18. Kapitel
Marguarita starrte Zacarias aus riesigen, angstvollen und anklagenden Augen an. Sie sah sehr blass aus.
Was hast du getan?
Zacarias verlagerte sein Gewicht. Die Umwandlung begann nun also. Sein Blut arbeitete daran, ihren Körper zu verändern, ihre Organe umzuformen und Marguarita voll und ganz in seine Welt zu bringen. Ein Ausdruck der Zufriedenheit legte sich über sein Gesicht.
»Jetzt werde ich nie wieder gezwungen sein, hilflos unter der Erde zu liegen, während meine Seelengefährtin sich mit voller Absicht in Gefahr begibt. Du hast mir zum letzten Mal den Gehorsam verweigert, Marguarita.«
Unwillkürlich bleckte er die Zähne, die noch immer leicht verlängert waren. Seine Augen flackerten, und nach wie vor brodelte diese heiße, tödliche Masse vulkanischer Wut in seinem Bauch. Stunden hatte er in der Erde gelegen, aller Macht beraubt, während Marguarita ihr Leben und seine Seele aufs Spiel gesetzt hatte. Wozu? Es konnte keinen ausreichend guten Grund für eine derartige Entscheidung geben.
Er würde für immer entehrt sein. Sie wusste sogar die Wahrheit über ihn. Sie hatte sein dunkelstes Geheimnis gesehen, das er jahrhundertelang beschützt hatte – sein Legat der Finsternis. Sein eigener Vater war Momente, nachdem seine Mutter gestorben war, zum Vampir geworden. Und das wäre auch ihm selbst passiert. Hätte dieser DS es geschafft, Marguarita zu töten, hätte sich Zacarias als Vampir aus der Erde erhoben und jedes Lebewesen auf der Ranch getötet.
»Hol dich die Sonne, Frau!«, fluchte er, als heißer Zorn durch seine Adern rauschte und wie ein ausbrechender Vulkan das Eis durchbrach. Er konnte es nicht ertragen, sie zu berühren. Konnte nicht in ihrer Nähe sein, um ihren Duft zu atmen. Seine Frau. Seine Seelengefährtin. Verräterin! Riskierte alles für den kindischen Wunsch, ihm zu beweisen, dass sie ihm an Macht und Stärke ebenbürtig war. Dieses dumme Ding! Gefährdete sich selbst und ihn und seine Brüder und ihre Familien.
Er erhob sich vom Bett und begann, wie eine nervöse Dschungelkatze durch den Raum zu pirschen; noch immer war er ungeheuer aufgebracht und sehr gefährlich. Die Anspannung im Schlafzimmer nahm zu, doch er fand keinen Weg, die eisige Kontrolle wiederzugewinnen. Seine Wut hatte sich durch die massive Gletscherwand gebrannt, und seine Gefühle drohten außer Kontrolle zu geraten.
Zacarias hatte immer gewusst, dass er eine moderne Frau nicht verstehen würde. Er hatte sich damit abgefunden, seiner Seelengefährtin nie zu begegnen. Und er war mehr als bereit gewesen, ehrenhaft ins nächste Leben überzugehen. Marguarita hatte all das geändert und all seine Pläne zerstört, und sie hätte wenigstens die Ungeheuerlichkeit ihrer Handlungsweise erkennen müssen. Sie hatte kein Recht, seine Seele zu riskieren – nie und nimmer.
Marguarita wand sich, ihre Augen weiteten sich vor Schreck, und ihre Hände flogen zu ihrem Bauch. Ein ungutes Gefühl erfasste Zacarias. Seine ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich plötzlich auf sie. Marguarita hatte offensichtlich große Schmerzen. Aber er hatte in all den Jahrhunderten seines Lebens noch nie einen Menschen bei der Umwandlung gesehen. Seine Brüder waren bei der Umwandlung ihrer Frauen dabei gewesen, aber er hatte sie nicht einmal gefragt, wie so etwas vonstattenging. Zacarias wusste nur, dass ein dreimaliger Blutaustausch vonnöten war, mehr nicht – solange der Mensch wie Marguarita übersinnlich begabt war.
Doch jetzt verkrampfte ihm Angst den Magen. Es konnte doch wohl nichts schiefgehen? Er hatte machtvolles Blut, aber die Düsternis in ihm ging tief. Schatten krochen in seinen Kopf, beunruhigende, quälende Möglichkeiten, die Zacarias nicht bedacht hatte. War ihm ein Fehler unterlaufen?
»Was hast du?«, fragte er.
Marguarita zog die Beine an und drehte sich auf die Seite, dabei verzerrte sich ihr Gesicht vor Schmerz. Sie schloss die Augen, als wäre ihr sein Anblick unerträglich. Ein unerwartet scharfer Stich durchfuhr sein Herz, und er spürte den metallischen Geschmack von Furcht auf der Zunge.
»Was hast du? Ich will eine Antwort hören.«
Er konnte nicht warten, nicht wenn sie sich vor Schmerzen krümmte, Tränen über ihre Wangen strömten und ihr ganzer Körper sich verdrehte. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde er von Panik ergriffen. Was hier passierte, dürfte eigentlich gar nicht sein. Wieder suchte er die geistige Verbindung zu ihr, weil er fühlen musste, was sie empfand, und in ihrer Haut sein musste, um zu wissen, was mit ihr geschah. Zweimal versuchte er, Kontakt aufzunehmen, doch jedes Mal stieß er an eine Mauer.
Sie ließ ihn nicht zu sich. Ihn, ihren Seelengefährten. Seine Frau verweigerte ihm nicht nur den Gehorsam und bereitete den Weg zu einer Katastrophe, sondern verwehrte ihm jetzt auch noch den Zugang zu ihrer privatesten Verbindung. Sie hatte ihn ausgeschlossen, und nach der Stärke dieser inneren Tür zu urteilen, würde es einen Rammbock brauchen, um sie einzureißen.
Marguarita hatte eine natürliche Barriere, das wusste er, aber bisher hatte sie ihn stets hindurchgelassen. Jetzt, mit seinem Blut in ihren Adern, war diese Barriere sogar noch stärker als zuvor. Er hatte vorher schon Angst gehabt, ihr zu schaden, doch wenn er diesen Schutzschild jetzt zerstörte, war nicht vorherzusagen, was ihr widerfahren würde. Und die einzige Möglichkeit, zu ihr vorzudringen, war, diese Barriere einzureißen.
