|229|9

Es gibt Menschen, die relativ jung sind, aber das Weltwissen eines Neunzigjährigen verströmen, ohne dass irgendwas, was die Welt zu bieten hat, sie je bezaubern oder zu Tränen rühren könnte. Detective Trevor Kavanagh, Mitte dreißig, sitzt mit gespreizten Beinen da, weil seine dicken Oberschenkel es so wollen. Ich unterstütze die Polizei bei ihren Ermittlungen in einem kahlen Raum mit einem winzigen Digitalrecorder, der unser Gespräch für die juristisch interessierte Nachwelt aufzeichnet.

Das Lokalradio berichte schon den ganzen Morgen über Bethanys Entführung. Ob ich davon gehört hätte? Nein, anders als bei meiner Vermieterin läuft bei mir weder Sunshine FM noch BBC Southern Counties rund um die Uhr. In diesem Fall wird Detective Kavanagh die Sache für mich zusammenfassen. Ein öffentlich als Kind B. bekanntes junges Mädchen, eine psychotische Minderjährige, wurde für einen Zeitraum von vier Minuten im Krankenhaus unbewacht gelassen. Das Systemversagen, das dazu führte, wird »separat analysiert«. In diesem entscheidenden Zeitraum ist auf den Aufnahmen der Überwachungskamera eine Gestalt zu sehen – vermutlich männlich, Alter unklar –, die einen grünen Chirurgenkittel und eine Gesichtsmaske trägt und Bethany Krall befreit. Dass Bethany das Krankenhaus ohne jeden Widerstand mit diesem »Individuum« verlassen hat, ist entweder auf Einverständnis zurückzuführen oder aber – ob ich das bitte kommentieren würde? – ein Symptom ihres fehlenden psychischen Gleichgewichts. Kavanagh verzichtet auf den Hinweis, dass ich als Bethanys letzte Therapeutin unwiderruflich in dieses Durcheinander verstrickt bin. Doch der Gedanke steht im Raum.

|230|Detective Kavanaghs Hände auf der Tischplatte sind kräftig und sauber wie die eines orthopädischen Chirurgen. Man würde ihnen sein Leben anvertrauen. Er erklärt, es habe keinerlei Anzeichen eines Kampfes gegeben. Dies lege die Vermutung nahe, dass Bethany ihren Entführer gekannt habe.

»Dürfte ich fragen, wie lange Sie, hm, an den …« Er deutet mit dem Kopf darauf. Ich rolle einen Millimeter nach hinten.

»Ein Jahr, zehn Monate und drei Tage. Und es ist dauerhaft. Ich kann nicht gehen, falls Sie darauf hinauswollen. Und falls Sie wissen möchten, wo ich gestern Abend war – ich habe kein Alibi. Jedenfalls keines, das einer Prüfung standhält. Ich war allein zu Hause. Nur ich und mein kleiner Freund aus Titan.« Ich tätschle ein Rad.

Der Kriminalbeamte erzählt mir, dass auf der Besucherliste von Oxsmith der Name Dr. Frazer Melville auftaucht. Er habe sich sehr kurzfristig bei der Arbeit beurlauben lassen. Wie sei unsere Beziehung beschaffen, worin bestehe sein Interesse an Bethany, und wo sei er jetzt?

»Wir sind eher Bekannte als enge Freunde. Soweit ich weiß, ist er beruflich unterwegs.«

»Er ist in der Tat ins Ausland gefahren«, sagt Kavanagh. Es klingt wie eine Ansage beim Poker. Daher setze ich mein Pokerface auf und erlaube mir keine Regung. »Dieser Zufall gibt uns natürlich zu denken.«

»Wo ist er denn?«

»Uns liegt eine Meldung vor, nach der er gestern in Thailand eingetroffen ist.«

Der Ermittler mustert mein Gesicht. Daher bemühe ich mich, meinen Schock so gut wie möglich zu verbergen, während ich die Konsequenzen seiner Worte zu erfassen suche. Wenn Bethany heute Nacht entführt wurde, kann es nicht Frazer Melville gewesen sein. Thailand. Das passt alles nicht zusammen. Wer hat dann Bethany mitgenommen? Ist es möglich, dass er genau das tut, was er angeblich tun wollte, und in diesem Moment irgendwelche |231|Naturfotos in Südostasien schießt? Obwohl in fünf Tagen eine Methan-Katastrophe ihren Lauf nehmen wird?

