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Teheran – im S-G-Büro: 18 Uhr 50. »Hallo Kowiss, hier spricht Teheran«, wiederholte McIver, »hören Sie mich?«

»Teheran, hier ist Kowiss. Bitte warten Sie einen Augenblick.«

»In Ordnung, Freddy.« McIver legte das Mikrophon auf den Schreibtisch. Er und Tom Lochart, der am Nachmittag aus Zagros eingetroffen war, befanden sich in seinem Büro im obersten Stockwerk des Gebäudes, das seit dem Einstieg von S-G im Iran als Zentrale diente. Das Gebäude besaß vier Stockwerke und ein Flachdach. General Beni-Hassan, Andrew Gallavans Freund, hatte es wärmstens empfohlen: »Sie können ein halbes Dutzend Büros unterbringen, der Preis ist annehmbar. Auf dem Dach haben Sie Platz für einen eigenen Generator und für die Funkantenne. Die Straße zum Flughafen verläuft in unmittelbarer Nähe – und das hier ist das Prunkstück.« Der General hatte McIver stolz die Toilette gezeigt. Sie war vollkommen durchschnittlich und nicht gerade sauber.

»Was ist daran so besonders?« hatte McIver verblüfft gefragt.

»Es ist das einzige WC im ganzen Gebäude, die übrigen sind Plumpsklos – nur ein Loch im Boden über dem Abfluß –, und wenn man nicht an sie gewöhnt ist, hat man Schwierigkeiten bei der Benützung.«

»Hier sind überall Plumpsklos?«

»Selbst in den besten Häusern, nur nicht in modernen Hotels. Wenn Sie darüber nachdenken, Mac – sie sind viel hygienischer, man kommt mit nichts in Berührung. Und noch etwas …« Der General hatte auf einen kleinen Schlauch gezeigt, der am Wasserhahn der Toilette befestigt war. »Wir reinigen uns mit Wasser, immer mit der linken Hand, denn mit der rechten essen wir. Deshalb bietet man nie etwas mit der linken Hand an. Die meisten Moslems können ihr Geschäft nur in Hockstellung erledigen, deshalb hocken sie sich oft auch über westliche Klobrillen.«

»Kannst du mir verraten, woran du gerade gedacht hast, Mac?« fragte Lochart nun sein Gegenüber.

McIver grunzte. »Ich habe an Plumpsklos gedacht. Ich hasse sie – ich kann mich einfach nicht an sie gewöhnen.«

»Mich stören sie nicht mehr. Wir haben sie auch in unserer Wohnung – Scharazad wollte mir als Hochzeitsgeschenk eine ›westliche‹ Toilette einrichten lassen, aber ich habe darauf verzichtet. Übrigens war es das Plumpsklo, das Deirdre seinerzeit den Rest gegeben hat.«

»Die wenigsten Europäerinnen kommen damit zurecht. Zum Glück haben wir in unserer Wohnung eine richtige Toilette, sonst würde Genny meutern.« McIver drehte den Empfänger auf volle Lautstärke. »Komm schon, Freddy!« murmelte er.

Im Lautsprecher knackte es. »Hier spricht Captain Ayre in Kowiss. Ich empfange Sie laut und deutlich, Captain McIver.«

Lochart horchte auf. »Da stimmt etwas nicht, Mac, er kann nicht offen sprechen. Jemand hört mit.«

McIver schaltete auf Senden. »Sie machen selbst Dienst am Funkgerät, Freddy?«

»Reiner Zufall, Captain McIver.«

»Ist alles in Ordnung?«

Nach einer längeren Pause, die soviel wie nein bedeutete, antwortete Ayre: »Ja, Captain McIver.«

»Gut, Captain Ayre. Verbinden Sie mich bitte mit Captain Starke.«

»Bedaure, Sir, das kann ich nicht. Captain Starke befindet sich noch in Bandar-e Delam.«

»Was tut er dort?« fragte McIver scharf.

»Captain Lutz hat befohlen, daß er dort bleibt, und Captain Dubois angewiesen, den von IranOil erbetenen VIP-Flug, den Sie genehmigt haben, zu Ende zu führen.«

Starke war es gelungen, vor dem Abflug McIver zu erreichen und ihm das Problem mit dem Mullah Hussain zu schildern. McIver hatte den Flug genehmigt, unter der Voraussetzung, daß Oberst Peschadi damit einverstanden war.

»Wird die 125 morgen in Kowiss eintreffen, Captain McIver?«

»Eigentlich schon, aber man kann ja nie wissen.« Die 125 sollte tags zuvor nach Teheran fliegen, aber infolge des Aufstands rund um den Flughafen war der gesamte landende Flugverkehr storniert worden. »Wir versuchen, die Starterlaubnis für einen Direktflug nach Kowiss zu bekommen. Es ist schwierig, weil es … weil es zu wenige Militärfluglotsen gibt. Der Flugplatz in Teheran ist überfüllt, deshalb können wir die Angehörigen nicht ausfliegen. Teilen Sie Manuela mit, daß sie sich bereithalten soll für den Fall, daß wir die Starterlaubnis erhalten.« McIver überlegte, wieviel er gefahrlos sagen konnte, da winkte ihm Lochart.

