895 war Japan nur bei einer Schlüsselressource autark gewesen: bei der Kohle. Doch weil die japanischen Kohlereserven aufgrund des Wachstums der Fabriken und Hochöfen während dieses Konflikts zur Neige gingen, war man zunehmend von Kohle aus der Mandschurei, aus Korea und Sachalin abhängig. Nicht zuletzt der Hunger nach dieser Energiequelle für die Industrialisierung befeuerte die japanischen Imperialinteressen in Nordasien. So wurden Korea und die Mandschurei zu den Hauptlieferanten hochwertiger Kohle für den wachsenden Industriesektor in Japan.[120] Um seine Interessen in diesen Regionen zu sichern, übernahm Japan rasch die Kontrolle über Kommunikations- und Verkehrsnetze. Noch bevor Japan Korea formal annektierte, kontrollierten die Japaner die wichtigsten kommerziellen und militärischen Eisenbahnstrecken, die das Bahnnetz der Halbinsel bildeten. Während des Russisch-japanischen Krieges 1904/05 monopolisierte Japan das koreanische Straßennetz dahingehend, dass es nur noch militärischen Beförderungszwecken diente, und weil man um den militärischen Wert der Telegraphie wusste, übernahm man auch gleich noch die Kontrolle über das Telegraphensystem des Landes. Diese Netzwerke waren letztlich nach der formalen Annexion Koreas 1910 entscheidend dafür, dass die Japaner ihre Herrschaft aufrechterhalten konnten. Bemerkenswerterweise konzentrierte sich der Widerstand gegen Eisenbahnen in Korea auf die Art und Weise, wie die japanische Rationalisierung funktionierte, und er kam von japanischen Siedlern und koreanischen Kollaborateuren, die eine größere Rolle bei Verwaltung und Aufsicht anstrebten. 1903 organisierten sie eine Sitzblockade und gewannen am Ende den Kampf, als die Eisenbahnverwaltung ihnen quasi ein Monopol im Frachtsektor einräumte.[121]

Von besonderer Bedeutung für die Wirtschaftsentwicklung Japans war die Mandschurei, und diese Region war im Grunde so etwas wie eine «Eisenbahnkolonie» – ein Phänomen, das den «binären Modus territorialer und informeller Kolonialisierung» heraufbeschwört, wie er auf einzigartige und bemerkenswerte Weise für die imperiale Herrschaftsform der Japaner charakteristisch war.[122] Herzstück des japanischen Unterfangens war die Südmandschurische Eisenbahn, eine entscheidende Transportroute und zentrale Handels- und Kommunikationsverbindung. Die Verlängerung und der Ausbau der Strecke ermöglichten eine höhere Verkehrsdichte und bedeuteten einen kräftigen Schub für Bergbau und produzierendes Gewerbe. In der Folge wurde die Region schon bald zum wichtigsten Lieferanten von Rohbaumwolle und Eisenerz. Der japanische Staat und japanische Unternehmer investierten groß in dieses Geschäft und erzielten beachtliche Gewinne. Die Eisenbahngesellschaft unterstützte zudem eine Vielzahl an Forschungsaktivitäten, und die Mandschurei galt bei den Japanern als wichtige frontier, wo sich Vorstellungen über Rasse, Kultur und Umwelt erproben und Experimente mit neuen Verarbeitungs- und Produktionstechniken durchführen ließen. Bezeichnenderweise war sie Schauplatz von Investitionen auch für das russische Reich, das am ursprünglichen Bau der Bahn beteiligt gewesen war –, aber auch von Feindseligkeit unter der Bevölkerung. Daher rührten auch die Versuche der Boxer, mit Unterstützung des kaiserlichen Hofes die Bahnlinie zu zerstören und ein weiteres russisches Vordringen zu verhindern. Tatsächlich waren Sabotageakte gegen die Eisenbahn ein wichtiger Bestandteil des Boxeraufstands, wozu auch die Ermordung europäischer Eisenbahningenieure und Missionare gehörte. Dreißig Jahre später, 1931, sprengte die Kwantung-Armee die Gleise in der Nähe einer chinesischen Militärbasis, was ein heftiges und anhaltendes Feuergefecht entlang der Südmandschurischen Eisenbahn auslöste; japanische Leser verfolgten diese Ereignisse in den nationalen Zeitungen mit großem Interesse, da das Schicksal der Eisenbahn und der Ausgang des Krieges ungewiss waren.[123]

Mit der Zeit wurden Japans Kolonialbesitzungen immer wichtiger: Sie nahmen immer mehr japanische Exporte auf, wurden von einer stark steigenden Zahl japanischer Beamter, Kaufleute und Siedler beherrscht und waren von entscheidender Bedeutung für den Unterhalt der Metropole. Das galt ganz besonders für die Hauptgetreidesorten: 1910 versorgte Korea Japan mit 17.000 Tonnen Reis; bis Mitte der 1930er Jahre hatte sich dieser Beitrag zur japanischen Nahrungsmittelversorgung auf 1,5 Millionen Tonnen erhöht, weil die Kolonialverwaltung den Reisanbau vorangetrieben hatte und den Bauern das Getreide aggressiver abpresste. Auf ähnliche Weise schuf die Mischung aus technologischem Fortschritt und imperialer Expansion die Voraussetzungen, um binnen kurzer Zeit ein großes Fischereiunternehmen auf die Beine zu stellen, das die Japaner mit einem ihrer Hauptnahrungsmittel versorgte.[124]

Die Regierenden in Japan waren der Ansicht, Kolonien hätten allein den Wirtschaftsinteressen der Metropole zu dienen. Zu diesem Zwecke waren die Verwalter in den Kolonien eifrig darum bemüht, in vermeintlich «unterentwickelten» Gegenden, die dem Imperium eingegliedert worden waren, für eine breite Palette an Veränderungen zu sorgen. Auf der südmandschurischen Halbinsel Liaodong etwa (die von 1905 bis 1945 japanischer Herrschaft unterstand) versuchten die japanischen Machthaber nicht nur, ihre Autorität durchzusetzen (indem sie lokale «Banditen» bekämpften) und friedliche Beziehungen zur örtlichen Bevölkerung herzustellen, sondern förderten auch die Ausweitung des Getreideanbaus, den Technologietransfer (insbesondere in der Landwirtschaft) und die Expansion des Marktes. Diese Neuerungen waren getragen von dem Wunsch, die Halbinsel zu einem produktiven Teil des Imperiums zu machen, und wurden von einem Kolonialregime vorangetrieben, das die Menschen vor Ort vom politischen Prozess ausschloss und sich gern der imperialen Zwangsgewalt bediente. Doch auch wenn die Produkte der Halbinsel in eine immer raffgierigere Imperialökonomie flossen, sorgten der Einsatz neuer Technologien und das Ausbringen von Düngemitteln dafür, dass die Produktionskapazitäten dieser Region weit über denen anderer Teile Chinas lagen. Das war ein deutliches Zeichen dafür, dass die schwindende politische Macht Chinas und seine ökonomischen Schwächen mit den verspäteten und nur halbherzigen Versuchen zu tun hatten, sich mit den neuen Industrietechnologien zu befassen, auf die die Rivalen aus Europa und Japan setzten.[125]

Dass Japan den Wert der Kommunikationstechnologie erkannte, spiegelte den rasanten Wandel seiner militärischen Macht und seiner strategischen Interessen wider. Im Falle Japans bestanden enge Verbindungen zwischen Industrialisierung und dem Aufkommen imperialer Bestrebungen. Der Wunsch, Japan als moderne Nation und als Machtfaktor auf der internationalen Bühne zu etablieren, war ein wichtiger Anreiz, den wirtschaftlichen Einfluss und den territorialen Wirkungsbereich auszuweiten. Die technologische Entwicklung war eine entscheidende Voraussetzung für die rasche Ausweitung der militärischen Fähigkeiten in der Meiji-Zeit und für die militärischen Erfolge gegen China 1894/95 und Russland 1904/05. Seit Ende der 1860er Jahre investierte Japan enorm viel, um seine militärischen Kapazitäten innerhalb eines neuen industriellen Rahmens zu entwickeln: Man bediente sich westlicher Wissenschaftsmodelle und machte ausgiebig Gebrauch von ausländischen Experten (aus Großbritannien, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Belgien), um neue Hochöfen, Waffenfabriken, Werften und Trockendocks zu bauen. Mitte der 1860er Jahre produzierten die Japaner keine Schiffe mehr aus Holz und verfügten über Fabriken, die große Mengen an Sprengstoff, Artilleriegranaten, Maschinengewehren und großkalibrigen Kanonen produzierten.[126]

