13
Teheran: 20 Uhr 33. Nachdem Tom Lochart sich von McIver getrennt hatte, fuhr er nach Hause – ein paar Umleitungen, ein paar aufgebrachte Polizisten, aber sonst gab es keine Unannehmlichkeiten. Er wohnte in einem schönen Penthouse in einem modernen fünfstöckigen Gebäude in der besten Wohngegend – ein Hochzeitsgeschenk seines Schwiegervaters. Scharazad erwartete ihn bereits. Sie legte ihm die Arme um den Hals, küßte ihn leidenschaftlich und bat ihn, sich vor den Kamin zu setzen und die Schuhe auszuziehen. Dann holte sie Wein, der exakt so gekühlt war, wie er es gern hatte, und brachte ihm ein paar Appetithäppchen. Das Essen werde bald auf dem Tisch stehen, versprach sie ihm, lief in die Küche und erklärte der Köchin, daß sie sich beeilen müsse, weil der Herr zu Hause und hungrig sei. Vor dem Kamin setzte sie sich ihm zu Füßen, schlang die Arme um seine Knie und sah bewundernd zu ihm auf. »Ich bin so glücklich, daß du da bist, Tommy, du hast mir so sehr gefehlt. Ich habe gestern und heute sehr viel Interessantes erlebt.« Sie trug eine leichte, seidene Pluderhose und eine lange, lose Bluse, und er empfand ihre Schönheit beinahe als schmerzhaft. In wenigen Tagen würde sie 23 sein. Er war 42, und sie waren seit fast einem Jahr verheiratet. Er war ihr von dem Augenblick an verfallen gewesen, als er sie zum erstenmal erblickt hatte. Das war vor etwas mehr als 3 Jahren in Teheran anläßlich einer Dinnerparty hei General Valik gewesen, einem Vetter ihres Vaters. Die Sommerferien in Großbritannien gingen gerade zu Ende, und Deirdre, seine Frau, befand sich mit ihrer Tochter in England, genoß das Leben und vergnügte sich auf Parties. Erst an diesem Morgen hatte er wieder einen unzufriedenen Brief von ihr erhalten, in dem sie darauf bestand, daß er bei Gavallan seine sofortige Versetzung erreichen müsse. »Ich hasse Persien, ich will nicht mehr dort leben, ich will in England bleiben genau wie Monica. Warum denkst Du nicht zur Abwechslung einmal an uns statt immerzu nur an Deine verdammte Fliegerei und Deine verdammte Firma? Meine Familie lebt hier, meine Freunde leben hier, Monicas Freunde leben hier. Ich habe genug davon, im Ausland zu leben, ich will ein eigenes Haus mit Garten in der Nähe von London haben oder meinetwegen in der Stadt – es gibt sehr günstige Objekte in Putney und Clapham Common. Ich habe die Nase voll von Ausländern und von Versetzungen ins Ausland. Ich kann das persische Essen nicht mehr riechen. Ich habe genug von dem Schmutz, von der Hitze, der Kälte, dieser gräßlichen Sprache, diesen dreckigen Klos, auf denen man hockt wie ein Tier, all den dreckigen Gewohnheiten und Sitten – von allem. Es ist an der Zeit, daß wir uns über einiges klar werden, solange ich noch jung bin …«
»Exzellenz?«
Der lächelnde Kellner hatte ihm ehrerbietig ein Tablett mit Drinks angeboten. »Manoonan« – danke –, sagte er höflich und nahm ein Glas einheimischen Weißwein. Er nahm kaum den Kellner oder die übrigen Gäste wahr, konnte seine trübe Stimmung nicht abschütteln und ärgerte sich darüber, daß er sich von McIver hatte breitschlagen lassen, auf diese Party zu gehen. McIver mußte zu ihrem Stützpunkt in Al Schargas auf der gegenüberliegenden Seite des Golfs fliegen. »Du sprichst wenigstens Persisch, Tom«, hatte er gemeint, »und jemand von uns muß dort aufkreuzen …« Ja, dachte er jetzt verbittert, aber McIver hätte genausogut Charlie Pettikin herschicken können.
Es war beinahe 9 Uhr, das Essen war noch nicht aufgetragen worden, und er stand in der Nähe einer der offenen Türen, die in den Garten führten. Im Schein der Kerzen sah er die auf dem Rasen ausgebreiteten kostbaren Teppiche und die Gäste, die auf ihnen saßen oder unter den Bäumen in der Nähe des kleinen Teiches standen.
