7. KAPITEL
„Laura! Mein Gott, was ist denn mit dir? So sag doch was!“
Hailey hatte noch versucht, ihre Freundin aufzufangen, doch sie war nicht schnell genug gewesen. Jetzt lag Laura, mit dem Gesicht nach oben, auf dem Boden der Schulcafeteria, gleich neben dem neuen Wasserspender, hatte die Augen geschlossen und rührte sich nicht.
„Laura! Hörst du mich?“ Verzweifelt rüttelte Hailey sie hin und her, doch nichts.
„Was ist denn da hinten los?“, rief der Hausmeister, der wohl am Rande mitgekriegt hatte, dass irgendetwas passiert war.
„Holen Sie einen Krankenwagen!“, rief Hailey zurück.
„Aber was ist denn? Ist etwas …“
„Wir brauchen einen Krankenwagen!“ Sie schrie jetzt. „Schnell!“
Endlich reagierte O’Neill und griff zum Telefonhörer. Hailey wandte sich wieder ihrer bewusstlosen Freundin zu, redete weiter auf sie ein und schlug ihr hin und wieder nicht gerade sanft, aber auch nicht zu fest, gegen die Wange.
Keine Reaktion.
Inzwischen befanden sich auch die anderen Schüler, die sich noch in der Cafeteria aufhielten, am Ort des Geschehens. Aufgeregtes Gemurmel wurde laut, und jeder versuchte sein Möglichstes, um zu helfen. Kissen und nasse Handtücher wurden von irgendwoher aufgetrieben, und nach und nach strömten auch die Schüler der Klasse, die sich bis eben draußen aufgehalten hatten, in die Cafeteria.
Endlich kamen auch Lehrer, die wohl von irgendjemandem gerufen worden waren, und sorgten dafür, dass die Kids, die nichts tun konnten, nicht herumstanden und sinnlos gafften, sondern die Cafeteria wieder verließen, wofür Hailey dankbar war.
Die Zeit dehnte sich wie Kaugummi, und Hailey hatte das Gefühl, jeden Moment durchzudrehen. Es war einfach ein schreckliches Gefühl, seiner besten Freundin nicht helfen zu können.
Endlich – nach einer Ewigkeit, wie es Hailey schien – war die Sirene des Krankenwagens zu hören, und kurz darauf stürmten zwei Sanitäter in die Cafeteria. Hailey und die Lehrer, die bis eben bei Laura ausgeharrt hatten, machten Platz.
„Was ist passiert?“, fragte einer der Ärzte, während er zusammen mit seinem Kollegen damit begann, Laura zu untersuchen.
Hailey hob die Schultern. „Ich weiß auch nicht so genau“, gab sie aufgeregt Auskunft. „Laura hat Wasser aus dem neuen Spender probiert und hat anschließend über Übelkeit geklagt. Dann ist sie einfach umgekippt.“
„Du sagst, der Wasserspender ist neu?“, hakte der Arzt nach.
Sie nickte. „Ja, er ist eben erst angeliefert worden. Meinen Sie denn …“ Plötzlich stockte Hailey. Ein schrecklicher Verdacht kam ihr, als sie wieder an das neueste Horoskop denken musste.
Der Neue wird entscheiden, ob deine Zeit bereits abgelaufen ist.
Der Neue! Die ganze Zeit über hatte Hailey geglaubt, dass mit dem „Neuen“ Joaquin gemeint war. Weil er doch erst seit kurzem in Fieldsburg wohnte. Jetzt aber beschlich sie ein ganz anderer Gedanke, denn alles deutete darauf hin, dass mit dem „Neuen“ nicht etwa Joaquin gemeint gewesen war, sondern – der Wasserspender.
Hailey schluckte. Mein Gott, dachte sie entsetzt, dann ist es also wirklich wahr. Das, was im Horoskop stand, war nun eingetreten – und Laura schwebte in tödlicher Gefahr!