Der Erfolg des japanischen Militärs in den Konflikten gegen China und Russland wiederum förderte die Entwicklung neuer Technologien und lieferte einen kräftigen Ansporn für die Ausweitung der Industrieproduktion. Die Kriege gegen China und Russland sowie die Meiji-Politik der «starken Armee» lieferten einen nachhaltigen Impuls für den japanischen Schiffsbau, für die Rüstungsproduktion und für die Entwicklung von Werkzeugmaschinen. Nach dem Sieg über China vertraten einflussreiche japanische Militärs und Politiker die Ansicht, die Militärtechnologie, insbesondere im Bereich der Marine, sei von grundlegender Bedeutung für die Zukunft des Landes. Sie appellierten an nationalistische Empfindungen und Imperialbestrebungen, wenn sie behaupteten, Japan müsse eine schlagkräftige Hochseeflotte aufbauen, um nicht nur die nationale Sicherheit im Zeitalter eines aggressiven europäischen Nationalismus garantieren zu können, sie bilde auch einen Grundpfeiler für Japans Status als Regionalmacht. Hier kamen zum Teil ganz ähnliche Anliegen zum Tragen wie im damaligen Deutschland. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vertrat dort eine einflussreiche Gruppe von Politikern und Amtsträgern die Ansicht, angesichts von Deutschlands wachsender industrieller Macht sei eine starke Marine unabdingbar für die Zukunft der Nation, vor allem wenn man vermeiden wollte, von den europäischen Konkurrenten beiseite gedrängt zu werden. Eine Seestreitmacht galt als essentiell, wenn Deutschland ein Imperium aufbauen, seine europäischen Rivalen überflügeln und mit Großbritannien auf der globalen Bühne konkurrieren wollte. Der Aufbau einer starken deutschen Marine würde, so die verbreitete Meinung, auch handfeste politische Vorteile mit sich bringen, denn diese Flotte wäre eine wahrhaft nationale Institution, die nicht nur die erst vor kurzem begründete deutsche Nation schützen, sondern auch einen Patriotismus befördern würde, der dabei helfen könnte, die gemeinsame nationale Zugehörigkeit der Deutschen in den Vordergrund zu rücken und religiöse und regionale Spaltungen zu überwinden.[127]

Im Falle Japans, wo gewichtige Argumente die Macht zur See mit der Stellung der Nation verknüpften, legten die Förderung der Technik durch den Staat und sein Bemühen um die Entwicklung der militärischen Fähigkeiten die Saat für die spektakuläre Vernichtung der russischen Ostseeflotte durch die japanische Marine im Mai 1905. Die Entwicklung der militärischen Kapazitäten Japans vor 1914 legte darüber hinaus den Grundstein für den Wandel der japanischen Ökonomie in der Zwischenkriegszeit, als der Industriesektor rasant wuchs, die Militärtechnologie immer ausgefeilter wurde und neue Unternehmensformen entstanden, vor allem im Bereich der Schwerindustrie und in der Chemieproduktion.[128]

Japans wachsende Industrie- und Militärmacht sowie sein zunehmender Einfluss auf der Weltbühne prägten auch die Art und Weise, wie man in Japan die Völker und Länder in Asien und im Pazifikraum wahrnahm. Während der Meiji- und der Taishō-Zeit war Nan’yō – die «Südsee» – von verschiedenen Intellektuellen und Politikern bewusst als wichtiger Raum für Japans Zukunft «re-imaginiert» worden. Der Südpazifik galt als Ort potentieller japanischer Emigration, als eine Gegend, wo Japan Gebiete erwerben und seine Stellung als Regionalmacht ausbauen konnte, aber auch als weitgehend unerschlossene, ressourcenreiche frontier mit jeder Menge wertvoller Rohstoffe, die der ressourcenarme japanische Staat leicht für sich beanspruchen konnte.[129] 1915 wurde mit Unterstützung der Regierung die «Südseegesellschaft» gegründet, welche die wirtschaftliche und kulturelle Präsenz Japans in Südostasien und im Pazifikraum ausweiten sollte.

Das japanische Interesse an dieser Region wuchs noch, als man während des Ersten Weltkriegs die Kontrolle über Mikronesien erlangte. Japans wachsende Präsenz auf diesen Inseln im Westpazifik stützte sich in erster Linie auf die Marine des Landes und galt in den 1930er Jahren als strategisch besonders wertvoll, als man die eigene strategische Position vor allem im Verhältnis zu den USA beurteilte. In diesen südlichsten Teilen des Großreichs waren die Verfechter des japanischen Imperialismus der Überzeugung, man herrsche hier über Menschen, die im Hinblick auf Kultur und «Rasse» radikal anders seien. Während die Koreaner, Taiwanesen und Chinesen unter japanischer Herrschaft als der gleichen großen Kultur zugehörig betrachtet wurden, hielt man die Völker auf den Pazifikinseln für zutiefst primitiv, was wiederum eine strenge Herrschaft und umfassende Indoktrination mit den Werten der «Zivilisation» im Einklang mit der imperialen Staatsbürgerschaft erforderte.[130] Diese Inseln waren mit Japan und seinen Kolonien verbunden: Schifffahrtsrouten, Zeitungen und Rundfunk verbreiteten daheim in Japan Vorstellungen von diesen fernen Ländern und Völkern, und gleichzeitig spielten diese Medien eine zentrale Rolle für das imperiale Projekt, diese Inseln vollständig in das Geflecht des Imperiums zu integrieren.

In den frühen 1940er Jahren artikulierten japanische Ideologen und Diplomaten auf der internationalen Bühne immer häufiger eine Vision von der nationalen und imperialen Zukunft, die auf einer «Großostasiatischen Wohlstandssphäre» beruhen sollte. Sie war gedacht als regionaler Wirtschaftsblock unter Führung Japans, der die Asiaten von der Bedrohung durch die europäische und amerikanische Imperialaggression befreien sollte. Es sei jedoch nochmals betont, dass diese spezifische Vision von einer internationalen Ordnung sich auf die Verkehrs-, Kommunikations- und Politiknetzwerke stützte, die Japan in Nord-, Ost- und Südostasien sowie im Westpazifik aufgebaut hatte, und dass sie Ausfluss des Selbstbewusstseins war, das Japan dank seiner Industrialisierung und der raschen Ausdehnung seines Imperiums seit der Meiji-Zeit gewonnen hatte.

Osmanische Innovation und
die Schienen des Reiches

Japans Wandel zwischen den 1850er Jahren und dem Ersten Weltkrieg galt vielen Intellektuellen und Reformern im Osmanischen Reich als eindrucksvolles und attraktives Vorbild. Japans neue Stellung auf der internationalen Bühne ließ nicht nur darauf schließen, dass sich Modernisierung in einem beträchtlichen Tempo vollziehen konnte, sondern zeigte auch, dass sich die Macht Europas durch nichteuropäische Staaten erfolgreich herausfordern ließ. Besonders inspirierend für viele türkische Militärstrategen und Vordenker war der japanische Sieg über Russland 1904/05; in ihren Augen hatte Japan damit gezeigt, dass man technologisches Fachwissen und militärische Stärke erlangen konnte, ohne dass es dafür als Voraussetzung ganz bestimmter moralischer oder sozialer Werte bedurfte.[131]

Für diese Vordenker waren die industrielle Entwicklung, die militärische Aufrüstung und starke Verbindungen zwischen den konstituierenden Teilen des Osmanischen Reiches wichtige Fragen, die über die Zukunft ihres Gemeinwesens entscheiden würden. Im Gegensatz zu Japan jedoch herrschte der osmanische Staat über ein schon lange bestehendes Imperium, dessen Geschichte interkultureller Kontakte beeindruckend war; und er verfügte nicht über den Puffer des offenen Meeres, der das Großreich vor seinen Rivalen schützte, vielmehr hatten die ausgedehnten osmanischen Besitzungen gemeinsame Grenzen mit einer ganzen Reihe europäischer Konkurrenten und deren Kolonialgebieten. Anders ausgedrückt: Die Kontingenzen von Geographie und Geschichte verliehen den Fragen von Industrie und Imperium in der osmanischen Welt eine ganz spezielle Note.

