Prolog

Den Schmerz annehmen

 

Außerhalb des Universums ist nichts.

Dieses Nichts nennt man Hyperraum.

Eine winzige Existenzblase hängt im Nichts. Diese Blase nennt man ein Schiff.

Die Blase bewegt sich weder, noch verharrt sie reglos, sie hat nicht einmal eine Richtung, da es im Nichts keine Entfernungen oder Richtungen gibt. Sie hängt einfach da, eine Ewigkeit oder weniger als einen Augenblick, denn im Nichts gibt es auch keine Zeit. Zeit, Entfernung und Richtung sind nur innerhalb der Blase bedeutsam, und die Blase erhält diese Dinge nur aufrecht, indem sie das Innen vollkommen vom Außen trennt.

Die Blase ist ihr eigenes Universum.

Außerhalb des Universums ist nichts.

 

Jacen Solo hängt im Weiß und erforscht das Spektrum des Schmerzes.

Im tiefen Infrarot findet er Funken von Durst, die seine Kehle ausdörren. Höher, in den sichtbaren Wellenlängen, glühen die scharlachroten, zu Drähten gestreckten Bänder, die in seinen Schultern knistern; knirschende Glassplitterlaute steigen kreischend aus seinen Hüftgelenken auf wie die Todesschreie goldener ithorianischer Sternblüten. Es gibt auch Grün − brodelnde Säurezungen, die gierig an seinen Nerven lecken −, ebenso blitzblaue Schocks, die bewirken, dass sein überreizter Körper sich immer wieder verkrampft.

Und noch höher, nicht weit hinter dem ultravioletten Verrat, der ihn hierher brachte − dem Verrat, der ihn den Yuuzhan Vong auslieferte, dem Verrat, der ihn in diese Umarmung des Schmerzes schleuderte, dem Verrat durch Vergere, der er vertraute −, findet er lautlose, zerrüttende Gammastrahlensalven, die sich in sein Hirn bohren.

Diese Gammastrahlensalven haben die Farbe des Todes seines Bruders.

Anakin, stöhnt er irgendwo tief drinnen, Anakin, wie kannst du tot sein?

Es hatte in seiner Familie schon öfter Todesmeldungen gegeben; mehr als einmal hatte er Jaina, seinen Vater, seine Mutter oder Onkel Luke für verloren gehalten. Er hatte sie beweint, hatte getrauert − aber es stellte sich immer heraus, dass es eine Falschmeldung war, ein Missverständnis, manchmal sogar ein bewusst angewandter Trick … Am Ende waren sie immer zu ihm zurückgekehrt.

Bis Chewbacca starb.

Als der Mond auf Sernpidal fiel, zerstörte er nicht nur Chewbaccas Leben, sondern auch die Magie, die sie alle offenbar stets geschützt hatte. Etwas im Universum war gekippt und hatte einen Riss in die Wirklichkeit geöffnet, und durch diesen Riss war der Tod in seine Familie eingedrungen.

Anakin! Jacen sah ihn sterben. Spürte ihn sterben, durch die Macht. Sah seinen leblosen Körper in den Händen der Yuuzhan Vong.

Anakin war nicht einmal schwächer geworden.

Er war einfach nur gestorben.

In einem einzigen unmöglichen Augenblick hörte Anakin auf, der Bruder zu sein, mit dem Jacen gespielt, den er geneckt, auf den er aufgepasst, dem er Streiche gespielt, mit dem er sich gestritten, um den er sich gekümmert, mit dem er trainiert, den er geliebt hatte. Und er wurde zu … was? Zu einem Gegenstand. Zu sterblichen Überresten. Keine Person; keine Person mehr. Nun gibt es nur noch eine Person, die Anakin ist: das Bild, das Jacen im Herzen trägt.

Ein Bild, das anzuschauen er sich nicht einmal selbst gestatten kann.

Jeder kurze Blick auf Anakin, auf sein leichtsinniges Grinsen, das dem ihres Vaters so ähnlich war, seine Augen, in denen eine leidenschaftliche Willenskraft glühte ein Spiegelbild der Augen ihrer Mutter −, seine leichtfüßige, athletische Kriegeranmut, so ähnlich der von Onkel Luke: Das sind die Gammasalven, die bis ins Mark brennen, die sein Hirn zum Sieden bringen, bis das Brodeln droht, seinen Schädel zu sprengen.

