11
Verräter
Rein theoretisch nehme man einmal an, dass die Eroberung von Coruscant Opfer in unvorstellbarem Ausmaß forderte.
Man nehme an, dass zehn Milliarden bei dem Bombardement der Yuuzhan Vong starben.
Man nehme an, zwanzig Milliarden mehr seien bei den Erdbeben getötet worden, die die Veränderung der planetaren Umlaufbahn begleiteten.
Man nehme an, weitere dreißig Milliarden seien seitdem verhungert oder von Truppen der Yuuzhan Vong getötet worden, die nur zu dem Zweck ausgeschickt wurden, solche Überlebende zu töten; oder sie wurden vergiftet, gefressen oder starben auf andere Weise an Kontakt mit Vong-geformten Lebewesen.
Man nehme an, zusätzliche vierzig Milliarden seien versklavt, interniert oder anderweitig von den Yuuzhan Vong gefangen genommen worden.
Diese theoretischen Zahlen sind nichts als reine Spekulation. Selbst als die planetare Datenbank von Coruscant noch intakt war, basierten die planetenweiten Volkszählungen überwiegend auf Vermutungen. Nach der Eroberung gab es keine Möglichkeit, Vermisste und Tote zu zählen. Hundert Milliarden ist eine unvernünftig große Zahl − wahrscheinlich schrecklich übertrieben −, aber dennoch …
Man ziehe diese Opfer von der vor der Eroberung geschätzten Bevölkerung von Coruscant ab.
Dann bleiben neunhundert Milliarden.
Neun.
Hundert.
Milliarden.
Auch Überlebende können eine Waffe sein.
Seit Monaten waren nun immer wieder Lagerschiffe aus dem Hyperraum erschienen. Niemand konnte vorhersagen, wo oder in welchem Sternensystem sie als Nächstes auftauchen würden. Die Lagerschiffe waren kilometerdicke, vage kugelförmige, willkürlich zusammengeklebte Massen sechseckiger Kammern, wobei die Größe der Kammern von der eines Spinds bis zu der des Flugdecks eines Trägers variieren konnte. Die Schiffe waren vielleicht eine Art von Pflanze, eine Spezies, die die Vong zu diesem Zweck gezüchtet hatten, oder vielleicht auch zusammengefügte Exoskelette, die riesige interplanetare Tiere zurückgelassen hatten.
Eine Analyse der Sensordaten zeigte Schwerkraftfelder wie von Dovin-Basalen rings um die Hyperraum-Austrittspunkte; und nur Sekunden nach dem Auftauchen jedes Schiffs erfolgte eine weitere, die Schwerkraft verzerrende Explosion. Einige Analytiker der Neuen Republik glaubten, diese sekundären Explosionen seien Dovin-Basale, die sich selbst zu Punktmassen zusammenzogen. Andere behaupteten, die sekundären Explosionen stellten eine Art Signatur der Dovin-Basal-ähnlichen Geschöpfe dar, die als Triebwerke der Lagerschiffe fungiert hatten und wieder in den Hyperraum zurückkehrten, um zu ihrem Ausgangspunkt zurückzugelangen.
Es gab nur weniges, was sich mit Sicherheit feststellen ließ: Diese Schiffe trafen scheinbar nach dem Zufallsprinzip in bewohnten Sternensystemen ein. Sie hatten keine Lebensmittelvorräte, keine Lebenserhaltungssysteme und keine brauchbaren Triebwerke. Es gab auf diesen Schiffen nur Personen.
Millionen Personen.
Hunderte von Millionen: Überlebende der Eroberung von Coruscant.
Jedes bevölkerte System, das unerwarteterweise zum Hüter eines Lagerschiffs wurde, fand sich damit einer brutalen Entscheidung gegenüber: Es konnte seine vom Krieg ohnehin belasteten. Mittel weiterhin belasten, um die Flüchtlinge unterzubringen und zu ernähren. Oder es konnte sie sterben lassen: ersticken oder verhungern, verdursten, erfrieren oder langsam in ihren eigenen Abfallhitze kochen. Man konnte die Schiffe nicht ignorieren − dann würden sie zwischen den Planeten einherdriften, gefrorene Mausoleen, ewige Denkmale der grausamen, tödlichen Vernachlässigung von hudert Millionen Leben.
Keine Welt der Neuen Republik konnte sich einer kollektiven Schuld solchen Ausmaßes stellen; wenn sie dazu imstande gewesen wäre, hätte die Neue Republik diese Welt niemals in ihren Verbund aufgenommen.
Niemand wusste, ob auch Lagerschiffe zu unbewohnten Systemen geschickt worden waren. Niemand wollte darüber nachdenken. Ein paar Jedi versuchten, mehr herauszufinden, erforschten riesige Bereiche in der Macht, aber es hatte ohnehin nie viele Jedi gegeben, und die wenigen Verbliebenen hatten neben dem Krieg kaum Zeit für solche Dinge. Planetare und systemweite Regierungen führten keine Suchaktionen durch. Sie konnten es sich nicht leisten. Sie hatten nicht einmal die Mittel, um für die Flüchtlinge zu sorgen, die in ihrem Schoß gelandet waren; nach weiteren zu suchen wäre nicht nur nutzlos, sondern wahnsinnig gewesen.
Trotz des schmerzlichen Mangels sowohl an Rohmaterialien als auch an praktischer Erfahrung taten die Systeme der Neuen Republik, was sie konnten.
Die ökonomischen Verhältnisse ließen es nicht zu, Städte zu errichten, die groß genug waren, um Hunderten von Millionen Unterkunft zu bieten, aber es gab eine andere Option. Die Schiffe waren geräumig und bewahrten ihre Atmosphäre im Vakuum des Raums. Also ließen die Wirtssysteme die Flüchtlinge, wo sie waren, und taten ihr Bestes, um die überfüllten Schiffe mit Müll- und Wasserwiederaufbereitung, Atmosphärereinigung und -anreicherung, Licht und Lebensmitteln zu versorgen.