Die Frage der Beziehungen des Osmanischen Reiches zu Europa war zweifellos zentral und bestimmte die Entwicklung der Kommunikations- und Verkehrsnetze, doch zugleich galten diese Technologien auch als ein wichtiges Instrument, um die Integrität des Reiches zu garantieren, um Handel und Austausch zu fördern und um für die Mobilität von Truppen, Verwaltern, Wissenschaftlern und Pilgern zu sorgen. Sultan Abdülmecid erkannte zwar schon 1847 die Möglichkeiten, welche die Telegraphie für die Regierungspraxis bot, doch die ersten dauerhaften osmanischen Leitungen entstanden erst während des Krimkriegs als Teil eines koordinierten Vorgehens der Regierungen Großbritanniens, Frankreichs und des Osmanischen Reiches. Während der Sultan die neue Technologie begeistert unterstützte, waren die Paschas der osmanischen Provinzen zunächst dagegen, denn sie befürchteten, das Zentrum des Reiches könne dadurch detailliertere Kenntnisse über die Provinzen erlangen, was die Macht des Sultans auf ihre Kosten stärken würde. Trotzdem wuchs das osmanische Telegraphennetz in den 1860er Jahren um das Vierfache an und umfasste 1869 knapp 25.000 Kilometer Leitungen. Dieses größer werdende Netz verband nicht nur wichtige Zentren von Politik und Handel innerhalb des osmanischen Herrschaftsgebiets, sondern war auch von britischem Kapital und britischer Strategie geprägt, denn die Leitungen, die durch osmanisches Territorium führten, sollten eine Verbindung mit Britisch-Indien herstellen, was zeigte, welcher Wert der telegraphischen Kommunikation im Gefolge des Aufstands von 1857/58 beigemessen wurde. Zudem verlief die osmanische Kommunikation in Teilen des Reiches – insbesondere im Hedschas und im Jemen – noch immer über Leitungen und Stationen der Briten im britisch kontrollierten Ägypten. Dieser Abhängigkeit entledigte man sich mit der Eröffnung eines neuen und extrem kostspieligen Netzes, das 1901 alle wichtigen Verwaltungszentren in der Region jenseits des Jordan miteinander verband. Die Hauptleitung wurde anschließend verdoppelt und neue Stationen wurden dem Netzwerk hinzugefügt, da Sultan Abdülhamid II. von der Effizienz und dem strategischen Wert der neuen Telegraphenverbindungen tief beeindruckt war. Doch auch die Gegner des Sultans erkannten den politischen Nutzen des Telegraphennetzes. Städter und Kaufleute in den Provinzen nutzten die neue Technologie, um ihre Anliegen rasch nach Istanbul zu übermitteln, und auch für die reformorientierten Jungtürken war sie ein wichtiges Instrument, das Reformen vorantreiben und die türkische Nation modernisieren sollte. Und nicht zuletzt gehörten die Telegraphistinnen zu denen, die die Straßen osmanischer Städte bevölkerten und ihren Beitrag dazu leisteten – durch Einkaufen, Flanieren und Fahren mit der Straßenbahn –, den Charakter des säkularen öffentlichen Lebens zu prägen.[132]

Noch wichtiger als der Telegraph war für die osmanischen Modernisierungsversuche die Eisenbahn. 1850 war sich der osmanische Staat bewusst, vor welche Herausforderungen ihn das Aufkommen der Dampfkraft und die europäische Industrialisierung stellten, und unternahm deshalb den konzertierten Versuch, mit den heimischen Kohleressourcen die wachsenden Fabriken, die imperiale Flotte und das noch junge Eisenbahnnetz zu versorgen, das 1856 eröffnet wurde. Die Eisenbahn war besonders wichtig innerhalb dieses riesigen Landimperiums, das eine Vielzahl verschiedener Regionen und weit verstreute Märkte umfasste. Die enorme Leistungskraft von Zügen, die von Dampflokomotiven gezogen wurden, sorgte dafür, dass sich ein beträchtlicher Fernhandel mit Getreide entwickelte und das landwirtschaftliche Potential der fruchtbaren Gegenden im Inneren des Reiches erstmals wirklich genutzt werden konnte. Die Strecken, die man baute, sollten sowohl kommerziellen als auch strategischen Zwecken dienen. Die «Orientbahn», die in den 1870er und 1880er Jahren zwischen Istanbul, Sofia und Edirne sowie zwischen Edirne und Saloniki verkehrte, verband die wichtigsten Märkte des Imperiums.

Ein nicht ganz so bedeutsames, aber gleichwohl aussagekräftiges Beispiel für den Zusammenhang von Produktion und Transportwesen sowie für dessen genderspezifische Folgen ist die Entwicklung der Teppichfabriken in der Türkei. Sie wurde durch das Vordringen der Eisenbahn ins Landesinnere beschleunigt, was wiederum zu mehr Beschäftigung für Frauen führte, allerdings im Niedriglohnbereich. Doch tatsächlich war die Streckenführung von strategischen Erwägungen bestimmt und von dem Wunsch, die Truppen des Imperiums rasch und wirkungsvoll einsetzen zu können. Überdies hatten Bahnprojekte in hohem Maße symbolischen Charakter. 1900 kündigte Sultan Abdülhamid II. den Bau einer neuen Bahnstrecke an, die von Damaskus nach Medina und Mekka führen sollte, ein Riesenprojekt, das dafür sorgen sollte, dass die Pilger auf dem Hadsch die Heiligen Stätten leichter erreichten, und außerdem zeigen sollte, wie sehr der Sultan den Bindekräften von Glaube und Kultur verpflichtet war, die die muslimische Welt zusammenhielten. Dieses Projekt spiegelte eine allgemeine Strategie der Osmanen wider, nämlich Eisenbahn und Telegraph, die einige Muslime als Produkte der «Ungläubigen» kritisierten, mit der Autorität des Sultans und dem Einsatz für den Islam zu verknüpfen. Andererseits war es ausgerechnet ein Bahnhof in Kairo, in dem Hoda Shaarawi 1923 ihre öffentliche Bewegung gegen den Schleier ins Leben rief, wobei sie, wenn auch nur andeutungsweise, den Gegensatz zwischen moderner Mobilität und der Starrheit des Harems als Sinnbild für das spezifische koloniale und nationalistische Dilemma ägyptischer Frauen vor Augen führte.[133]

Doch obwohl die osmanischen Herrscher der Eisenbahn allesamt große Bedeutung beimaßen, entwickelte sich das Streckennetz des Imperiums nur langsam und ungleichmäßig. Das hatte zum einen mit der recht unterschiedlichen Wirtschaftskraft der Regionen zu tun, war aber auch der unterschiedlichen Intensität geschuldet, mit der die Bevölkerung des Reiches die Eisenbahn nutzte. So wurden die Strecken in Anatolien und auf dem Balkan sehr intensiv für die Beförderung von Personen und Frachtgütern genutzt, während die Züge in den arabischen Gebieten weder von den einen noch von den anderen große Mengen transportierten. Insgesamt aber war das osmanische Eisenbahnsystem relativ unterentwickelt. Das Netz beruhte auf einer begrenzten Zahl von Hauptstrecken und war bei weitem nicht so dicht geknüpft wie in Britisch-Indien und wies auch nicht so viele Anschlusslinien auf, wie das in vielen Kolonien und in den ehemaligen europäischen Territorien des Osmanischen Reiches der Fall war. In ehemals osmanischen Gebieten wie Ägypten entstanden konzentrierte Streckennetze, und im Umfeld von Häfen wie Beirut oder Izmir entwickelten sich zahlreiche Neben- und Anschlusslinien, aber im Allgemeinen handelte es sich um ein «dünnes» System, das nur bescheiden ins imperiale Hinterland hineinreichte. Die Zugverspätungen und die allgemeine Ineffizienz des modernen Verkehrswesens wurden denn auch in der osmanischen Presse Anfang des 20. Jahrhunderts gern satirisch kommentiert. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs war das Eisenbahnnetz noch immer recht uneinheitlich, was Qualität und Abdeckung anging.