Damals war er in Galeg Morghi stationiert gewesen, dem Militärstützpunkt bei Teheran, und er bildete iranische Luftwaffenpiloten aus. In zehn Tagen sollte er seinen neuen Posten im Zagros-Gebirge antreten, und er wußte genau, daß die neue Regelung mit zwei Wochen Zagros, einer Woche Teheran seine Frau noch mehr in Rage bringen würde. Am Vormittag hatte er in einem Wutanfall ihren Brief gleich beantwortet: »Wenn Du in England bleiben willst, dann bleib dort, aber hör auf zu meckern, und hör auf, etwas schlecht zu machen, was Du nicht kennst. Kauf Dir Dein Vorstadthaus, wo Du willst – aber ich werde nie darin leben. Nie. Ich habe einen guten Job, die Bezahlung ist in Ordnung, die Arbeit gefällt mir, und das wär's wohl. Wir haben ein gutes Leben, aber Du willst es nicht einsehen. Als wir heirateten, wußtest Du, daß ich Flieger bin, daß ich dieses Leben gewählt habe, daß ich nicht in England bleiben würde und daß ich nichts anderes gelernt habe, so daß ich jetzt nicht damit aufhören kann. Hör auf zu meckern, sonst … Wenn du eine Änderung herbeiführen willst, dann tu es …«
Verdammt, mir reicht's. Sie behauptet, daß sie den Iran und alles hier haßt, und dabei weiß sie überhaupt nichts vom Iran, ist nie aus Teheran hinausgekommen, will das Essen nicht einmal kosten, kommt immer nur mit ein paar englischen Weibern zusammen, immer den gleichen …
»Exzellenz, Sie sehen überhaupt nicht glücklich aus«, sagte da eine weibliche Stimme leise hinter ihm.
Er drehte sich um, und sein Leben veränderte sich.
»Was haben Sie bloß?« fragte sie, und ihr ovales Gesicht wurde ernst.
»Es tut mir leid«, stieß er heraus, weil sie ihn einen Augenblick lang verwirrt hatte, weil sein Herz wie verrückt pochte und sein Hals wie zugeschnürt war. »Ich habe geglaubt, daß Sie eine Fata Morgana sind, ein Märchenwesen aus ›Tausendundeiner Nacht‹, ein Zauber.« Er verstummte, weil er sich wie ein Dummkopf vorkam. »Entschuldigen Sie! Ich war schrecklich weit weg. Ich heiße Lochart, Tom Lochart.«
»Ja, ich weiß«, antwortete sie lachend. Ihre rehbraunen Augen blitzten, ihre Lippen glänzten, ihre Zähne schimmerten blendend weiß, ihr Haar war lang, dunkel und gewellt, und ihre Haut hatte die Farbe der iranischen Erde: olivenbraun. Sie trug ein Kleid aus weißer Seide, duftete nach einem teuren Parfüm und reichte ihm knapp bis zum Kinn. »Sie sind der schlimme Ausbildungs-Captain, der meinen armen Vetter Karim mindestens dreimal täglich fertigmacht.«
»Was?« Es fiel Lochart schwer, sich zu konzentrieren. »Wen?«
»Dort.« Sie zeigte auf die andere Seite des Raums. Der junge Mann, der sie anlächelte, trug Zivil, und Lochart hatte ihn nicht als einen seiner Schüler erkannt. Karim sah sehr attraktiv aus, hatte dunkles, gelocktes Haar, dunkle Augen und eine gute Figur. »Mein Lieblingsvetter, Captain Karim Peschadi von der kaiserlich iranischen Luftwaffe.« Sie blickte Lochart wieder an, ihre Wimpern waren lang und schwarz. Und wieder setzte sein Herzschlag kurz aus.
Reiß dich um Himmels willen zusammen! Was ist denn mit dir los? »Ich, na ja, ich mache sie eigentlich nie fertig, nur wenn es absolut notwendig ist – wenn ich ihnen damit das Leben rette.« Er versuchte, sich an Captain Peschadis Leistungen zu erinnern, aber sie fielen ihm nicht ein, und in seiner Verzweiflung wechselte er zu Persisch: »Aber Gnädigste, wenn Sie mir die besondere Ehre erweisen wollen, wenn Sie sich mit mir unterhalten wollen und mir die Gunst gewähren, mir Ihren Namen zu nennen, verspreche ich …« Er suchte das passende Wort, fand es nicht und ersetzte es: »… werde ich auf ewig Ihr Sklave sein und werde natürlich Seine Exzellenz Ihren Vetter mit der besten Beurteilung durchkommen lassen.«
Sie klatschte entzückt in die Hände. »Oh, Exzellenz«, antwortete sie auf Persisch, »mein Vetter hat mir nicht verraten, daß Sie unsere Sprache beherrschen. Wie schön klingen die Worte, wenn Sie sie aussprechen!« Lochart lauschte atemlos ihrem übertriebenen Kompliment, das aber im Persischen ganz normal wirkte, und antwortete auf die gleiche Art und segnete dabei Scragger, der ihm vor Jahren, als er zu Sheik Aviation kam, erklärt hatte: »Wenn du bei uns fliegen willst, Kumpel, dann lerne lieber Persisch, denn ich habe es nicht vor.« Jetzt erkannte er zum erstenmal, daß es eine Sprache der Liebe, eine Sprache der Andeutungen war.
