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Al Schargas – Hotel Oasis: 18 Uhr 42. »Könntest du das, Scrag?« fragte Gavallan. Die Sonne stand schon sehr tief.
»Es wäre mir ein leichtes, meine fünf Vögel und die Männer aus Lengeh hinauszuschmuggeln«, antwortete Scragger. »Es müßte nur ein passender Tag sein und wir müßten unter der Kisch-Flugsicherung durchrutschen. Wir könnten es schaffen, wenn die Jungs bei dem Streich mitmachen. Aber unter Mitnahme aller unserer Ersatzteile? Nichts zu wollen, Andy, einfach unmöglich.«
»Würdest du es machen, wenn es möglich wäre?« fragte Gavallan. Er war heute aus London gekommen und hatte deprimierende geschäftliche Neuigkeiten aus Aberdeen mitgebracht. Imperial Air unterbot ihn in der Nordsee, die Ölgesellschaften drehten ihm die Luft ab, und Linbar hatte eine Vorstandssitzung zu dem Zweck einberufen, eine eventuelle Mißwirtschaft bei S-G aufzudecken. »Na?«
»Ich allein, sobald alle anderen draußen und in Sicherheit sind? Sofort.«
»Würden deine Jungs mitmachen?«
Scragger überlegte kurz und trank von seinem Bier. Sie saßen an einem Tisch auf einer der herrlichen Terrassen rund um den Swimmingpool dieses neuesten Hotels in dem kleinen Scheichtum. »Ed Vossi sicher.« Er lachte. »Ein australisches Schlitzohr mit amerikanischem Unternehmergeist. Willi Neureiter eher nein. Es würde ihm schwerfallen, gegen so viele Vorschriften zu verstoßen, solange er sich persönlich nicht bedroht fühlt. Was sagt Duke Starke? Und Tom Lochart und Rudi?«
»Ich weiß es noch nicht. Ich habe Johnny Hogg mittlerweile einen Brief an Duke mitgegeben.«
»War das nicht riskant?«
»Ja und nein. Johnny Hogg ist ein sicherer Kurier, aber es ist ja überhaupt ein Problem, sichere Verbindungen aufrechtzuerhalten. Tom Lochart wird bald in Kowiss sein – du hast ja von Zagros gehört, nicht wahr?«
»Na klar. Die sind ja alle verrückt dort oben in den Bergen. Und Rudi?«
»Ich weiß noch nicht, wie ich ihn erreichen soll. Vielleicht hat Mac eine Idee. Morgen früh nehme ich die 125 nach Teheran, und wir wollen uns auf dem Flughafen treffen. Dann komme ich gleich zurück. Den Nachtflug nach London habe ich schon gebucht.«
»Du scheinst es ja ziemlich eilig zu haben?«
»Ich habe einige Probleme, Scrag.« Gavallan starrte in sein Glas. Andere Gäste kamen vorüber, darunter drei Mädchen im Bikini, mit golden schimmernder Haut, langen schwarzen Haaren, das Badetuch lose um die Schultern. Scragger bemerkte sie, seufzte und wandte sich wieder an Gavallan. »Andy, es könnte sein, daß ich Kasigi in ein oder zwei Tagen wieder zu Iran-Toda zurückbringen muß. Der alte George kann es schon nicht mehr erwarten, nachdem Kasigi sich bereit erklärt hat, ihm zwei Dollar über den Tagespreis zu zahlen. Kasigi meint, bis Weihnachten würde der Preis bei 20 Dollar pro Barrel liegen.«
Gavallans Besorgnis nahm zu. »Wenn das eintritt, wird ein Schock durch alle Industrienationen gehen. Das würde die Inflation in die Höhe treiben.« Als Scragger Kasigi erwähnt hatte, war es ihm eingefallen: Struan's stellte komplette Besatzungen zur Verfügung und stationierte viele von Toda gebaute Schiffe. »Vor Jahren kannte ich Kasigis Boß, einen Mann namens Hiro Toda. Hat er je davon gesprochen?«
»Nein. Wo lerntest du ihn denn kennen? In Japan?«
»Nein, in Hongkong. Toda machte Geschäfte mit Struan's – die Firma, für die ich arbeitete. Toda Shipping Industries hießen sie damals; vor allem Werften, nicht der Riesentrust, der sie heute sind.« Gavallans Züge verhärten sich. »Meine Familie saß in Schanghai und war von alters her im China-Handel tätig. Im Ersten Weltkrieg wurde ihre Firma mehr oder weniger ramponiert, und sie beteiligten sich dann an Struan's. Bald nach Pearl Harbor schnappten die Japaner meinen alten Herrn in Schanghai; im Kriegsgefangenenlager kam er um.« Seine Niedergeschlagenheit nahm zu. »Wir haben viele gute Freunde in Schanghai und Nanking verloren. Ich kann den Japsen nie verzeihen, was sie in China getan haben, aber das Leben geht weiter, nicht wahr? Irgendwann muß man die Streitaxt begraben, aber man darf nie vergessen.«