Während des Krieges hatte die türkische Armee häufig mit logistischen Problemen zu kämpfen, da das Streckennetz in Anatolien nur recht begrenzt war und von Ankara aus gerade einmal 70 Kilometer gen Osten reichte. Die Lücken im System bedeuteten, dass Soldaten oftmals auf Kamele oder Boote angewiesen waren, wenn sie zu Sammelpunkten und Gefechten gelangen wollten, oder gar zu Fuß marschieren mussten. Das hielt die osmanische Obrigkeit freilich nicht davon ab, ein «Umsiedlungsprogramm» für die Armenier ins Werk zu setzen, das die Deportation von Armeniern und die Konfiszierung von deren Besitz erlaubte, da sie als Gefahr für die Sicherheit des Reiches galten. Augenzeugenberichte belegen, welche Rolle die Bagdadbahn und ihr Personal bei dem völkermörderischen Vorhaben spielten, die ethnische Zusammensetzung des Osmanischen Reiches neu festzulegen, einem Projekt, das in die Vernichtung von mehr als einer Million Armeniern mündete.[134]

Zwar trug diese ungleichmäßige Struktur des osmanischen Verkehrsnetzes letztlich zur Auflösung des Imperiums bei, doch die eigentliche Ursache für die Aushöhlung der Zentralmacht war die Art und Weise, wie sich die osmanische Wirtschaft entwickelte. Die umfassenden staatlichen Beschäftigungsprogramme, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgelegt wurden, trieben die wirtschaftliche Entwicklung deutlich voran. Es gab beachtliche Fortschritte in der Kommunikationstechnik, bei der Dampfkraft, bei Fabriken und neuen Maschinen, doch diese Innovationen waren im Reich höchst ungleich verteilt. Während die ökonomische Modernisierung in größeren Städten schneller voranschritt, hatten diese Technologien in Provinzstädten und bei der großen Bevölkerungsgruppe der Bauern, dem demographischen Rückgrat des Imperiums, deutlich weniger Wirkung. Entscheidend aber war: Die Entwicklungsstruktur wurde vorgegeben durch die Abhängigkeit des Osmanischen Reiches von internationalem Kapital und wissenschaftlicher Innovation im Ausland. Der Eisenbahnbau stützte sich in hohem Maße auf ausländische Investoren, insbesondere auf deutsches Kapital, das die wichtige Strecke nach Anatolien finanzierte. Die osmanische Infrastruktur und die industriellen Kapazitäten gerieten insgesamt zunehmend unter europäische Kontrolle: Auch beim Bau von Häfen, Straßenbahnlinien und Fabriken spielte europäisches Kapital eine zentrale Rolle.[135]

Gleichzeitig bedeuteten die Tatsache, dass immer mehr Dampfschiffe osmanische Häfen anliefen, und der Ausbau des Schienennetzes, dass sich die osmanischen Märkte zunehmend für europäische Waren öffneten: Regionen wie Syrien wurden Ende des 19. Jahrhunderts förmlich überflutet mit in Europa produzierten Textilien. Noch stärker wurde diese Abhängigkeit von importierten Fertigwaren durch die Eröffnung des Suezkanals, denn diese neue Route ermöglichte enorme Seidenimporte aus Fernost und beeinträchtigte die osmanische Seidenproduktion in Zentren wie Bursa. Diese Verkehrs- und Transportnetze bedeuteten zudem, dass das Osmanische Reich immer fester in einen europäischen Agrarmarkt eingebunden war und landwirtschaftliche Grundgüter rund drei Viertel der Importe ausmachten.[136] Mit anderen Worten: Osmanische Arbeitskräfte produzierten Grundnahrungsmittel und unverarbeitete Güter für den Export in die industrialisierten Länder Europas, während die osmanischen Verbraucher zunehmend importierte, verarbeitete Nahrungsmittel (wie raffiniertes Mehl und raffinierten Zucker), Fertigwaren und Luxusprodukte kauften. Angesichts dessen wirkte das Osmanische Reich 1914 «wie ein ökonomisches Anhängsel Europas».[137] Aufgrund dieses wirtschaftlichen Niedergangs waren die Versuche mehrerer Sultane, militärische Kapazitäten und eine hochmoderne Marine aufzubauen (zu Letzterer gehörte seit 1886 auch ein U-Boot), zum Scheitern verurteilt. Der Traum von einer raschen Modernisierung und imperialer Stärke nach dem Vorbild Japans war für den osmanischen Staat nicht zu verwirklichen, und dass die osmanische Industrialisierung erfolglos blieb, wurde endgültig 1922 klar, als sich das Reich auflöste.

Die Neugestaltung von Zeit und Raum

Wenn wir unseren Blick über die Entwicklung einzelner Imperialsysteme hinaus auf die allgemeinere Entwicklung dieser «Verbindungstechnologien» richten, so zeigt sich, dass die Imperialregime seit den 1860er Jahren sehr darum bemüht waren, ihre Kommunikations- und Verkehrsnetze zu vergrößern, zu verdichten, zu beschleunigen und effizienter zu machen. Dampfkraft und Elektrizität führten zu Umweltveränderungen, zur Ausweitung und Intensivierung der Industrieproduktion und zu steigenden Investitionen in Militärtechnologie – alles Merkmale, die den Imperialregimen zwischen 1870 und 1945 gemeinsam waren. Doch Charakter und Ergebnisse dieser Veränderungen waren recht uneinheitlich. Die Netzwerke aus Kabel und Stahl, die von den Imperien geschaffen wurden und die die Kontinente miteinander verbanden, wurden unterschiedlich schnell ausgebaut und veränderten die verschiedenen Regionen auf ganz unterschiedliche Weise. Entscheidend waren dabei vor allem Geographie und Ökonomie. Regionen, die kaum über natürliche Ankerplätze verfügten, die ungenügende Ressourcen für den Bau künstlicher Häfen hatten oder zu weit von den verkehrsreichen Schifffahrtsrouten entfernt waren, bauten weniger Hafenanlagen und profitierten deutlich weniger vom internationalen Handel.

Das galt insbesondere für Afrika, wo qualitativ hochwertige Häfen nur in jenen Regionen entstanden, die fest in die europäischen Imperien eingegliedert waren und in denen ausreichend Kapital in die Hafeninfrastruktur investiert worden war. Während Ägypten, Tunesien, Algerien und Südafrika jeweils über mehrere wichtige Häfen verfügten, fehlte es den meisten Großstädten im tropischen Afrika an natürlichen Häfen oder sie bekamen zu wenig Kapital von den Imperialherren, um ausreichende Hafenkapazitäten zu schaffen.[138] Eisenbahnen wurden zwar zu einem wichtigen Bestandteil der afrikanischen Kolonialkultur, doch mangelte es den Streckennetzen des Kontinents an der Qualität und Dichte, wie sie in Südasien zu finden waren. Die Eisenbahn in Afrika entwickelte sich recht uneinheitlich, sowohl was den Umfang der Projekte angeht wie auch deren erfolgreiche Fertigstellung. Bahnstrecken waren nur selten dazu gedacht, den afrikanischen Gemeinschaften zu dienen oder bevölkerungsreiche Zentren miteinander zu verbinden, sondern sollten in erster Linie wertvolle Rohstoffe – Kautschuk, Baumwolle, Kupfer, Gold, Diamanten sowie Erdnuss- und Palmöl – aus dem Landesinneren zu den Häfen transportieren, von wo aus sie zu den europäischen Märkten verschifft wurden.[139] Da Europas Vordringen in Afrika in erster Linie auf die Ausbeutung afrikanischer Ressourcen ausgerichtet war, bedeutete das: Europäische Technologie und Kultur waren in viele lokale Kulturen niemals so tief eingebettet, wie das in den Kolonien der Fall war, in denen die Kolonialherrschaft von einem neuen, engmaschigen Kommunikationsnetz begleitet war. Doch deshalb sollten wir Afrika oder auch nur das tropische Afrika keineswegs als Sonderfall betrachten, sondern bedenken, dass die Funktionsweise und das Wirken von Imperien naturgemäß höchst ungleichmäßig ausfielen, was zu räumlich und gesellschaftlich völlig unterschiedlichen Ergebnissen führte.

