BLUT
Sie kommen!«
So viel wusste Beck bereits, aber die Männer waren im Kreis der Helden so eng zusammengedrängt, dass er sonst kaum etwas mitbekam. Nasse Pelze, nasse Rüstungen, regennass schimmernde Waffen, verzerrte Gesichter, über die das Wasser lief. Die Steine selbst waren fleckige Schatten, Schemen hinter einem Wald gezackter Speere. Dazu das plätschernde Raunen der Tropfen auf Metall. Von der Bergflanke drang das Klirren und Klappern von Stahl hinauf, die Schlachtrufe dämpfte der strömende Regen.
Eine große Welle ging durch die Menge, und Beck verlor den Boden unter den Füßen, trat ins Nichts und wurde von der Masse um sich schlagender, schubsender, brüllender Männer davongetragen. Er brauchte einen Augenblick, um sich darüber klar zu werden, dass sie keine Feinde waren, aber trotz alledem ragten jede Menge Klingen in seine Richtung, und auch, wenn es keine Unionswaffen waren, würden sie vermutlich ziemlich wehtun, falls sie sich in seine Nüsse bohrten. Schließlich war es ja auch kein Unionsschwert gewesen, das Reft getötet hatte, nicht wahr?
Jemand schlug ihm den Ellenbogen auf den Kopf, und er taumelte zur Seite, wurde von jemand anderem gestoßen und sank auf die Knie, und nun trat ihm ein Stiefel die Hand in den Dreck. Schließlich konnte er sich an einem Schild wieder hochziehen, auf den ein Drachenkopf gemalt war, auch wenn dessen Besitzer wenig erfreut schien, dass er sich so daran hängte. Überall versuchten Männer, voneinander wegzukommen oder aufeinander zuzulaufen. Sie pressten sich die Hand auf Wunden, deren Blutspuren der Regen rosa verlaufen ließ, hielten ihre Waffen fest und waren alle klatschnass und durchgedreht vor Angst und Wut.
Bei den Toten, er wollte weglaufen. Vielleicht weinte er sogar. Aber er wusste, dass er nicht noch einmal versagen durfte. Zu seiner Truppe halten, das hatte Kropf gesagt, oder nicht? Zu seinem Häuptling halten. Er blinzelte in den Sturm, der um ihn herum tobte, und sah kurz die schwarze, ebenfalls völlig durchweichte Standarte des Schwarzen Dow flattern. Wusste, dass Kropf in der Nähe sein musste. Schob sich an den zuckenden Körpern vorbei, glitt mit den Stiefeln auf dem aufgeweichten, aufgewühlten Boden aus. Glaubte, ganz kurz Drofds wutverzerrtes Gesicht gesehen zu haben. Hörte plötzlich Gebrüll und sah einen Speer auf sich zukommen. Nicht einmal besonders schnell. Zuckte hastig mit dem Kopf beiseite, so weit er konnte, streckte sich mit aller Macht, und der Speer ging an seinem einen Ohr vorbei. Jemand kreischte in das andere Ohr, fiel gegen ihn, lag warm an seiner Schulter. Schnaufte und gurgelte. Heiß und nass lief es seinen Arm hinunter. Er keuchte, bewegte die Schultern, schüttelte den Toten ab, drängte ihn hinunter in den Schlamm.
Wieder schob sich die Menschenmasse zu einer Seite, und Beck wurde nach links getragen, während er mit offenem Mund darum kämpfte, sich aufrechtzuhalten. Warmer Regen schlug gegen seine Wange, als der Mann vor ihm plötzlich weggerissen wurde und er unerwartet viel Platz vor sich hatte. Ein Stück schlammiger Erde, auf der überall Leichen und zerbrochene Speere lagen, durchsetzt mit Pfützen, in die der Regen kleine Kreise schlug.
Und auf der anderen Seite: der Feind.