»So denke ich auch.« Scragger hob die Schultern. »Kasigi scheint mir in Ordnung.«
»Wo ist er jetzt?«
»In Kuwait. Morgen kommt er zurück, und ich soll ihn gleich zu Besprechungen nach Lengeh bringen.«
»Wenn du dort bist, ob du wohl mit Rudi sprechen könntest? Ihm auf den Zahn fühlen?«
»Eine gute Idee, Andy.«
»Wenn du Kasigi siehst, erwähne, daß ich seinen Vorstandsvorsitzenden kenne.«
»Mach ich gern. Ich könnte ihn auch fragen, ob er …« Er verstummte und spähte über Gavallans Schulter. »Na, ist das nicht eine Augenweide?« Gavallan blickte nach Westen. Der Sonnenuntergang war von überirdischer Schönheit – rot und purpurn, braun und golden waren die Wolken gefärbt, die Sonne zu drei Viertel unter dem Horizont verschwunden, das Wasser des Golfs in Blut verwandelt. In einer sanften Brise flackerten die Kerzen auf den gestärkten Tischtüchern, die schon für das Dinner aufgelegt waren. »Du hast recht, Scrag«, stimmte er ihm zu. »Jetzt ist nicht die Zeit, an so ernste Dinge zu denken. Es gibt auf der ganzen Welt nichts Schöneres als einen Sonnenuntergang.«
Verständnislos starrte Scragger ihn an. »Mein Gott, ich habe nicht den Sonnenuntergang gemeint – ich meinte das Mädchen dort.«
Gavallan seufzte. Das Mädchen war Paula Giancani, die soeben dem Schwimmbecken entstieg. Ihr Bikini war knapper als knapp, die Wassertropfen auf ihrer olivfarbenen Haut wurden von der untergehenden Sonne zu Juwelen veredelt. Während sie nun einen hauchzarten Umhang anlegte, war sie sich der beglückenden Tatsache bewußt, daß es weit und breit keinen Mann gab, der ihren Anblick nicht genoß – und keine Frau, die ihn ihr nicht geneidet hätte. »Du bist ein geiler Bock, Scrag.«
Scragger lachte. »Mein einziges Vergnügen in diesem Leben. Mann, diese Paula kann sich sehen lassen!«
Gavallan betrachtete sie. »Na ja, junge Italienerinnen haben etwas ganz Besonderes. Aber diese junge Dame … sie ist keine Schönheit wie Scharazad und sie besitzt auch nicht Azadehs geheimnisvolle, exotische Ausstrahlung, doch ich gebe zu, Paula ist etwas Besonderes.«
Lust und Neid folgten ihr auf dem Weg in die riesige Halle des Hotels. Sie waren alle erst für später zum Essen verabredet: Paula, Genny, Manuela, Scragger, Gavallan, Sandor Petrofi und John Hogg. Paulas Alitalia-Jumbo stand in Dubai, wenige Kilometer die Straße hinunter, und wartete auf Starterlaubnis nach Teheran, um eine weitere Ladung italienischer Staatsbürger auszufliegen. Genny McIver hatte sie zufällig beim Einkaufen getroffen. Gavallan bestellte sich noch einen Whisky-Soda beim adretten, stets lächelnden Kellner, einem Pakistani. Einige andere Gäste hatten bereits elegante und teure Abendkleidung angelegt, die Damen Roben nach der letzten Pariser Mode mit großem Dekollete, die Herren weiße Smokingjacken. Gavallan trug einen gutgeschnittenen Anzug aus gelbbraunem Tropical, Scragger die korrekte Dienstuniform; kurzärmeliges weißes Hemd mit Schulterspangen, schwarze Hosen und ebensolche Schuhe. »Noch ein Bier, Scrag?«
»Danke, nein. Ich muß mich seelisch auf Paula vorbereiten.«
»Traumtänzer!« Gavallan wandte sich wieder dem Sonnenuntergang zu, der ihn an Sonnenuntergänge in China erinnerte, ihm die alten Zeiten ins Gedächtnis zurückrief: Hongkong und Kathy und Ian, unbeschwerte Zeiten im Großen Haus auf dem Peak, ihr eigenes Haus auf dem Vorgebirge bei Schek-o, als sie jung waren und noch beisammen, Melinda und Scot noch Kinder, und weit unten im sicheren Hafen auf Hausboote, Dschunken und Schiffe aller Größen blickten. Das letzte Restchen der Sonne versank im Meer. Feierlich schlug Gavallan gedämpft die Hände zusammen.