»Ich heiße Scharazad Paknouri, Exzellenz.«
»Dann kommen Gnädigste doch aus ›Tausendundeiner Nacht‹.«
»Ich kann Ihnen trotzdem keine Geschichte erzählen, selbst wenn Sie schwören, daß Sie mir den Kopf abschlagen lassen.« Dann fuhr sie lachend auf Englisch fort: »Im Geschichtenerzählen war ich die schlechteste in der Schule.«
»Das kann nicht sein!«
»Sind Sie immer so höflich, Captain Lochart?« Ihr Blick neckte ihn.
»Nur gegenüber der schönsten Frau, die ich je gesehen habe.«
Sie errötete und blickte zu Boden, und er dachte entsetzt, daß er jetzt alles verdorben hatte. Doch als sie wieder zu ihm aufschaute, strahlten ihre Augen. »Danke! Sie machen eine alte, verheiratete Frau glücklich.«
Da fiel ihm das Glas aus der Hand. Er hob es leise fluchend auf und entschuldigte sich, aber außer ihr hatte es niemand bemerkt. »Sie sind verheiratet?« platzte er heraus, denn dieser Gedanke war ihm nicht gekommen, und außerdem war er ja auch verheiratet und hatte eine achtjährige Tochter. Mit welchem Recht regte er sich also auf? Du benimmst dich wie ein Irrer – du bist übergeschnappt. Dann kam er zu sich. »Was haben Sie eben gesagt?« fragte er.
»Daß ich verheiratet bin – noch drei Wochen und zwei Tage lang, und daß mein Name seit meiner Verehelichung Paknouri lautet. Mein Mädchenname ist Bakravan.« Sie hielt einen Kellner auf und reichte Lochart ein neues Glas Wein. »Sind Sie sicher, daß Sie sich wohl fühlen, Captain?«
»O ja, bestimmt. Haben Sie Paknouri gesagt?«
»Ja. Seine Hoheit, Emir Paknouri, war bereits fast 50 und Vater und Mutter hielten es für gut, wenn ich ihn, den Freund meines Vaters, heirate. Er war dazu bereit, obwohl ich mager bin, nicht üppig und begehrenswert, wenn ich auch noch soviel esse.« Sie zuckte mit den Achseln, aber ihre Augen strahlten, und für ihn wurde die Welt wieder hell. »Natürlich willigte ich ein, aber nur unter der Bedingung, daß unsere Ehe enden solle, wenn sie mir nach 2 Jahren nicht mehr gefalle. Wir heirateten an meinem 17. Geburtstag, und mir gefiel die Ehe sofort nicht. Ich weinte immerzu, und als wir 2 Jahre lang und ein zusätzliches Jahr, zu dem ich meine Zustimmung gab, kinderlos blieben, war mein Ehemann, mein Herr, so gütig, sich von mir scheiden zu lassen. Jetzt kann er wieder heiraten, und ich bin frei, aber leider schon alt und …«
»Sie sind nicht alt, Sie sind jung!«
»O doch, alt.« Ihre Augen funkelten, und sie tat, als wäre sie traurig, und er unterhielt sich mit ihr, lachte mit ihr und bedeutete ihrem Vetter, sich ihnen anzuschließen, weil er befürchtete, daß er der Mann ihrer Wahl war. Er unterhielt sich mit ihnen, erfuhr, daß ihr Vater ein wichtiger Bazaari, daß ihre Familie groß und kosmopolitisch eingestellt war und gute Beziehungen besaß, daß ihre Mutter kränkelte, daß sie Schwestern und Brüder hatte, daß sie in der Schweiz zur Schule gegangen war, aber nur ein halbes Jahr lang, weil sie solche Sehnsucht nach der Heimat und ihrer Familie gehabt hatte. An diesem Abend war er nicht gleich nach Hause gefahren, sondern hinauf nach Darband in die Berge, wo es viele schöne Gartencafés am Ufer des Flusses gab, mit Stühlen, Tischen und weichen Diwanen, auf denen man ruhen, essen oder schlafen konnte. Er hatte auf einem Diwan gelegen, zu den Sternen aufgeblickt und gewußt, daß sich alles verändert hatte, daß er verrückt geworden war, aber daß er jedes Hindernis überwinden, jede Mühsal ertragen würde, um sie zu heiraten.