Dow brüllte etwas über seine Schulter, aber Kropf konnte ihn nicht hören. Er hörte beinahe gar nichts mehr außer dem prasselnden Regen und dem Schreien grober Stimmen, die selbst so laut waren wie der Sturm. Für Befehle war es zu spät. Es kommt eine Zeit, in der jeder Mann sich an die Order halten muss, die er bekommen hat, in der er darauf vertrauen muss, dass seine Mannen das Rechte tun und einfach kämpfen werden. Kurz glaubte er, den Vater der Schwerter zwischen den Speeren emporragen zu sehen. Er hätte bei seinem Dutzend sein sollen. Wieso hatte er zugestimmt, Dows Stellvertreter zu werden? Vielleicht, weil er früher einmal Dreibaums Stellvertreter gewesen war und sich gedacht hatte, dass die Welt wieder so sein würde wie früher, wenn er wieder denselben Platz einnahm wie früher. Ein alter Narr, der nach Geistern haschte. Es war viel zu spät. Er hätte Colwen heiraten sollen, als er die Möglichkeit dazu hatte. Zumindest hätte er sie fragen können. Damit sie zumindest die Chance gehabt hätte, Nein zu sagen.
Er schloss kurz die Augen und atmete die nasse, kalte Luft ein. »Hätte Zimmermann bleiben sollen«, flüsterte er. Aber das Schwert war die leichtere Wahl gewesen. Um mit Holz zu arbeiten, brauchte man die verschiedensten Werkzeuge – Stemmeisen, Stecheisen und Sägen, große und kleine Beile, Nägel und Hämmer, Dorne und Hobel. Um zu töten, brauchte man nur zwei. Eine Klinge und einen unbeugsamen Willen. Nur war Kropf sich nicht mehr sicher, ob er noch immer den nötigen Willen besaß. Er drückte die Hand um den nassen Griff seines Schwerts zusammen, und der Schlachtenlärm wurde lauter und lauter, verband sich mit seinem lauten Atem und dem lauten Rauschen seines pochenden Blutes, die in seinen Ohren dröhnten. Er hatte seine Wahl getroffen. Und er biss die Zähne zusammen und riss die Augen auf.
Die Menge teilte sich wie ein Stück Holz, das entlang der Faser gespalten wird, und die Union quoll durch die entstandene Lücke. Ein Soldat stürzte sich auf Kropf, bevor er ausholen konnte, ihre Schilde verkeilten sich, die Stiefel rutschten auf dem glitschigen Boden weg. Ein kurzer Blick auf ein verzerrtes Gesicht, dann konnte er seinen Schild so weit neigen, dass der Rand gegen eine Nase schlug, noch einmal und noch einmal, bis er Gurgeln und Wimmern hörte. Er riss mit aller Kraft am Riemen, schlug mit dem Schild zu, stach, knurrte und spuckte, trieb ihn gegen den Kopf des Gegners. Der Schild verfing sich an der Schnalle des Helms, riss ihn halb ab. Kropf versuchte, das Schwert freizubekommen, da fuhr eine Klinge neben ihm hinunter und nahm ein großes Stück vom Gesicht seines Feindes mit. Kropf, dem nun plötzlich der Gegendruck fehlte, rutschte in den Dreck.
Der Schwarze Dow wirbelte seine Axt herum, ließ die Seite mit dem Dorn hinuntersausen, und sie fuhr bis zum Anschlag in den Helm eines anderen Mannes. Ließ sie im Kopf der Leiche stecken, die mit ausgestreckten Armen rückwärtstaumelte.
Ein schlammbespritzter Nordmann rang mit einem Speer, hatte den Arm darüber geschlungen, während seine Hand mit dem Streitkolben im Nichts herumwedelte. Über sein Gesicht hatte sich eine Hand gekrallt und drückte ihm den Kopf nach oben, während er auf die Finger starrte.
Ein Unionssoldat kam auf Kropf zu. Jemand brachte ihn zu Fall, und er konnte sich mit einem Knie abstützen. Kropf schlug dem Mann mit einem matten Klonk auf den Hinterkopf und hinterließ eine Delle in seinem Helm. Dann schlug er noch einmal zu, bis der andere vornüber in den Dreck fiel. Und wieder und wieder, hämmerte ihm den Kopf in den Schlamm und stieß dabei wilde Flüche aus.
Espe schlug mit seinem Schild auf einen Gegner ein und lächelte dabei; durch den Regen glänzte die flächige Narbe auf seinem Gesicht hellrot wie eine frische Wunde. Im Krieg ist plötzlich alles anders. Männer, die in Friedenszeiten eine Bedrohung darstellen, werden zur größten Hoffnung, sobald die Klingen gezückt werden.