Die Schiffe wurden zu orbitalen Flüchtlingslagern. Daher die Bezeichnung.
Das Leben auf den Lagerschiffen war schwer.
Selbst in den wohlhabendsten Systemen waren die Lebensmittel auf den Lagerschiffen bis an die Grenze der Mangelernährung rationiert; selbst die besten Wiederaufbereiter konnten dem Wasser nicht den zunehmenden Geschmack danach nehmen, benutzt und wieder und wieder benutzt worden zu sein. Es war eng, es war schmutzig, und es stank: nach Schweiß, Atem und anderen diversen giftigen Ausscheidungen von tausend Spezies; es gab genug Kohlendioxid, um der gesamten Bevölkerung ununterbrochene dröhnende Kopfschmerzen zu verursachen − zumindest jenen Spezies, die Köpfe hatten. Selbst jene, die von Photosynthese abhingen, litten, denn sie hatten zwar einen Überfluss an Kohlendioxid, waren aber gezwungen, trübes, unzuverlässiges künstliches Licht zu nutzen.
Alle litten, und nur sehr, sehr wenigen wurde gestattet, die Schiffe zu verlassen.
Niemand sprach darüber, wieso man die Flüchtlinge wirklich auf den Lagerschiffen ließ.
Der Grund war folgender: Der interplanetare Raum stellte eine ideale Sicherheitsbarriere dar. Viele Welten hatten bereits unangenehme Überraschungen erlebt, wenn sie Flüchtlinge auf die Oberfläche ließen. Jede Flüchtlingspopulation enthielt eine nicht zu ermittelnde Anzahl von Spionen, Saboteuren, Friedensbrigadisten und Kollaborateuren aller Art. Und manchmal Schlimmeres.
Ganner Rhysode hatte Wochen damit verbracht, dem Gerücht hinterherzujagen.
Er hatte es von einem Frachternavigator einer Taverne auf Teyr gehört, der es von einem Docksteward im Raumhof auf Rothana hatte, der seinerseits mit einem Frachterpiloten auf der Sisar-Route gesprochen hatte, der zufällig belauschen konnte, wie ein Zollinspektor im Sevarcos-System − oder vielleicht war Mantooine oder Almania − es beiläufig erwähnte; der Inspektor wiederum hatte es von einem Freund in der Flotte gehört, dessen Vetter als ziviler Freiwilliger auf dem Lagerschiff bei Bothawui arbeitete.
Ganner war angestrengt jeder Verbindung gefolgt, war durch die Überreste der Neuen Republik gejagt, hatte Wochen im Hyperraum verbracht und Tag um Tag mit gelangweilten Schreibern und feindseligen Frachtstauern, misstrauischen Bürokraten und sarkastischen Korridorkids »Haben Sie vielleicht gesehen …« gespielt.
Als er den nummerierten Vorhang erreichte, der in der aus Millionen Zellen bestehenden Wabe des Lagerschiffs als Wohnungstür durchging, war er so müde, dass er sich nicht einmal mehr erinnern konnte, in welchem System er sich befand.
Die Nummer auf dem Vorhang hatte drei Teile, die die Koordinaten der Kammer angaben, gemessen von der Mitte des vage kugelförmigen Schiffs aus; bei einem Schiff, das über nichts einem Deck Vergleichbares verfügte, nicht einmal über gerade Linien, waren dreidimensionale Koordinaten die einzig praktischen Adressen, die diese Kammern haben konnten. Die, vor der er gerade stand, war sehr abgelegen; sie befand sich beinahe an der Außenhaut, und zwar auf der dem Raum, nicht auf der dem Planeten zugewandten Seite.
Sie lag − wie Ganner mit einer gewissen Ironie gedacht hatte, als er die Koordinaten der Kammer erfuhr − auf der dunklen Seite.
Ganner sah dieser Tage nicht mehr sonderlich wie Ganner aus: Verschwunden waren die auffällige Uniformjacke und die enge Lederhose, das Glitzern von Goldpaspeln, die hohen, makellos gewichsten Stiefel. Stattdessen trug er eine weit geschnittene Tunika in unauffälligem Braun über einer ausgebeulten grauen Hose. Die Stiefel, die sich darunter verbargen, waren nun abgenutzt, und der Dreck von Dutzenden von Welten hing an ihnen. Verschwunden waren auch das vernichtende Lächeln und das verwegene Glitzern in seinen klaren blauen Augen; er hatte sogar zugelassen, dass ein schmuddeliger lockiger Bart die sauberen, klaren Linien seines klassischen Kinns verbarg.
Es war nicht unbedingt eine Verkleidung. Er hatte aus seiner Identität kein Geheimnis gemacht; im Gegenteil, er benutzte sie als Waffe, um sich durch bürokratische Hindernisse zu kämpfen, die ihn ansonsten für immer von den Lagerschiffen fern gehalten hätten. Aber er unterschied sich deutlich von dem Ganner, der er zuvor gewesen war.
Dieser alte Ganner zu sein hatte ihm viel zu sehr geschadet.
Hier zum Beispiel, vor dieser Kammer: Der alte Ganner hätte den Vorhang mit großer Geste beiseite gezogen und sich in dramatischer Pose im Eingang präsentiert. Er hätte seine Fragen gestellt und sich dabei auf seine beeindruckende Größe und den Furcht einflößenden Blick, auf seinen Ruf und seine verwegene Eleganz verlassen, um die Antworten zu erhalten, die er brauchte.
Nun lehnte er sich stattdessen gegen die kiesige Wand neben der Tür und glitt lautlos nach unten. Dort blieb er sitzen, als wäre er nur ein weiterer Flüchtling, der in einem abgelegenen Flur ein Schläfchen hielt.
