8. Kapitel

Fast drei Stunden lang lagen sich Quinn und Sam, der Liebe hingegeben oder miteinander flüsternd, in den Armen. Flüstern tat vor allem Sam, die ihm über sich und ihren Werdegang beim FBI erzählte. Sie warnte ihn auch vor dem Rauhbein Kevin Brown, der sie für diese Mission ausgewählt und sich mit acht FBI-Männern in London einquartiert hatte, um »die Dinge im Auge zu behalten«.

Sie war in einen tiefen, traumlosen Schlaf geglitten, schlief so gut wie seit zwei Wochen nicht, als Quinn sie mit einem sanften Schubs weckte.

»Es ist nur ein Drei-Stunden-Band«, flüsterte er. »In einer Viertelstunde ist es zu Ende.«

Sie küßte ihn noch einmal, streifte ihr Nachthemd über und ging auf Zehenspitzen zu ihrem Zimmer zurück. Quinn hob vorsichtig den Sessel von der Wand weg, stöhnte dem Wandmikrofon zuliebe ein paarmal, schaltete das Tonbandgerät ab, rollte sich auf dem Bett zusammen und schlief nun wirklich ein. Für die am Grosvenor Square hörte es sich an, als hätte ein schlafender Mann seine Position verändert, sich auf die andere Seite gedreht und weitergeschlummert. Der Techniker und die beiden FBI-Männer warfen einen kurzen Blick auf das Steuerpult und spielten weiter Karten.

Zack rief um 9.30 Uhr an. Er wirkte schroffer und feindseliger als am Vortag – ein Mann, dessen Nerven allmählich strapaziert wurden, der immer mehr unter Druck geriet und beschlossen hatte, nun selbst Druck auszuüben.

»All right, du Scheißkerl, jetzt hör mal gut zu. Kein Süßholzgeraspel mehr. Ich hab’ genug davon. Ich bin mit deinen läppischen zwei Millionen Dollar einverstanden, aber damit hat es sich. Noch eine einzige Forderung von dir, und ich schick’ dir ein paar Finger – nehm’ mir die rechte Hand des Bürschchens mit einem Hammer und einem Meißel vor – mal sehn, ob du danach in Washington noch beliebt bist …«

»Zack, bleib ruhig«, redete Quinn in ernstem Ton auf ihn ein. »Du hast doch gewonnen. Gestern abend hab’ ich hinübertelefoniert, sie sollen auf zwei Millionen geh’n, sonst steig’ ich aus. Mein Gott, glaubst du, du bist der einzige, der müde ist? Ich tu’ überhaupt kein Auge zu, für den Fall, daß du anrufst …«

Der Gedanke, daß die Nerven eines anderen noch mehr verschlissen waren als seine eigenen, schien Zack etwas zu beschwichtigen.

»Noch was«, sagte er. »Kein Geld! Kein Bargeld, Ihr Dreckskerle würdet versuchen, in den Koffer eine Wanze zu setzen. So wird’s …«

Er redete noch zehn Sekunden weiter und hängte dann ein. Quinn machte sich keine Notizen. Es war nicht nötig, das Band lief mit. Der Anruf war zu einer Gruppe von drei öffentlichen Telefonzellen in Saffron Walden zurückverfolgt worden, einem Marktflecken im westlichen Essex, gleich neben dem Motorway M u von London nach Cambridge. Drei Minuten später schlenderte ein Polizeibeamter in Zivil an den Telefonhäuschen vorbei, aber alle drei waren leer. Der Anrufer hatte sich in der Menge der Passanten verloren.

Zu dieser Zeit saß Andy Laing gerade im Kasino der SAIB-Niederlassung in Dschiddah beim Mittagessen. Er aß mit seinem pakistanischen Freund und Kollegen Mr. Amin, dem Operations-Manager.

»Ich stehe vor einem Rätsel, mein Freund«, sagte der junge Pakistani. »Was geht da eigentlich vor?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Laing, »klären Sie mich auf.«

»Sie wissen doch – der Postsack, der täglich von hier nach London abgeht? Ich habe einen dringenden Brief mit einigen beigelegten Dokumenten nach London abgeschickt und muß rasch Antwort darauf haben. Wann werde ich die bekommen, frage ich mich. Warum ist sie noch nicht da? Ich habe bei der Postabteilung nachgefragt, warum sie noch nicht gekommen ist, und etwas sehr Sonderbares zu hören bekommen.«

Laing legte Gabel und Messer weg. »Und was, alter Freund?«

»Die Leute sagen, daß alle Post mit Verzögerung abgeht. Sämtliche Päckchen von hier nach London werden nach Riad umgeleitet und gehen erst einen Tag später von dort weiter.«

Laing war der Appetit vergangen. Was er in seiner Magengrube verspürte, war kein Hungergefühl.

»Wie lange, sagen Sie, geht das schon so?«

»Seit einer Woche, glaube ich.«

Laing verließ das Kasino und ging in sein Büro. Auf seinem Schreibtisch lag eine Nachricht vom Chef der Niederlassung, Mr. Al-Haroun: Mr. Pyle möchte Mr. Laing unverzüglich in Riad sprechen.

Er nahm die Mittagsmaschine der Saudia. Als er im Flugzeug saß, packte ihn Zorn auf sich selber. Hinterher weiß man alles besser – wenn er sein Päckchen nur mit der normalen Post nach London geschickt hätte. Er hatte es an den Leiter der Revisionsabteilung persönlich adressiert, und eine derart adressierte Sendung mit seiner charakteristischen Handschrift mußte einfach auffallen, wenn die Briefe auf Steve Pyles Schreibtisch ausgebreitet wurden. Kurz nachdem die Bank ihre Pforten für den Publikumsverkehr geschlossen hatte, wurde er in die Direktionsräume geführt.

Nigel Cramer schaute um die Mittagsstunde Londoner Zeit in der Wohnung in Kensington vorbei.

»Sie haben die Freilassung für zwei Millionen Dollar ausgehandelt«, sagte er. Quinn nickte.

»Gratulation«, sagte Cramer. »Dreizehn Tage ist nicht viel für so ein Geschäft. Übrigens, der Psychoklempner unter meiner Fuchtel hat sich den Anruf heute morgen mit angehört. Er ist der Meinung, der Mann meint es ernst, steht unter einem enormen Druck, die Sache abzuschließen.«

»Er wird sich noch ein paar Tage gedulden müssen«, sagte Quinn. »Das gilt für uns alle. Sie haben ja gehört, daß er Diamanten statt Bargeld verlangt. Es wird Zeit kosten, sie zu beschaffen. Irgendwelche Hinweise auf ihr Versteck?«

Cramer schüttelte den Kopf.

»Leider keine. Sämtliche in Frage kommenden Mietverträge für Häuser sind bis zum letzten überprüft worden. Entweder haben sie sich überhaupt nicht eingemietet oder das verdammte Haus gekauft. Oder sich ausgeborgt.«

»Keine Möglichkeit, normale Käufe zu überprüfen?«

»Leider nein. Die Zahl der Häuser, die im Südosten Englands gekauft und verkauft werden, ist riesig. Tausende und aber Tausende von Häusern sind im Besitz von Ausländern, ausländischen Konzernen oder Organisationen, die den Kauf durch Beauftragte – Anwälte, Banken usw. – abwickeln lassen. Wie diese Wohnung hier zum Beispiel.« Das war ein Seitenhieb auf Lou Collins und die CIA, die das Gespräch mithörten.