»Bedeutet das etwas, Andy?«
»Ach ja, entschuldige, Scrag. Früher klatschten wir immer der Sonne Beifall, wenn sie unterging, Kathy und ich, um der Sonne dafür zu danken, daß sie da war, und für das einmalige Schauspiel, das sie uns geboten hatte. So wie heute.« Gavallan nahm einen Schluck Whisky. »Ich habe diese Idee von einem wunderbaren Menschen. Wir wurden gute Freunde, sind es immer noch. Ich werde dir einmal von ihm erzählen.« Er beugte sich vor und sagte leise: »Lengeh – hältst du es für durchführbar?«
»O ja – wenn es dabei nur um uns ginge! Wir müssen sehr sorgfältig planen. Die Flugsicherung in Kisch ist noch kribbeliger als früher, aber wir könnten den Radarschirm unterfliegen, wenn wir die richtige Gelegenheit abwarten. Das Problem ist nur, daß unser italienisches Bodenpersonal zusammen mit dem uns im Augenblick freundlich gesinnten Komitee und unserem neuen Charmeur von IranOil, daß diese schon innerhalb von wenigen Minuten wissen würden, daß wir abgehauen sind. Sie würden sofort die IATC verständigen, und die würde per Funk die Behörden in Dubai, Scharjah, Abu Dhabi und Al Schargas, von Oman über Saudi-Arabien und Kuwait bis nach Bagdad hinauf alarmieren und ersuchen, unsere Maschinen unverzüglich zu beschlagnahmen. Selbst wenn wir alle hierher kämen … Na ja, der alte Scheich ist ein feiner Kerl, liberal und ein guter Freund, aber er könnte nichts gegen die iranische Luftsicherung unternehmen, wenn sie im Recht wäre – und auch nicht, wenn sie im Unrecht wäre. Er kann sich einfach nicht mit dem Iran anlegen.«
Gavallan erhob sich, ging an den Rand der Terrasse und blickte hinunter auf die Altstadt – einst ein Zentrum der Perlenfischerei, Piratenfestung, Sklavenmarkt und Handelsplatz. Von alters her war der Golf die goldbringende Verbindung zwischen dem Mittelmeer, dem damaligen Mittelpunkt der Welt, und Asien. Seefahrende phönizische Kaufleute, die ursprünglich aus Oman kamen, beherrschten diese unglaublich reiche Route; über kurze Karawanenstraßen brachten sie die Güter Asiens und Indiens zum Schatt-al-Arab, schufen später ihr eigenes, vom Meer umspültes mediterranes Reich, gründeten Stadtstaaten wie Karthago und bedrohten sogar Rom.
Unberührt, von modernen Gebäuden verschont und beherrscht vom Palast des Scheichs, lag die pittoreske, mauerbewehrte Altstadt im schwindenden Licht vor ihnen. In all den Jahren hatte Gavallan den alten Scheich schätzengelernt. Das Scheichtum war eine von Emiraten umgebene, unabhängige, souveräne, gut 30 Kilometer tiefe Enklave mit über 11 Kilometer Küste. Im Schelf jedoch, 150 Kilometer von iranischen Gewässern entfernt, befanden sich gewaltige Lagerstätten leicht förderbaren Öls – viele Milliarden Barrels. Al Schargas besaß auch eine separate Neustadt mit einem Dutzend moderner Hotels und Hochhäuser, dazu einen Flughafen, auf dem gerade noch ein Jumbo-Jet landen konnte. Sein Reichtum konnte sich freilich weder mit dem der Emirate noch mit dem Saudi-Arabiens oder Kuwaits messen, aber wenn es seine Schätze klug verwaltete, war alles im Überfluß vorhanden. Der Scheich galt als so weise, wie seine phönizischen Vorfahren es gewesen waren, und er war nicht weniger als sie leidenschaftlich auf die Unabhängigkeit seines kleinen Landes bedacht. Er selbst konnte weder lesen noch schreiben, aber seine Söhne waren Absolventen der besten Universitäten der Welt. Ihm, seiner Familie und seinem Stamm gehörte alles, sein Wort war Gesetz, er war Sunnit und kein Fundamentalist und tolerant gegenüber Ausländern und Gästen, sofern sie sich anständig benahmen.
»Er verabscheut doch Khomeini und alle Fundamentalisten, Scrag.«
»Richtig. Aber das hilft uns nicht weiter. Er wird sich hüten, mit Khomeini Streit anzufangen.«
»Es hilft uns nicht weiter, aber es schadet uns auch nicht.« Gavallan fühlte sich vom Sonnenuntergang gereinigt. »Ich habe die Absicht, ein paar Jumbo-Frachtflugzeuge zu chartern und hierherkommen zu lassen. Wenn dann unsere Helis ankommen, montieren wir die Rotorblätter ab, stopfen die Jumbos voll und heben ab. Auf Schnelligkeit kommt es an – und auf Planung.«
Scragger pfiff durch die Zähne. »Du meinst es also wirklich ernst?«
»Ich möchte wissen, ob wir es schaffen würden, Scrag, und welche Chancen wir haben. Das ist nämlich die Crux: Wenn wir alle unsere Helis, die Ausrüstung und sämtliche Ersatzteile verlieren, sind wir am Ende. Keine Versicherung deckt uns, und wir sind nach wie vor verpflichtet, unsere Schulden zu bezahlen. Du bist Gesellschafter, du kannst dir heute nacht die Zahlen anschauen. Ich habe die Unterlagen mitgebracht – für dich und Mac.« Scragger dachte an seinen Firmenanteil, an Nell und seine Kinder und deren Kinder in Sydney und an die Schaf- und Rinderzuchtfarm Baldoon, die in der großen Dürreperiode verlorengegangen war und die er seit Jahren für sie zurückkaufen wollte. »Ich brauche mir die Zahlen nicht anzusehen, Andy. Wenn du sagst, daß es so schlecht steht, dann steht es eben so schlecht.« Er blickte zum Wolkenhimmel auf. »Also schön: Ich kümmere mich um Lengeh, wenn du einen Plan anzubieten hast und die anderen mitmachen. Nach dem Essen könnten wir uns vielleicht eine Stunde über die Logistik unterhalten – und beim Frühstück auch wieder; Kasigi kommt nicht vor 9 Uhr aus Kuwait zurück.«
»Danke, Scrag.« Gavallan klopfte ihm auf die Schulter. »Ich bin verdammt froh, daß du da warst, daß du alle diese Jahre bei uns warst. Zum erstenmal sehe ich jetzt eine Chance für uns.«
»Ich stelle eine Bedingung«, sagte Scragger. »Beim Dinner mußt du neben Paula sitzen, Genny auf ihrer anderen Seite. Manuela neben mir, und dieser ungarische Lustmolch Sandor am anderen Ende zusammen mit Johnny Hogg.«
»Bedingung angenommen!«
»Fein! Und jetzt ist es Zeit, mich umzuziehen. Übrigens: In den letzten Wochen war es in Lengeh schon recht langweilig.« Er stand auf und machte sich auf den Weg.