Das heute ist nie geschehen. Genau wie Kristin Jonsdottir. Ich werde die Zähne zusammenbeißen und meine Rolle spielen. Aber nicht um ihretwillen.

»Sie sind also mit Dr. Melville bekannt? Aber nicht eng befreundet? Nach Aussage von Dr. Sheldon-Gray haben Sie einander auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung hier in Hadport kennengelernt. Die Sie beide früh verlassen haben, wodurch Ihnen das Buffet und die Tombola entgangen sind.« Mir ist klar, worauf er hinauswill.

»Buffets liegen mir am nächsten Tag immer so schwer im Magen. Und bei einer Tombola habe ich noch nie Glück gehabt. Dr. Melville zeigte sich an Bethany interessiert.«

»Also haben Sie ihm von ihr erzählt?«

»Ich habe nicht gegen die Schweigepflicht verstoßen, falls Sie das meinen.« Streng genommen entspricht das nicht ganz der Wahrheit. »Er ist ihr einmal begegnet, das ist alles. Auf meinen Vorschlag hin. Er wollte ihr Interesse an Naturwissenschaften fördern. Mir war nicht klar, worauf das hinauslaufen würde.« Ich bin keine gute Schauspielerin, das hat schon mein Auftritt als religiös verwirrte Penny gezeigt. Aber ich füge besorgt hinzu, dass ich unbedingt dabei helfen möchte, Bethany zu finden, und dass er mich alles fragen könne und müsse.

»Sind Sie sich darüber im Klaren, dass Dr. Melville Bethanys psychotische Visionen ernst genug genommen hat, um Wissenschaftskollegen darauf anzusprechen, was seine Vorgesetzten sehr beunruhigt hat?«

Ich nicke beschämt und erkläre, dass ich mir die Schuld daran gebe. Ich hätte erkennen müssen, dass Frazer eine ungesunde Besessenheit an den Tag legte, wenn es um Bethanys Ideen ging. Vor allem, da meine Vorgängerin Joy McConey in dieselbe Falle getappt sei. »Bethany kann sehr überzeugend sein«, sage ich mit Nachdruck. »Ihre Wahnvorstellungen können ansteckend |232|wirken. Bei einem Fall wie ihrem ist die Gefahr groß, sich damit zu identifizieren.« Ich schaue zu Boden und lasse mir Zeit, bevor ich ihn wieder ansehe. Es ist, als wären wir beide unter einer Käseglocke gefangen. »Dr. Sheldon-Gray scheint zu glauben, auch ich sei davon betroffen.« Er wirkt interessiert. »Obwohl ich das kategorisch abstreite.« Damit hat er vermutlich nicht gerechnet. Ich warte, bis er meine übersprudelnde Ehrlichkeit und mein leidenschaftliches Verlangen, der Polizei beim Rätsel des schurkischen Physikers zu helfen, verdaut hat. »Dr. Melville hat eine schwere Zeit hinter sich«, fahre ich fort. »Seine Mutter ist vor Kurzem gestorben, und das hat ihn tiefer getroffen, als er zugibt. Irgendwie ist ihm alles über den Kopf gewachsen. Leider sehen wir Psychologen nicht immer das Offensichtliche, selbst wenn es uns fast anspringt.«

»Wie also erklären Sie sich seine Abreise, kurz bevor Bethany entführt wurde? Reiner Zufall?«

»Gewiss ist es keine Überraschung. Er musste unbedingt einen Schnitt machen. Er erzählte etwas von einer Exkursion. Seine Mutter war gestorben, im Job wurde er kaltgestellt, die Begegnung mit Bethany hatte ihn verwirrt. Also habe ich gesagt, dann fahr doch, um Himmels willen. Ich bin froh, dass er meinen Rat beherzigt hat.«

»Haben Sie irgendeine Vorstellung, was Dr. Melville in Thailand macht? Auf dieser Exkursion?«

Ich konzentriere mich auf die Tischplatte. Sie ist aus Holzlaminat. Man fotografiert Holz und projiziert es auf Kunststoff. Der Realismus ist herzzerreißend. Der Kriminalbeamte rutscht ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her. Aktive Männer sitzen nicht gern hinter Schreibtischen fest.