Ein Toter rollte unter den Tritten der Männer vom Bauch auf den Rücken und wieder zurück. Blut sickerte in dreckiges Wasser, in das dicke Tropfen schlugen. Der Vater der Schwerter fuhr hinab und teilte seinen Gegner wie ein Meißel, der eine Statue in zwei Teile schlägt. Kropf kauerte sich hinter seinen Schild, als mit einem Schauer dicker Tropfen wieder Blut und Regen dagegenprasselten.
Speere ragten in alle Richtungen, eine unberechenbare, klappernde, glitschige Masse. Die Spitze des einen rutschte langsam über Holz, drang in eine Hand und bohrte sich hindurch, nagelte sie an eine Brust und warf den dazugehörigen Mann zu Boden, der nun mit dem Kopf schüttelte, nein, mit der anderen Hand nach dem Schaft fasste, während gnadenlose Stiefel über ihn hinwegtrampelten.
Kropf schob eine Speerspitze mit seinem Schild beiseite, stach mit seinem Schwert zu, erwischte jemandem unterm Kinn und riss ihm den Kopf nach oben, bis das Blut spritzte. Der Mann fiel um und gab dabei ein seltsames Trompeten von sich, das Kropf an den ersten Ton eines Lieds erinnerte, das er kannte.
Der Unionsoffizier, der nun hinter ihm auftauchte, trug die schönste Rüstung, die Kropf je gesehen hatte; sie war über und über mit goldenen Mustern bedeckt. Er schlug immer wieder mit seinem dreckigen Schwert nach dem Schwarzen Dow, den er tatsächlich in die Knie gezwungen hatte. Halte zu deinem Häuptling. Kropf sprang zu ihnen, brüllte, trat mit einem Bein in eine tiefe Pfütze und ließ schlammiges Wasser aufspritzen. Dann schlug er aufs Geratewohl gegen den schönen Brustpanzer und kratzte mit der Schwertspitze eine tiefe Rille in die schönen Verzierungen. Der Hieb war heftig genug, um seinen Träger ins Wanken zu bringen. Wieder rückte Kropf vor, stach zu, als der Unionist sich umwandte, und Kropfs Klinge schabte gegen den unteren Rand der Rüstung, fuhr mitten durch den Körper und versetzte ihm einen harten Stoß nach hinten.
Kropf kämpfte mit dem Schwertgriff, heißes Blut rann klebrig über seine Hand und den Arm hinauf. Er hielt seinen verdammten Gegner aufrecht, während er versuchte, die Klinge wieder herauszuziehen. Sie rangen miteinander im Schlamm, in verrückter Umarmung miteinander verbunden. Ein Gesicht drückte sich gegen Kropfs Wange, Bartstoppeln kratzten, Atem fuhr keuchend in sein Ohr, und Kropf wurde sich plötzlich bewusst, dass er Colwen niemals so nahe gewesen war. Aber so hatte er sich nun einmal entschieden, nicht wahr? Entscheidungen …
Wünschen allein genügt nicht immer, und egal, wie sehr Gorst es sich wünschte, er kam nicht dorthin, wo er hinwollte. Zu viele Leichen versperrten ihm den Weg. Bis er der letzten ein Bein abgetrennt und sie beiseitegeschleudert hatte, hatte der alte Nordmann Jalenhorm schon richtiggehend aufgespießt. Gorst konnte die blutige Schwertspitze unter dem vergoldeten Rand seiner tropfenbesetzten Rüstung herausragen sehen. Der General hatte einen äußerst seltsamen Gesichtsausdruck, als sein Mörder versuchte, die Klinge wieder aus seinem Körper zu ziehen. Er lächelte beinahe.
Die Ehre ist wiederhergestellt.
Der alte Nordmann fuhr herum, als er Gorsts Aufschrei hörte; seine Augen weiteten sich, und er riss hastig den Schild nach oben. Das lange Eisen biss tief hinein, ließ das Holz zersplittern, drehte den Schild, trieb ihm den Metallrand in den Kopf und schleuderte ihn zur Seite.