Gavallan gab dem lächelnden Kellner seine Kreditkarte.
»Das ist nicht nötig, Effendi. Sie brauchen bloß die Rechnung zu unterschreiben«, sagte der Mann. »Und wenn ich einen Vorschlag machen darf: Zahlen Sie bitte nicht mit American Express. Es ist die für die Geschäftsleitung teuerste Verrechnung.«
Nachdenklich gab Gavallan ihm ein Trinkgeld und entfernte sich.
Zwei Herren auf der anderen Seite der Terrasse sahen ihn gehen. Sie waren beide gut gekleidet, Mitte 40. Einer war Amerikaner, der andere kam aus dem Nahen Osten. Beide hatten winzig kleine Hörapparate im Ohr. Der Herr aus dem Nahen Osten spielte mit einer altmodischen Füllfeder, und als Gavallan an einem elegant gekleideten Araber vorbeikam, der in ein Gespräch mit einer sehr attraktiven jungen Europäerin vertieft war, richtete der Herr aus dem Nahen Osten die Füllfeder auf das ungleiche Paar. Sofort konnten die beiden Herren die Stimmen in ihren Hörgeräten vernehmen: »Mit 500 Dollar liegen Sie weit über dem Marktpreis«, sagte der Araber.
»Das hängt ganz von der Marktlage in ihrer speziellen Sparte ab, mein Lieber«, erwiderte sie und lächelte liebenswürdig. »Das Honorar schließt zum Beispiel die beste seidene Unterwäsche ein, die Sie in Stücke zu reißen beliehen, so wie alle von Ihnen geäußerten Sonderwünsche. Geschick und Können haben ihren Preis. Und wenn Sie nur einen einzigen freien Termin haben, nämlich morgen abend von sechs bis acht …«
Die Stimmen schwiegen, als der Herr die Kappe drehte und die Feder mit einem spöttischen Lächeln auf den Tisch legte. Er war ein in Amerika erzogener, gut aussehender, dunkelhäutiger Mann, der wie schon Generationen seiner Vorfahren mit edlen Teppichen handelte. Er hieß Aaron ben Aaron und war hauptberuflich Major im israelischen Geheimdienst. »Ich hätte Abdu bin Talak nie für pervers gehalten«, bemerkte er trocken.
»Pervers sind sie alle«, brummte der andere. »Aber ich hätte das Mädchen nie als eine Nutte taxiert.«
Aarons lange Finger spielten mit der Füllfeder. »Ein tolles Spielzeug, Glenn. Es spart soviel Zeit. Ich wollte, ich hätte so etwas schon vor Jahren gehabt.«
»Vor ein paar Monaten hat der KGB ein neues Modell herausgebracht – funktioniert auf 100 Meter Entfernung.« Glenn Wesson nippte an seinem Bourbon. Er war Amerikaner und seit Jahren im Ölgeschäft tätig. Sein wahrer Beruf: Mann von Karriere in der CIA. »Es ist nicht so klein, aber sehr brauchbar.«
»Könntest du uns welche besorgen?«
»Es geht schneller, wenn du deine Leute in Washington darum ersuchst.« Sie sahen Gavallan in der Halle verschwinden. »Interessant.«
»Woran hast du gedacht?« fragte Aaron.