Aber wenn er den Blick von Anakin abwendet, kann er nichts anderes als Schmerzen sehen.

Er kann sich nicht erinnern, ob er sich auf einem Schiff oder immer noch auf einem Planeten befindet. Er erinnert sich vage an eine Gefangennahme an Bord eines Yuuzhan-Vong-Schiffes, eines Weltschiffs, aber er ist nicht vollkommen sicher, ob er selbst es war, der da gefangen genommen wurde, oder ein anderer. Er kann sich nicht mehr erinnern, ob solche Unterscheidungen etwas bedeuten. Er kennt nur das Weiß.

Er erinnert sich, dass er schon öfter gefangen genommen wurde. Er erinnert sich an Belkadan, erinnert sich an seinen eitlen Traum davon, die Sklaven zu befreien, erinnert sich an das schiere Entsetzen, als er bemerkte, dass seine Macht-Kräfte ihm nicht gegen die Yuuzhan Vong helfen würden; er erinnert sich an die Umarmung des Schmerzes, erinnert sich daran, wie sein Onkel Luke ihn rettete.

Meister Luke. Meister Skywalker.

Er erinnert sich an Vergere. Diese Erinnerung wiederum führt ihn zur Voxyn-Königin, und die Voxyn-Königin lässt ihn erneut voller Verzweiflung auf Anakins Leiche zudriften. Anakins Leiche treibt auf einem brennenden See der Qual, die schlimmer ist als alles, das Jacens Körper zustoßen könnte.

Jacen weiß − auf intellektuelle, distanzierte, abstrakte Weise −, dass er einmal außerhalb des Weiß existierte. Er weiß, dass er einmal Glück, Freude, Bedauern, Zorn, sogar Liebe empfand. Aber das sind nur Gespenster, Schatten, die unterhalb des Tosens der Schmerzen wispern, dieser Schmerzen, die alles erfüllen, was er ist, alles, was er je sein wird; die schlichte Tatsache, dass das Weiß einen Anfang hatte, lässt nicht unweigerlich auf ein Ende schließen. Jacen existiert außerhalb der Zeit.

Wo Jacen ist, ist nur Weiß und die Macht.

Die Macht ist die Luft, die er atmet − ein kühler Hauch geistiger Gesundheit, eine sanfte Brise aus einer gesunden Welt −, obwohl er sie ebenso wenig greifen kann, wie er den Wind halten könnte. Sie umgibt ihn, erfüllt ihn, akzeptiert sein Leiden und sorgt dafür, dass er nicht den Verstand verliert. Sie erinnert ihn mit einem Flüstern daran, dass Verzweiflung zur Dunklen Seite gehört, und dieses Flüstern gibt ihm die Kraft weiterzuleben.

Wie in sehr weiter Ferne spürt er in dieser kühlen Brise auch einen Knoten von Zorn, von finsterer Wut und Verzweiflung, der sich noch fester zusammenzieht, komprimiert bis zur Dichte eines Diamanten und darüber hinaus, bis er sich schließlich selbst pulverisiert. Er spürt durch die Verbindung, die seit ihrer Geburt besteht, wie seine Zwillingsschwester in die Dunkelheit stürzt.

Jaina, fleht er in einer stillen Ecke seines Herzens. Tu es nicht. Jaina, halte durch …

Aber er kann sich nicht erlauben, sie in der Macht zu berühren; er kann sie nicht bitten, seine Qualen zu teilen − sie leidet bereits so sehr, dass noch mehr Leid sie nur tiefer in die Dunkelheit treiben würde. Und so wird auch die Verbindung zu seiner Zwillingsschwester für ihn zu einer Quelle der Pein.

Jacen ist zu einem Prisma geworden, das das glitzernde Spektrum des Schmerzes zu reiner, glühender Qual bündelt.

Diese Qual ist weiß.

Schneeblind in einem ewigen Eismittag des Leidens hängt Jacen Solo in der Umarmung des Schmerzes.

