14. KAPITEL

„Ich habe äußerst wichtige Neuigkeiten, Mrs. Sampson.“

Edwina erhob sich vom Frühstückstisch, tupfte sich den Mund ab und runzelte die Stirn. Ihr Butler wirkte aufgelöst und war außer Atem, als ob er den Weg zum Speisesalon gerannt wäre. Das beunruhigte sie. Man konnte sich sonst immer darauf verlassen, dass Pettifer mit allem gelassen fertig wurde.

„Was ist los, Mann? Um Gottes willen, erzählen Sie es mir, spannen Sie mich nicht so auf die Folter. Bedenken Sie mein Alter.“

„In der Stadt schwirren Gerüchte über ein Duell herum … zwischen Viscount Stratton und dem Earl of Cadmore. Angeblich hat der Viscount Savage gestern herausgefordert, und das Treffen fand heute im Morgengrauen in Wimbledon Common statt. Den ersten Berichten zufolge hat Cadmore vorzeitig gefeuert, und es gab Verletzungen. Ich bin sofort zurückgekommen, um es Ihnen mitzuteilen, aber ich werde versuchen, mehr herauszufinden …“

Schwer atmend setzte Edwina sich wieder und presste eine mollige Hand auf ihren Busen. Mit der anderen griff sie nach dem Messer und begann hektisch Butter auf ihren Toast zu streichen. „Und deswegen haben Sie mich zu Tode erschreckt! Natürlich hat es ein Duell gegeben!“, fuhr sie ihn gereizt an.

„Sie wussten davon?“ Pettifers Stimme klang vor Verblüffung unnatürlich hoch.

„Oh, nein. Aber ich hatte gehofft, dass Stratton diesen Lump herausfordern würde. Ich war sicher, er würde mich nicht enttäuschen.“ Sie warf dem Butler ein verschmitztes Lächeln zu und biss in die Brotscheibe.

Pettifer starrte sie ungläubig an. „Sind Sie denn nicht besorgt, dass der Viscount lebensgefährlich verletzt sein könnte?“

Edwina winkte ab. „Ich habe großes Vertrauen zu meinem zukünftigen Enkelsohn!“ Sie schnaubte geringschätzig. „Es wird wohl eher das Gegenteil der Fall sein, und Cadmore dürfte bald ins Gras beißen!“

Harry Pettifer schüttelte seufzend sein graues Haupt.

„Jetzt machen Sie nicht so ein mürrisches Gesicht, Mann! Abgesehen davon, dass wir Cadmore nun los sind, gibt es noch einen zusätzlichen Bonus.“ Sie warf dem Diener einen schelmischen Blick zu. „Ich war so zuversichtlich, dass der Viscount Cadmore verjagen würde, dass ich darauf gewettet habe … mit Ihrer neuen Herrin. Sie lachte mich aus, als ich darauf setzte, dass Cadmore noch vor Ende des Monats in der Stadt nicht mehr willkommen sein würde. Können Sie sich vorstellen, zu welchem Einsatz ich sie überreden konnte?“

Harry Pettifer gestattete sich ein Lächeln. „Ich glaube schon, Madam. Obwohl ich ohnehin nicht die Absicht hege, länger bei Mrs. Penney zu bleiben als die sechs Monate, für die ich unterschrieben habe.“

„Nun, Sie brauchen jetzt gar nicht mehr zu ihr zu gehen. Sie sind wieder mein Mann …“

„Das war ich schon immer, Mrs. Sampson“, sagte Harry ruhig. „Es ist wohl mein Schicksal …“

Edwina sah ihn an, hörte langsam auf zu kauen, und ihr pausbäckiges Gesicht rötete sich, als sie allmählich verstand. „Ist meine Enkelin immer noch zu Bett?“, fragte sie vorsichtig.