»Daß wir Khomeinis Wölfen jederzeit eine britische Hubschraubergesellschaft zum Fraß vorwerfen könnten – zusammen mit allen Piloten. Das würde Talbot aus den Stiefeln hauen, ihn und Robert Armstrong und die ganze MI 6 – keine schlechte Idee.« Wesson lachte leise. »Hin und wieder muß Talbot eins auf den Deckel bekommen. Wie ist das also mit der S-G? Hältst du sie für eine Tarnorganisation der MI 6?«
»Wir sind uns über ihre Ziele nicht im klaren, Glenn. Wir vermuten allerdings das genaue Gegenteil, und darum dachte ich, du solltest mithören. Zu viele Koinzidenzen. Nach außen hin sind sie in Ordnung. Aber da gibt es einen französischen Piloten namens Sessone, der mit einer gewissen Sayada Bertolin schläft; sie hat ausgezeichnete Verbindungen und arbeitet als Kurier für die PLO. Sie haben einen Finnen, Erikki Yokkonen, der enge Beziehungen zu Abdullah Khan unterhält, dem Doppelagenten, der mehr dem KGB als unserer Seite zuneigt und extrem antijüdische Ansichten vertritt. Yokkonen ist auch mit Christian Tollonen, einem Angehörigen des finnischen Geheimdienstes, befreundet. Uns ist soeben ein Gerücht zu Ohren gekommen, wonach er mit seiner 212 oben um den Sabalan herum den Sowjets dabei hilft, eure geheimen Radarstationen zu demontieren.«
»Du lieber Himmel! Bist du sicher?«
»Nein. Es ist nur ein Gerücht, wie ich schon sagte. Aber wir überprüfen es. Dann der Kanadier Lochart. Hat in eine bekannte anti-zionistische Bazaari-Familie eingeheiratet. Gegenwärtig sind PLO-Agenten in seiner Wohnung einquartiert und …«
»Ja, aber wir haben gehört, daß die Bude requiriert wurde. Und vergiß nicht, daß er versucht hat, diesen pro-israelischen Offizieren bei der Flucht zu helfen.«
»Aber sie wurden abgeschossen, sie sind alle tot, und er ist seltsamerweise am Leben geblieben. Keine Frage, daß Valik und General Seladi prominente Kandidaten für eine Exilregierung gewesen wären. Mit ihnen haben wir wieder zwei wertvolle Kräfte verloren. Weiter: Der Amerikaner Starke hilft mit, einen Anschlag der Fedajin auf Bandar-e Delam zurückzuschlagen, wird mit einem wütenden Schah- und Israel-Gegner namens Zataki dick Freund und …«
»Ein intellektueller sunnitischer Moslem, der in Abadan Streiks auf den Ölfeldern inszeniert, drei Polizeistationen in die Luft gesprengt hat, jetzt an der Spitze der Revolutionären Komitees in Abadan steht und vermutlich nicht mehr lange unter den Lebenden weilen wird. Noch ein Glas?«
»Ja, bitte. Du hast von Sayada Bertolin gesprochen – die hatten wir auch schon mal unter Beobachtung. Was meinst du, könnte man die umdrehen?«
»Ich würde ihr nicht trauen. Wir sind hinter ihrem Kontaktmann her – konnten ihn aber noch nicht identifizieren.« Aaron bestellte einen Wodka für Wesson und sich selbst. »Um wieder auf die S-G zu kommen: Zataki ist also ein Feind. So wie Lochart spricht auch Starke Persisch. Beide pflegen schlechten Umgang. Nächster auf der Liste: Sandor Petrofi, ungarischer Dissident, Familie noch in Ungarn, auch er ein potentieller Maulwurf oder zumindest ein Werkzeug des KGB. Rudolf Lutz, Deutscher, dessen Verwandte jenseits des Eisernen Vorhangs leben, schon allein darum verdächtig. Ähnlich sieht es bei Neureiter in Lengeh aus.« Er deutete auf den Tisch hinüber, an dem Scragger gesessen hatte. »Der Alte ist ein ausgebildeter Killer, ein Söldner, der auf uns, auf dich, auf jeden mit dem gleichen Resultat angesetzt werden kann. Und Gavallan? Deine Leute in London sollten sich ihn näher ansehen! Vergiß nicht, daß er die Leute ausgesucht hat, vergiß nicht, daß er Engländer ist! Möglicherweise ist sein ganzer Verein eine Tarnfirma des KGB.«
»Unmöglich!« fiel Wesson ihm ins Wort. Verdammt noch mal, dachte er, warum sind diese Burschen nur alle solche Paranoiker, selbst der gute Aaron, ihr bester Mann. »Das ist alles zu glatt. Unmöglich.«
»Sei nicht so sicher! Die Engländer waren wahre Meister ihres Faches. Denk bloß an Philby, McLean, Blake und wie sie alle geheißen haben.«
»Wie Crosse – damit hast du wohl recht, alter Freund.«
»Crosse?«
»Roger Crosse – 15 Jahre ist das jetzt her. Oberspion, aber von den Tommies zugedeckt und begraben, wie sie das so vortrefflich verstehen, ein Produkt der Public-School und der gemeinste Verräter von allen. Armstrongs Exchef und Freund im Sonderdezernat Hongkong. Offiziell ein unbedeutender stellvertretender Leiter in der MI 6, in Wahrheit aber Spitzenmann im Geheimdienst und Verräter. Wurde auf eigenen Wunsch vom KGB liquidiert, knapp bevor wir dem Schuft auf die Schliche kamen.«
»Die Sowjets haben ihn erledigt?«
»Na sicher. Mit einem Giftpfeil aus nächster Nähe. Wir hatten ihn in die Enge getrieben, er konnte nicht mehr raus. Wir hatten ihn festgenagelt. Damals hatten wir einen Spitzel in der Londoner Sowjetbotschaft – Brodnin hieß der Bursche. Er lieferte uns Crosse ans Messer. Dann verschwand der arme Hund. Jemand muß ihn wohl verpfiffen haben.«
»Diese verdammten Briten! Sie züchten Agenten wie Läuse.«
»Bei jedem Geheimdienst gibt es Verräter.«
»Bei uns nicht.«
»Sei nicht so sicher, Aaron«, bemerkte Wesson verdrießlich. »Angesichts so vieler Informationen aus undichten Quellen in Teheran – vor und nach der Abreise des Schahs – muß es auf unserer Seite einen hochgestellten Verräter geben.«
»Talbot oder Armstrong?«
Wesson krümmte sich. »Wenn es einer von den beiden ist, sollten wir den Beruf wechseln.«
