2. KAPITEL

„Es ist ja entsetzlich heiß hier, Maria!“, beschwerte Edwina sich bei ihrer Gastgeberin und fächelte sich heftig Luft zu.

„Das Feuer im Ofen brennt, weil Seine Gnaden es so will“, vertraute Maria ihr an und deutete mit dem Kopf auf einen majestätischen Gentleman mit schütterem Haar, der an einem Tisch in der Nähe saß und bei einer Partie Whist mitspielte. „Der gute Charlie besteht darauf, dass ordentlich geheizt wird, seit man ihm zutrug, der junge Carstairs habe letzte Woche hier übernachtet. Ich habe mich beklagt, es wäre in meinem Zimmer so kalt gewesen, dass ich im Bett erfroren wäre, wenn kein heißblütiges Regimentsmitglied hineingeschlüpft wäre, um mich zu wärmen. Am nächsten Tag lag ein riesiger Stapel Holzscheite draußen vor meiner Tür.“

Edwina kicherte und deutete auf ihr Glas. „Was, um Himmels willen, ist das nur für ein scheußliches Gesöff? Hat er so viel Geld für das Brennholz ausgegeben, dass es nicht mehr für anständigen Wein gereicht hat? Das Zeug schmeckt wie Hustensirup.“

„Seine Gnaden legt heute Abend Wert auf eine nüchterne Gesellschaft“, seufzte Maria. „Ich hatte gestern ein wenig zu viel getrunken, und er konnte mich nicht mehr wach bekommen. Nicht, dass es mir etwas ausgemacht hätte, wenn der alte Bock weitergemacht hätte, solange ich ohne Bewusstsein war.“

Damit schwebte Maria anmutig davon, um ein paar Neuankömmlinge zu begrüßen.

Edwina setzte ein Lächeln auf und nickte einigen Bekannten zu, doch ihr Vergnügen hatte bereits ein Ende gefunden, bevor der Abend richtig begonnen hatte. Die Gesellschaft, das Essen und die Musik waren so ausgezeichnet wie stets. Es lag auch nicht an der stickigen Hitze. Etwas anderes hatte ihr die gute Laune verdorben.

Als sie nämlich bei Marias elegantem Stadthaus vorgefahren war, hatte sie gesehen, dass Alice Penneys Kutsche ein Stück weiter die Straße entlang hielt. Dann war Mrs. Penney mit viel Aufhebens und Getue aus dem Landauer gestiegen und hatte ihr dabei einen äußerst abfälligen Blick zugeschossen.

Und jetzt konnte Edwina kaum an etwas anderes denken. Sie schloss aus dem Verhalten der Dame, dass sie die Wette gewonnen hatte: Harry Pettifer würde seinen Dienst quittieren und zu neuen Ufern aufbrechen. Ärgerlicherweise war Edwina geneigt, nach Hause zu fahren, um herauszufinden, ob sie mit ihrer düsteren Vorahnung recht hatte. Evangeline, die sich in einen Sessel in einer Ecke gekauert hatte und eifrig strickte, hatte sie völlig vergessen.

Edwina bewegte heftig ihren Fächer, entschied sich aber dann, für eine Weile an die frische Luft zu gehen, und steuerte auf eine der hohen Fenstertüren zu, die auf die Terrasse führten. Draußen angekommen, trat sie an die eiserne Brüstung, von wo aus man den Rasen überblicken konnte.

„Sie sehen aus, als wollten Sie in eine Schlacht ziehen, Mrs. Sampson“, sagte eine schleppende Stimme neben ihr.

Die Stirn der alten Dame glättete sich, sie spähte zur Seite und lächelte entzückt. Aber obwohl der rauchige Bariton so vertraut klang, konnte es gut sein, dass es nicht derjenige Ross Trelawneys war. Nachdem er ein beeindruckendes Vermögen in Gestalt einer Schiffsladung geschmuggelter Goldbarren gekapert, konfisziert und in die Schatztruhen des Königs zurückgeführt hatte, stand Edwinas Lieblingsschurke jetzt hoch in der Gunst von Georgy Porgy, wie sie gehört hatte, und war bei Hofe hochwillkommen.