»Laß mich ans Mikrophon, Mac!« bat er ihn leise. »Freddy versteht Französisch.«

McIver übergab ihm dankbar das Mikrophon.

»Ecoute, Freddy!« begann Lochart in kanadischem Französisch. »Mit Hilfe von Khomeini-Anhängern und ein paar PLO-Leuten halten die Marxisten immer noch den internationalen Flughafen und den Tower besetzt. Angeblich soll es heute zu einem Handstreich kommen, angeblich hat der Premierminister zugestimmt, angeblich setzen sich die Truppen überall in Teheran in Bewegung, um die Unruhen zu unterdrücken, angeblich sollen sie keine Milde mehr walten lassen. Wie geht es euch dort unten? Ist alles in Ordnung?«

»Ja, ich darf nichts erzählen, sie hören zu, aber wir haben wirklich keine Probleme. In Smelly« – ihr Spitzname für Bandar-e Delam, wo es immer nach Benzin stank – »haben sie eine Menge Probleme und der Boß wurde vor der ihm zugemessenen Frist hinausbefördert …«

Locharts Augen weiteten sich. »Kyabi ist erschossen worden«, flüsterte er McIver zu.

»… aber Rudi hat alles unter Kontrolle, und Duke ist okay. Wir sollten das Gespräch lieber beenden, sie hören zu.«

»Gut. Gib den anderen weiter, was ich erzählt habe«, er wechselte übergangslos ins Englische, »und ich wiederhole: Ich schicke Ihnen morgen Geld für Ihre Leute.«

Ayres Stimme klang erleichtert: »Wirklich?«

Lochart lachte unwillkürlich. »Wirklich. Lassen Sie ständig jemanden am Funkgerät sitzen! Wir setzen uns wieder mit Ihnen in Verbindung, wenn es etwas Neues zu berichten gibt. Captain McIver will noch einmal mit Ihnen sprechen. Inscha'Allah!« Er gab das Mikrophon zurück.

»Captain, haben Sie gestern oder heute etwas aus Lengeh gehört?« fragte McIver.

»Nein, wir haben es versucht, konnten sie aber nicht erreichen. Vielleicht sind die Sonnenflecken daran schuld. Ich werde es jetzt noch einmal probieren.«

»Danke. Grüßen Sie Captain Scragger von mir und erinnern Sie ihn daran, daß sein ärztlicher Check nächste Woche fällig ist.« McIver beendete das Gespräch. Lochart berichtete ihm, was Ayre gesagt hatte, und schenkte sich einen Whisky ein.

»Und was ist mit mir?« fragte McIver gereizt.

»Aber Mac, du …«

»Hör schon auf! Mach mir eben einen schwächeren Drink.« Während Lochart einschenkte, stand McIver auf, trat ans Fenster und schaute hinaus. »Der arme Kyabi. Er war einer der wenigen anständigen Menschen, die es auf Erden gibt; ein treuer Diener des Iran und uns gegenüber fair. Warum haben sie ihn ermordet? Lauter Wahnsinnige! Und was soll das heißen, daß Rudi Duke und Marc ›befiehlt‹?«

»Wohl, daß sie Schwierigkeiten gehabt haben und Rudi mit ihnen fertig geworden ist. Freddy hätte es mir gesagt, wenn es anders gewesen wäre, auch wenn man zugehört hat, wer immer ›man‹ ist. Vielleicht war es so ähnlich wie in Zagros.«

In Zagros waren einen Tag nach Locharts Rückkehr vom Urlaub die Bewohner von Yazdik im Morgengrauen angerückt. Der Dorfmullah hatte von Khomeini den Befehl erhalten, sich gegen ›die ungesetzliche Regierung des Schahs‹ zu erheben und das Gebiet unter seine Kontrolle zu bringen. Der Mullah war in dem Dorf zur Welt gekommen; der Polizeichef, gegen den er sich erheben sollte, war sein Neffe, und Nasiri, der Leiter der Basis, war mit der Tochter der Schwester seiner Frau verheiratet, die jetzt in Schiras lebte. Doch noch wichtiger war, daß sie alle Galezaner waren, ein kleiner Stamm der nomadischen Kaschkai, die sich vor Jahrhunderten dort niedergelassen hatten. Der Polizeichef und Dorfälteste, der Nitchak Khan hieß, war gleichzeitig ihr Kalandar, ihr gewählter Stammesführer.

