TAKTIK

Das Tal erstreckte sich unter ihnen wie ein Sternenhimmel aus zwinkernden, orangefarbenen Lichtpunkten die Fackeln und Lagerfeuer beider Seiten, die gelegentlich verschwammen, wenn sich ein neuer Regenschleier über die Bergflanke senkte. Ein Lichtergrüppchen zeigte vermutlich das Dorf Adwein, ein anderes den Hügel, den man Die Helden nannte, ein drittes die Ortschaft Osrung.

Meed hatte sein Hauptquartier bei einem verlassenen Gasthof südlich der Stadt aufgeschlagen und sein führendes Regiment angewiesen, sich knapp eine Pfeilschusslänge entfernt von den Palisaden einzugraben. Hal war dort und versuchte heldenhaft, in der Dunkelheit zumindest für eine gewisse Ordnung zu sorgen. Mehr als die Hälfte der Division rückte erst jetzt langsam nach, schlecht gelaunt, wenig diszipliniert und auf einer Straße, die am Morgen noch als unebenes, staubiges Band begonnen und sich zum Abend in eine Schlammbahn verwandelt hatte. Die letzten Einheiten würden vermutlich frühestens im Morgengrauen eintreffen.

»Ich wollte Ihnen danken«, sagte Oberst Brint, dem der Regen von der Spitze seines Hutes tropfte.

»Mir?«, fragte Finree ganz unschuldig. »Wofür denn das?«

»Dafür, dass Sie sich in den letzten Tagen so um Aliz gekümmert haben. Ich weiß, sie ist nicht gerade sehr welterfahren …«

»Es war mir ein Vergnügen«, log sie. »Und schließlich sind Sie Hal ein so guter Freund.« Nur eine kleine Erinnerung, dass sie von ihm verdammt noch mal erwartete, dass sich daran auch nichts zu ändern.

»Hal macht es einem leicht, ihn zu mögen.«

»Ja, nicht wahr?«

Sie ritten an einem Posten vorüber; vier Unionssoldaten standen in nasse Mäntel gehüllt da, und ihre Speerspitzen schimmerten im Licht der Laternen, die Meeds Offiziere bei sich hatten. Hinter ihnen waren weitere Männer damit beschäftigt, regennasse Ausrüstung von den Packpferden zu bergen, und sie versuchten Zelte aufzubauen, deren nasse Leinwand ihnen immer wieder ins Gesicht schlug. Vor einem durchweichten Stand hatte sich eine unzufriedene Schlange von Soldaten gebildet, die Krüge, Becher und andere Behälter in den Händen hielten und missmutig zusahen, wie die Rationen abgewogen wurden.

»Gibt es kein Brot?«, fragte einer.

»In den Verordnungen steht, dass Mehl ein annehmbarer Ersatz ist«, erwiderte der Quartiermeister, der mit grimmiger Genauigkeit eine winzige Menge auf seiner Waage abmaß.

»Annehmbar für wen? Worin sollen wir es denn backen?«

»Von mir aus in deinem fetten Arsch, wenn du oh, Vergebung, verehrte Dame.« Der Quartiermeister zupfte an seiner Stirnlocke, als Finree vorüberritt. Als ob die Tatsache, dass Männer ohne Grund hungern mussten, nicht beleidigend sei, das Wörtchen »Arsch« hingegen ihre Gefühle verletzen mochte.

Was zunächst wie ein Buckel auf der steilen Bergflanke ausgesehen hatte, entpuppte sich beim Näherkommen als uraltes, ganz und gar von einer windzerzausten Kletterpflanze überwachsenes Gebäude, das wie eine Mischung aus kleiner Kate und Scheune aussah und vermutlich auch ebenso genutzt wurde. Meed stieg mit der großen Geste einer Königin auf dem Weg zu ihrer Krönung aus dem Sattel, dann duckte er sich durch die enge Tür; seine Offiziere folgten ihm im Gänsemarsch. Oberst Brint hielt die Prozession kurz auf und gab Finree die Gelegenheit, sich elegant vorzudrängeln.

Sie trat in einen Raum, der von nackten Dachbalken überspannt wurde und nach Feuchtigkeit und Wolle roch. Hinter ihr schoben sich die durchweichten Offiziere durch die Tür. Die Lagebesprechung hatte die Atmosphäre einer Königsbestattung: Alle Anwesenden gaben sich Mühe, so feierlich wie möglich dreinzuschauen, während sie sich fragten, wie viel ihnen laut Testament hinterlassen worden war. General Mitterick stand vor einer unverputzten, roh gemauerten Wand, das schnurrbärtige Gesicht finster verzogen und die Hand so zwischen zwei Knöpfe seiner Uniformjacke geschoben, dass der Daumen herausschaute, als ob er für ein Porträt posierte, ein besonders aufgeblasenes noch dazu. Ganz in der Nähe entdeckte Finree Bremer dan Gorsts versteinertes Gesicht, das wie immer keine Gefühlsregung erkennen ließ, und lächelte zu ihm hinüber. Er erwiderte ihren Gruß mit einer kaum wahrnehmbaren Kopfbewegung.

Finrees Vater stand vor einer großen Landkarte und zeigte mit ausdrucksvollen Handbewegungen auf verschiedene Stellungen. Wie stets, wenn sie ihren Vater bei der Arbeit saß, wurde Finree warm ums Herz vor Stolz. Er war der Inbegriff eines Befehlshabers. Als er sie hereinkommen sah, trat er kurz zu ihnen, um Meed die Hand zu schütteln; mit Finree tauschte er einen Blick und bedachte sie mit einem winzigen Lächeln.

»Lord Statthalter Meed, ich danke Ihnen, dass Sie mit so großer Geschwindigkeit nach Norden gezogen sind.« Wobei man nicht vergessen durfte, dass Meeds Division immer noch ziellos herumgeirrt wäre, hätte Seine Gnaden selbst die Himmelsrichtung bestimmen müssen, in die der Marsch ging.

»Lord Marschall Kroy«, erwiderte der Statthalter knapp und machte keinen Hehl aus seiner geringen Begeisterung. Ihre Beziehung war delikat. In seiner eigenen Provinz Angland herrschte Meed unangefochten allein, aber in Kriegszeiten hatte Finrees Vater als vom König eingesetzter Lord Marschall einen höheren Rang inne, und Meed war ihm unterstellt.

»Mir ist bewusst, dass es sicherlich für Sie mehr als bedauerlich war, Ollensand aufzugeben, aber wir brauchen Sie hier.«

»Das sehe ich«, knurrte Meed, der sich wie immer wenig entgegenkommend gab. »Soweit ich weiß, gab es eine erns…«

»Meine Herren!« Das Grüppchen Offiziere an der Tür teilte sich und ließ jemanden durch. »Ich muss mich für mein spätes Eintreffen entschuldigen, die Straßen sind leider ziemlich verstopft.« Ein untersetzter, kahlköpfiger Mann trat aus der Menge, schüttelte die Schöße eines recht mitgenommenen Reisemantels und bespritzte alle in seiner Nähe rücksichtslos mit Regenwasser. Er wurde von nur einem Diener begleitet, einem Lockenkopf, der einen Korb trug, aber Finree hatte es sich zur Aufgabe gemacht, jeden in der Regierung Seiner Majestät zu kennen, jedes Mitglied des Offenen und des Geschlossenen Rates, und auch genau zu wissen, wie viel Einfluss es jeweils besaß, und daher ließ sie sich nicht im Geringsten von dem bescheidenen Auftreten täuschen. Er mochte sich im Ruhestand befinden oder auch nicht. Bayaz, der Erste der Magi, hatte den höchsten Rang von allen inne.

»Lord Bayaz.« Finrees Vater stellte die Anwesenden vor. »Das ist Lord Statthalter Meed von Angland, der die dritte Division Seiner Majestät befehligt.«

Dem Ersten der Magi gelang das Kunststück, dem Statthalter die Hand zu schütteln und ihn gleichzeitig völlig zu übersehen. »Ich kannte Ihren Bruder. Ein guter Mann, der allen sehr fehlt.« Meed wollte etwas sagen, aber Bayaz wurde von seinem Diener abgelenkt, der in diesem Augenblick einen Becher aus seinem Korb hervorzog. »Ah! Tee! Wenn man einen Becher Tee in der Hand hält, erscheint einem nichts mehr so schlimm wie zuvor, nicht wahr? Möchte vielleicht noch jemand einen Schluck?« Niemand meldete sich. Tee betrachtete man in der Union allgemein als unpatriotische gurkhisische Marotte, die mit schnurrbartzwirbelndem Verrat gleichzusetzen war. »Niemand?«

»Ich hätte gern einen Becher.« Finree glitt elegant vor den Lord Statthalter und zwang ihn, einen stolpernden Schritt zurück zu treten. »Das ist genau das Richtige bei diesem Wetter.« Sie verabscheute Tee, hätte aber ohne mit der Wimper zu zucken einen ganzen Ozean davon getrunken, solange sie dadurch die Gelegenheit bekam, ein paar Worte mit dem mächtigsten Mann in der Union zu wechseln.