Eine der bedeutsamsten Folgen war dabei die Neugestaltung von Zeit und Raum. Natürlich wissen wir nur zu gut, dass die Industrialisierung die europäische Erfahrung und das Verständnis beider Dimensionen verändert hat. Vieles spricht dafür, dass die Steigerung der europäischen Produktivität das Ergebnis einer Neuorganisation von Arbeit und Zeit seit Mitte des 18. Jahrhunderts war. Neue Industrietechniken veränderten auch die Zeitvorstellung in der Bevölkerung, als die europäischen Arbeiter die Disziplin von Stechuhr und Fabrikpfeife zunehmend verinnerlichten. Vor allem aber revolutionierten die Dampflok und der Ausbau der Eisenbahnnetze in Europa und Nordamerika die Wahrnehmung von Geschwindigkeit und Entfernung: Ältere Perzeptionen, die von einer früheren, lange Zeit bestehenden technischen Ordnung geprägt waren, wurden von der Wucht der Dampfkraft quasi in Stücke gerissen. Die Bahnreise und die Beschleunigung anderer Kommunikationsformen – vom elektrischen Telegraphen bis zur Tageszeitung – führten bei den Zeitgenossen zu dem weit verbreiteten Gefühl, die Industrialisierung habe zu einer «Vernichtung von Raum und Zeit» geführt, weil sie scheinbar Entfernungen verringert und verschiedene Punkte im Raum mit größerer Geschwindigkeit enger zusammengebracht hatte.[140]

Die Globalisierung der dampfgetriebenen Reise im Gefolge imperialer Systeme bedeutete, dass die meisten Gesellschaften dieser Welt ab 1870 diesen kulturellen Veränderungen ausgesetzt waren. Sogar in Afrika, das nur über relativ kleine, zerstückelte und langsame Kommunikationsnetze verfügte, strukturierten die Technologien, die der Kolonialismus im Gepäck gehabt hatte, den Raum neu. Hatte man beispielsweise traditionell für die Strecke von Mombasa nach Uganda zu Fuß fast ein Jahr gebraucht, so schaffte man sie im Zeitalter der Zugfahrt in zwei bis vier Tagen.[141] In den Teilen Afrikas, wo es kaum oder gar keine Eisenbahnen gab, wurde ein anderes Fortbewegungsmittel – das Fahrrad – zu einem wichtigen Merkmal der kolonialen Landschaft, für die Kolonialherrscher ebenso wie für die Afrikaner, wobei es zwar für eine gewisse Beschleunigung der sozialen Bewegung sorgte, die Zeitwahrnehmung aber nicht wirklich veränderte.[142] Die Verschiebungen in der zeitlichen Wahrnehmung, die Imperium und Industrialisierung auf der Weltbühne zur Folge hatten, fanden hingegen in einem anderen Phänomen ihren Ausdruck, nämlich in der Globalisierung der Taschenuhr und in der wachsenden Verbreitung, die dieses technische Instrument über die Mittelschichten Europas und Nordamerikas hinaus auch bei den entsprechenden Bevölkerungsgruppen in Asien, Afrika und Lateinamerika fand.

Der aussagekräftigste Beleg dafür, wie Industrialisierung und empire building gemeinsam die Temporalität neu strukturierten, war die Standardisierung der Zeit auf globaler Ebene. Das erste Land, das ein standardisiertes Zeitsystem einführte, war das Vereinigte Königreich. Mit der Zunahme des Eisenbahnverkehrs wuchs auch die Notwendigkeit, die Zeitmessung zu organisieren, um die Fahrten verschiedener Züge zu koordinieren und dafür zu sorgen, dass die Fahrpläne stimmten. 1855 wurden die meisten öffentlichen Uhren in Großbritannien nach der Londoner Greenwich Mean Time (GMT) gestellt. Diese Standardisierung in ganz Großbritannien trieb die Kommodifizierung der Zeit voran. Nicht nur Taschen- und Familienuhren waren immer häufiger zu finden, auch die Zeit als solche wurde zu einer Ware. Der berühmteste Zeit-Verkäufer in Großbritannien war die «Greenwich Time Lady» Ruth Belville, die Tochter eines Mitarbeiters des Observatoriums von Greenwich; mit Hilfe eines Subskriptionsverfahrens verkaufte sie die Greenwich-Zeit, die jede Woche auf ihrer hübschen Taschenuhr eingestellt wurde, an die Londoner.[143]

Erst 1880 hatte das Rechtssystem diesen «volkstümlichen» Schritt hin zu einer Standardisierung der Zeit nachvollzogen, und zwar mit der Verabschiedung des Statutes (Definition of Time) Act. Größere Nationen, bei denen es in verschiedenen Regionen beträchtliche Divergenzen bei der «Sonnenzeit» gab wie etwa in den USA, sahen sich vor noch größere Probleme gestellt. 1883 richteten die amerikanischen Eisenbahngesellschaften ein System standardisierter Zeitzonen ein und machten damit der bislang vorherrschenden «lokalen Berechnung» ein Ende, doch erst im August 1918 verabschiedete der Kongress den Standard Time Act. Lange vorher, nämlich schon 1884, trafen sich 41 Delegierte aus 25 Nationen in Washington zur Internationalen Meridian-Konferenz. Die Geschwindigkeit von telegraphischer Kommunikation und Dampfschiff hatte deutlich gemacht, dass man internationale Standards für die Messung von Zeit und Raum brauchte, und besagte Konferenz legte deshalb einen internationalen Meridian und internationale Zeitzonen fest. Von besonderer Dringlichkeit war diese Angelegenheit für große Seereiche, die hofften, die Standardisierung der Zeit werde das alltägliche Funktionieren von Handel und Imperialverwaltung erleichtern. Die Delegierten einigten sich darauf, Greenwich, das für Großbritannien bereits den Standard vorgab, zum globalen Meridian zu machen und alle Längengrade westlich wie östlich davon von diesem Nullmeridian aus zu berechnen. Ausgehend davon wurden dann entsprechend die internationalen Zeitzonen festgelegt und damit ein einheitliches System geschaffen, das fortan zum internationalen Standard avancierte.

Mit dieser Standardisierung der Zeit verstärkte sich die Überzeugung, die imperialen Zentren stünden für die Gegenwart und die Zukunft, während die kolonisierten Räume Rückständigkeit und die Vergangenheit repräsentierten, noch weiter. Die Technik der Daguerreotypie im Speziellen und der moderne Fotoapparat ganz allgemein machten es möglich, kulturelle Differenz visuell in Szenen offenkundiger zeitlicher Distanz zu kodieren, die noch verstärkt wurde durch die Bekleidung der «Eingeborenen» und deren völlige oder teilweise Nacktheit. Im Fokus dieser Formen von aneignender technischer Innovation standen stets (wenn auch keineswegs ausschließlich) Frauen und Kinder, selbst wenn kolonialisierte Männer hinter der Linse standen. Mit dem Aufkommen bewegter Bilder um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert beschleunigte sich das Phänomen, dass Zeit Raum und Vergangenheit das Entfernte bedeuten konnten, und verfestigte sich beim Publikum in den Metropolen, das sich in der Welt nach 1918 nach Beweisen für die eigene «rassische» und zivilisatorische Überlegenheit sehnte. Hatten der teuer erkaufte Sieg der Briten gegen die Buren 1902 und die Niederlage der Russen gegen die Japaner 1905 als Belege noch nicht ausgereicht, so sprachen die entscheidende Unterstützung, welche die Alliierten im Ersten Weltkrieg durch Truppen von «Farbigen» erhielten, und die fiebernden nationalistischen Bewegungen in Versailles Bände über die begrenzten globalen Möglichkeiten moderner Imperialmacht. Wollten Möchtegernimperialisten in der Zwischenkriegszeit «Eingeborene schauen», so konnten sie das virtuell, jenseits aller Beschränkungen durch Raum und Zeit, mittels Film tun. Diese Filme boten zwar unzählige Perspektiven auf kolonisierte Räume und Völker, doch am häufigsten fand sich der Blick von einem Dampfschiff aus oder der aus dem Zugfenster.[144]

