9. Kapitel
Zacks Anruf kam später als sonst, um 10.20 Uhr. Wenn er am Vortag voller Zorn über die Razzia gegen die Farm in Bedfordshire gewesen war, war er nun beinahe hysterisch vor Grimm.
Nigel Cramer hatte, während sein Wagen in Richtung Scotland Yard raste, Zeit gehabt, Quinn zu benachrichtigen. Sam erlebte ihn zum erstenmal wirklich betroffen, als er den Hörer auflegte. Er ging stumm in der Wohnung umher, während die beiden Jüngeren dasaßen und ihn angstvoll beobachteten. Sie hatten das Wesentliche von Nigels Anruf mitbekommen und das Gefühl, daß die ganze Geschichte irgendwie, irgendwo schiefgehen werde.
Nur dasitzen zu müssen und darauf zu warten, daß der Apparat der Blitzleitung klingelte, nicht zu wissen, ob die Kidnapper die Sendung überhaupt gehört hatten und wie sie, falls es doch so war, darauf reagieren würden, machte Sam beinahe krank. Als das Telefon schließlich klingelte, nahm Quinn den Anruf gutgelaunt und mit gewohnter Gelassenheit entgegen. Zack kam sofort zur Sache.
»Diesmal hast du’s endgültig vermasselt, du mieser Yankee. Du hältst mich wohl für einen Idioten, was? Wart ab, Kumpel, der Idiot bist du selber. Weil du wie ein Vollidiot dastehen wirst, wenn ihr Simon Cormack begrabt …«
Quinns Verblüffung und Betroffenheit war überzeugend gespielt. »Zack, wovon zum Teufel redest du denn da? Was ist schiefgelaufen?«
»Komm mir nicht damit«, schrie der Kidnapper ins Telefon. »Wenn du’s nicht im Radio gehört hast, dann frag deine Polizeikumpel danach. Und tu nicht so, als wär’s eine Lüge, weil es nämlich aus deiner eigenen beschissenen Botschaft kam …«
Es gelang Quinn, Zack dazu zu bringen, daß er berichtete, was er gehört hatte. Dabei beruhigte sich Zack etwas, und seine Zeit wurde knapp.
»Zack, das ist eine Lüge, eine Ente. Wenn es zum Austausch kommt, dann nur zwischen uns beiden, Kumpel. Allein und unbewaffnet. Keine Peilgeräte, keien krummen Touren, keine Polizei, kein Militär. Zu deinen Bedingungen, Zeit und Ort von dir bestimmt. Auf was anderes würde ich mich nicht einlassen.«
»Yeah, aber jetzt ist’s dafür zu spät. Deine Genossen wollen eine Leiche, und die sollen sie bekommen.«
Er war drauf und dran einzuhängen. Zum letztenmal. Quinn wußte, wenn es dazu kam, war die Sache zu Ende. Tage, Wochen später würde irgend jemand ein Haus oder eine Wohnung betreten, eine Putzfrau, ein Hausmeister, ein Immobilienmakler, und ihn dort finden. Den einzigen Sohn des Präsidenten, erschossen oder erdrosselt, halb verwest …
»Zack, bitte bleib nur noch ein paar Sekunden am Apparat …«
Quinns Gesicht war schweißüberströmt; zum erstenmal seit zwanzig Tagen zeigte sich die enorme innere Belastung. Er war sich im klaren darüber, wie nahe eine Katastrophe herangerückt war.
In der Fernmeldezentrale Kensington starrte eine Gruppe von Telecom-Technikern und Polizeibeamten auf die Abhörgeräte und lauschte dem Wutausbruch, der durch die Leitung kam; in der Cork Street, unter den Gehsteigen im eleganten Mayfair, saßen vier Männer vom MI 5 wie angewurzelt auf ihren Stühlen und regten sich nicht, während Zacks wutentbrannte Stimme aus dem Lautsprecher drang und die Spule des Tonbandgeräts sich geräuschlos drehte und drehte.
Unter der amerikanischen Botschaft am Grosvenor Square waren zwei ELINT-Techniker und drei FBI-Männer sowie Lou Collins von der CIA und Patrick Seymour als Vertreter des FBI versammelt. Die Nachricht von der Radiosendung an diesem Vormittag hatte sie alle hierhergeführt, weil sie etwas geahnt hatten, das sich jetzt bestätigte.
Sämtliche Rundfunksender des Landes, darunter auch City Radio, hatten zwei Stunden lang ihren Hörern immer wieder versichert, der Anruf des Witzbolds während der Frühstückszeit habe nichts zu bedeuten. Aber jedermann wußte: Man kann Falschmeldungen noch so oft dementieren – es ändert nichts mehr: Wie Hitler sagte: Die große Lüge, die wird einem abgenommen.
»Bitte, Zack, laß mich zu Präsident Cormack persönlich Verbindung aufnehmen. Gib mir nur noch vierundzwanzig Stunden. Wirf jetzt nicht alles hin, nachdem wir soviel Zeit aufgewendet haben. Der Präsident hat die Macht, diesen Arschlöchern zu sagen, sie sollen abhauen und es dir und mir überlassen. Nur uns beiden … wir sind die einzigen, bei denen darauf Verlaß ist, daß sie die Geschichte in Ordnung bringen. Nach diesen zwanzig Tagen bitte ich dich nur noch um einen einzigen weiteren Tag … Vierundzwanzig Stunden, Zack, nur noch diesen kleinen Aufschub …«
In der Leitung trat eine Pause ein. Irgendwo in Aylesbury, in der Grafschaft Buckinghamshire, schlenderte ein junger Kriminalbeamter lässig auf die Gruppe der Telefonhäuschen zu.
»Morgen um dieselbe Zeit«, sagte Zack schließlich und hängte ein. Er verließ das Telefonhäuschen und war gerade um die Ecke gebogen, als der Kriminaler, der in Zivil war, aus einer Gasse auftauchte und die Telefonzellen mit einem Blick streifte. Alle waren leer. Acht Sekunden vorher hätte er Zack zu sehen bekommen.
Quinn legte den Hörer auf die Gabel, ging zu der langen Couch, legte sich hin, verklammerte die Hände hinter dem Hals und starrte zur Decke hinauf.
»Mr. Quinn«, sagte McCrea zögernd. Obwohl ihm wiederholt angeboten worden war, das »Mister« fallen zu lassen, behandelte der schüchterne junge CIA-Mann Quinn nach wie vor wie seinen Lehrer in der Volksschule.
»Klappe halten«, sagte Quinn mit klarer Stimme. McCrea, der nur hatte fragen wollen, ob Quinn eine Tasse Kaffee möchte, ging geknickt in die Küche und bereitete trotzdem drei Tassen zu. Das dritte Telefon, der »normale« Apparat, klingelte. Es war Cramer.
»Well«, sagte er, »wir haben es alle mitgehört. Wie ist Ihnen zumute?«
»Ich fühle mich erledigt«, sagte Quinn. »Ist schon was über die Quelle der Nachricht im Radio rausgekommen?«
»Noch nicht«, sagte Cramer. »Die Volontärin, die den Anruf entgegennahm, befindet sich noch immer im Polizeirevier Holborn. Sie schwört, es war die Stimme eines Amerikaners, aber wie soll sie das wissen? Sie versichert, der Mann habe einen überzeugenden offiziellen Ton angeschlagen, gewußt, was er zu sagen hatte. Möchten Sie eine Kopie von der Sendung?«
»Ein bißchen spät«, sagte Quinn.
»Was wollen Sie jetzt tun?« fragte Cramer.