Es war unwahrscheinlich, dass Ross Trelawney, nunmehr Viscount Stratton, alleine im Dunkeln auf der Terrasse einer reifen Kurtisane saß, selbst wenn die Dame in verdammt vornehmen Kreisen verkehrte und ihr aristokratischer Liebhaber an diesem Abend anwesend war. Wenn es tatsächlich der Viscount war, dann würde eine ehrgeizige junge Frau an seinem Arm hängen, darauf versessen, ihm den Kopf zu verdrehen.

Eine Zigarre glühte in der Dunkelheit neben ihr auf. Edwina hob ihre Lorgnette, die an einer Perlenkette um ihren Hals hing. „Sind Sie das tatsächlich, Trelawney? Mischen Sie sich heute Abend zur Abwechslung mal unters gemeine Volk? Muss ich jetzt knicksen?“, neckte sie ihn und kicherte erfreut, als ein hochgewachsener dunkelhaariger, außerordentlich gut aussehender Mann in das schwache Licht trat, das durch die Terrassentür drang.

„Ich nehme Ihre Glückwünsche an, Edwina“, bemerkte er trocken. „Wie geht es Ihnen?“

„Es ging mir schon besser“, antwortete sie mit einem kleinen Seufzen, da ihr plötzlich wieder einfiel, weshalb sie hier herausgekommen war. „Ich habe mich über etwas geärgert, Ross. Aber es ist schön, Sie zu sehen. Es muss schon …“ Sie brach nachdenklich ab und versuchte sich darauf zu besinnen, wann sie Ross Trelawney das letzte Mal in Gesellschaft begegnet war.

„… mehr als zwei Jahre her sein, wie ich mich erinnere“, half Viscount Stratton nach. „Im vorletzten Sommer in Vauxhall. Ich komme nicht mehr so oft nach London wie früher.“

„Und wenn, dann schleichen Sie im Dunkeln herum. Sind Sie auf einmal scheu geworden?“, lachte sie.

„Ich werde immer scheu, wenn eine Frau sich eine Verbindung mit mir in den Kopf setzt. Aber deshalb bin ich nicht hier draußen“, gab er lächelnd zu. „Es ist da drinnen höllisch heiß, nicht wahr? Und ich war mir nicht sicher, ob ich dieses seltsame Gebräu trinken sollte, das da heute Abend serviert wird.“

„Ich bin ganz Ihrer Meinung“, sagte Edwina und betrachtete angewidert ihr Glas. Dann verengte sie nachdenklich die Augen. „Also sind Sie immer noch unverheiratet … Ich nahm an, dass es einem der kleinen Biester inzwischen gelungen wäre, Sie in die Enge zu treiben.“

„Sie versuchen es, Edwina“, stimmte er ihr trocken zu. „Aber sie sind nicht gut genug, als dass es ihnen gelingen würde.“

„Sie sind ein herzloser Schuft“, schalt Edwina mit einem schiefen Grinsen und einem schlauen Blick. „Ich verstehe natürlich, dass diese flatterhaften jungen Misses, die gerade erst das Schulzimmer verlassen haben, Ihnen nicht zusagen. Na … Sie müssen doch mindestens dreiunddreißig Jahre alt sein. Sie sind ein kultivierter Mann, zu dem eine reifere Dame passen würde. Eine, die etwas älter und welterfahrener ist …“

„Machen Sie mir einen Antrag, Edwina?“, fragte Ross mit vorgetäuschtem Ernst.

Edwina lachte hell auf und schlug ihm in gespielter Entrüstung mit ihrem Fächer auf den Arm, doch insgeheim überschlugen sich die Gedanken in ihrem Kopf.

„Weshalb machen Sie also heute Abend so ein mürrisches Gesicht?“, fragte Ross beiläufig. „Abgesehen davon, dass es keinen guten Cognac gibt, natürlich.“

Edwina sah ihn scharf an. „Nun, ich würde es Ihnen tatsächlich gerne erzählen, Stratton. Ich brauche einen Freund, dem ich mich anvertrauen kann. Sie müssen morgen vorsprechen, wir werden zusammen dinieren und alle Neuigkeiten austauschen. Sie können mich … und meine Enkelin … mit Ihren Heldentaten beeindrucken“, murmelte sie mit einem Hüsteln.