»Es tut mir leid, das zu sagen, aber wenn ich an Frazers … Neigungen denke, dürfte Exkursion ein ziemlicher Euphemismus sein.« Kavanaghs Augenbrauen schießen in die Höhe. Ich genieße meinen kleinen Racheakt. »Ihr Fachgebiet ist das Verbrechen, meines die Psyche. Wir beide haben im Beruf mit ungesunden |233|Impulsen zu tun. Mir gefällt vieles nicht, was Menschen tun. Das heißt aber nicht, dass es nicht existiert.«

»Könnten Sie das etwas präzisieren, Ms. Fox?«

»Na, kommen Sie, ist das wirklich nötig?« Er hebt wie zur Bestätigung das Kinn. »Also schön. Frazer Melville ist ein einsamer, übergewichtiger, alleinstehender Mann mittleren Alters, der nach dem Tod seiner Mutter eine schwere Zeit durchmacht.«

»Ihre Vermieterin Mrs. Zarnac scheint zu glauben …«

Ich schüttle lachend den Kopf. »Mrs. Zarnac hat wenig zu tun und eine ausufernde romantische Phantasie. Sie ist eine treue Abonnentin der Zeitschrift True Life, die sich, wie Sie sicher wissen, auf Geschichten spezialisiert, in denen finanziell und körperlich benachteiligte Menschen ungeheure Schwierigkeiten überwinden und ewige Liebe finden. Es tut mir leid, dass ich sie so enttäusche. Sehe ich wirklich aus, als hätte ich ein Sexleben?«

Das scheint ihn zu bremsen. »Dr. Melville war einmal verheiratet«, sagt er in warnendem Ton, als wollte ich ihn auf den Arm nehmen.

»Mit einer Lesbe. Das können Sie gern nachprüfen.«

Wie erwartet ist das Thema damit erledigt. Im nachfolgenden Schweigen sehe ich – und sicher auch Detective Kavanagh – im Geiste, wie Frazer Melville einem Ladyboy in einer Bar in Bangkok einen fruchtigen Cocktail spendiert. Sehen wir beide die Blume in seinem Haar und die traurigen, minderjährigen Augen? Ich blicke bedauernd drein, und wir erlauben uns eine kleine Grimasse. Es gibt viel zwischen Himmel und Erde, aber wir müssen nicht alles gutheißen. Vielleicht bedauern wir beide, dass ich einen Mann wie Dr. Frazer Melville zu meinen Bekannten zähle, aber ich bin verkrüppelt und kann daher nicht wählerisch sein. Der Ermittler zuckt mit den Schultern, als wollte er den üblen Nachgeschmack unserer Thai-Vision vertreiben.

Dann wechsle ich das Thema. »Was ist mit Bethanys Vater? Ich nehme an, er wurde über die Verletzung und den Krankenhausaufenthalt informiert.«

|234|Detective Kavanagh betrachtet seine Hände, als wären sie intelligente Wesen, die er um Rat fragen könne. »Dr. Sheldon-Gray hat mir von Ihrem ungewöhnlichen Besuch bei Leonard Krall erzählt.« Er wartet auf eine Reaktion, doch meine ganze Aufmerksamkeit gilt dem Laminat. »Zufällig besitzt der Reverend ein Alibi. Aber sprechen wir doch über Ihre Begegnung mit ihm. Ist es üblich, dass Sie die Eltern Ihrer Patienten inkognito aufsuchen?«

»Nein.«

»Warum dann in diesem Fall?«

»Weil Bethany Krall eben ein höchst ungewöhnlicher Fall ist. Ich hatte wohl gehofft, bei ihrem Vater einen Schlüssel zu ihrer Heilung zu finden.«

Wieder betrachtet er seine Hände. Ich kann mir vorstellen, wie sie in einem Fitnessstudio die Gewichte umfassen. »Und, haben Sie das?«

Er schaut mich scharf an, und ich halte seinem Blick stand. Die Röte, die mir von der Brust bis ins Gesicht schießt, spiegelt mein endgültiges und absolutes Scheitern. »Nein, das habe ich nicht.«