Hailey hatte nichts weiter tun können, als zuzusehen, wie Laura mit dem Krankenwagen abtransportiert wurde. Natürlich wäre sie am liebsten keine Sekunde von ihrer Seite gewichen und mitgefahren, aber das erlaubten weder die Sanitäter noch die anwesenden Lehrer.
Jetzt hieß es also für sie wie für alle anderen: abwarten. Abwarten und hoffen, dass Laura wieder gesund werden würde.
An Unterricht war an diesem Tag natürlich nicht mehr zu denken, und deshalb schickte der Direktor nach einer Weile alle Schüler nach Hause.
So richtig freuen wollte sich darüber aber keiner. Alle waren geschockt über diesen Vorfall, und nicht wenige fragten sich auch, warum in letzter Zeit ständig etwas Schlimmes passierte. Erst mit Darlene, dann mit Smittie (der, wie es hieß, in den nächsten Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte, was natürlich alle freute) – und jetzt mit Laura.
Hailey fühlte sich total leer, als sie sich an diesem Vormittag auf den Weg nach Hause machte. Mit ihren Gedanken war sie nur bei Laura. Sie musste gleich unbedingt sofort ins Krankenhaus, um zu sehen, wie es ihr ging. Lauras Eltern waren inzwischen schon vom Direktor verständigt worden, sicher waren sie außer sich vor Sorge.
„Hey, warte mal, Hailey“, erklang plötzlich eine Stimme hinter ihr, als sie gerade vom Schulgelände auf die Straße treten wollte.
Trotz der vielen Sorgen, die sie plagten, legte sich unwillkürlich ein Lächeln auf ihre Lippen, als sie sah, dass es Joaquin war, der gerufen hatte.
Wortlos trat er jetzt auf sie zu und umarmte sie fest. Ein beinahe überwältigendes Gefühl von Geborgenheit überkam Hailey. Es tat einfach nur gut, so nah bei Joaquin zu sein.
„Du magst Laura sehr, oder?“
Jetzt konnte sie nicht mehr an sich halten und begann hemmungslos zu schluchzen. Irgendwann löste sie sich von Joaquin und nickte. „Wir sind die besten Freundinnen“, sagte sie schließlich. Dann atmete sie tief durch. „Sorry, ich wollte nicht heulen.“
„Hey, das ist ja wohl total verständlich“, sagte Joaquin sofort und reichte ihr ein Papiertaschentuch, das sie dankbar entgegen nahm.
„Ich habe echt total Angst, dass sie was Schlimmes hat“, sagte sie, nachdem sie sich die Nase geputzt hatte.
Joaquin strich ihr über die Wange. „Ich bin sicher, dass Laura wieder gesund wird. Ich meine, es weiß ja keiner genau, was sie hat, aber wenn es wirklich an dem Wasser lag – also so eine Lebensmittelvergiftung ist zwar nicht ungefährlich, aber wohl recht gut in den Griff zu bekommen.“
„Meinst du wirklich?“ Hailey atmete erleichtert auf. Dann schüttelte sie den Kopf. „Aber das ist es ja gar nicht nur. Ich habe keine Ahnung, ob es wirklich eine normale Lebensmittelvergiftung ist. Normal ist hier doch sowieso nichts mehr, seitdem ich diese verfluchte Horoskopmaschine habe, ist mein Leben überhaupt nicht mehr wie es mal war. Ich …“
„Horoskopmaschine?“ Irritiert runzelte Joaquin die Stirn. „Habe ich was verpasst?“
Hailey stöhnte. Sie hatte sich völlig in Rage geredet und dabei gar nicht gemerkt, dass sie die Maschine überhaupt erwähnt hatte. „Es ist … Das ist eine total komische Sache, ich hatte mit Laura schon Streit deswegen, weil sie dachte, ich wollte sie auf den Arm nehmen. Ich kann dir unmöglich …“
„Hey, ganz ruhig.“ Er packte sie sanft an Handgelenk und sah ihr tief in die Augen. „Jetzt mal ganz langsam, okay? Du sollst wissen, dass du mir alles sagen kannst, Hailey. Ich werde dich garantiert nicht auslachen und auf gar keinen Fall sauer auf dich sein. Also komm schon. Oder hast du noch nie was von dem Spruch ‚Reden hilft‘ gehört?“
„Ich weiß nicht so recht.“ Sie atmete wieder tief durch und versuchte, ihre Gedanken wenigstens einigermaßen zu sortieren. Schließlich überwand sie sich und nickte. Sie brauchte jetzt einfach jemanden, mit dem sie über alles sprechen konnte. „Also gut“, gab sie nach. „Aber lass uns ein Plätzchen suchen, wo wir ungestört sind. Am besten bei mir zuhause, mein Dad ist bei der Arbeit.“
Joaquin erklärte sich einverstanden und wartete ab, bis Hailey sich noch einmal die Nase geputzt hatte, dann gingen sie los.