»Ein bißchen beten. Ich werd’ mir was einfallen lassen.«
»Viel Glück. Ich muß jetzt nach Whitehall hinüber und melde mich wieder.«
Als nächstes meldete sich die Botschaft. Seymour. Gratulation, wie geschickt Quinn gewesen sei … »Können wir irgendwas tun?« … Das ist es ja, dachte Quinn. Irgend jemand tut viel zuviel, verdammt. Aber das behielt er für sich.
Er hatte seine Tasse Kaffee halb ausgetrunken, als er sich von der Couch erhob, um die Botschaft anzurufen. Dort, im Keller, hob sofort jemand ab. Wieder Seymour.
»Ich möchte über eine abhörsichere Leitung mit Vizepräsident Odell verbunden werden«, sagte er. »Und zwar unverzüglich.«
»Äh, seh’n Sie, Quinn. Washington wird gerade davon unterrichtet, was vorhin hier passiert ist. Sie werden selbst jeden Augenblick die Bänder haben. Ich finde, wir sollten sie hören lassen, was geschehen ist, und diskutieren …«
»Ich spreche binnen zehn Minuten mit Michael Odell oder ich wecke ihn über eine ungeschützte Leitung«, sagte Quinn nachdrücklich.
Seymour überlegte. Die offene Verbindung war nicht gesichert. Die National Security Agency würde mit ihren Satelliten den Anruf auffangen; das britische General Communications Headquarters würde ihn mitbekommen, ebenso die Russen …
»Ich werd’ mich mit ihm in Verbindung setzen und ihn bitten, daß er Ihren Anruf entgegennimmt«, sagte Seymour.
Zehn Minuten später meldete sich Michael Odell. In Washington war es 6.15 Uhr. Odell hielt sich noch in seiner Amtswohnung im Naval Observatory auf. Aber er war eine halbe Stunde vorher aufgewacht.
»Quinn, was zum Teufel ist denn bei euch drüben los? Ich habe gerade so einen Scheiß gehört, daß ein Witzbold in einer Radiosendung angerufen hat …«
»Herr Vizepräsident«, sagte Quinn ruhig, »haben Sie einen Spiegel in der Nähe?«
Odell schwieg verblüfft.
»Yeah, schon.«
»Wenn Sie hineinblicken, sehen Sie Ihre Nase, ja?«
»Was soll denn das? Yeah. Ich sehe meine Nase.«
»Und genauso sicher, wie Sie Ihre Nase sehen, wird Simon Cormack in vierundzwanzig Stunden ermordet werden …«
Er ließ die Worte auf den bestürzten Mann niedersausen, der auf dem Rand seines Bettes in Washington saß.
»… es sei denn …«
»Okay, Quinn, sagen Sie, was zu tun ist.«
»Es sei denn, ich habe bis morgen bei Sonnenaufgang, Londoner Zeit, dieses Päckchen mit den Diamanten im Marktwert von zwei Millionen Dollar hier in meinen Händen. Dieser Anruf ist auf Tonband festgehalten. Guten Tag, Herr Vizepräsident.«
Er legte den Hörer auf die Gabel. Am anderen Ende der Leitung gab der Vizepräsident der Vereinigten Staaten mehrere Minuten lang Flüche von sich, die ihn um die Stimmen der moralischen Mehrheit gebracht hätten, wenn diese wackeren Bürger ihn hätten hören können. Als er sich wieder gefangen hatte, rief er die Telefonistin an.
»Holen Sie Morton Stannard ans Telefon«, sagte er. »Bei ihm zu Hause, oder egal wo. Aber holen Sie ihn an den Apparat.«
Andy Laing war überrascht, daß er schon so rasch wieder in die Bank bestellt wurde. Er sollte sich um 11 Uhr dort einfinden und war zehn Minuten zu früh dran. Dann wurde er nach oben geschickt, aber nicht ins Büro des Revisionschefs, sondern in das des General-Managers. Er traf die beiden Männer zusammen an. Der Manager bedeutete Laing wortlos, auf einem Stuhl gegenüber dem Schreibtisch Platz zu nehmen. Dann stand er auf, trat ans Fenster, blickte eine Weile hinaus über die Dächer der City, drehte sich um und begann zu sprechen. Sein Ton war gemessen-frostig.
»Gestern, Mr. Laing, haben Sie, nachdem Sie sich irgendwie aus Saudi-Arabien abgesetzt hatten, meinen Kollegen hier aufgesucht und schwerwiegende Behauptungen bezüglich der Integrität von Mr. Steve Pyle vorgebracht.«
Laing war betroffen. »Mr. Laing?« Wo war »Andy« geblieben? Sie redeten einander in der Bank immer mit dem Vornamen an, was zu der familiären Atmosphäre gehörte, auf die New York Wert legte.
»Und ich habe eine Menge Computerausdrucke mitgebracht, um meine Entdeckungen zu untermauern«, sagte er behutsam, aber er hatte ein flaues Gefühl im Magen. Irgend etwas lag in der Luft. Der General-Manager machte eine wegwerfende Handbewegung, als Laing sein Beweismaterial erwähnte.
»Gestern erhielt ich auch einen langen Brief von Steve Pyle. Heute habe ich ein ausführliches Telefongespräch mit ihm geführt. Für mich und auch für den Revisionschef hier ist sonnenklar, daß Sie ein Gauner sind, Laing, und daß Sie Geld unterschlagen haben.«
Laing wollte seinen Ohren nicht trauen. Er warf dem Revisionschef einen Seitenblick zu, in dem eine Bitte um Hilfe lag. Der Mann starrte zur Decke hinauf.
»Ich weiß, wie sich die Sache abgespielt hat. Weiß alles. Und wie es in Wirklichkeit war.«
Er konfrontierte den jungen Mann mit dem, was nach seiner Überzeugung die Wahrheit war. Laing habe vom Konto des Ministeriums für öffentliche Arbeiten Geld abgezweigt. Keine große Summe für saudiarabische Verhältnisse, aber genug; ein Prozent von jedem Rechnungsbetrag, den das Ministerium an Lieferanten überwies. Leider habe Mr. Amin nichts bemerkt, wohl aber Mr. Al-Haroun und dieser habe Mr. Steve Pyle alarmiert.
Aus übertriebener Loyalität habe der General-Manager in Riad versucht, die Hand über Laing zu halten und nur verlangt, daß jeder Rial wieder auf das Konto des Ministeriums eingezahlt werde, was mittlerweile geschehen sei. Dieses außergewöhnlich solidarische Verhalten eines Kollegen habe Laing, empört, weil er die Beute verlor, damit vergolten, daß er in der Niederlassung in Dschiddah nachts die Computerdaten gefälscht habe, um zu »beweisen«, daß unter Mitwirkung von Steve Pyle selbst eine viel größere Summe veruntreut worden sei.
»Aber die Unterlagen, die ich mitgebracht habe!« protestierte Laing.
»Fälschungen natürlich. Wir haben die echten Daten hier. Heute morgen habe ich veranlaßt, daß unser Zentralcomputer sich in den Computer in Riad einloggt und die Sache überprüft. Die echten Daten liegen dort, auf meinem Schreibtisch. Sie zeigen ganz klar, was sich abgespielt hat. Das eine Prozent, das Sie gestohlen haben, ist zurückerstattet worden. Sonst fehlt kein Geld. Das Ansehen der Bank in Saudi-Arabien ist gerettet, mit Hilfe Gottes oder vielmehr mit Steve Pyles Hilfe.«
»Aber das ist doch nicht wahr!« protestierte Laing allzu schrill. »Pyle und sein unbekannter Helfershelfer haben zehn Prozent von den Konten des Ministeriums abgeräumt.«
Der General-Manager sah Laing steinern an und blickte dann auf die frisch aus Riad eingetroffenen Belege.
»Al«, fragte er, »sehen Sie irgendeinen Hinweis, daß zehn Prozent abgesahnt wurden?«
Der Revisionschef schüttelte den Kopf.