Ross runzelte die Stirn und machte eine bedauernde Geste, während er verzweifelt nach einer triftigen Entschuldigung suchte, aber Edwina ließ ihn nicht aus den Fängen. „Es wird Zeit, dass Sie meine Enkelin kennenlernen … Und Sie werden meine Geschichte amüsant finden. Vielleicht ergibt sich ja sogar eine kleine Nebenwette für Sie daraus. Ihnen und mir ist es doch immer gelungen, eine gute Wette abzuschließen, nicht wahr?“

„Ich habe nach Ihnen gesucht, Lord Stratton. Ich dachte, wir wollten woanders hingehen, wo es etwas Anständiges zu trinken gibt …“, ertönte plötzlich eine weibliche Stimme von der Terrassentür her.

Ross blickte sich um. „Hallo, Cecily.“

„Oh, mir war nicht bewusst, dass Sie mit Ihrer Großmutter zusammen sind.“ Die junge Frau hielt sich erschrocken die Hand vor den rot geschminkten Mund. „Oje, ist sie Ihre Großmama?“ Sie stand im Türrahmen, und das Kerzenlicht hinter ihr zeichnete ihre kurvenreiche Figur unter dem durchscheinenden Voile ab.

Edwina warf einen kurzen Blick auf ihr festes, jugendliches Gesicht und schätzte sie auf kaum zwanzig. Aber sie war herausgeputzt und selbstbewusst – wahrscheinlich hatte sie schon mehrere Jahre als jemandes Mätresse hinter sich. Als Edwina Ross fragend anschaute, sah sie, dass er in sich hineinlachte. Bei ihrer finsteren Miene zuckte er leichthin die Schultern.

Edwina schritt majestätisch zur Tür und musterte die junge Dame. „Ja“, schnurrte sie mit gekräuselten Lippen, „ich könnte seine Großmama sein. Aber ich frage mich doch, was Sie wohl sein könnten?“

Verächtlich zog sie die Brauen hoch und wandte sich ab. „Ich erwarte Sie dann morgen um sieben, Stratton. Verspäten Sie sich nicht.“ Damit betrat sie den stickigen Salon und bellte Evangeline an, ihren Umhang zu holen, da sie nach Hause wolle.

Cecily Booth beobachtete, wie die alte Dame in Begleitung ihrer Gesellschafterin den Raum verließ. Dann wandte sie sich zu ihrem Liebhaber um, sah ihn schmollend an und legte den Kopf schief. Als Ross sie nicht beachtete, trat sie zu ihm und schob besitzergreifend eine Hand in seine Armbeuge. „Wer war dieses dicke Scheusal, Ross?“, seufzte sie.

„Eine gute Freundin.“ Ross zog ein letztes Mal an seiner Zigarre und warf sie dann in den nächtlichen Garten.

„Ich habe dir doch gestern Abend gesagt, dass ich heute nicht zu Hause sein werde, Großmama.“

„Ja … ja, das hatte ich vergessen. Aber es ist wichtig, dass du zum Dinner wieder zurück bist. Wir haben nämlich heute einen Gast.“

„Kenne ich ihn?“

„Äh … nein. Er ist ein … weit gereister Gentleman. Ein langjähriger Freund von mir, den ich schon Jahre nicht mehr gesehen habe. Wir haben früher immer Karten gespielt und ein paar Pfund riskiert, als du noch in Thorneycroft bei deinem Papa gelebt hast. Wie ich schon sagte, er ist ein Mann, der das Abenteuer liebt. Er war auf See. Zurzeit steht er bei Hofe hoch in der Gunst.“

Lady Elizabeth Rowe zog ihre Handschuhe an und rückte den Hut zurecht. „Nun, dann wird er auf deine Gesellschaft sehr viel mehr Wert legen als auf meine. Aber falls wir früh genug von Bridewell zurück sind, werde ich mich freuen, ihn kennenzulernen.“ Froh, dass ihre Meinungsverschiedenheit vom vorherigen Tag vergessen zu sein schien, lächelte sie ihre Großmutter an. Sie ging zum Fenster und schob die Gardine zurück. „Oh, da kommt Hughs Gig ja schon. Ich muss mich sputen.“

Elizabeth eilte in die Halle, und Edwina folgte ihr, so schnell sie konnte. „Sieben Uhr. Sag dem Reverend, dass ich dich um diese Zeit zurückerwarte, um mit Viscount Stratton zu dinieren …“, rief sie ihrer Enkelin in vernehmlicher Lautstärke nach, bevor Pettifer die Haustür hinter ihr schloss.