Gorst rückte nach, um die Sache zu Ende zu bringen, aber schon wieder stand ihm jemand im Weg. Wie immer. Sein neuer Gegner war fast noch ein Junge, der eine Axt schwang und brüllte. Das Übliche wahrscheinlich, stirb, stirb, bla bla bla. Gorst war gern bereit zu sterben. Aber nicht, um diesem Idioten einen Gefallen zu tun. Er riss den Kopf zur Seite, ließ das Beil harmlos von seinem Schulterpanzer abgleiten, drehte sich und schwang das lange Eisen hinter sich durch die nasse Luft. Der Junge versuchte den Schlag verzweifelt abzuwehren, aber die schwere Klinge fegte das Beil aus seiner Hand und zerteilte ihm das Gesicht, bis das Hirn herausspritzte.
Eine Schwertspitze zischte auf ihn zu, und Gorst federte in der Hüfte zurück, fühlte den Luftzug auf der Wange und ein leicht unangenehmes Gefühl unter dem einen Auge. Eine Lücke hatte sich in der brüllenden Menge aufgetan, und die Schlacht entwickelte sich von dichtem Gedränge zu wilden, nassen Zweikämpfen inmitten der Helden. Alle Gedanken an Linien, Taktik, Richtung und Befehle, ja sogar an die verschiedenen Seiten lösten sich auf, als hätte es sie nie gegeben. Und wer wird sie schon vermissen, sie machen das Leben ohnehin nur unnötig kompliziert.
Aus irgendeinem Grund stand plötzlich ein halbnackter Nordmann vor ihm, und er hielt das größte Schwert in Händen, das Gorst je gesehen hatte. Und ich habe schon eine ganze Menge gesehen. Es war aberwitzig lang, als sei es für einen Riesen gemacht worden, das matte Metall schimmerte regennass, und nahe dem Heft war ein einzelner Buchstabe eingeritzt.
Der andere sah aus, als sei er geradewegs dem grellen Gemälde eines Künstlers entsprungen, der nie ein echtes Schlachtfeld zu Gesicht bekommen hatte, aber albern aussehende Menschen können genauso tödlich sein wie albern klingende, und alle Arroganz, die Gorst in dieser Hinsicht einmal besessen haben mochte, hatte sich im Rauch von Cardottis Haus der Sinnenfreunden aufgelöst. Ein Mann muss jeden Kampf so angehen, als könnte er sein letzter sein. Wird dies mein letzter sein? Das wäre zumindest zu hoffen.
Er federte zurück, ganz und gar auf der Hut, während der Ellenbogen des Mannes seitlich in die Höhe fuhr, hob den Schild, um den Schlag abzufangen, und das Eisen, um sofort zu kontern. Aber statt auszuholen machte Gorsts Gegner einen Satz und nutzte die lange Klinge wie einen Speer. Die Spitze fuhr am Rand von Gorsts Schild vorbei und schrammte kreischend an seinem Brustpanzer entlang, brachte ihn ins Trudeln. Eine Finte. Der Drang, ein Stück zurückzuweichen, war groß, aber er widerstand diesem Gefühl, hielt die Augen auf die Klinge gerichtet, verfolgte ihren Schwung durch den Regen und sah dem Bogen schillernder Tröpfchen zu, der hinter ihr herflog.
Hastig warf sich Gorst zur Seite, und das große Schwert fuhr an ihm vorüber, schlug gegen die Schiene über dem Ellenbogen und riss sie halb ab. Er stieß wieder zu, aber die Spitze seiner Klinge fand nur prasselnden Regen; sein halbnackter Gegner war schon wieder weggetaucht. Gorst holte zu einem harten Schlag auf Kopfhöhe aus, aber der Mann duckte sich, hob das große Schwert mit erschreckender Leichtigkeit, als Gorsts Eisen hinabfuhr, und die Klingen prallten mit einem Krachen aufeinander, dass die Finger taub wurden. Sie fuhren wieder auseinander, beide wachsam, und der Nordmann hielt seine Augen trotz des strömenden Regens gelassen auf Gorst gerichtet.