»Übrigens, ich habe mich mit einem unserer Männer im Hatton-Garden-Viertel unterhalten. Er hat sich bei jemandem erkundigt, der sich im Diamantenhandel auskennt. Wer der Anrufer auch ist, über Diamanten weiß er Bescheid. Oder einer seiner Komplizen. Was er verlangt, ist leicht zu beschaffen. Und wiegt nicht viel. Ungefähr ein Kilogramm, vielleicht ein bißchen mehr. Haben Sie sich über den Austausch schon Gedanken gemacht?«

»Natürlich«, sagte Quinn. »Ich möchte das in eigener Regie machen. Und ich will keine versteckten Wanzen haben – daran werden sie vermutlich denken. Ich glaube nicht, daß sie Simon zu dem Treffen mitbringen werden. Darum könnten sie ihn noch immer umbringen, wenn es irgendwelche faulen Tricks gibt.«

»Machen Sie sich keine Gedanken, Mr. Quinn. Wir würden sie natürlich gern hochnehmen, aber ich nehme Ihr Argument zur Kenntnis.«

»Danke«, sagte Quinn. Er gab dem Scotland-Yard-Mann die Hand, der sich auf den Weg machte, um in der Sitzung des COBRA-Komitees um 13 Uhr Bericht über den Fortgang der Affäre zu erstatten.

Kevin Brown verbrachte den Vormittag zurückgezogen in dem ihm zugewiesenen Büroraum unter der Botschaft. Sofort nach Öffnung der Geschäfte hatte er zwei seiner Männer losgeschickt, die ihm eine ganze Liste von Dingen besorgen mußten, die er brauchte: eine Karte in großem Maßstab, die das Gebiet nördlich von London fünfzig mal fünfzig Meilen darstellte, eine entsprechend große Plastikfolie, farbige Stecknadeln und verschiedenfarbige Folienstifte. Er rief seine Männer zusammen und legte die Kunststoffolie auf die Karte.

»Okay, schaun wir uns mal die Telefonhäuschen an, die dieses Schwein benutzt hat. Chuck, lesen Sie sie nacheinander vor.«

Chuck Morton sah seine Liste an.

»Erster Anruf, Hitchin, Grafschaft Hertfordshire.«

»Okay, Hitchin ist … ja, hier.« Eine Nadel markierte den Ort.

Zack hatte innerhalb von dreizehn Tagen achtmal angerufen – der neunte Anruf mußte bald kommen. Kurz vor 10 Uhr steckte einer der beiden FBI-Männer in der Lauschstation den Kopf um die Türkante.

»Er hat soeben wieder angerufen und damit gedroht, Simon mit einem Meißel die Finger abzutrennen.«

»O du heilige Scheiße!« fluchte Brown, »dieser Blödmann Quinn wird die ganze Sache vermasseln. Ich hab’s ja gewußt. Woher kam der Anruf?«

»Der Ort heißt Saffron Walden«, sagte der junge Mann.

Als die neun Nadeln in der Folie steckten, zeichnete Brown die Umgrenzungslinien ein, die sie miteinander verbanden. Das ergab eine gezackte Form, die Teilgebiete von fünf Grafschaften einschloß. Dann nahm er ein Lineal und verband die äußersten Punkte mit denen auf der gegenüberliegenden Seite. Ungefähr in der Mitte erschien ein Netz sich schneidender Linien. Den äußersten Punkt im Südosten bildete Great Dunmow in Essex, im Norden St. Neots in Cambridgeshire und im Westen Milton Keynes in Buckinghamshire.

»Am dichtesten kreuzen sich die Linien«, sagte Brown und deutete mit einer Fingerspitze drauf, »hier, östlich von Biggleswade in der Grafschaft Bedfordshire. Aber aus diesem Gebiet sind überhaupt keine Anrufe gekommen. Warum?«

»Zu nahe an der Basis?« fragte einer der Männer.

»Möglich, mein Junge, möglich. So, jetzt möchte ich, daß ihr euch diese beiden Landstädtchen Biggleswade und Sandy vornehmt, die der geographischen Mitte des Netzes am nächsten liegen. Fahrt hin und besucht sämtliche Immobilienmakler in diesen Orten. Tut so, als wärt ihr Interessenten, die ein abgelegenes Haus mieten wollen, um dort ein Buch zu schreiben oder sonst was. Merkt euch, was die Makler sagen … vielleicht über irgendwas, was bald frei wird, vielleicht etwas, was sie euch vor drei Monaten hätten vermitteln können, wenn nicht jemand anders dahergekommen wäre. Klar?«

Sie nickten alle.

»Sollen wir Mr. Seymour benachrichtigen, daß wir da hinfahren?« fragte Moxon. »Ich will damit sagen, vielleicht war Scotland schon in dieser Gegend.«

»Überlaßt Mr. Seymour mir«, sagte Brown, »wir verstehn’ uns ganz gut. Und es könnte ja sein, daß die Bobbys zwar schon dort oben waren, aber irgendwas übersehen haben. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Geh’n wir der Sache einfach mal nach.«

Pyle bemühte sich um die übliche Jovialität, als er Laing begrüßte.

»Ich … äh … hab’ Sie hierherbestellt, Andy, weil London uns gerade mitgeteilt hat, daß Sie dort einen Besuch machen sollen. Sieht so aus, als könnte das einen Karrieresprung für Sie bedeuten.«

»Sicher«, sagte Laing. »Könnte diese Aufforderung aus London mit dem Päckchen und dem Bericht zusammenhängen, den ich hingeschickt habe, der aber nie dort ankam, weil er hier in Ihrem Büro abgefangen wurde?«

Pyle ließ all seine gespielte Bonhomie fallen.

»Also schön. Sie sind gescheit, vielleicht ein bißchen zu gescheit. Aber Sie pfuschen in Sachen herum, die Sie nichts angehen. Ich habe versucht, Sie davon abzuhalten, aber nein, Sie mußten unbedingt den Privatdetektiv spielen. Okay, ich will jetzt offen mit Ihnen sprechen. Ich, ich selbst versetze Sie nach London zurück. Sie passen nicht hierher, Laing. Ich bin mit Ihrer Arbeit unzufrieden. Sie gehen zurück, basta. Sie haben eine Woche Zeit, ihren Schreibtisch in Ordnung zu bringen. Ihr Ticket ist bereits gebucht. Heute in einer Woche.«

Wäre Andy Laing älter, reifer gewesen, hätte er vermutlich seine Karten mit kühlerem Kopf ausgespielt. Aber er war empört darüber, daß ein Mann wie Pyle, der in der Bank eine so hohe Stelle einnahm, imstande war, sich an Kundengeldern zu bereichern.

Und er hatte die Naivität der Jungen und Ungeduldigen, den Glauben, daß das Recht triumphieren werde. An der Tür drehte er sich noch einmal um.

»Sieben Tage? Zeit genug für Sie, die Sache in London hinzubiegen? Kommt nicht in Frage. Ich fliege zurück, ja, aber schon morgen.«

Er kam rechtzeitig zum Flugplatz für den letzten Flug nach Dschiddah an diesem Abend. Dort angekommen, ging er unverzüglich in seine Bank. Er bewahrte seinen Paß zusammen mit anderen wertvollen Dokumenten in der obersten Schublade seines Schreibtisches auf – Einbrüche in Wohnungen, die Europäern gehören, sind in Dschiddah keine Seltenheit, und die Bank war sicher. Zumindest war das anzunehmen. Doch der Paß war verschwunden.

An diesem Abend kam es zu einem Riesenkrach unter den Entführern.