Deshalb hatte sich der Mullah mit Nitchak Khan beraten, und der Khan war ebenfalls der Ansicht gewesen, daß eine Revolte gegen den Erbfeind Schah Mohammed Pahlevi stattfinden solle, daß zur Feier der Revolution jeder, der Lust dazu hatte, in die Luft schießen durfte, und daß sie bei Tagesanbruch den Flugplatz der Fremden in Besitz nehmen würden.

Sie waren im Morgengrauen eingetroffen. Bewaffnet. Das ganze Dorf. Nitchak Khan trug statt der Polizeiuniform die Stammeskleidung. Er war zwar viel kleiner als Lochart, aber ein muskulöser, schlanker Mann mit eisernen Händen und stählernen Beinen. Er hatte sich einen Patronengurt umgehängt und hielt ein Gewehr in der Hand. Wie vorher besprochen, traf der von Jean-Luc Sessone begleitete Lochart mit den Aufständischen bei zwei rasch errichteten Steinsäulen zusammen, die das Tor zur Basis symbolisierten. Lochart grüßte und bestätigte, daß Nitchak Khan für die Basis zuständig war. Die beiden Steinsäulen wurden feierlich umgestoßen, alle jubelten laut, und viele schossen in die Luft. Dann überreichte Nitchak Khan Jean-Luc Sessone als dem Vertreter Frankreichs einen Blumenstrauß und dankte ihm im Namen aller Galezan-Kaschkai dafür, daß er Khomeini, der sie von ihrem Feind, dem Pahlewi-Schah, befreit hatte, unterstützt und geholfen hatte. »Allah sei Dank, daß dieser selbsternannte König der Könige, diese Kreatur der fremden Teufel, die das Sakrileg begangen hat, ihr Geschlecht auf die Könige Cyrus und Darius den Großen zurückzuführen, wie eine geschminkte Hure geflohen ist.«

Dann hielten beide Seiten tapfere Reden, ein Fest begann, und Nitchak Khan, neben dem der Mullah stand, bat Tom Lochart, als Stammesführer der Fremden auf Largos 3 unter der neuen Regierung so weiterzumachen wie bisher. Lochart erklärte sich dazu bereit.

»Hoffentlich haben Rudi und seine Leute genauso viel Glück wie du in Zagros, Tom! Die Lage wird immer unangenehmer«, sagte McIver und zerbrach sich den Kopf darüber, wie er Genny aus dem Iran hinausschaffen konnte. Auch hätte er gern gewußt, wo Charlie steckte. Seit Pettikin am Tag zuvor nach Täbris geflogen war, hatten sie nichts mehr von ihm gehört. Von der Bodenmannschaft des Militärstützpunktes Galeg Morghi hatten sie verworrene Berichte erhalten: daß Pettikin entführt und gezwungen worden sei, mit drei Unbekannten abzufliegen, oder daß drei iranische Luftwaffenpiloten die 206 entführt hätten und zur Grenze geflohen seien, oder daß jene drei Passagiere hohe Offiziere gewesen seien, die außer Landes fliehen wollten. Warum kommen in jeder Version drei Passagiere vor, hatte sich McIver gefragt. Er wußte, daß Pettikin den Flugplatz erreicht hatte, weil sein Wagen dort stand, obwohl der Tank leer, das Radio gestohlen und das Auto beschädigt war. Bandar-e Pahlavi, wo er auftanken sollte, meldete sich nicht, und Täbris befand sich außer Reichweite. Er fluchte innerlich. Es war ein schwarzer Tag gewesen.

Seit den Morgenstunden hatten ihn wütende Gläubige bestürmt, das Telefon hatte nicht funktioniert, das Telex war gestört gewesen und konnte erst nach Stunden wieder in Ordnung gebracht werden, und sein Gespräch mit General Valik, der laut Gavallan jede Woche Geld bringen sollte, war katastrophal verlaufen.

»Sobald die Banken öffnen, bezahlen wir unsere Schulden.«

»Das erzählen Sie mir seit Wochen«, hatte McIver kühl gekontert. »Ich brauche das Geld jetzt.«

»Wir alle brauchen Geld«, hatte der General wütend gezischt, denn er wußte, daß die iranischen Angestellten im Vorzimmer versuchten, etwas aufzuschnappen. »Wir haben Bürgerkrieg, und ich kann die Banken nicht zwingen, aufzusperren. Sie müssen warten.« Seine Stimme wurde noch leiser. »Wenn diese idiotischen Amerikaner den Schah nicht getäuscht und dazu überredet hätten, unsere ruhmreichen Streitkräfte zurückzuhalten, würden wir uns jetzt nicht in dieser Klemme befinden.«

»Wie Sie wissen, bin ich Brite, und die Schwierigkeiten haben Sie selbst heraufbeschworen.«