»Öffne dich mir!«
Sie antwortete nicht, sondern zog nur die Knie an die Brust, ihr langes Haar verbarg ihr Gesicht vor ihm. Marguarita hatte Schmerzen, das war mehr als offensichtlich. Er war sofort auf der anderen Seite des Zimmers und streckte die Hände aus, um sie auf den Bauch zu legen. Es gab mehr als einen Weg, an die Information heranzukommen, die er brauchte.
Marguarita holte tief Luft, als ließe der Schmerz nach, und wandte den Kopf, um ihn böse anzusehen. Das Haar, das ihr ins Gesicht fiel, war feucht vor Schweiß. Auch ihr Körper war von einem feinen Schweißfilm überzogen. Als Zacarias’ Hände sie berührten, erschauderte sie jedoch und versuchte, nach seinem Arm zu schlagen.
Fass mich nicht an! Ich meine es ernst. Und geh! Ich will dich nicht hier haben. Marguarita konnte nicht glauben, dass er ihr das angetan hatte. Jeder hier, sogar die Tiere, hatte gewusst, was für ein Monster er war. Alle außer ihr. Er war gefühllos, ein grausames, gefährliches Raubtier. Alles, was sie über ihn gedacht hatte, war pure Fantasie gewesen. Er hatte ihr das Herz gebrochen, und ihr war außer ihrem Stolz nichts geblieben. Sie ertrug es nicht, ihn anzusehen, und sie würde ihn nicht in ihren Geist eindringen lassen – nie wieder würde sie ihn an irgendetwas, das sie betraf, teilhaben lassen. Er würde sich nehmen müssen, was er von ihr wollte. Ihr gebrochenes Herz verursachte ihr viel schlimmere Qualen als der körperliche Schmerz, für den Zacarias verantwortlich war.
Zacarias war schockiert. Eine solch völlige Zurückweisung hatte er nicht erwartet, aber Marguarita schloss ihn nicht nur aus ihrem Bewusstsein aus, sondern glaubte auch, ihn von ihrem Körper fernhalten zu können. Bevor er jedoch etwas erwidern konnte, sah er, wie sie von der nächsten Schmerzwelle gepackt wurde, wie ihre Muskeln sich verkrampften und sie nach Atem rang. Ihre Augen waren vor Angst geweitet und ganz glasig vor Schmerz. Ihr Körper krümmte sich, spannte sich und krümmte sich wieder, und die Krämpfe waren so stark, dass sie sie fast vom Bett warfen.
Zacarias fing sie auf und hielt sie fest, weil er befürchtete, dass sie sich noch mehr verletzen könnte. Prüfend glitten seine Hände über ihre Haut, die jetzt vor Fieber brannte. All ihre inneren Organe verdrehten und verzerrten sich, bis sie zu zerreißen drohten. Ihre Haut war so heiß, dass er fast die Hand zurückgezogen hätte, als er heilende Wärme durch ihre Haut zu senden versuchte, die aber alles nur noch zu verschlimmern schien. Bei einem der Krämpfe bäumte sich ihr Körper auf, ihr Gesicht wurde völlig starr, und ihre Zähne pressten sich zusammen, bis sie knirschten. Die nächste Schmerzenswelle warf sie wieder zurück.
Beim Nachlassen des Schmerzes stieß Marguarita in stummer Auflehnung den Atem aus – und kaum fiel ihr Blick auf ihn, Zacarias, fuhr sie vor ihm zurück und ließ sich vom Bett fallen, um es zwischen sie zu bringen. Ihr Körper glänzte vor Schweiß, ihr Haar war feucht und vollkommen verheddert, als sie auf allen vieren vor Zacarias wegzukriechen versuchte. Von Schwäche übermannt, fiel sie aber auf den Bauch und blieb so liegen.
Zacarias war augenblicklich bei ihr, und sein Herz pochte genauso schnell wie ihres, weil seine Angst um sie wuchs. Er musste herausfinden, was nicht in Ordnung war und wie er ihr helfen konnte.
»Lass mich dir helfen, Marguarita!« Trotz seiner Furcht um sie war er um einen beruhigenden Ton bemüht.
Als er jedoch mit einer Hand nach ihrem Knöchel griff, trat Marguarita ihn mit dem anderen Fuß und richtete sich auf Hände und Knie auf, um vor ihm davonzukriechen.
»Hör auf damit! Ich will deinen Gehorsam nicht erzwingen müssen.« Seine Furcht wuchs mit dem Gedanken, Marguarita zu verlieren. Irgendetwas Schlimmes ging in ihrem Körper vor, und das musste er unterbinden.
Warum denn nicht? Ihr Gesicht war feucht vor Schweiß und mit kleinen roten Flecken übersät, als sie sich herumdrehte. Ihre Augen funkelten anklagend und verletzt zugleich. Ich habe mich ja so in dir geirrt! Du bist genau das, was du gesagt hast – ein Monster. Und dein angebliches Bindungsritual war eine Lüge. Die Worte bedeuteten überhaupt nichts. Sie waren gelogen wie alles andere.
Marguarita konnte kaum noch atmen, so groß waren Schmerz und Wut. Sie war entzückt gewesen von den Worten, die er ihr bei dem sogenannten Ritual zugeflüstert hatte. »Bindende Worte«, hatte er sie genannt. Mit Begriffen wie »ehren«, »Herz« und »Seele« hatte er sie nach Tradition seines Volkes geheiratet. »Du stehst für immer unter meinem Schutz«, hatte er gesagt. Er hatte ihr das Herz gestohlen mit diesen Floskeln, die so erstaunlich zärtlich geklungen und sie irgendwie aneinander gebunden hatten.
Es gibt keinen Schutz. Und schon gar nicht so etwas wie ›ehren‹. Nimm deine leeren Worte und behalte sie! Ich will sie nicht.
Zacarias stockte der Atem. Ihre Vorwürfe schmerzten ihn nicht weniger als der Anblick ihrer Tränen. Aber im Moment durfte nichts anderes ihn beschäftigen als ihr körperlicher Zustand. Er musste einen Weg finden, ihr zu helfen. Wieder konzentrierte er sich darauf, ein Schlupfloch in der Barriere in ihrem Geist zu finden.
»Marguarita«, sagte er mit leiser, fast schon hypnotisch weicher Stimme. »Du könntest in Gefahr sein, sívamet. Du musst mich nachsehen lassen, was in dir geschieht.«
Geh und lass mich damit allein! Ich schaffe das schon. Ich will nichts mit dir zu tun … Sie verstummte jäh, und ihre Augen weiteten sich. In einem stummen Schrei riss sie den Mund auf. Ein Ausdruck des Entsetzens verzerrte ihr Gesicht, als eine Welle der Bewegung durch ihren Magen ging und er sich zusammenzog, verkrampfte und entkrampfte und die Muskeln an ihren Armen und Beinen förmlich zu erstarren schienen.