„Ich glaube schon. Ich habe Lady Elizabeth heute Morgen noch nicht gesehen.“

Edwina warf Pettifer von der Seite einen Blick zu. Insgeheim schüttelte sie den Kopf über sich selber. Sie hatte nicht mehr an so etwas gedacht, seit ihr geliebter Gatte gestorben war. Lieber Himmel! Sie errötete noch heftiger. „Vielleicht wäre es von Vorteil, wenn Lizzie diese Neuigkeiten zu Ohren kämen. Sie hat begonnen, sich für den Viscount zu erwärmen. Vielleicht wird sie sich durch einen kleinen Schock über ihre Zuneigung und Strattons Vorzüge klar werden. Er hat extra dafür gesorgt, dass das Duell mit dem Erscheinen der Verlobungsanzeige in der Zeitung zusammenfällt.“ Sie klopfte mit dem Messer auf die Times, die neben ihrem Teller lag. „Er hat seine ehrenhaften Absichten ihr gegenüber öffentlich gemacht und ihre Stellung und ihren Ruf wiederhergestellt.“ Sie grinste verschmitzt. „Ich wette, bevor der Tag zur Neige geht, liegen jede Menge Visitenkarten und Einladungen auf dem Kaminsims.“

Fünfzehn Minuten später stieg Edwina hocherfreut die Treppe hinauf. In der Hand hielt sie das erste der erwarteten Billets. Sie begann zu summen, während sie noch einmal las, dass Lady Regan hoffte, dass Mrs. Sampson und Lady Elizabeth Rowe an diesem Nachmittag ihren kleinen Salon mit ihrer höchst willkommenen Anwesenheit beehren würden.

„Wo willst du denn damit hin“, schnauzte sie plötzlich, als sie die Zofe ihrer Enkelin mit einem Essenstablett über den Korridor eilen sah. Josie erschrak. „Möchte Lady Elizabeth im Bett frühstücken?“

Die Zofe glotzte ihre Herrin an und nickte stumm.

Edwina besah misstrauisch Milch, Rührei, Toast, Butter und Marmelade. „Ist sie krank?“

Wieder nickte Josie nur.

„Nun, allzu schlecht kann es ihr nicht gehen, wenn sie das alles verdrücken will. Sie hat schon seit ihrer Jugendzeit morgens kein Rührei mehr gegessen.“

Josie schluckte hörbar.

„Ich werde ihr das Frühstück selber bringen. Ich möchte mit meiner Enkelin sprechen.“ Es folgte ein Gerangel um das Tablett. „Was soll das, du aufsässige Göre?“, brüllte Edwina. „Willst du vielleicht ohne Referenzen hinausgeworfen werden?“

Josie schüttelte den Kopf. Ihre Unterlippe begann zu zittern, sie brach in Tränen aus und ließ unvermittelt das Tablett los.

Edwina stolperte rückwärts, doch es gelang ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden. „Hör auf zu flennen, und mach dich nützlich“, knurrte sie. „Mach Lady Elizabeths Tür auf.“

„Was hat diese Aufregung zu bedeuten, Großmama?“ Elizabeth kam aus ihrem Zimmer und machte die Tür hinter sich zu. Sie trug ein himmelblaues Nachtgewand, und ihr perlmuttfarbenes Haar fiel in schimmernden Kaskaden bis zu ihrer schmalen Taille hinab.

„Gar nichts“, antwortete Edwina verstimmt. „Nur dass dieses freche Biest mich ärgert.“

„Danke, Großmama.“ Elizabeth nahm ihr mit einem angedeuteten Lächeln das Tablett ab.

„Oh … ich werde mich zu dir setzen, während du isst, Liebes. Ich habe sehr interessante Neuigkeiten für dich. Übrigens, was fehlt dir eigentlich?“, fragte sie mit einem forschenden Blick in das blasse Gesicht ihrer Enkelin. „Du hast dunkle Ringe unter den Augen. Hast du schlecht geschlafen?“

„Ja, ich hatte eine unruhige Nacht“, gab Elizabeth sofort zu. „Mir war nicht ganz wohl. Ich werde mich noch eine Weile ausruhen und komme dann in etwa einer Stunde herunter, damit du mir berichten kannst, was passiert ist.“ Sie lächelte die Großmutter liebreizend an. „Josie“, rief sie dann und bedeutete ihrer Zofe mit einer kurzen Kopfbewegung, die Tür zu öffnen.

Sobald sie im Zimmer waren, schlug die Bedienstete rasch die Tür hinter ihnen zu. Elizabeth legte warnend einen Finger auf ihre Lippen, als Josie zu weinen anfangen wollte.