»Sprecht doch leiser, ihr Scheißkerle«, zischte Zack mehrmals. »Baissez les voix, merde!«

Er wußte, die Geduld seiner Männer war fast am Ende. Es war immer riskant, Menschenmaterial wie das hier einzusetzen. Nach der Superdosis Adrenalin, die ihnen bei der Entführungsaktion bei Oxford ins Blut geschossen war, hatten sie Tag und Nacht in ein und demselben Haus eingepfercht leben müssen, Bier aus Dosen getrunken, die er in verschiedenen Supermärkten gekauft hatte, sich immer außer Sichtweite halten müssen, während Leute an der Tür läuteten und läuteten, ehe sie endlich gingen, nachdem ihnen nicht geöffnet worden war. Die Nervenbelastung war schlimm gewesen, und diese Männer waren nicht geschult, sich geistig mit sich selbst oder mit Büchern zu beschäftigen. Der Korse hörte sich den ganzen Tag seine Popmusik-Programme in französischer Sprache an, in die Kurznachrichten eingestreut waren. Der Südafrikaner pfiff stundenlang unmelodisch vor sich hin, und die Melodie war immer dieselbe – Marie Marais. Der Belgier sah sich die Fernsehsendungen an, von denen er kein Wort verstand. Am besten gefielen ihm die Cartoons.

Der Krach hatte sich an Zacks Entschluß entzündet, mit dem Unterhändler über zwei Millionen Dollar Lösegeld abzuschließen.

Der Korse erhob dagegen Einwände, und da sie beide französisch sprachen, neigte der Belgier dazu, ihm beizupflichten. Der Südafrikaner hatte von der ganzen Geschichte genug, wollte nach Hause und stellte sich auf Zacks Seite. Der Korse argumentierte vor allem, daß sie massenhaft Zeit hätten. Zack wußte, daß das nicht zutraf, aber es war ihm auch klar, daß eine für ihn sehr gefährliche Situation entstehen könnte, wenn er ihnen ins Gesicht sagte, der Streß sei ihnen allmählich anzumerken und sie könnten die abstumpfende Langeweile und Untätigkeit höchstenfalls noch sechs Tage aushalten.

So beschwichtigte er sie, redete ihnen gut zu, sagte, sie hätten sich großartig gehalten; nur noch ein paar Tage, und sie würden alle reich sein. Der Gedanke an das viele Geld beruhigte sie wieder. Zack war erleichtert, daß es nicht zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen war. Im Unterschied zu den drei Männern, die im Haus bleiben mußten, hieß sein Problem nicht Langeweile, sondern Streß. Jedesmal, wenn er seinen großen Volvo über die verkehrsreichen Schnellstraßen steuerte, war er sich bewußt: eine einzige Stichprobenkontrolle der Polizei, ein geringfügiger Zusammenstoß mit einem anderen Wagen, ein einziger Augenblick der Unaufmerksamkeit und ein Streifenbeamter mit seiner blauen Mütze würde sich zu ihm hereinbeugen und sich fragen, warum der Mann eine Perücke und einen angeklebten Schnauzbart trug. Seine Tarnung tat es auf einer belebten Straße, nicht aber auf fünfzehn Zentimeter Entfernung.

Jedesmal, wenn er ein Telefonhäuschen betrat, malte er sich aus, daß etwas schiefging, daß der Anruf rascher als sonst geortet wurde, daß ein Beamter in Zivil, nur ein paar Meter weit weg, durch sein Funkgerät alarmiert wurde und auf die Telefonzelle zukam. Zack trug eine Waffe bei sich und war entschlossen, sich notfalls damit den Weg frei zu schießen. Aber dann müßte er den Volvo, den er immer ein paar hundert Meter entfernt geparkt hatte, aufgeben und zu Fuß fliehen. Irgendein Idiot unter den Passanten würde vielleicht sogar versuchen, ihm den Weg zu verlegen. Es war so weit gekommen, daß sich ihm jedesmal der Magen umdrehte, wenn er einen Polizisten auf den belebten Straßen sah, die er für seine Anrufe ausgewählt hatte.

»Geh und gib dem Jungen sein Abendessen«, sagte er zu dem Südafrikaner.

Simon Cormack befand sich den fünfzehnten Tag in seiner Kellerzelle, und dreizehn Tage waren vergangen, seit er die Frage nach Tante Emilys Buch beantwortet hatte, seit er wußte, daß sein Vater sich bemühte, ihn herauszuholen.

Er hatte inzwischen erkannt, was Einzelhaft bedeuten mußte, und fragte sich, wie Menschen solche Bedingungen monate-, ja, jahrelang durchstehen konnten. Zumindest in westlichen Gefängnissen hatten Leute in Einzelhaft Schreibmaterial, Bücher, manchmal auch ein Fernsehgerät, irgend etwas, was die Gedanken beschäftigte. Er hatte nichts. Aber er war ein zäher Junge und entschlossen, sich nicht kaputtmachen zu lassen.

Er machte regelmäßig Übungen, zwang sich, die Lethargie zu überwinden, die ihn überkam, machte zehnmal täglich seine Liegestütze, zwölfmal joggte er auf der Stelle. Er hatte noch immer seine Turnschuhe, Socken, Shorts und Slip an und wußte, daß er sicher schlimm roch. Er benutzte den Toiletteneimer sehr sorgfältig, um den Boden nicht schmutzig zu machen, und war dankbar, daß dieser jeden zweiten Tag abgeholt und geleert wurde.

Was es zu essen gab, war langweilig, zumeist gebraten oder kalt, aber es war ausreichend. Da er natürlich keinen Rasierapparat hatte, wuchs ihm ein zottiger Bart. Auch das Haar war länger geworden – er strählte es mit den Fingern. Er hatte um einen Plastikeimer voll Wasser und einen Schwamm gebeten und schließlich beides auch bekommen. Zum erstenmal wurde ihm klar, wie dankbar es einen Menschen machen kann, wenn er die Möglichkeit erhält, sich zu waschen. Er hatte sich nackt ausgezogen, die Shorts bis zur Fußkette hinabgeschoben, damit sie trocken blieben, und sich die Haut mit dem Schwamm abgeschrubbt, um sich, so gut es ging, zu säubern. Danach hatte er sich wie verwandelt gefühlt. Aber an einen Fluchtversuch dachte er nicht. Die Kette war unmöglich zu brechen, die Tür massiv und von außen verriegelt.

Zwischen den Leibesübungen bemühte er sich, auf verschiedene Weise seinen Geist zu beschäftigen: Er sagte jedes Gedicht auf, das ihm einfiel, tat so, als diktierte er einem unsichtbaren Stenografen seine Autobiografie, so daß er alles, was er in seinen einundzwanzig Jahren erlebt hatte, Revue passieren lassen konnte. Und er dachte an Amerika, an New Haven und Nantucket, an Yale und an das Weiße Haus. Er dachte an Mom und Dad und daran, wie es ihnen wohl gehen mochte; er hoffte, daß sie sich keine Sorgen um ihn machten, nahm aber doch eher das Gegenteil an. Wenn ich ihnen nur sagen könnte, dachte er, daß alles in Ordnung ist, wenn man bedenkt … Da wurde dreimal laut an die Kellertür geklopft. Er griff nach seiner schwarzen Kapuze und zog sie sich über den Kopf. Zeit fürs Abendbrot, oder war es das Frühstück …?