Tatsächlich wurde das Verständnis von Raum und spezieller von räumlichen Dimensionen durch Industrie und Imperium deshalb verändert, weil die Verbindungen, welche die Technik schaffen wollte, in den Blick von immer mehr Menschen gerieten. Eine zentrale Rolle spielten dabei die Fertigstellung des Suezkanals und die Vorherrschaft des Dampfschiffs: Sie konfigurierten den Raum neu und ließen eine neue Geographie der Schifffahrt entstehen, weil die Häfen sich immer stärker an den Bedürfnissen des expandierenden Schiffsfernverkehrs orientierten und ihrerseits durch Dampfkraft, Eisen und Beton eine Neugestaltung erfuhren. Neue Häfen schossen aus dem Boden und wurden von den Imperialmachthabern groß dimensioniert gebaut im Vertrauen darauf, dass der Schiffsverkehr im Dampfzeitalter weiter zunehmen werde: Singapur, Hongkong, Dakar und Karatschi wurden zu wichtigen Knotenpunkten. Port Said an der Einfahrt zum Suezkanal entwickelte sich zur weltweit wichtigsten Kohleladestation für Dampfer, doch auch andere Häfen wie Montevideo in Uruguay und Las Palmas auf Gran Canaria gewannen wegen ihrer herausragenden Stellung als «Tankstellen» wirtschaftlich und strategisch an Bedeutung. Einige traditionelle Häfen dagegen verloren im Zeitalter der Dampfschifffahrt an Bedeutung: Nach der Eröffnung des Suezkanals geriet Kalkutta immer stärker in den Schatten von Bombay, und auch der kommerzielle und politische Schwerpunkt von Britisch-Indien verlagerte sich allmählich Richtung Westen mit seinem wichtigen Hafen.[145]

Im Grunde komprimierten Lokomotiven und Dampfer den Raum, weil sie die Reisezeiten verkürzten; doch verschiedene gesellschaftliche Gruppen erlebten diese Komprimierung des Raumes völlig unterschiedlich. Einige kolonisierte Gemeinschaften, die in unmittelbarer Nachbarschaft der neuen Verkehrsnetze lebten, bekamen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung, wegen seit langem bestehender ökonomischer Marginalisierung oder eines erst jüngst erfolgten sozialen Abstiegs überhaupt keinen Zugang dazu.[146] Besonders deutlich wurde diese Divergenz in einigen Kolonialstädten, in denen die physische Struktur des Raumes und die damit einhergehende gesellschaftliche Morphologie grundlegend bestimmt wurden durch die Lage der Bahnlinien, Stationen, Hafenkais sowie der Fabriken, die diese industriellen Transporttechnologien unterstützten. Laura Bears Forschungen zur Kultur der indischen Eisenbahn haben gezeigt, inwiefern diese neuen Technologien und die mit ihnen verbundenen Arbeitsmuster daran mitgewirkt haben, neue, hochgradig verräumlichte Hierarchien von Rasse und Geschlecht zu erzeugen. Ein zentraler Aspekt dieses kolonialen Eisenbahnprojekts war die Disziplinierung der Eisenbahnfamilie, nicht zuletzt deshalb, weil die Räume, die dadurch entstanden, rassenspezifische Unterscheidungen und mit ihnen auch den wertvollsten aller Imperialexporte, die familiäre Respektabilität, ins Wanken brachten.[147] Das Zusammenspiel von Kommunikationsnetzwerken und der Geographie kultureller Differenz war ein zentrales Merkmal neu errichteter Hafenstädte wie etwa Suva auf Fidschi, aber auch traditioneller Städte wie Lahore im Panjab und Ajmer in Rajastan, die nach ihrer Einbindung ins koloniale Eisenbahnnetz grundlegend neu strukturiert wurden. In diesen Städten sorgte die Eisenbahn für nachhaltige Veränderungen, denn sie beeinflusste die Muster der Industrialisierung, die Entwicklung des Wohnungsbaus und die Organisation des öffentlichen Raumes. Tatsächlich betrachteten Imperialisten von Korea bis Kairo die Eisenbahn als Paradebeispiel eines «Kolonisators», der mittels moderner Technologie den zivilisatorischen Auftrag erfüllte, zugleich aber auch die auf Ausbeutung angelegte Kolonialökonomie befeuerte.[148]

Die «Vernichtung der Entfernung» oder zumindest das höhere Tempo von Bewegung und Kommunikation, das die meisten Gesellschaften um 1900 erlebten, hatte eine ganze Reihe unerwarteter Konsequenzen. Die von den Kolonialstaaten geschaffenen Verkehrsnetze, die üblicherweise der Modernisierung und den strategischen Interessen der Imperialmacht dienten, waren ein wichtiger Faktor für die Popularisierung der Pilgerreise. So heißt es Anfang des 20. Jahrhunderts in einem beliebten japanischen Eisenbahnlied, an das sich der Dichter Takamure Itsue erinnert, als er sich zu einer Pilgerfahrt nach Shikoku aufmacht: «Fährt man mit diesem Zug, so legt man tausend ri in einem Nu zurück.»[149] Die Eisenbahn spielte schon bald eine wichtige Rolle für lokale, regionale und interregionale Reisen zu heiligen Stätten und Tempeln, die in Südasien fester Bestandteil religiöser Praxis waren. Einige Bahnstrecken verliefen so, dass sie die Pilgerstätten bedienten, und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte die Eisenbahnfahrt fest zum Pilgerprogramm vieler Südasiaten. Diese neue Form der Fortbewegung animierte die Gläubigen, sich zu weiter entfernten Zielen aufzumachen, sie sorgte dafür, dass mehr Frauen Pilgerreisen unternahmen, weil sie die Züge als sicher und zuverlässig betrachteten, und veränderte insgesamt die Häufigkeit, Qualität und Organisation ritueller Aktivitäten in Südasien.

Auf ganz ähnliche Weise trugen die neuen Technologien und die imperialen Verkehrssysteme zum Ende des traditionellen Hadsch bei, der bislang auf althergebrachte Überlandrouten, Karawanen und, wo nötig, Segelschiffe gesetzt hatte. Die Reise von den Häfen Ägyptens und Nordafrikas in den Hedschas gehörte stets zum Pilgerweg gen Mekka, doch im Zeitalter der Dampfkraft dauerten viele dieser Reisen nicht mehr dreißig, sondern nur noch drei Tage. Dieses höhere Tempo sorgte wiederum dafür, dass mehr Menschen sich auf den Weg machten. Nawab Sikander Begum, Erbherrscherin des Staates Bhopal, die 1863/64 mit üppigem Gefolge nach Mekka reiste und ihren Bericht darüber 1870 veröffentlichte, entschloss sich interessanterweise, den Teil der Reise, den sie mit der Bahn zurücklegte, nicht zu erwähnen, und auch die Reise zur See kommt nur am Rande vor. Doch die Dampfkraft beschleunigte nicht nur die Fortbewegung der Pilger, sondern veränderte auch die traditionellen Routen. So entwickelte sich das saudiarabische Dschidda, am Roten Meer gelegen, zu einem wichtigen Durchgangshafen, und auch die Stadt selbst veränderte sich durch die neue Stellung und die rege Geschäftstätigkeit, die sie nun erlebte. Europäische Dampfschifffahrtsgesellschaften, die solche Häfen anliefen, machten ordentlich Gewinn und waren bestrebt, das Verkehrsaufkommen der Imperialhäfen zu steigern und die Popularität der Pilgerreise zu pflegen.[150]

Der moderne Hadsch verdeutlicht eine weitere Folge der Neuordnung von Zeit und Raum. Die Zunahme an Pilgern und die wachsende Zahl derjenigen, die aus dem indischen Gangestal kamen, wo die Cholera herrschte, hatten nicht nur verheerende Auswirkungen auf die Bewohner des Hedschas, die sich immer öfter mit der Krankheit infizierten, sondern bereiteten auch den europäischen Imperialmächten große Sorge. Angesichts einer tief sitzenden Angst, Europa könnte von einer durch Pilger eingeschleppten Seuche erfasst werden, wurden internationale Konferenzen zum Hadsch einberufen, und die europäischen Mächte arbeiteten gemeinsam mit den osmanischen Behörden daran, die Pilgerströme in geordnete Bahnen zu lenken und während des Hadsch spezielle sanitäre Vorkehrungen zu treffen. Diese Konferenzen spiegelten das zeitgenössische Bewusstsein wider, wonach imperiale Netzwerke die entscheidenden Vektoren waren, durch die Umweltveränderungen vollzogen und bislang disparate Gebiete und Gemeinschaften zusammengeschweißt wurden. Straßennetze, die in den meisten frontier-Regionen immer dichter wurden, erleichterten den Strom von Keimen und Viren mittels vielfältiger Überträger. Das war an sich nichts Neues, denn Straßen waren schon immer zentrale «Akteure» der epidemiologischen Integration in der Geschichte Eurasiens gewesen, doch diese imperialen Netzwerke verbanden Gemeinschaften im Landesinneren und frontier zones mit immer mehr Markt- und Hafenstädten, was noch die entferntesten Siedlungen in einen «gemeinsamen Markt» der Mikroben einband, der durch großangelegte Imperialformationen und den Fernhandel entstand.[151] Vor allem aber wurde es durch Fahrräder, Züge, Dampfer und Autos möglich, dass Krankheitserreger Räume immer schneller durchquerten, wodurch sich auch das epidemiologische Profil vieler ansteckender Krankheiten änderte.