Und er hatte sie geheiratet, obwohl es nicht leicht gewesen war und er manchmal fast verzweifelte.
»Woran denkst du, Tommy?« fragte sie jetzt.
»An dich.« Ihre Zärtlichkeit hatte seine Sorgen verscheucht. Das Wohnzimmer war warm wie die gesamte riesige Wohnung mit dem gedämpften Licht, den zugezogenen Vorhängen, den vielen Teppichen und Couchkissen. Die Holzscheite im Kamin brannten fröhlich. »Aber ich denke ja immer nur an dich.«
Sie schlug die Hände zusammen. »Das ist wunderbar.«
»Ich fliege statt morgen erst übermorgen ins Zagros-Gebirge.«
»Das ist noch wunderbarer.« Sie umschlang wieder seine Knie und legte den Kopf auf sie.
Er streichelte ihr Haar. »Du hast erwähnt, daß du einen interessanten Tag hinter dir hast?«
»Ja, gestern und heute. Ich war in deiner Botschaft und habe den Paß bekommen, wie du gewollt hast.«
»Großartig. Ab jetzt bist du Kanadierin.«
»Nein, Liebling, Iranerin – du bist Kanadier. Aber das Beste kommt erst: Ich war in Doschan Tappeh!«
»Verdammt«, entfuhr es ihm wider Willen, denn sie mochte nicht, daß er fluchte. »Entschuldige! Aber das war verrückt. Dort wird gekämpft, es war verrückt von dir, dich in Gefahr zu begeben.«
»Ach, ich war nicht bei den Kämpfen«, erklärte sie fröhlich, stand auf und lief hinaus. »Ich zeige es dir.« Im nächsten Augenblick stand sie wieder in der Tür. Sie hatte einen grauen Tschador angelegt, der sie vom Kopf bis zu den Füßen und auch den größten Teil ihres Gesichts verdeckte. Er verabscheute ihn sofort. »Ach, Herr«, sagte sie auf Persisch und drehte sich vor ihm, »du mußt nicht um mich bangen. Allah beschützt mich, und auch der Prophet, Sein Name sei gepriesen.« Sie unterbrach sich, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. »Was ist los?« fragte sie auf Englisch.
»Ich habe dich noch nie in einem Tschador gesehen. Er steht dir nicht.«
»Ich weiß, daß er häßlich ist, und ich würde ihn nie zu Hause tragen, aber auf der Straße fühle ich mich in ihm wohler, Tommy. Die Männer starren einen so schrecklich an. Es ist an der Zeit, daß wir ihn wieder tragen – und auch den Schleier.«
Er war entsetzt. »Was ist mit den Rechten, die ihr errungen habt, dem Recht zu wählen, dem Recht, den Schleier abzulegen, dem Recht, überall hinzugehen, wo ihr wollt, zu heiraten, wen ihr wollt, nicht mehr ein Stück Vieh zu sein? Wenn ihr den Tschador akzeptiert, verliert ihr alle übrigen Rechte.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht, Tommy.« Sie war froh, daß sie ihm widersprechen konnte, was bei einem iranischen Ehemann undenkbar gewesen wäre. Sie war so froh, daß sie diesen Mann geheiratet hatte, der ihr unglaublicherweise eine eigene Meinung zubilligte und, was noch verblüffender war, ihr erlaubte, sie offen zu äußern. Der Wein der Freiheit steigt einem rasch zu Kopf, dachte sie, er ist für eine Frau sehr gefährlich – wie jene Frucht im Garten Eden.
