Juni

Oberst Easterhouse wurde in der ersten Juniwoche von Miller empfangen. Er hatte in Saudi-Arabien alle Hände voll zu tun gehabt, aber Millers Aufforderung war unmißverständlich gewesen, und so flog er von Dschiddah über London nach New York und von dort sofort weiter nach Dallas. Ein Auto holte ihn pünktlich ab und fuhr ihn zum Privatflugplatz W. P. Hobby südöstlich der Stadt, von wo ihn der Learjet zu der Ranch brachte, die er noch nicht kannte. Sein Bericht über den Fortgang der Arbeiten war optimistisch und wurde mit Genugtuung aufgenommen.

Er konnte vermelden, daß sein Mittelsmann in der Religiösen Polizei enthusiastisch auf die Aussicht eines Regierungswechsels in Riad reagiert und Kontakt mit dem flüchtigen Imam der schiitischen Fundamentalisten aufgenommen hatte, nachdem Easterhouse ihm mitgeteilt hatte, wo der Mann sich versteckt hielt. Die Tatsache, daß der Imam nicht verraten worden war, bewies, daß der Eiferer von der Religiösen Polizei vertrauenswürdig war.

Der Imam hatte sich den Vorschlag angehört – der ihm ohne Nennung von Namen unterbreitet worden war, da er sich niemals damit abgefunden hätte, daß ein Christ wie Easterhouse zum Werkzeug Allahs werden sollte – und war angeblich nicht weniger begeistert.

»Der springende Punkt ist, Mr. Miller, daß die Hisbollah-Fanatiker bis jetzt noch keinen Versuch gemacht haben, sich den Leckerbissen Saudi-Arabien einzuverleiben, sondern es zunächst damit probiert haben, den Irak zu besiegen und zu annektieren, womit sie jedoch gescheitert sind. Ihre Zurückhaltung erklärt sich daraus, daß sie – mit Recht – fürchten, ein Versuch, das Haus Saud zu stürzen, würde die bislang unschlüssigen Vereinigten Staaten zu einer brutalen Reaktion provozieren. Die sind von jeher überzeugt, daß Saudi-Arabien ihnen zu gegebener Zeit in den Schoß fallen wird. Der Imam kann sich offenbar mit dem Gedanken befreunden, daß der Frühling nächstes Jahr – der Termin für die Feiern zum diamantenen Jubiläum ist jetzt endgültig auf April festgesetzt – nach Allahs Willen der richtige Moment sein wird.«

Zu dem Fest würden riesige Abordnungen aller siebenunddreißig größeren Stämme des Landes nach Riad strömen, um dem Herrscherhaus die Reverenz zu erweisen. Unter ihnen würden auch die Stämme aus der Region Hasa sein, die Ölarbeiter, die überwiegend der schiitischen Sekte angehörten. Unter sie würden sich die 200 ausgewählten Attentäter des Imam mischen, die unbewaffnet sein würden, bis die Schnellfeuergewehre samt Munition, die in einem von Scanlons Tankern heimlich ins Land gebracht werden sollten, an sie ausgegeben wurden.

Easterhouse konnte schließlich auch berichten, daß ein ranghoher ägyptischer Offizier – die ägyptischen Militärberater spielten in allen technischen Bereichen der saudiarabischen Armee eine entscheidende Rolle – zugesagt hatte, falls sein Land mit seiner riesigen Bevölkerung und seinem chronischen Geldmangel nach dem Coup Zugang zu saudiarabischem Öl bekäme, werde er dafür sorgen, daß schadhafte Munition an die Königliche Garde ausgegeben werde, so daß diese nichts zur Verteidigung ihrer Herren würde tun können.

Miller nickte nachdenklich. »Sie haben gute Arbeit geleistet, Oberst«, sagte er und wechselte dann das Thema. »Was meinen Sie, wie würden die Sowjets auf diese Übernahme Saudi-Arabiens durch Amerika reagieren?«

»Mit äußerster Verwirrung und Besorgnis, könnte ich mir vorstellen«, sagte der Oberst.

»In einem solchen Maße, daß es das Ende des Nantucket-Vertrages bedeuten würde?« wollte Miller wissen.

»Davon würde ich ausgehen«, sagte Easterhouse.

»Welche Gruppe innerhalb der Sowjetunion hätte am meisten Grund, den Vertrag und all seine Bestimmungen abzulehnen und ihn zum Teufel zu wünschen?«

»Der Generalstab«, sagte der Oberst, ohne zu zögern. »Diese Leute sind in der Sowjetunion in einer Lage, die der unserer Führungsstäbe und der Rüstungsindustrie zusammengenommen entspricht. Der Vertrag beschneidet ihre Macht, ihr Ansehen, ihr Budget und ihr Personal um 40 Prozent. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ihnen das behagt.«

»Seltsame Verbündete«, philosophierte Miller. »Gibt es irgendeine Möglichkeit zu einer diskreten Kontaktaufnahme?«

»Ich … verfüge über gewisse Beziehungen«, sagte Easterhouse vorsichtig.

»Ich möchte, daß Sie sie nutzen«, sagte Miller. »Sagen Sie einfach, es gebe in den Vereinigten Staaten starke Interessen, die dem Nantucket-Vertrag genauso ablehnend gegenüberstehen wie sie, Kreise, die der Ansicht sind, daß der Vertragsabschluß von Amerika aus verhindert werden kann, und an einem Meinungsaustausch interessiert wären.«

Das Königreich Jordanien ist nicht besonders pro-sowjetisch, aber König Hussein muß schon seit langem vorsichtig taktieren, um auf seinem Thron in Amman zu bleiben, und hat gelegentlich auch Waffen von den Sowjets gekauft, obwohl seine Haschemitische Arabische Legion überwiegend mit Waffen aus dem Westen ausgerüstet ist. Immerhin gibt es in Amman eine dreißigköpfige Gruppe sowjetischer Militärberater, die dem Militärattaché bei der sowjetischen Botschaft unterstellt ist. Easterhouse hatte den Mann kennengelernt, als er einmal im Auftrag seiner saudiarabischen Arbeitgeber der Vorführung eines sowjetischen Waffensystems östlich von Akaba beiwohnte. Da Easterhouse auf dem Rückweg über Amman kam, machte er dort Station.

Der Militärattaché, Oberst Kutusow, von dem Easterhouse überzeugt war, daß er dem GRU angehörte, war noch auf seinem alten Posten, und die beiden Männer trafen sich zu einem Dinner unter vier Augen. Der Amerikaner war verblüfft über die schnelle Reaktion. Zwei Wochen später suchte ein Abgesandter ihn in Riad auf und teilte ihm mit, gewisse Herren würden sich glücklich schätzen, unter äußerster Diskretion mit seinen »Freunden« zusammenzutreffen. Der Abgesandte händigte ihm ein dickes Päckchen mit Reiseanweisungen aus, das er ungeöffnet per Kurier nach Houston weiterschickte.