Edwina stand draußen und presste ein Ohr an die Tür. Dann zuckte sie die Achseln, betrachtete die Einladung in ihrer Hand und schlenderte lächelnd zu ihren Räumen, um ihre Garderobe nach einem passenden Kleid für den nachmittäglichen Salon in der Brook Street zu durchforsten.

„Bist du hungrig?“, fragte Elizabeth freundlich.

Der kleine Junge starrte sie ernst an.

Sie hockte sich neben ihn und nahm eine seiner kleinen Hände. „Komm, Jack, iss ein wenig, dann fühlst du dich sicher sehr viel besser.“ Als seine Augen sich mit Tränen füllten und seine Lippen zu zittern begannen, legte Elizabeth sanft einen Finger auf seinen Mund. „Vergiss nicht … es ist ein Spiel … so etwas wie Verstecken … und wer am leisesten ist, gewinnt. Aber … wenn du den Kuchen haben willst, den ich dir versprochen habe … musst du so leise sein wie eine Maus.“

„Ich will keinen Kuchen. Ich will meine Mama“, schluchzte der kleine Junge betrübt.

„Ich weiß, mein Lieber. Ich werde versuchen, sie herzuholen“, versprach Elizabeth.

Als er jedoch ehrfurchtsvoll das voll beladene Tablett auf dem Ankleidetisch betrachtet hatte, war Jacks Hunger stärker als alles andere, und verstohlen nahm er sich eine Scheibe Toast. Bald verlockten ihn auch die Eier, und er löffelte sie mit gesundem Appetit in sich hinein.

„Wir müssen ihn baden, Josie. Er ist ein wenig schmutzig. Hol heißes Wasser.“

Elizabeth musste feststellen, dass es keine leichte Aufgabe war, Jack zu überreden, seine Kleidung auszuziehen. Er beäugte die Waschschüssel und die Seife in Josies Hand, als wären sie giftig. Elizabeth stöhnte innerlich. Der Pfarrer hatte zwar behauptet, er würde alles für sie tun, aber leider hatte er in seinen eigenen vier Wänden nicht die Hosen an, und seine Mutter hatte keine Skrupel gehabt, den Jungen wieder vor die Tür zu setzen, noch bevor er das Pfarrhaus richtig betreten hatte, und ihnen nur den Weg zum nächsten Findelhaus beschrieben. Da Elizabeth nicht wollte, dass Jack von einem traurigen Leben ins nächste geriet, hatte sie ihn mit zu sich genommen.

Es hatte ihr das Herz gebrochen, ihn von seiner Mutter zu trennen. Doch nichts hatte Leach dazu bewegen können, Jane gehen zu lassen. Schließlich hatte Jane sich in ihr Schicksal ergeben und sie gebeten zu gehen, damit Jack vor Schornsteinfegern und Taschendiebstählen sicher war. Also hatte Elizabeth resigniert nachgegeben und den schluchzenden Buben mitgenommen. Unterwegs hatte Hugh die Vermutung geäußert, dass die Ehe zwischen Leach und Jane nur ein Schwindel war und er Jane einfach nur behielt, damit sie weiter für ihn arbeitete.

Ihre Großmutter war immer noch zu Bett gewesen, und so konnte Elizabeth mit Jack unbemerkt in ihr Zimmer schleichen. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass alles hätte schlechter ausgehen können, während sie sich Jack näherte, der an das Fenster zurückwich. „Deine Mama möchte sicher gerne, dass du nett und sauber aussiehst, wenn du sie wiedersiehst. Ich werde ihr erzählen, wie brav du warst.“

Damit schien sie das Richtige gesagt zu haben, denn er begann, seine Kleider abzulegen.

Allerdings konnte sie den Jungen nicht ewig heimlich hier oben behalten, und es war nur noch eine Person übrig, an die sie sich um Hilfe wenden konnte: Ross. Er hatte sie einmal gebeten, ihm ihre Probleme anzuvertrauen, und sie hatte ihn grob zurückgewiesen. Jetzt wünschte sie, sie hätte ihm am Abend zuvor alles erzählt. Er besaß so viel Kraft und Erfahrung, er wusste gewiss, was nun zu tun war. Sicher würde er ärgerlich sein, weil sie ihm nicht gehorcht hatte … aber … sie brauchte ihn jetzt.