»Damit würden wir unseren Feinden einen Gefallen tun. Die wollen nämlich, daß wir aufgeben und aus dem Nahen Osten verschwinden. Aber das können wir nicht. Also müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen«, sagte Aaron, und seine dunklen kalten Augen musterten den Amerikaner. »Und weil wir gerade davon reden: Wie hat es unser alter Freund Haschemi Fazir wohl geschafft, ungestraft mit dem Mord am neuen Oberexekutor der SAVAMA, General Janan, davonzukommen?«
Wesson erblaßte. »Janan ist tot? Bist du sicher?«
»Autobombe, Montag nachts.« Aarons Augen verengten sich. »Warum tut dir das so leid? War er einer von deinen Leuten?«
»Er hätte es werden können. Wir … wir führten Verhandlungen.« Wesson zögerte und seufzte. »Aber Haschemi ist noch am Leben? Ich dachte, er wäre ganz oben auf der Abschußliste des Revolutionären Komitees gestanden?«
»Ist er auch, aber heute früh wurde ich informiert, daß er wieder in Amt und Würden ist – nach einer Intervention von höchster Stelle.«
Aaron trank aus seinem Glas. »Wenn er nach allem, was er für uns und den Schah getan hat, wieder dem Inneren Sicherheitsrat vorsteht, muß er einen sehr hochgestellten Schutzengel haben.«
»Aber wen?« Wesson sah, wie sein Freund mit den Achseln zuckte. Sein Lächeln schwand. »Das könnte heißen, daß er schon die ganze Zeit für den Ayatollah gearbeitet hat.«
»Vielleicht.« Wieder spielte Aaron mit dem Füllhalter. »Und da gibt es noch etwas Merkwürdiges. Am Dienstag wurde Haschemi dabei beobachtet, wie er mit Armstrong auf dem Flughafen Teheran eine 125 der S-G bestieg. Sie flogen nach Täbris und waren nach drei Stunden wieder zurück.«
»Ist das die Möglichkeit?«
»Was hat das wohl zu bedeuten?«
»Ich weiß es nicht, aber wir sollten es schnellstens in Erfahrung bringen.« Wesson senkte seine Stimme. »Eines ist einmal sicher: Um wieder gut angeschrieben zu sein, muß Haschemi über Informationen verfügen, die hochgestellte Persönlichkeiten schwer belasten. Solche Informationen könnten sich als sehr nützlich erweisen … für den Schah beispielsweise.«
»Für den Schah? Du glaubst doch nicht ernstlich, der Schah hätte auch nur die geringste Chance, in sein Land zurückzukehren?«
»Man hat schon Pferde kotzen sehen, alter Freund«, entgegnete Wesson zuversichtlich und leerte sein Glas. Wie kommt es nur, daß diese Burschen nicht verstehen, was in der Welt vorgeht? fragte er sich. Es wäre an der Zeit, daß sie aufwachen, daß sie aufhören, immer nur an Israel, an die PLO und den Nahen Osten zu denken, und uns mehr Platz zum Manövrieren ließen. »Na sicher hat der Schah eine Chance – obwohl man besser auf seinen Sohn setzen sollte. Wenn Khomeini einmal tot ist, gibt es einen Bürgerkrieg, die Armee übernimmt die Macht und braucht eine Galionsfigur. Reza wäre ein ausgezeichneter konstitutioneller Monarch.«
Aaron ben Aaron wunderte sich, daß Wesson immer noch so naiv sein konnte. Nach all den Jahren im Iran und am Golf, wie kann er da immer noch die explosiven Kräfte unterschätzen, die das Land auseinanderreißen? Ein anderer hätte Wesson maßlose Dummheit vorgeworfen: die unzähligen unbeachtet gebliebenen Warnzeichen, die Berge von ungelesenen, katalogisierten, mit soviel Blut und Schweiß zusammengetragenen Geheimberichte, das jahrelange Hickhack mit Politikern, Generälen und Nachrichtendienstlern – iranischen und amerikanischen –, die vor dem sich zusammenziehenden Unheil gewarnt hatten.
Alles vergeblich. Viele Jahre lang. Allahs Wille, dachte er. Allah will es uns nicht leicht machen. Leicht? Wann war es denn schon mal leicht für uns? Nie, nie, nie.
»Wart's nur mal ab!« fuhr Wesson fort. »Khomeini ist ein Greis. Er wird's nicht mehr lange machen. Die Zeit arbeitet für uns. Wart's nur mal ab!«
»Das werde ich wohl.« Aaron wollte sich auf keine hitzige Debatte einlassen. »Mittlerweile liegt die Vermutung nahe, daß S-G feindlichen Zellen als Aushängeschild dient. Auf die Versorgung von Bohranlagen spezialisierte Hubschrauberpiloten könnten sich als wertvolle Kräfte für jede Art von Sabotage erweisen.«
»Na klar. Nur: Gavallan will raus. Du hast es ja selbst gehört.«
»Vielleicht wußte er, daß wir ihn belauschen, oder es ist ein Trick.«
»Also bitte, Aaron! Ich halte ihn für koscher, und alles andere ist nur Zufall.« Wesson seufzte. »Ich werde ihn beschatten lassen, und wenn er auch nur einen Furz läßt, wirst du es erfahren. Aber ihr seht auch überall Feinde: unter dem Bett, an der Decke und unter dem Teppich.«
»Und wieso nicht? Es gibt sie wie Sand am Meer.« Und wir kennen unsere Feinde, dachte Aaron. Hier, drunten in der Altstadt, drüben in der neuen Stadt, auf der Straße nach Oman, der Straße nach Dubai, Bagdad und Damaskus, auf dem Weg nach Moskau und Paris und London, über das Meer nach New York, nach Süden zu beiden Kaps und zum Nördlichen Polarkreis hinauf, überallhin, wo es Gojim gibt. Nur ein Jude ist nicht schon automatisch verdächtig, doch heutzutage muß man auch da vorsichtig sein. Es gibt unter den Auserwählten viele, die den Zionismus ablehnen, weder Krieg führen noch für den Krieg bezahlen und nicht verstehen wollen, daß der Schah im Nahen Osten unser einziger Verbündeter ist, und daß wir mit dem Rücken zur Klagemauer stehen, und daß wir kämpfen und sterben müssen, um unser Land Israel zu schützen.