Zacarias, der schon fast dem Wahnsinn nahe war vor Sorge, griff wieder nach Marguarita. Was war mit ihr? Was war schiefgegangen? Dies alles ergab nicht den geringsten Sinn für ihn. Es war offensichtlich, dass sie Todesqualen litt. Sie hatte keine Kontrolle mehr über ihren Organismus, der versuchte, Giftstoffe auszuscheiden und ihre Organe umzuformen, um ihren Körper von dem eines Menschen in den eines Karpatianers umzuwandeln. Zacarias war sicher, dass er ihre Schmerzen auf sich nehmen könnte, wenn sie ihn nur in ihr Bewusstsein ließe, doch selbst auf dem Gipfel der Qual geriet ihre Barriere nicht mal sekundenlang ins Schwanken. Er musste auf andere Weise in Marguaritas Geist gelangen, ohne ihr zu schaden.
Abzuwarten, bis der Schmerz wieder abflaute, war die reinste Qual für Zacarias, deshalb konzentrierte er sich auf seine Atmung und versuchte, genügend Luft für beide aufzunehmen. Er merkte, dass jeder Anfall länger dauerte und schlimmer als der vorangegangene zu sein schien, und wartete, bis er das Wiedererkennen in ihren Augen sah. Erst dann versuchte er es erneut.
»Marguarita. Du kannst nicht so weitermachen. Es wird schlimmer. Lass mich zu dir! Ich kann dir die Schmerzen nehmen.«
Zorn glomm in ihren dunklen Augen auf. Ich will deine Hilfe nicht. Lieber leide ich. Ich will diese Lehre, die du mir erteilt hast, mein Lebtag nicht vergessen.
Er musste sie am Reden halten. Die telepathische Verbindung war wie ein Faden zwischen ihrem Geist und seinem, und so suchte und fand Zacarias ihn und verflocht ihn sehr, sehr sachte mit dem seinen. »Das war nicht als Lektion gemeint, Marguarita. Du wusstest, dass ich dich in meine Welt bringen würde. Das war wichtig. Um uns beide zu schützen. Um meinen Brüdern zu ersparen, mich jagen zu müssen. Und um deine Familie hier vor einem ungleich schlimmeren Monster als alle anderen zu beschützen.«
Ich komme allein damit zurecht. Du kannst sagen, es sei keine Strafe, doch du hast es so gemeint.
Er fuhr sich mit den Händen durch das Haar. »Du wusstest, dass ich dich in meine Welt bringen würde, und warst damit einverstanden«, beharrte er mit leiser Stimme und hielt den Atem an, als er sehr vorsichtig und behutsam noch mehr von sich mit diesem feinen Faden verwob, den sie benutzte, um in sein Bewusstsein einzudringen.
Ich dachte, du würdest mich mit Liebe und Rücksichtnahme in deine Welt einführen, statt auf so kalte, gefühllose Art und Weise. Mit solchen Schmerzen. Sie schnappte erneut nach Luft und griff sich an den Magen. Ich will dich nicht. Geh weg!
Wieder rollte sie sich zur Seite und kämpfte sich auf Hände und Knie. Das starke Erbrechen, das sie schüttelte, war wie ein Ausbruch von Toxinen, die ihr Körper von sich gab. Wieder hatte sie keinerlei Kontrolle über ihren Körper, der sich so heftig verkrampfte, dass sie gegen die Wand geschleudert wurde. Wieder zog Marguarita die Knie an die Brust und rollte sich wie ein Embryo zusammen.
Entsetzt über ihre mangelnde Beherrschung, schlug sie die Hände vors Gesicht, als sie das Erbrochene auf dem Boden sah. Bitte geh!
Sein eiserner Halt an dem Faden zwischen ihnen wurde mit jedem Kontakt stärker. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er in ihr Bewusstsein eindringen und ohne ihr Einverständnis die Kontrolle übernehmen konnte.
»Hast du vergessen, was geschehen würde, wenn dir etwas zustieße, Marguarita?«, fragte er wieder sehr leise. »Du kennst mein Erbe. Du hast ein Geheimnis entdeckt, von dem nur wenige Kenntnis haben, mein dunkelstes Geheimnis, und trotzdem beharrtest du auf deinem Ungehorsam.«
Er fühlte sich verraten, obwohl er sich alle Mühe gab, den Schmerz darüber zu ignorieren und sich wieder einmal von allen starken Emotionen zu distanzieren. Doch nun, da der Damm durchbrochen war, war er einfach nicht mehr in der Lage, die Flut noch aufzuhalten. Der Rest der Welt war ihm egal, er fühlte sich nach wie vor von allem und jedem abgetrennt – außer, er konnte durch Marguarita etwas spüren. Sie und all das, was ihm in diesen vielen Jahrhunderten verloren gegangen war – das Gute wie das Schlechte.
Marguarita war zu seiner Welt geworden, und er hatte an sie geglaubt. Ihretwegen vertraute er auch wieder sich selbst – zum ersten Mal dachte er, er könnte vielleicht doch mit jemandem leben. Jahrhunderte hatte er allein verbracht und nur für seine Ehre gelebt, und jetzt, mit einer einzigen Entscheidung, hätte Marguarita alles zerstören und zunichtemachen können, was er je gewesen war.
Sein Vater war ihm nicht als der Mann in Erinnerung geblieben, der ihn aufgezogen und sein Leben geformt hatte. Zacarias erinnerte sich nur an den Untoten, diesen verrottenden, seelenlosen Vampir, der beinahe seine eigenen Söhne umgebracht hätte. Marguarita hätte ihn, Zacarias, zu der gleichen Erinnerung für seine Brüder gemacht – die ihn dann hätten jagen und töten müssen. Es war sogar möglich, dass er seine eigenen Brüder ermordet hätte.
Ein einziger Laut der Verzweiflung entrang sich seinen Lippen, und er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als könnte er die Erinnerung an Marguaritas Verrat so wegwischen.
Lass mich einfach allein mit meinem Schmerz!
Ihre Stimme war von Müdigkeit geprägt. Sie wurde schwächer, der Kampf zwischen Mensch und Karpatianer forderte seinen Tribut von Marguarita. Doch selbst nach seinen eindringlichen Worten schien sie noch immer nicht zu verstehen, was für einen furchtbaren Verrat sie an ihm begangen hatte. Aber Zacarias nahm sich zusammen, weil er es sich im Moment nicht leisten konnte, an sich selbst zu denken. Sie hatte große Probleme, und er wollte, nein, musste ihr helfen, die Verwandlung durchzustehen. Diese schreckliche, traumatische Episode musste endlich ein Ende haben.