Er ließ den Kopf nach vorn sinken und schloss die Augen, während er sich in die Macht versenkte und versuchte, etwas in der Kammer hinter dem Vorhang wahrzunehmen Immerhin bestand die Gefahr, dass es sich um eine Falle handelte, und er hatte genug davon, dumme Risiken einzugehen. Vorsicht war ihm dieser Tage zur zweiten Natur geworden, und Unauffälligkeit seine beste Verteidigung.
Er spürte Personen in der Kammer und genügend Machtpräsenz, dass es fünf hätten sein können − diese Zahl hatte ihm ein gehetzter Beamter mitgeteilt, der die Daten auf dem überalterten und überladenen Hauptserver recherchiert hatte. Den Aufzeichnungen, die von freiwilligen Verwaltungskräften dieses Schiffs zusammengestellt worden waren, fehlte es an Genauigkeit, aber es war nicht das, was Ganner nervös machte, sondern die Tatsache, dass er die Machtwahrnehmung aus der Kammer nicht so recht einzelnen Individuen zuordnen konnte.
Er runzelte die Stirn, kniff die Augen fester zusammen und konzentrierte sich intensiver.
Es war beinahe, als befände sich in der Kammer eine einzige Person mit fünf unterschiedlichen Persönlichkeiten … oder als hätten alle fünf Anteil an einer Art Gruppenbewusstsein. Das kam bei Menschen − wie es die Bewohner der Kammer angeblich waren − selten vor, war aber nicht unmöglich. Die Galaxis hatte Dutzende, wenn nicht Hunderte von Variationen hervorgebracht; Ganner wusste, dass er sie längst nicht alle kannte.
Und das Unbekannte, hatte er durch bittere Erfahrung gelernt, war immer gefährlich, wenn nicht sogar tödlich. Sein kleiner Witz darüber, dass sich diese Kammer auf der dunklen Seite befand, kam ihm überhaupt nicht mehr komisch vor.
Tatsächlich hatte er das Gefühl, dass er kurz davor stand, sich umbringen zu lassen.
Er seufzte und stand auf.
Von dem Augenblick an, als er begann, diesem Gerücht hinterherzujagen, hatte er irgendwie halb gewusst, dass es so enden würde: Er war allein, ohne Verstärkung, und niemand wusste auch nur genug über sein Unternehmen, um eine Suchaktion zu starten, falls er nicht zurückkehrte. Tatsächlich hatte er zwei Tage gebraucht, um auch nur zu diesem Ende des Lagerschiffs zu gelangen.
Niemand würde je erfahren, was ihm zugestoßen war.
Nun, eine Person würde es zumindest erraten können … aber er glaubte nicht, dass es sie interessieren würde.
Er erinnerte sich an die dunkle Flamme in Jainas Augen, als er ihr von dem Gerücht erzählte.
»Eine weitere dumme Lüge«, hatte sie gesagt, »und du bist ein Idiot, sie zu glauben.«
Er hatte versucht zu erklären, dass er die Geschichte nicht unbedingt glaubte, aber der Ansicht war, dass man sie überprüfen sollte. Er hatte versucht, ihr zu sagen, wie wichtig das für die Moral der gesamten Neuen Republik sein könnte. »Verstehst du denn nicht? Er ist ein Held. Es wäre, als … als würde er von den Toten auferstehen, Jaina! Es wäre magisch − es wäre ein Wunder! Es würde uns wieder Hoffnung geben.«
»Wir brauchen keine Hoffnung«, hatte Jaina erwidert. Seit Myrkr hatte die einstmals so sanfte Wölbung ihres Kinns etwas Hartes an sich. »Wir brauchen mehr Schiffe. Wir brauchen bessere Waffen. Und wir brauchen Jedi. Wir brauchen Jedi, die kämpfen. Es hilft uns nichts, wenn du die Zeit der Leute mit Fantasien verschwendest.«
Ganner hatte nicht nachgegeben. »Aber was, wenn es keine Fantasie ist? Deine Mutter behauptet, dass er immer noch lebt …«
»Meine Mutter«, hatte Jaina gesagt, und zu viel Gewicht hatte in diesen Worten mitgeschwungen für ein Mädchen im Teenageralter, »hat beide Söhne am selben Tag verloren. Sie ist noch nicht darüber hinweggekommen. Das wird sie wahrscheinlich auch nie.«
»Sie hat das Recht zu wissen …«
»Ich werde mich nicht mit dir streiten, Ganner. Ich sage es dir einfach: Halte dein dummes Maul. Ich will nicht, dass Mom auch nur ein einziges Wort von dieser Sache hört. Ihr Hoffnungen zu machen, die dann wieder zerstört werden, das würde sie umbringen. Und wenn du das tust, bringe ich dich um!«
»Aber … aber Jaina …«
Sie hatte sich dicht zu ihm gebeugt, und die dunkle Flamme in ihren Augen hatte so heiß gebrannt, dass Ganner einen Schritt zurückgewichen war. »Daran solltest du keinen Augenblick zweifeln, Ganner. Und bilde dir bloß nicht ein, dass ich es nicht schaffen würde.«
Er antwortete nicht. Er glaubte ihr.