Am selben Abend, als Simon Cormack eingeschlafen war und Sam Somerville in Quinns Armen lag, trat fünf Zeitzonen weiter im Westen das Komitee im Weißen Haus zusammen. Außer den üblichen Kabinettsmitgliedern waren auch Philip Kelly vom FBI und David Weintraub von der CIA anwesend.

Sie hörten sich die Bänder mit Zacks Anrufen bei Quinn an, den überaus barschen Ton des englischen Verbrechers und die beruhigende gedehnte Sprechweise des Amerikaners, der ihn zu besänftigen versuchte. Das gleiche hatten sie seit zwei Wochen beinahe täglich getan.

Als Zack seinen Anruf beendet hatte, war Hubert Reed bleich vor Entsetzen.

»Mein Gott«, sagte er, »Meißel und Hammer! Der Kerl ist eine Bestie.«

»Yeah, das ist uns klar«, sagte Odell. »Wenigstens ist jetzt ein Lösegeld vereinbart. Zwei Millionen Dollar. In Diamanten. Gibt es irgendwelche Einwände dagegen?«

»Keine«, sagte Jim Donaldson. »Unser Land zahlt das für den Sohn des Präsidenten aus der linken Tasche. Es überrascht mich nur, daß es zwei Wochen gedauert hat.«

»An sich ist es ziemlich schnell gegangen«, warf Justizminister Bill Walters ein. Don Edmonds vom FBI nickte zustimmend.

»Wollen wir das übrige, die Bandaufnahmen aus der Wohnung, noch mal hören?« fragte Vizepräsident Odell.

Niemand brauchte sie noch einmal zu hören.

»Mr. Edmonds, was ist zu dem zu sagen, was Mr. Cramer von Scotland Yard gegenüber Quinn bemerkt hat? Irgendwelche Kommentare von Ihren Leuten?«

Don Edmonds warf Philip Kelly einen Seitenblick zu, antwortete aber selbst für das Bureau.

»Unsere Leute in Quantico sind der gleichen Meinung wie ihre britischen Kollegen«, sagte er. »Dieser Zack ist am Ende, möchte die Sache abschließen, den Austausch machen. Seiner Stimme ist die Anspannung anzumerken. Höchstwahrscheinlich der Grund für seine Drohungen. Sie stimmen auch mit den englischen Analytikern in einem anderen Punkt überein. Nämlich daß Quinn eine von Mißtrauen begleitete Empathie-Beziehung zu dieser Bestie hergestellt hat. Anscheinend haben seine Bemühungen …« – er warf Jim Donaldson einen Blick zu – »… sich als den anständigen Kerl, der Zack helfen will, und uns übrige hier und in England als die Bösewichter darzustellen, die Schwierigkeiten machen, nach zwei Wochen Früchte getragen. Zack empfindet eine Spur Vertrauen zu Quinn, aber zu sonst niemandem. Das könnte für die Übergabe von Geisel und Lösegeld von entscheidender Bedeutung sein. Jedenfalls sagen das die Stimmanalytiker und Verhaltenspsychologen.«

»Mein Gott, wie widerlich, daß man solchem Abschaum um den Bart gehen muß«, bemerkte Jim Donaldson.

David Weintraub, der zur Decke hinaufgeschaut hatte, senkte den Blick auf den Außenminister. Gern hätte er ihm gesagt, verkniff es sich aber, daß er und seine Leute manchmal mit so üblem Gelichter wie diesem Zack verhandeln mußten, um diese Politiker in ihren hohen Ämtern zu halten.

»Okay, Leute«, sagte Odell, »wir halten uns dran. Endlich ist der Ball wieder in unserer Hälfte. Also machen wir schnell. Ich persönlich finde, daß dieser Mr. Quinn recht gute Arbeit geleistet hat. Wenn er den Jungen unversehrt zurückbekommt, sind wir ihm Dank schuldig. So, und jetzt die Diamanten. Wo beschaffen wir sie?«

»In New York«, sagte Weintraub, »dem amerikanischen Diamantenzentrum.«

»Morton, Sie sind aus New York. Haben Sie irgendwelche diskreten Kontakte, die Sie rasch anzapfen können?« fragte Odell den ehemaligen Bankier Morton Stannard.

»Sicher«, sagte Stannard. »Als ich bei der Rockman-Queens Bank war, hatten wir mehrere Kunden, die in der Diamantenbranche an führender Stelle tätig waren. Sehr diskret – das müssen sie sein. Wollen Sie, daß ich mich der Sache annehme? Wie steht’s mit dem Geld?«

»Der Präsident besteht darauf, daß er selbst das Lösegeld zahlt«, sagte Odell. »Aber ich sehe nicht ein, warum wir uns über eine solche Kleinigkeit Gedanken machen sollten. Hubert, könnte das Finanzministerium einen persönlichen Kredit bereitstellen, bis der Präsident angelegtes Geld loseisen kann?«

»Kein Problem«, sagte Hubert Reed, »Sie kriegen das Geld, Morton.«

Die Anwesenden erhoben sich. Odell mußte ins Mansion, um den Präsidenten aufzusuchen.

»Machen Sie so schnell, wie Sie können, Morton«, sagte er. »Maximal zwei bis drei Tage.«

Tatsächlich sollte es noch sieben dauern.

Erst am nächsten Morgen konnte Andy Laing um ein Gespräch mit Mr. Al-Haroun, dem Chef der Niederlassung, nachsuchen. Aber er ließ die Nacht nicht ungenutzt.

Als Mr. Al-Haroun zur Rede gestellt wurde, entschuldigte er sich so liebenswürdig, wie es nur ein wohlerzogener Araber vermag, wenn er mit dem Zorn eines aufgebrachten Westlers konfrontiert wird. Er bedaure die Sache zutiefst, es sei ohne Zweifel eine unglückliche Situation, deren Lösung in Allahs, des Allbarmherzigen, Schoß liege. Nichts könne ihm größeres Vergnügen bereiten, als Mr. Laing seinen Paß zurückzugeben, den er nur auf Mr. Pyles spezielles Ersuchen über Nacht in Verwahrung genommen habe. Er trat an seinen Tresor, zog mit seinen schlanken, braunen Fingern den grünen amerikanischen Paß heraus und gab ihn zurück.

Laing war besänftigt, dankte ihm mit dem formelleren »Achkurah« und empfahl sich. Erst als er wieder in seinem eigenen Büro war, kam ihm der Gedanke, den Paß durchzublättern.

In Saudi-Arabien brauchen Ausländer nicht nur ein Einreise- sondern auch ein Ausreisevisum. Und seines, früher unbegrenzt gültig, war ungültig gemacht worden. Der Stempel der Immigration Control in Dschiddah war zweifellos echt. Kein Zweifel, sagte er sich bitter, Mr. Al-Haroun hat einen Freund in diesem Amt. Schließlich wurden hierzulande die Dinge so gehandhabt.

Laing war sich im klaren darüber, daß es keinen Weg zurück mehr gab, und beschloß, die Sache bis zum bitteren Ende durchzufechten. Da fiel ihm etwas ein, was Mr. Amin, der Operations-Manager, ihm einmal erzählt hatte. Er rief ihn an.

»Amin, mein Freund, haben Sie nicht einmal davon gesprochen, daß Sie einen Verwandten hier im Immigration Service haben?« fragte er ihn. Amin bemerkte in der Frage keine Falle.

»Ja, doch. Einen Vetter.«

»In welcher Abteilung arbeitet er denn?«

»Ach, nicht hier, mein Freund. Er ist in Dharan.«

Dharan liegt nicht nahe bei Dschiddah, am Roten Meer, sondern im äußersten Osten des Landes, am Arabischen Golf. Am späten Vormittag rief Andy Laing Mr. Zufilquar Amin an seinem Schreibtisch in Dharan an.