Eine Stunde später hatte Hailey sich alles von der Seele geredet. Sie hatte nichts ausgelassen und Joaquin auch die Maschine gezeigt. Zu ihrer großen Verwunderung war er nicht ein einziges Mal in der ganzen Zeit in Gelächter ausgebrochen. Dabei klang es doch alles so verrückt!
„Hältst mich jetzt wahrscheinlich für ziemlich durchgeknallt, was?“, fragte sie vorsichtig, während Joaquin die Maschine noch mal ganz genau begutachtete.
Er blickte auf und schüttelte den Kopf. „Wieso sollte ich dich für durchgeknallt halten?“
„Wieso?“ Hailey lachte freudlos. „Na, das liegt doch wohl auf der Hand. Ich meine, nach allem, was ich dir gerade erzählt habe … Du glaubst mir doch bestimmt kein Wort.“
„Doch, das tue ich.“ Er sah sie ernst an. Seine Miene verriet, dass er seine Worte ehrlich meinte. „Ich glaube dir, Hailey.“
Seine Worte waren wie Balsam für ihre Seele. „Ist das wirklich wahr?“, fragte sie, obwohl sie ganz deutlich spürte, dass er sie nicht anschwindelte.
Er nickte. „Ja, es ist wirklich wahr. Ich kenne dich nämlich inzwischen, weißt du? Und ich merke dir an, dass du total verzweifelt bist. Außerdem“, er lachte, um sie wieder etwas aufzuheitern, „kann ich mir nicht vorstellen, dass sich irgendjemand auf dieser Welt so eine irre Story ausdenken könnte.“
Jetzt musste auch Hailey lachen, und sie spürte, wie gut ihr das Gespräch mit Joaquin tat.
„Dann lass uns das Ganze doch noch mal zusammenfassen“, sagte er nachdenklich. „Alles fing damit an, dass du diese Maschine bei diesem Garagenverkauf erstanden hast.“
Sie nickte.
„Okay“, fuhr er fort, „du hast dann also auf diesen Knopf gedrückt, und es wurde ein Horoskop ausgedruckt. Und kurz darauf passierte das mit Darlene, richtig?“
„Richtig. Erst dachte ich ja auch nur an einen Zufall, ist ja klar. Und es schienen ja auch nicht alle Details aus dem Horoskop zu stimmen. So richtig umgehauen hat’s mich dann, als ich sah, dass auf dem Truck, der Darlene überfahren hat, ein Einhorn gemalt war.“
„Das lässt in der Tat nicht mehr wirklich an einen Zufall glauben“, bekräftigte Joaquin. „Und die Sache mit Smittie ist ja auch merkwürdig.“
„Eben. Tja, und dann kam das dritte Horoskop. Das Verrückte dabei ist, dass ich ja gar nicht mehr auf den Knopf gedrückt habe, aus lauter Angst, dass dann wieder etwas geschehen könnte. Aber dann hat dieses Teil mitten in der Nacht von ganz allein losgelegt.“
„Das lässt darauf schließen, dass, sofern man den Knopf nicht betätigt, nach einer Weile automatisch ein neues Horoskop erstellt wird.“
Hailey wurde blass. „Du meinst, das passiert jetzt vielleicht regelmäßig?“ Diese Möglichkeit hatte sie noch gar nicht in Betracht gezogen.