Die Waffe mochte ja aussehen wie ein Requisit in einer schlechten Komödie, aber dieser Mann war kein Narr. Die Stellung, die Balance, der Winkel der langen Klinge gaben ihm alle Möglichkeiten zum Angriff und zur Verteidigung. Es war zwar keine Technik, wie sie in Rubiaris Klassische Formen des Degenfechtens zu finden gewesen wäre, aber das traf ebenso auf das Schwert zu. Und dennoch sind wir beide Meister unseres Fachs.
Ein Unionssoldat taumelte zwischen sie, bevor Gorst sich bewegen konnte, und knickte über einer Bauchwunde zusammen, aus der ihm das Blut über die Hände strömte. Gorst stieß ihn ungeduldig mit dem Schild aus dem Weg, dann sprang er den halbnackten Nordmann mit großer Wucht an und holte aus, aber der andere wehrte den Schlag mühelos ab und parierte schneller, als Gorst es bei dieser schweren Waffe für möglich gehalten hätte. Gorst vollführte eine Finte nach rechts, wechselte dann nach links und führte sein Eisen so tief wie möglich. Der Nordmann war vorbereitet, sprang aus dem Weg, und Gorsts Eisen fuhr erst in den Dreck zu ihren Füßen, dann schlug er einem anderen Kämpfer ein Bein unter dem Körper weg, der daraufhin mit einem Schrei umkippte. Dann steh halt nicht im Weg, Idiot.
Gorst rappelte sich gerade rechtzeitig wieder auf, um das große Schwert auf sich zukommen zu sehen, zog hart die Luft ein und duckte sich hinter seinem Schild. Die Klinge hämmerte dagegen, hinterließ eine tiefe Delle in dem ohnehin schon ramponierten Metall, verbog es über Gorsts Unterarm und schlug ihm hart die Faust gegen den Mund. Aber Gorst blieb stehen, wich nur leicht zurück, schmeckte Blut, rammte dann mit vorgestrecktem Schild den Körper des Nordmanns und schob ihn beiseite, während er gleichzeitig mit dem Schwertarm die Klinge führte, Vorhand und Rückhand, hohe und tiefe Schläge. Den hohen konnte der Nordmann abwehren, aber der tiefe erwischte ihn mit der Spitze, ließ das Blut hervorspritzen und sein Knie leicht einknicken. Ein Punkt für mich. Und jetzt schließen wir die Sache ab.
Während er sein eigenes Eisen wieder mit der Rückhand führte, nahm er am Rand seines Gesichtsfelds eine Bewegung wahr, veränderte noch schnell den Winkel seines Schlags und holte weiter aus, brüllte, schlug einem Carl so hart seitlich gegen den Helm, dass er umgerissen wurde und kopfüber in ein Gewirr aus Speeren flog. Gorst fuhr zurück, führte die Klinge wie eine Sichel, aber der Nordmann rollte sich munter wie ein Eichhörnchen zur Seite und war schon wieder kampfbereit, als Gorsts Eisen noch tief in eine Pfütze fuhr und Wasser aufpeitschte.
Gorst merkte, dass er lächelte, als sie einander wieder ins Gesicht sahen, während um sie herum immer noch die Schlacht tobte wie ein feuchter Albtraum. Wann habe ich mich zum letzten Mal so lebendig gefühlt? Überhaupt schon einmal? Sein Herz pumpte Feuer durch seine Adern, seine Haut sang, während der Regen darüber rann. Alle Enttäuschungen, Peinlichkeiten, Versagensängste spielen keine Rolle mehr. Jede Einzelheit war so klar zu erkennen wie eine Flamme in der Dunkelheit, jeder Augenblick eine Ewigkeit, selbst die kleinste Bewegung seiner Selbst oder seines Gegners eine eigene Geschichte. Es gibt nur eins: siegen oder sterben. Der Nordmann erwiderte sein Lächeln, als Gorst den zertrümmerten Schild von seinem Arm schob und in den Dreck fallen ließ, dann nickte er. Und wir erkennen einander, verstehen einander und begegnen uns auf Augenhöhe. Als Brüder. Sie brachten einander Respekt entgegen, aber es würde keine Gnade geben. Das kleinste Zögern, egal auf welcher Seite, würde als Beleidigung für das Geschick des jeweils anderen gewertet. Also nickte Gorst zurück, aber gleichzeitig sprang er schon nach vorn.