Elizabeth lief leichtfüßig die Steinstufen hinunter und gestattete Hugh Clemence, ihr in die Kutsche zu helfen.

Hugh Clemence’ Augen verweilten auf ihrem elfenbeinfarbenen Profil. „Hat Mrs. Sampson gerade Viscount Stratton erwähnt? Oder habe ich den Namen falsch verstanden?“

Elizabeth runzelte die Stirn. „Nein, Sie haben richtig gehört. Sie hat mir erzählt, er wäre ein alter Freund von ihr, der heute Abend mit uns dinieren wird. Es klang so, als wäre er ein faszinierender Mensch.“

Als sich sein angespanntes Schweigen in die Länge zog, fragte sie: „Ist etwas nicht in Ordnung, Hugh?“

Der Reverend zwang sich zu einem winzigen, steifen Lächeln. „Nein. Ich weiß, dass Ihre Großmutter ein wenig … exzentrisch ist und sich zuweilen in etwas … seltsamer Gesellschaft aufhält. Trotzdem muss ich zugeben, es überrascht mich, dass sie und der Viscount miteinander bekannt sind.“

„Weshalb?“, fragte Elizabeth mäßig neugierig.

„Er … er ist ein Junggeselle mit … mit einem gewissen Ruf. Vielleicht kennen Sie ihn eher unter dem Namen Ross Trelawney. Er wurde kürzlich vom König geadelt. Haben Sie es nicht in der Zeitung gelesen?“

Elizabeth schüttelte nachdenklich den Kopf. Dann weiteten sich ihre Augen, und sie lachte ungläubig auf. „Nicht der Trelawney … der Pirat? Der Trelawney aus Cornwall … der immer in irgendeinen Streit oder Skandal verwickelt ist?“

„Wohl eher ein plündernder Schmuggler als ein Pirat, meine ich.“ Hugh rümpfte die Nase. „Jetzt wird er natürlich als Schmugglerfänger gefeiert. Er hat mit den Jahren ein Vermögen an Geldern und Waren für die Krone zurückgeholt. Deshalb ist er auch in den Adelsstand erhoben worden. Er war lange für seine finsteren Taten berüchtigt …“, fügte er unheilvoll hinzu. „Und junge Damen, die ihre Tugend schätzen, wären wohl beraten, um ihn und seine Freunde einen großen Bogen zu machen!“ Hugh errötete ob seines missionarischen Eifers und sah Elizabeth eindringlich an. „Machen Sie keine ironische Bemerkung über Ihren eigenen Ruf, Elizabeth“, bat er sie freundlich. „Meiner Einschätzung nach gab es nie eine tugendhaftere, wohltätigere Dame als Sie.“

Elizabeth lächelte mit gerunzelter Stirn und wandte den Kopf ab. „Danke, Hugh. Denken Sie bitte daran, dass Sophie sich uns später anschließen will. Ich habe ihr gesagt, dass sie mit uns nach Hause fahren kann, wenn Sie nichts dagegen haben.“

Der Reverend versicherte ihr, er wäre höchst erfreut, ihre Freundin heimzubringen. Elizabeth dachte jedoch immer noch darüber nach, dass ihre Großmutter an diesem Abend mit einem berüchtigten Schurken zu dinieren gedachte. Wenn man dem Klatsch Glauben schenken durfte, war der neue Viscount Stratton ein ebenso hartgesottener Lebemann wie ihr schlimmster Feind, der abstoßende Earl of Cadmore. Aber weshalb war es ihrer Großmutter so wichtig, sie bei ihrem Dinner mit diesem übel beleumdeten alten Seebären dabeizuhaben? Wenn nur die Hälfte von dem stimmte, was man sich über Trelawney erzählte, war er kaum eine passende Gesellschaft für eine Jungfer von vornehmer Geburt.