„Auszuschließen ist es jedenfalls nicht“, erwiderte Joaquin. „Wobei …“
„Ja?“
„Also, wenn dieses Gerät hier wirklich Horoskope ausdruckt, deren Inhalt sich kurz darauf wirklich ereignet, kommen wir mit logischem Denken sowieso nicht mehr weiter.“
Wieder nickte sie. „Sehe ich auch so. Es klingt unglaublich, aber ich bin inzwischen felsenfest davon überzeugt, dass dieses Teil irgendwie verhext ist. Wobei sich mir die Frage stellt, ob es praktisch nur in die Zukunft sehen, oder sie vielleicht sogar beeinflussen kann.“
„Dann wäre die Maschine letztlich für die Unfälle verantwortlich.“
„Genau das. Und diese Vorstellung macht mir ganz schön Angst.“
„Kann ich verstehen. Sag mal, habt ihr irgendwo Werkzeug?“
„Klar, mein Dad ist doch schließlich der selbsternannte Heimwerkerkönig. Wieso, was hast du denn vor?“
„Na, was wohl? Ich will das Teil auseinander nehmen und es mir mal ein wenig genauer anschauen.“
Hailey schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Auseinander nehmen, na logisch! Dass ich da noch nicht draufgekommen bin!“
Rasch verließ sie ihr Zimmer und kehrte kurz darauf mit einem Werkzeugkoffer zurück. Sofort machte Joaquin sich ans Werk. Doch so sehr er sich auch bemühte – es gab keine Chance, die Horoskopmaschine zu öffnen. Stattdessen brachen Schraubenzieher, Zangen und Bohrer der Reihe nach ab, und sogar ein Hammer konnte dem Gerät keinerlei Schaden, nicht mal einen Kratzer, zufügen.
„Das gibt’s doch nicht!“, rief Joaquin fassungslos aus. „Wie abgefahren ist das denn?“
„Siehst du, ich habe doch gesagt, dass das Teil total strange ist. Aber es hätte mich auch gewundert, wenn man es einfach aufbrechen könnte. Ich hab’s schließlich immerhin bereits zwei Mal in den Müll geworfen und ein Mal sogar im See versenkt, und es ist immer noch da.“
„Wirklich erstaunlich.“ Joaquin blickte die Horoskopmaschine kopfschüttelnd an. „Das Teil sieht so unscheinbar aus …“ Er nickte. „Also gut, ich würde Folgendes vorschlagen: Als Erstes erkundigen wir uns heute noch, wie es deiner Freundin geht, und gleich morgen werden wir dem Typ, von dem du das hier hast, mal einen Besuch abstatten.“
„Wenn du meinst …“ Hailey fühlte sich ein bisschen überrumpelt, weil sie keine Ahnung hatte, was Joaquin sich davon versprach, hätte aber den Teufel getan, irgendeinen Einspruch einzulegen.
Im Gegenteil: Sie war heilfroh, endlich jemanden an ihrer Seite zu haben, der sie ernst nahm.
„Da vorn, glaube ich. Ja, das Haus müsste es sein.“
Joaquin, der kurzfristig den Wagen seiner Mom bekommen hatte, nickte und hielt vor dem entsprechenden Haus an.
„Eigentlich weiß ich gar nicht, was wir hier machen“, sagte Hailey nachdenklich, während sie den Sicherheitsgurt löste. „Was soll der Typ uns schon sagen können?“
„Na, irgendwas über diese Horoskopmaschine. Er hat sie doch schließlich besessen.“
„Und wenn es ihm ebenso ging wie mir? Ich besitze sie doch auch und habe keinen Schimmer, was es mit dem Ding auf sich hat.“
Joaquin hob die Schultern. „Dann haben wir nichts gewonnen, aber auch nichts verloren.“
„Auch wieder wahr. Ich bin nur froh, dass es Laura schon wieder besser zu gehen scheint.“
„Kann ich mir vorstellen.“
Schon gestern hatten Hailey und Joaquin erfahren, dass Laura sich auf dem Weg der Besserung befand, und auch heute waren sie noch, bevor sie sich auf nach Clearwater gemacht hatten, im Krankenhaus gewesen, um nach Laura zu sehen. Zwar hatten sie noch nicht zu ihr gedurft, weil dies im Moment nur ihren Eltern gestattet war, aber die Ärzte hatten gesagt, dass Laura weiterhin Fortschritte machte und auf keinen Fall mehr in Lebensgefahr schwebte.