 

Durch die Berührung einer Hand an seinem Kinn sickerte Zeit ins Weiß. Es war keine Menschenhand, auch nicht die eines Wookiee, nicht die eines Familienmitglieds oder guten Freunds − es waren vier Finger, fest wie die Klauen eines Kaptors −, aber die Berührung war warm und feucht und irgendwie nicht unfreundlich. Die Schmerzen zogen sich in seinen Hinterkopf zurück, bis er wieder denken konnte, obwohl er spürte, dass sie dort weiterhin lauerten, warteten. Er wusste, dass sie ihn wieder überwältigen, sich wieder in Wellen an ihm brechen würden, aber im Augenblick …

Die Qualen verebbten langsam, und Jacen konnte die Augen öffnen.

Die Hand, die ihn aus dem Weiß geholt hatte, gehörte Vergere. Sie stand unterhalb von ihm und blickte mit ihren großen Augen zu ihm auf, die Finger immer noch an seiner Wange.

Jacen hing horizontal und mit dem Gesicht nach unten zwei Meter oberhalb eines Bodens aus nassem, glatt aussehendem Grün und Braun − die Oberfläche war von Knoten und Ranken durchzogen, oder waren das Sehnen und Adern? Die Wände sonderten ölige Feuchtigkeit ab, die vage organisch roch: Banthaschweiß und Falkenfledermauskot. Aus der Dunkelheit über ihm hingen Tentakel wie bewegliche Augenstiele herab, die Enden mit glühenden Kugeln versehen, die ihn anstarrten, während die Tentakel sich verflochten und tanzten und sich umeinander drehten.

Er verstand: Der Feind sah zu.

Etwas, das sich wie Klauen anfühlte, hielt seinen Schädel scharf und unnachgiebig von hinten fest; er konnte den Kopf nicht drehen, um zu sehen, was das war. Seine Arme waren weit zur Seite gezogen und so verdreht, dass seine Schultern in ihren Gelenken kreischten. Ein einziger fester Griff drückte seine Fußknöchel zusammen, ließ Knochen gegen Knochen knirschen …

Aber der größte Schmerz ging nun davon aus, Vergere zu sehen und sich daran zu erinnern, dass er ihr vertraut hatte.

Sie zog die Hand zurück und bewegte die Finger, während sie sie mit einem Ausdruck anstarrte, der bei einem Menschen vielleicht ein Lächeln gewesen wäre − als wäre ihre Hand ein fremdartiges Werkzeug, das sich vielleicht auch als Spielzeug benutzen ließe.

»Unsere Herren«, sagte sie beiläufig, als setzte sie ein lange zuvor begonnenes freundschaftliches Gespräch fort, »halten es nicht für beschämend, wenn ein Krieger in deiner Situation um den Tod bittet. Hin und wieder wird er gewährt, um großen Mut auszuzeichnen. Es gibt einige auf diesem Schiff, die behaupten, durch das, was du mit der Voxyn-Königin gemacht hast, hast du dir eine solche Ehre verdient. Andererseits will der Kriegsmeister dich lebendig haben, damit er dich den Wahren Göttern opfern kann. Auch dies ist eine sehr große Ehre. Verstehst du das?«

Jacen verstand nichts außer seinen Schmerzen, den körperlichen und den seelischen, angesichts des Verrats. »Ich …« Wenn er sprach, riss es in seiner Kehle, als würde er Transparistahlsplitter husten. Er verzog das Gesicht und kniff die Augen zu, bis Galaxien in ihnen aufblitzten, dann biss er die Zähne zusammen und sprach dennoch weiter. »Ich habe dir vertraut

»Ja, das hast du.« Sie öffnete die Hand, drehte ihre geviertelte Handfläche nach oben, als wollte sie eine fallende Träne auffangen, und lächelte ihn an. »Warum?«

Jacen konnte keinen Atem finden, um zu antworten, und dann stellte er fest, dass er keine Antwort hatte.