Der Nordmann fing seinen Streich mit dem eigenen Schwert ab, aber Gorst hatte immer noch die Hand frei, schrie hell auf und schlug ihm mit dem schweren Handschuh gegen die nackten Rippen. Der Nordmann machte keuchend einen Schritt zur Seite. Gorst holte zu einem zweiten Schwinger aus und zielte auf das Gesicht, aber der Nordmann wich aus, dann schoss der Knauf des großen Schwertes aus dem Nichts heran, und Gorst konnte gerade noch so weit zurückweichen, dass das Metallstück seine Nase knapp verfehlte. Als er den Kopf hob, sah er den Nordmann zu ihm herüberspringen; er hatte das Schwert erhoben und führte es bereits wieder nach unten. Gorst zwang die schmerzenden Beine, noch einmal zur Seite auszuweichen, während er seine schartige Klinge mit beiden Händen packte und damit das lange Schwert parierte. Metall kreischte, die graue Schneide biss in sein von Calvez geschmiedetes Eisen, und mit unglaublicher Schärfe schabte sie tatsächlich eine dünne Schicht von seiner Klinge.
Gorst wurde von dem Aufprall leicht zurückgeworfen, konnte das riesige Schwert nur eine Handbreit vor seinem Gesicht aufhalten und starrte schielend auf die regenbenetzte Schneide. Mit den Hacken stieß er unversehens gegen einen Toten, und die beiden Kämpfer kamen zum Stehen. Nun versuchte Gorst, den Nordmann mit einem Tritt von den Beinen zu holen, aber der blockierte ihn mit seinem Knie und beugte sich weiter vor. Jetzt waren sie einander noch näher. Sie keuchten und spuckten einander ins Gesicht, untrennbar miteinander verbunden, die Klingen kreischten, wenn sie den Druck veränderten oder ihre Muskeln anders anspannten, während sie gleichermaßen nach dem winzigsten Vorteil suchten und ihn doch beide nicht fanden.
Der perfekte Augenblick. Gorst wusste nichts über diesen Mann, noch nicht einmal seinen Namen. Aber wir sind einander enger verbunden als Liebende, denn wir teilen diesen einen kleinen Splitter Zeit. Einander zugewandt. Und dem Tod ins Auge sehend, dem stets anwesenden Dritten unserer kleinen Gesellschaft. In dem sicheren Bewusstsein, dass alles in einem blutigen Wimpernschlag vorüber sein könnte. Sieg und Niederlage, Ruhm und Vergessenheit in absolutem Gleichgewicht.
Der perfekte Augenblick. Und obwohl er jede Sehne anspannte, um ihn zu beenden, wünschte Gorst sich gleichzeitig, er würde ewig dauern. Auf dass wir wie diese Steine werden, zwei weitere Helden, die in diesen Kreis gehören, im Widerstreit erstarrt, und das Gras wird um uns herum wachsen, ein Denkmal zum Ruhm des Krieges, der Herrlichkeit des Zweikampfs, ein ewiges Treffen der Kämpen auf dem ehrbaren Feld der …
»Oh«, sagte der Nordmann. Der Druck ließ nach. Die Klingen trennten sich. Sein Gegner stolperte zurück durch den Regen, sah blinzelnd zu Gorst und dann an sich hinunter, während sein Mund dümmlich aufklappte. Noch immer hielt er das große Schwert in seiner Hand, die Spitze schleifte über den Boden und hinterließ eine Rinne, die sich schnell mit Wasser füllte. Mit der anderen Hand berührte er sanft den Speer, der in seine Brust gedrungen war, und über dessen Schaft bereits Blut rann.
»Das hatte ich nicht erwartet«, sagte er. Dann kippte er um wie ein Stein.
Gorst stand da und blickte grimmig auf ihn hinab – eine ganze Weile, zumindest fühlte es sich so an, aber wahrscheinlich war es nur ein kurzer Augenblick. Es war nicht zu sagen, woher der Speer gekommen war. Es ist eine Schlacht. Da ist an Speeren kein Mangel. Er stieß einen nebelfeuchten Seufzer aus. Tja, so ist es dann wohl. Der Tanz geht weiter. Der alte Mann, der Jalenhorm getötet hatte, kroch nur einen Schritt und einen Schwertstreich entfernt durch den Dreck.