Inzwischen war wohl auch die Polizei eingeschaltet worden, die in dem Fall ermittelte; schließlich musste die Frage geklärt werden, wie es zu der Vergiftung hatte kommen können.
Joaquin stieg aus und lief um den Wagen herum, um Hailey die Beifahrertür zu öffnen. Das fand sie voll süß, vor allem, weil dies absolut keine Ausnahme darstellte: Er war einfach immer sehr bemüht um sie, und Hailey musste zugeben, dass sie das richtig genoss.
Als sie auf das Haus zugingen, beschlich Hailey ein ungutes Gefühl. Hier hatte alles angefangen. Bevor sie diese Maschine bei dem Garagenverkauf erstanden hatte, war sie noch ein ganz normaler sechzehnjähriger Teenager gewesen.
Durch die Maschine war alles anders geworden.
Aber es war auch der Gedanke an diesen alten Mann selbst (wie hieß er noch gleich, Koveck?), der ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Er war schon irgendwie sehr seltsam gewesen, richtig unheimlich … und inzwischen konnte Hailey sich auch denken, warum er so froh gewesen war, die Horoskopmaschine los zu werden, und das gerade mal für einen viertel Dollar.
„Die Garage steht übrigens offen“, bemerkte Joaquin, als Hailey schon den Weg zur Haustür, die sich ein paar Meter weiter rechts befand, einschlagen wollte, um zu klingeln.
„Tatsächlich.“ Hailey blieb stehen. „Aber wir können da ja wohl kaum einfach rein. Einen weiteren Garagenverkauf scheint es jedenfalls heute nicht zu geben.“
Joaquin hob die Schultern. „Vielleicht werkelt der Typ da an irgendwas herum oder so. Komm, wir schauen mal.“
Gemeinsam näherten sie sich der Garage und traten kurz darauf über die Schwelle. Sofort stieg Hailey der alt bekannte Geruch in die Nase: Der Geruch nach altem, vergammeltem, modrigem und staubigem Zeug.
„Hallo, ist hier jemand?“, rief Joaquin.
Keine Antwort. Langsam gingen sie weiter in die Garage hinein. Licht drang nur von draußen herein, sodass es ziemlich schummrig war. Unwillkürlich griff Hailey nach Joaquins Hand.
„Meine Güte, steht hier ein Gerümpel herum“, bemerkte Joaquin. „Ich dachte immer, die Leute räumen den Kram nur an dem Tag in die Garage, an dem der Verkauf stattfindet.
Hailey hob die Schultern. „Ist auch meistens so. Aber wenn einer ohnehin kein Auto hat, kann er die Fläche auch gleich als Lager nutzen.“
„Stimmt auch wieder.“
„Mr … Mr Koveck?“, rief nun auch Hailey. „Sind Sie hier irgendwo?“
Wieder keine Antwort. Sie gingen noch ein Stück weiter. Hailey fröstelte. Es war doch alles ziemlich unheimlich hier, so dunkel, still und kühl. Fast hatte sie das Gefühl, durch eine Gruft zu laufen.
Bei dem Gedanken hielt sie unwillkürlich den Atem an und schüttelte sich leicht. Sie war nur froh, dass Joaquin bei ihr war. In seiner Gegenwart fühlte sie sich immer sicher.
„Am besten, wir klingeln doch mal vorne an der Haustür“, schlug sie leise vor. „Hier scheint ja keiner …“
In dem Moment passierte es!
Ein Kreischen erklang, und im selben Moment schoss wie aus dem Nichts ein schwarzer Schatten auf Hailey zu.