Bayaz’ Blick glitt einmal über ihr Gesicht wie der eines Pfandleihers, den man gebeten hatte, eine Schätzung für ein geschmackloses Erbstück abzugeben. Finrees Vater räusperte sich etwas zögernd. »Das ist meine Tochter …«

»Finree dan Brock natürlich. Meinen Glückwunsch zu Ihrer Vermählung.«

Sie unterdrückte ihre Überraschung. »Sie sind sehr gut informiert, Lord Bayaz. Ich hätte gedacht, ich wäre viel zu unwichtig, um so viel Beachtung zu finden.« Das zustimmende Hüsteln, das aus Meeds Ecke kam, überhörte sie geflissentlich.

»Für einen vorsichtigen Mann ist nichts zu unwichtig«, sagte der Magus. »Wissen ist immerhin die Wurzel aller Macht. Ihr Gatte muss in der Tat ein hervorragender Mann sein, damit er aus dem Schatten treten konnte, den der Verrat seiner Familie auf ihn geworfen hat.«

»Das ist er«, erwiderte sie unerschrocken. »Er schlägt in keiner Hinsicht nach seinem Vater.«

»Gut.« Bayaz lächelte immer noch, aber seine Augen waren hart wie Feuersteine. »Ich würde Ihnen ungern dadurch Schmerz bereiten, dass ich ihn eines Tages aufknüpfen lassen müsste.«

Unbehagliches Schweigen breitete sich aus. Finree sah zu Oberst Brint, dann zu Lord Statthalter Meed hinüber und fragte sich, ob einer von beiden Hal im Gegenzug für seine unverbrüchliche Treue unterstützen würde. Brint hatte zumindest so viel Anstand, schuldbewusst dreinzublicken. Meed hingegen sah geradezu erfreut aus. »Sie werden im ganzen Heer Seiner Majestät keinen loyaleren Mann finden«, stieß sie schließlich hervor.

»Ich bin ganz und gar entzückt. Loyalität ist beim Heer stets willkommen. Siege allerdings noch mehr.« Bayaz sah grimmig zu den versammelten Offizieren. »Es sind nicht die besten Zeiten, meine Herren. Ganz und gar nicht.«

»General Jalenhorm ist über sein Ziel hinausgeschossen«, erklärte Mitterick, wie üblich ohne jegliches Einfühlungsvermögen, obwohl es gar nicht an ihm gewesen wäre, das Wort zu ergreifen. »Er hätte überhaupt nicht so weit vorrücken soll…«

»General Jalenhorm handelte auf meinen Befehl«, unterbrach ihn Marschall Kroy kurz angebunden, woraufhin Mitterick übellaunig den Mund wieder zuklappte. »Wir sind übers Ziel hinausgeschossen, das stimmt, und die Nordmänner haben uns überrascht …«

»Ihr Tee.« Ein Becher wurde Finree in die Hand gedrückt, und ihr Blick kreuzte den von Bayaz’ Diener. Er hatte seltsame Augen, eins blau, das andere grün. »Ich bin sicher, dass Ihr Ehemann so treu, ehrlich und fleißig ist, wie ein Mann es überhaupt nur sein kann«, raunte er ihr zu, und ein überhaupt nicht unterwürfiges Lächeln kräuselte seine Mundwinkel, als hätten sie gerade über einen Witz gelacht, den nur sie beide verstanden. Sie wusste nicht, worin ein solches Einvernehmen bestanden haben sollte, aber der Mann war bereits wieder zu seinem Meister zurückgekehrt, noch immer die Teekanne in der Hand, um Bayaz’ Becher zu füllen. Finree verzog die Lippen, achtete sorgfältig darauf, dass niemand sie beobachtete, und schüttete den Inhalt ihres Bechers gegen die Wand.

» unsere Möglichkeiten waren äußerst beschränkt«, sagte ihr Vater gerade, »angesichts der Eile, zu der uns der Geschlossene Rat so sehr gedrängt ha…«

Bayaz schnitt ihm das Wort ab. »Der Drang zur Eile ist in dieser Situation ein Fakt, Marschall Kroy, ein Fakt, der zwar nicht umständehalber, sondern politisch bedingt ist, was ihn aber keinesfalls weniger zwingend macht.« Er schlürfte mit gespitzten Lippen seinen Tee, aber währenddessen war es im Raum so still, dass man einen Floh hätte husten hören können. Finree wünschte, sie würde diesen Trick ebenfalls beherrschen und könnte sich darauf verlassen, dass jede ihrer Äußerungen, ganz gleich wie belanglos, sofort alle Aufmerksamkeit auf sich zog, anstatt wie üblich abgewürgt, allenfalls toleriert oder überhört zu werden. »Wenn ein Baumeister eine Mauer auf einem Abhang baut und sie zusammenbricht, dann kann er sich kaum darauf berufen, dass sie sicherlich tausend Jahre überdauert hätte, wenn er einen ebenen Bauplatz zur Verfügung gehabt hätte.« Bayaz schlürfte erneut, und wieder herrschte währenddessen vollkommenes Schweigen. »Im Krieg gibt es keine ebenen Bauplätze.«

Finree fühlte einen beinahe körperlichen Drang, ihrem Vater unterstützend beizuspringen. Es war, als summte eine Wespe hinter ihrem Rücken, die totgeschlagen werden musste. Aber sie biss sich auf die Zunge. Meed herauszufordern war eine Sache. Sich gegen den Ersten der Magi zu stellen aber eine andere, eine völlig andere.

»Es war nicht meine Absicht, eine Entschuldigung anzuführen«, erklärte ihr Vater steif. »Für unser Scheitern übernehme ich vollständig die Verantwortung, und für unsere Verluste kommt die Schuld allein mir zu.«

»Ihre Bereitschaft, die Schuld zu übernehmen, ehrt Sie, bringt uns allerdings nicht unbedingt weiter.« Bayaz seufzte, als müsse er seinem unartigen Enkel einen Rüffel erteilen. »Aber lassen Sie uns alle aus den Geschehnissen lernen, meine Herren. Wir wollen die gestrige Niederlage hinter uns lassen und uns dem morgigen Sieg zuwenden.« Alle nickten, als hätten sie nie etwas Tiefgründigeres gehört. Hier zeigte sich wahre Macht.

Sie konnte sich nicht erinnern, jemals einen Menschen in so kurzer Zeit so sehr verabscheut und gleichzeitig so sehr bewundert zu haben.

Die Zusammenkunft von Dows Anführern fand in der Mitte des Heldenkreises statt, rund um eine große Feuergrube, aus der Flammen emporzüngelten, während der Nieselregen zischend in der Hitze verdampfte. Die Atmosphäre war angespannt und lag irgendwo zwischen einer Hochzeit und einer Hinrichtung. Feuerschein und Schatten lassen Männer schnell wie Teufel aussehen. Sie waren alle dort Reichel, Zehnweg, Scale und Calder, Eisenkopf, Spaltfuß und noch ein paar andere namhafte Männer. Die größten Namen und die härtesten Gesichter im ganzen Norden, abgesehen von den wenigen, die noch in den Bergen hockten, und jenen, die auf der anderen Seite kämpften.

Glama Golding hatte ziemlich was abgekriegt, das war nicht zu übersehen. Es hatte geradewegs den Anschein, als habe jemand sein Gesicht als Amboss benutzt. Seine linke Wange bestand aus einer einzigen, großen Schwellung, seine Lippen waren aufgeplatzt und aufgequollen, und die ersten blauen Flecken breiteten sich auf seinen Wangen aus. Eisenkopf grinste ihn quer über den Kreis der schadenfrohen Gesichter gehässig an, als habe er noch nie etwas so Hübsches gesehen wie Goldings gebrochene Nase. Zwischen diesen beiden war Blut, und zwar so viel, dass es alles in ihrer Umgebung vergiftete.

»Was zur Hölle treibst du denn hier, alter Mann?«, raunte Calder, als Kropf sich neben ihn drängte.