Elizabeth war sehr erleichtert, dass es nach dem Streit am vorherigen Tag kein ausgedehntes Schweigen und keine eisigen Blicke seitens ihrer Großmutter gegeben hatte. „Ich möchte, dass du versorgt bist“, hatte die alte Dame gestern betont, und ihre Stimme hatte entschiedener geklungen als sonst. Weshalb war sie so erpicht darauf, sie ihrem Freund vorzustellen? Hugh hatte vorhin gesagt, Trelawney sei Junggeselle. Und er war seit Kurzem ein Adeliger. Vielleicht wollte er die Verwandlung in einen Gentleman abrunden, indem er sich eine Gattin von Stand nahm? Wollten ihn ehrbare Damen des ton wegen seiner fragwürdigen Vergangenheit nicht akzeptieren? Möglicherweise glaubte die Großmutter, er könnte sich zu einer Gemahlin überreden lassen, deren Ruf ebenso besudelt war wie sein eigener …

Oder vielleicht sind das alles alberne Überlegungen, ermahnte sie sich und schenkte Hugh ein so süßes Lächeln, dass ihm beinahe die Sinne schwanden.

„Wetten Sie einfach dagegen, dass Sie ihn halten können, und dann bestechen Sie ihn, damit er bleibt“, meinte Ross und nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Auf diese Weise können Sie den Betrag, den Sie ihm zahlen, mit Ihrem Gewinn ausgleichen, falls er zustimmt mitzuspielen.“

„Ja, daran hatte ich auch schon gedacht“, sagte Edwina und schob sich eine Gabel voll Fasanenragout in den Mund. Nachdenklich kauend sah sie ihn an. „Ich bin sicher, dass Pettifer gegen ein frühzeitiges Ruhestandsgeschenk nichts einzuwenden hätte. Das Problem ist, Stratton, dass ich derzeit nur wenig Bares flüssig habe. Wenn ich meinen Butler behalten und die Wette abschließen will, um diese Schlampe Penney fertigzumachen, dann muss ich unverzüglich handeln. Bis ich einige meiner Wertpapiere verkauft habe, wird diese Hexe mich zur Zielscheibe des Gespötts gemacht haben. Ich brauche eine recht beträchtliche Summe …“

Ross sah sich in dem gemütlichen, eleganten Speisesalon um und fragte sich, welch seltsame Anwandlung ihn bewogen hatte, der Bitte dieses alten Drachens Folge zu leisten und mit ihr zu dinieren. Sicher, man konnte sich darauf verlassen, dass Edwina ausgezeichnetes Essen und anregende Unterhaltung bot. Aber das galt auch für Cecily, die den Vorteil hatte, dass sie viel ansehnlicher war. Stattdessen verbrachte er einen Großteil des Abends mit einer Frau in den Sechzigern, um ihr Mittel und Wege vorzuschlagen, wie sie ihre Rivalinnen bei einem alten Kerl ausstechen konnte, für den offenbar alle eine Schwäche hatten.

Normalerweise bevorzugte Ross die Gesellschaft lebhafter junger Damen, die sich ebenso gern vergnügten wie er, nie besitzergreifend wurden oder in Tränen ausbrachen, wenn er verschwand, um woanders zu zechen. Cecily dagegen forderte sklavische Aufmerksamkeit und großzügige Bezahlung. Als Gegenleistung bot sie ihm freigiebig ihren Körper und ihre Ergebenheit. Mit Letzterem war er äußerst zufrieden, doch er wollte nicht, dass sie jeden Abend unerwartet an seiner Seite auftauchte. Er genoss es, ungebunden zu sein, und es ärgerte ihn zunehmend, dass sie ihm ständig nachstellte.

Er sah, wie Edwina noch mehr Gemüse auf ihren Teller lud. Lächelnd erkannte er, dass er nur hergekommen war, weil ihm ihre Andersartigkeit guttat. Sie war so gar nicht eitel. Es gab keine hinterlistigen Spielchen, keine schelmischen Blicke, keine Andeutungen, welcher Plunder bevorzugt wurde, keine Bitten um Geld. Edwina wollte nur seine Gesellschaft, seinen Rat und ein wenig in Erinnerungen schwelgen.