Er musterte Wesson. Er konnte ihn gut leiden, verzieh ihm seine Schwächen, bewunderte ihn als Profi – und bedauerte ihn, weil er kein Jude und daher verdächtig war.
»Ich bin froh, daß ich als Jude geboren wurde, Glenn. Es macht das Leben um so vieles einfacher.«
»Wieso?«
»Man weiß, wo man hingehört.«
Hotel Schargas – in der Disco Tex: 23 Uhr 52. Amerikaner, Briten und Franzosen beherrschten den Raum – nur vereinzelt waren Japaner und andere Asiaten zu sehen. Die Europäer waren in der Mehrheit, und es gab mehr Männer als Frauen. Die Gäste waren zwischen 25 und 45 Jahre alt. Die ausländischen Arbeitskräfte am Golf mußten jung, rüstig und, wenn möglich, unverheiratet sein, um das harte Leben hier zu ertragen. Es waren auch ein paar Leute aus Schargas und Angehörige anderer Golfstaaten da, aber nur wohlhabende, verwestlichte, anspruchsvolle Männer. Die meisten saßen in den oberen Logen, tranken Limonade und beobachteten die wenigen Tänzer und ihre europäischen Partnerinnen: Sekretärinnen, Botschaftsangestellte, Groundhostessen, Krankenschwestern und Hotelbedienstete.
Paula tanzte mit Sandor Petrofi, Genny mit Scragger und Johnny Hogg mit dem Mädchen, das auf der Terrasse mit einem Araber verhandelt hatte. »Wie lange bleiben Sie, Alexandra?« murmelte er.
»Nur bis nächste Woche. Dann muß ich zu meinem Mann nach Rio.«
»Oh, so jung und schon verheiratet! Bis dahin sind Sie ganz allein?«
»Ja, Johnny, ganz allein. Traurig, nicht wahr?«
Er antwortete nicht, hielt sie nur ein wenig fester und beglückwünschte sich zu der Beflissenheit, mit der er ihr in der Halle ein Buch aufgehoben hatte, das ihr aus der Hand gefallen war. Er blickte zur Galerie hinauf, wo Gavallan ernst und in Gedanken versunken am Geländer stand, um die Tänzer zu beobachten. Johnny Hogg empfand tiefes Mitgefühl. Nur ungern hatte er den morgigen Nachtflug nach London für ihn gebucht. »Ich weiß, wie die Zeitverschiebung einem zu schaffen macht. Wollen Sie sich morgen nicht lieber ausruhen?«
»Danke, Johnny, aber das geht schon. Morgen um zehn starten wir nach Teheran.«
»Natürlich. Und dann weiter nach Täbris?«
»Ja. Ich hoffe nur, daß das glatt geht – hin und gleich wieder zurück.«
Hogg fühlte nun die Schenkel des Mädchens an den seinen. »Wollen Sie morgen mit mir zu Abend essen? Ich werde gegen sechs wieder zurück sein.«
»Vielleicht – aber nicht vor neun.«
»Ausgezeichnet.«
Gavallan trat nun vom Geländer zurück, stieg die Treppe herunter und schlenderte auf die im Parterre gelegene Terrasse hinaus. Es war eine herrliche Nacht. Am wolkenlosen Himmel stand ein silbrig glänzender Mond. Rundum erstreckten sich zart angestrahlte, sorgsam gepflegte Gärten.
Eine Front dem Golf, die andere der Wüste zugekehrt, war das Schargas das größte Hotel des Scheichtums. Es verfügte über einen achtzehn Stockwerk hohen Turm, fünf Restaurants, drei Bars, eine Cocktail-Lounge, ein Café, die Disco, zwei Schwimmhecken, mehrere Saunas, Tennisplätze und einen Fitneß-Club. Eine Einkaufsstraße beherbergte ein Dutzend Boutiquen und Antiquitätengeschäfte, einen Aaron-Teppichladen, Frisiersalons, eine Videothek und eine Konditorei. Selbstverständlich war das Schargas voll klimatisiert und bot seinen Gästen Telex und Schreibkräfte, Zimmerservice rund um die Uhr, Satellitenfernsehen in allen Zimmern und Telefonverbindungen mit allen Ländern der Erde.