»Als Schah Reza den Schleier von unseren Gesichtern nahm, hätte er auch die Einstellung der Männer ändern müssen. Du gehst nicht auf den Markt, Tommy, und fährst nicht Autobus, jedenfalls nicht als Frau. Du hast keine Ahnung, wie das ist. Die Männer auf der Straße, im Basar, in der Bank, überall. Sie sind alle gleich. Man sieht, daß alle das gleiche denken, von dem gleichen besessen sind – Gedanken, die im Zusammenhang mit mir nur dir zustehen.«
Sie nahm den Tschador ab, legte ihn ordentlich auf einen Stuhl und setzte sich wieder zu ihm. »Von heute an werde ich ihn auf der Straße tragen wie meine Mutter und Großmutter vor mir, nicht wegen Khomeini, Allah schütze ihn, sondern deinetwegen, mein geliebter Mann.«
Sie küßte ihn leicht, und er wußte, daß es beschlossene Sache war. Außer er verbot es ihr. Aber dann würde es Schwierigkeiten geben, denn es war ihr Recht, diese Entscheidung zu treffen. Sie war Iranerin, sie lebten im Iran, also würden es typisch iranische Schwierigkeiten sein, die zu einer typisch iranischen Lösung führten: Sie würde oft und tief seufzen, ihm seelenvolle Blicke zuwerfen, gelegentlich eine Träne vergießen, ihn mit niedergeschlagenen Augen wie eine Sklavin bedienen, nachts im richtigen Augenblick schluchzen, noch gequälter seufzen, aber nie würde ein zorniges Wort oder ein drohender Blick den äußerlichen Frieden stören.
Manchmal fiel es Lochart schwer, sie zu verstehen. »Tu, was du willst, aber fahre nicht mehr nach Doschan Tappeh! Was ist dort geschehen?«
Ihr Gesicht leuchtete auf. »Es war so aufregend. Die Unsterblichen konnten die Gläubigen nicht vertreiben. Überall wurde geschossen. Ich befand mich in Sicherheit, meine Schwester Laleh, mein Vetter Ali und seine Frau waren bei mir. Auch Karim war da. Er hat sich gemeinsam mit anderen Offizieren für den Islam und die Revolution entschieden und uns gesagt, wo und wie wir ihn erreichen können. Es waren über 200 Frauen anwesend, alle trugen den Tschador, und wir riefen im Chor ›Allah ist groß, Allah ist groß.‹ Dann liefen einige Soldaten zu uns über. Unsterbliche.« Ihre Augen wurden groß. »Stell dir vor, sogar die Unsterblichen beginnen, die Wahrheit zu erkennen!«
Lochart war bestürzt, weil sie sich, wenn auch in Begleitung, solcher Gefahr ausgesetzt hatte. Bis jetzt hatten die Revolte und Khomeini sie scheinbar nicht berührt, außer zu Beginn, als sie sich wegen ihres Vaters und ihrer Verwandten Sorgen machte, die reiche Kaufleute und Bankiers waren und gute Beziehungen zum Hof unterhielten. Zum Glück hatte der Vater alle ihre Sorgen zerstreut, indem er ihr anvertraute, daß er und seine Brüder im geheimen seit Jahren Khomeini und die Revolte gegen den Schah unterstützten. Aber jetzt, dachte Lochart, wenn die Unsterblichen und hohe junge Offiziere wie Karim überlaufen, wird es zu einem schrecklichen Blutvergießen kommen. »Wie viele sind denn übergelaufen?« fragte er, während er überlegte, was er tun solle.
»Nur drei, aber Karim findet, daß es ein guter Anfang ist und daß Bachtiar und sein Geschmeiß bald genauso fliegen werden wie der Schah.«
»Hör zu, Scharazad, heute haben die Regierungen von England und Kanada angeordnet, daß alle Angehörigen ihrer hier tätigen Staatsbürger den Iran auf einige Zeit verlassen müssen. Mac schickt alle nach Al Schargas, bis sich die Lage beruhigt hat.«
»Das ist sehr vernünftig.«
»Morgen kommt unsere 125. Sie bringt Genny, Manuela, dich und Azadeh fort. Packe also …«
»Ich verlasse das Land nicht, ich habe keinen Grund dazu, Liebling. Und warum sollte Azadeh das Land verlassen? Für uns besteht keine Gefahr. Vater würde es bestimmt wissen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Sie sah, daß sein Weinglas beinahe leer war, stand auf, füllte es wieder und brachte es ihm. »Mir geschieht bestimmt nichts.«
»Aber ich finde, daß du außerhalb des Irans besser aufgehoben wärst.«
»Es ist wunderbar, daß du an mich denkst, Liebling, aber ich habe keinen Grund abzureisen. Ich werde morgen Vater fragen – oder du tust es.« Ein kleines Stückchen glühende Kohle fiel aus dem Kamin. Er wollte aufstehen, aber sie war schon dort. »Ich tue es. Ruhe dich nur aus, mein Liebling, du mußt müde sein. Vielleicht hast du morgen Zeit, gemeinsam mit mir Vater zu besuchen.«
Dann griff sie lächelnd nach ihrem Tschador und lief fröhlich durch das Zimmer und den Korridor in die Küche.