 

Zu Hause finde ich einen Brief von der Bezirksverwaltung auf der Fußmatte, zusammen mit einem Haufen Werbung. Der Inhalt überrascht mich nicht weiter, aber ich fühle mich dennoch in meiner Berufsehre gekränkt, als ich die sorgsam formulierten Absätze der stellvertretenden Personalchefin Ms. Stephanie Buckton lese. Sie erinnern mich an die Zeugnisse, die ich in der Klosterschule erhielt: Gabrielle ist eine begabte und intelligente Schülerin, neigt aber dazu, sich das Leben schwer zu machen. Ist das jetzt wieder passiert? Habe ich es zu weit getrieben?

Anscheinend schon.

Ich werde vom Dienst suspendiert. Mit sofortiger Wirkung.

Meine Entrüstung verwandelt sich in Zorn. Wäre Ms. Stephanie Buckton in der Nähe, würde sie Bekanntschaft mit meinem Donnerei machen.

Ich werfe den Brief in den Papierkorb, rolle in die Küche und |235|spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht. Dann schleudere ich zornig die Werbung in den Müll. Da bemerke ich die Postkarte. Beinahe hätte ich sie übersehen. Ich kenne niemanden, der Postkarten schickt: Sie gehören zur vergangenen Ära der Großtanten, Tortenspitzen aus Papier und Thermoskannen mit Kaffee. Doch da liegt sie, ein buntes Rechteck. Vor dem Hintergrund von Edinburgh Castle ist ein Dudelsackspieler in Kilt und Sporran-Tasche zu sehen, die nackten Knie stolz und behaart, die Wangen komisch aufgebläht. Ich drehe sie um. Auf der Rückseite eine vertraute Handschrift. Eine Handschrift, die ich zum ersten Mal in meinem Büro gesehen habe, auf der Abschiedskarte für Joy McConey.

 

Hi Roller,

sieht aus, als müsste ich weg, ohne mich zu verabschieden.

Immer cool bleiben, mir geht’s prima.

Elektrische Grüße,

Kind B.

 

Manchmal ändert man instinktiv die Richtung. In einem Wimpernschlag. Und schon entfaltet sich eine neue Landkarte vor einem, mit Straßen, die man bisher nicht kannte. Straßen, denen man vielleicht sein Leben anvertrauen muss.

Ich vertraue meinem Instinkt, fahre noch einmal zur Polizeiwache und händige die Postkarte dem diensthabenden Beamten aus. Dann warte ich eine halbe Stunde, bis ich in einer winzigen Büronische, die mit Plakaten über Verbrechensstatistiken und Hotlines für Betrugsopfer tapeziert ist, mit Detective Kavanagh sprechen kann. Er wirkt angesichts der neuen Entwicklung nicht erleichtert, sondern verärgert. Bethanys Postkarte bringe ihm »die Ermittlungen durcheinander«, erklärt er mir streng, geradezu unfreundlich. »Es kann auch eine falsche Spur sein.«

»Ich nehme an, Misstrauen gehört bei Ihnen zum Geschäft.«

»Sind Sie ganz sicher, dass es Bethanys Handschrift ist?«

»Absolut. Aber Sie können es ja überprüfen.«

|236|Sein Blick ist vernichtend. Offenbar hat er das längst veranlasst. »Hat sie jemals Freunde oder Verwandte in Schottland erwähnt?«

»Bethany ist kein Mädchen, das viel von Freunden und Verwandten hält. Und von Schottland hat sie nie gesprochen.«

»Meinen Sie, es könnte eine verschlüsselte Nachricht darin stecken?«

Ich erkläre ihm, dass die »elektrischen Grüße« eine scherzhafte Anspielung auf ihre EKT und Roller ihr typisch geschmackloser Spitzname für mich sei. Kind B. spreche wohl für sich selbst. Abgesehen davon keine Nachricht. Aber könne ich ihm irgendwie behilflich sein?