»Hier spricht Mr. Steve Pyle, General-Manager der Saudi Arabian Investment Bank«, sagte er. »Einer meiner Angestellten hält sich gerade zu geschäftlichen Verhandlungen in Dharan auf. Er muß heute abend in einer dringenden Angelegenheit nach Bahrain fliegen. Leider, so sagte er mir, ist sein Ausreisevisum abgelaufen. Sie wissen ja, wie lange solche Dinge auf dem normalen Weg dauern können … Mir ist der Gedanke gekommen, da Ihr Vetter hier bei uns solche Wertschätzung genießt … Sie werden sehen, daß Mr. Laing ein äußerst großzügiger Mann ist …«

Andy Laing nützte die Mittagspause dazu, in seine Wohnung zu fahren, packte seine Sachen und erreichte die Maschine der Fluggesellschaft Saudia, die um 15 Uhr nach Dharan startete. Mr. Zulfiquar Amin erwartete ihn bereits. Die Neuausstellung eines Ausreisevisums dauerte zwei Stunden und kostete tausend Rial.

Mr. Al-Haroun bemerkte Laings Abwesenheit etwa um die Zeit, als dieser nach Dharan abflog. Er rief am Flughafen Dschiddah an, sprach aber mit dem für die Abflüge ins Ausland Verantwortlichen. Keine Spur von einem Mr. Laing. Beunruhigt rief er in Riad an. Pyle fragte ihn, ob verhindert werden könnte, daß Laing überhaupt eine Maschine bestieg, auch eine mit einem Ziel innerhalb des Landes.

»Tut mir sehr leid, lieber Kollege«, sagte Mr. Al-Haroun, der Pyle höchst ungern enttäuschte, »aber das läßt sich nicht einrichten. Ich kann allerdings meinen Freund fragen, ob Mr. Laing zu einem Flughafen innerhalb des Landes geflogen ist.«

Laings Spur wurde in Dharan aufgenommen, genau im selben Augenblick, als er auf dem Damm die Grenze zum benachbarten Emirat Bahrain überquerte. Dort gelangte er mühelos an Bord einer Maschine der British Airways, die von Mauritius nach London unterwegs war und in Bahrain zwischenlandete.

Pyle, der nicht ahnen konnte, daß Laing sich ein neues Ausreisevisum verschafft hatte, wartete bis zum folgenden Vormittag. Dann ersuchte er das Personal in der Filiale in Dharan, sich in der Stadt nach Laing umzusehen und festzustellen, was er dort trieb. Die Suche nahm drei Tage in Anspruch und erbrachte nichts.

Drei Tage, nachdem der Verteidigungsminister vom Komitee in Washington mit der Beschaffung der von Zack geforderten Diamanten beauftragt worden war, meldete er, daß diese Aufgabe mehr Zeit erfordere als vorgesehen. Das Geld sei kein Problem – man habe es schon bereitgestellt.

»Sehn’ Sie«, sagte er zu seinen Kollegen, »ich selber verstehe nichts von Diamanten. Aber meine Kontaktleute in der Branche – ich stehe in Verbindung mit drei Männern, alle sehr diskret und verständnisvoll – sagen mir, es handele sich um eine beträchtliche Zahl von Steinen.

Der Kidnapper hat ungeschliffene ›melees‹ von einem Fünftel bis zu einem halben Karat und von mittlerer Qualität verlangt. Solche Steine, sagt man mir, sind zwischen 250 und 300 Dollar pro Karat wert. Um sicherzugehen, kalkulieren sie den Basispreis mit 250 Dollar. Hier geht es um etwa 8000 Karat.«

»Und worin liegt das Problem?« fragte Odell.

»In der Zeit«, sagte Morton Stannard. »Bei einem Fünftel Karat würde das 40 000 Steine ergeben. Bei einer Mischung verschiedener Gewichte, vielleicht 20 000 Steine. Eine Menge, um sie in dieser Eile zusammenzubekommen. Drei Männer kaufen wie die Verrückten und versuchen, dabei nicht aufzufallen.«

»Und was bedeutet das alles?« fragte Brad Johnson. »Wann können die Steine auf die Reise gehen?«

»Wir brauchen noch einen, vielleicht zwei Tage«, sagte der Verteidigungsminister.

»Bleiben Sie dran, Morton«, knurrte Odell. »Wir können den Jungen und seinen Vater nicht mehr viel länger warten lassen.«

»Sobald sie in einem Säckchen, gewogen und auf ihre Echtheit überprüft sind, bekommen Sie sie«, sagte Stannard.

Am nächsten Vormittag wurde Kevin Brown in der Botschaft von einem seiner Männer angerufen.

»Wir sind vielleicht fündig geworden, Chef«, sagte der FBI-Mann. »Kein Wort weiter über eine offene Leitung, mein Junge, setz deinen Arsch in Bewegung, komm hierher und erzähl’s mir persönlich.« Der FBI-Agent kam mittags in London an. Was er zu berichten hatte, war mehr als interessant.

Östlich von Biggleswade und Sandy, beide an der Autobahn A I, von London nach Norden, gelegen, grenzt die Grafschaft Bedfordshire an Cambridgeshire. Das Gebiet ist lediglich von kleineren Straßen der Kategorie B und Landsträßchen durchzogen, hat keine großen Ortschaften und wird weitgehend landwirtschaftlich genutzt. In dem Grenzgebiet zwischen den beiden Grafschaften gibt es nur ein paar Dörfer mit alten englischen Namen wie Potton, Tadlow, Wrestlingworth und Gamlingay.

Zwischen zwei von diesen Dörfern stand, etwas abseits, in einem flachen Talgrund und über einen Feldweg erreichbar, ein altes Bauernhaus, teilweise ausgebrannt, aber ein Teil noch bewohnbar und möbliert.

Zwei Monate vorher, so hatte der FBI-Mann entdeckt, war das Haus von einer Gruppe angeblicher »Rustikalfreaks« gemietet worden, die behaupteten, sie wollten zurück zur Natur, einfach leben und kreativ tätig sein, töpfern und Körbe flechten.

»Auffällig ist«, sagte der FBI-Mann, »daß sie die Miete bar auf den Tisch legen konnten, anscheinend nicht viel Keramik produzieren, sich aber zwei Gelände-Jeeps leisten, die in den Schuppen versteckt sind. Und sie verkehren mit niemandem.«

»Wie heißt der Bauernhof?« fragte Brown.

»Green Meadow Farm, Chef.«

»Okay, wir haben noch genug Tageslicht, wenn wir uns auf die Socken machen. Schaun wir uns diese Green Meadow Farm mal an.«

Kevin Brown und der FBI-Mann konnten noch mit zwei Stunden Helligkeit rechnen, als sie ihren Wagen am Beginn eines Fuhrwegs abstellten. Die beiden näherten sich ihrem Ziel mit äußerster Vorsicht und bewegten sich in der Deckung der Bäume, bis sie über dem Tal den Saum eines Gehölzes erreichten. Von dort krochen sie die letzten zehn Yards zum Rand einer Erhebung und blickten hinab ins Tal. Das Bauernhaus befand sich unterhalb. Ein schwacher Lichtschein wie von einer Öllampe drang aus einem Fenster des nicht ausgebrannten Teils.