»Ich wünschte, das wüsste ich. Meine Augen sind nicht mehr so gut wie früher.« Kropf fasste sich an die Gürtelschnalle und sah sich mit zusammengekniffenen Augen um. »Ist das hier nicht die Ecke, wo wir zum Kacken hingehen?«

Calder schnaubte. »Nein, das ist die Ecke, wo wir uns zum Reden treffen. Aber wenn du die Hosen runterlassen und Brodd Zehnweg einen Haufen brauner Wichse für seine Schuhe vor die Füße setzen willst, habe ich nichts dagegen.«

Jetzt löste sich der Schwarze Dow aus den Schatten neben Skarlings Thron, einen halb abgenagten Knochen in der Hand. Das Gerede wurde leiser und verstummte dann ganz, bis nur noch das Knistern und Knacken der in sich zusammenfallenden Scheite zu hören war. Aus der Entfernung drangen Bruchstücke der Lieder, die draußen gesungen wurden, in den Kreis. Dow hatte den Knochen gänzlich abgeknabbert und schleuderte ihn nun ins Feuer, dann leckte er sich einen Finger nach dem anderen und sah sich alle schattenumlagerten Gesichter genau an. Genüsslich zog er das Schweigen weiter in die Länge. Ließ sie warten. Ließ keinen Zweifel daran, wer hier auf diesem Berg das fieseste Arschloch war.

»So«, sagte er schließlich. »Ein gutes Tagewerk liegt hinter uns, nicht wahr?« Die Männer klapperten laut mit ihren Schwertgriffen. Scale machte mit und schlug seinen Helm gegen die zerkratzte Beinschiene seiner Rüstung. Kropf rasselte mit seinem Schwert in der Scheide, ein klein wenig schuldbewusst, weil er nicht schnell genug gelaufen war, um es ziehen zu können. Calder rührte sich nicht, wie ihm auffiel, sondern bewegte nur bitter die Zunge über die Zähne, als das Siegesgeschrei allmählich wieder verstummte.

»Ein guter Tag!« Zehnweg sah sich grinsend im Feuerschein um.

»Joh, ein guter Tag.« Reichel nickte bekräftigend.

»Vielleicht wäre er noch besser gewesen«, sagte Eisenkopf, der Golding mit einem verächtlichen Blick strafte, »wenn wir es auch noch über die Furt geschafft hätten.«

Goldings Augen glühten in ihren lädierten Höhlen, seine Kinnmuskeln traten seitlich an seinem Gesicht hervor, aber er blieb ruhig. Vermutlich tat das Sprechen zu sehr weh.

»Mir sagen immer wieder Leute, dass die Welt heute nicht mehr so sei wie früher.« Dow hielt sein Schwert in die Höhe und grinste so, dass seine Zungenspitze zwischen den Zähnen hervorsah. »Manche Dinge ändern sich allerdings nie, oder?« Wieder folgte klappernde Zustimmung, und bei dem vielen Stahl, der nun geschwenkt wurde, war es ein Wunder, dass es keine Verletzten gab. »Das ist für alle, die sagten, dass die Clans im Norden nicht gemeinsam kämpfen können …« Dow rollte die Zunge ein und spuckte in das zischende Feuer. »Das ist für alle, die sagten, die Union sei zu zahlreich, als dass man sie schlagen könnte …« Wieder segelte Spucke in die Flammen. Dann hob er den Kopf, und seine Augen leuchteten orangerot. »Und das ist für alle, die behaupten, ich sei nicht der Mann, dem das gelingen könnte …« Und nun rammte er sein Schwert mit der Spitze voran in das Feuer. Glühende Funken wirbelten um den Griff.

Ein zustimmendes Hämmern erhob sich, so laut wie eine geschäftige Schmiede, so laut, dass Kropf gequält das Gesicht verzog. »Dow!«, kreischte Zehnweg und klatschte mit einer schorfigen Hand auf den Knauf seines Schwerts. »Schwarzer Dow!«

Andere grölten mit, skandierten rhythmisch den Namen und schlugen mit ihren Fäusten auf Metall. »Schwar-zer-Dow! Schwar-zer-Dow!« Eisenkopf machte mit, Golding brummte mit seinem zerschlagenen Mund die Worte, und Reichel tat dasselbe. Kropf hielt die Klappe. Einen Sieg feiert man lieber ruhig und gelassen, hatte Rudd Dreibaum immer gesagt, denn es kann sein, dass man schon bald auf dieselbe Weise eine Niederlage verkraften muss. Auf der anderen Seite des Feuers sah Kropf Espes Auge in den Schatten schimmern. Auch er grölte nicht mit.

Dow lehnte sich jetzt auf Skarlings Thron zurück, wie Bethod es immer getan hatte, und sonnte sich in dem Zuspruch seiner Mannen wie eine Eidechse in der Sonne. Dann gebot er mit einer königlichen Handbewegung Schweigen. »Schön. Wir halten die beste Stellung hier im Tal. Die Unionisten werden entweder abhauen oder aber angreifen, und das Gelände lässt ihnen dazu nur wenige Möglichkeiten. Also müssen wir uns nicht allzu viele schlaue Gedanken machen. Schlaue Gedanken wären an euch sowieso verschwendet.« Glucksendes Lachen in der Runde. »Und daher setze ich auf Blut und Knochen und Stahl, genau wie heute.« Noch mehr Beifall. »Reichel?«

»Joh, Häuptling.« Der alte Krieger trat ins Licht des Feuers, den Mund zu einem schmalen Strich zusammengekniffen.

»Du und deine Jungs, ihr sollt Osrung halten. Sie werden euch hart in die Zange nehmen, vermute ich.«

Reichel zuckte die Achseln. »Das ist nur fair. Wir haben sie heute auch hart in die Zange genommen.«

»Lass sie nicht über die Brücke gelangen, Reichel. Eisenkopf?«

»Joh, Häuptling.«

»Du kümmerst dich um die Furt. Postiere Männer bei den Obstbäumen, und sorge auf alle Fälle dafür, dass ihr den Kinderberg haltet. Die Männer sollen bereit sein zu sterben, aber noch eher bereit zu töten. Das ist der einzige Ort, wo der Feind in großer Zahl angreifen kann, und von daher sollten wir jeglichen Versuchen gleich einen Riegel vorschieben.«

»Das werde ich tun.« Eisenkopf schickte ein spöttisches Grinsen über das Feuer. »Mich wird niemand zurücktreiben.«

»Wassollndasheißen?«, grollte Golding.

»Ihr werdet alle Gelegenheit bekommen, Ruhm zu erringen«, sagte Dow, der nun die Aufmerksamkeit der beiden Streithähne auf sich zog. »Golding, du hast heute hart gekämpft, daher trittst du morgen mal einen Schritt zurück. Du wirst die Stellung zwischen Eisenkopf und Reichel halten und sie bei Bedarf unterstützen, falls einer von ihnen zu stark unter Druck gerät.«

»Joh.« Golding fuhr sich mit der Spitze seiner angeschwollenen Zunge über die geplatzten Lippen.

»Scale?«

»Häuptling.«

»Du hast die Alte Brücke erobert. Halte sie.«

»Kein Problem.«

»Wenn du den Rückzug antreten musst …«

»Werde ich nicht«, erklärte Scale mit der Zuversicht, die Jugend und begrenzter Verstand häufig mit sich bringen.

»… dann wäre es gut, eine zweite Linie hinter der alten Mauer aufzustellen. Wie nennen sie diesen Steinhaufen noch?«

»Clails Mauer«, sagte Spaltfuß. »Die hat wohl mal so ein bekloppter Bauer namens Clail errichten lassen.«

»Vielleicht wird uns das noch zupass kommen«, sagte Dow. »Du wirst sowieso nicht all deine Leute auf dem kleinen Platz hinter der Brücke einsetzen können, also bringe ein paar von ihnen weiter hinten in Stellung.«

»Mach ich«, sagte Scale.