Großartig, dachte Gavallan, und doch ein Getto. Zwar sind die Herrscher hier aufgeklärte und liberale Menschen – Ausländer können nach Herzenslust trinken, ihre Frauen Auto fahren, einkaufen und spazierengehen –, aber ob das auch so bleiben wird? Nur wenige hundert Meter von hier leben die Einwohner Schargas, wie sie seit Jahrhunderten gelebt haben. Nur wenige hundert Meter von hier ist Alkohol verboten, können Frauen nicht allein auf die Straße gehen, müssen ihr Haar, müssen Arme und Schultern bedecken. Vor ein paar Jahren hatte er einen Range-Rover und einen Führer gemietet und war zusammen mit McIver und Genny und seiner zweiten Frau Maureen in die Wüste gefahren, um die Nacht am Rand des Ruh-al-Khali, des unbewohnten Viertels, zu verbringen. Es war ein wunderbarer Frühlingstag gewesen. Wenige Minuten, nachdem sie den Flughafen verlassen hatten, wurde die Straße zu einem Karrenweg, der sich rasch auf steinigem Boden verlor. Immer weiter über sandiges, zuweilen felsiges Terrain, quer durch eine Gegend, wo es niemals regnete und wo nichts gedieh. Als sie endlich hielten und den Motor abstellten, überkam sie die Stille mit geradezu körperlicher Wucht, die Sonne lastete schwer auf ihnen, und der Raum hüllte sie beengend ein.
Blau und dunkel war die Nacht gewesen, riesenhaft leuchteten die Sterne, und sie hatten sich auf weiche Teppiche gebettet. Noch betäubender die Stille, noch gewaltiger der Raum, unfaßbar. »Ich hasse das, Andy«, hatte Maureen geflüstert. »Es ängstigt mich zu Tode.«
»Mich auch. Ich weiß nicht, warum, aber es ist so.« Rund um die Palmen der Oase erstreckte sich, lockend und überirdisch, die Wüste bis zu allen Horizonten. »Die Unendlichkeit scheint dir das Leben aus dem Leib zu saugen. Stell dir einmal vor, wie das erst im Sommer ist!«
Sie hatte gezittert. »Wie ein Sandkorn komme ich mir vor. Diese Wüste erdrückt mich – sie nimmt mir mein Gleichgewicht. Junge, ich gehöre nach Schottland, nach London, wenn es sein muß. Aber das … nie wieder!«
Und sie war nie zurückgekommen. So wie Scrags Nell, dachte er. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Es ist schon schlimm genug für uns Männer hier am Golf, aber für Frauen. Er wandte den Kopf. Sich zufächelnd kam Genny aus dem Saal. Sie sah viel jünger aus als in Teheran. »Hallo, Andy! Du bist der einzig Gescheite. Es ist so stickig drin und so rauchig.«
»Ich war nie ein großer Tänzer.«
»Ich komme überhaupt nur zum Tanzen, wenn Duncan nicht dabei ist. Er ist ja so eine Schlafmütze.« Sie hielt zaudernd inne. »Was den Pendler morgen betrifft, glaubst du, ich …«
»Nein«, erwiderte er sanft. »Noch nicht. In etwa einer Woche, wenn die Wogen sich geglättet haben.«
Sie nickte. »Wie hat Scrag reagiert?«
»Er hat ja gesagt, wenn die anderen mitmachen und wenn es sich bewerkstelligen läßt. Wir haben uns ausgesprochen, und morgen frühstücken wir zusammen.« Gavallan legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie. »Sorge dich nicht um Mac! Ich werde mich um ihn kümmern.«
»Ich habe noch eine Flasche Whisky für ihn, nimmst du sie mit?«
»Ich stecke sie in meine Aktentasche. Es gibt eine Verfügung der iranischen Flugsicherung, wonach es verboten ist, Alkohol als Bordproviant mitzuführen. Kein Problem, ich trage ihn eben in der Hand.«
»Vielleicht solltest du das diesmal besser nicht tun.« Seine ernste Miene, so ungewöhnlich bei ihm, beunruhigte sie. Armer Andy, jeder kann sehen, daß er vor Sorgen weder ein noch aus weiß.
»Darf ich dir einen Vorschlag machen, Andy?«
»Selbstverständlich.«
»Diese VIPs, die du nach Täbris bringen mußt … den Oberst und diesen Armstrong … warum bittest du den Oberst nicht, dich über Kowiss zurückzudirigieren? Sag, du müßtest ein paar Sachen zur Reparatur bringen, äh? Dann kannst du direkt mit Duke sprechen.«
»Eine ausgezeichnete Idee! Du bist die Klassenbeste und darfst dich in die erste Bank setzen.«
Sie stellte sich auf die Zehen und drückte ihm einen geschwisterlichen Kuß auf die Wange. »Du bist auch nicht gerade schlecht. Na, ich stürze mich wieder ins Getümmel. Ich war schon seit dem Krieg nicht mehr so beliebt.« Sie lachten. »Gute Nacht, Andy!«
Gavallan kehrte in sein Hotel zurück, ein kleines Stück die Straße hinunter. Er merkte nicht, daß er verfolgt wurde, daß sein Zimmer durchsucht worden war und daß man seine Papiere gelesen hatte. Und er merkte auch nicht, daß man in seinem Zimmer Wanzen angebracht und sein Telefon angezapft hatte.