»Briten, Amerikaner, wo ist da der Unterschied? Es ist ausschließlich deren Fehler. Beide haben den Schah und den Iran verraten, und jetzt werden Sie dafür bezahlen.«

»Womit?« fragte McIver bissig. »Unser Geld haben ohnehin Sie.«

»Ohne Ihre iranischen Partner – vor allem ohne mich – hätten Sie überhaupt kein Geld. Andy beschwert sich nicht. Mein verehrter Kollege, General Javadah, hat mir mittels Telex mitgeteilt, daß Andy diese Woche die Nachfolgeverträge für Guerney unterschreiben wird.«

»Andy hat mir mitgeteilt, daß Sie ihm fernschriftlich versprochen haben, uns Geld zu geben.«

»Ich habe nur versprochen, daß ich es versuchen werde.« Der General zwang sich, seinen Ärger zu unterdrücken, weil er McIver brauchte. Er wischte sich die Stirn ab und öffnete seine Brieftasche. Sie war mit großen Rialscheinen vollgestopft, aber er hielt sie so, daß McIver nicht hineinschauen konnte. Er zog ein kleines Bündel Banknoten heraus und schloß die Brieftasche wieder. Umständlich zählte er 500.000 Rial ab – ungefähr 6.000 Dollar. »Hier.« Er legte das Geld auf den Tisch und steckte die restlichen Scheine wieder ein. »Nächste Woche werde ich wieder Geld bringen – oder einer meiner Kollegen. Eine Empfangsbestätigung bitte.«

»Danke.« McIver unterschrieb die Quittung.

»Nächste Woche, wenn die Banken aufsperren, können wir alle Außenstände bezahlen. Wir stehen immer zu unserem Wort.« Valik beugte sich vor und flüsterte nun: »Ich habe eine Sondercharter für Sie. Morgen brauche ich eine 212, die im Lauf des Vormittags starten muß. Ich muß die Anlagen in Abadan inspizieren.«

McIver bemerkte den Schweiß auf des Generals Stirn.

»Und wie soll ich die erforderlichen Genehmigungen bekommen, General? Das Militär kontrolliert den Luftraum.«

»Vergessen Sie die Genehmigung!«

»Wenn wir über keinen Flugplan verfügen, der vom Militär vorher genehmigt wurde, handelt es sich um einen illegalen Flug.«

»Sie können immer behaupten, daß Sie um die Genehmigung nachgesucht und sie mündlich erhalten haben. Was ist daran so schwierig?«

»Erstens verstößt dies gegen die iranischen Gesetze, General, und zweitens, selbst wenn es uns gelingt, den Luftraum von Teheran zu verlassen, muß man dem nächsten militärischen Flugsicherungsoffizier die Flugnummer bekanntgeben – über alle Flugpläne führt Ihr Luftwaffenhauptquartier Buch. Hat man aber keine Nummer, zwingen sie einen, auf der nächsten Militärbasis zu landen. Und dort wird man – zu Recht – sehr unfreundlich empfangen, die Maschine wird beschlagnahmt, Passagiere und Besatzung werden eingesperrt.«

»Dann lassen Sie sich etwas einfallen. Es handelt sich um einen sehr wichtigen Charterflug. Der Guerney-Nachfolgevertrag hängt davon ab. Stellen Sie die 212 morgen um 9 Uhr auf Galeg Morghi bereit.«

»Warum dort? Warum nicht auf dem Internationalen Flughafen?«

»Dort ist es bequemer – und jetzt auch ruhiger.«

McIver runzelte die Stirn. Valik besaß die Befugnis, einen solchen Flug anzuordnen und zu genehmigen. »Gut, ich werde es versuchen.« Er nahm ein leeres Flugplanformular heraus, setzte unter ›Passagiere‹ General Valik, Vorsitzender der Iran Helicopter Company, ein und reichte es ihm. »Bitte, unterschreiben Sie!«

Valik schob das Formular gebieterisch von sich. »Es ist nicht notwendig, daß mein Name darauf steht. Setzen Sie nur ein: vier Passagiere – meine Frau und meine beiden Kinder begleiten mich und wir werden auch Gepäck mitführen. Wir bleiben eine Woche in Abadan, dann fliegen wir zurück. Stellen Sie also die 212 um 9 Uhr auf Galeg Morghi bereit!«

»Ich bedaure, General, die Namen müssen auf dem Formular stehen, sonst akzeptiert die Luftwaffe den Flugplan nicht. Alle Passagiere müssen namentlich genannt werden.« McIver begann, die übrigen Namen hinzuzufügen.

»Hören Sie auf! Setzen Sie keine Namen ein! Schreiben Sie hinein, daß Sie Ersatzteile nach Abadan fliegen müssen.« Valiks Stirn war schweißnaß.