Er tat den Schritt und hob die schartige Klinge.
Dann explodierte sein Kopf in hellem Licht.
Beck hatte alles mit angesehen, durch die wogende Masse der Leiber, die von allen Seiten schoben und stießen, und sein ganzer Körper war taub vor Angst. Er hatte gesehen, wie Kropf stürzte und in den Schlamm rollte. Wie Drofd dann zu ihm trat und erschlagen wurde. Wie Whirrun gegen diesen verrückten, bulligen Unionsoffizier antrat, in einem Kampf, der nur ein paar wütende Augenblicke zu dauern schien und bei dem alles viel zu schnell ging, als dass er ihm hätte folgen können. Und dann hatte er gesehen, wie Whirrun fiel.
Er erinnerte sich, wie Kropf vor Dows Carls auf ihn gezeigt hatte, und wie er ihn als einen Mann gepriesen hatte, dessen Beispiel man folgen sollte. Ein Mann fiel schreiend vor ihm nieder, und eine Lücke tat sich auf. Tu einfach das Rechte. Halte zu deinem Häuptling. Bleib ruhig. Als der Unionist auf Kropf losging, trat Beck im toten Winkel zu ihm.
Tu das Rechte.
Im letzten Augenblick drehte er das Handgelenk, und mit der flachen Seite seines Schwerts schlug Beck dem Mann seitlich gegen den Kopf, dass er zu Boden stürzte. Und das war das Letzte, was Beck von ihm sah, bevor sich die trampelnden Stiefel, das Dickicht der Waffen und der verzerrten Gesichter wieder um ihn schlossen.
Kropf blinzelte, schüttelte den Kopf und merkte, als er hinten im Hals Kotze schmeckte, dass das keine gute Idee war. Er rollte zur Seite und stöhnte wie die Toten in der Hölle.
Sein Schild war ein zertrümmertes Wrack, das Holz war völlig zersplittert, der blutige Rand über seinem Arm gebogen. Er zerrte ihn herunter. Wischte sich Blut aus einem Auge.
Bumm, bumm, bumm machte es in seinem Schädel, als ob jemand einen langen Nagel hineintrieb. Davon abgesehen war es seltsam still. Offenbar hatten die Nordmänner die Unionisten vom Berg vertrieben, vielleicht war es auch genau anders herum, aber Kropf stellte fest, dass es ihm völlig wurscht war, wer gesiegt hatte. Die stampfenden Füße waren davongetrampelt und hatten auf der Bergkuppe einen See aus blutbespritztem, regennassem und von zahllosen Stiefelabdrücken durchzogenem Schlamm hinterlassen. Tote und Verwundete lagen da wie Herbstlaub, und die Helden selbst wachten wie immer unerschütterlich und sinnlos über die ganze Szenerie.
»Ach, Scheiße.« Drofd lag nur ein paar Schritt entfernt und hatte ihm das blasse Gesicht zugewandt. Kropf versuchte sich aufzurichten und hätte beinahe wieder gekotzt. Also beschloss er, es mit Kriechen zu versuchen, und schleppte sich über den aufgeweichten Boden. »Drofd, ist alles in Ordnung? Du –« Die andere Seite vom Kopf des Jungen war abgeschlagen, und Kropf konnte nicht sagen, wo der schwarze Matsch aus dem Inneren aufhörte und der schwarze Matsch draußen begann.
Er tätschelte Drofd die Brust. »Ach. Scheiße.« Nun sah er Whirrun. Der lag auf dem Rücken, der Vater der Schwerter steckte halb verdeckt neben ihm im Boden, der Knauf nicht weit entfernt von der rechten Hand. Ein Speer ragte aus seiner Brust.
»Ach, Scheiße«, sagte Kropf wieder. Er wusste nicht, was er sonst hätte sagen können.
Whirrun grinste zu ihm hoch, als er näher kroch, und ein blutiger, rosa Schimmer lag über seinen Zähnen. »Kropf! Hey! Ich würde ja aufstehen, aber …« Er hob den Kopf und sah den Speerschaft an. »Ich bin erledigt.« Kropf hatte sein Leben lang genug Wunden aller Art gesehen um zu wissen, dass es hier wirklich keine Rettung mehr gab.
