KAPITEL 18
Washington, D.C., USA

Am Samstag, dem 12. September, hielt ein schwarzer Chevrolet Captiva vor dem Seitenflügel des Weißen Hauses in der Pennsylvania Avenue 1600. Der Fahrer begleitete Linda und Max zu einem prunkvoll geschmückten Eingang, der zum Rosengarten, einem der vier Gärten des Präsidentensitzes, gehörte. Ein mittelgroßer braungelber Schensihund stürmte mit waagerecht stehenden Ohren auf die Ankömmlinge zu, in seinem Schlepptau zwei ausgelassene kaffeebraune Jungs im Alter von etwa sechs oder sieben Jahren. Aufgrund ihrer verblüffenden Ähnlichkeit tippte Linda sofort auf Zwillinge.

„Hallo, Linda“, riefen die beiden von weitem. „Bonny macht nichts. Er möchte nur schnuppern.“

„Ich bin Joaquín“, sagte der eine und reichte ihr höflich die Hand.

„Und ich Thiago.“

„Hallo“, erwiderte Linda, überrascht von diesem unkomplizierten Empfang. Dann stellte sie Max vor. „Mich scheint ihr ja bereits zu kennen.“

„Natürlich“, sagte Thiago. „Du hast doch unsere Mama vor diesem bösen Mann beschützt.“

Linda war den Tränen nahe über dieses kindliche Selbstverständnis. In diesem Augenblick trat das Präsidentenpaar aus einem Hauseingang.

„Herzlich willkommen in Amerika“, begrüßte sie Jillian Blair. „Was für ein wundervolles Kostüm Sie tragen.“

„Wie schön, dass Sie es möglich gemacht haben hierherzukommen“, fügte ihr Lebensgefährte hinzu.

Dann reichten sie einander die Hände und begrüßten sich wie alte Bekannte, die sich eine lange Zeit nicht gesehen hatten.

***

Später am Abend, nachdem sie vom Küchenchef des Weißen Hauses mit einem exzellenten Menü verwöhnt worden waren, bat die Präsidentin Linda zu einem kurzen Gespräch in ihr Büro. „Ich möchte Sie mit jemandem bekannt machen, der ein kleines Präsent für Sie bereithält“, sagte Jillian Blair geheimnisvoll, während sie durch scheinbar endlose Gänge zum Oval Office schritten.

Kurz davor hielt Linda inne. „Danke, dass Sie meinem Wunsch nachgekommen sind, die Presse bei diesem Treffen aus dem Spiel zu lassen.“

„Aber das war doch selbstverständlich. Ich habe das von Beginn an verstanden.“

Sie betraten das berühmte Büro, das Linda bislang nur aus diversen Hollywood-Produktionen kannte, und stellte fest, dass die Filmemacher die Einrichtung stets treffend nachgestellt hatten.

Blair stellte sie einem Mann Mitte sechzig vor, der im schwarzen Seidenanzug am Schreibtisch der Präsidentin lehnte.

„Graham, ich darf dich mit Linda Pieroth bekannt machen. Frau Pieroth, das ist Graham Caviness, der Direktor des FBI.“

Linda reichte dem smarten Regierungsbeamten die Hand. „Freut mich.“

„Ich bin stolz, Sie kennenlernen zu dürfen“, entgegnete Caviness.

„Setzen wir uns doch“, schlug Blair vor.

Linda platze beinahe vor Neugier, wohin diese Besprechung führen sollte.

Der FBI-Chef holte einen Aktendeckel aus seiner Tasche und legte ihn feierlich vor ihnen auf den Tisch. „Ich möchte es kurz machen, Frau Pieroth. Liam Hilbert war einer der meistgesuchten Männer auf diesem Planeten. Auf seine Ergreifung – tot oder lebendig, wie es so schön heißt – war eine Belohnung von fünfundzwanzig Millionen US-Dollar ausgesetzt. Dieses Geld steht Ihnen rechtmäßig zu.“

Linda stockte der Atem. „Aber ich bin doch Polizeibeamtin“, widersprach sie, ohne zu wissen, ob es nach amerikanischem Recht eine vergleichbare Klausel wie in Deutschland gab, die ihr den Anspruch auf eine Belohnung in dieser Funktion grundsätzlich versagte.

„Ebendies haben wir geprüft, Frau Pieroth. Ihr Verdacht begründete sich in dem Munitionsfund, den Sie Anfang Januar gemacht hatten. Das war in Ihrer Freizeit. Sie haben mehrfach versucht, die deutschen Behörden mit dem Sachverhalt zu betrauen, wurden aber jedes Mal zurückgewiesen. Alle Ihre Ermittlungen und nicht zuletzt Ihr beherztes Vorgehen während der beiden Attentatsversuche fanden in Ihrer Freizeit und auf eigene Kosten statt. Aus diesem Grund sind Sie ab sofort die rechtmäßige Besitzerin dieser Belohnung.“

Das musste ein Traum sein, Linda konnte die Worte kaum fassen, und ihr Blick wanderte zwischen der Präsidentin und dem FBI-Direktor hin und her. Beide gaben ihr freundlich lächelnd zu verstehen, dass das alles sehr wohl der Realität entsprach. Schließlich übergab Graham Caviness ihr einen Umschlag.

„Wir haben das Geld auf ein Nummernkonto in der Schweiz überwiesen. Ab jetzt sind Sie die alleinige Verfügungsberechtigte über diesen Betrag. Sie können damit tun und lassen, was Sie wollen. Wenn Sie bitte hier unterschreiben würden.“

Linda leistete mit zitternder Hand die gewünschte Unterschrift und sah sich anschließend im Büro um.

„Suchen Sie etwas?“, erkundigte sich Jillian Blair besorgt. „Ist Ihnen nicht gut?“

Linda verneinte kopfschüttelnd. „Nein … vielmehr, doch. Im letzten Film, den ich gesehen habe, befand sich in diesem Schrank da drüben eine Minibar.“

„Sie wollen einen Drink“, erriet die Präsidentin.

„Ganz genau. Wenn es geht, einen doppelten.“

Dann mussten alle drei herzhaft lachen.