Erschrocken schrie sie auf und wich zur Seite aus, um nicht getroffen zu werden. Dabei fiel sie Joaquin direkt in die Arme; ein Glück, denn sonst wäre sie am Ende noch gestürzt.
„Was war das denn?“, keuchte sie erschrocken. Einen Moment später fingen beiden an zu lachen, als sie begriffen, vor was sie sich da so erschrocken hatten: Es war eine Katze, die Hailey beinahe ins Gesicht gesprungen wäre!
„Meine Güte, du hast uns vielleicht einen Schreck eingejagt“, sagte Hailey lachend und beugte sich zu dem Tier herunter.
„Was treibt ihr denn in meiner Garage?“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihnen.
Hailey und Joaquin wirbelten herum. Im nächsten Moment ging das Licht an, und sie sahen sich einem uralten, dürren Mann gegenüber.
Koveck!
„Ist das der Typ?“, flüsterte Joaquin leise.
Hailey nickte. Koveck trug einen Sixpack in der rechten Hand, was darauf schließen ließ, dass er in der Garage beschäftigt gewesen war und sie nur kurz verlassen hatte, um schnell ein paar Flaschen Bier zu kaufen.
Jetzt kam er langsam auf die beiden Kids zu und musterte vor allem Hailey eingehend.
„Dich kenne ich doch“, murmelte er nachdenklich. Dann weiteten sich seine Augen, und er wich einen Schritt zurück. „Ach, du bist das? Dann … dann lebst du also noch?“
Unwillkürlich zuckte Hailey bei seinen Worten zusammen. „Was soll das heißen?“, fragte sie. „Dachten Sie etwa, ich wäre tot?“ Sie starrte den Alten eindringlich an. „Sie wussten von Anfang an, was es mit der Maschine auf sich hat, oder? Deshalb waren Sie auch so erleichtert, dass ich sie Ihnen abgekauft habe!“
„Was denn für eine Maschine?“ Jetzt lachte der Alte kopfschüttelnd. „Ich weiß nichts von irgendeiner Maschine.“
Hailey wurde es zu bunt. „Jetzt tun Sie doch nicht so! Sie wissen ganz genau, wovon ich rede: Ich meine die Horoskopmaschine. Das Teil, das einer uralten Schreibmaschine ähnelt und das auf Knopfdruck alle zwei Tage ein neues Horoskop ausdruckt. Na, klingelt’s jetzt bei Ihnen? Oder sollte ich noch erwähnen, dass dieses Gerät manchmal auch ein Horoskop erstellt, wenn man nicht auf den Knopf drückt? Und dass seit ich diesen Höllenapparat habe ständig jemandem, den ich kenne, etwas zustößt?“
Hailey sah ihn lauernd an. Ihr war klar, dass sie für eine Sechzehnjährige gerade ziemlich unfreundlich mit einem Erwachsenen sprach. Normalerweise war das auch gar nicht ihre Art, sie hielt nämlich eigentlich gar nichts von Kids, die keinen Respekt vor älteren Leuten hatten. Aber im Moment war sie einfach so verzweifelt, wütend und ängstlich zugleich, dass sie gar nicht anders konnte.
„Ich habe keine Ahnung, was du meinst“, wiederholte Koveck.
Jetzt schaltete sich auch Joaquin ein. „Ach, ist das so, Mr Koveck?“, fragte er, betont freundlich. „Nun, ich jedenfalls glaube meiner Freundin, dass sie Ihnen die Maschine abgekauft hat. Und da sie mit der Qualität nicht hundertprozentig zufrieden ist, wird sie Ihnen das Gerät einfach wieder zurückbringen. Den Vierteldollar brauchen Sie natürlich nicht zu erstatten, betrachten wir es einfach als …“
„Das geht nicht“, fiel Koveck ihm sichtlich nervös ins Wort. „Man kann diese Maschine nicht verschenken, man kann sie nur verkaufen.“
„Ach, ist das so?“ Joaquin nickte. „Na, wenigstens wissen Sie jetzt, von welcher Maschine wir sprechen, habe ich recht?“
Koveck senkte den Blick, grummelte irgendetwas Unverständliches, schien sich aber geschlagen zu geben.