Sie war so fremd …

Er war auf Coruscant aufgewachsen, dem Dreh- und Angelpunkt der Galaxis, und konnte sich an keinen einzigen Zeitpunkt erinnern, an dem er nicht Dutzende − ja Hunderte, sogar Tausende − vollkommen unterschiedlicher Spezies gesehen hatte, wenn er auch nur aus dem holografischen Fenster seines Schlafzimmers schaute. Alle Raumstraßen führten nach Coruscant. Alle intelligenten Spezies der Neuen Republik hatten dort ihre Vertreter. Rassismus war ihm vollkommen fremd; Jacen war ebenso wenig imstande, jemanden nicht zu mögen oder ihm zu misstrauen, weil er einer anderen Spezies angehörte, wie er imstande gewesen wäre, Methan zu atmen.

Aber Vergere … Ihr Körper war kompakt und geschmeidig, und sie hatte lange, seltsam bewegliche Arme, als verfügten sie über zusätzliche Gelenke. Von ihren Händen gingen Finger aus wie die Greifstacheln andoanischer Felsenpolypen, ihre Knie beugten sich nach hinten … Er war sich bewusst, dass er noch nie zuvor ein Geschöpf von Vergeres Art gesehen hatte. Ihre lang gezogenen, hellen Augen hatten die Form von Tränen, und eine Spur von Schnurrhaaren umgab ihren breiten, ausdrucksvollen Mund … aber was drückte er aus? Wie konnte Jacen wissen, was die Bewegungen ihrer Lippen tatsächlich bedeuteten?

Es erinnerte an ein menschliches Lächeln, aber sie selbst erinnerte in nichts an einen Menschen.

Vielleicht benutzte ihre Spezies den Busch irisierender Federn am Kopfkamm, um Signale zu geben; im Augenblick stellten sich die Federn nahe dem hinteren Ende ihres abgeplatteten Kopfs auf und spreizten sich, und ihre Farbe wechselte von Sternenlichtsilber zum Rot einer Blastersalve. War das etwas, das einem Lächeln entsprach? Oder dem trockenen Schulterzucken eines Menschen? Oder der Drohgebärde eines Raubtiers?

Woher sollte er das wissen?

Wie hatte er ihr je vertrauen können?

»Aber du …«, keuchte er. »Du hast Mara gerettet …«

»Habe ich das?«, zirpte sie vergnügt. »Und wenn ja, welche Bedeutung misst du dem bei?«

»Ich dachte, du stündest auf unserer Seite …«

Eine Braue wölbte sich nach oben. »So etwas wie ›unsere Seite‹ gibt es nicht, Jacen Solo.«

»Du hast mir geholfen, die Voxyn-Königin zu töten …«

»Dir geholfen? Mag sein. Vielleicht habe ich dich auch benutzt, vielleicht hatte ich meine eigenen Gründe, den Tod der Voxyn-Königin zu wünschen, und du warst eine nützliche Waffe. Oder vielleicht bist du es, für den ich mich wirklich interessiere; vielleicht habe ich Mara meine Tränen gegeben … vielleicht habe ich dir geholfen, die Begegnung mit der Voxyn-Königin zu überleben … vielleicht habe ich all das getan, nur um dich hierher bringen zu können und dich in der Umarmung des Schmerzes aufzuhängen.«

»Und was …«, zwang Jacen sich zu fragen, »was war nun wirklich der Grund?«

»Was glaubst du, dass es war?«

»Ich − ich weiß es nicht … Wie könnte ich es wissen?«

»Warum fragst du mich? Wie könnte ich mir herausnehmen, einen Jedi in den Feinheiten der Erkenntnistheorie zu unterweisen?«

Jacen erstarrte im Griff der Umarmung des Schmerzes; er war nicht so gebrochen, dass er nicht bemerkt hätte, wenn man ihn verspottete. »Was willst du von mir? Warum hast du das getan? Warum bist du hier?«

»Tief schürfende Fragen, kleiner Solo.« Über ihre Kammfedern spielte ein schimmernder Regenbogen; es sah aus, als mische ein erfahrener Spieler ein Sabacc-Spiel mit Diamantkanten. »Es käme der Wahrheit recht nahe, wenn man behauptete, dass ich eine Botin der Melancholie bin − eine Verkünderin der Tragödie. Ich bringe Geschenke, um die Trauernden zu trösten. Ich bin selbst eine Trauernde und bringe Dinge, die würdig sind, ein Grabmal zu schmücken. Ich bin eine Hohepriesterin, die den Toten einen letzten Segen geben will …«

Jacen war schwindlig. »Was redest du da? Ich kann nicht … Ich …« Seine Stimme verklang, und er erschlaffte erschöpft.