»Zehnweg?«

»Auf dem Weg zum Ruhm, Häuptling!«

»Du wirst dich um den Berghang der Helden und Skarlings Finger kümmern, und dementsprechend ist es unwahrscheinlich, dass du direkt in irgendwelche Kämpfe verwickelt werden wirst. Wenn Scale oder Eisenkopf deine Hilfe brauchen, dann kannst du vielleicht einspringen.«

Zehnweg blickte über die Feuergrube verächtlich zu Scale, Calder und auch zu Kropf, der hoffte, es liege nur daran, dass er zufällig neben den beiden stand. »Ich werde sehen, was ich ausmerzen kann.«

Dow beugte sich vor. »Spaltfuß und ich werden hier oben auf dem Berg hinter der Trockensteinmauer bleiben. Morgen werde ich also aus dem Hintergrund die Befehle geben, so wie es bei unseren Freunden von der Union gemacht wird.« Wieder folgte kerniges Gelächter. »Also, so sieht es aus. Hat jemand noch bessere Vorschläge?« Dow bedachte alle Anwesenden mit seinem Grinsen. Kropf hatte sich nie weniger bemüßigt gefühlt, das Wort zu ergreifen, und es war unwahrscheinlich, dass sich irgendjemand anders zum Narren machen wollte

»Ich habe eine.« Calder, stets bereit, sich in den Vordergrund zu spielen, hob einen Finger.

Dow kniff die Augen zusammen. »Welch eine Überraschung. Und wie lautet deine Strategie, Prinz Calder?«

»Der Union den Rücken zuwenden und abhauen?«, fragte Eisenkopf, gefolgt von einer Welle glucksenden Gelächters.

»Der Union den Rücken zuwenden und sich nach vorn beugen vielleicht?«, fragte Zehnweg, und wieder wurde gejohlt. Calder lächelte bei all dem, wartete, bis das Lachen verebbte und wieder Stille eintrat.

»Frieden«, sagte er.

Kropf zuckte zusammen. Es war, als ob man in einem Bordell auf einen Tisch stieg und lauthals Keuschheit forderte. Ihn überkam das starke Bedürfnis, von Calder abzurücken, wie von einem Mann, der mit Öl begossen worden und von lodernden Flammen umgeben ist. Aber welcher Mann wendet sich von einem Freund ab, nur weil er gerade nicht so beliebt ist? Selbst wenn die Gefahr besteht, dass er sich in einen Feuerball verwandelt? Also blieb Kropf an seiner Seite, fragte sich, welches Spielchen Calder hier spielen wollte, denn dass er einen Plan hatte, das stand fest. Das ungläubige Schweigen hielt eine Weile an, bis ein Windstoß aufkam, in die Mäntel fuhr und die Flammen der Fackeln tanzen ließ, deren wildes Licht nun über die grimmigen Gesichter ringsum zuckte.

»Was soll das, du verdammter, feiger Wichser?!« Das schorfige Gesicht von Brodd Zehnweg war vor Verachtung so verzerrt, als wollte es auseinanderbrechen.

»Du nennst meinen Bruder einen Feigling?«, brüllte Scale, dem die Augen aus dem Kopf quollen. »Ich dreh dir den verdammten, eitrigen Hals um!«

»Aber, aber.« Dow hob die Hand. »Wenn hier irgendwelche Hälse umgedreht werden, dann bestimme ich, welche das sind. Prinz Calder ist dafür bekannt, dass er seine Worte gut zu wählen versteht. Ich habe ihn hierher gebracht, damit wir hören können, was er zu sagen hat, oder nicht? Also, lass hören, Calder. Wieso Frieden?«

»Vorsichtig, Calder«, raunte Kropf und versuchte, dabei seine Lippen so wenig wie möglich zu bewegen. »Ganz vorsichtig.«

Falls Calder die Warnung gehört hatte, dann schiss er darauf. »Weil Krieg reine Verschwendung ist, von Zeit, von Geld und von Leben.«

»Verdammter Feigling!«, brüllte Zehnweg erneut, und diesmal widersprach nicht einmal Scale, der seinen Bruder lediglich anstarrte. Überall wurde Ablehnung laut, es wurde geflucht und ausgespuckt, fast ebenso entschieden wie bei den Beifallsrufen für Dow. Doch je lauter es wurde, desto mehr lächelte Calder. Als ob er auf ihrem Hass gedieh wie eine Blume auf Dung.

»Der Krieg ist ein Mittel, um Dinge zu bekommen«, sagte er. »Wenn man dadurch nichts gewinnt, was hat er dann für einen Sinn? Wie lange sind wir denn hier schon durch die Gegend marschiert?«

»Du hattest doch zwischendurch einen schönen Aufenthalt zu Hause, du Wichser«, rief jemand.

»Joh, und den hat dir genau dieses Geschwätz über Frieden eingetragen«, ergänzte Eisenkopf.

»Na schön, also, wie lange bist du schon hier draußen?« Calder deutete nun direkt auf Eisenkopf. »Oder du?« Auf Golding. »Oder er?« Nun wies er mit dem Daumen seitlich zu Kropf. Der verzog das Gesicht und wünschte, Calder würde ihn aus dem Spiel lassen. »Monate? Jahre? Marschieren, reiten, sich sorgen und draußen unter freiem Himmel liegen, krank und verwundet. Im Wind und in der Kälte, während eure Felder, eure Herden, eure Werkstätten und eure Frauen von niemandem versorgt werden. Und wofür? Na? Für Beute, oder für Ruhm und Ehre? Wenn in dieser Schar hier mehr als zweihundert Männer sind, die diese ganze Geschichte reicher gemacht hat, als sie vorher waren, dann fresse ich meinen eigenen Schwanz.«

»Verdammtes Feiglingsgeschwätz!«, fauchte Zehnweg und wandte sich ab. »Das hör ich mir nicht an!«

»Feiglinge rennen vor Dingen weg, die ihnen Angst machen. Fürchtest du dich vor Worten, Zehnweg? Was bist du doch für ein Held.« Calder erntete sogar vereinzeltes Gelächter für diese Bemerkung, und das sorgte immerhin dafür, dass Zehnweg stehen blieb und sich zornig umwandte. »Wir haben heute einen Sieg errungen! Jeder hier wurde zur Legende!« Damit schlug Calder gegen seinen Schwertgriff. »Aber es war nur ein kleiner.« Mit einer Kopfbewegung deutete er nach Süden, wo, wie alle wussten, die Lagerfeuer des Feindes das ganze Tal in ein Lichtermeer verwandelten. »Es gibt noch jede Menge Unionisten. Morgen wird härter gekämpft werden, und mit größeren Verlusten. Weit größeren. Und wenn wir gewinnen, dann enden wir auf demselben Fleck, auf dem wir jetzt stehen, nur mit wesentlich mehr Toten zur Gesellschaft. Oder nicht?« Einige schüttelten die Köpfe, aber weit mehr hörten zu und dachten offenbar nach. »Was all jene betrifft, die stets behaupteten, dass die Clans des Nordens nie gemeinsam kämpfen werden oder dass die Unionisten zu zahlreich sind, um sie schlagen zu können nun, ich glaube nicht, dass diese Fragen schon endgültig beantwortet sind.« Calder rollte seine Zunge ein und schickte ein wenig eigene Spucke in Dows Feuer. »Und spucken kann jeder.«

»Frieden«, schnaubte Zehnweg, der nun doch geblieben war, um weiter zuzuhören. »Wir alle wissen, wie groß die Friedensliebe deines Vaters war! War er es nicht, der uns überhaupt in den Krieg mit der Union getrieben hat?«

Dieser Einwand brachte Calder kein bisschen aus dem Konzept. »Das hat er, und es hat zu seinem Tod geführt. Vielleicht habe ich aus seinen Fehlern gelernt. Die Frage ist, habt ihr das auch?« Er sah den Männern in die Augen. »Denn wenn ihr mich fragt, dann ist es ziemlich dumm, sein Leben für etwas zu riskieren, das man auch durch Verhandlungen bekommen kann.« Eine Weile herrschte Schweigen. Ein unwilliges, schuldiges Schweigen. Der Wind fuhr ein weiteres Mal in die Mäntel und ließ einen Funkenregen aus der Feuergrube aufstieben. Dow beugte sich vor und stützte sich auf sein Schwert.