„Es ist ein Wunder, dass er am Leben ist.“

„Er hat ausgezeichnete Reflexe. Wie, glauben Sie, hätte er sonst so lange in einem so gefährlichen Geschäft überlebt?“, meinte Edwina.

„Den Gerüchten zufolge hat Cadmore so früh gefeuert, dass er ihn beinahe in den Rücken geschossen hätte!“

„Was tun Sie da, Pettifer?“, fragte Elizabeth an der Salontür. Sie sah erstaunt zu, wie der würdevolle Butler mit leicht seitwärts geneigtem Oberkörper dastand und den Arm hob, als wolle er auf etwas zielen.

Pettifer richtete sich auf. „Äh … ich … äh … demonstriere eine spezielle Methode, wie man sich bei einem Duell selbst schützen kann, Lady Elizabeth.“

Elizabeth kicherte. „Wollen Sie sich etwa duellieren, Pettifer? Mit wem denn, wenn ich fragen darf? Hatten Sie und meine Großmutter wieder Meinungsverschiedenheiten?“

„Aber nein, Lady Elizabeth. Mrs. Sampson und ich kommen sehr gut miteinander aus …“ Edwinas Wangen röteten sich … und Harry lächelte, als er es sah.

„Gut, denn sich zu duellieren ist dumm und außerdem strafbar!“

„Aber heldenhaft“, warf Edwina ein. „Besonders wenn man sein Leben riskiert, um ein Unrecht wiedergutzumachen, das einer Dame angetan wurde.“

Elizabeths Haut begann vor Angst zu kribbeln.

Unvermittelt begann Harry die Kaffeetasse und die leere Konfektschale abzuräumen, bevor er leise hinausging. Sein Rückzug bestätigte Elizabeths Befürchtungen. „Worüber habt ihr gesprochen, Großmama? Was wolltest du mir vorhin erzählen?“

„Nun, meine Liebe, gehe ich recht in der Annahme, dass du dem Viscount inzwischen sehr zugetan bist?“

Elizabeth biss sich auf die Unterlippe und nickte stumm.

„Er hat sich deine gute Meinung von ihm redlich verdient, Lizzie. Ross hat sein Leben aufs Spiel gesetzt, um dir deinen Status und dein Ansehen zurückzugeben. Heute Morgen ist eure Verlobungsanzeige in der Zeitung erschienen, und zur selben Zeit hat er sich mit Cadmore in Wimbledon Common getroffen …“

Mehr hörte Elizabeth nicht. Ihr Herz schlug wie verrückt, und ihr Kopf drohte zu zerspringen. Sie griff nach der Lehne des nächsten Stuhls und sank steif auf der Sitzfläche nieder. Sie registrierte, dass ihre Großmutter irgendetwas sagte, das mit den Einladungskarten zu tun hatte, die auf dem Sofatisch ausgebreitet lagen. Es waren mindestens acht.

„Ich glaube, wir sollten zuerst zu Lady Regan gehen, dann zu den Braithwaites. Falls du nicht einen von den anderen vorziehst.“

„Ist er tot?“, flüsterte sie.

„Ross? Tot? Natürlich nicht!“, schnaubte Edwina. „Wenn dieser Hasenfuß nicht vorzeitig einen Schuss abgefeuert hätte, dann wäre er noch nicht einmal verwundet, aber …“

Elizabeth sprang auf. Sie war aschfahl im Gesicht, in ihren Augen glänzten Tränen, die durch den Schock zurückgehalten wurden. „Schwer verletzt? Wird er von Ärzten behandelt?“

„Es ist eine Fleischwunde, habe ich gehört. Wie Pettifer es vorgemacht hat, kann man einen Arm so halten, dass er als Schutzschild dient. Ross beherrscht diese Stellung offensichtlich schon seit Langem.“

„Was ist mit Cadmore? Ist er tot?“, hauchte Elizabeth.