»Selbstverständlich nicht. Es genügt, dass die Toten ihren Tod erleiden; wäre es denn gerecht, von ihnen auch noch zu verlangen, dass sie ihn verstehen?«

»Du sagst …« Jacen leckte sich die Lippen, und seine Zunge war so trocken, dass sie sie nur noch mehr aufriss. Ich werde es ertragen, dachte er. Ich mag kein besonders guter Krieger sein, aber ich kann immer noch wie einer sterben. »Du sagst also, dass du mich töten wirst.«

»O nein, ganz und gar nicht.« Aus Vergeres Mund kam ein wohlklingendes Geläut wie von endorischen Windkristallen; er nahm an, es stellte ein Lachen dar. »Ich sage, du bist bereits tot.«

Jacen starrte sie an.

»Du bist für die Welten, die du kanntest, für immer verloren«, fuhr sie mit einer fließenden, fremdartigen Geste fort, die vielleicht einem Schulterzucken entsprach. »Deine Freunde trauern, dein Vater tobt, deine Mutter weint. Dein Leben wurde beendet: Es wurde eine Trennlinie zwischen dir und allem, was du je kanntest, gezogen. Du hast die Trennlinien gesehen, die über Planeten ziehen, die Zwielichtlinien zwischen Tag und Nacht. Du hast eine solche Linie überquert, Jacen Solo. Die leuchtenden Felder des Tages gehören für dich nun der Vergangenheit an.«

Aber nicht alles, was er wusste, war vergangen, nicht, solange er noch lebte. Er war ein Jedi. Er tastete mit seinen Sinnen …

»Oh, die Macht«, zirpte Vergere verächtlich. »Die Macht ist Leben; was hat das Leben mit dir zu tun?«

Schmerzen und Erschöpfung hatten Jacens Fähigkeit zu staunen versickern lassen; es war ihm gleich, wie Vergere wusste, was er tat. Er öffnete sich der Macht, ließ sich von dieser klaren Kaskade durchspülen, ließ sie seine Schmerzen und die Verwirrung auflösen − und fand an seiner Seite eine Verbindung zur Macht, die so tief reichte wie seine eigene.

Vergere knisterte geradezu davon.

Jacen murmelte: »Du bist eine Jedi …«

Vergere lachte. »Es gibt hier keine Jedi«, sagte sie, und machte eine Geste, die nicht länger dauerte als ein Blinzeln.

In Jacens Kopf brach ein Wirbel interstellarer Gase in sich zusammen und ließ hinter seinen Augen einen Protostern aufflackern. Der Protostern schwoll an, gewann an Kraft, an Intensität, bis das Licht in seinem Kopf das hölzerne Schimmern der Kammer, in der er hing, wegwusch. In diesem Gleißen hörte er Vergeres Stimme, kalt und präzise wie das Licht eines fernen Quasars.

»Ich bin deine Führerin durch die Lande der Toten.«

Danach sah und hörte er nichts mehr.

Eine lautlose Supernova explodierte in Jacens Hirn und sprengte das Universum.

Sekunden oder Jahrhunderte vergingen ohne Wahrnehmung.

Dann schwamm das Bewusstsein zu ihm zurück, und als er die Augen öffnete, stellte er fest, dass er immer noch in der Umarmung des Schmerzes hing. Vergere stand immer noch unter ihm, auf dem Gesicht das gleiche fremdartige Faksimile vergnügten Spotts.

Nichts hatte sich verändert.

Alles hatte sich verändert.

Denn das Universum war nun leer.

»Was …?«, krächzte Jacen mit so wundem Hals, als hätte er tagelang im Schlaf geschrien. »Was hast du mir angetan …?«

»Du hast nichts mit der Macht zu tun und sie nichts mit dir. Ich soll zulassen, dass du die Macht hast? Was für eine Idee! Das muss etwas für Menschen Typisches sein − ihr Säugetiere seid so impulsiv, so leichtsinnig: Kleinkinder, die beim Zahnen auf einen Blaster beißen. Nein, nein, nein, kleiner Solo. Die Macht ist viel zu gefährlich für Kinder. Erheblich gefährlicher als diese lächerlichen Lichtschwerter, mit denen ihr alle so gerne herumfuchtelt. Also habe ich sie dir genommen.«

Die Leere des Universums heulte in seinem Kopf.