Beunruhigt starrte Lochart ins Feuer und sammelte Argumente, weil er ihr nichts vorschreiben wollte. Aber wenn es sein muß, werde ich mich dazu entschließen. Es gibt schon so genug Schwierigkeiten: Charlie ist verschwunden, in Kowiss herrscht das Chaos, Kyabi wurde ermordet, und Scharazad und ich befinden uns mitten im Aufruhr. Sie ist verrückt, ein solches Risiko einzugehen. Wenn ich sie verliere, sterbe ich. Gott, wer und wo Du auch bist, beschütze sie!
Das Wohnzimmer war groß. In der anderen Hälfte standen ein Tisch und Stühle, aber meist saßen sie auf dem Fußboden und lehnten sich an Polster und Kissen. Sie verfügten über fünf Schlafzimmer, drei Badezimmer und zwei Wohnzimmer. Das zweite war viel kleiner, und wenn er geschäftliche Besprechungen hatte oder wenn ihre Freundinnen oder Verwandten zu Besuch kamen, zog sie sich in dieses Wohnzimmer zurück, um nicht zu stören. Um Scharazad war immer Leben und Bewegung: Verwandte, Kinder, Kindermädchen …
Es störte ihn nie, denn sie waren eine glückliche, gesellige Familie. Er hatte mit ihrem Vater vereinbart, daß er drei Jahre und einen Tag im Iran leben würde. Dann konnte er mit Scharazad zeitweilig den Iran verlassen, falls es erforderlich war. »Bis dahin«, hatte ihr Vater freundlich gemeint, »werdet ihr sicherlich die richtige Entscheidung getroffen haben, dann werdet ihr Söhne und Töchter haben, denn obwohl meine Tochter mager, geschieden und noch kinderlos ist, glaube ich nicht, daß sie unfruchtbar ist.«
»Aber sie ist noch so jung. Vielleicht finden wir, daß es noch zu früh für Kinder ist.«
»Es ist nie zu früh«, hatte Bakravan scharf widersprochen. »Es steht ausdrücklich in den heiligen Büchern. Eine Frau braucht Kinder. Ein Heim braucht Kinder. Ohne Kinder kommt eine Frau auf müßige Gedanken.«
»Aber wenn sie und ich der Meinung sind, daß es zu früh ist?«
»Eine solche Entscheidung steht ihr nicht zu«, hatte Jared Bakravan empört geantwortet. »Es wäre ungeheuerlich, sogar eine Beleidigung, mit ihr darüber zu sprechen. Du mußt denken wie ein Iraner, oder diese Ehe wird nicht von Dauer sein. Vielleicht nicht einmal beginnen. Willst du womöglich keine Kinder?«
»O doch, natürlich, aber …«
»Gut, dann ist das erledigt.«
»Können wir uns auf folgendes einigen: Drei Jahre und einen Tag lang darf ich bestimmen, ob es zu früh ist?«
»Das ist unsinnig. Wenn du keine Kinder willst …«
»Natürlich will ich welche, Exzellenz.«
Schließlich räumte der alte Mann widerwillig ein: »Nur ein Jahr und einen Tag – aber du mußt schwören, daß du wirklich Kinder willst. Du hast nur Unsinn im Kopf, mein Sohn. Mit Allahs Hilfe wird dieser Unsinn verschwinden wie Schnee auf Wüstensand. Natürlich brauchen Frauen Kinder …«
Lochart lächelte geistesabwesend vor sich hin. Dieser unglaubliche alte Mann würde noch im Paradies mit Gott feilschen. Und warum auch nicht? Immerhin handelte es sich dabei um den nationalen Zeitvertreib der Iraner. Aber was sage ich ihm in ein paar Tagen, wenn das Jahr und ein Tag vorüber sind? Möchte ich jetzt Kinder und die damit verbundene Verantwortung auf mich nehmen? Nein, noch nicht. Doch Scharazad wünscht sich Kinder. Sie hat meine Entscheidung zwar akzeptiert und nie ein Wort gesagt, aber ich glaube nicht, daß sie sich je damit abgefunden hat.
Er hörte aus der Küche gedämpfte Stimmen – ihre und die des Dienstmädchens –, was die Ruhe um ihn nur verdeutlichte. Hier fand er den richtigen Ausgleich zu dem Lärm im Cockpit, zu seinem zweiten Leben. Die Polster waren sehr bequem, und er beobachtete das Feuer. Draußen wurde irgendwo geschossen, aber sie hatten sich schon so daran gewöhnt, daß sie es kaum noch wahrnahmen.