»Das wäre sowieso absurd«, sagte er. »Bei den Summen, die dort zirkulieren, ließe sich ein Prozent in einem Ministerium wohl verstecken, auf keinen Fall aber zehn. Die alljährliche Revision, die im April ansteht, hätte den Schwindel ans Licht gebracht. Wo säßen Sie dann? In einem schmutzigen saudiarabischen Gefängnis bis ans Ende Ihrer Tage. Es ist doch anzunehmen, daß die saudiarabische Regierung im April noch im Amt sein wird, oder?«
Der General-Manager lächelte frostig. Das lag ja auf der Hand.
»Nein«, schloß der Revisionschef, »der Fall ist leider sonnenklar. Steve Pyle hat nicht nur uns allen einen Gefallen getan, sondern auch Ihnen, Mr. Laing. Er hat Sie vor einer langen Gefängnisstrafe bewahrt.«
»Die Sie wahrscheinlich verdient hätten«, sagte der General-Manager. »Wir können sie Ihnen natürlich nicht verpassen. Und wir wollen keinen Skandal. Wir stellen vielen Banken in der Dritten Welt Leute per Kontrakt zur Verfügung, da können wir keinen Skandal brauchen. Aber Sie, Mr. Laing, stehen nicht mehr in den Diensten unseres Hauses. Ihr Entlassungsschreiben liegt vor Ihnen. Eine Ablösung bekommen Sie selbstverständlich nicht, und eine Empfehlung kommt ebenfalls nicht in Frage. Geh’n Sie jetzt bitte.«
Laing wußte, das war ein Urteil: Er würde nie wieder im Bankwesen arbeiten, nirgendwo auf der Welt. Eine Minute später befand er sich auf dem Gehsteig der Lombard Street.
In Washington hatte sich Morton Stannard Zacks Wutausbruch angehört. Das Tonbandgerät stand auf dem Konferenztisch im Lageraum, wohin sich das Komitee zurückgezogen hatte, um den Teleobjektiven der Long-Tom-Kameras zu entgehen, die ständig auf die Fenster des Cabinet Room gerichtet waren.
Die Nachricht aus London, ein Austausch stehe unmittelbar bevor, ob zutreffend oder nicht, hatte die Presse in Washington wieder in einen Taumel versetzt. Schon vor Tagesanbruch war das Weiße Haus mit Anfragen überschwemmt worden, und der Pressesprecher war wieder einmal mit seinem Latein am Ende.
Als das Band schließich abgelaufen war, saßen die acht anwesenden Komiteemitglieder schweigend vor Bestürzung da.
»Die Diamanten«, knurrte Odell. »Wo sind denn die Scheißdinger?«
»Sie liegen bereit«, sagte Stannard sofort. »Ich muß mich entschuldigen, daß ich allzu optimistisch war. Ich verstehe nichts von solchen Sachen und dachte, eine derartige Sendung zusammenzustellen, würde schneller gehen. Aber sie liegen bereit – knapp 25 000 Steine verschiedener Größe, alle echt und schätzungsweise gute zwei Millionen Dollar wert.«
»Wo sind sie?« fragte Hubert Reed.
»Im Safe des Chefs des Pentagon-Amts in New York, das für unsere Ankäufe im Bereich der Ostküste zuständig ist. Aus naheliegenden Gründen ist es ein sehr sicherer Safe.«
»Wie steht’s mit der Überführung nach London?« fragte Brad Johnson. »Ich schlage vor, wir benutzen einen unserer Air-Force-Stützpunkte in England. Wir wollen keine Scherereien mit den Reportern in Heathrow oder ähnliche Geschichten.«
»Ich treffe mich in einer Stunde mit einem hohen Offizier von der Air Force«, sagte Stannard. »Er wird mir sagen, wie wir das Päckchen am besten dorthin schaffen.«
»Wir brauchen einen Wagen der Company, der die Diamanten dort bei der Ankunft abholt und zu Quinn in diese Wohnung bringt«, sagte Odell. »Lee, kümmern Sie sich darum. Schließlich ist es ja Ihre Wohnung.«
»Kein Problem«, sagte Lee Alexander von der CIA. »Ich lasse sie von Lou Collins persönlich auf dem Luftwaffenstützpunkt abholen.«
»Morgen bei Tagesanbruch, Londoner Zeit«, sagte der Vizepräsident. »In London, in Kensington bei Tagesanbruch. Sind uns die Einzelheiten des Austausches schon bekannt?«
»Nein«, sagte der Direktor des FBI. »Quinn wird die Details zweifellos zusammen mit unseren Leuten festlegen.«
Die US Air Force schlug vor, für den Atlantikflug einen einsitzigen Düsenjäger, eine F-15 Eagle, einzusetzen.
»Sie schafft die Distanz, wenn wir sie mit FAST-packs ausrüsten«, sagte der Air-Force-General im Pentagon zu Stannard. »Das Päckchen muß auf dem Stützpunkt der Nationalgarde in Trenton/New Jersey spätestens bis 14 Uhr abgeliefert werden.«
Der für die Mission ausgewählte Pilot war ein erfahrener Oberstleutnant mit über siebentausend Flugstunden auf der F-15. Am späten Vormittag wurde die Maschine in Trenton mit einer Sorgfalt wie selten zuvor gewartet. An den Luftansaugschächten an Backbord und Steuerbord wurden die FAST-packs befestigt. Trotz ihres Namens dienten sie nicht dazu, die Geschwindigkeit der Eagle zu erhöhen; es waren Zusatztanks für Langstreckenflüge, und das Kürzel FAST stand für »Fuel And Sensor Tactical«, nicht für »schnell«.
Im abgespeckten Zustand kann die Eagle 23 000 englische Pfund Treibstoff an Bord nehmen, was ihr die Bewältigung einer maximalen Flugdistanz von 2878 Meilen ermöglicht; die zusätzlichen 5000 Pfund in den beiden FAST-packs erhöhen die Reichweite auf 3450 Meilen.
Im Navigationsraum war Oberstleutnant Bowers in seinen Flugplan und ein Sandwich als Mittagsmahlzeit vertieft. Von Trenton bis zum US-Air-Force-Stützpunkt in Upper Heyford in der Nähe von Oxford beträgt die Entfernung 3063 Meilen. Der Meteorologe nannte ihm die Windstärken auf seiner Flughöhe von 50 000 Fuß, und er errechnete, daß er bei einer Geschwindigkeit von 0,95 Mach die Strecke in 5,4 Stunden bewältigen und dann immer noch 4300 Pfund Treibstoff übrig haben werde.
Um 14 Uhr stieg von Andrew-Air-Force-Basis außerhalb von Washington ein großes Tankflugzeug vom Typ KC 135 auf und nahm Kurs auf einen Treffpunkt auf 45 000 Fuß Höhe über der Ostküste, wo die Eagle nachgetankt werden sollte.
In Trenton kam es zu einer letzten Verzögerung. Oberstleutnant Bowers war gegen 15 Uhr in seinem Pilotenanzug und bereit zum Abflug, als eine lange schwarze Limousine aus dem New Yorker Amt des Pentagon durch den Haupteingang gefahren kam. Ein Zivilbeamter, begleitet von einem General der Air Force, übergab Bowers ein schlichtes, flaches Aktenköfferchen und einen Zettel mit der Nummer für das Kombinationsschloß.
Kaum war das geschehen, erschien eine zweite, nicht gekennzeichnete Limousine auf dem Stützpunkt. Zwei Gruppen von Offiziellen führten eine aufgeregte Diskussion auf der Rollbahn, und schließlich wurden Oberstleutnant Bowers das Aktenköfferchen und der Zettel wieder abgenommen und auf den Rücksitz eines der beiden Wagen gelegt.