„Er hätte es verdient. Nach allem, was man hört, hat Ross ihm den Hut vom Kopf geschossen.“

„Gott sei Dank hat er ihn verfehlt …“

„Er hat ihn nicht verfehlt, Miss!“, spottete Edwina. „Ross hat ihn verschont. Er hat ihm einen Streifschuss auf der Schädeldecke verpasst, wie es heißt. Cadmore ist nun als die Memme gebrandmarkt, die er ist. Unwahrscheinlich, dass er sich in der Öffentlichkeit noch einmal blicken lassen wird. Ross kann selbst mit der linken Hand gut schießen“, setzte Edwina stolz hinzu und nickte nachdrücklich mit dem Kopf.

„Wo ist er? Ich muss ihn sehen …“, fragte Elizabeth mit bleichen Lippen.

„Ich glaube, bei seinem Bruder. Soviel ich gehört habe, hat der Arzt die Kugel herausoperiert.“

Elizabeth wurde übel, sie hielt sich eine Hand vor den Mund, drehte sich um und floh.

„Mach sofort diese Tür auf, Lizzie. Willst du ewig da drin bleiben?“

„Ich bleibe heute Abend zu Hause, Großmama. Ich bin müde.“

„Müde? Du hast in den letzten paar Tagen rund um die Uhr geschlafen. Wie kannst du da immer noch müde sein“, schnauzte Edwina. „Schau mal … ist es nicht eine höchst vornehme Einladung?“, schmeichelte sie. „Von Lady Conyngham.“ Sie schob die dünne Karte unter der Tür hindurch.

Elizabeth hob sie auf und las, dass eine italienische Diva an einer bekannten Adresse in Mayfair singen sollte. Lustlos warf sie das Billet auf den Stapel der anderen Karten, mit denen Edwina versucht hatte, sie herauszulocken.

„Ist der Viscount schon zurück?“, fragte Elizabeth heiser.

„Ich glaube nicht; nach einem solchen Skandal bleiben die Männer der Stadt meistens eine Weile fern.“

„Hat er Fieber, Großmama? Weißt du, ob sich die Wunde entzündet hat?

Edwina seufzte schwer. „Nein, ich habe keine Ahnung! Aber er hat schon mit Soldaten, Schmugglern und Betrunkenen gekämpft und all das gut überstanden. Er ist so stark wie ein Ochse. Nun gut, dann werde ich eben mit Evangeline hingehen“, murmelte sie, und Elizabeth hörte, wie sich ihre Schritte entfernten.

Sie seufzte und lehnte ihren Kopf an die Tür. Wieder hatte sie das quälende Bild vor ihrem inneren Auge, wie er von Schüttelfrost geplagt an Blutvergiftung litt. Vielleicht sah sie sein schönes Gesicht nie wieder, hörte nie mehr seine Stimme, spürte nie mehr die sanfte Berührung seiner starken, schlanken Finger. Vielleicht hatte sie nie mehr die Gelegenheit, sich für ihre Unhöflichkeit zu entschuldigen … und ihm zu sagen, dass sie ihn liebte …

Edwina stapfte mürrisch die Treppe hinunter. In der Halle nahm Harry soeben den Mantel ihres zukünftigen Schwiegerenkels entgegen.

„Wo sind Sie gewesen?“, schnauzte sie Ross gereizt an, um sofort erleichtert hinzuzufügen: „Es ist gut, dass Sie hier sind! Meine Enkelin benimmt sich sehr merkwürdig. Schon bevor sie von dem Duell erfuhr, war sie bleich und kränkelnd. Seit sie weiß, dass Sie verwundet wurden, hat sie kaum ihr Zimmer verlassen …“ Plötzlich stutzte sie, als ihr eine Erkenntnis kam, und sie glotzte den gut aussehenden Mann an, der mit stürmischem Blick die Treppe hochsah.

Edwina überlegte, wie lange es her war, seit Lizzie von zu Hause verschwunden war. Sie war erst kurz vor Mitternacht wieder von diesem charmanten Romeo zurückgebracht worden. „Morgenübelkeit … verdammt!“, knurrte sie verhalten. „Weshalb ist mir das nicht schon früher eingefallen? Kein Wunder, dass Lizzie so beunruhigt ist …“

„Was?“, fragte Ross geistesabwesend, dem kaum bewusst war, dass Edwina ihn anstarrte und vor sich hin murmelte.