»Du weißt, dass ich das nicht kann.« Er unterlegte seine Worte mit einem leichten Zwang, um Marguarita zu einer Antwort zu bewegen. Denn jedes Mal, wenn sie etwas sagte, öffnete sich ihr Bewusstsein ein wenig mehr. Zacarias hielt sich an dem Faden fest, der es ihm ermöglichen würde, die Kontrolle zu übernehmen, ohne ihre Barrieren einzureißen und ihr zu schaden.
Ich bin zu müde, um zu streiten. Tu, was du willst! Meine Wünsche kümmern dich ja anscheinend nicht.
Die Erschöpfung in ihrer Stimme alarmierte ihn. Wenn er irgendetwas mit Sicherheit über Marguarita wusste, dann, dass sie eine Kämpferin war. Aber in diesem Augenblick gab sie auf – sich selbst, ihr Leben und alles andere. Sie war bereit zu sterben.
Zacarias war so auf sie konzentriert, dass er die nächste Schmerzwelle schon beinahe vor ihr nahen spürte. Diesmal war sie sogar noch heftiger – als würde Marguarita von unsichtbaren Händen hochgehoben und dann wie eine Stoffpuppe wieder zu Boden geworfen. Sie fiel auf den Rücken, und ihre Finger flogen zu ihrer Kehle. Zacarias musste ihren zuckenden, sich windenden Körper fest ergreifen und ihn umdrehen, um sie vor dem Ersticken zu bewahren.
Gutes Zureden half nun nicht mehr. Er musste diese Qual beenden. Mit einer Handbewegung entfernte er alle Spuren des Erbrochenen und der ausgeschiedenen Giftstoffe von Marguaritas Körper und dem Boden. Eine frische Brise vertrieb die Gerüche im Raum, Kerzen flammten auf und trugen den angenehmen Duft von Lavendel durch das ganze Haus.
In seiner Verzweiflung übernahm Zacarias die Kontrolle und folgte dem dünnen Faden geradewegs in Marguaritas Geist hinein. Er erschrak über das absolute Chaos, das dort herrschte. An erster Stelle standen Furcht und Schmerz. Ihr Gefühl, verraten worden zu sein, war mindestens ebenso stark wie das seine. Ihre Beweggründe für ihren Ungehorsam hatten nichts mit Gleichberechtigung oder der Bewahrung ihrer Unabhängigkeit zu tun. Zum Teil war es ein Schwur gewesen, der ihr von Geburt an eingeimpft worden war; darüber hinaus hatten die Bande zwischen Seelengefährten und ihr eigener Charakter ihr einfach nicht erlaubt, Zacarias’ Leben zu gefährden.
Sie hatte aus Liebe zu ihm seine Anordnungen missachtet.
Zacarias stöhnte auf, als er die Tragweite dessen zu verstehen versuchte. Er verstand dieses Gefühl noch immer nicht richtig. Er hatte es vor langer, langer Zeit einmal empfunden, aber die Empfindung war in so weite Ferne gerückt, dass er sie nicht mehr als das erkannte, was sie war. Marguarita dagegen konnte lieben. Sie hatte sich in seine Obhut gegeben und sich darauf verlassen, dass er nur das Beste für sie wollte.
Ihre Liebe umhüllte und überschwemmte ihn. Wieder einmal durchströmte Wärme die Kälte in ihm, fand die Schatten und überbrückte die Lücken, wo sich Verbindungen befinden müssten. Zacarias spürte Marguarita in sich, wo sie hingehörte, und ihre Bemühungen, sie beide mit ihrer Liebe zusammenzuschweißen. Mit ihrer ganz besonderen Essenz.
Sie hatte eine schlechte Entscheidung getroffen, als sie ihm nicht gehorcht hatte, aber sie war sich der Tragweite der Auswirkungen nicht bewusst gewesen. Wie hätte es auch anders sein können? Schließlich kannte Marguarita die Prinzipien seiner Welt nur vom Hörensagen.
Zacarias hatte keine Zeit, sich seine Erkenntnisse durch den Kopf gehen zu lassen. Wichtig war jetzt nur, Marguaritas Qualen zu beenden. Zacarias legte seinen physischen Körper ab, strömte als pure Energie in Marguaritas und benutzte den feinen Faden, um den Weg zu finden.
Wie in ihrem Kopf, so herrschte auch in ihrem Körper Chaos. Er konnte deutlich sehen, was dort vor sich ging; die Organe gestalteten sich neu oder veränderten sich, um Marguarita zur Karpatianerin werden zu lassen. Er hätte wissen müssen, dass es eine Nahtoderfahrung sein würde, dass Marguarita als Mensch würde sterben müssen, um als Karpatianerin wiedergeboren zu werden. Aber sie kämpfte dagegen an. Auch das kam für Zacarias unerwartet.
Er war nicht zu ihr gekommen, um ihr Trost zu spenden, als sie ihn gebraucht hatte. Tatsächlich hatte er das Trauma sogar noch vergrößert, statt sie in die Arme zu nehmen und zu halten. Und jetzt wies sie ihn und seine Standpunkte genauso unnachgiebig zurück, wie er an ihnen festhielt. Obwohl sie gewusst hatte, dass sie leiden würde, hatte sie ihm den Zugang zu ihrem Geist verwehrt, weil sie nicht einmal seine Unterstützung bei der Verwandlung wollte. Weil sie weder ihn noch seinen Trost wollte.
Zacarias hatte sie für eine Närrin gehalten, weil sie etwas anderes in ihm sah als ein gefährliches Raubtier, das zu lange in der Dunkelheit gelebt hatte und dessen Seele schon schwarz geworden war. Und doch hatte Marguarita an den Schatten vorbeigesehen zu dem Mann, der sich irgendwo am Rande noch ans Leben klammerte. Wie verloren er gewesen war! Er hatte nichts anderes gekannt, als zu jagen und zu töten. Doch Marguarita hatte an ihn geglaubt und sich ihm aus freien Stücken hingegeben, im Vertrauen darauf, dass er sich an die rituellen Bindungsworte halten würde.
Zacarias nahm seine ganze Energie zusammen, bis er nur noch aus Macht und heilendem Licht bestand. Die Umwandlung der inneren Organe konnte beschleunigt werden, aber die einzige Möglichkeit, den Schmerz zu beenden, war, dass er so viel wie möglich davon auf sich nahm. Dass er ihn mit ihr teilte. Doch sie wehrte sich dagegen. Er hatte damit gerechnet, aber sie war schwach, und er war stark, und sein Blut gehorchte seinem Ruf.