Das Köfferchen wurde geöffnet und sein Inhalt, ein flaches Päckchen aus schwarzem Samt, fünfundzwanzig mal dreißig Zentimeter groß und knappe acht Zentimeter dick, in einem neuen Aktenköfferchen verstaut. Dieses erhielt dann der ungeduldige Bowers ausgehändigt.
Abfangjäger nehmen normalerweise keine Fracht mit, aber unter dem Pilotensitz war etwas Platz geschaffen worden, wo nun das Aktenköfferchen untergebracht wurde. Um 15.31 Uhr hob die Maschine mit dem Oberstleutnant vom Boden ab.
Er stieg rasch auf 45 000 Fuß, funkte das Tankflugzeug an und füllte seine Treibstofftanks noch einmal auf, bevor es nach England abging. Nach der Auffüllung der Tanks ging er auf 50 000 Fuß, schlug den Kompaßkurs nach Upper Heyford ein und beschleunigte auf eine konstante Geschwindigkeit von 0,95 Mach, dicht unterhalb der »shudder Zone«, die die Schallgrenze markiert. Über Nantucket erwischte er den prognostizierten Rückenwind.
Noch während die Diskussion auf der Rollbahn in Trenton stattfand, war auf dem Kennedy Airport ein Linienflug, ein Jumbo-Jet, nach London-Heathrow gestartet. In der Club-Abteilung saß ein hochgewachsener junger Mann vom sauberen Typ, der mit einem Anschlußflug aus Houston gekommen war. Er arbeitete dort für einen Ölkonzern, Pan Global, und fühlte sich geehrt, weil er von seinem Arbeitgeber, dem Besitzer persönlich, mit einer so diskreten Mission betraut worden war.
Nicht, daß er auch nur den Schimmer einer Ahnung vom Inhalt des dicken Briefes in der Innentasche seines Jacketts gehabt hätte, das er der Stewardeß nicht gab, als sie es ihm abnehmen wollte. Er wollte es auch gar nicht wissen. Er wußte lediglich, daß es für die Firma hochsensible Dokumente enthalten mußte, da sie weder mit der Post abgeschickt, noch gefaxt, noch einem Kurierdienst anvertraut werden konnten.
Seine Instruktionen waren klar. Er hatte sie sich immer wieder stumm vorgesagt. Er sollte an einem bestimmten – dem folgenden – Tag um eine bestimmte Stunde eine bestimmte Adresse aufsuchen. Er sollte nicht klingeln, nur den Umschlag in den Briefeinwurf stecken, dann nach Heathrow zurückkehren und nach Houston zurückfliegen. Zum Sterben langweilig, aber einfach. Die Zeit zum Abendessen war noch nicht gekommen. Jetzt wurden die Cocktails serviert, doch da er keinen Alkohol trank, schaute er zum Fenster hinaus.
Wenn man an einem Herbsttag von Westen nach Osten fliegt, wird es rasch dunkel. Die Maschine war erst zwei Stunden in der Luft, als der Himmel sich tiefrot verfärbte und die Sterne deutlich am Himmel zu sehen waren. Während er hinausschaute, sah, er hoch über dem Jumbo ein stecknadelkopfgroßes feuriges Pünktchen, das sich durch den Schwarm der Sterne bewegte, in der gleichen Richtung wie der Jumbo. Er wußte nicht und würde es nie erfahren, daß er den Flammenstrahl von Oberstleutnant Bowers’ F-15 Eagle betrachtete, während beide Männer, jeder mit seiner eigenen Mission, der englischen Hauptstadt entgegenrasten, beide ahnungslos, was sie dorthin brachten.
Der Oberstleutnant traf als erster ein. Er riß die Dorfbewohner unter ihm aus dem Schlaf, als er zu seiner letzten Kurve auf die Landebahnbeleuchtung zu ansetzte, und landete auf die Minute genau um 1.55 Uhr Ortszeit. Der Tower dirigierte ihn, bis er schließlich, umgeben von strahlenden Lampen, in einem Hangar stehenblieb, dessen Tor sich im gleichen Augenblick schloß, als er seine Motoren abstellte. Als er die Kabinenhaube öffnete, näherte sich der Kommandant des Sützpunkts zusammen mit einem Zivilisten. Der Zivilist sprach den Piloten an.
»Colonel Bowers?«
»Ja, das bin ich, Sir.«
»Sie haben ein Päckchen für mich?«
»Ich habe ein Aktenköfferchen dabei. Direkt unter meinem Sitz.«
Er streckte die steifen Glieder, kletterte hinaus und stieg über die Stahlleiter hinunter auf den Hangarboden. Sonderbare Art, England zu sehen, dachte er. Der Zivilist stieg die Leiter hinauf und holte den Aktenkoffer heraus. Er streckte die Hand nach dem Code für das Kombinationsschloß aus. Zehn Minuten später saß Lou Collins wieder in seiner CIA-Limousine, auf der Rückfahrt nach London. Er erreichte das Haus in Kensington um 4.10 Uhr. Die Lichter brannten noch, niemand hatte geschlafen. Quinn saß im Wohnzimmer und trank Kaffee.
Collins legte den Aktenkoffer auf den niedrigen Tisch, sah sich den Zettel an und betätigte die Rädchen am Schloß. Dann nahm er das flache, beinahe quadratische, in Samt gehüllte Päckchen heraus und reichte es Quinn.
»In Ihren Händen, bei Tagesanbruch«, sagte er. Quinn wog das Päckchen in seinen Händen. Ein gutes Kilogramm.
»Wollen Sie’s aufmachen?« fragte Collins.
»Nicht nötig«, sagte Quinn, »wenn sie aus Glas oder Similis sind oder auch nur teilweise oder auch nur ein einziger Stein davon, dann hat wahrscheinlich jemand Simon Cormack auf dem Gewissen.«
»Das haben sie sicher nicht getan«, sagte Collins. »Nein, die sind schon alle echt. Denken Sie, er wird anrufen?«
»Beten Sie, daß er’s tut«, sagte Quinn.
»Und der Austausch?«
»Wir müssen ihn heute verabreden.«
»Wie werden Sie ihn abwickeln, Mr. Quinn?«
»Wie ich es für richtig halte.«
Er ging aus dem Zimmer, um ein Bad zu nehmen und sich anzuziehen. Für nicht wenige Leute sollte der 31. Oktober ein wirklich anstrengender Tag werden.
Der junge Mann aus Houston landete um 6.45 Uhr Londoner Zeit und gelangte mit nicht mehr als seiner kleinen Reisetasche mit Toilettenartikeln rasch durch die Zollabfertigung und in die Wartehalle des Terminals Nr. 3. Er blickte auf seine Uhr und stellte fest, daß er noch gute drei Stunden Zeit hatte – Zeit, um sich im Waschraum frisch zu machen, zu frühstücken und mit einem Taxi ins Zentrum des Londoner West End zu fahren.
Um 9.55 Uhr fand er sich am Eingang des hohen, unauffälligen Apartmenthauses unweit des Great Cumberland Place im Viertel um Marble Arch. Er war fünf Minuten zu früh dran und hatte die Anweisung, pünktlich zu sein. Von der anderen Straßenseite beobachtete ihn ein Mann aus einem Auto, doch davon ahnte er nichts. Er ging fünf Minuten lang auf und ab und ließ dann, Punkt zehn, das dicke Kuvert durch den Briefeinwurf der Haustür fallen. Es gab keinen Pförtner, der es aufgehoben hätte. Der Umschlag lag auf der Fußmatte, die sich hinter der Tür befand. Befriedigt darüber, daß er seinen Auftrag ausgeführt hatte, ging der junge Mann zur Bayswater Road zurück und winkte bald darauf einem Taxi, das ihn nach Heathrow zurückbringen sollte.