Da draußen war nichts.

Nur ein gewaltiges interstellares Vakuum.

All seine Ausbildung, all seine Begabung bedeutete dem grenzenlos gleichgültigen Kosmos nichts; die Macht war nur das Gespenst eines Traums, aus dem er noch nicht erwacht war.

Jaina Er stürzte sich verzweifelt in die Verbindung, die immer da gewesen war, suchte seine Schwester, seine Zwillingsschwester; er ergoss sein Entsetzen und seine Trauer in die Leere, die dort klaffte, wo diese Verbindung sich immer befunden hatte.

Nur Schweigen. Nur Leere. Nur Abwesenheit.

O Jaina Jaina, es tut mir so Leid …

Nachdem die Verbindung, die zwischen ihnen in der Macht bestanden hatte, gebrochen war, würde selbst Jaina ihn für tot halten.

Würde wissen, dass er tot war.

»Es ist unmöglich − du kannst unmöglich …« Er erkannte dieses leise Wimmern eines Kindes, das sich im Dunkeln fürchtete, kaum mehr als seine eigene Stimme.

»Aber ich habe es getan. Wirklich, diese Sache mit der Macht … du bist ohne sie besser dran. Wenn du ein braver Junge bist, gebe ich sie dir zurück, wenn du groß bist.«

»Aber …« Wie konnte sein Universum so zerbrechlich sein? Wie war es möglich, dass sich alles, was er war, so leicht brechen ließ? »Aber ich bin ein Jedi …«

»Du warst ein Jedi«, verbesserte sie. »Hast du nicht aufgepasst? Was am Totsein hast du immer noch nicht verstanden?«

»Ich …« Jacens Lider schlossen sich.

Tränen sammelten sich unter den Lidern, und als er die Augen wieder öffnete, lösten sich diese Tränen direkt von seinen Augäpfeln und klatschten neben Vergeres Füßen auf den Boden. Einer der Augenstiele bewegte sich weiter nach unten, um sie zu untersuchen. »Ich verstehe überhaupt nichts mehr … Ich kann es nicht begreifen …«

Vergere streckte die nach hinten gebogenen Beine, stellte sich auf die Zehenspitzen und brachte ihren breiten, von Schnurrhaaren umgebenen Mund ganz dicht an Jacens Ohr.

»Jacen Solo. Hör gut zu.« Ihre Stimme war warm und freundlich, und ihr Atem roch nach Gewürzen, die in fremder Erde gewachsen waren. »Alles, was ich dir sage, ist eine Lüge. Jede Frage, die ich stelle, ist ein Trick. Du wirst in mir keine Wahrheit finden.« Sie kam nahe genug, dass ihre Barthaare sein Ohr kitzelten, und flüsterte: »Selbst wenn du mir nichts anderes glaubst − darauf kannst du dich verlassen.«

Jacen starrte in Augen, die so schwarz und allumfassend waren wie der interstellare Raum. Er flüsterte: »Was bist du?«

»Ich bin Vergere«, antwortete sie schlicht. »Was bist du

Sie wartete, reglos, geduldig, als wolle sie sich bestätigen, dass ihm keine Antwort einfiel, dann wandte sie sich ab. Eine Schließmuskelluke in der Wand öffnete sich mit einem nassen Geräusch, als öffneten sich Lippen zu einem Kuss, und Vergere ging, ohne noch einmal zurückzuschauen.

Die Wände und die Decke knarrten wie die Gelenke eines alten Mannes, als sich der Griff der Schmerzumarmung wieder festigte. Jacen Solo wurde erneut von mörderischen Qualen verschlungen.

Nun gibt es keine Macht mehr für Jacen, keinen kühlen Hauch von Leben und geistiger Gesundheit, keine Jaina mehr, kein Leben.

Wo Jacen ist, gibt es nur noch das Weiß.