Während sie das Objekt beobachteten, kam ein stämmiger Mann aus dem Bauernhaus und ging zu einem der drei Schuppen hinüber. Dort hielt er sich zehn Minuten lang auf und kehrte dann zum Haus zurück. Brown inspizierte das Anwesen mit einem starken Fernglas. Auf dem Weg links von ihnen kam ein japanischer Geländewagen mit Vierradantrieb angefahren. Er blieb vor dem Bauernhaus stehen, und ein Mann kletterte heraus. Er blickte gründlich um sich und suchte den Rand des Tales ab. Er konnte keine Bewegung feststellen.

»Verdammt«, sagte Brown, »rötlichbraunes Haar, und eine Brille trägt er auch.«

Der Fahrer des Jeeps ging in das Bauernhaus und tauchte ein paar Sekunden später zusammen mit dem stämmigen Mann wieder auf. Sie hatten einen großen Rottweiler dabei. Die beiden Männer gingen in denselben Schuppen, blieben dort zehn Minuten und kamen dann zurück. Der stämmige Mann fuhr den Jeep in einen anderen Schuppen und schloß das Tor.

»Ländliche Keramik, wer’s glaubt, wird selig«, sagte Brown. »In diesem verdammten Schuppen ist irgendwas oder irgend jemand. Ich wette mein Hemd, daß es ein junger Mann ist.«

Sie krochen zum Saum des Gehölzes zurück. Die Dunkelheit senkte sich über das Tal.

»Holen Sie die Decke aus dem Kofferraum und bleiben Sie hier«, sagte Brown. »Überwachen Sie das Haus die Nacht hindurch. Ich bin mit den andern vor Sonnenaufgang wieder da – falls in diesem verdammten Land überhaupt jemals die Sonne aufgeht.«

Ihnen gegenüber, auf der anderen Seite des Tals, lag auf einem Ast einer riesigen Eiche ein Mann in einem Tarnanzug bewegungslos ausgestreckt. Auch er hatte ein starkes Fernglas, mit dem er die Bewegungen zwischen den Bäumen auf der anderen Talseite registriert hatte. Als Kevin Brown und sein Untergebener die Anhöhe hinab-schlitterten und in dem Gehölz verschwanden, zog er ein kleines Funkgerät aus der Tasche und sprach mehrere Sekunden leise und in einem dringlichen Ton hinein. Es war der 8. Oktober, neunzehn Tage seit Simon Cormacks Entführung und siebzehn seit Zacks erstem Anruf in der Wohnung in Kensington.

An diesem Abend rief er wieder an, gedeckt von der Menge eiliger Passanten im Zentrum von Luton.

»Was zum Teufel ist denn los, Quinn? Verflucht, drei Tage sind inzwischen vergangen.«

»Hey, immer mit der Ruhe, Zack. Es sind die Diamanten. Du hast uns damit überrumpelt, alter Kumpel. Es dauert ein Weilchen, bis man so ein Päckchen beisammen hat. Ich hab’s denen drüben in Washington verklickert – ordentlich, kann ich dir verraten. Sie machen, so schnell sie können, aber verdammt, Zack, 25 000 Steine, alles gute, bei denen man nicht feststellen kann, woher sie kommen – das dauert schon ein bißchen …«

»Yeah, sag ihnen nur, sie bekommen noch zwei Tage Zeit und dann kriegen sie ihren Jungen in einem Sack zurück. Bestell ihnen das.«

Er hängte ein. Später würden die Experten sagen, daß er mit den Nerven fertig war, nahe daran, der Versuchung zu erliegen, dem Jungen etwas anzutun, aus Frustration oder weil er glaubte, irgendwie hereingelegt zu werden.

Kevin Brown und sein Team waren gut, und sie waren bewaffnet. Sie kamen paarweise aus den vier Richtungen, aus denen der Bauernhof gestürmt werden konnte. Zwei rannten den Weg entlang, von einer Deckung zur andern springend. Die anderen drei Paare kamen völlig lautlos aus den Gehölzen und über die ins Tal abfallenden Felder herab. Es war jene Stunde vor dem Morgengrauen, wenn das Licht am tückischsten, die Wachsamkeit der Beute auf ihren tiefsten Punkt gesunken ist – die Stunde des Jägers.

Die Überraschung war vollkommen. Chuck Moxon und sein Partner nahmen sich den verdächtigen Schuppen vor. Moxon schnitt eins, zwei, drei das Schloß durch, sein Partner warf sich mit einem Salto vorwärts durch die Tür und landete mit gezogener Pistole auf dem staubbedeckten Boden des Schuppens. Außer einem Benzingenerator, etwas, das wie ein Trockenofen aussah, und einer Bank mit verschiedenen chemischen Gefäßen war nichts zu sehen. Die sechs Männer und Brown, die in das Bauernhaus eindrangen, hatten mehr Glück.

Vier katapultierten sich paarweise durch die Fenster, wobei sie die Scheiben und Rahmen mitnahmen, landeten auf den Füßen und rannten sofort nach oben zu den Schlafzimmern.

Brown und die beiden anderen drangen durch die Haustür ein. Ein einziger Schlag mit dem Vorschlaghammer zertrümmerte das Schloß, und schon waren sie drin.

Neben der herabgebrannten Glut unter dem Feuerrost in der Küche war der stämmige Mann in einem Sessel eingeschlafen. Er hätte die Nachtwache halten sollen, aber Langeweile und Müdigkeit hatten ihn schläfrig gemacht. Das Krachen an der Haustür riß ihn hoch. Er griff nach der ausgebohrten Schrotflinte, die auf dem Fichtenholztisch lag und hätte es beinahe geschafft, aber das von der Tür her gebrüllte »Keine Bewegung!« und der Anblick des kräftigen Mannes mit dem Bürstenhaarschnitt, der in gebückter Haltung mit einem 45er Colt auf seine Brust zielte, ließen ihn erstarren. Er spuckte aus und hob langsam beide Hände.

Oben lag der rothaarige Mann mit der einzigen Frau der Gruppe im Bett. Sie erwachten, als im Erdgeschoß die Fenster und Türen zersplitterten. Die Frau schrie auf, der Mann lief auf die Schlafzimmertür zu und stieß mit dem ersten FBI-Mann auf dem Treppenabsatz zusammen. Die beiden Männer gingen im Dunkeln zu Boden und versuchten einander niederzuringen, bis ein anderer Amerikaner erkannte, wer der eine und wer der andere war, und dem rothaarigen Mann mit dem Knauf seines Colts einen saftigen Hieb versetzte.

Ein paar Sekunden danach wurde das vierte Mitglied der Kommune blinzelnd aus seinem Schlafzimmer geführt, ein stockdürrer junger Mann mit glattem Haar. Die FBI-Männer hatten alle Taschenlampen dabei. Es dauerte zwei weitere Minuten, bis sie alle übrigen Zimmer untersucht und festgestellt hatten, daß nicht mehr als vier Leute da waren. Kevin Brown ließ sie alle in die Küche bringen, wo Licht gemacht wurde. Er musterte sie voll Abscheu.

»So, und wo ist der Junge?« fragte er.

Einer seiner Männer schaute zum Fenster hinaus.

»Chef, wir bekommen Besuch.«

Ungefähr fünfzig Männer kamen von allen Seiten in das Tal herab und auf das Bauernhaus zu, alle in Schaftstiefeln, alle in Blau, und ein Dutzend mit Schäferhunden, die an den Leinen zerrten. In einem der Schuppen heulte der Rottweiler seinen Grimm über die Eindringlinge hinaus. Ein weißer Range-Rover mit blauen Kennzeichen kam auf dem Weg dahergerumpelt und blieb zehn Yards vor der eingeschlagenen Haustür stehen. Ein älterer Mann in Blau mit glitzernden Silberknöpfen und Abzeichen stieg aus. Er trat ohne ein Wort in die Diele, ging in die Küche und blickte die vier Gefangenen starr an.