»Da hast du dir ja viel Mühe gegeben, mir in mein Küchenfeuer zu pissen, was, Prinz Calder?« Hartes Auflachen in der Runde, und die kurze Nachdenklichkeit war verflogen. »Was ist mit dir, Scale? Bist du auch für den Frieden?«

Die Brüder musterten sich kurz, während Kropf zwischen ihnen versuchte, ungesehen in den Hintergrund zu treten. »Nein«, erklärte Scale. »Ich bin fürs Kämpfen.«

Dow schnalzte mit der Zunge. »Da haben wir’s. Offenbar hast du nicht einmal deinen eigenen Bruder überzeugt.« Noch mehr leises Gelächter, und Calder stimmte mit ein, wenn auch etwas unglücklich. »Aber eins muss man dir lassen, Calder, du weißt mit Worten umzugehen. Vielleicht wird einmal der Tag kommen, an dem wir Friedensverhandlungen mit der Union führen werden. Dann werde ich sicherlich an dich denken.« Er zeigte seine Zähne. »Heute Abend jedoch nicht.«

Calder vollführte eine übertriebene Verbeugung. »Wie du befiehlst, Bewahrer des Nordens. Du bist der Häuptling.«

»So ist es«, grollte Dow, und die meisten nickten zu seinen Worten. »So ist es.« Aber Kropf fiel auf, dass einige der Männer nachdenklich aussahen, als sie sich allmählich wieder in der Nacht verloren. Vielleicht hatten sie ihre unbestellten Felder im Sinn, oder ihre unbefriedigten Frauen. Vielleicht war Calder doch nicht so verrückt, wie es den Anschein gehabt hatte. Nordmänner lieben den Kampf, das stand fraglos fest, aber sie lieben auch ihr Bier. Und ähnlich wie beim Bier ist es auch mit dem Kampf: Man kann nicht endlos viel davon vertragen.

»Heute haben wir einen Rückschlag erlitten. Aber morgen wird es anders aussehen.« Marschall Kroys Haltung ließ keinen Widerspruch zu. Er postulierte eine Tatsache. »Morgen werden wir unseren Feind angreifen, und wir werden siegreich sein.« Ein Rascheln ging durch den Raum, als die Männer übereinstimmend nickten und ihre gestärkten Kragen hin und her bewegten.

»Sieg«, murmelte jemand.

»Bis morgen früh werden alle drei Divisionen ihre Stellungen eingenommen haben.« Eine davon ist schwer angeschlagen, die anderen beiden sind die ganze Nacht hindurch marschiert. »Wir sind zahlenmäßig überlegen!« Wir werden sie mit dem Gewicht unserer Leichen erdrücken! »Wir haben das Recht auf unserer Seite.« Oh, wie schön für Sie. Auf meiner Seite ist nur ein riesiger blauer Fleck. Doch die übrigen Offiziere schienen von diesen Plattheiten aufgerüttelt. Wie Idioten es ja öfters sind.

Kroy wandte sich der Landkarte zu und deutete auf das Südufer der Furt, auf genau jene Stelle, wo Gorst am Morgen gekämpft hatte. »General Jalenhorms Division braucht Zeit, um sich neu aufzustellen, und von daher wird sie hier in der Mitte bleiben und sich weitgehend aus den Kampfhandlungen heraushalten. Sie wird an der Furt Stärke demonstrieren, sie aber nicht überschreiten. Stattdessen greifen wir auf beiden Seiten an.« Er machte einen energischen Schritt zur rechten Seite der Karte und bewegte seine Hand über die Ollensander Straße in Richtung Osrung. »Lord Statthalter Meed, Sie sind unsere rechte Faust. Ihre Division wird im Morgengrauen Osrung angreifen, die Palisade erstürmen, die Südhälfte der Stadt einnehmen und dann versuchen, die Brücke zu erobern. Die Nordhälfte ist solider bebaut, und die Nordmänner hatten Zeit, ihre Stellungen dort zu verstärken.«

Meeds ausgemergeltes Gesicht war fleckig vor Erregung, und seine Augen glänzten angesichts der Vorstellung, den verhassten Feind endlich zu fassen zu bekommen. »Wir werden sie hinwegfegen und jeden von ihnen dem Schwert überantworten.«

»Gut. Seien Sie jedoch vorsichtig, die Wälder im Osten sind von unseren Kundschaftern noch nicht gründlich durchkämmt worden. General Mitterick, Sie werden von links zuschlagen. Ihr Ziel wird es sein, sich den Weg über die Alte Brücke zu erkämpfen und sich auf der anderen Seite festzusetzen.«

»Oh, meine Männer werden die Brücke einnehmen, keine Sorge, Herr Marschall. Wir werden sie erobern und diese Brut den ganzen Weg bis ins verdammte Carle…«

»Die Brücke genügt fürs Erste.«

»Ein Bataillon des Ersten Kavallerieregiments wird Ihnen zur Seite gestellt.« Felniggs abfälliger Gesichtsausdruck deutete an, dass er es generell für Verschwendung hielt, Mitterick überhaupt irgendetwas zur Seite zu stellen. »Die Männer haben einen Weg durch die Sümpfe gefunden und nun unterhalb der rechten Flanke des Feindes Stellung bezogen.«

Mitterick gönnte Kroys Stabschef nicht einmal einen Blick. »Ein Trupp Freiwilliger wird den Angriff auf die Brücke anführen, und meine Männer haben bereits einige solide Flöße gebaut.«

Felniggs starrer Blick wurde noch brennender. »Soweit ich erfahren habe, ist die Strömung dort sehr stark.«

»Es ist aber einen Versuch wert, oder?«, gab Mitterick kurz angebunden zurück. »Der Feind könnte uns den ganzen Morgen auf der Brücke aufhalten!«

»Das mag sein, aber ich bitte Sie zu berücksichtigen, dass wir auf einen Sieg aus sind, nicht auf Ruhm.« Kroy bedachte die Anwesenden mit strengen Blicken. »Ich werde Ihnen allen die Befehle auch noch schriftlich zukommen lassen. Noch Fragen?«

»Ich habe eine, Herr Marschall.« Oberst Brint hob einen Finger. »Wäre es wohl möglich, dass Oberst Gorst lange genug auf Heldentaten verzichtet, bis wir anderen zur Stelle sind und uns ebenfalls an den Kampfhandlungen beteiligen können?« Vereinzelt kam Gelächter auf, obwohl Brints Bemerkung allenfalls mäßig witzig gewesen war, aber die Soldaten waren für jede seltene Gelegenheit dankbar, befreiend auflachen zu können. Gorst hatte sich bisher die Zeit damit vertrieben, zu Finree hinüberzusehen und sich gleichzeitig alle Mühe zu geben, dies vor aller Augen zu verbergen. Nun stellte er mit großem Unbehagen fest, dass er in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit geraten war und alle Anwesenden ihn anlächelten. Irgendjemand fing an zu klatschen, und schon bald ertönte bescheidener Applaus. Gorst wäre es lieber gewesen, man hätte ihn verhöhnt. Dann hätte ich mich wenigstens anschließen können.

»Ich werde mich aufs Beobachten beschränken«, knurrte er.

»Ebenso wie ich«, sagte Bayaz. »Vielleicht führe ich auch ein kleines Experiment am Südufer durch.«

Der Marschall verneigte sich. »Wir stehen Ihnen voll und ganz zur Verfügung, Lord Bayaz.«

Der Erste der Magi klatschte sich auf die Schenkel, als er aufstand, sein Diener beugte sich vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr, und als sei das ein Zeichen für den allgemeinen Aufbruch, leerte sich der Raum allmählich. Die Offiziere eilten zu ihren Einheiten, um alles für den morgendlichen Angriff vorzubereiten. Sorgt dafür, dass ihr jede Menge Särge bereitstellt…

»Ich hörte, Sie haben heute das Heer gerettet.«

Er wandte sich so elegant um wie ein aufgeschreckter Affe und musste feststellen, dass er Finree gegenüberstand, noch dazu auf erschreckend kurze Distanz. Eigentlich hätte er, nachdem er von ihrer Heirat erfahren hatte, all seine Gefühle für sie begraben wollen, so wie er sich von allen anderen Regungen verabschiedet hatte, die ihm einmal etwas bedeutet hatten. Aber stattdessen waren sie stärker denn je zuvor. Jedes Mal, wenn er sie sah, quetschte ihm ein Schraubstock die Eingeweide zusammen, fester und stärker, je länger sie miteinander redeten. Wenn Reden denn überhaupt der richtige Ausdruck war.

»Äh«, brachte er heraus. Ich habe in einem Bach herumgeplanscht und sieben Männer getötet, soweit ich das mit Sicherheit sagen kann, aber zweifelsohne habe ich noch einige mehr schwer verstümmelt. Ich habe sie in der Hoffnung in Stücke gehackt, dass unser wankelmütiger Monarch davon erfährt und daraufhin mein unverdientes Untodesurteil revidiert. Ich habe mich des Massenmordes schuldig gemacht, damit man mich nicht länger der Inkompetenz beschuldigt. Manchmal werden Männer für solche Taten gehängt, manchmal werden sie dafür gefeiert. »Ich habe Glück dass ich noch lebe.«

Sie kam näher, und er fühlte, wie das Blut wild in seinen Adern rauschte und sein Kopf so leicht wurde, als sei er ernstlich krank. »Ich habe das Gefühl, wir können uns alle glücklich schätzen, dass Sie noch am Leben sind.«

Es rührt sich was in meinen Hosen. Richtig glücklich schätzen würde ich mich, wenn du jetzt deine Hand dort hineinschieben würdest. Wäre das zu viel verlangt? Nachdem ich doch das ganze Heer gerettet habe und so? »Ich …« Es tut mir so leid. Ich liebe dich. Wieso tut es mir leid? Ich habe nichts gesagt. Muss ein Mann sich auch für Dinge entschuldigen, die er nur gedacht hat? Wahrscheinlich.