»Entspann dich so gut wie möglich zwischen den Anfällen!«, sagte er sanft, als der Schmerz wieder nachließ, und hielt den Faden, diese einzige Verbindung zu ihr, fest umklammert.
Marguarita seufzte und wandte den Kopf ab, als er sie auf die Arme nahm und vom Boden aufhob. Das Zimmer war wieder sauber und roch nach Lavendel und Kamille. Das Bett war mit frischen, kühlen Laken bezogen, die den gleichen angenehmen Lavendelduft verströmten. Zacarias legte Marguarita in die Mitte des Bettes und streckte sich neben ihr aus, um sie in die Arme zu nehmen und ihr Halt zu geben.
»Ich weiß, dass du meine Hilfe nicht willst, Marguarita«, fuhr er leise fort und strich ihr das feuchte Haar aus dem Gesicht. Ihre langen Wimpern lagen wie zwei dunkle Halbmonde auf ihrer weißen, fast schon durchsichtigen Haut. Und die ganze Zeit fröstelte sie so unkontrollierbar, dass ihre Zähne klapperten. »Aber ich muss dir helfen. Ich habe keine andere Wahl.«
Kaum waren die Worte über seine Lippen, als ihm ein Gedanke kam. War es möglich, dass vielleicht auch Marguarita keine andere Wahl gehabt hatte? Diese starke, tiefe Liebe, die sie für ihn empfand, könnte ihre Verbindung noch viel stärker gemacht haben, als ihm bewusst gewesen war. Marguarita war in ihm, sie blickte auch in seine Seele und sah dort Dinge, von denen er selbst nichts wusste. Und diese positiven Eigenschaften, auf die sie sich verlassen hatte, mussten vorhanden sein, oder sie hätte kein so starkes Gefühl für ihn entwickeln können.
Ihre Wimpern flatterten, als sie ihm plötzlich das Gesicht zuwandte und ihn ansah. Die Intensität ihres Blickes traf Zacarias wie ein Schlag. Er konnte schon die Veränderung in ihren Augen sehen, deren Farbe jetzt noch dunkler und noch intensiver war. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, spürte er die nächste Welle des Schmerzes, die sie überschwemmte, noch schneller und härter als zuvor.
Es war ein Gefühl wie von tausend Messern, die auf Zacarias’ innere Organe einstachen, sie zerschnitten und in Fetzen rissen. Gleichzeitig fraß sich ein Feuer durch seinen ganzen Körper. Sein Innerstes fühlte sich zerbrochen an. Ihm blieb die Luft weg, als der nächste Schlag kam, eine Flutwelle des Schmerzes, der wie ein Rammbock seine Barrieren durchschlug. Zacarias’ Schädel schien plötzlich zu klein zu sein für das Gehirn und in einer Explosion von Granatsplittern zu bersten, die Schockwellen durch seinen ganzen Körper sandten.
Neben ihm verkrampfte sich Marguaritas Körper unter einer neuen Schmerzenswelle, und er zog sie an sich, spürte ihre Haut an seiner, teilte ihre Qualen und stand sie mit ihr durch, bis auch sein Körper wie der ihre mit winzigen Blutströpfchen bedeckt war, die sich miteinander vermischten.
Zacarias hatte nicht gewusst, dass es so schlimm sein würde. Wie hatte er aber auch so stur sein können, nicht einmal seine Brüder nach der Umwandlung zu fragen? Hatten sie sich untereinander erzählt, wie schlimm dieser Prozess sein konnte?
»Es lässt nach, sívamet«, flüsterte er. Indem er den Schmerz mit ihr teilte, konnte er zumindest die Heftigkeit der Anfälle verringern. »Versuch, ruhig durchzuatmen! Dein Herz schlägt zu schnell. Lass es sich dem Rhythmus des meinen anpassen!«
Nach einer Weile spürte er, wie ihr Herzschlag sich beruhigte. Für einen Moment erfasste Zacarias Panik. Sie sah resigniert aus, ganz und gar nicht wie die Marguarita, die sich allein bei Nacht, verfolgt von einem Raubtier, in einen Regenwald hinauswagte. Oder wie die Marguarita, die selbst dann noch ein Lächeln für ihn hatte, wenn er sich von seiner schlechtesten Seite zeigte.
Marguarita!, entfuhr es ihm bewegt. Er drückte sie an sich und umhüllte sie mit seinem Geist.
Diesmal wehrte sie sich nicht, weil sie viel zu schwach war, um überhaupt noch richtig zu verstehen, was mit ihr geschah. Zacarias lag neben ihr, lauschte dem Trommeln des Regens auf dem Dach und verstärkte das Geräusch, weil es sie beruhigte.
Neben ihm entspannte sich Marguarita allmählich. Oder zumindest wich die Anspannung weit genug aus ihren starren, verkrampften Muskeln, um die beruhigende Mischung aus Lavendel- und Kamilledüften einatmen zu können. Und da sie sich nicht mehr gegen ihn wehrte, löste sich auch die Verkrampfung in seinem Bauch.
Zacarias streichelte ihr liebevoll über das Haar und flüsterte ihr sinnlose Worte in seiner eigenen Sprache zu. Oder vielleicht waren sie ja gar nicht so sinnlos, vielleicht rührte er ja nur die Gefühle dieses tief in ihm verborgenen Fremden an, der wusste, dass er Marguarita nicht verlieren durfte. Die Empfindungen, die in ihm aufstiegen, waren schier überwältigend.
Marguarita konnte unmöglich verstehen, was er sagte. Als dann aber der nächste Anfall kam, richtete sie den Blick auf ihn, statt sich von ihm abzuwenden. Ihre Augen weiteten sich und verschleierten sich, als der Schmerz einsetzte. Diesmal war Zacarias jedoch vorbereitet und wusste, wie er ihr den größten Teil abnehmen konnte. Sie war von den Giftstoffen gereinigt und auf dem besten Wege, voll und ganz zur Karpatianerin zu werden. Als der Schmerz nachließ, spürte Zacarias, dass es jetzt vielleicht das Beste wäre, sie in die heilende Erde zu bringen.
»Ich kann dich einschlafen lassen, Marguarita. Wenn du erwachst, wirst du Hunger haben und Blut benötigen, aber du wirst nicht mehr solche Schmerzen haben.«
Ihr Blick glitt zu seinem, als er ihr die winzigen Blutströpfchen von der Stirn wischte.
»Du wirst als vollständige Karpatianerin erwachen.«
Ihre Zunge strich über die trockene Unterlippe. Das macht nichts. Ich will nur, dass diese Qualen endlich aufhören.