Sie sagte: »Die Vong haben Jacen nach der Gefangennahme am Leben gelassen. Lange Zeit. Sie haben ihn am Leben gelassen, damit sie ihm wehtun konnten. Ich konnte es spüren. Ich habe Mom und Dad nie gesagt, was sie ihm angetan haben. Was mit Anakin passiert ist, das war besser. Es war sauber.«
Tränen hatten in ihren Augen geglänzt, aber ihre Stimme war hart genug gewesen, um Transparistahl zu schneiden. »Ich habe gespürt, wie Jacen starb. Plötzlich war er … er war einfach weg. So, als hätte er nie existiert. Ich habe es gespürt. Wenn er noch am Leben wäre, bräuchte ich nicht jemanden wie dich, der vorbeikommt und es mir erzählt! Ich würde es wissen.«
Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt, bis die Knöchel weiß wurden, und sie hatte die Zähne gefletscht. »Wage es nie wieder, mit mir über diesen … diesen Müll zu sprechen. Und sprich auch mit niemand anderem darüber. Mit niemandem. Wenn ich herausfinde, dass du auch nur in einen Spiegel geschaut und es dir selbst erzählt hast, werde ich dir wehtun. Ich werde dir Dinge über Schmerzen beibringen, die niemand je erfahren sollte.«
Ganner hatte dagestanden und sie angestarrt, verblüfft über die Qual und den reinen, schwarzen Zorn, die durch die Macht auf ihn eindroschen. Was war mit ihr passiert? Es hatte ein paar Gerüchte gegeben …
»Heh, Jaina, schon in Ordnung«, hatte er gesagt. »Ich werde es niemandem erzählen, das verspreche ich. Kein Grund, wütend zu werden …«
»Ich bin nicht wütend. Du hast mich noch nicht wütend gesehen. Und du solltest lieber hoffen, dass das auch nie passiert.« Sie hatte die Arme verschränkt und ihm den Rücken zugewandt. »Und jetzt geh mir aus den Augen.«
Ganner war unsicher und erschüttert davongegangen. Jaina hatte sich immer so gut gehalten, war immer so kompetent, so beherrscht gewesen, dass es einem leicht fiel, zu vergessen, dass sie an einem Tag ihre beiden Brüder verloren hatte.
Einer davon ihr Zwillingsbruder: der Bruder, der die Hälfte von allem gewesen war, was sie war.
Später − viel später − hatte er weiter darüber nachgedacht: Nun, ich habe ihr nur versprochen, dass ich nicht darüber reden würde. Ich habe nie versprochen, mir die Sache nicht näher anzusehen.
Und dann hatte er sich auf den Weg gemacht. Allein.
Der alte Ganner hätte vielleicht das Gleiche getan, dachte er hin und wieder mit gewisser melancholischer Resignation. Es wäre eine großartige Geschichte gewesen, eine Geschichte über die Art von Jedi, die Ganner stets hatte sein wollen: der einsame Held, der bei seiner Suche, über die er nicht sprechen kann, die gesamte Galaxis durchquert und sich unvorstellbaren Gefahren stellt, ohne je wirklich eine Chance auf Erfolg zu haben.
Das war Ganners Fantasie-Ich gewesen: der kühle, ruhige, gefährliche Held, die Art von Mann, über den die Leute mit vor Ehrfurcht gesenkten Stimmen sprachen, und all dieses dumme Teenagerzeug.
Eitelkeit, nichts als Eitelkeit. Eitelkeit war immer Ganners größter Fehler gewesen. Kein Problem, wenn jemand ein Held war − man sehe sich nur Han Solo an oder Corran Horn. Kein Problem; wenn man ein Held sein wollte: Luke Skywalker sprach oft über seine jugendlichen Träume von Abenteuer, und man wusste schließlich, was aus ihm geworden war.
Aber wenn man anfing zu versuchen, ein Held zu sein, eröffnete sich eine ganze Galaxis von Problemen. Die Gier nach Ruhm konnte zur Krankheit werden, einer Krankheit, die selbst Bacta nicht heilen konnte. In ihren letzten Stadien war es alles, woran man denken konnte. Und am Ende interessierte einen nicht einmal mehr, wirklich ein Held zu sein.
Man wollte nur noch, dass einen die Leute für einen hielten.
Der alte Ganner hatte an dieser Mehr-scheinen-als-sein-Krankheit gelitten. Er war einer der schlimmsten Fälle gewesen, die er je gesehen hatte. Es hätte ihn beinahe umgebracht.
Noch schlimmer: Es hätte ihn beinahe zur Dunklen Seite getrieben.
In nicht allzu wachsamen Augenblicken driftete er immer noch zurück zu diesen gefährlichen Träumen. Nur daran zu denken ließ ihn schaudern. Er hatte sich gewaltig angestrengt, seine Gier nach Bewunderung auf eine kleine, leise Stimme zu reduzieren, und er hoffte, sie eines Tages vollkommen zum Schweigen bringen zu können.
Also hatte er sich still auf seine Suche gemacht. Unauffällig. Anonym. Hatte dafür gesorgt, dass sich die Geschichte nicht verbreitete. Er musste sicher sein, dass er dies aus den richtigen Gründen tat. Er musste sicher sein, dass er nicht einen Rückfall in die Ruhm-Krankheit erlitt. Er musste sicher sein, dass er diesem Gerücht nur deshalb hinterherjagte, weil es das Richtige war. Weil die Neue Republik verzweifelt einen Hoffnungsschimmer brauchte.
Weil Jaina einen brauchte.
Jedes Mal, wenn er sich an diese dunkle Flamme erinnerte, wo einmal nur sanfte braune Augen gewesen waren, fühlte es sich an wie ein weiterer Schlag auf einen Pfahl, der in sein Herz getrieben wurde. Mit der Dunkelheit flirten − sicher, das hatten viele Jedi getan, seit der Krieg begonnen hatte. Einige hatten sogar behauptet, es wäre die einzige Hoffnung der Galaxis. Auf dem Weltschiff vor Myrkr hatte das Einsatzteam ernsthaft darüber gesprochen und es als Möglichkeit in Erwägung gezogen.
Aber es war eine Sache, wenn zum Beispiel Kyp Durron über die Dunkelheit sprach: Er war erfüllt von komplizierter Feindseligkeit und von Selbsthass, und das war er schon immer gewesen − die unglaubliche Brutalität, die er in seiner Kindheit erlebt, und die unvorstellbaren Verbrechen, zu denen ihn das getrieben hatte, hatten ihn auf eine Weise verändert, dass für ihn jeder einzelne Tag einen neuen Kampf darum bedeutete, weiter auf der Seite des Lichts zu bleiben. Es war eine Sache für junge Jedi, in einer verzweifelten Situation darüber zu debattieren, ob sie sich der Dunklen Seite der Macht bedienen sollten.