»Schön, aber zuerst unterschreiben Sie bitte! Und setzen Sie die Namen und das Reiseziel ein!«

Der General lief rot an. »Erledigen Sie es, ohne daß ich genannt werde!«

»Das kann ich nicht.« McIver verlor ebenfalls langsam die Geduld. »Die Militärs werden genau nach dem Wer und Wohin fragen, um so mehr, als wir seit Wochen nicht mehr in dieser Richtung geflogen sind.«

»Es ist ein Sonderflug mit Ersatzteilen. Ganz einfach.«

»Überhaupt nicht einfach. Die Wachen auf Galeg Morghi lassen Sie ohne Papiere nicht einsteigen. Warum unterschreiben Sie die Genehmigung nicht selbst, General? Sie verfügen doch über ausgezeichnete Beziehungen! Für Sie wäre es ein Kinderspiel.«

»Das sind unsere Flugzeuge. Sie gehören uns.«

»Allerdings – sobald Sie sie bezahlt haben. Sie sind uns beinahe vier Millionen Dollar schuldig. Wenn Sie nach Abadan wollen, ist das Ihre Sache, aber wenn man Sie mit falschen Papieren, die ich gegengezeichnet habe, in einem S-G-Heli erwischt, landen Sie, Ihre Familie, der Pilot und ich im Gefängnis, der Helikopter wird beschlagnahmt, und wir müssen zusperren.«

Valik schluckte die Antwort hinunter, die ihm auf der Zunge gelegen hatte. Er setzte sich und lächelte schwach. »Wir sollten nicht miteinander streiten, Mac, wir haben zuviel gemeinsam erlebt! Ich werde dafür sorgen, daß es sich für Sie lohnt. Für Sie und den Piloten.« Er öffnete die Brieftasche. »12 Millionen Rial – für Sie beide.«

McIver starrte das Geld verständnislos an. 12 Millionen Rial waren fast 150.000 Dollar. Er schüttelte verdutzt den Kopf.

»Also gut, 12 Millionen für jeden und die Unkosten; die Hälfte jetzt und die Hälfte, wenn wir auf dem Flughafen von Kuwait gelandet sind«, sagte Valik daraufhin.

McIver war entsetzt, nicht nur wegen des Geldes, sondern weil Valik laut ›Kuwait‹ gesagt hatte. McIver hatte es vermutet, aber nicht darüber nachdenken wollen. Es bedeutete genau das Gegenteil von dem, was Valik bis jetzt behauptet hatte: daß der Schah die Opposition und Khomeini zerschmettern würde. Noch nach der Abreise des Schahs hatte Valik Dutzende Male wiederholt, daß kein Grund zur Sorge bestehe, weil Bachtiar und die Generäle nie zulassen würden, daß sich unter dem Deckmantel Khomeinis eine kommunistische Revolution vollzog. Auch die Vereinigten Staaten würden es nicht zulassen.

McIver wandte den Blick von den Scheinen ab und sah den ihm gegenübersitzenden Mann an. »Was wissen Sie, was wir nicht wissen?«

»Ich muß das Land mit meiner Familie verlassen.« Valik befand sich am Rand der Verzweiflung. »Die Gerüchte sind entsetzlich – Staatsstreich oder Bürgerkrieg, Khomeini oder nicht, meine Familie und ich, wir sind gezeichnet. Wir müssen das Land verlassen, bis sich die Lage beruhigt hat. 12 Millionen für jeden von Ihnen beiden!«

»Was für Gerüchte?«

»Gerüchte. Beschaffen Sie sich irgendwie die Genehmigung. Ich zahle im voraus.«

»Ich tue es nicht, ganz gleich, wieviel Geld Sie mir anbieten. Ich mache keine krummen Sachen.«

»Sie bornierter Heuchler! Wie haben denn Sie all diese Jahre im Iran gearbeitet? Mit Pischkesch! Wie haben Sie selbst im Schleichhandel oder beim Zoll bezahlt? Mit Pischkesch! Wie werden Verträge abgeschlossen – die Nachfolgeverträge für Guerney zum Beispiel? Mit Pischkesch! Man drückt unauffällig Geld in die richtige Hand. Sind Sie so naiv, daß Sie noch immer nicht wissen, wie es im Iran zugeht?«

»Ich weiß, was Pischkesch ist. Ich bin nicht naiv. Und ich weiß, daß im Iran eigene Sitten herrschen. Trotzdem lautet meine Antwort: nein!«

»Dann komme das Blut meiner Frau und meiner Kinder auf Ihr Haupt! Und das meine!«

»Wovon reden Sie?«

»Haben Sie Angst vor der Wahrheit?«

McIver starrte ihn an. Genny und er hatten Valiks Frau und die Kinder ins Herz geschlossen. »Woher wollen Sie sie wissen?«

»Ich … ich habe einen Vetter bei der Polizei. Er hat eine … geheime Liste der SAVAK gesehen. Ich soll übermorgen mit anderen Prominenten zur Beschwichtigung der Opposition verhaftet werden. Meine Familie auch. Und Sie wissen, wie sie … Frauen und Kinder im Angesicht …« Valiks Stimme erstarb.