»Okay, wir übergeben jetzt an Sie«, sagte Brown. »Er ist hier irgendwo. Und diese Scheißtypen wissen auch, wo.«

»Wer«, fragte der Mann in Blau, »sind eigentlich Sie?«

»Ach ja, natürlich.« Kevin Brown zückte seinen FBI-Ausweis. Der Engländer betrachtete ihn prüfend und reichte ihn dann zurück.

»Sehn Sie«, sagte Brown, »wir haben hier …«

»Sie haben hier«, sagte der Chief Constable, der Polizeichef von Bedfordshire mit eisigem Grimm, »den größten Schlag gegen die Drogenmafia kaputt gemacht, den wir hier in England bisher hätten führen können und für den wir, fürchte ich, nie mehr eine Chance bekommen werden. Diese Leute sind kleine Aufpasser und ein Chemiker. Die großen Fische und ihre Ware wurden jeden Tag erwartet. Wollen Sie jetzt bitte nach London zurückkehren?«

Zu dieser Stunde saß Steve Pyle in Mr. Al-Harouns Direktionszimmer in Dschiddah, nachdem er auf einen beunruhigenden Anruf hin an die Küste geflogen war.

»Was genau hat er mitgenommen?« fragte er zum viertenmal. Mr. Al-Haroun zuckte die Achseln. Diese Amerikaner waren noch schlimmer als die Europäer, immer in Eile.

»Leider bin ich kein Experte, was diese Maschinen angeht«, sagte er, »aber mein Nachtwächter hier berichtet …«

Er drehte sich zu dem Nachtwächter um und deckte ihn mit einem Wortschwall auf arabisch ein. Der Mann antwortete und streckte dabei die Arme aus, um den Umfang von irgend etwas zu beschreiben.

»Er sagt, als ich Mr. Laing seinen entsprechend abgeänderten Paß zurückgab, habe der junge Mann beinahe die ganze Nacht im Computerraum verbracht und sei vor Tagesanbruch mit einer großen Menge Computerausdrucke weggegangen. Er sei dann ohne sie wieder zur Arbeit erschienen.«

Steve Pyle kehrte tief beunruhigt nach Riad zurück. Seiner Regierung und seinem Land zu helfen, war ja aller Ehren wert, aber bei einer hauseigenen Revision würde das Motiv keine Rolle spielen. Er bat Oberst Easterhouse um ein dringliches Gespräch.

Der Arabienkenner hörte ihn gelassen an und nickte mehrmals.

»Glauben Sie, er ist inzwischen in London?« fragte er.

»Ich weiß nicht, wie er es angestellt haben könnte, aber wo zum Teufel könnte er sonst sein?«

»Hm. Könnte ich mich eine Weile mit Ihrem Zentralcomputer beschäftigen?«

Vier Stunden lang saß Easterhouse am Zentralcomputer in Riad, die Arbeit war nicht schwierig, da er sämtliche Paßwörter hatte. Als er fertig war, waren alle computergespeicherten Daten gelöscht und durch neue ersetzt.

Nigel Cramer erhielt am Vormittag einen ersten telefonischen Bericht aus Bedford, lange bevor die schriftliche Fassung eintraf. Als er Patrick Seymour in der amerikanischen Botschaft anrief, war er fuchsteufelswild. Brown und seine Männer befanden sich noch auf der Rückfahrt.

»Patrick, wir sind immer verdammt gut miteinander ausgekommen, aber das ist die Höhe! Für wen zum Teufel hält er sich denn? Und in welchem Land, verdammt noch mal, glaubt er eigentlich zu sein?«

Seymours Situation war höchst unerquicklich. Drei Jahre hatte er darangewendet, die ausgezeichnete Zusammenarbeit zwischen dem Bureau und dem Yard, Erbe seines Vorgängers Darrell Mills, noch auszubauen. Er hatte Kurse in England besucht und Visiten hochrangiger Beamter der Metropolitan Police im Hoover Building arrangiert, damit sich jene persönlichen Beziehungen entwickeln konnten, die in einer Krisensituation den Amtsschimmel auf Galopp bringen.

»Was war dort auf dem Bauernhof eigentlich los?« fragte er. Cramer beruhigte sich und berichtete ihm. Scotland Yard hatte Monate vorher einen Tip erhalten, daß ein großer Drogenhändlerring eine neue, großangelegte Operation in England starten wolle. Nach geduldiger Ermittlungsarbeit war der Bauernhof als Basis des Unternehmens identifiziert worden. Undercover-Agenten aus seinem eigenen SO Department hatten im Zusammenwirken mit der Polizei von Bedford das Objekt Woche um Woche beschattet. Der Mann, nach dem gefahndet wurde, war ein internationaler Großdealer, in Neuseeland geboren, von einem Dutzend Staaten gesucht, aber glatt wie ein Aal. Die gute Nachricht: Es stand zu erwarten, daß er mit einer großen Menge Koks zum Verarbeiten, Portionieren und Verteilen erscheinen werde; die schlechte: Er würde den Bauernhof meiden.

»Tut mir leid, Patrick, aber ich werde den Innenminister bitten müssen, daß er Washington veranlaßt, Brown nach Hause zu holen.«

»Nun ja, wenn Sie müssen, dann müssen Sie eben«, sagte Seymour. Während er den Hörer auflegte, dachte er: Mach du nur zu!

Cramer hatte noch eine andere, sogar noch dringendere Aufgabe zu erledigen, nämlich zu verhindern, daß die Geschichte von irgendeiner Zeitung, von Rundfunk oder Fernsehen publik gemacht wurde. An diesem Vormittag war er in hohem Maße auf das Entgegenkommen der Besitzer und Chefredakteure der Medien angewiesen.

Das Komitee in Washington erhielt Seymours Bericht um 7 Uhr morgens, als es zum erstenmal an diesem Tag zusammentrat.

»Ich bitte Sie, er hatte eine erstklassige Spur und ging ihr nach«, protestierte Philip Kelly. Don Edmonds warf ihm einen warnenden Blick zu.

»Er hätte sich mit Scotland Yard ins Benehmen setzen sollen«, sagte Außenminister Jim Donaldson. »Wir können es uns in dieser Phase einfach nicht leisten, mit den Briten Ärger zu bekommen. Was zum Kuckuck soll ich denn zu Sir. Harry Marriott sagen, wenn er verlangt, daß wir Brown abziehen?«

»Moment«, sagte Finanzminister Reed. »Warum nicht einen Kompromiß vorschlagen? Brown war übereifrig, und die Sache tut uns leid. Aber wir sind überzeugt, daß Quinn und die Briten jeden Augenblick Simon Cormacks Freilassung erreichen werden. Wenn es soweit ist, brauchen wir eine Eskorte, die den Jungen nach Hause begleitet. Brown und seine Männer sollten ein paar Tage Aufschub erhalten, um das zu übernehmen. Sagen wir, bis Ende der Woche?«

Donaldson nickte.