Hailey wurde wieder freundlicher. „Hören Sie“, sagte sie, „wir wollen ja eigentlich nichts weiter von Ihnen. Verraten Sie uns einfach alles, was Sie über diese komische Maschine wissen, und dann ziehen wir wieder ab, okay?“
Koveck wirkte, als würde er innerlich mit sich ringen, dann nickte er und begann zu erzählen.
Als sie gut eine halbe Stunde später wieder im Wagen saßen, mussten Hailey und Joaquin das eben Gehörte erst einmal verarbeiten.
„Also, fassen wir noch mal zusammen“, sagte Hailey. „Nur um sicher zu sein, dass wir auch wirklich beide das Gleiche gehört haben. Koveck hat die Horoskopmaschine also von einer gewissen Leila gekauft.“
„Richtig. Und zwar auch nur für ein paar Cent.“
„Und diese Leila hat das Ding angeblich von ihrer Tochter geerbt, die jung bei einem Unfall verstarb.“
Joaquin nickte. „Ebenfalls richtig. Diese Leila muss eine ziemlich durchgeknallte Frau gewesen sein, jedenfalls meinte Koveck, dass sie sich ihr Leben lang mit Spiritualismus befasst hat. Nachdem unser Freund ihr die Maschine abgekauft hat, sind in seinem Umfeld ständig irgendwelche Leute bei Unfällen ums Leben gekommen, nachdem die Maschine zuvor Horoskope ausgedruckt hatte, die darauf hindeuteten.“
„Kenne ich irgendwoher“, bemerkte Hailey trocken.
„Jedenfalls ist Koveck dann zu dieser Leila hin und hat sie zur Rede gestellt. Sie hat ihm schließlich erzählt, dass die Maschine durch einen Dämon gesteuert wird, der in der Maschine lebt und für das Unheil, das durch die Horoskope geschieht, verantwortlich ist.“
„Demnach beschwört der Dämon diese Unglücksfälle herauf.“
„Genau. Außerdem hat diese Leila wohl gesagt, dass es nicht möglich ist, die Maschine zu öffnen, zu zerstören, zu verschenken oder wegzuwerfen. Die einzige Möglichkeit, sie loszuwerden, besteht darin, sie an eine andere Person zu verkaufen, die freiwillig bereit ist, Geld dafür zu bezahlen. Und bei so einem alten Teil ist das gar nicht so einfach.“
Hailey seufzte. „Ganz schön strange, was? Denkst du denn, das stimmt alles?“
„Keine Ahnung.“ Joaquin hob die Schultern. „Ein Teil ist auf jeden Fall wahr, und ich wüsste nicht, warum der Rest nur eine Erfindung sein sollte. Am liebsten würde ich ja selbst mal mit dieser Leila sprechen, aber Koveck hat ja behauptet, dass sie spurlos verschwunden sei, nachdem er damals mit ihr gesprochen hat. Koveck, dieser Mistkerl.“
„Mir ist er auch unsympathisch“, stimmte Hailey zu. „Und auch irgendwie unheimlich.“
„Das meine ich aber nicht. Ich meine seinen Charakter. Es ist einfach mies von ihm, dass er, als er nicht mehr weiter wusste, die Maschine einfach an ein sechzehnjähriges Mädchen verkauft hat. So was ist echt unterste Schublade, mieser geht’s in meinen Augen gar nicht.“
Sie lächelte. Sie fand es voll süß, dass Joaquin so dachte. „Und was machen wir jetzt?“, fragte sie nach einer Weile.