„Sehen Sie nur zu, dass Sie so bald wie möglich eine anständige Frau aus ihr machen, sonst verpasse ich Ihnen eine Kugel!“ Sie winkte ab. „Oh, gehen Sie schon hinauf. Dritte Tür links. Hat keinen Sinn, jetzt noch auf Formalitäten zu achten.“ Ross stürmte los. „Ich habe eine Einladung, Signora Favetti soll singen …“, hallte es zu Ross hinauf, der immer zwei Stufen auf einmal nahm.

Als es klopfte, lag Elizabeth gemütlich auf ihrem Bett. Gähnend rief sie: „Herein“, während sie mit einem schmalen Finger eine Locke aus Jacks Stirn strich. Sie lächelte zärtlich, als sie sein leises Schnarchen vernahm. Er sah gesünder aus und hatte Farbe auf den Wangen bekommen. Sie war sicher, dass er sogar schon etwas zugenommen hatte.

„Ist das das Problem? Bin ich zu alt für dich?“

Elizabeth erstarrte. Abrupt rollte sie sich auf den Bauch. Dann rappelte sie sich auf Hände und Knie hoch und hatte sofort muskulöse Oberschenkel vor den Augen. Sie schluckte, und ihr Blick wanderte langsam nach oben zu einer breiten Männerbrust. Ohne zu blinzeln, starrte sie zu Ross hoch, als wäre er ein Geist. „Du … du Teufel! Weshalb hast du das getan?“, kreischte sie. Sofort senkte sie die Stimme, damit Jack nicht aufwachte.

„Weshalb habe ich was getan?“, fragte er rau, während sein begehrlicher Blick über ihren kurvenreichen Körper glitt. Ihr Atem kam in kurzen Stößen, und ihre Brustknospen waren unter dem dünnen Negligé deutlich zu sehen. Er stöhnte auf und griff nach ihr, doch sie entzog sich ihm und hockte sich auf die Fersen, dann krabbelte sie zur gegenüberliegenden Bettkante und stand auf.

„Was habe ich getan? Dich erschreckt? Das tut mir leid …“

Elizabeth sah ihn an. Er wirkte völlig normal, und sie hatte unnötig solche Ängste seinetwegen ausgestanden. Sie eilte zu dem Tisch mit den Einladungen und griff nach einer Hand voll davon. „Das hier!“, zischte sie. „Das hast du getan!“ Sie kehrte zu ihm zurück und warf sie ihm an den Kopf. Ross wandte das Gesicht ab, und die Karten flogen ihm um die Ohren und flatterten auf den Boden.

„Du hast dein Leben riskiert, damit ich das hier bekomme?“, sagte sie erstickt. „Ich will keine gesellschaftlichen Einladungen!“

„Was möchtest du denn?“, fragte er sanft. „Du bist eine sehr tapfere Frau. Sag mir, was du willst, Elizabeth … ich stehe ganz zu deiner Verfügung. Und ich habe es getan“, setzte er heiser hinzu, „… weil es getan werden musste, das ist alles.“

„Ich hatte Angst, dass du am Fieber oder an einer Blutvergiftung stirbst“, keuchte sie.

„Ich bin in Ordnung. Ich war ein paar Tage auf Stratton Hall.“

Tränen rollten ihr über die Wangen, und sie wich zurück. Sie hatte den Schock und den Ärger immer noch nicht ganz überwunden.

Er kam hinter ihr her und drängte sie in eine Ecke. Verzweifelt hob sie die Fäuste und verharrte mitten in der Bewegung. „Wo bist du verletzt?“

Er lächelte auf sie hinab. „Überall …“, säuselte er und beugte sich zu ihr. „Wo bist du verletzt?“

„Überall“, flüsterte sie.

„Warte … mit einem Kuss wird alles wieder gut …“

Mit einem Aufschluchzen schlang sie ihre Arme um seinen Hals und verteilte kleine, zärtliche Küsse über sein ganzes Gesicht. Dann schob sie ihre Hände, mit denen sie ihn eben noch hatte schlagen wollen, in sein glänzendes dunkles Haar.