Ich muß sie aus Teheran hinausbringen, dachte er, aber wie? Solange ihre Familie hier ist, wird sie nie abreisen. Bachtiar müßte sich bald entschließen, die Revolte durch das Militär niederschlagen zu lassen, sonst ist er erledigt. Doch wenn er es tut, kommt es zu einem Blutbad, denn wenn es um den Islam geht, werden die Iraner gewalttätig.
Ja, der Islam. Ich habe dem alten Mann versprochen, daß ich mich mit dieser Religion befassen werde, daß ich sie ohne jedes Vorurteil studieren werde. Und?
Jetzt ist nicht der richtige Augenblick, um darüber nachzudenken. Du mußt praktische Entscheidungen treffen. Scharazad befindet sich in Gefahr. Tschador oder nicht, sie wird sich letztlich für ihn einsetzen, denn sie hat das Recht – es handelt sich schließlich um ihre Heimat.
Ja, aber sie ist meine Frau, und ich werde ihr befehlen, sich herauszuhalten. Sie könnte in das Haus ihres Vaters am Kaspischen Meer in der Nähe von Bandar-e Pahlavi ziehen. Vielleicht kann ihre Familie sie dorthin bringen – das Klima ist dort besser, es ist nicht so verdammt kalt wie hier, obwohl unsere Wohnung warm ist und wir dank des Alten und der Familie immer Heizöl und Brennholz sowie Lebensmittel im Kühlschrank haben.
Ein leises Geräusch lenkte ihn ab. Scharazad stand im Türrahmen; sie trug den Tschador und einen leichten Schleier, den er noch nie an ihr gesehen hatte. Ihre Augen waren ihm noch nie so verführerisch erschienen. Sie trat näher und schlug den Tschador zurück. Darunter hatte sie nichts an, und er sog scharf die Luft ein.
»Exzellenz, mein Mann, gefällt Ihnen der Tschador jetzt?«
Er griff nach ihr, aber sie wich lachend zurück. »Angeblich tragen die Prostituierten in den Sommernächten ihren Tschador so.«
»Scharazad.«
»Nein.«
Diesmal fing er sie mühelos ein. Ihr Duft, ihre schimmernde Haut, ihr weicher Körper. »Vielleicht, Herr«, meinte sie zwischen den Küssen neckend, »wird deine Sklavin den Tschador immer so tragen – auf der Straße, im Basar. Angeblich tun es viele Frauen.«
»Nein. Die Vorstellung würde mich wahnsinnig machen.« Er wollte sie hochheben und ins Schlafzimmer tragen.
Aber sie widersprach: »Nein, Liebster, bleiben wir hier!«
»Aber die Dienerschaft …«, wandte er ein.
Und sie flüsterte: »Vergiß sie, sie werden uns nicht stören, ich bitte dich, Liebster, vergiß alles und denke nur daran, daß dies dein Haus, dein Heim ist, und daß ich ewig deine Sklavin bin.«
Sie blieben. Wie immer war ihre Leidenschaft genauso groß wie die seine, und obwohl er nicht begriff, wieso es so war, konnte er nur mit ihr die Gefilde der Seligkeit erreichen, mit dieser Nymphe des Paradieses dort verweilen und dann ungefährdet auf die Erde zurückkehren.
Als sie später beim Essen saßen, störte die Türklingel ihren Frieden. Der Diener Hassan sah nach, kehrte dann in das Eßzimmer zurück und schloß die Tür hinter sich: »Herr, es ist Seine Exzellenz General Valik. Er bittet um Verzeihung, weil er Sie so spät noch stört, aber es sei wichtig, und er fragt, ob Sie ihm ein paar Minuten gewähren würden.«
Lochart wollte schon abschlägig antworten, aber Scharazad berührte ihn, und er beruhigte sich. »Empfange ihn, Liebster! Ich warte im Bett auf dich. Hassan, bring einen frischen Teller und wärme den Khoresch auf. Seine Exzellenz ist bestimmt hungrig.«
Valik entschuldigte sich überschwenglich, weil er so spät kam, lehnte zweimal das Essen ab, ließ sich aber natürlich dann doch überreden und aß heißhungrig. Lochart wartete geduldig und hielt sich an die iranische Sitte, daß die Familie zuerst kam, daß es sich gehörte, nie mit der Tür ins Haus zu fallen und nie direkt zu sein. Auf Persisch ging das viel leichter als auf Englisch.
