Er rutschte wie auf einer dünnen Schicht eiskalten Wassers in das Griewerloch. Zuerst traf die Kälte seine Füße, dann umgab sie seinen ganzen Körper. Die Welt um ihn herum wurde noch dunkler, als er mit den Füßen auf einer glitschigen Oberfläche landete und sofort wegrutschte. Er fiel rückwärts in Teresas Arme. Zusammen mit Chuck half sie ihm hoch. Ein Wunder, dass Thomas mit seinem Speer niemandem ein Auge ausgestochen hatte.
Ohne den Lichtstrahl aus Teresas Taschenlampe wäre es im Griewerloch stockfinster gewesen. Thomas begann sich zu orientieren und bemerkte, dass sie in einem drei Meter hohen, röhrenförmigen Tunnel mit Steinwänden standen. Es war feucht und alles war mit glänzendem, schleimigem Öl bedeckt. In eine Richtung erstreckte sich der Tunnel einige Dutzend Meter, bis er in der Dunkelheit verschwand. Thomas schaute hoch zu dem Loch, durch das sie gefallen waren – es sah aus wie ein quadratisches Fenster zu einem weiten, sternenlosen Weltraum.
»Der Computer ist da drüben«, sagte Teresa.
Sie hatte die Taschenlampe auf ein kleines, schmieriges Glasquadrat ein paar Meter weiter vorn im Tunnel gerichtet, das mattgrün leuchtete. Darunter war eine Tastatur in die Wand eingelassen, auf der man im Stehen tippen konnte. Der Computer wartete nur darauf, dass sie den Code eingaben. Thomas kam das viel zu einfach vor – zu schön, um wahr zu sein.
»Gib den Code ein!«, rief Chuck und stieß ihn an der Schulter vorwärts. »Mach schnell!«
Thomas gab Teresa ein Zeichen, das zu übernehmen. »Chuck und ich passen auf, dass keine Griewer durch das Loch kommen.« Er hoffte, dass die anderen Lichter sich jetzt, nachdem sie ihnen den Durchgang verschafft hatten, darauf konzentrierten, die Biester von der Klippe fernzuhalten.
»Okay«, erwiderte Teresa – Thomas wusste, dass sie zu klug war, um Zeit mit Diskussionen zu verschwenden. Sie ging zur Tastatur und dem Bildschirm und fing an zu tippen.
Warte!, rief Thomas ihr in Gedanken zu. Bist du sicher, dass du die Wörter weißt?
Sie drehte sich um und sah ihn wütend an. »Ich bin nicht bescheuert, Tom. Ich kann mich sehr gut –«
Ein lauter Knall hinter und über ihnen schnitt ihr das Wort ab. Thomas schoss herum und sah einen Griewer wie von Zauberhand aus dem schwarzen Quadrat auftauchen. Um durchzukommen, hatte er seine Arme und Spikes eingezogen – als er mit einem schmatzenden Rums landete, schossen seine zahlreichen furchterregenden Werkzeuge wieder heraus. Sie sahen gefährlicher aus als je zuvor.
Thomas schob Chuck hinter seinen Rücken und stellte sich der Kreatur mit erhobenem Speer in den Weg, als ob er sie damit aufhalten könnte. Er brüllte: »Mach einfach weiter, Teresa!«
Eine lange, dünne Metallstange schoss aus der glitschigen Haut des Griewers, an ihrem Ende entfalteten sich drei rotierende Klingen, die direkt auf Thomas’ Gesicht zukamen.
Er hielt das Ende seines Speers mit beiden Händen fest und senkte die Spitze mit dem Messer vor sich auf den Boden. Die ausgefahrenen Klingen waren nur noch einen Meter davon entfernt, ihm die Haut aufzuschlitzen. Als sie sich auf einen halben Meter genähert hatten, schwang Thomas den Speer mit aller Kraft in Richtung Decke. Er traf den Metallarm und katapultierte ihn nach oben, von wo er in hohem Bogen auf den Körper des Griewers herabstürzte. Das Monster stieß einen wütenden Schrei aus, wich ein paar Meter zurück und zog seine Spikes ein. Thomas atmete schwer.
Vielleicht kann ich ihn aufhalten, sagte er schnell zu Teresa. Beeil dich!
Ich hab’s gleich war ihre Antwort.
Der Griewer griff wieder an und fuhr die Spikes aus, ein anderer Arm kam dazu, diesmal ein Greifarm, der nach dem Speer schnappte. Thomas ließ den Speer erneut mit aller Kraft herumwirbeln, diesmal von oben. Er krachte in das Gelenk des Greifarms. Mit einem lauten Schmatzen riss der ganze Arm ab und fiel zu Boden. Dann stieß der Griewer aus einem unsichtbaren Maul einen langen, durchdringenden Schrei aus und zog sich wieder zurück; die Spikes verschwanden.
»Man kann die Viecher kleinkriegen!«, rief Thomas.
Ich kann das letzte Wort nicht eingeben!, teilte ihm Teresa in Gedanken mit.