»Yeah, das wird Sir Harry vielleicht akzeptieren. Übrigens, wie geht es dem Präsidenten?«

»Er lebt wieder auf«, sagte Odell. »Ist beinahe optimistisch. Ich hab’ ihm vor einer Stunde gesagt, daß Quinn sich einen weiteren Beweis dafür verschafft hat, daß Simon lebt und es ihm anscheinend gutgeht – zum sechstenmal hat sich Quinn einen solchen Beweis von den Kidnappern geben lassen. Wie steht’s mit den Diamanten, Morton?«

»Am Abend haben wir sie«, antwortete Morton Stannard.

»Sorgen Sie dafür, daß ein schneller Vogel zum Abflug bereit steht«, sagte Vizepräsident Odell. Verteidigungsminister Stannard nickte und machte sich eine Notiz.

Andy Laing bekam schließlich einen Gesprächstermin beim Leiter der Revisionsabteilung, noch an diesem Tag, gleich nach dem Mittagessen. Der Mann war ebenfalls Amerikaner und hatte in den vergangenen drei Tagen europäische Niederlassungen der Bank besucht.

Er hörte sich ernst und mit wachsender Bestürzung an, was der junge Bankmanager aus Dschiddah vorbrachte, und überflog die Computerausdrucke auf seinem Schreibtisch mit geübtem Blick. Als er damit fertig war, lehnte er sich in seinen Sessel zurück, blies die Backen auf und atmete geräuschvoll aus.

»Mein Gott, das sind ja sehr gravierende Anschuldigungen. Und wie es scheint, auch belegt. Wo sind Sie in London zu erreichen?«

»Ich habe noch eine Wohnung in Chelsea«, sagte Laing. »Ich halte mich dort seit meiner Ankunft auf. Glücklicherweise sind die Leute, an die ich sie weitervermietet hatte, vor zwei Wochen ausgezogen.«

Der Revisionschef notierte sich die Adresse und Telefonnummer.

»Ich werde mich mit dem General-Manager hier besprechen müssen, vielleicht auch mit unserem Präsidenten in New York, bevor wir Steve Pyle damit konfrontieren. Bleiben Sie ein paar Tage in der Nähe des Telefons.«

Keiner von beiden konnte wissen, daß sich in dem morgendlichen Postsack aus Riad ein vertraulicher Brief Steve Pyles an den General-Manager für die Überseegeschäfte befand.

Die britische Presse hielt ihr Versprechen, aber die Zentrale von Radio Luxemburg befindet sich in Paris, und für französische Hörer ist ein erstklassiger Krach bei ihren angelsächsischen Nachbarn im Westen einfach zu schön, um ihn sich entgehen zu lassen.

Woher der Tip eigentlich gekommen war, ließ sich niemals eruieren, außer daß es sich um einen Höreranruf während einer Sendung gehandelt hatte und daß der Anrufer anonym geblieben war. Aber die Londoner Vertretung von Radio Luxemburg ging der Sache nach und bestätigte, daß allein schon die Geheimnistuerei der Polizei in Bedford die Story glaubwürdig mache. Es war ein ereignisarmer Tag, und so wurde die Meldung in die 16-Uhr-Nachrichten eingerückt.

In England hörte sie kaum jemand, doch der Korse schnappte sie auf. Er stieß einen verblüfften Piff aus und ging Zack suchen. Der Engländer hörte ihm aufmerksam zu, stellte eine Reihe Fragen auf französisch und wurde bleich vor Ärger.

Quinn wußte bereits davon, und so hatte er immerhin Zeit gehabt, sich eine Antwort für den Fall zurechtzulegen, daß Zack anrief. Zack meldete sich kurz nach 19 Uhr und schäumte.

»Du Mistkerl, du verlogener. Du hast gesagt, daß sich weder die Bullen noch sonstwelche Leute wie Cowboys aufführen werden. Das war eine niederträchtige Lüge …«

Quinn beteuerte, er wisse nicht, wovon Zack spreche – es wäre zu durchsichtig gewesen, hätte er genau Bescheid gewußt, ohne es von Zack selbst gehört zu haben. Zack berichtete ihm die Geschichte in drei wütenden Sätzen.

»Aber das hatte doch nichts mit euch zu tun«, brüllte Quinn zurück. »Die Franzosen haben es wie gewöhnlich ganz falsch verstanden. Die amerikanische Drogenpolizei wollte Drogenhändler ausheben, was mißglückt ist. Du hast doch von diesen Rambos vom Rauschgiftbekämpfungsdezernat gehört – die waren es. Sie haben nicht nach euch gesucht, sondern nach Kokain. Vor einer Stunde war ein Typ von Scotland Yard hier bei mir – fuchsteufelswild. Um Himmels willen, Zack, du kennst doch die Medien. Wenn du denen glauben willst, ist Simon schon an achthundert verschiedenen Stellen geseh’n, und du bist schon fünfzigmal erwischt worden …«

Das war plausibel. Quinn zählte darauf, daß Zack drei Wochen lang in der Boulevardpresse eine Unmenge blödsinniger Falschmeldungen gelesen und eine gründliche Verachtung für die Zeitungen entwickelt hatte. Zack, der in einer Fernsprechzelle im Busdepot in Linslade stand, wurde ruhiger. Die Zeit fürs Telefonieren lief ab.

Sam Somerville und Duncan McCrea waren schreckensbleich, als der Anruf beendet war.

»Wo bleiben denn diese verdammten Diamanten?« fragte Sam.

Es sollte noch schlimmer kommen. Wie in den meisten Ländern gibt es auch in Großbritannien eine ganze Reihe von Rundfunksendungen zum Frühstück, einem Gemengsel aus gedankenlosen Plaudereien des Moderators, Pop-Musik, kurzen Nachrichteneinblendungen und Höreranrufen. Die Nachrichten bestehen aus Kurzmeldungen von den Agenturen, von kleinen Redakteuren in aller Eile umgeschrieben und dem Discjockey vor die Nase geknallt. Wegen des Tempos dieser Sendungen findet eine sorgfältige Nachprüfung einfach nicht statt.

Als ein Amerikaner die vielbeschäftigte Redaktion der »Good Morning«-Sendung von City Radio anrief, nahm eine Volontärin ab, die später weinend gestand, sie habe nicht daran gezweifelt, daß es sich bei dem Anrufer um den Presseattaché der amerikanischen Botschaft mit einer echten Kurznachricht gehandelt habe. Siebzig Sekunden später wurde sie vom Discjockey mit aufgeregter Stimme verlesen.

Nigel Cramer hörte sie nicht, wohl aber seine heranwachsende Tochter.

»Dad«, rief sie aus der Küche, »Ihr werdet sie heute schnappen?«

»Wen schnappen?« fragte ihr Vater, der gerade in der Diele seinen Mantel anzog. Sein Dienstwagen wartete.

»Die Entführer … du weißt doch.«

»Das bezweifle ich. Warum fragst du?«

»Es ist gerade im Radio gekommen.«

Cramer spürte, daß ihn etwas Hartes in der Magengrube traf. Er drehte sich an der Tür um und kam in die Küche. Seine Tochter bestrich Toastscheiben mit Butter.

»Was genau haben sie im Radio gesagt?« fragte er mit beklommener Stimme. Sie sagte es ihm. Daß noch im Laufe des Tages der Austausch des Lösegelds gegen Simon Cormack stattfinden werde und daß sich die Behörden sicher seien, dabei der Kidnapper habhaft zu werden. Cramer rannte zu seinem Wagen hinaus und machte, während das Fahrzeug anfuhr, übers Autotelefon den ersten einer Reihe hektischer Anrufe.

Es war zu spät. Zack hatte zwar die Sendung nicht gehört, dafür aber der Südafrikaner.