Kaum war er um die Ecke gebogen, stieg der Beobachter aus dem geparkten Auto, überquerte die Straße und betrat das Haus. Er wohnte seit einigen Wochen hier. Im Auto hatte er nur gesessen, um sich zu vergewissern, daß der Kurier der Beschreibung entsprach und daß ihm niemand gefolgt war.
Der Mann hob das Kuvert vom Boden auf, fuhr mit dem Lift zur achten Etage, trat in seine Wohnung und schlitzte den Umschlag auf. Er las mit Befriedigung, was die Sendung enthielt. Sein Atem kam schniefend, pfeifend aus der eingedrückten Nase. Irving Moss hatte jetzt, was er für seine endgültigen Instruktionen hielt.
In der Wohnung in Kensington verging der Vormittag langsam, und niemand sprach ein Wort. Die Spannung war geradezu mit Händen zu greifen. In der Fernmeldezentrale, in der Cork Street, am Grosvenor Square saßen die Lauscher über ihre Geräte gebeugt und warteten darauf, daß Quinn etwas sagte oder die beiden Jungen den Mund auftaten. Die Lautsprecher blieben stumm. Quinn hatte klar gemacht, daß alles vorbei sei, wenn Zack nicht anrief. Dann müßte die sorgfältige Suche nach einem verlassenen Haus und einer Leiche beginnen.
Und Zack rief nicht an.
Um 10.30 Uhr verließ Irving Moss seine gemietete Wohnung in Marble Arch, fuhr seinen Mietwagen aus der Parkbucht heraus und zum Bahnhof Paddington. Der Bart, den er sich in Houston während der Planungsphase hatte stehen lassen, hatte die Form seines Gesichts verändert. Sein kanadischer Paß war tadellos gefälscht, so daß er ohne Schwierigkeiten in die Republik Irland und von dort mit einer Fähre nach England gelangt war. Mühelos hatte er auch mit seinem kanadischen Paß einen kleinen Mittelklassewagen langfristig mieten können. Er hatte hinter Marble Arch etliche Wochen still und unauffällig gelebt, einer von über einer Million Ausländern in der englischen Hauptstadt.
Als geschulter Agent verstand er es, in beinahe jeder Stadt, in die er geschickt wurde, unterzutauchen und aus dem Blickfeld zu verschwinden. Er kannte sich in London aus, wußte, wo er sich die Dinge, die er brauchte oder haben wollte, beschaffen konnte, hatte Kontakte zur Unterwelt und besaß genug Schlauheit und Erfahrung, um Fehler zu vermeiden, die die Behörden auf einen Fremden aufmerksam werden lassen.
Der Brief aus Houston enthielt einen neuen Situationsbericht und eine Reihe von Details, getarnt als Preislisten für Agrarprodukte, die in den verschlüsselten Nachrichten aus Houston nicht untergebracht werden konnten. Daneben gab es weitere Anweisungen; am interessantesten aber war eine Schilderung der Entwicklungen im Weißen Haus, insbesondere der Verschlechterung des Zustands von Präsident Cormack in den vergangenen drei Wochen.
Schließlich enthielt der Brief noch einen Schein der Gepäckaufbewahrung im Bahnhof Paddington, für etwas, das nur von irgend jemandem über den Atlantik gebracht werden konnte.
Wie der Schein von London nach Houston gelangt war, wußte Moss nicht und er brauchte es auch nicht zu wissen. Er wußte, wie er zu ihm gekommen war. Um 11.30 Uhr legte er ihn vor.
Der Bahnangestellte von British Rail fand nichts Verdächtiges daran. Jeden Tag wurden bei ihm Hunderte von Päckchen, Reisetaschen und Koffern zur Aufbewahrung abgegeben und weitere Hunderte wieder abgeholt. Nur wenn ein Gegenstand nach drei Monaten nicht abgeholt war, wurde er aus den Regalen geholt und geöffnet, um ihn zu identifizieren. Der Gepäckschein, den der schweigende Mann in dem mittelgrauen Gabardinemantel an diesem Vormittag vorlegte, war nur einer von vielen. Der Angestellte in der Gepäckaufbewahrung suchte in seinen Regalen, fand den Gegenstand mit der betreffenden Nummer, einen kleinen Fiberkoffer, und händigte ihn aus. Bezahlt war er bereits. Schon am Abend würde er sich nicht mehr an den Vorgang erinnern.
Moss brachte den Koffer in seine Wohnung. Ohne Kraftanwendung öffnete er die billigen Schlösser und untersuchte den Inhalt. Es war alles da, so wie man es ihm angekündigt hatte. Er blickte auf seine Uhr. Erst in drei Stunden mußte er sich auf den Weg machen.
An einer stillen Straße am Rand einer Pendlersiedlung, keine vierzig Meilen von London entfernt, stand ein Haus. Zu einer bestimmten Zeit würde er, wie jeden zweiten Tag, an diesem Haus vorbeifahren und anhand der Position des Wagenfensters an der Fahrerseite geschlossen, halb oder ganz herabgekurbelt – dem Beobachter anzeigen, was dieser wissen mußte. An diesem Tag würde das Fenster zum erstenmal ganz offen sein: Er schob einen seiner in London erstandenen S/M-Videofilme – superbrutale Ware, aber er hatte so seine Beschaffungsquellen – in sein Videogerät und machte es sich gemütlich.
Als Andy Laing die Bank verließ, befand er sich beinahe in einer Art Schockzustand. Nur wenige Menschen müssen erleben, daß ihre jahrelange mühevoll aufgebaute berufliche Karriere plötzlich in Trümmern vor ihnen liegt. Die erste Reaktion darauf ist Fassungslosigkeit, die zweite ein Nicht-weiter-Wissen.
Laing wanderte ziellos durch die engen Straßen, die sich zwischen den lärmenden Verkehrsadern der Londoner City verstecken, der ältesten Quadratmeile der englischen Hauptstadt und Handels- und Bankenzentrum des Landes. Er kam an den Mauern von Klöstern vorbei, in denen einst die Gesänge der Franziskaner, Dominikaner und Karmeliter widerhallten, an Gildenhäusern, wo Kaufleute sich versammelten, um über die Zeitläufe zu diskutieren, während Heinrich VIII. im Tower seine Gemahlinnen hinrichten ließ, vorbei an zierlichen kleinen Kirchen, von Christopher Wren nach dem Großen Brand von 1666 erbaut.
Die Männer, die an ihm vorüberhasteten, und in immer größerer Zahl auch attraktive junge Frauen, dachten an Rohstoffpreise, an Spekulationen auf Hausse oder Baisse oder an kleine Bewegungen auf dem Geldmarkt, die vielleicht einen Trend anzeigten oder nur ein Strohfeuer waren. Sie verwendeten Computer statt eines Federkiels, doch das Objekt ihrer Mühen war das gleiche wie schon seit Jahrhunderten – der Handel, das Kaufen und Verkaufen von Dingen, die andere Leute produziert hatten. Es war eine Welt, die zehn Jahre vorher Andy Laings Phantasie in ihren Bann gezogen hatte, als er gerade die Schule abschloß, eine Welt, die ihm nun für immer verschlossen war.
Er nahm ein leichtes Mittagessen in einer kleinen Sandwich-Bar abseits der Crutched Friars genannten Straße ein, wo einst Mönche herumgehumpelt waren, das eine Bein am anderen festgebunden, um sich zum höheren Ruhm Gottes Schmerzen zuzufügen. Dort faßte er einen Entschluß.