Dass Jaina Solo ihm in die Augen sah und drohte, ihn umzubringen, war etwas vollkommen anderes.
Es tat ihm weh. Es tat ihm mehr weh, als er sich jemals hätte vorstellen können.
Man hatte die Solo-Kinder für unverwundbar gehalten. Sie waren eine neue Generation von Legenden: die saubere, reine Hoffnung der Jedi. Das Richtige zu tun war vollkommen natürlich für sie. Das war es immer gewesen. Sie waren angeblich glückliche Krieger der Macht: Alle drei waren bereits, ohne es auch nur darauf anzulegen, die Art von Helden, durch deren Imitation sich Ganner beinahe umgebracht hatte.
Sie waren dazu geboren.
Aber nun waren Anakin und Jacen tot, und Jaina hatte Ganner auf erschreckende Weise ins Bewusstsein gerufen, dass sie die Enkelin von Darth Vader war.
Und was ihm am meisten wehtat: Er konnte nichts dagegen tun.
Nein, das stimmt nicht ganz, dachte Ganner, als er langsam im Flur des Lagerschiffs auf die Beine kam. Es gibt etwas, das ich tun kann.
Vielleicht − nur vielleicht − hatte sie nur einen Bruder verloren. Es war möglich, dass Jacen noch lebte. Vielleicht konnte Ganner es beweisen. Vielleicht konnte er ihn sogar finden; es mochte Jaina nicht retten, aber es würde vielleicht dabei helfen. Und wenn er versagte … nun, dann machte das die Sache auch nicht schlimmer.
Ihr waren keine Hoffnungen mehr geblieben, die hätten zerstört werden können.
Ganner nickte, dann beugte er sich näher zu dem Vorhang, der als Tür der Kammer diente. »Entschuldigung?«, rief er leise. »Hallo? Spricht hier jemand Basic?«
»Gehen Sie weg.« Die Stimme hinter dem Vorhang klang seltsam − wenn auch nur so gerade eben − vertraut. »Es gibt hier nichts für Sie.«
Sein Gefühl, dass er hier den Tod finden würde, wuchs zu einer überwältigenden Vorahnung des Untergangs. Ganners Knie wurden weich, und ein sehr großer Teil von ihm wollte einfach nur den Flur entlangrennen und fliehen − aber obwohl er kein besonders großer Held gewesen war, war Mut die einzige Tugend, die er nie hatte vortäuschen müssen.
Er holte noch einmal tief Luft. Die Hand, die er hob, um den Vorhang beiseite zu schieben, zitterte nur ein wenig, und er starrte sie an, bis sie ruhig wurde. Dann zupfte er vorsichtig einen Schlitz zwischen dem Vorhang und der Wand auf. »Tut mir Leid, wenn ich störe«, sagte er. »Ich werde Ihnen nicht lange zur Last fallen. Ich habe nur eine Frage an Sie. Eine einzige Frage, das ist alles, und dann lasse ich Sie wieder in Ruhe.«
Von drinnen starrte ein untersetzter Mann mittleren Alters ihn kalt an. »Gehen Sie.«
»Das werde ich gleich tun«, sagte Ganner beflissen. »Aber ich höre, dass jemand, der hier wohnt, behauptet hat, Jacen Solo lebendig gesehen zu haben, auf Coruscant, nach der Invasion. Kann ich bitte mit dieser Person sprechen?«
Nach dem wenigen, was er hinter dem Vorhang erkennen konnte, schien es dahinter nur einen oder zwei kleine, beinahe unmöblierte Räume zu geben. Der Mann, der sich ihm in den Weg gestellt hatte, trug ein langes, formloses weißes Hemd, beinahe wie ein langes Gewand; die anderen − allesamt Männer − waren ebenso gekleidet. Etwas Religiöses?, fragte sich Ganner, denn sie hatten alle eine Art von Aura gemein, hielten sich alle auf die gleiche Weise, wie man es häufig bei Angehörigen fanatischer Sekten beobachten konnte. Aber vielleicht ist das auch nur eine Folge von Armut und Verzweiflung. »Ich kann bezahlen«, bot er an.
»Es gibt hier nichts für Sie«, wiederholte der Mann.
Einer der anderen trat hinter die rechte Schulter des Mannes und zeigte auf das Lichtschwert, das an Ganners Gürtel hing. Er knurrte etwas in einer gutturalen Sprache, die Ganner nicht verstand.
»Nicht jeder, der diese Art Waffe trägt, ist ein Jedi«, erwiderte der Mann, ohne den offen feindseligen Blick von Ganners Gesicht zu wenden. »Sei still.«
Wieder war Ganner verblüfft von einer seltsam vertrauten Resonanz in der Stimme, obwohl er wusste, dass er diesen Mann noch nie gesehen hatte. Irgendwie dachte er, diese Stimme sollte höher, frischer und fröhlicher sein. Er schüttelte den Kopf. Darüber würde er später nachdenken. Er war vielleicht nicht der beste Sabacc-Spieler in der Galaxis, aber er wusste, wann er die Karten offen legen musste. »Ich bin ein Jedi«, sagte er leise. »Ich heiße Ganner Rhysode. Ich bin gekommen, um mich nach Jacen Solo zu erkundigen. Wer von Ihnen hat ihn lebend gesehen?«
»Sie irren sich. Niemand hier hat etwas gesehen. Sie sollten lieber gehen.«
Einer der anderen trat vor und sagte etwas, das sich wie Shinn’l fekk Jeedai trizmek anhörte.
»Still!«, fauchte der Mann über die Schulter.
Ganners Nackenhaare sträubten sich, aber seine Miene blieb weiterhin höflich neugierig. »Bitte«, sagte er, »erzählen Sie mir, was Sie wissen.« Er dehnte seinen Einfluss in der Macht aus, um den Mann zu ein wenig Mitarbeit zu veranlassen …
Und fand sich plötzlich den Flur entlangrennend, ohne eine Erinnerung daran, sich von der Tür abgewandt zu haben, ohne eine Ahnung, wie er dorthin gelangt war.