Er hasste die Resignation in ihr. Marguarita war durch und durch Feuer, leidenschaftlich und impulsiv. Wenn ihr etwas wichtig war, gab sie stets alles von sich. Doch nun war sie ausgelaugt, körperlich und geistig vollkommen erschöpft.
»Du sollst wissen, was ich vorhabe.« Er wartete, aber sie antwortete nicht. »Ich werde deinen ersten Schlaf herbeiführen, und danach wird dein Körper von selbst schlafen, wenn du es ihm befiehlst. Mein uraltes Blut fließt in deinen Adern. Es besitzt große Macht, und du wirst schnell lernen, sie zu nutzen.« Er musste sich beeilen, bevor die nächste Schmerzenswelle sie überrollte.
»Du weißt, dass die Erde dich erneuern und heilen wird.« Er versuchte nicht einmal, es wie eine Frage klingen zu lassen.
Ihre Wimpern flatterten, und Furcht stahl sich in ihren Blick, doch sie nickte. Wie werde ich reagieren, wenn ich mich unter der Erde eingeschlossen wiederfinde?
Er strich ihr beruhigend über das Haar. »Dann wirst du die Erde mit deiner Willenskraft entfernen. Indem du es ihr befiehlst. Stell dir einfach vor, dass sie dir gehorcht. Vielleicht wirst du es ein paarmal üben müssen, aber wenn du nicht in Panik gerätst, wird alles gut gehen.«
Ihr Herz schlug schneller vor Angst, doch sie nickte.
»Ich werde bei dir sein, um es dir zu erleichtern«, versprach er ihr.
Der Schmerz setzt wieder ein. Sie bat Zacarias nicht, sie fortzubringen, sondern ließ klar erkennen, dass sie ihn sogar in ihrem erschöpften Zustand um nichts bitten würde.
Aber Zacarias, der den herannahenden Schmerz im gleichen Moment wie sie verspürte, übernahm augenblicklich die Kontrolle und versetzte sie in den tiefen, heilenden Schlaf seines Volkes. Karpatianer stellten die Tätigkeit von Herz und Lungen ein und lagen da wie tot, während die vitalisierenden Nährstoffe und Mineralien der Erde ihre Wirkung entfalteten, um die Kräfte der Karpatianer neu erstehen zu lassen. So sanft er konnte, stellte Zacarias Marguaritas Herz- und Lungentätigkeit ein.
Dann hob er sie auf und drückte sie mit brennenden Augen und wehem Herzen sanft an seine Brust. Marguarita lag völlig schlaff in seinen Armen, und ihr Haar, das auf einer Seite hing, gab die zarte Biegung ihrer Wange und die langen schwarzen Wimpern frei. Sie sah so jung und unschuldig aus, eine schöne Frau, gezeichnet von der Umwandlung und desillusioniert von dem Mann, der geschworen hatte, sie zu ehren und zu beschützen.
Zacarias trug sie durch das Haus zu seinem großen Schlafzimmer und schwenkte die Hand, um das Bett aus dem Weg zu schieben. Der handgewebte Teppich folgte, und der Boden öffnete sich zu dem geheimen Schlafraum tief unter dem Fundament des Hauses. Mit einer weiteren Handbewegung öffnete er das Erdreich, das dunkel und reich an Mineralien war. Er spürte, wie die Erde schon nach Marguarita griff, als er mit ihr in diesen warmen, einladenden Kokon hinunterschwebte.
Sehr behutsam legte er sie nieder und schob sanft ihr langes Haar zur Seite, bevor er sich über sie beugte und einen Kuss auf ihre Lippen hauchte. Sie würde es nicht spüren – nicht wissen, wie dumm er sich benahm, wenn sie schlief, doch er zögerte nicht, die Finger über ihren Arm zu ihrer Hand hinuntergleiten zu lassen und sie mit ihren zu verschränken. Eine unerwartete Zärtlichkeit wallte in ihm auf.
War es möglich, dass er sie verloren hatte? Sie hatte sich ihm entzogen, ihn zurückgestoßen. Das schmerzte. Ausgerechnet, als sie ihn am meisten gebraucht hatte, hatte sie ihn zurückgewiesen. Sie hatte lieber gelitten, als ihn in ihr Bewusstsein eintreten zu lassen und sich geistig mit ihm zu vereinen. Seine Weigerung, sich dem modernen Leben anzupassen, hatte ihn alles gekostet.
Zacarias’ Augen brannten, als er sich neben ihr niederlegte. Auch jetzt hielt er ihre Hand und streichelte sie. Er hatte in Marguarita alles gehabt. Sie hatte ihm eine Welt geboten, die er sich kaum hatte vorstellen können. Er hatte nicht einmal gewusst, wie sehr er sich all das wünschte. Nicht die Leute und auch nicht die Freunde; dazu kannte er sich gut genug. Er war ein Einzelgänger, aber Marguarita zuliebe konnte er andere tolerieren. Er hätte der Bedeutung dieser rituellen Bindungsworte mehr Beachtung schenken und besser darauf achtgeben sollen, was die einzelnen Worte des Bindungsrituals bedeuteten. Ihr Glück. Ihr Wohlergehen.
Er war ein Mann, der sich nicht grundlos seiner selbst so sicher war. Und deshalb konnte er die Verantwortung nicht auf Marguarita abwälzen. Nichts von all dem wäre geschehen, wenn er Solanges Blut noch einmal genommen hätte, als sie es ihm angeboten hatte. Ihre Lebensessenz war ein unglaubliches Geschenk an sein Volk. Wenn ein Karpatianer es mehrmals trank, verlieh es ihm die Fähigkeit, sich in der Sonne aufzuhalten. Aber er, Zacarias, hatte ja nichts mit der modernen Welt und ihren neumodischen Gebräuchen zu tun haben wollen; er hatte bleiben wollen, wo er sich auskannte und wohlfühlte. Hätte er Solanges Blut noch einmal genommen, wäre es wahrscheinlich kein Problem für ihn gewesen, am helllichten Tag einzugreifen, die Situation unter Kontrolle zu bringen und seine Gefährtin zu beschützen. Aber seiner verdammten Sturheit wegen hatte er nicht die Mittel und Möglichkeiten dazu gehabt.
Zacarias stöhnte und schüttelte den Kopf. Er hatte die Möglichkeiten gehabt, seiner Frau Schutz und Glück zu bieten, war jedoch zu arrogant, zu erfüllt von seinem Stolz und seinem Ehrgefühl gewesen, um sich die Geschenke zunutze zu machen, die ihm angeboten worden waren. Aber damit war jetzt Schluss.
