Amaschwa

 

 

 

Die Amazonenfrauen entdeckten auf ihren Streifzügen eine fremde Frau am Ufer des Vulkansees. Halb verhungert und halb erfroren, der hagere Körper, Kopf und Haare von einer dicken Kruste schwarzer Asche bedeckt. „Amaschwa, schwarze Amazone“, rief eine der Kriegerinnen spöttisch aus, und bei diesem Namen blieb es, obwohl die Unbekannte schon nach dem ersten flüchtigen Bad im Vulkansee sich als schneeweiß herausstellte im Gegensatz zu den von der Sonne dunkelbraun gebrannten Amazonenkriegerinnen. Die Fremde sprach eine Sprache, die die Amazonen noch nie gehört hatten. Eine Verständigung war nur über Zeichen möglich, doch die reichten nicht aus, herauszufinden, woher die Fremde stammte und wie sie an den Vulkansee gelangt war. Sie machten ihr verständlich, dass sie bei ihnen bleiben könne, wenn sie wolle.

Sie statteten Amaschwa mit einem lammfrommen Pferd aus, um ihr Stürze beim Reiten zu ersparen und lehrten sie mit Pfeil und Bogen zu schießen.

Wie sich die Amazonen die Zeit vertrieben, blieb Amaschwa nicht verborgen, war sie doch den ganzen Tag mitten unter ihnen. Sie ritten von Tal zu Tal, immer auf der Jagd nach Männern. Die meisten von ihnen töteten sie mit einem Pfeil in Hals oder Brust. Das hatten sie bisher noch nicht von Amaschwa verlangt, doch würde der Tag unweigerlich kommen, an dem sie mit dem ersten Todesschuss für immer in die Gemeinschaft der Amazonen aufgenommen werden würde. Mädchen und Frauen, sofern sie nicht zu jung oder alt waren, wurden als Sklavinnen mitgeführt. Und auch ein paar Männer nahmen sie jedes Mal mit, um sich nachts die Zeit mit ihnen zu vertreiben. Am Morgen danach banden sie sie als Zielscheibe für ihre Schießübungen an Bäume. Es war bei Todesstrafe verboten, einen Mann länger als 24 Stunden am Leben zu lassen.

Am Ende des nächsten Ausritts schoben die Amazone Amaschwa einen jungen, nur mit einem Lendenschurz bekleideten Mann zu, dem sie die Hände auf den Rücken gefesselt hatten. Sie bedeuteten ihr mit den Fingern: 24 Stunden, keine Stunde länger, und dann … Eine Amazone spannte den Bogen und legte auf den Gefangenen an.

Amaschwas Entschluss stand fest. Nach Mitternacht, als alle schliefen, löste sie die Fesseln des jungen Mannes, und sie schlichen sich mit zwei Pferden aus dem Lager. Sie ritten zwei Nächte und einen Tag, bis die glaubten, vor Verfolgung sicher zu sein. Keiner von ihnen wusste, wohin sie reiten sollten, keiner von ihnen wusste, wo sie waren. So blieben sie endlich in einem fruchtbaren Tal und bauten in der Nähe eines Flusses eine Hütte.

Er lernte ihre Sprache, sie die seine, die sich mit den Jahren zu einer vermischten. Sie bekamen Kinder und begründeten so, was sie allerdings noch nicht wissen konnten, die spätere Dynastie der Amaschwiden, die viele Jahrhunderte lang in blutige Kämpfe mit den Amazonen verwickelt war, die sie nach vielen Opfern für immer besiegten.

Amaschwa hatte, ohne sich je Rechenschaft darüber abgelegt zu haben, den Beweis dafür erbracht, dass Milde und Mitleid Hass und Mordgier überdauern.