In zufriedener, freundschaftlicher Stimmung äußerte er: „Sie haben ein elegantes Haus, Edwina. Es sieht nicht danach aus, als wären Ihre finanziellen Möglichkeiten beschränkt.“

Edwina warf ihm einen listigen Blick zu. „Oh, so ist es auch nicht. Ging mir nie besser. Aber ich mag es, wenn mein Vermögen sich mehrt, ich nehme Investitionen so vor, dass ich nicht an das Geld herankomme. Ich bin vorsichtiger als Sie, Stratton. Ich weiß, Sie haben immer etwas flüssig für die Notwendigkeiten des Lebens, die sparsame Sterbliche wie ich für Luxus halten. Deshalb bin ich momentan in einem kleinen … äh … pekuniären Engpass …“

Ross lachte in sich hinein. Es war naiv von ihm gewesen zu glauben, dass es eine Frau gäbe, die nichts von ihm wollte. „Edwina, nennen Sie doch einfach einen Betrag“, sagte er trocken.

„Zwölftausend … und Sie erhalten sie innerhalb von zwei Wochen zurück – zu einem hübschen Zinssatz“, erwiderte sie prompt, wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und ließ ihn nicht aus den Augen.

„Zwölftausend?“, wiederholte er ungläubig. „Ich dachte, Sie wollten Ihren Butler behalten, nicht ihm einen Wohnsitz mit eigener Dienerschaft und Kutschen zur Verfügung stellen. Haben Sie etwa eine Schwäche für ihn, Edwina?“

Edwina winkte ab, konnte ein mädchenhaftes Kichern jedoch nicht unterdrücken. „Es ist doch nicht alles für ihn, Sie Narr! Harry Pettifer wäre hocherfreut über ein Zehntel dieser Summe. Ich brauche so viel, um gegen Alice Penney zu wetten … sobald es mir gelungen ist, sie zu überzeugen, dass sie die größten Chancen hat, Pettifer zu bekommen.“

Ross lehnte sich zurück, hob sein Glas an die Lippen und sah Edwina über dessen Rand hinweg nachdenklich an. Er hatte eigentlich erwartet, dass eine füllige, einfache junge Frau, die ständig errötete, mit ihnen am Tisch sitzen würde. „Wo ist Ihre Enkelin heute Abend?“, fragte er beiläufig.

Edwina verschluckte sich und klopfte sich auf die Brust. Verdammt! Sie war zuversichtlich gewesen, dass er es vergessen hatte! Erst als sie eine Stunde vor seiner Ankunft über ihre Strategie nachgedacht hatte, war ihr klar geworden, dass sie wünschte, sie hätte die liebe Lizzie ihm gegenüber überhaupt nicht erwähnt. Die Sache war so gut gelaufen … Aber jetzt sah er … zu zynisch aus für ihren Geschmack. Und diesen Mann durfte man nicht unterschätzen …

„Oh, sie ist unterwegs, um gute Taten zu vollbringen“, brachte Edwina keuchend heraus. „Interessiert sich kaum für etwas anderes, wissen Sie. Verbringt ihre ganze Zeit mit Langweilern und Geistlichen. Sie würde Ihnen nicht gefallen“, winkte sie mit gerümpfter Nase ab. „Aber wechseln Sie nicht das Thema, Stratton. Sie schulden mir einen Gefallen. Ich habe Sie damals bei Almack’s ausgelöst, als Sie fünfzehnhundert verloren hatten und beinahe ins Fleet-Gefängnis gekommen wären.“

„In Ordnung … ich gebe nach“, lachte Ross. „Zum Teufel, was soll’s? Es ist ja nur Geld. Aber zehntausend Pfund und nur für zwei Wochen“, sagte er ernst. „Ich kann es mir nicht mehr leisten, so großzügig zu sein, wie ich es vielleicht einmal war. Ich habe einen Besitz zu restaurieren und Verpflichtungen denen gegenüber, die von mir abhängig sind. Sie sind nicht die Einzige, die ein altes Faktotum hat, das zufrieden bleiben soll, Edwina.“

„Nun, dann lassen Sie uns doch eine kleine Nebenwette abschließen. Dann können Sie einiges von Ihrem Gewinn bezahlen. Kommen Sie, Sie wissen doch, dass ich die Anleihe zurückzahlen werde“, überredete Edwina ihn. „Wir kennen uns schließlich seit fünfzehn Jahren. Ich habe Sie gleich gemocht, seit Sie das erste Mal in London und noch ein grüner Junge waren. Auch mit achtzehn konnten Sie mit Ihrem Charme schon alles erreichen.“

