Kapitel 6

 

Auch im Lauf der folgenden Woche fing ich immer wieder an zu kichern, wenn ich an die Begegnung mit Hassos Herrchen dachte.

Dementsprechend gut gelaunt setzte ich mich am Freitag nach Feierabend an meinen Computer.

Wie in jeder Woche hatte ich zwar auch diesmal wieder ein interessantes Buch in der S-Bahn ergattert, aber ich war gar nicht so erpicht wie sonst darauf, mit dem Lesen anzufangen. Vielmehr wollte ich endlich meine Geschichte loswerden. Außerdem war ich natürlich gespannt, wie es Lily bei ihrem außergewöhnlichen Picknick ergangen war.

Ihre Nachricht fiel mir sofort ins Auge, als ich mein E-Mail-Programm öffnete. Sie war ökonomisch kurz gehalten und bestand nur aus einem Satz:

Und, wie war’s?

 

Meine Antwort wurde ein bisschen umfangreicher. Ausführlich schilderte ich Lily von meinem Picknick bei Sonnenaufgang auf der Waldlichtung. Als ich von meinem Aufeinandertreffen mit Hasso und seinem Besitzer berichtete, fing ich unwillkürlich wieder an zu grinsen.

 

Das war klasse von dir, schrieb Lily als Reaktion auf meinen Rat an Hasso zurück. Ich hoffe, der Hund hat ihm nicht nur auf die Handbremse gekotzt, sondern nach der üppigen Mahlzeit auch noch tagelang herumgefurzt. Das riecht nämlich echt fies. Verdient hätte der Kerl das allemal. So ein Ekel!

Ich hatte übrigens eine ganz ähnliche Idee wie du. Ich habe nämlich auch ein Frühstück geplant, und zwar direkt in einer ganz engen Stelle in der Fußgängerzone – natürlich pünktlich zu Beginn der Ladenöffnungszeit. Dann hätte nämlich jeder über mich drübersteigen müssen. Ich habe mir das ganz witzig vorgestellt. Bei solchen Aktionen kommt man immer ganz leicht mit den Leuten ins Gespräch, auch wenn natürlich grundsätzlich ein paar Meckerfritzen dabei sind.

Doch leider habe ich mir ausgerechnet den Mittwoch für mein Vorhaben ausgesucht, weil ich an diesem Tag vormittags keine Vorlesungen habe. Und da hat es ja in Strömen geregnet. Aber da ich ja nun schon alles vorbereitet hatte, habe ich das Picknick kurzerhand verlegt.

Ich finde Frühstück im Bett total super, bloß nicht in meinem eigenen, weil ich immer so herumkrümle. Also bin ich mit meinem Rucksack in das nächste Möbelhaus – das war in diesem Fall IKEA – und habe es mir dort in der Bettenabteilung gemütlich gemacht.

Du glaubst gar nicht, wie die Leute geguckt haben, als ich meine Butterbrote und meine Thermoskanne ausgepackt habe. Die meisten haben natürlich fassungslos den Kopf geschüttelt, aber ein paar wollten sich gleich selbst zum Mitessen einladen. Leider war kein wirklich süßer Typ dabei, den ich gern zu mir ins Bett geholt hätte, also habe ich bei allen dankend abgelehnt.

Blöd war nur, dass sich der Abteilungsleiter doch als ziemliche Spaßbremse gezeigt hat. Er hatte überhaupt kein Verständnis für meine Aktion, nicht mal, als ich ihm erklärt habe, dass ich unbedingt zu Ende picknicken muss, um meine Wette zu gewinnen. Ich habe ihn sogar auf ein Butterbrot eingeladen, aber er wollte nicht. Stattdessen hat er mich einfach vor die Tür gesetzt. Aber trotzdem hat es sauviel Spaß gemacht.

Du siehst also, wir haben beide unsere Aufgabe erfüllt. Das heißt, dass du die nächste stellen darfst. Ich bin schon ganz gespannt, also überlege dir was Aufregendes.

 

Ich kicherte immer noch, als ich auf den Antworten-Button klickte. Obwohl ich Lily ja nicht persönlich kannte, konnte ich mir den Aufruhr gut vorstellen, den sie in dem Möbelhaus ausgelöst hatte. Ein wenig bewunderte ich sie insgeheim. Mir hätten sowohl Mut als auch Dreistigkeit für so ein Unterfangen gefehlt.

Als ich begann, die ersten Buchstaben der Aufgabe zu tippen, die ich stellen wollte, merkte ich, dass ich auf einmal ganz nervös wurde. Ich hatte in den letzten Tagen immer wieder überlegt, was für eine Herausforderung machbar, aber auch nicht zu einfach zu lösen wäre. Schließlich war ich auf etwas gekommen, das man sehr flexibel bewerkstelligen konnte:

 

Versetzte jemanden so in Erstaunen, dass er sprachlos ist.

 

Schnell schickte ich die Nachricht ab und wartete gespannt auf Lilys Reaktion. Die folgte innerhalb weniger Sekunden.

 

Das hört sich doch mal interessant an. Ich melde mich nächsten Freitag wieder bei dir, schrieb sie.

 

Damit war unsere virtuelle Unterhaltung für diese Woche erledigt. Ich holte mir ein Stück Schokolade aus der Küche, zog das Buch aus der Tasche, das ich an diesem Nachmittag in der S-Bahn ergattert hatte, und begann zu lesen.

Aber obwohl die Geschichte durchaus spannend begann, fiel es mir doch schwer, mich ganz darauf zu konzentrieren. Immer wieder schweiften meine Gedanken ab und wanderten zu dem Plan, den ich zur Erfüllung meiner selbst gestellten Aufgabe ausgeheckt hatte. Ich freute mich schon diebisch darauf, ihn in die Tat umzusetzen.

 

Eine besondere Herzensangelegenheit
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