„Wenn ich das mal wüsste. Ehrlich gesagt macht mir eine andere Sache noch viel mehr zu schaffen.“
Hailey wusste, worauf er hinauswollte, denn ihr erging es ähnlich. „Du meinst wegen dem, was Koveck noch gesagt hat? Dass es früher oder später nicht nur Leute aus dem Umfeld des Besitzers der Maschine trifft, sondern auch ihn selber.“
„Genau das. Und ich schwöre dir, ehe ich zulassen würde, dass dir etwas passiert, würde ich dir diese Höllenmaschine eigenhändig abkaufen.“
Das war jetzt doch zu viel für Hailey. Vor lauter Rührung stiegen ihr die Tränen in die Augen, doch sie kämpfte sie tapfer zurück. „Danke, ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du das sagst, echt. Aber du glaubst doch nicht wirklich, dass ich riskieren würde, dass dir etwas geschieht, oder? Und so machen wie dieser Koveck werde ich es auch auf keinen Fall.“
„Du meinst, das Teil einfach an irgendwen verkaufen, der nicht ahnt, was damit auf ihn zukommt?“
Sie nickte. „So was würde ich niemals tun.“
„Ich weiß.“ Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Ich auch nicht. Die Frage ist nur, was wir stattdessen tun.“
Doch auf diese Frage konnte Hailey nur mit den Achseln zucken. Jetzt schien guter Rat wirklich teuer zu sein.
Schweigend machten sie sich auf den Weg zurück nach Fieldsburg. Und damit auch auf den Weg in eine ungewisse Zukunft.
Als Hailey am Abend allein auf ihrem Zimmer war und noch ein wenig lesen wollte, kreisten ihre Gedanken immerzu um die Ereignisse des Tages, und sie konnte sich einfach nicht auf ihr Buch konzentrieren, obwohl es eigentlich richtig spannend war.
Joaquin hatte ihr, als sie wieder in Fieldsburg angekommen waren, noch einmal versprochen, ihr zu helfen und sich etwas einfallen zu lassen. Hailey konnte gar nicht sagen, wie dankbar sie ihm war; allein der Gedanke daran, all dies weiterhin allein durchstehen zu müssen, war eine Qual für sie. Ein Glück, dass sie sich nach langem Zögern doch endlich entschieden hatte, ihn einzuweihen.
Es war auch alles total absurd. Ein Dämon sollte die Horoskopmaschine beherrschen – konnte es so etwas denn wirklich geben? Hailey hatte nie wirklich an solche Dinge geglaubt, doch inzwischen hatte sie so viel erlebt, das alles dafür sprach, Kovecks Worte ernst zu nehmen.
Immer wieder musste sie auch an Laura denken. Gott sei Dank war sie nicht mehr in Lebensgefahr – dennoch würde Hailey wohl erst richtig aufatmen können, wenn ihre Freundin putzmunter das Krankenhaus verlassen konnte.
Sie wollte gerade ins Bad gehen, um sich die Zähne zu putzen gehen, als ein Geräusch die Stille des Abends zerriss.
Unwillkürlich zuckte Hailey zusammen. Sie kannte dieses Geräusch, sie kannte es nur zu gut. Nein, dachte sie flehend, nicht schon wieder. Bitte nicht schon wieder! Doch das Geräusch war unverkennbar.
Es kam von der Horoskopmaschine.
Ängstlich ging Hailey zum Schrank hinüber und öffnete ihn. Sie hatte die Maschine gestern dort wieder verstaut, nachdem Joaquin sie sich angesehen hatte. Jetzt holte sie das Gerät wieder hervor und entdeckte sofort den Zettel, der oben auf lag.
Die Maschine hatte ein neues Horoskop gedruckt.
Tief atmete Hailey durch. Ihr Puls raste, und der Schweiß stand ihr auf der Stirn. Sie traute sich kaum, das Blatt Papier anzufassen, doch sie wusste, dass es auch nichts brachte, wenn sie es nicht tat.
Also griff sie nach dem Zettel und drehte ihn so, dass sie den aufgedruckten Text lesen konnte. Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, handelte es sich um ein neues Horoskop.
Zwillinge. Du träumst von einem romantischen Abend zu zweit? Pass lieber auf – aus dem Traum kann schnell ein Albtraum werden.
Hailey schluckte. Es ist also soweit, dachte sie und schloss die Augen, während sie ihre Hand, in der sie den Zettel hielt, nach unten sinken ließ. Dieses Mal wusste sie genau, für wen dieses Horoskop bestimmt war.
Für sie selbst.