Sie war bereits weitergegangen und unterhielt sich mit ihrem Vater, und er konnte ihr das kaum verübeln. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, würde ich mich überhaupt nicht ansehen, und ich würde mir schon gar nicht dabei zuhören, wie ich quietschend und mit vielen Unterbrechungen eine einzige Zeile geistlosen Geschwätzes herausbringe. Und trotzdem tut es weh. Es tut so weh, wenn sie geht. Er schlurfte zur Tür.

Scheiße, ich bin so lächerlich.

Calder verließ klammheimlich Dows Versammlung, bevor er sich vor seinem Bruder hätte rechtfertigen müssen. Er ging eilig zwischen den Feuern hindurch und überhörte die unterdrückten Flüche der Männer, die sich darum geschart hatten. Schließlich fand er einen Weg zwischen zweien der fackelerleuchteten Helden, sah weiter unten Gold aufblitzen und holte dessen Besitzer ein, der zornbebend den Hang hinunterstapfte.

»Golding! Golding, ich muss mit dir reden.«

Golding warf einen wütenden Blick über seine Schulter. Vermutlich wollte er einen aufgebrachten, wilden Eindruck machen, aber durch die Schwellungen im Gesicht wirkte es eher so, als habe er etwas im Mund, dessen Geschmack ihm nicht behagte. Calder musste ein Auflachen unterdrücken. Das zerschlagene Gesicht bot ihm jedoch eine gute Gelegenheit, die er nicht verstreichen lassen wollte.

»Was ffollte ich ffon mit dir reden wollen, Calder?«, fauchte Golding. Drei seiner namhaften Männer richteten sich hinter ihm auf und fassten nach ihren vielen Waffen.

»Leise, wir werden beobachtet!« Calder kam näher und neigte den Kopf, als wollte er ein Geheimnis verraten. Eine Haltung, die Männer häufig dazu bringt, sie sofort zu erwidern, auch wenn sie es eigentlich gar nicht wollen; das hatte Calder oft beobachtet. »Ich dachte, wir könnten uns gegenseitig unterstützen, da wir uns schon in derselben Lage befinden …«

»Derffelben Lage?« Goldings geschwollenes, verfärbtes und blutunterlaufenes Gesicht kam nun ganz nahe. Calder wich scheinbar erschreckt und überrascht zurück, dabei lächelte er innerlich wie ein Angler, dem ein erstes Zucken der Leine verrät, dass ein Fisch angebissen hat. Reden, das war seine Kampfdisziplin, von der die meisten dieser Narren so wenig verstanden wie er vom eigentlichen Schlachtfeld. »Wie könnten wir wohl in derffelben ffein, Friedenfftifter

»Der Schwarze Dow hat seine Schätzchen, nicht wahr? Und wir anderen müssen uns mit den Brosamen zufriedengeben.«

»FFätffchen?« Goldings zerschlagener Mund ließ ihn lispeln, und jedes Nuscheln, das er hervorstieß, schien ihn noch wütender zu machen.

»Du hast heute den Angriff angeführt, während andere im Hintergrund blieben. Du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt und wurdest dabei verwundet, als du Dows Schlacht geschlagen hast. Und jetzt bekommen andere den Ehrenplatz, an vorderster Front, während du hinten drin hocken sollst? Und darauf warten musst, dass du gebraucht wirst?« Calder beugte sich noch näher. »Mein Vater hat dich immer bewundert. Hat mir immer gesagt, dass du klug bist, rechtschaffen, ein Mann, auf den man sich verlassen kann.« Es ist faszinierend, wie leicht oft selbst die lächerlichsten Schmeicheleien verfangen. Vor allem bei äußerst eitlen Menschen. Calder wusste das sehr wohl. Er war schließlich auch so gewesen.

»Hat er mir nie geffagt«, brummte Golding, obwohl er es offenkundig nur zu gern glauben wollte.

»Wie hätte er das auch tun können?«, setzte Calder nach. »Er war der König der Nordmänner. Da konnte er es sich nicht leisten, seinen Männern immer offen mitzuteilen, was er wirklich dachte.« Und das war auch gut so gewesen, denn Bethod hatte Golding für einen aufgeblasenen Halbidioten gehalten, und Calder dachte genauso. »Aber ich schon.« Er wollte nur nicht. »Es gibt keinen Grund, weshalb du und ich auf verschiedenen Seiten stehen sollten. Das wäre Dow natürlich recht, der würde gern einen Keil zwischen uns treiben. Damit er die Macht, das Gold und den Ruhm mit Leuten teilen kann wie Spaltfuß und Zehnweg und Eisenkopf.« Golding zuckte, als dieser Name fiel, als ob ein Angelhaken an seinem zerschlagenen Gesicht zupfte. Ihre Fehde ging so tief, dass sie ihm völlig den Blick auf alles andere verstellte. »Wir müssen das doch nicht zulassen.« Calder flüsterte diese letzten Worte beinahe wie ein Liebender und riskierte es sogar, Golding sanft eine Hand auf die Schulter zu legen. »Gemeinsam könnten du und ich große Dinge …«

»Genug!«, presste Golding zwischen seinen aufgeplatzten Lippen hervor und schlug Calders Hand weg. »Erffähle deine Lügen anderffwo!« Aber Calder konnte die Zweifel riechen, als Golding sich abwandte, und mehr als einen kleinen Hauch von Unsicherheit hatte er sich gar nicht erhofft. Wenn man seine Feinde nicht dazu bekommen kann, dass sie einem trauen, kann man zumindest Zwietracht unter ihnen säen. Geduld, hätte sein Vater ihm gesagt, nur Geduld. Er gönnte es sich, Golding und seinen Männern ein selbstzufriedenes Grinsen hinterherzuschicken, während sie in der Nacht verschwanden. Er brachte nur die Saat aus. Die Zeit würde die Ernte reifen lassen. Wenn er lange genug lebte, um die Sense zu schwingen.

Lord Statthalter Meed warf Finree einen letzten, missbilligenden Blick zu, bevor er sie mit ihrem Vater allein ließ. Ganz offensichtlich konnte er es nicht ertragen, wenn jemand in der Rangordnung über ihm stand, schon gar nicht, wenn es sich dabei um eine Frau handelte. Aber falls er glaubte, dass sie ihn hinter seinem Rücken lediglich als Langweiler abtun würde, hatte er sie gründlich unterschätzt.

»Meed ist ein dummer Geck«, sagte sie scharf über ihre Schulter hinweg. »Der wird auf dem Schlachtfeld so viel nütze sein wie eine Zweigroschen-Hure.« Sie dachte einen Augenblick darüber nach. »Wobei das ist vermutlich nicht fair. Die Hure könnte zumindest die Moral der Truppe heben. Meed ist so inspirierend wie ein schimmliger Waschlappen. Er hat Glück gehabt, dass du die Belagerung von Ollensand abgebrochen hast, bevor er ein völliges Fiasko daraus machen konnte.«

Überrascht stellte sie fest, dass ihr Vater auf dem Stuhl hinter seinem Reiseschreibtisch zusammengesunken war und den Kopf in den Händen barg. Plötzlich wirkte er wie ein völlig anderer Mann. Eingeschrumpft, müde und alt. »Ich habe heute tausend Mann verloren, Fin. Und noch einmal tausend sind verwundet.«

»Jalenhorm hat sie verloren.«

»Für jeden Mann in diesem Heer trage ich die Verantwortung. Ich habe sie verloren. Eintausend Mann. Eine Zahl, leicht dahingesagt. Jetzt stelle sie einmal auf. Zehn mal zehn mal zehn. Siehst du, wie viele es sind?« Er sah gequält in eine Ecke des Raumes, als ob sich dort die Leichen stapelten. »Jeder von ihnen ein Vater, ein Ehemann, ein Bruder, ein Sohn. Jedes verlorene Leben hinterlässt ein Loch, das ich niemals werde füllen, eine Schuld, die ich niemals werde bezahlen können.« Er starrte mit rotgeränderten Augen durch seine Finger hindurch zu seiner Tochter hinüber. »Finree, ich habe tausend Männer verloren.«