Er war ein Kämpfer, und Marguarita Fernandez eine Frau, um die es sich zu kämpfen lohnte. Er war der Mann, dem es bestimmt war, an ihrer Seite zu sein. Mit wehem Herzen zog er ihre Hand an den Mund und bedeckte sie mit kleinen zarten Küssen.
Bleib bei mir, mica emni kunenak minan – meine schöne Närrin! Ich verspreche dir, dass ich ein besserer Mann und besserer Gefährte für dich sein werde. Du hast dich mir einmal geschenkt. Tu es wieder. Ich habe gelernt, was ehren und wertschätzen bedeutet. Und ich schätze und verehre dich mehr als alles andere auf der Welt.
Nachdem er noch einmal ihre Hand geküsst hatte, schloss er die Erde über Marguarita und verließ den Raum, um in die Nacht hinauszugehen. In seine Welt, zu der er gehörte. Zum ersten Mal spürte er seine Affinität zu ihr, die starke Verwandtschaft seiner Spezies mit der Nacht. Wolken trübten den Halbmond. Die weiche Melodie des beständigen, sanften Regens war Musik für Zacarias, und Insekten und Frösche lieferten den Chor zu der nächtlichen Sinfonie. Er würde all das auch zu Marguaritas Welt machen. Aber ihr zuliebe musste er vorher wenigstens ein paar Schritte in die Welt wagen, die ihr am Herzen lag.
In seinem ganzen Leben hatte er noch nie jemanden um Hilfe gebeten. Weder seine Brüder noch die, die tapfer genug waren, ihn »Freund« zu nennen. Hilfe zu erbitten verstieß gegen Zacarias’ Verhaltensregeln, doch er wusste dass er seinen Stolz Marguarita zuliebe überwinden musste. Langsam trat er von der Veranda in den Regen hinaus und lauschte den vertrauten Geräuschen der Geschöpfe der Nacht. Ohne Marguaritas Geist in seinem, der all die gebrochenen Verbindungen überbrückte und die dunklen Schatten mit Licht erfüllte, sah er nicht mehr in Farbe, doch die Erinnerung daran war noch sehr stark in ihm. Wie könnte es auch anders sein? Marguarita war in seinen Gedanken und in seinem Herzen, sie war mit seiner Seele verbunden, und er spürte seine Liebe zu ihr, auch wenn er ansonsten zum größten Teil wieder gefühllos war.
Zacarias sandte seinen Ruf in die Nacht. Ich brauche dich, Dominic. Komm zu mir! Es ist äußerst dringend.
Ein Teil von ihm empfand es als beschämend, den einzigen Karpatianer zu rufen, den er als eine Art Freund betrachtete. Männer wie Dominic Drachensucher und er hatten nicht wirklich Freunde. Zacarias war nicht einmal sicher, was genau das Wort »Freund« beinhaltete. Er würde sterben, um Dominic zu beschützen, aber das war seine Art zu leben und keine Freundschaft.
Ich muss so schnell wie möglich zu den Karpaten. Wir haben Neuigkeiten, die wir dem Prinzen überbringen müssen.
Die Antwort war schwach, als käme sie aus weiter Ferne. Doch zumindest war Zacarias’ Ruf gehört worden, was bedeutete, dass Dominic in Reichweite war, sodass er ihn treffen und vielleicht noch zu Marguarita zurückkehren konnte, bevor die Nacht zu Ende war.
Ich werde zu dir kommen. Gib mir den Ort an, an dem ich dich treffen kann! Ich brauche einen Blutaustausch.
Bist du verletzt?
Noch immer gab es einen Teil von Zacarias, der niemandem anvertrauen wollte, dass er eine Gefährtin hatte. Marguarita war ihm viel zu wichtig, und er befürchtete, dass sie zur Zielscheibe all seiner Feinde werden würde, falls es sich herumsprach. Und er hatte viele Feinde. Doch so, wie die Dinge lagen, schloss er nur kurz die Augen und zwang sich, dem anderen Karpatianer zu vertrauen. Meine Seelengefährtin wird in ein paar Tagen mit großem Hunger erwachen, und es wird nötig sein, sie unaufhörlich zu beschützen. Sie ist schon einmal in Gefahr geraten, weil ich so dumm war, Solanges Geschenk zurückzuweisen.
Selbst über die große Entfernung spürte er Dominics Verblüffung, die ihm fast ein Lächeln abrang. Obwohl er wusste, dass er immer anders sein würde und ohne Marguaritas Gegenwart auch nie wie andere empfinden würde, verspürte er in diesem Moment tatsächlich echte Belustigung über Dominics Reaktion.
Diese ’Neuigkeit kommt … überraschend, ist aber sehr erfreulich.
Gib mir deine Koordinaten, Dominic! Dann werde ich zu dir kommen und es hoffentlich noch vor Ende der Nacht schaffen, zu meiner Frau zurückzukehren. Sie darf nicht ohne Schutz sein. Wir haben schon eine Konfrontation mit menschlichen Vampirjägern hinter uns. Und wenn sie uns finden konnten, könnten noch weitere kommen.
Zacarias war sicher, dass Ruslan in der Gegend war, doch er hatte sich bisher nicht sehen lassen, und die kleinen Angriffe auf die Ranch waren in Zacarias’ Augen nur Versuche. Möglicherweise plante Ruslan ja, sogar mit seiner stark dezimierten Armee den Prinzen anzugreifen, und die Angriffe auf die Ranch waren nur Ablenkungsversuche – aber Zacarias wollte nichts riskieren.
Dominic sandte ihm die nötige Information, und Zacarias erhob sich in die Luft.
Ich bin noch nicht dort, sondern komme dir entgegen, übermittelte Dominic ihm. Ich habe wenig Zeit, da meine Mission äußerst dringend ist, doch der Umweg dürfte uns nicht mehr als zwei Stunden kosten. Du solltest wissen, dass wir experimentiert haben, Zacarias, und obwohl wir jetzt ins frühe Morgenlicht und späte Abendlicht gehen können, kommt alles auf den Stand der Sonne an. An unseren karpatianischen Bedürfnissen hat sich nichts geändert. Dein Körper wird noch immer bleiern sein, wenn die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht, und es auch für mehrere Stunden bleiben. Wir sind nach wie vor verwundbar, und es ist sehr gefährlich, beim Experimentieren von der vollen Kraft der Sonne erfasst zu werden. Ich glaube, je näher wir daran sind, zum Vampir zu werden, desto weniger wird Solanges Blut wirken.