Er trank seine Tasse Kaffee aus und fuhr mit der U-Bahn zurück zu seiner Wohnung in der Beaufort Street in Chelsea, wo er vorsichtshalber Fotokopien des aus Dschiddah mitgebrachten Beweismaterials deponiert hatte. Wenn ein Mann nichts mehr zu verlieren hat, kann er sehr gefährlich werden. Laing beschloß, alles, vom Anfang bis zum Ende, niederzuschreiben, Kopien seiner Computerausdrucke beizulegen und von allem je ein Exemplar an die Mitglieder des Aufsichtsrats der Bank in New York zu schicken. Die Zusammensetzung dieses Gremiums war bekannt; die Geschäftsadressen der Mitglieder standen im amerikanischen Who’s Who.
Er sah keinen Grund, warum er still dulden sollte. Jetzt, dachte er, soll sich zur Abwechslung einmal Steve Pyle ängstigen. So schickte er dem General-Manager in Riad einen persönlichen Brief, in dem er ihm ankündigte, was er zu tun gedachte.
Zack rief schließlich um 13.20 Uhr an, auf dem Höhepunkt der mittäglichen Hauptverkehrszeit, während Laing seinen Kaffee austrank und Moss sich an einem neuen Videofilm über Kindesmißhandlungen delektierte, der gerade erst aus Amsterdam eingetroffen war. Zack stand in einer der Fernsprechzellen im Postamt von Dunstable. Wie immer rief er aus einem Ort nördlich von London an.
Quinn war seit Sonnenaufgang gewaschen und angekleidet, und an diesem Tag ließ sich die Sonne wirklich sehen. Sie strahlte von einem blauen Himmel herab, in der Luft lag ein Hauch von Kühle. Er spürte die Kälte nicht und weder McCrea noch Sam hatten ihn gefragt, ob ihm kalt sei, als er in Jeans, mit seinem neuen Kaschmirpullover über dem Hemd und einer Lederjacke mit Reißverschluß erschienen war.
»Quinn, das ist der letzte Anruf.«
»Zack, alter Kumpel, ich habe vor meinen Augen eine Obstschale, eine große Schale, und weißt du was? Sie ist bis zum Rand, buchstäblich bis zum Rand mit Diamanten gefüllt, die glitzern und funkeln, als wären sie lebendig. Kommen wir zur Sache, Zack, es ist soweit.«
Das Bild, das Quinn ihm ausgemalt hatte, warf Zack aus dem Gleis.
»Also hör zu«, sagte die Stimme am Telefon, »das sind meine Instruktionen …«
»Nein, Zack, wir machen es, wie ich es haben will oder die ganze Sache ist gestorben …«
In der Fernmeldezentrale Kensington, an der Cork Street und am Grosvenor Square hielten die Lauscher den Atem an. Entweder Quinn wußte genau, was er tat, oder er war drauf und dran, den Kidnapper so zu provozieren, daß dieser einhängte. Quinn sprach weiter, ohne eine Pause einzulegen.
»Ich bin vielleicht ein Dreckskerl, Zack, aber der einzige Dreckskerl in dieser verdammten Scheiße, dem du vertrauen kannst, und du wirst mir jetzt vertrauen müssen. Hast du einen Bleistift bei dir …?«
»Yeah. Jetzt hör mal zu, Quinn …«
»Du hörst jetzt zu, Freundchen. Ich will, daß du in eine andere Telefonzelle gehst und mich in vierzig Sekunden unter folgender Nummer anrufst: Drei-Sieben-Null-Eins-Zwei-Null-Vier. Jetzt HAU AB …«
Die letzten beiden Worte waren gebrüllt. Sam Somerville und Duncan McCrea sollten später, bei der Untersuchung des Hergangs, aussagen, sie seien ebenso verdattert gewesen wie die Lauscher. Quinn warf den Hörer auf die Gabel, packte den Aktenkoffer – die Diamanten befanden sich noch darin, keineswegs in einer Obstschale – und rannte zum Wohnzimmer hinaus. Im Laufen drehte er den Kopf um und brüllte: »Bleibt, wo ihr seid!«
Die Überraschung, der gebrüllte Befehl hielten sie entscheidende fünf Sekunden in ihren Sesseln fest. Als sie die Wohnungstür erreichten, hörten sie, wie sich von draußen der Schlüssel im Schloß umdrehte. Offensichtlich hatte ihn Quinn vor Morgengrauen von außen hineingesteckt.
Quinn nahm nicht den Lift und erreichte ungefähr zur selben Zeit die Treppe, als McCreas erster Schrei durch die Tür drang, gefolgt von einem kräftigen Fußtritt gegen das Schloß. Unter den Lauschern bahnte sich ein Chaos an, das sich alsbald zu einem Pandämonium entwickelte.
»Was zum Teufel macht er denn jetzt?« flüsterte in der Fernmeldezentrale Kensington ein Polizeibeamter einem anderen zu, der mit einem Achselzucken antwortete. Quinn rannte die Treppenabsätze bis zum Erdgeschoß hinunter. Die Untersuchung später ergab, daß der Amerikaner auf dem Horchposten im Souterrain sich nicht wegrührte, weil das nicht seine Aufgabe war. Seine Aufgabe bestand darin, den Strom der Stimmen aus der Wohnung über ihm aufzunehmen, zu verschlüsseln und zum Grosvenor Square zu funken, wo er entschlüsselt und von den Lauschern im Keller ausgewertet wurde. So blieb er, wo er war.
Quinn durchquerte die Eingangshalle fünfzehn Sekunden, nachdem er den Hörer auf die Gabel geknallt hatte. Der Pförtner in seiner Loge blickte auf, nickte und wandte sich wieder seinem Daily Mirror zu. Quinn drückte die Tür zur Straße auf, die nach außen aufging, schloß sie hinter sich, schob einen Holzkeil, den er auf der Toilette geschnitzt hatte, unter die Unterkante und stieß ihn mit einem Tritt fest. Dann rannte er, den Autos geschickt ausweichend, über die Straße.
»Was soll das heißen, er ist fort?« brüllte Kevin Brown in der Lauschstation am Grosvenor Square. Er hatte dort den ganzen Vormittag gesessen und wie sie alle, Engländer und Amerikaner, auf Zacks nächsten und vielleicht letzten Anruf gewartet. Zunächst hatten die Geräusche aus der Wohnung in Kensington nur Verwirrung gestiftet; man hörte, wie der Hörer auf die Gabel geknallt wurde, wie Quinn irgend jemandem zurief: »Bleibt, wo ihr seid!« Dann ein Knallen, ein wirres Rufen und Brüllen von Somerville und McCrea und ein wiederholtes Krachen, als ob jemand gegen eine Tür träte.
Sam Somerville war ins Zimmer zurückgekommen und rief zu den Wanzen hin: »Er ist fort, Quinn ist fort!« Browns Frage war in der Lauschstation zu hören, nicht aber für Sam Somerville. Brown griff mit einer hektischen Bewegung nach dem Telefon, um mit seiner Einsatzagentin in Kensington Verbindung aufzunehmen.
»Agentin Somerville«, donnerte er, als sie sich meldete, »verfolgen Sie ihn!«
In diesem Augenblick sprengte McCreas fünfter Fußtritt die Wohnungstür auf. Gefolgt von Sam rannte er auf die Treppe zu. Beide waren in Hausschuhen.
Das Lebensmittel- und Delikatessengeschäft auf der anderen Straßenseite, dessen Telefonnummer Quinn aus dem Londoner Telefonbuch im Wohnzimmerschrank herausgesucht hatte, hieß Bradshaw, nach dem ursprünglichen Inhaber, befand sich aber jetzt im Besitz eines Inders namens Mr. Patel. Quinn hatte ihn aus der Wohnung beobachtet, wie er an seiner Auslage das Obst arrangierte oder in den Laden ging, um einen Kunden zu bedienen.
Dreißig Sekunden, nachdem Quinn das Telefonat mit Zack abgebrochen hatte, erreichte er den Gehsteig auf der anderen Seite. Er lief um zwei Fußgänger herum und schoß wie ein Tornado durch die Tür des Lebensmittelgeschäfts.