Die biologischen Folgen des Umstands, dass sich diese Technologien zu imperialen Netzwerken zusammenfügten, zeigen sich am deutlichsten anhand der großen Epidemien, welche die Welt in diesem Zeitraum erschütterten. Die Grippepandemie der Jahre 1889/90 breitete sich rasant über den gesamten Erdball aus, beschleunigt noch durch die dichten Eisenbahnnetze Europas und Nordamerikas. Die neuen Bahn- und Dampferverbindungen, die von den Imperien eingerichtet worden waren, sorgten dafür, dass diese Seuche auch in entlegenere Gebiete vordrang: Koloniale Hafenstädte wie Tunis, Kapstadt, Algier und Hongkong waren wichtige Knotenpunkte, von denen aus sich das Virus entlang lokaler Schiffsrouten, Straßen und Bahnlinien verbreitete. Diejenigen Regionen, die kaum in die imperialen Netzwerke integriert waren, blieben von diesem Krankheitserreger weitgehend verschont. In Eurasien wanderte die Grippe vorwiegend von West nach Ost, und im Einklang mit den Verkehrswegen in Eurasien bewegte sich das Virus langsam über die Ostgrenze des russischen Reiches, gelangte dann ganz allmählich nach Sibirien und traf mit großer Verzögerung in der Mandschurei und in Korea ein.

Noch deutlicher wurden die Zusammenhänge zwischen imperialen Verkehrsstrukturen und dem Vordringen der Seuche bei der Grippepandemie von 1918. Als sich der Erste Weltkrieg seinem Ende näherte, wurden Soldaten, Seeleute und Militärbedienstete in großer Zahl aus den Kampfgebieten nach Hause befördert. Diese Reisenden brachten das Virus – das sich gegen Kriegsende auf den Schlachtfeldern Europas eingenistet hatte – über Bahn- und Schiffsrouten in jedes Land, das Kämpfer im Einsatz hatte. Die Effizienz dieser Beförderungsformen bedeutete, dass sich das Virus anschließend auch auf die Länder und Gemeinschaften ausbreitete, die kaum oder gar nicht in den Konflikt involviert gewesen waren. Aufgrund der großen Reichweite von Dampfschiffen litten die indigenen Gemeinschaften in der amerikanischen Kolonie Guam, in der französischen Kolonie Tahiti und in West-Samoa (das seit Kriegsende Neuseeland unterstand) unter einer extrem hohen Sterblichkeit.[152] Unterdessen wurde in Britisch-Indien intensiv über den Zusammenhang zwischen den Eisenbahnen und der Ausbreitung von Seuchen diskutiert: Es gab deutliche Hinweise darauf, dass sich Krankheiten entlang der Bahnstrecken ausbreiteten, worauf vor allem eine ganze Reihe indischer Nationalisten hinwies.[153]

«Eingesperrt reisen»: Mahatma Gandhi

Zu den schärfsten Kritikern der Folgen von Imperium und Industrialisierung gehörte Mahatma Gandhi mit seiner Schrift Hind Swaraj oder Indische Selbstregierung, die er 1909 verfasste und ein Jahr später veröffentlichte.[154] In diesem Buch, das in Form eines Dialogs zwischen «Leser» und «Herausgeber» gehalten ist, äußerte Gandhi seine scharfe Kritik an «Zivilisation» und «Kolonialismus» mit der Stimme des «Herausgebers». Der vertritt die Ansicht, die Eisenbahnen seien hauptverantwortlich für die «Krankheit» der Zivilisation und hätten «das Land in einem solchen Maße geschädigt, dass wir, wenn wir nicht beizeiten aufwachen, zugrunde gehen werden». In seinen Augen waren sie kein Geschenk, sondern Kolonialwerkzeuge, die Großbritanniens «Macht über Indien» zementierten. Das Eisenbahnnetz habe Indien nicht vorangebracht, sondern ins Elend gestürzt: Hungersnöte seien dadurch häufiger geworden, Krankheitserreger hätten sich ausgebreitet, und die Gesellschaftsordnung sei destabilisiert worden durch den Wegfall der «natürlichen Trennung», welche die indische Gesellschaft früher geprägt habe. Kurz gesagt: Eisenbahnen galten Gandhi als Teufelszeug, das es «bösen Menschen» ermögliche, «ihre üblen Pläne schneller in die Tat umzusetzen». Diese Neujustierung der Zeit habe geistige und moralische Auswirkungen: «Das Gute reist im Schneckentempo.»[155]

Gandhis berühmt-berüchtigte Begegnung mit den physischen und sozialen Grenzen des segregierten Eisenbahnwaggons im Südafrika der 1890er Jahre erinnert uns daran, dass die von den Kolonialregimen errichtete neue kulturelle und technologische Ordnung niemals passiv hingenommen wurde, sondern übernommen, häufig in Frage gestellt und offen bekämpft wurde. Das zeigt sich besonders deutlich im Osmanischen Reich, wo Symbole der «Verwestlichung» kritisiert, aber auch physisch attackiert wurden. So wetterte beispielsweise ein anonymer osmanisch-türkischer Text, der vermutlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts von einem nicht allzu bedeutenden religiösen Denker aus der Provinz verfasst wurde, gegen westliche Schulen, Fabriken, Eisenbahnen und Telegraphen. Besonders kritisierte der Autor die neuen Formen von Mobilität, da sie es den Menschen in seinen Augen erlaubten, ihre Ziele mit weniger Mühe, Zeit und Gedanken zu erreichen. Dadurch würden diese Technologien die Menschen dazu animieren, der Erfahrung keinen Wert mehr beizumessen und dünkelhafte Seelen zu entwickeln, da sie nicht mehr von Gott, sondern von produzierten Dingen abhängig, in Weltlichkeit und Begehren gefangen und den Wahrheiten des Koran abtrünnig seien. Die Übernahme dieser Technologien, die von «Ungläubigen» in die islamische Welt gebracht worden seien, habe weitreichende religiöse Folgen: Indem sie die menschliche Arroganz und die Vernachlässigung echter Frömmigkeit befördere, ziehe sie geistigen Ungehorsam, verbreitete Sündhaftigkeit und den völligen Verfall der moralischen Ordnung nach sich.[156]

Wie Yakup Bektas gezeigt hat, war diese Einstellung besonders häufig bei den osmanischen Untertanen anzutreffen, die «skeptisch gegenüber der christlich-westlichen Welt waren» und den Telegraphen als «Erfindung der Ungläubigen, des Satans» betrachteten. Diese Kritik richtete sich gegen westliche Technologie, weil sie eine demoralisierende Wirkung habe, und weil «der Telegraph ein räumliches Gefüge zur Folge hatte, das der traditionellen Vorstellung von geographischem Raum und Entfernung widersprach».[157]

Andere osmanische Gegner der Verwestlichung setzten eher auf physischen denn auf verbalen Widerstand. Das expandierende Telegraphennetz war in vielen ländlichen Regionen Angriffen ausgesetzt, Telegraphenmasten wurden beseitigt und Material abmontiert, was einer Mischung aus ideologischem Widerstand gegen die neue Technik und der lokalen Gier nach raren Rohstoffen geschuldet war. In der Folge leistete die osmanische Regierung jährliche Zahlungen an die Stammesobersten, die diesen Missbrauch des Systems zu verhindern suchten, und ließ das Netz insgesamt von speziellen Wachleuten (çavuvlar) beschützen. In den südlichen Teilen des Reiches wurde man der Feindseligkeit gegenüber «westlichen Technologien» damit freilich nicht Herr. Der Ausbau des Bahnnetzes unter den Osmanen und die zentrale Bedeutung der Dampfkraft beim Transport der Pilger verärgerten Beduinenstämme, die seit langem davon lebten, die Pilger mit Kamelen zu versorgen. Aus Wut über die düsteren ökonomischen Aussichten und weil der osmanische Staat nichts mehr dafür zahlen wollte, dass sie den Pilgern Schutz gewährten, erhoben sich die Beduinen 1909 in einer offenen Revolte. Die gleichen Gruppen unterstützten später dann den arabischen Aufstand gegen die osmanische Herrschaft 1916, der vor allem darauf abzielte, die Hedschas-Bahn anzugreifen.[158]