McIvers Widerstand brach zusammen. Jeder von ihnen hatte entsetzliche Geschichten über Frauen und Kinder gehört, die man vor den Augen der Verhafteten folterte; sei es, damit sich diese zu allem bereit erklärten, was man von ihnen verlangte, sei es aus purem Sadismus. »Gut«, gab er hilflos nach. Er fühlte sich elend, denn er wußte, daß er in der Falle saß. »Ich werde es versuchen, aber erwarten Sie nicht, daß Sie eine Genehmigung bekommen, und fliegen Sie nicht nach Abadan, um nach Kuwait zu gelangen! Am vernünftigsten wäre die Türkei. Wir könnten Sie nach Täbris fliegen, von wo aus Sie dann ein Lastwagen über die Grenze bringen kann. Sie haben drüben doch bestimmt Freunde. Und Sie können nicht von Galeg Morghi abfliegen – Sie müßten irgendwo außerhalb von Teheran in den Heli steigen. Abseits der Straßen, außer Reichweite der Radarkontrolle.«

»Gut, aber es muß bei Abadan bleiben.«

»Warum? Sie verringern Ihre Chancen um die Hälfte.«

»Meine Familie – mein Vater und meine Mutter sind mit dem Wagen dorthin gefahren. Natürlich haben Sie mit Galeg Morghi recht. Sie könnten uns außerhalb von Teheran in …« Er überlegte einen Augenblick, dann fuhr er fort: »… an der Kreuzung der Pipeline Süd mit dem Fluß Zehsan abholen … Die Stelle ist weit von jeder Straße entfernt und sicher. Wir werden morgen vormittag um 11 Uhr dort sein. Allah wird es Ihnen lohnen, Mac. Wenn. Sie um eine Flugerlaubnis für Ersatzteile ansuchen, werde ich dafür sorgen, daß Sie sie bekommen. Bitte!«

»Und wie steht es mit dem Auftanken? Wenn wir irgendwo landen, registriert man uns sofort.«

»Verlangen Sie, daß der Hubschrauber auf der Luftwaffenbasis Isfahan auftankt … Ich werde dafür sorgen, daß es klappt.«

»Und wenn etwas schiefgeht?«

»Inscha'Allah! Sie suchen um eine Genehmigung für Ersatzteile nach – keine Namen, sonst bin ich tot, und Annousch, Jalal und Setasem ebenfalls. Bitte!«

McIver wußte, daß es Wahnsinn war. »Ich werde um die Genehmigung nachsuchen: Ersatzteile für Bandar-e Delam. Um Mitternacht müßte ich dann wissen, ob ich sie bekommen habe. Ich werde jemanden beauftragen, auf sie zu warten und sie mir in die Wohnung zu bringen. Das Telefon funktioniert nicht. Sie müssen mich aufsuchen, um zu erfahren, wie es steht. Dadurch gewinne ich auch Zeit, die ganze Sache durchzudenken und mich zu entscheiden.«

»Aber Sie …«

»Um Mitternacht.«

»Ja, gut, ich komme.«

»Was ist mit den anderen Partnern?«

»Sie wissen nichts. Emir Paknouri oder ein anderer wird mich vertreten.«

»Was ist mit den wöchentlichen Zahlungen?«

»Sie werden dafür sorgen.« Wieder wischte sich Valik die Stirn ab. »Allahs Segen über Sie.« Er zog den Mantel an und ging zur Tür. Die Brieftasche blieb auf dem Tisch liegen.

»Nehmen Sie das da mit!«

Valik drehte sich um. »Sie wollen also, daß ich in Kuwait bezahle? Oder in der Schweiz? In welcher Währung?«

»Sie haben nichts zu bezahlen. Sie sind autorisiert, einen Charterflug zu genehmigen. Vielleicht können wir Sie nach Bandar-e Delam bringen – von dort an sind Sie auf sich gestellt.«

Valik starrte ihn ungläubig an. »Aber … Sie brauchen doch Geld, um den Piloten zu bezahlen.«

»Nein. Sie können mir jedoch einen Vorschuß von 5 Millionen Rial auf das Geld geben, das uns Ihre Gesellschaft schuldet und das wir dringend brauchen.« McIver kritzelte eine Quittung und überreichte sie Valik. »Wenn Sie fort sind, werden Emir Paknouri oder die anderen vielleicht nicht mehr so großzügig sein.«

»Die Banken werden nächste Woche wieder öffnen, das steht fest.«

»Hoffentlich. Dann bekommen wir endlich, was uns zusteht.«

Valik zählte das Geld ab, und McIver wußte, daß er ihn für verrückt hielt, weil er das Pischkesch nicht angenommen hatte. Er wußte aber auch, daß Valik versuchen würde, den Piloten zu bestechen, damit der sie nach Kuwait brachte, was die Katastrophe heraufbeschwören würde.