Was?, dachte er verdutzt. Was war das?
Schwindlig und vage kam er zu einem Schluss: Dieser Mann dort hinten bediente sich der Macht − und er tat das so gut wie die mächtigsten Jedi. Dieser unauffällig aussehende Mann mittleren Alters hatte Ganners Sonde beiseite geschoben und mit einem Machtzwang zurückgeschlagen, der so stark war, dass Ganner zwar wusste, was geschehen war, seine Beine sich aber weiterhin in einem taumelnden Lauf weg von der Kammer bewegten.
Er zwang sich, stehen zu bleiben, und lehnte sich keuchend an die Wand mit der kiesähnlichen Struktur. Die Angst, die er schon längere Zeit gespürt hatte, war verschwunden: Es musste ebenfalls eine Machtprojektion gewesen sein, wenn auch von erheblich subtilerer Art. Nun, da es zu spät war, wünschte er sich, er hätte sein Versprechen gegenüber Jaina gebrochen und ein Dutzend Jedi als Verstärkung mitgebracht − denn nun spürte er aus der Kammer hinter sich nur eine Präsenz in der Macht.
Eine einzige. Die anderen vier Personen dort drinnen konnte er nicht wahrnehmen.
Sein Lichtschwert erschien in seiner Hand, und die Klinge erwachte zum Leben. Du bist nicht der Einzige, der mit der Macht spielen kann, dachte er grinsend und spürte einen Augenblick wieder den alten Rausch, das vertraute Summen froher Erwartung, mit der er plötzlicher Gefahr immer gegenübergetreten war.
In den alten Tagen.
Lass diesen Ganner zurück, sagte er sich. Er ließ die Aktivierungsplatte los, und die Klinge verschwand. Ich bin nicht mehr dieser Mann. Ich bin vorsichtig. Vorsichtig und unauffällig.
Langsam und nach und nach begann er, sich aus der Macht zurückzuziehen: Er schloss seine Machtpräsenz sukzessive ab, als bewege er sich weiter von der Kammer weg. Dadurch wurde er machtblind − aber er war in der Macht auch nicht mehr zu erkennen.
Er schlich zurück zu der Kammer und bewegte sich lautlos an der Flurwand entlang.
Ein starker Anwender der Macht auf diesem Lagerschiff − zusammen mit vier Personen, die vermutlich maskierte Yuuzhan Vong waren. Der Anwender der Macht hatte sich deutlich zu erkennen gegeben, indem er Ganner einen Zwang auferlegte; aber er könnte schon innerhalb von Minuten für immer unter diesen anonymen Millionen verschwunden sein, die sich auf dem riesigen Schiff drängten. Ganner hatte die Geschichten von Yavin 4 gehört: Er wusste, dass die Yuuzhan Vong versuchten, Jedi in ihre Dienste zu zwingen. Wenn es ihnen tatsächlich gelungen war, würden die Folgen nicht auszudenken sein.
Das alles ging weit über seinen Horizont hinaus.
Aber was blieb ihm schon übrig?
Dieser Kerl ist stärker als ich. Kalte Angst bewirkte, dass sich die Haare auf seinen Armen sträubten, und diesmal war es keine Machtprojektion. Und sie sind zu fünft.
Ich bin tatsächlich auf dem Weg, mich umbringen zu lassen. Aber er schlich weiter an der Wand entlang, das Lichtschwert locker in der kribbelnden Hand. Was hätte er sonst auch tun können? Er konnte sich nur zu gut ausmalen, wie er versuchte, sich vor Skywalker zu rechtfertigen: Na ja, äh … ich habe nichts gegen den Jedi-Verräter und die Yuuzhan-Vong-Unterwanderer unternommen, weil, na ja, ich meine, weil das … nun, es wäre doch wirklich peinlich gewesen, wenn die Leute annähmen, ich wäre umgekommen, weil ich wieder den Helden spielen wollte …
Er schob den Gedanken beiseite; er war an der Tür der Kammer angekommen, und sein Machttrick würde diesen Mann nicht länger als eine oder zwei Sekunden täuschen. Keine Zeit zu planen. Kaum Zeit zu handeln.
Kein Töten, sagte er sich. Nicht, bevor ich sicher bin, dass sie Vong sind.
Mit einem Seufzen ließ er die geistige Anspannung los, die ihn außerhalb der Macht gehalten hatte. Wahrnehmung durchflutete ihn, und in dieser Flut spürte er den Macht-Anwender in der Kammer aufflackern wie ein Leuchtfeuer in einem Asteroidengürtel.
Ganner handelte, ohne nachzudenken; er bewegte sich einfach, seine Klinge erwachte zischend zum Leben und schnitt den Vorhang von der Halterung; er packte den Stoff und zog ihn über den Kopf des ihm am nächsten stehenden Mannes im weißen Gewand, während er einen zweiten zur Seite stieß. Er täuschte einen Tritt an, sprang stattdessen hoch und riss die Rechte nach oben, um den Griff seines Lichtschwerts gegen den Kopf des dritten Mannes zu stoßen, so fest, dass sein Gegner in die Knie ging, dann benutzte er den Mann wie ein Turnpferd und schwang die Beine hoch zu einem doppelten Tritt, der den vierten umriss, als wäre er von einem Bowcaster getroffen worden. Er fuhr herum zu dem ersten Mann, gerade als es dem gelungen war, sich den Vorhang vom Kopf zu reißen, und fällte ihn mit einem Ellbogenhieb gegen das Kinn. Er spürte Bewegung hinter sich und sprang in einem von der Macht gestützten Salto rückwärts, der ihn hoch und weit in die Luft beförderte. Er landete in einer Armeslänge Abstand − vollkommen im Gleichgewicht − vor dem fünften Mann; die Spitze seiner Lichtschwertklinge war einen halben Zentimeter von der Kehle seines Gegenübers entfernt.