»Die Jungs draußen klauen Ihre Orangen«, sagte er ohne weitere Einleitung. In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Zwischen einem Anruf und gestohlenen Orangen hin und her gerissen, reagierte Mr. Patel wie ein rechter Gudscharati und rannte hinaus. Quinn nahm den Hörer ab.
Die Fernmeldezentrale Kensington hatte rasch reagiert und die Untersuchung später ergab, daß die Leute dort getan hatten, was sie konnten. Doch sie verloren mehrere der vierzig Sekunden durch schiere Überraschung, und dann ergab sich ein technisches Problem. Zum Orten der Anrufe gingen sie von der Blitzleitung in der Wohnung aus. Jedesmal, wenn diese Nummer angerufen wurde, konnte der Anruf per Computer zu seinem Ursprungsort zurückverfolgt werden. Der Computer zeigte dann an, daß die Nummer, von der aus telefoniert wurde, zu einer bestimmten Zelle an einem bestimmten Ort gehörte. Das nahm sechs bis zehn Sekunden in Anspruch.
Sie hatten bereits die Nummer des Telefonhäuschens ermittelt, aus dem Zack angerufen hatte, doch als er die Zelle wechselte, verloren sie seine Spur, obwohl die zweite gleich nebenan war. Schlimmer noch: Er rief jetzt eine andere Londoner Nummer an, und diese war nicht angezapft. Die Sache wurde nur dadurch etwas besser, daß die Nummer, die Quinn in die Leitung diktiert hatte, noch zum Bereich Kensington gehörte. Trotzdem mußte die Suche wieder von vorne beginnen. Hektisch raste der Computer durch die zwanzigtausend Anschlüsse. Mr. Patels Nummer wurde achtundfünfzig Sekunden, nachdem Quinn sie diktiert hatte, angezapft und dann die zweite Nummer in Dunstable ermittelt.
»Schreib folgende Nummer auf, Zack«, sagte Quinn ohne Einleitung.
»Was zum Teufel ist denn los?« fauchte Zack.
»Neun-Drei-Fünf-Drei-Zwei-Eins-Fünf«, diktierte Quinn ungerührt. »Hast du sie?«
Es entstand eine Pause, während Zack sie auf einen Zettel kritzelte.
»Jetzt machen wir die Sache allein, Zack. Ich hab’ sie alle miteinander abgehängt. Nur du und ich, die Diamanten gegen den Jungen. Keine faulen Tricks, darauf geb’ ich dir mein Wort. Ruf mich in sechzig Minuten unter dieser Nummer an und in neunzig, wenn du das erstemal keine Antwort bekommst. Sie wird nicht überwacht.«
Er legte auf. In der Zentrale hörten die Lauscher die Worte: »… sechzig Minuten unter dieser Nummer an und in neunzig, wenn du das erstemal keine Antwort bekommst. Sie wird nicht überwacht.«
»Der Mistkerl hat ihm eine andere Nummer gegeben«, sagte der Techniker in der Zentrale zu den beiden Beamten von der Metropolitan Police, die bei ihm waren. Einer der beiden hatte bereits den Hörer in der Hand, um Scotland Yard zu verständigen.
Als Quinn aus dem Laden kam, sah er drüben auf der anderen Straßenseite McCrea, der sich gerade durch die zugeklemmte Tür zu drängen versuchte. Sam war hinter ihm, winkend und gestikulierend. Auf der anderen Seite fuhren zwei Autos die Straße entlang; auf Quinns Seite näherte sich ein Motorradfahrer. Quinn trat mit erhobenen Armen – der Aktenkoffer baumelte an seiner linken Hand – auf die Straße, dem Motorrad direkt in den Weg. Der Mann darauf bremste, das Motorrad brach aus und kam rutschend zum Stehen.
»Heda, was soll denn das …?«
Quinn lächelte ihn entwaffnend an, während er sich um den Lenker herum nach links duckte. Das übrige besorgte ein kurzer, harter Nierenschlag. Der junge Mann mit dem Sturzhelm sank nach vorne, Quinn zog ihn von der Maschine herunter, schwang sich in den Sattel, legte den ersten Gang ein und gab Gas. McCreas fuchtelnder Arm verfehlte Quinns Jacke um zehn Zentimeter, als dieser davonbrauste.
McCrea stand niedergeschlagen mit trauriger Miene auf der Straße. Sam kam herbeigelaufen. Sie blickten einander kurz an und rannten dann ins Haus zurück. Am schnellsten war Grosvenor Square zu erreichen, sobald sie wieder oben im dritten Stock waren.
»So steht’s also«, sagte Brown fünf Minuten später, nachdem er sich am Telefon McCreas und Somervilles Bericht aus Kensington angehört hatte. »Aber wir finden diesen Arsch schon.«
Ein anderer Apparat klingelte. Nigel Cramer meldete sich aus Scotland Yard.
»Ihr Unterhändler ist getürmt«, sagte er ausdruckslos. »Können Sie mir sagen, wie? Ich habe es in der Wohnung versucht, aber die normale Nummer ist belegt.«
Brown berichtete ihm in knappen dreißig Sekunden. Cramer knurrte. Er grollte zwar noch immer wegen der Sache mit der Green Meadow Farm und würde sie nie vergeben, aber inzwischen hatte die Entwicklung seinen dringenden Wunsch überholt, Brown und das FBI-Team aus seinem Revier verschwinden zu sehen.
»Haben Ihre Leute die Nummer dieses Motorrads gesehen?« fragte er, »ich kann sämtliche Streifenwagen alarmieren lassen.«
»Noch besser«, sagte Brown befriedigt. »Der Aktenkoffer, den er dabei hat – er enthält einen Peilsender.«
»Einen was?«
»Eingebaut, unentdeckbar, neuester Stand der Technik«, sagte Brown. »Wir haben den Koffer in den Staaten damit ausrüsten lassen und ihn kurz vor dem Abflug gestern abend mit dem vertauscht, den das Pentagon bereitgestellt hatte.«
»Ich begreife«, sagte Cramer nachdenklich. »Und der Empfänger?«
»Hier bei uns«, sagte Brown. »Mit der ersten Verkehrsmaschine bei Tagesanbruch eingetroffen. Einer meiner Leute hat ihn in Heathrow abgeholt. Reichweite zwei Meilen – also müssen wir uns auf die Socken machen. Und zwar sofort!«
»Wollen Sie diesmal bitte Kontakt zu unseren Funkstreifenwagen halten, Mr. Brown. Sie nehmen in dieser Stadt keine Verhaftungen vor. Das tue ich. Ist Ihr Wagen mit Funk ausgerüstet?«
»Klar.«
»Bleiben Sie bitte erreichbar. Wir rufen Sie an und stoßen zu Ihnen, wenn Sie uns sagen, wo Sie sind.«
»Kein Problem, ich geb’ Ihnen mein Wort darauf.«
Sechzig Sekunden später rauschte die Limousine aus dem Botschaftsgelände hinaus. Chuck Moxon saß am Steuer, sein Kollege neben ihm bediente den Empfänger, ein Kästchen wie ein Minifernsehgerät, nur daß auf dem Schirm kein Bild, sondern nur ein leuchtender Punkt zu sehen war. Sobald die inzwischen an der Regenleiste über der Beifahrertür angeklemmte Antenne das Signal auffing, das der Peilsender in Quinns Aktenkoffer aussandte, würde von dem leuchtenden Punkt eine Linie zum Rand des Schirms schießen. Der Fahrer mußte den Wagen so steuern, daß die Linie auf dem Schirm direkt auf die Kühlermitte wies. Dann folgte er dem Signal des Senders. Dieser würde per Fernsteuerung aus der Limousine in Betrieb gesetzt werden.