»Joh.« Kropf setzte sich langsam auf, und seine Hände lagen schwer wie Ambosse in seinem Schoß. »Das denk ich auch.«
»Schoglig hat Scheiße erzählt. Die alte Schlampe wusste überhaupt nicht, wann ich sterben würde. Hätte ich das geahnt, dann hätte ich tatsächlich eine Rüstung getragen.« Whirrun gab ein Geräusch von sich, das halb zwischen Husten und Lachen lag, dann verzog er gequält das Gesicht, hustete, lachte wieder, zuckte wieder. »Scheiße, tut das weh. Ich meine, es ist einem ja klar, dass so was wehtut, aber trotzdem. Tja, da hast du mir mein Schicksal wohl trotzdem enthüllt, was, Kropf?«
»Sieht so aus.« Soweit Kropf das beurteilen konnte, war es kein besonders tolles Schicksal. Keines, das man sich freiwillig aussuchen würde.
»Wo ist der Vater der Schwerter?«, schnaufte Whirrun und versuchte sich ein wenig zu drehen, um besser sehen zu können.
»Wen interessiert das schon?« Blut kitzelte Kropfs Augenlid und ließ ihn unwillkürlich blinzeln.
»Er muss weitergegeben werden. So sind die Regeln. So, wie Daguf Col ihn an mich weitergereicht hat und Yorweel der Berg an ihn, und ich glaube, vor ihm war es Vierkopf? Es fällt mir schwer, mich an die Einzelheiten zu erinnern.«
»Ist schon gut.« Kropf beugte sich über ihn, sein Kopf brummte, er zog den Griff aus dem Dreck und drückte ihn Whirrun in die Hand. »Wem willst du ihn denn geben?«
»Wirst du dafür sorgen, dass alles so geschieht, wie ich es verfüge?«
»Unbedingt.«
»Gut. Es gibt nicht viele, denen ich in dieser Sache vertrauen würde, aber du bist aufrecht und ehrlich, Kropf, das sagen ja auch alle. Aufrecht und ehrlich.« Whirrun lächelte zu ihm hinauf. »Lege das Schwert in die Erde.«
»Hä?«
»Begrabe es mit mir. Es gab einmal eine Zeit, da dachte ich, es sei ein Fluch und ein Segen. Aber es ist nichts als ein Fluch, und ich will keine andere arme Sau damit belegen. Es gab einmal eine Zeit, da dachte ich, es sei eine Belohnung und eine Strafe. Aber das hier ist die einzige Belohnung für Männer wie uns.« Whirrun nickte zum blutigen Speerschaft hinab. »Das hier … oder dass man lang genug lebt, bis man keine Rolle mehr spielt. Leg es in den Schlamm, Kropf.« Und mit schmerzverzerrtem Gesicht schob er Kropf den Griff in die schlaffe Hand und drückte die schmutzigen Finger darüber zusammen.
»Das mache ich.«
»Wenigstens muss ich es nicht mehr mit mir herumschleppen. Merkst du, wie verdammt schwer es ist?«
»Jedes Schwert hat sein Gewicht. Das spüren die Männer meist nicht, wenn sie die Waffen zum ersten Mal zur Hand nehmen. Aber sie werden im Laufe der Zeit immer schwerer.«
»Gute Worte.« Whirrun zeigte kurz die blutigen Zähne. »Ich hätte mir wohl auch ein paar gute Worte für diesen Augenblick überlegen sollen. Worte, bei denen den Leuten später noch die Tränen in die Augen steigen. Was für die Lieder. Aber ich dachte halt, ich hätte noch ein paar Jahre Zeit. Fallen dir welche ein?«
»Was, Worte?«
»Joh.«
Kropf schüttelte den Kopf. »Darin war ich nie gut. Was die Lieder angeht … da denke ich mal, die Barden machen ihre eigenen.«
»Das ist wohl wahr, das tun sie, diese Ärsche.« Whirrun blinzelte an Kropfs Gesicht vorüber in den Himmel. Der Regen ließ endlich nach. »Die Sonne kommt wieder raus, na endlich.« Er schüttelte den Kopf und lächelte noch immer. »Wer hätte das gedacht? Schoglig hat Scheiße erzählt.«
Dann war er still.