Nationalistische Kritik an Innovationen im Bereich der imperialen Kommunikation verdeutlicht überdies den Zusammenhang zwischen Kommunikation und der zunehmenden «Naturalisierung» des Nationalstaats. Obwohl Imperien globale Netzwerke errichteten, obwohl so mancher imperialistischer Denker sich dadurch animiert fühlte, über die mögliche Schaffung globaler Staaten nachzudenken, und obwohl nationalistische Ideologen sich häufig von anderen Kritikern des Kolonialismus inspirieren ließen, wurde der Primat des Nationalstaats in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts endgültig sichergestellt. Dem Transfer westlicher Industrietechnologien und der Schaffung neuer Kommunikationsnetze kam eine zentrale Rolle dabei zu, den Kolonien innerhalb der vermeintlichen Form des Nationalstaats Gestalt zu geben. Benedict Anderson hat in seinem berühmten Buch über die «imagined communities» darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig Zeitungen für die Schaffung solch imaginärer Gemeinschaften waren, auch wenn sie von «fremden» Technologien abhingen (insbesondere dem Telegraphen und der Eisenbahn).[159]

Nationen wurden nicht einfach dadurch geschaffen, dass man kulturelle Darstellungen in Umlauf brachte, sondern waren auch geprägt von der Form der Verkehrs- und Kommunikationswege, auf denen Waren, Kapital und Arbeiter regelmäßig unterwegs waren.[160] Eine wichtige Voraussetzung für den Prozess der Nationsbildung bestand darin, bereits bestehende Regionalökonomien zusammenzufügen, und insbesondere Eisenbahnen waren von zentraler Bedeutung, um ökonomischen Strukturen eine nationale Form zu geben. Sie regelten nicht nur den Handel mit Schlüsselgütern innerhalb der Regionen (etwa den Reishandel in Bengalen), sondern trugen zugleich zur Schaffung eines nationalen Marktes für Getreide im kolonialen Indien bei. Die Integration der Verkehrsnetze war oftmals ein Kernaspekt im politischen Prozess des nation building: Besonders deutlich zeigte sich das im Falle Nigerias, wo die Verknüpfung der früher unterschiedlichen Eisenbahnsysteme im Norden und im Süden der politischen Fusion der Protektorate voranging und als wichtigstes Medium der Kolonialstaatsbildung fungierte.

Eisenbahn und Telegraph sorgten in vielen Nationen, die unter Kolonialregimen entstanden, nicht nur für die zentralen räumlichen Strukturen, sondern waren auch von grundlegender Bedeutung für die kulturellen Prozesse, die zur «Naturalisierung» des Nationalstaats als politischer Einheit beitrugen, und stärkten die Identifikationsmöglichkeiten für die breite Masse, die nötig waren, damit der Nationalismus Wurzeln schlagen konnte. Zwar standen Gandhi und andere Nationalisten vielen Folgen des Eisenbahnbaus kritisch gegenüber, doch sahen sie darin ein unverzichtbares Werkzeug für ihre Sache und ein entscheidendes Instrument, um eine extrem heterogene Bevölkerung zu einer kohärenten Bürgerschaft zu vereinen. In Siedlerkolonien trugen Bahnreisen und die Entstehung einer kommerzialisierten Freizeit für die breite Bevölkerung dazu bei, dass Vorstellungen von einer kolonialen Staatsbürgerschaft aufkamen, die neue Sichtweisen von «Rasse», Landschaft und Nationalität mit sich brachten.[161] Oder anders ausgedrückt: Verkehrswesen und Kommunikation sorgten in entscheidender Weise für die Symmetrien zwischen ökonomischer Organisation, politischer Identifikation und kulturellem Zusammenhalt, die für die Entstehung des Nationalstaats unabdingbar waren.

Die zentrale Rolle, die diese Technologien um 1900 auf globaler Ebene spielten, erklärt nicht nur, wie die Idee des Nationalstaats sich globalisierte, sondern auch, warum die Nationalismen in unterschiedlichen kolonialen Kontexten inhaltlich erstaunlich stark übereinstimmten. Selbst dort, wo Nationalistenführer auf der Einzigartigkeit und Differenz ihrer Gemeinschaften beharrten, taten sie das mit Hilfe von Idiomen und Narrativen, die zahlreiche Merkmale gemeinsam hatten. Schon 1914 hatte die imperiale Globalisierung vermutlich die Dominanz des Nationalstaats in der nicht-westlichen Welt zementiert, während gleichzeitig ein Konflikt zwischen europäischen Mächten sich rasch in den ersten wahrhaft globalen Konflikt verwandelte, der mit Hilfe industrieller Technologien ausgetragen wurde.

Angesichts dessen, was wir hier an Belegmaterial vorgelegt haben, sind wir skeptisch gegenüber allen Versuchen, Imperium und «Globalisierungsfaktoren» in dieser Zeit entweder komplett voneinander zu trennen oder sie zu eng miteinander zu verknüpfen. Dieses Misstrauen beruht keineswegs auf der Überzeugung, jegliche Globalisierung sei quasi von Natur aus imperial, sondern aus den historischen Hinweisen darauf, dass die verschiedenen globalen «Überzüge» – der Kommunikations- und Verkehrsnetze, der Kapital- und Warenströme, der Missionseinrichtungen und Pilgerrouten, der Wege, die Wissenschaftler und das gedruckte Wort nahmen – auf vielfältige Weise durch die Grenzen, Ideologien und Praktiken imperialer Regime geprägt wurden. Darüber hinaus waren die Formen interregionaler Verbindung, die seit den 1870er Jahren wirksam waren, nicht nur durch diese Strukturen aus früheren imperialen Zeiten bedingt, sondern wurden ständig neu gestaltet durch neue Imperialbestrebungen, durch internationale Konflikte, die von Imperialfragen durchzogen waren (auch wenn sie deshalb nicht zwangsläufig «imperialer» Natur waren), und durch die Versuche verschiedener Individuen und Gruppen, den Vormarsch des Imperiums zu stoppen, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen und ihn zu untergraben. In einem Zeitalter des globalen Imperialismus wurde die Welt durch diese Auseinandersetzungen ständig neu geordnet, und ihre Hegemonien waren weder selbstverständlich noch vollständig in dem Sinne, dass sie zeitlich abgeschlossen oder räumlich total gewesen wären. Imperium und Globalisierung waren nicht gleichbedeutend, doch die Prozesse des empire building und die Bürde imperialer Vermächtnisse prägten die Verbindungen, die Regionen, Gemeinschaften und Staaten zu neuen und oftmals unerwarteten Formen von Beziehung und Interdependenz zusammenschlossen.

Dieses Zusammenfügen menschlicher Gemeinschaften warf neue und drängende Fragen nach Identität und Differenz auf: Selbst dort, wo die Ökonomien und Infrastrukturen von Nationen immer enger verwoben waren, beharrten Nationalistenführer auf der Einzigartigkeit und Besonderheit ihrer politischen Gemeinschaft. Es entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie, dass diese Ideologen die angeblich singulären Identitäten mit Hilfe eines gängigen Inventars an Bildern, Objekten, Symbolen und Narrativen artikulierten. Wie im nächsten Abschnitt deutlich werden wird, ging es bei der Auseinandersetzung um die Politik von Imperium und imperialer Macht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Kern um Fragen von Raum, politischem Wandel und transnationaler Verbindung. Ob via Kontakt oder Kollision – die Zeitgenossen konnten diese Verbindungen erkennen, schätzen und ins Werk setzen wegen der strukturellen Veränderungen, die befördert wurden durch technologische Entwicklungen, neue Zirkulationsmuster und fortwährende kulturelle Transfer- und Anpassungsprozesse in einer Welt, die durch die globalen Imperialsysteme zwar ungleichmäßig, aber gleichwohl radikal neu gestaltet worden war.

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege
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