Sie ging ein paar Schritte auf ihn zu. »Jalenhorm hat sie verloren.«

»Jalenhorm ist ein guter Mann.«

»Das ist nicht genug.«

»Es ist schon einmal etwas.«

»Du solltest ihn ersetzen.«

»Man muss Vertrauen in seine Offiziere haben, sonst können sie sich dessen niemals würdig erweisen.«

»Ist es möglich, dass dieser Grundsatz ebenso lahm ist, wie er klingt?«

Sie sahen sich eine Weile grimmig an, und dann tat ihr Vater diesen Gedanken mit einer Handbewegung ab. »Jalenhorm ist ein alter Freund des Königs, und der König ist sehr eigen, was seine alten Freunde betrifft. Nur der Geschlossene Rat könnte ihn abberufen.«

Doch Finree gab nicht auf. »Dann ersetze doch Meed. Der Mann ist eine Gefahr für alle in der Truppe und noch eine Menge andere Leute außerhalb. Wenn er noch länger die Befehlsgewalt inne hat, wird die heutige Katastrophe schon bald vergessen sein. Beiseite gedrängt von einer viel schlimmeren.«

Ihr Vater seufzte. »Und wen sollte ich an seine Stelle setzen?«

»Ich hätte da schon einen perfekten Kandidaten im Blick. Einen ausgezeichneten jungen Offizier.«

»Gute Zähne?«

»Zufällig ja, und hochwohlgeboren, so wie es sich gehört. Außerdem ist er energisch, mutig, loyal und gewissenhaft.«

»Solche Männer haben oft fürchterlich ehrgeizige Frauen.«

»Dieser Betreffende besonders.«

Er rieb sich die Augen. »Finree, Finree, ich habe schon alles getan, was in meiner Macht stand, um ihn in seine derzeitige Position zu hieven. Falls du es vergessen hattest, sein Va…«

»Hal ist nicht sein Vater. Manche von uns übertreffen unsere Eltern.«

Er ließ ihr das durchgehen, wenngleich es ihn offenbar einige Mühe kostete. »Sei doch realistisch, Fin. Der Geschlossene Rat traut dem Adel nicht. Hals Familie war eine der einflussreichsten, nur einen Herzschlag von der Krone entfernt. Hab Geduld.«

»Pah«, schnaubte sie und meinte damit Realismus und Geduld gleichermaßen.

»Wenn du deinem Mann einen höheren Rang verschaffen willst …« Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber er hob seine Stimme und übertönte sie. »Dann brauchst du einen einflussreicheren Gönner, als ich es bin. Aber wenn du meinen Rat hören willst ich weiß, das willst du nicht, aber ich sage es trotzdem , dann verabschiedest du dich von diesem Ziel. Ich habe im Geschlossenen Rat gesessen, im Herzen der Regierung, und ich kann dir sagen, Macht ist ein verdammtes Trugbild. Je näher du ihr zu kommen scheinst, desto weiter bist du in Wirklichkeit von ihr entfernt. So viele Anforderungen, die es miteinander in Einklang zu bringen gilt. So viel Druck, dem du standhalten musst. Und die Folgen, die jede Entscheidung mit sich bringt, lasten schwer auf dir kein Wunder, dass der König keine einzige fällt. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich meinem Ruhestand entgegensehnen würde, aber wenn ich keine Macht mehr habe, kann ich vielleicht wirklich wieder etwas erreichen.«

Sie hatte mit Ruhestand noch nichts im Sinn. »Müssen wir denn wirklich darauf warten, dass Meed eine Katastrophe verursacht?«

Er sah sie finster an. »Ja. Wirklich. Und dann warten wir darauf, dass der Geschlossene Rat schriftlich seine Abberufung verlangt und mir mitteilen wird, wer an seine Stelle tritt. Immer vorausgesetzt, dass nicht ich zuerst ausgetauscht werde.«

»Wen könnten sie denn an deine Stelle setzen?«

»Ich nehme an, General Mitterick würde seine Berufung nicht ablehnen.«

»Mitterick ist ein eitler, selbstgefälliger Verleumder und ungefähr so treu wie ein Kuckuck.«

»Damit würde er bestens in den Geschlossenen Rat passen.«

»Ich begreife nicht, wie du ihn erträgst.«

»Früher, als ich noch jünger war, dachte ich auch immer, dass ich alle Antworten wüsste. Jenen, die immer noch dieser Illusion nachhängen, bringe ich von daher schuldbewusstes Mitgefühl entgegen.« Er warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu. »Ihrer sind nicht wenige.«

»Und ich vermute, es ist der Platz einer Frau, schwach am Rand zu stehen und den Idioten zu applaudieren, die sehenden Auges immer höhere Verluste verursachen?«

»Wir alle klatschen hin und wieder Beifall für Idioten, das ist im Leben nun einmal so. Es hat keinen Sinn, meine Untergebenen mit Verachtung zu strafen. Wenn jemand unserer Verachtung wert ist, dann wird er sich schon bald auch ohne unsere Hilfe ins Aus manövrieren.«

»Nun gut.« Sie hatte keinesfalls die Absicht, so lange zu warten, aber es war offensichtlich, dass es für sie nichts mehr zu erreichen gab. Ihr Vater hatte genug andere Sorgen, und sie wollte nun vielmehr versuchen, ihn wieder in bessere Stimmung zu bringen, anstatt ihn noch mehr zu belasten. Ihr Blick fiel auf das Vierseits-Brett. Ihre letzte Partie hatten sie unterbrechen müssen, und die Steine standen immer noch so angeordnet wie beim letzten Zug.

»Du hast das Spiel nicht verändert?«

»Natürlich nicht.«

»Dann …« Sie hatte über ihren Zug nachgedacht, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, tat nun aber so, als sei er ihr gerade erst eingefallen. Gelassen, wie nebenbei, schob sie eine Figur auf ein anderes Feld.

Ihr Vater sah sie mit jenem nachsichtigen Blick an, mit dem er sie früher betrachtet hatte, als sie noch ein kleines Mädchen war. »Bist du ganz sicher?«

Sie seufzte. »Ein Zug ist so gut wie der andere.«

Er griff nach einem Stein und zögerte. Seine Augen wanderten über das Brett, die Hand schwebte über den Figuren. Sein Lächeln verblasste. Langsam zog er die Hand zurück und legte einen Finger auf die Unterlippe. Dann glitt ein Lächeln über sein Gesicht. »Wieso, du woll…«

»Ich wollte dich gern von den Verlusten ablenken.«

»Dafür sorgt schon der Schwarze Dow. Nicht zu vergessen der Erste der Magi und seine Kollegen.« Er schüttelte bitter den Kopf. »Sei morgen vorsichtig. Lieber würde ich zehntausend Männer verlieren als dich.«

»So leicht wirst du mich nicht los.« Sie wandte sich zur Tür und sah noch einmal zum Brett. »Ich will ja schließlich noch erleben, wie du dich aus dieser Klemme herauswindest!«

Der Regen hatte kurz aufgehört, und die Offiziere waren zu ihren Einheiten zurückgekehrt. Alle, außer einem.

Bremer dan Gorst lehnte an der Stange, an der ansonsten die Pferde festgebunden wurden, und wirkte so, als habe er sich nicht entscheiden können, ob er lässig oder stolz aufgerichtet dastehen wollte, um stattdessen eine seltsame Haltung einzunehmen, die irgendwo in der Mitte zwischen beidem lag.

Doch selbst so war es Finree nicht mehr möglich, ihn als die harmlose Gestalt wahrzunehmen, als die sie ihn früher gesehen hatte, wenn sie in den sonnigen Gärten des Agrionts kurze und lachhaft formelle Gespräche miteinander geführt hatten. Nur eine Schramme auf seinem Gesicht deutete darauf hin, dass er an diesem Tag gekämpft hatte, und sie hatte von Hauptmann Hardrick erfahren, dass er ganz allein eine Legion Nordmänner angegriffen und sechs von ihnen getötet hatte. Als sie die Geschichte später noch einmal von Oberst Brint hörte, waren daraus schon zehn geworden. Wer konnte schon sagen, welche Legende inzwischen bei den gemeinen Soldaten kursierte? Der Knauf seiner Klinge blitzte kurz auf, als er sich aufrichtete, und sie durchfuhr mit seltsamem, kühlem Kitzel der Gedanke, dass er mit diesem Degen nur wenige Stunden zuvor Menschen umgebracht hatte. Und zwar nicht wenige, egal, welcher Fassung man glaubte. Es hätte nicht dazu beitragen sollen, dass er in ihrer Achtung stieg, ganz und gar nicht, aber dennoch verhielt es sich so. Sehr sogar. Ihn umgab nun der aufregende Nimbus tödlicher Gewalt.