„Hast du mir etwas zu sagen? Etwas, das ich liebend gerne hören würde?“

Elizabeth schaute zu ihrem Bett hinüber und sah, dass Janes kleiner Sohn sich im Schlaf bewegte. „Versprich mir, dass du nicht böse bist … er ist ein braver Junge.“

„Das meinte ich eigentlich nicht, Liebling“, meinte er trocken. „Aber da du ihn erwähnst … ist er dein Halbbruder?“

Elizabeth befeuchtete sich die Lippen und blickte Ross fest in die Augen. Sie wollte an ihm vorbei, doch als sie gegen seinen rechten Arm stieß, zuckte er zusammen. Sie keuchte erschrocken auf. „Tut mir leid … oh, alles tut mir so leid, Ross. Versprich mir, dass du nicht böse auf mich sein wirst …“, flehte sie, denn sie wollte diese neue Harmonie und Zuneigung nicht mit ihrer Enthüllung wieder zerstören.

Ross ließ sich auf den Schemel vor ihrem Frisiertisch sinken und zog sie geschickt rittlings auf seinen Schoß, sodass sie ihn ansehen konnte. Als sie versuchte, sich in eine etwas schicklichere Position zu bringen, hielt er sie auf und nahm von ihren Lippen Besitz. Sein liebevoller Kuss raubte ihr jeden Willen. Sie ließ sich gegen seine Brust fallen.

Plötzlich brach Ross den Kuss ab. „Wer ist der Junge?“, fragte er sanft, doch nicht ohne Misstrauen.

Sie verschränkte die Hände in seinem Nacken. „Sein Name ist Jack, er ist der Sohn einer alten Freundin von mir … derjenigen, die … die unglücklicherweise …“

Er löste ihre Arme von seinem Hals, sodass er ihr ins Gesicht sehen konnte, und fragte ungläubig: „Du hast das Kind einer Dirne entführt?“

„Nein! Sie bat mich, ihn mitzunehmen. Jane sollte auch mitkommen, aber dieses Ungeheuer wollte sie nicht gehen lassen. Edwina weiß nichts davon, auch nicht, dass Jack hier ist.“

Ross fluchte verhalten. „Das Leben ist nicht so einfach, nicht wahr, Elizabeth?“ Seine Befürchtungen, was sie ihm als Nächstes gestehen mochte, ließen seine Stimme barsch klingen. „Warst du wieder bei den Docks, um einen Tauschhandel mit einem Zuhälter zu machen? Alleine?“

„Nein … mit Hugh … Reverend Clemence. Er ist ein guter Freund von mir und sehr zuvorkommend … Sei nicht böse!“, flüsterte sie mit einem bittenden Ausdruck in den glänzenden Augen.

Zuerst erwiderte er nur ihren Blick, betrachtete die perfekten Konturen ihres Gesichts, die zarte Haut, die ernsten, klaren amethystfarbenen Augen. Er versuchte sich zu beherrschen, doch sein Blut kochte angesichts ihres weichen, verlockenden Körpers. Bereits besiegt, sagte er mit einem sich selbst verspottenden Lächeln: „Ein Emporkömmling von einem Viscount würde nicht nachsichtig sein … oder?“ Seine Lenden gaben ihm die Antwort, bevor sie es tat.

„Ich … ich weiß es nicht, Sir“, erwiderte sie geziert und barg ihr errötendes Gesicht an seiner Schulter. Ihre Brüste schienen zu pochen und fühlten sich schwer und voll an; zwischen ihren gespreizten Schenkeln wurde es heiß und feucht, und diese neuen Gefühle waren aufregend … und machten ihr Angst. „Mein Viscount ist ein tapferer und ehrenhafter Gentleman, der niemals seine Machtstellung missbrauchen würde, selbst wenn er sehr stark in Versuchung geführt wird.“

„Er ist sehr stark in Versuchung, Liebste …“

„Ich weiß …“ Ohne zu überlegen, presste sie ihre Hüften an ihn und ihre Lippen auf seinen Mund, als es an der Tür klopfte.

Josie hatte den Raum betreten, bevor Elizabeth Zeit hatte, vom Schoß ihres Verlobten herunterzuklettern. Die Zofe blieb abrupt stehen und schluckte. Dann sagte sie verwirrt: „Pettifer lässt ausrichten, es sind Besucher da, die mit Ihnen sprechen wollen, Miss Elizabeth …“ Sie blinzelte und ging ruhig wieder hinaus. Elizabeth erkannte, dass Josie sich nicht mehr so leicht schockieren ließ.