Und jetzt starrte er ausdruckslos zum Fenster hinaus und dachte: Mein Gott, die SAVAK, ich muß ihm doch helfen! Die armen Kinder und die arme Frau! Und wenn Valik den Piloten zu bestechen versucht, wird er dann standhaft bleiben? Valik hat 12 Millionen geboten, er wird den Betrag in Abadan verdoppeln. Tom oder Nogger Lane könnten das Geld gut gebrauchen, ich auch, jeder von uns. Nur ein kurzer Trip über den Golf – und kein Rückflug. Wo zum Teufel hat Valik das Geld her? Es muß doch von einer Bank kommen! Seit Wochen hielt sich hartnäckig das Gerücht, daß Leute mit guten Verbindungen gegen einen bestimmten Betrag Geld aus Teheran hinausschaffen konnten, obwohl die Banken geschlossen waren. Gegen einen noch größeren Betrag konnte man sogar Geld auf ein Schweizer Nummernkonto überweisen lassen. Ein paar Millionen in die richtige Hand, und alles ist möglich. Nicht nur hier, sondern auf der ganzen Welt.

»Tom«, sagte er müde, »ruf die militärische Flugsicherung an und erkundige dich, ob die 212 die Starterlaubnis bekommen hat.« Für Lochart handelte es sich um einen Routineflug. McIver hatte ihm nur erzählt, daß Valik heute endlich Geld übergeben hätte. McIver wußte immer noch nicht, welchen Piloten er schicken sollte; am liebsten wäre er selbst geflogen, um niemanden in Gefahr zu bringen.

Lochart ging zum Funkgerät. In diesem Augenblick hörte er im vorderen Büro ein Geräusch, und die Tür ging auf. Vor ihm stand ein junger Mann, der eine automatische Waffe über der Schulter und eine grüne Armbinde trug. Etwa ein halbes Dutzend Burschen standen hinter ihm. Die iranischen Angestellten rührten sich nicht. Der junge Mann musterte McIver und Lochart und schaute dann in einer Liste nach.

»Salaam, Agha! Captain McIver?« fragte er Lochart. Er sprach stockend und mit starkem Akzent.

»Salaam, Agha! Nein, ich bin Captain McIver«, antwortete dieser beunruhigt. Sein erster Gedanke war, daß diese Leute zu der gleichen Gruppe gehören könnten, die Yusuf Kyabi ermordet hatte, sein zweiter, Genny hätte zusammen mit den übrigen abreisen sollen, er hätte darauf bestehen sollen. Sein dritter Gedanke galt den gebündelten Rialscheinen in seinem offenstehenden Aktenkoffer, der neben dem Garderobenständer auf dem Boden lag.

»Gut«, sagte der junge Mann höflich. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und obwohl McIver ihn für höchstens 25 Jahre alt hielt, wirkte er wie ein betagter Mann. »Gefahr hier. Für Sie hier. Jetzt. Bitte gehen. Wir sind das Komitee für diesen Block. Bitte gehen Sie! Jetzt.«

»Gut. Ja, danke.« Schon zweimal hatte McIver daran gedacht, die Büros wegen der Unruhen und der Volkshaufen in den umliegenden Straßen zu räumen, obwohl sich die Menge überraschenderweise diszipliniert verhalten und Europäern und deren Besitz kaum Schaden zugefügt hatte, die auf den Straßen geparkten Autos ausgenommen. Es war das erste Mal, daß McIver persönlich gewarnt wurde. Gehorsam zogen er und Lochart ihre Mäntel an. McIver schloß seinen Aktenkoffer und setzte sich gemeinsam mit den übrigen in Bewegung. Er schaltete das Licht aus.

»Wieso hier Licht, wenn sonst niemand?« fragte der Anführer.

»Wir besitzen einen Generator. Oben auf dem Dach.«

Der junge Mann lächelte seltsam. »Fremde haben Generatoren und warm, Iraner nicht.«

McIver wollte etwas erwidern, überlegte es sich aber anders.

»Sie haben Nachricht bekommen? Nachricht über Fortgehen? Brief heute?«

»Ja«, bestätigte McIver. Ein Zettel im Büro, einer in der Wohnung im Briefkasten. »Am 1. Dezember haben wir Sie aufgefordert abzureisen. Warum sind Sie noch hier, wenn nicht als Feind? Ihnen bleibt nur noch wenig Zeit.« Unterschrieben hatte die Universitätsaktionsgruppe für eine Islamische Republik im Iran.