»Niemand ist tot und niemand schwer verletzt«, sagte Ganner kühl, die Stimme so gleichmäßig wie das Summen seines Lichtschwerts. »Aber das kann sich ändern. Jederzeit. Es liegt an euch.«
Die vier Weißroben, die in der Macht nicht sichtbar waren, waren in der kleinen Kammer verteilt, entweder aus dem Gleichgewicht gebracht oder am Boden liegend. Sie zögerten. Der fünfte Mann blieb reglos stehen.
Ganner konnte sich die Spur eines Lächelns nicht verkneifen. Das habe ich nicht nur gut hingekriegt, dachte er, sondern auch mit Stil. Er erstickte den Gedanken, sobald er ihn bemerkte, verärgert über sich selbst. Gerade, als ich glaubte, Fortschritte zu machen …
»Also gut«, sagte er ruhig, leise und bedächtig. Er sah den Mann mittleren Alters an und drehte das Lichtschwert; in den rot geränderten Schatten, die durch das gelbe Glühen der Klinge nach oben geworfen wurden, war das Starren des Fremden so kalt wie zuvor. »Zurück. Auf die Tür zu.«
Der Blick des Mannes wurde weicher, wirkte nun eher resigniert, und er schüttelte den Kopf in trauriger Weigerung.
»Ich bluffe nicht«, sagte Ganner. »Sie und ich, wir werden nach draußen gehen und uns unterhalten. Solange niemand etwas Dummes tut, gibt es keinen Grund, wieso wir nicht alle überleben sollten. Und jetzt Bewegung.«
Noch ein Zucken des Lichtschwerts, genug, um einen Mikrometer Haut vom Schlüsselbein des Mannes zu kratzen − und der Mann seufzte nur. »Ganner, du Trottel.«
Ganner befeuchtete sich die Lippen. Er sagt das, als würde er mich kennen. »Sie scheinen nicht zu verstehen …«
»Du bist derjenige, der es nicht versteht«, erwiderte der Mann müde. »Wir werden beobachtet. Jetzt. Wenn ich auch nur einen Schritt vor diese Kammer mache, wird ein Yuuzhan-Yong-Pilot, der uns belauscht, einen Dovin-Basal auslösen, der nicht weit von hier versteckt ist. Es wird nur zehn Sekunden dauern, bis dieses ganze Schiff in ein schwarzes Loch fällt. Hundert Millionen werden sterben.«
Ganner riss den Mund auf. »Was … wie … ich meine, warum würden …?«
»Weil sie mir noch nicht trauen«, sagte er traurig. »Du hättest nicht zurückkommen sollen, Ganner. Jetzt kannst du diesen Raum nicht mehr lebendig verlassen.«
»Ich bin einfach genug reingekommen …«
»Rauskommen ist etwas anderes. Und selbst falls du fürs Erste rauskommen würdest − da du weißt, was du bereits weißt …«
»Falls ich rauskommen würde? Wer hat denn hier das Lichtschwert in der Hand?«
»Es ist kein Bluff, Ganner. Ich wünschte, es wäre einer.«
Ganner konnte hören, dass der Mann von dem, was er sagte, wirklich überzeugt war, und in der Macht spürte er die Wahrheit hinter seinen Worten. Aber ich weiß bereits, dass er stärker ist als ich. Er könnte mir diese Wahrnehmung von Wahrheit suggerieren, und ich würde es nie erfahren. Und selbst wenn es wahr wäre, er konnte einfach nicht verstehen, worum es hier ging …
Er hatte nicht die geringste Ahnung, was los war oder was er unternehmen sollte.
»Ich sage dir das«, fuhr der Mann fort, »weil das Gleiche passieren wird, wenn ich getötet werde. Falls mein Gewissen mich veranlassen sollte, mich selbst zu opfern. Wie ich sagte, sie trauen mir noch nicht.«
»Aber … aber …«, stotterte Ganner. Das Gefühl, dass dies alles über seinen Horizont ging, wurde intensiver. Er ertrank geradezu darin. Er packte das Lichtschwert mit beiden Händen, damit die Klinge nicht zitterte, und versuchte, wieder die Kontrolle über die Situation zu übernehmen. »Ich will nur hören«, sagte er beinahe kläglich, »was Sie über Jacen Solo wissen. Fangen Sie an zu reden, oder ich werde davon ausgehen müssen, dass Sie bluffen.«
Der Mann sah Ganner an, als würde er ihn kennen, als hätte er ihn seit Jahren gekannt, als durchschaue er ihn, melancholisch, wie enttäuschte Eltern. Wieder seufzte er. »Reden wird nicht helfen.«
»Sie haben keine Wahl.«
»Es gibt immer eine Wahl.«
Langsam, entschlossen und ohne im Geringsten bedrohlich zu wirken, hob er eine Hand. Er drückte auf eine Stelle an der Seite seiner Nase, und sein Gesicht spaltete sich.
Ganner trat instinktiv einen Schritt zurück.
Das Gesicht des Mannes schälte sich ab wie die Schale einer ithorianischen Blutfrucht, dicke, fleischige Lappen lösten sich voneinander und nahmen das schüttere strähnige Haar, die schlaffen Tränensäcke, die Hängebacken, die sein Kinn breiter gemacht hatten, dabei mit. Ein Netz haarfeiner Fäden zog sich langsam aus den Poren des Gesichts darunter zurück und hinterließ eine dünne Blutspur.
Das Gesicht, das Ganner unter der sich zurückziehenden Maske sah, war schmal und wie gemeißelt, und es hatte einen unordentlichen Bart und verfilztes Haar, das vielleicht braun war. Aber trotz der Blutrinnsale und der Grimasse, die das Herausziehen der Maskenfäden bewirkte, erkannte Ganner dieses Gesicht sofort − obwohl es zu alt war, zu faltig von Entbehrungen und Schmerz, obwohl in den Augen zu viel traurige Erfahrung stand, als dass es das Gesicht sein konnte, an das er sich erinnerte.