„Ich erinnere mich daran, wie gewogen Sie mir waren, Edwina“, sagte Ross lächelnd. „Deshalb werde ich Ihnen die Summe auch zur Verfügung stellen. Schicken Sie Ihren Diener morgen zu Jacey’s in die Lombard Street. Er kann dort einen Vertrag zur Unterschrift abholen.“

„Einen Vertrag?“, bellte Edwina. „Haben Sie kein Vertrauen zu einer alten Freundin?“

„Natürlich, Edwina“, sagte Ross glatt und blendete sie mit seinem legendären gewinnenden Lächeln. „Doch Sie würden es sicher hassen, wenn unsere Freundschaft scheitern würde, falls etwas schiefgeht. Eine schriftliche Abmachung ist auch zu Ihrem Vorteil. Ich könnte schließlich zur Vernunft kommen und versuchen, mich nicht an so ein verrückt großzügiges Versprechen zu halten.“

Elizabeth stellte ihre Teetasse ab und warf einen Blick auf die Uhr. Es war beinahe halb zehn, sie war müde und wäre gerne gegangen. Im Anschluss an ihre wöchentlichen Besuche in Tothill Fields kamen die Mitglieder des Freundeskreises, die die Besserungsanstalt für Frauen und Kinder besuchten, gewöhnlich bei Mrs. Martin zusammen, um leichte Erfrischungen zu sich zu nehmen und ernste Diskussionen zu führen. Normalerweise fesselten die lebhaften Gespräche Elizabeths Aufmerksamkeit, aber an diesem Abend hatte sie kaum ein Wort beigesteuert. Den ganzen Tag war ihr Viscount Stratton nicht aus dem Kopf gegangen. Ein Teil von ihr wollte sofort nach Hause eilen, um herauszufinden, wie er wohl aussah, und ein anderer Teil wollte so lange wie möglich bleiben, damit sie nicht zu früh heimkehrte.

Hugh schien ihre Unruhe aufgefallen zu sein, denn er beugte sich zu ihr. „Sind Sie bereit aufzubrechen, Elizabeth?“

Sie lächelte und nickte. Ihr Entschluss war gefallen. Sie wollte einen Blick auf diesen faszinierenden Schurken werfen. Wenn sie vor zehn Uhr in Marylebone eintraf, wäre er sicher noch bei ihrer Großmutter. Schließlich wusste sie aus Erfahrung, dass Edwinas Gästen bei einer Speisenfolge von üblicherweise mehr als zehn Gerichten ein längerer Aufenthalt nicht erspart blieb.

Vor wenigen Minuten hatten Elizabeth und der Reverend Sophie in der Perman Street abgesetzt und kamen nun im Schein der neuen Gaslaternen schnell in Richtung der Stadtresidenz von Mrs. Sampson voran.

Elizabeth hatte urplötzlich Schmetterlinge im Bauch, als Hughs Gig in die Connaught Street einbog und eine elegante Kutsche mit einem Gespann edler, aufeinander abgestimmter Grauer ihnen auf der Straße entgegenkam.

Hugh machte eine Bemerkung, doch sie hörte ihm kaum zu, denn dieses glänzende Gefährt konnte nur … Dann waren die Pferde auf gleicher Höhe, und sie versuchte einen Blick durch das Kutschenfenster zu erhaschen.

Sie sah einen dunkelhaarigen Gentleman, der sich gerade eine Zigarre anzündete. Im Licht der Streichholzflamme erkannte sie ein markantes, gut geschnittenes Gesicht. Eine Haarsträhne fiel ihm in die Stirn, und der Mann warf den Kopf zurück und schüttelte sie nach hinten, während er den Stumpen aus dem Mund nahm, um dann mit seinen sinnlichen Lippen gekonnt einige Rauchringe auszublasen.

Er löschte das Zündholz mit einer schnellen Bewegung seiner Hand und schaute beiläufig zu dem Einspänner hinüber. Eine Sekunde zu spät fiel ihm die Dame mit den großen, schimmernden Augen und den hellen Locken unter dem dunklen Hut auf, doch da waren die Kutschen bereits aneinander vorbeigefahren.