Er seufzt. »Ich schlage vor, Sie fahren nach Hause und warten ab. Sollte sie erneut Kontakt zu Ihnen aufnehmen, rufen Sie diese Nummer an.«

Er gibt mir eine Karte. »Sollten Sie Hadport aus irgendeinem Grund verlassen, geben Sie mir bitte Bescheid. Ich möchte wissen, wo Sie sich aufhalten. Falls sie wieder auftaucht, brauchen wir Sie unter Umständen kurzfristig hier.«

 

Als ich nach Hause komme, klingelt das Telefon. Ich hebe zu spät ab, sehe aber, dass schon zehn Anrufe eingegangen sind, alle von derselben Nummer. Sicher eine ebenso hartnäckige wie kranke Psyche. Aber wessen Psyche? Sekunden später klingelt es wieder. Joy. Sie ist völlig außer sich. Hat von Bethanys Entführung erfahren. Sie benutzt allerdings das Wort Flucht.

»Falls Sie ihr dabei geholfen haben, wissen Sie nicht, was Sie damit angerichtet haben. Ich habe Sie gewarnt.«

»Ich habe ihr nicht geholfen.«

»Begreifen Sie nicht, dass die ganze Welt in Gefahr ist? Kapieren Sie das nicht?« Ihre Erregung ist greifbar. »Ich war genau wie Sie. Ich habe nicht geglaubt, dass Menschen böse sein können. Jetzt aber tue ich es. Wenn sie könnte, würde sie den gesamten Planeten zerstören.« Ich empfinde nur müdes Mitleid, weil sie sich an diese Vorstellung klammert, um die Welt von der Willkür |237|zu befreien. Aber ich kann ihr nicht helfen. »Wenn Sie wissen, wo sie ist …«

Ich unterbreche sie scharf. »Ich wünschte, ich wüsste es. Tatsache ist, ich habe keine Ahnung.« Dann höre ich eine Männerstimme im Hintergrund, die ihr etwas zuruft. Eine Sekunde später schreit sie: »Lass mich los!« Ein Scheppern, als wäre das Telefon zu Boden gefallen. Ich höre sie toben. »Hallo?«, fragt ihr bedauernswerter Ehemann. »Mit wem spreche ich?«

»Gabrielle Fox. Wir sind uns im Restaurant begegnet.«

»Oh Gott. Ich muss mich für Joy entschuldigen. Die Medikamente, die sie einnimmt …«

Ich sage, er müsse mir nichts erklären oder sich entschuldigen. Dass ich ihn völlig verstünde. Dass er ein Segen für Joy sei. Und dass ich ihm Glück wünschte.

Das kann er wirklich gebrauchen.

 

Nachdem der Autounfall mein Leben auf den Kopf gestellt hatte, nahm ich an, dass meine Gedanken ewig um die Folgen und die Einschränkungen kreisen würden, die mir die Verletzung auferlegte, dass kein Faktor von außen meinen Solipsismus durchbrechen und ich diese erschöpfende Beschäftigung mit mir selbst bis zum Erbrechen, bis zum Tag meines Todes weiterführen würde. Dass sie mich begleiten würde wie das leise Summen eines Tinnitus. Dass ich weiterhin jeden Morgen mit dem Gedanken an mein brutal reduziertes Leben aufwachen würde. Jetzt aber 

Die Welt ist derzeit auf so groteske Weise in Bewegung, dass ich mein eigenes Chaos minutenlang vergesse. Und wenn ich mich daran erinnere, kann ich mir sogar verzeihen. Ich will gerade zu Bett gehen, als die SMS ankommt, auf die ich insgeheim gewartet habe. Die Nummer des Anrufers wird nicht angezeigt.

 

PARKPLATZ THORNHILL STATION

MORGEN FRÜH ZEHN UHR. KEIN WORT ZUR POLIZEI.

VVG.

 

|238|Wer ist VVG? Argwöhnisch, erregt und seltsam beschwingt fange ich an, einen großen Koffer zu packen: Kleidung, Schminksachen, Zahnbürste, Medikamente, Rollstuhlzubehör, Schmerzmittel, Shampoo. Was mache ich da eigentlich?

Aber ich höre nicht auf.

Wenn das Blut die Befehlsgewalt übernimmt, hat die Logik nichts zu melden. Wohl aber die Hoffnung. Und dies ist der stärkste Impuls, den ich seit langer Zeit verspürt habe.

Als ich schließlich einschlafe, träume ich von umherwirbelnden schwarzen Vögeln.