Zacarias verstand Dominics Warnung, doch er war bereit, das Risiko einzugehen. Nicht, weil er den Wunsch verspürte, das Tageslicht zu sehen, sondern weil Marguarita es liebte und er so lange wie möglich an ihrer Seite sein und sich an ihrem Glück erfreuen wollte. Und wenn der Moment kam, sich in die Erde zu begeben, würde sie ihn begleiten. Er würde nie wie andere Karpatianer sein und sich in ihrer oder in menschlicher Gesellschaft wohlfühlen können. Er wusste, dass er nie so wie sie für andere empfinden würde. Seine Welt würde Marguarita sein, so wie seine Mutter die Welt seines Vaters gewesen war.
Ich werde vorsichtig sein und meine Grenzen lernen, Dominic. Geht es meinen Brüdern gut?
Sie sorgen sich um dich. Vielleicht solltest du sie mit deiner Seelengefährtin besuchen. Sie haben lange auf diesen Tag gewartet.
Zacarias wusste, dass er nicht darum herumkommen würde. Ein Teil von ihm wünschte sich dieses Wiedersehen sogar, aber ihm war auch klar, dass es nicht das sein würde, was seine Brüder erwarteten, und er wollte sie wirklich nicht enttäuschen. Er hatte in all den langen Jahrhunderten des Alleinseins schon zu viel verloren. Marguarita erfüllte ihn und ermöglichte ihm, Gefühle zu entwickeln und Farben zu sehen, doch als er jetzt über den Regenwald flog, war wieder alles grau und öde. Farben und Gefühle hielten sich nicht lange ohne Marguarita in seiner Nähe.
Sein Vater hatte das Fehlen von Emotionen und Farben irgendwann nicht mehr ertragen können und sich schließlich dafür entschieden, seine Frau mitzunehmen, wenn er in den Kampf zog. Heute hatte Zacarias eine gute Vorstellung davon, wie schwierig das gewesen sein musste, besonders als die beiden dann Kinder bekommen hatten und sein Vater nichts für sie hatte empfinden können, wenn seine Seelengefährtin nicht nahe genug gewesen war, um sich mit ihm zu verbinden. Zacarias sandte ein stummes Stoßgebet zu welcher höheren Macht auch immer, dass er die Kraft haben möge, Marguarita niemals in Gefahr zu bringen und ihre Sicherheit stets über seine eigenen Bedürfnisse stellen möge. Lass mich nie den Fehler machen, sie meiner eigenen Schwäche wegen zu gefährden!
Für die lange Reise zu Dominic, der ihm entgegenkam, brauchte Zacarias etwas weniger als zwei Stunden, was bedeutete, dass er es nur ganz knapp schaffen würde, bis Sonnenaufgang zu Marguarita zurückzukehren. Die beiden Männer begrüßten sich nach Art der karpatianischen Krieger, indem sie die Unterarme des anderen ergriffen.
»Bur tule ekämet kuntamak«, begrüßte Zacarias ihn. Sei gegrüßt, Blutsbruder.
»Eläsz jeläbam ainaak«, antwortete Dominic. Lang mögest du im Lichte leben. Seine durchdringenden Augen musterten ihn prüfend.
Zacarias schüttelte den Kopf. »Du wirst nicht sehen, was du zu sehen hoffst. In Marguaritas Nähe kann ich Gefühle empfinden und Farben erkennen, aber ohne sie bin ich vollkommen allein in einer öden, grauen Welt.« Er wusste, dass irgendwo in der Nähe Dominics Gefährtin bereitstand, um ihren Seelengefährten zu verteidigen. Solange war eine nicht zu unterschätzende Kriegerin, und Zacarias spürte, wie sich die Härchen an seinem Nacken sträubten und ihn auf die von ihr ausgehende Gefahr hinwiesen.
Dominic seufzte, als er die Arme sinken ließ und zurücktrat. »Das tut mir leid, mein Freund.«
Zacarias zuckte die Schultern. »Sie ist zum Mittelpunkt meiner Welt geworden, und ich akzeptiere das und bin dankbar für eine Chance, mit der ich nie gerechnet hätte. Nur Marguarita zuliebe bin ich hier.«
Dominics Blick wich nicht von Zacarias’. »Du bist also bereit zu einem Blutaustausch mit mir?«
Jäger gaben einander Blut, falls nötig, aber ein Austausch hatte zur Folge, dass ein Krieger den anderen mühelos aufspüren konnte. Der bloße Gedanke war Zacarias zuwider. Er war ein Einzelgänger, und Sicherheit ging ihm über alles. Weltabgewandt und zurückgezogen, wie er lebte, achtete er sehr darauf, keine Spuren zu hinterlassen, wenn er nicht verfolgt werden wollte.
Für Marguarita würde er das Vertrauen jedoch aufbringen müssen, und deshalb nickte er.
Dominic lächelte. »Es ist nicht nötig«, sagte er und winkte seiner Seelengefährtin. Solange, eine gefährliche Frau, die nicht zögern würde zu töten, falls es nötig war, trat aus ihrer Deckung, und zu Zacarias’ Überraschung schien sie über das Wiedersehen erfreut zu sein.
Bei ihrem Anblick verspürte Zacarias ein seltsam kribbelndes Gefühl im Magen. Er musste zurück – zurück zu Marguarita. Ganz allein zu sein war etwas, das er nicht mehr ertragen konnte. Er nahm das Handgelenk, das Solange ihm darbot, und trank nun schon zum dritten Mal von dieser mächtigen Frau. Auch Dominic gab ihm von der Mischung seines machtvollen Blutes, das Zacarias an Marguarita weitergeben würde.
»Ich habe schon zweimal das Blut deiner Frau getrunken, Dominic, und ich kann mich in der Morgensonne aufhalten. Trotzdem verbrennt mich noch die Mittagssonne. Glaubst du, dass Solanges Blut sogar bei mir etwas bewirken könnte?«
Dominic zuckte die Schultern. »Die Wirkung wird mit jeder Blutaufnahme stärker, aber alles hat seine Grenzen, und der einzige Weg, es herauszufinden, ist, es zu probieren. Doch achte stets darauf, ein Sicherheitsnetz bereitzuhalten! Und sei vorsichtig!«
Zacarias nickte. »Ich kann Marguarita nicht lange fernbleiben. Ich danke euch beiden. Möge der Wind euch eine schnelle Reise ermöglichen!« Er drückte fest Dominics Unterarme und verneigte sich leicht vor Solange, bevor er sich wieder in die Luft erhob. Sein Herz schlug höher. Marguarita … Bald würde er wieder bei ihr sein.