Als er schließlich wieder sprechen konnte, war das einzige Wort, das sein Mund bilden konnte: »Jacen …«
»Hallo, Ganner«, sagte Jacen müde. Er griff in seinen Ärmel und holte einen kleinen Beutel heraus, den er öffnete, nach außen stülpte und dann über seine Hand zog wie einen Handschuh, woraufhin ein kleines Stoffstück sichtbar wurde, das sich in dem Beutel befunden hatte. Er warf es Ganner zu. »Hier, fang.«
Ganner war zu verblüfft, um etwas anderes zu tun als dem Reflex zu folgen und das Stoffstück zu fangen. Es war feucht und warm von Jacens Körperwärme. »Jacen? Was ist hier los?«
Taubheit sammelte sich in der Mitte seiner Handfläche und begann, zu seinem Handgelenk aufzusteigen. Er betrachtete das Stoffstück in seiner Hand stirnrunzelnd. »Was ist das?«
»Die Tränen einer Freundin von mir«, sagte Jacen. »Sie sind ein Kontaktgift.«
»Was?« Ganner starrte seine Hand an. »Du machst Witze, oder?«
»Ich habe dieser Tage nicht viel Sinn für Humor.« Jacen schälte den Beutel von der Hand und warf ihn weg. »Du wirst in etwa fünfzehn Sekunden das Bewusstsein verlieren.«
Ganners Hand war bereits vollkommen taub, und sein rechter Arm hing schlaff herunter; die Taubheit zog weiter in seine Brust, und als sie sein Herz berührte, schoss sie durch seinen ganzen Körper. Er fiel nach vorn, unfähig, auch nur den Arm zu heben, um seinen Sturz zu brechen − aber Jacen fing ihn auf und legte ihn sanft auf den Boden.
»Weckt den Villip«, sagte Jacen zu einem der anderen Männer − Ganner wusste nun, dass sie Yuuzhan-Vong-Krieger sein mussten. »Sagt Nom Anor, dass unsere Falle nicht funktioniert hat. Andere Jedi werden diesem hier folgen. Wir müssen nach Hause zurückkehren.«
Nom Anor? Nach Hause zurückkehren?, dachte Ganner, während sich die Dunkelheit langsam um seinen Geist schloss. Sie haben es geschafft. Sie haben Jacen erwischt.
Sie haben ihn umgedreht.
Einer der Krieger bellte etwas in dieser harschen Sprache.
Jacen schüttelte den Kopf. »Nein. Wir nehmen ihn mit.«
Erneut diese bellenden Laute …
»Weil ich es sage«, antwortete Jacen. »Wagen Sie es etwa, sich meinem Wort zu widersetzen?«
Mit einer letzten Anspannung seiner Willenskraft benutzte Ganner die Macht, um sein Lichtschwert zu packen, und drückte die Aktivierungsplatte, um die Klinge zu aktivieren. Einer der Krieger stieß eine Warnung in ihrer gutturalen Sprache aus.
Jacen machte eine Geste, und Ganner spürte, wie ein stärkerer Geist als seiner das Lichtschwert packte und es ihm entriss. Die Klinge des Lichtschwerts verschwand.
Der Griff hing leicht schwankend in der Luft zwischen Jacen und den Kriegern.
»Besudelt euch nicht, indem ihr diese blasphemische Waffe berührt«, sagte Jacen.
Das Letzte, was Ganner sah, bevor die Dunkelheit ihn verschlang, war ein Amphistab, der sich aus Jacen Solos Ärmel schlängelte und den Griff von Ganners Lichtschwert in zwei Teile schnitt.
»Wir werden diesen jämmerlichen Ersatz für einen Jedi nach Yuuzhan’tar mitnehmen«, sagte Jacen Solo. »Dann töten wir ihn.«
In dem Lagerschiff bewegte sich eine Kammer. Diese Kammer war besonders gezüchtet und nur zu einem einzigen Zweck in dieses bestimmte Lagerschiff eingefügt worden. Sie hatte ausgesehen wie eine weitere ganz normale Kammer in dieser Wabe aus Millionen Zellen, aber nun löste sie sich und glitt unter der Außenhaut des Lagerschiffs entlang wie ein Parasit, der sich seinen Weg durch die Haut des Wirtstiers nach draußen graben will.
Diese besondere Kammer umschloss ein Stück Yorikkoralle, das über seinen eigenen Dovin-Basal verfügte. Der Dovin-Basal konnte auf zwei Arten benutzt werden. Auf einen bestimmten Befehl hin hätte er ein Schwerkraftfeld errichtet, das intensiv genug gewesen wäre, das gesamte Lagerschiff zu einer Punktmasse zusammenzudrücken, die kleiner war als ein Sandkorn; aber nun hatte er den anderen Befehl erhalten, und daher würde er die Kammer und die Personen darin quer durch die Galaxis bringen.
An der Haut des Lagerschiffs, an seiner dunklen Seite, entwickelte sich eine kleine Blase. Als sie platzte, spuckte sie die Kammer aus, die sofort davonraste, hektisch in den Hyperraum beschleunigte und sich auf den Weg nach Yuuzhan’tar machte.
In der Kammer befanden sich vier Krieger der Yuuzhan Vong, ein Pilot für das Korallenstück und zwei Menschen. Einer der Menschen saß in stiller Meditation da. Der andere lag gelähmt und bewusstlos auf dem Boden, aber selbst in der dunklen Leere, in der er zu schweben schien, klammerte er sich an einen Gedanken. Er wusste nicht, wohin man ihn brachte, er wusste nicht, was mit ihm geschehen würde, er wusste nicht einmal wirklich, wo er war. Er wusste nur eins.
Es gab nur einen Gedanken, dem er all seine Kraft lieh, um ihn sich für immer einzuprägen:
Jacen Solo ist ein Verräter.