»Sie sind von der Universität?«

»Wir sind Ihr zuständiges Komitee. Bitte jetzt fortgehen. Feinde besser nie mehr zurückkommen. Nicht wahr?«

McIver und Lochart gingen hinaus. Die Revolutionäre folgten ihnen auf der Treppe. Der Fahrstuhl war seit Wochen außer Betrieb.

Die Straße war immer noch frei, keine Menschen, keine Brände, nur in der Ferne Gewehrfeuer.

»Nicht zurückkommen. Drei Tage.«

McIver starrte sie an. »Das ist nicht möglich. Ich habe viel …«

»Gefährlich.« Der junge Mann und die übrigen Burschen warteten schweigend und beobachteten sie. Nicht alle trugen Gewehre, zwei hatten nur Knüppel. »Nicht zurückkommen. Sehr schlecht. Drei Tage, sagt Komitee. Verstehen?«

»Ja, aber einer von uns muß den Generator auftanken, sonst ist das Telex außer Betrieb, und man kann sich nicht mit uns in Verbindung setzen.«

»Telex unwichtig. Nicht zurückkommen. Drei Tage.« Der junge Mann bedeutete ihnen geduldig, sie sollten wegfahren. »Gefahr hier. Nicht vergessen! Gute Nacht!«

McIver und Lochart stiegen in ihre Autos, die auf den Abstellplätzen unter dem Gebäude standen; die neidischen Blicke waren ihnen sehr deutlich bewußt. Sie fuhren los und hielten nebeneinander, nachdem sie die zweite Ecke hinter sich hatten.

»Die Kerle haben es ernst gemeint«, stellte McIver erbittert fest. »Drei Tage? Ich kann nicht drei Tage lang vom Büro wegbleiben.«

»Tja. Was jetzt?« Lochart schaute in den Rückspiegel. Die jungen Männer waren um die Ecke gekommen und beobachteten sie. »Fahren wir lieber weiter! Ich komme in eure Wohnung«, fügte er hastig hinzu.

»Ja, aber erst morgen früh, Tom. Im Augenblick können wir nichts unternehmen.«

»Ich fliege doch nach Zagros zurück – ich sollte längst unterwegs sein.«

»Ich weiß. Bleib noch einen Tag hier und flieg übermorgen! Wenn wir die Starterlaubnis bekommen, was ich zwar bezweifle, kann Nogger den Charterflug übernehmen. Komm gegen 10!« Die Burschen kamen näher. »Gegen 10 Uhr, Tom!« wiederholte McIver, legte den Gang ein und fuhr fluchend davon.

Die jungen Männer sahen ihnen nach, und ihr Anführer Ibrahim war froh, daß die beiden Wagen weg waren, denn er wollte keine Auseinandersetzungen mit Fremden. Er wollte nicht Fremde töten oder vor Gericht stellen, nur die SAVAK, schuldige Polizisten, iranische Feinde des Irans, die den Schah zurückholen wollten und alle verräterischen marxistischen Anhänger totalitärer Systeme, die gegen Demokratie, freie Religionsausübung, freie Erziehung und freie Universitäten waren.

»Wie gern hätte ich so ein Auto, Ibrahim«, meinte einer von ihnen blaß vor Neid.

»Eines Tages wirst du eines besitzen, Ali«, antwortete Ibrahim. »Auch den Sprit, den du dafür brauchst. Eines Tages wirst du der berühmteste Schriftsteller und Dichter des Iran sein.«

»Es ist widerlich von den Fremden, ihren Reichtum so zur Schau zu stellen, wenn es im Iran soviel Armut gibt«, meinte ein anderer.

»Bald werden alle fort sein. Für immer.«

»Glaubst du, daß die beiden morgen wiederkommen, Ibrahim?«

»Hoffentlich nicht. Ich wüßte nämlich nicht, wie wir uns dann verhalten sollen. Aber wir haben ihnen ganz schön Angst eingejagt. Trotzdem sollten wir diesen Block mindestens zweimal täglich kontrollieren.«

Einer von den jungen Männern, die nur mit Knüppeln bewaffnet waren, legte ihm liebevoll den Arm um die Schulter. »Ich bin froh, daß wir dich zum Anführer gewählt haben. Du bist der beste.«

Ibrahim Kyabi war sehr stolz über diese Auszeichnung. Er war auch stolz darauf, daß er an der Revolution teilnahm, die allen Schwierigkeiten des Iran ein Ende setzen würde. Dazu war er stolz auf seinen Vater, der Gebietsmanager und einer der wichtigsten Beamten von IranOil war, seit Jahren für die Demokratie im Iran gearbeitet und Opposition gegen den Schah betrieben hatte und jetzt im neuen ruhmreichen Iran bestimmt ein einflußreicher Mann sein würde.

»Kommt, Freunde!« sagte er zufrieden. »Wir müssen noch einige Gebäude durchsuchen.«