Die Wettermacherin
Petrus bemerkte allmählich, dass er auch nicht mehr der Jüngste war. Die Menschen bekamen es zu spüren, weil er immer häufiger vergaß, das Wetter in manchen Regionen umzustellen, was unmäßig lange Dürre- oder Regenperioden zur Folge hatte. Er war immer schlecht im Delegieren gewesen, aber so konnte es nicht weitergehen, das hatten seine treuen Fans nicht verdient. Er musste abgeben. Es reichte, wenn er das globale Wettergeschehen im Auge behielt und lenkte, das regionale Wetter mochten andere machen. So konnten Fehlentscheidungen nur einen begrenzten Schaden anrichten. Petrus gab seinen Mitarbeitern, die bisher, ohne jede eigene Entscheidungsbefugnis, nur Wetterdaten gesammelt hatten, den Befehl, Land für Land, Ort für Ort nach geeigneten Menschen Ausschau zu halten, die ihn beim Wettermachen unterstützen sollten. „Zuverlässig, dynamisch, schauspielerisch begabt“, legte er die Auswahlkriterien fest.
„Weiblich oder männlich?“
„Am liebsten weiblich.“
„Und warum?“
„Weil Frauen die besseren Schauspielerinnen sind.“
Die Mitarbeiter wunderten sich über das dritte Kriterium und fragten nach.
„Meine Helfer dürfen nicht wissen, was sie tun, sonst kommen sie auf dumme Gedanken. Das Wetter muss unabsichtlich geschehen. Deshalb werde ich es an ihre Gefühlsäußerungen knüpfen. Und Frauen zeigen nun mal die stärkeren Gefühlsbewegungen. Bei Männern würde das Wetter schnell langweilig werden.“
„Und machen wir vorab eine Schulung?“
„Nur das nicht, dann wüssten ja alle, wo und wie der Hase läuft, und das sollen sie eben nicht.“
Petrus´ Mitarbeiter schwärmten aus in alle Himmelrichtungen, um Wettermacherassistentinnen ausfindig zu machen, die die vorgegebenen Kriterien erfüllten, eine Aufgabe, deren Erledigung Monate dauerte, aber sie nahmen die Mühen gerne auf sich, weil Fernreisen tausendmal aufregender waren, als Tag für Tag am Wolkenschreibtisch Wetterdaten auszuwerten.
In dem kleinen Heideort Unterhasenbüttel fiel die Wahl auf die siebzehnjährige Silfira Wolkenstern, denn einerseits waren Petrus´ Mitarbeiter nicht unempfindlich gegenüber jugendlicher Anmut und Schönheit und andererseits fasziniert von dem poetischen Namen. Petrus stimmte ohne Zögern zu und aktivierte die Wettermacherfunktion. Das bedeutete, dass vom selben Augenblick das Wetter in Unterhasenbüttel und Umgebung in die Hand oder besser: Mimik von Silfira Wolkenstern gelegt war. Zog sie die Stirn kraus, bezog sich der Himmel, lächelte sie, kam die Sonne durch, weinte sie, begann es zu regnen, zürnte sie, gewitterte es, und wenn sie mit den Augenbrauen zuckte, blitzte es. Zum Glück für Unterhasenbüttel lachte Silfira oft und gerne, sodass fast immer die Sonne schien, wenn sie, selten genug, einmal weinte, dann allenfalls vor Glück. Petrus´ Mitarbeiter hatten Silfira nämlich zu einem günstigen Zeitpunkt gefunden, als sie sich gerade in Jochen Überschwang verliebt hatte und auch wiedergeliebt wurde, sodass sie sich im siebenten Himmel wähnte. Einen so traumhaften Sommer hatte Unterhasenbüttel seit Menschengedenken nicht mehr erlebt. Petrus begann schon zu knurren: „Die kleine Dame meint es etwas zu gut mit diesem Heidekaff und denkt nicht an die Folgen. Das Land fängt schon an zu verdorren.“
Zu verdorren begann im Herbst auch die junge Liebe, jedenfalls von Jochens Seite, der einen Job in der Kreisstadt und dort schnell eine ältere, reifere Freundin gefunden hatte, die seinen Bedürfnissen stärker entgegenkam. Seine Anrufe wurden immer seltener, sodass Silfiras Lachen verstummte. Der Himmel bewölkte sich, es fing an zu tröpfeln, und als Jochen Silfira auch noch verriet, dass es aus sei zwischen ihnen, öffneten sich alle Schleusen – die von Silfiras Augen ebenso wie die des Himmels über Unterhasenbüttel. So viele Gewitter wie in diesem Monat waren in dem Heideort noch nie gezählt worden.
„Ich habe die junge Dame wohl doch unterschätzt“, sagte Petrus anerkennend. „Jetzt zieht sie alle Register. So soll es sein. Eine gute Wahl habt ihr getroffen.“
Jugend und Verliebtheit sind untrennbar miteinander verwoben, und so dauerte es auch nicht lange, bis Jochen Überschwang vergessen und Hartwig Hebebaum den Platz in Silfiras Herzen und Träumen eingenommen hatte. Die dunklen Wolken zogen ab und Himmel und Heide leuchteten wieder im gleißenden Sonnenlicht.
„In diesem Jahr hatten wir wirklich von allem etwas, dennoch war es wettermäßig insgesamt ein gutes Jahr“, rieb sich Bürgermeister Martin Glöcklein die Hände. „Die Zahl der Übernachtungen in meinem Heidekrug hat um 34,7 Prozent zugenommen. Das haben wir nicht zuletzt unserem guten Wetter zu verdanken.“