Sie fuhren rasch die Park Lane entlang, durch Knightsbridge und nach Kensington hinein.
»Einschalten«, sagte Brown. Der FBI-Mann, der das Gerät bediente, drückte auf einen Kippschalter. Auf dem Schirm rührte sich nichts.
»Schalten Sie alle dreißig Sekunden ein, bis wir eine Ortung bekommen«, sagte Brown. »Chuck, fahren Sie jetzt immer enger im Kreis herum durch Kensington.«
Moxon nahm die Cromwell Road, fuhr dann durch die Gloucester Road in Richtung auf die Old Brompton Road. Die Antenne fing ein Signal auf.
»Er ist hinter uns und fährt nach Norden«, sagte Moxons Kollege. Abstand ungefähr eineinviertel Meilen.«
Dreißig Sekunden später überquerte Moxon wieder die Cromwell Road und fuhr durch die Exhibition Road auf den Hyde Park zu.
»Genau vor uns, in nördlicher Richtung fahrend«, sagte der Mann am Empfänger.
»Sagt den Jungs in Blau, wir haben ihn«, teilte Moxon über Funk der Botschaft mit, und auf halber Länge der Edgware Road fädelte sich ein Rover der Metropolitan Police hinter ihnen ein.
Im Fond saßen Collins und Seymour neben Brown.
»Ich hätte es wissen müssen«, sagte Collins bedauernd. »Die Zeitlücke hätte mir auffallen müssen.«
»Welche Zeitlücke?« fragte Seymour.
»Erinnern Sie sich noch an das Chaos in der Einfahrt zum Winfield House vor drei Wochen? Quinn ging eine Viertelstunde vor mir weg, kam aber nur mit drei Minuten Vorsprung in Kensington an. Während der Stoßzeit kann ich es mit einem Londoner Taxifahrer nicht aufnehmen. Er hat irgendwo unterwegs gehalten und irgendwelche Vorbereitungen getroffen.«
»Das hätte er doch nicht vor drei Wochen planen können«, wandte Seymour ein. »Er wußte ja nicht, wie sich die Dinge entwickeln würden.«
»Das war nicht nötig«, sagte Collins, »Sie haben sein Dossier gelesen. Er war lange genug im Einsatz, um sich über den Wert von Ausweichpositionen im klaren zu sein, falls etwas schiefläuft.«
»Er ist nach rechts in die St. John’s Wood Road abgebogen«, sagte der Mann am Empfänger.
Bei Lord’s kam der Polizeiwagen an die Seite der Limousine. Das rechte vordere Fenster war herabgekurbelt.
»Er fährt Richtung Norden«, sagte Moxon und deutete zur Finchley Road hinauf. Die beiden Fahrzeuge und ein Funkstreifenwagen, der zu ihnen stieß, fuhren in nördlicher Richtung durch Swiss Cottage, Hendon und Mill Hill. Der Abstand verringerte sich auf 300 Yards, und die Männer hielten zwischen den Fahrzeugen vor ihnen nach einem hochgewachsenen Mann ohne Sturzhelm auf einem kleinen Motorrad Ausschau.
Sie passierten den Mill Hill Circus nur hundert Yards hinter dem Peilgerät und fuhren das ansteigende Stück zur Five Ways Corner hinauf. Dann erkannten sie, daß Quinn das Fahrzeug gewechselt haben mußte. Sie kamen an zwei Motorradfahrern vorbei, von denen kein Signal ausging, und wurden von zwei starken Motorrädern überholt, aber das Peilgerät, nach dem sie suchten, bewegte sich noch immer mit konstanter Geschwindigkeit vor ihnen her. Als er an Five Ways Corner auf die A 1 in Richtung Hertfordshire abbog, sahen sie, daß ihr Ziel nun ein Golf GTI mit offenem Verdeck war, dessen Fahrer eine dicke Pelzmütze trug, um Kopf und Ohren warmzuhalten.
Das denkwürdigste Ereignis an diesem Tag war für Cyprian Fothergill Folgendes: Unterwegs zu seinem bezaubernden Häuschen auf dem Land hinter Borehamwood wurde er plötzlich von einem riesigen schwarzen Wagen überholt, der ihn so brutal schnitt, daß er mit quietschenden Reifen auf eine Parkbucht ausweichen und abbremsen mußte. In Sekundenschnelle, so berichtete er später den vor Staunen gaffenden Freunden im Club, seien drei kräftige Männer herausgesprungen, hätten seinen Wagen umstellt und riesige Schießprügel auf ihn gerichtet. Dann sei dahinter ein Polizeifahrzeug und dann noch eins angekommen. Vier süße Bobbys seien ausgestiegen und hätten den Amerikanern – es seien bestimmt Amerikaner gewesen und was für Riesenkerle – befohlen, ihre Schießeisen wegzustecken, sonst würden sie ihnen abgenommen.
Als nächstes – inzwischen lauschten ihm alle in der Bar mit ungeteilter Aufmerksamkeit – habe ihm einer der Amerikaner die Pelzmütze vom Kopf gerissen und geschrien: »Okay, du Wichskopf, wo ist er?«, während einer der Bobbys sich vom Rücksitz des Golfs ein Aktenköfferchen geangelt habe. Eine Stunde lang habe er ihnen immer wieder versichern müssen, daß er es jetzt zum erstenmal sehe.
Der große, grauhaarige Amerikaner, der anscheinend der Kopf des Teams in der schwarzen Limousine war, habe dem Bobby das Köfferchen entrissen, das Kombinationsschloß geöffnet und hineingeschaut. Es sei leer gewesen – nach all diesem Theater leer. Einen solch schauderhaften Wirbel um einen leeren Aktenkoffer zu veranstalten … Jedenfalls, die Amerikaner hätten geflucht wie die Landsknechte, derart gemeine Ausdrücke gebraucht, wie er, Cyprian, sie noch nie gehört habe und hoffentlich auch nie mehr hören werde. Dann habe der englische Sergeant eingegriffen, der einfach himmlisch gewesen sei …
Um 14.25 Uhr kehrte Sergeant Kidd zu seinem Streifenwagen zurück, um die dringenden Anrufe zu beantworten, die laufend über sein Funkgerät eintrafen.
»Tango Alpha …«, begann er.
»Tango Alpha, hier spricht Deputy Assistant Commissioner Cramer. Wer spricht dort?«
»Sergeant Kidd, Sir. Abteilung F.
»Was gibt’s bei Ihnen, Sergeant?«
Kidd warf einen Blick hin zu dem umstellten Golf GTI, seinem verängstigten Insassen, auf die drei FBI-Männer, die den leeren Aktenkoffer untersuchten, und die zwei weiteren Yankees, die abseits standen und um Erleuchtung bittend zum Himmel hinaufblickten, sowie drei seiner Kollegen, die Fothergills Aussagen aufzunehmen versuchten.
»Etwas leicht schiefgelaufen, Sir.«
»Sergeant Kidd, hören Sie gut zu. Haben Sie einen hochgewachsenen Amerikaner erwischt, der gerade zwei Millionen Dollar gestohlen hat?«
»Nein, Sir«, antwortete Kidd. »Wir haben einen superschwulen Friseur erwischt, der sich gerade in die Hosen gemacht hat.«
»Was soll das heißen … verschwunden?« Eine Stunde später war das Echo dieses Ausrufs oder Aufschreis in verschiedenen Tonarten und Akzenten in einer Wohnung in Kensington, in Scotland Yard, in Whitehall, im Innenministerium, in Downing Street Nr. 10, am Grosvenor Square und im Westflügel des Weißen Hauses zu hören. »Er kann doch nicht einfach verschwinden!«
Aber er konnte.