Er konnte sie kaum verstehen. Brüllend ging Thomas auf den Griewer los, um dessen momentane Schwäche auszunutzen. Er sprang auf den wulstigen Körper und schlug wild, während er seinen Speer schwang, zwei Metallarme mit lautem Krachen weg. Er hob den Speer über den Kopf, festigte seinen Stand – seine Füße versanken in widerwärtigem Glibber – und stach in den Körper des Monsters. Gelber Schleim spritzte aus dem Fleisch und lief über Thomas’ Füße, während er den Speer, so tief es ging, in den Körper des Viechs hineinbohrte. Er ließ den Griff seiner Waffe los und sprang herunter, dann rannte er zurück zu Chuck und Teresa.
Es war auf krankhafte Weise faszinierend, wie der Griewer unkontrolliert zuckte und das gelbe Öl nach allen Seiten verspritzte. Die Spikes wurde aus- und wieder eingefahren; die übrigen Arme schlugen ziellos um sich und bohrten sich stellenweise in seinen eigenen Körper. Bald stockte er und wurde mit jedem Liter Blut – oder Treibstoff –, den er verlor, immer langsamer.
Nach ein paar Sekunden kam er völlig zum Stillstand. Thomas konnte es nicht fassen. Er hatte einen Griewer besiegt, eins von den Monstern, von denen die Lichter über zwei Jahre lang terrorisiert worden waren.
Er drehte sich zu Chuck um, der ihn mit großen Augen ansah.
»Du hast ihn erledigt«, sagte er. Er lachte, als wären damit all ihre Probleme gelöst.
»War gar nicht so schwer«, murmelte Thomas. Dann drehte er sich zu Teresa um, die wie verrückt auf die Tastatur einhämmerte. Er merkte sofort, dass etwas nicht stimmte.
»Was ist los?«, brüllte er fast. Er lief hinüber, um ihr über die Schulter zu sehen. Sie tippte immer wieder das Wort DRÜCKEN ein, aber es erschien nichts auf dem Bildschirm.
Sie zeigte auf das verschmierte Stück Glas, das außer seinem grünlichen Leuchten kein Lebenszeichen von sich gab. »Ich hab alle Wörter eingetippt und sie erschienen auf dem Bildschirm; dann hat es gepiept und sie sind verschwunden. Aber das letzte Wort kann ich nicht eintippen. Es passiert nichts!«
Kälte durchströmte Thomas, als er begriff, was sie gesagt hatte. »Und … woran liegt das?«
»Keine Ahnung!« Sie versuchte es wieder und wieder. Aber es funktionierte nicht.
»Thomas!«, brüllte Chuck hinter ihnen. Thomas drehte sich um und sah ihn zum Griewerloch zeigen – noch ein Griewer war auf dem Weg zu ihnen. Er sah, wie der zweite auf das außer Gefecht gesetzte Monster fiel – und nach ihm kam ein weiterer durch das Loch.
»Warum dauert das so lange?«, rief Chuck verzweifelt. »Du hast gesagt, wenn ihr den Code eingegeben habt, schalten sie sich aus!«
Beide Griewer hatten ihre Spikes ausgefahren und kamen auf sie zu.
»Wir können das Wort DRÜCKEN nicht eingeben«, sagte Thomas fassungslos.
Ich kapier das nicht, sagte Teresa.
Die Griewer waren nur noch ein paar Meter entfernt. Thomas spürte, wie er seine Willenskraft verlor; er spreizte die Beine und hielt halbherzig die Fäuste vor sich. Das musste doch funktionieren, der Code musste …
»Vielleicht müsst ihr einfach auf den Knopf drücken«, schrie Chuck.
Thomas war von dieser unerwarteten Bemerkung so überrascht, dass er sich von den Griewern zu Chuck drehte. Chuck zeigte auf eine Stelle kurz über dem Boden, direkt unter dem Bildschirm und der Tastatur.
Ehe er sich rühren konnte, kniete Teresa schon auf dem Boden. Mit neuer Hoffnung ließ sich Thomas auf den Boden sinken, um selbst nachzuschauen. Hinter ihnen war das Stöhnen und Brüllen der Griewer zu hören, dann riss eine spitze Kralle an seinem T-Shirt und er spürte Schmerzen. Doch er konnte nur auf die Stelle starren.
Ein kleiner roter Knopf war ein paar Zentimeter über dem Boden in die Wand eingelassen. Darüber schwarze Schrift – wie hatte er das übersehen können?
Labyrinth abschalten
Erneuter Schmerz riss Thomas aus seiner Grübelei. Der Griewer hielt ihn mit einem seiner Arme fest und zog ihn nach hinten. Der andere war auf Chuck losgegangen und wollte den Jungen gerade mit einer langen Klinge attackieren.
Ein Knopf.
»Drück drauf!«, brüllte Thomas lauter, als er es je für möglich gehalten hätte.
Und Teresa tat es.
Sie drückte auf den Knopf und es wurde vollkommen still.
Dann war irgendwo aus dem dunklen Tunnel zu hören, wie sich eine Tür öffnete.