»Bremer. Warten Sie auf meinen Vater?«

»Ich dachte …« Er brachte dies in seiner seltsam unpassenden, quietschenden Stimme vor, dann fuhr er ein wenig tiefer fort: »… Sie bräuchten vielleicht eine Eskorte.«

Sie lächelte. »Also gibt es doch noch Helden auf dieser Welt? Bitte, gehen Sie voran.«

Calder saß in der feuchten Dunkelheit, in Spuckweite der Kackgruben, und hörte, wie die anderen Männer den Sieg des Schwarzen Dow feierten. Er gab es ungern zu, aber er vermisste Seff. Er vermisste die Wärme und Sicherheit ihres Bettes. Vor allem vermisste er ihren Geruch, gerade jetzt, da die Brise auffrischte und Kotgestank seine Nase kitzelte. Aber in all diesem Chaos, inmitten der Lagerfeuer, des betrunkenen Gegröles, der betrunkenen Angeberei, des betrunkenen Ringens gab es nur einen Ort, an dem man hoffen konnte, einen Mann allein anzutreffen. Und für Verrat war nun einmal eine gewisse Heimlichkeit vonnöten.

Schwere Schritte näherten sich den Gruben. Der Mann, dem sie gehörten, war nur als schwarzer Umriss zu erkennen, umrahmt von orangefarbenem Feuerschein, und sein Gesicht war eine graue Fläche, aber Calder erkannte ihn trotzdem. Es gab selbst unter all den Anführern hier kaum Männer mit einer ähnlich breiten, massigen Gestalt. Calder stand auf, streckte die steifen Glieder, ging zum Rand der Grube und stellte sich naserümpfend neben den Neuankömmling. Gruben voller Scheiße, Gruben voller Leichen. Das war alles, was der Krieg zurückließ, soweit er sehen konnte.

»Cairm Eisenkopf«, sagte er leise. »Wie sieht’s aus?«

»Sieh mal an.« Er hörte, wie Spucke im Mund gesammelt wurde, bevor sie in hohem Bogen in die Grube flog. »Prinz Calder, das ist aber eine Ehre. Ich dachte, du würdest im Westen bei deinem Bruder lagern.«

»Das tue ich auch.«

»Dann riechen meine Gruben wohl besser als seine, oder was?«

»Kann man nicht sagen.«

»Was willst du dann hier gucken, wer den Längsten hat? Es geht nicht darum, wie du bestückt bist, sondern darum, was du mit ihm machen kannst.«

»Man könnte über Kraft sicherlich dasselbe sagen.«

»Oder über Arglist.« Schweigen, nur Schweigen. Calder mochte keine schweigsamen Männer. Ein Angeber wie Golding, ein jähzorniger Mann wie Zehnweg, selbst ein grausamer Mann wie der Schwarze Dow, sie alle gaben einem etwas in die Hand, womit man arbeiten konnte. Ein schweigsamer Mann wie Eisenkopf gab nichts preis. Schon gar nicht im Dunkeln, wo Calder noch nicht einmal seine Gedanken erraten konnte.

»Ich brauche deine Hilfe«, versuchte er es.

»Denk an fließendes Wasser.«

»Damit doch nicht.«

»Womit dann?«

»Ich habe gehört, der Schwarze Dow will meinen Tod.«

»Dann weißt du mehr als ich. Aber wenn es so wäre, was ginge es mich an? Wir lieben dich nicht alle so sehr, wie du dich selbst liebst, Calder.«

»Du wirst schon bald selbst Verbündete brauchen, und das weißt du auch.«

»Weiß ich das?«

Calder schnaubte. »Ein Narr steigt nicht so hoch auf wie du, Eisenkopf. Der Schwarze Dow hat für dich nicht mehr übrig als für mich, würde ich sagen.«

»So, er hat für mich nichts übrig? Hat er mich nicht auf den Ehrenplatz gestellt? In die erste Reihe und in die Mitte, mein Junge?!«

Calder beschlich das unangenehme Gefühl, dass ein spöttisches Lachen in Eisenkopfs Stimme mitschwang. Aber hier zeigte sich ein kleiner Spalt, und er hatte keine andere Wahl, als mit seinem verächtlichsten Glucksen anzugreifen. »Der Ehrenplatz? Der Schwarze Dow? Er hat sich gegen den Mann gestellt, der sein Leben verschont hat, und die Kette meines Vaters für sich selbst gestohlen. Der Ehrenplatz? Er hat das getan, was ich mit dem Mann täte, den ich am meisten fürchtete. Er hat dich dort hingestellt, wo der Feind mit der größten Wucht angreifen wird. Mein Vater hat immer gesagt, du warst der härteste Kämpfer im ganzen Norden, und das weiß der Schwarze Dow. Er weiß, dass du nie zurückweichst. Also setzt er dich dort ein, wo dir deine eigene Stärke zum Verhängnis werden wird. Und wer wird davon profitieren? Wer wird aus den Kämpfen herausgehalten? Zehnweg und Golding.« Er hatte darauf gehofft, dass dieser letzte Name eine gewisse Reaktion hervorrufen würde, aber Eisenkopf bewegte kein Härchen. »Sie bleiben zurück, während du, mein Bruder und der Vater meiner Frau das Kämpfen übernehmen. Ich hoffe, deine Ehre ist in der Lage, ein Messer abzuwehren, falls sich einmal eines gegen deinen Rücken richten sollte.«

Ein Aufstöhnen. »Endlich.«

»Endlich was?«

Das Geräusch von Pisse, die nach unten spritzte. »Das. Weißt du, Calder, du hast es doch selbst gesagt.«

»Was habe ich gesagt?«

»Ein Narr steigt nicht so hoch auf wie ich. Ich bin noch längst nicht überzeugt, dass der Schwarze Dow meinen Untergang wünscht, oder auch deinen. Und selbst wenn er das täte, welche Hilfe könntest du mir anbieten? Das Lob deines Vaters? Das verlor den größten Teil seines Wertes, als er bei den Hohen Höhen überwunden wurde, und den Rest hat der Blutige Neuner erledigt, als er ihm den Schädel zu Brei geschlagen hat. Ups.« Calder merkte, dass Pisse über seine Stiefel spritzte. »’tschuldige. Wir sind halt nicht alle so geschickt mit unseren Schwänzen wie du. Ich denke mal, ich werde weiter zu Dow halten, obwohl mich dein Bündnisangebot natürlich sehr rührt.«

»Der Schwarze Dow kann dir nichts anderes bieten als Krieg und die Angst, die alle Männer vor ihm haben. Wenn er stirbt, fällt das ganze Gebilde in sich zusammen.« Schweigen, und Calder fragte sich, ob er einen Schritt zu weit gegangen war.

»Hm.« Mit einem metallischen Klappern schloss Eisenkopf seinen Gürtel. »Dann bring ihn halt um. Aber bevor du das tust, breite deine Lügen vor anderen Ohren aus. Und such dir eine andere Pissgrube, es sei denn, du willst in dieser hier ersaufen.« Calder, der nahe am Rand stand, bekam einen Klaps auf den Rücken, gerade fest genug, dass er mit den Armen rudern musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Als er wieder sicher auf den Beinen stand, war Eisenkopf verschwunden.

Calder verharrte einen Augenblick. Bei diesem Gespräch war er sich nicht sicher, was er mit seinen Worten gesät haben mochte und welche Ernte er sich erwarten konnte. Aber das musste kein schlechtes Zeichen sein. Er hatte erfahren, dass Cairm Eisenkopf ein wesentlich tiefgründigerer Mann war, als man es ihm auf dem ersten Blick ansah. Schon das allein war ein bisschen Pisse auf den Stiefeln wert.

»Eines Tage sitze ich auf Skarlings Thron«, flüsterte Calder in die Dunkelheit. »Und dann werde ich dich meine Scheiße fressen lassen, und du wirst mir sagen, dass du noch nie etwas so Süßes geschmeckt hast.« Diese Vorstellung besserte seine Stimmung ein wenig.

Er schüttelte die Tropfen von seinen Stiefeln, so gut er konnte, und stolzierte in die Nacht.

Heldenklingen
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