Sobald er aber konnte, wechselte er zum Englischen. »Ich freue mich sehr, Sie zu sehen, General. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich habe erst vor einer halben Stunde erfahren, daß Sie wieder in Teheran sind. Dieser Khoresch ist der beste, den ich seit Jahren gegessen habe. Es tut mir so leid, daß ich Sie zu so später Stunde stören muß.«
»Das macht überhaupt nichts.« Lochart ließ die Stille wachsen. Der Ältere aß gelassen, dann wischte er sich den Mund ab. »Ich bewundere Scharazad – sie hat ihre Köchin gut angewiesen. Ich werde es meinem Lieblingsvetter, Exzellenz Jared, erzählen.«
»Danke.« Lochart wartete.
Wieder hing die Stille zwischen ihnen. Valik trank Tee, er rührte keinen Alkohol an. »Ist die Starterlaubnis für die 212 gekommen?«
»Sie war noch nicht da, als wir das Büro verließen.« Lochart war auf die Frage nicht gefaßt. »Meines Wissens hat Mac einen Boten mitgeschickt, der darauf warten sollte. Ich würde ihn gern anrufen, aber leider funktioniert unser Telefon nicht. Warum?«
»Die Partner möchten, daß Sie die Charter fliegen.«
»McIver hat Captain Lane dafür eingeteilt, vorausgesetzt die Starterlaubnis kommt.«
»Sie kommt.« Valik wischte sich noch einmal den Mund ab und schenkte sich neuen Tee ein. »Die Partner möchten, daß Sie die Charter fliegen. McIver wird bestimmt damit einverstanden sein.«
Locharts Staunen wuchs. »Es tut mir leid, aber ich muß ins Zagros-Gebirge zurück. Ich möchte mich vergewissern, daß dort alles in Ordnung ist.« Er berichtete Valik kurz, was sich dort zugetragen hatte.
»Zagros kann bestimmt ein paar Tage warten. Jared würde sich freuen, wenn Ihnen die Wünsche der Partner ein Anliegen sind und Sie sie erfüllen.«
Lochart runzelte die Stirn. »Ich bin gern bereit, ihre Wünsche zu erfüllen. Warum sind ein paar Ersatzteile und ein paar Rial wichtig für die Partner?«
»Alle Charter sind wichtig. Die Partner wollen immer nur den besten Service liefern. Wir sind uns also einig?«
»Ich … ich muß erstens mit Mac sprechen, zweitens bezweifle ich, daß die 212 Starterlaubnis bekommt und drittens sollte ich wirklich auf meine Basis zurückkehren.«
Valik lächelte gewinnend. »McIver wird ganz gewiß zustimmen, Sie werden die Starterlaubnis erhalten.« Er stand auf. »Ich fahre jetzt zu McIver und berichte ihm, daß Sie einverstanden sind. Ich lasse Scharazad meinen Dank ausrichten – und mich tausendmal entschuldigen, weil ich so spät gekommen bin. Aber wir leben in unruhigen Zeiten.«
Lochart rührte sich nicht. »Ich möchte noch immer wissen, warum ein paar Ersatzteile und 100.000 Rial so wichtig sind.«
»Die Partner sind dieser Ansicht. Angesichts Ihrer engen Beziehungen zu meiner Familie habe ich sofort angenommen, daß Sie mir gefällig sein würden, wenn ich Sie persönlich darum bitte. Wir gehören doch zur gleichen Familie, nicht wahr?« Der Ton war scharf, obwohl das Lächeln blieb.
Lochart kniff die Augen zusammen. »Ich bin gern bereit zu helfen, aber …«
»Gut, dann ist es abgemacht. Danke. Ich finde schon allein hinaus.« Unter der Tür drehte sich Valik nochmals um und musterte den Raum vielsagend. »Sie sind ein sehr glücklicher Mann, Captain. Ich beneide Sie.«
Als Valik gegangen war, blieb Lochart am verlöschenden Feuer sitzen und starrte in die Flammen. Hassan und ein Dienstmädchen räumten ab und wünschten ihm gute Nacht, aber er hörte sie nicht. Auch Scharazad hörte er nicht, die später ins Zimmer kam, ihn ansah, dann leise ins Bett zurückkehrte und ihn pflichtschuldig seinem Tagtraum überließ.
Lochart war wütend und angewidert. Valik wußte genau, daß alles, was sich in der Wohnung befand, einschließlich der Wohnung selbst ein Hochzeitsgeschenk von Scharazads Vater war. Jared Bakravan hatte ihm sogar das Eigentumsrecht am ganzen Haus übertragen – zumindest an den Mieteinnahmen. Nur wenige wußten, daß sie deshalb gestritten hatten. »So sehr ich deine Großzügigkeit schätze, ich kann es nicht annehmen. Es ist mir unmöglich«, hatte Lochart sich gewehrt.
»Es handelt sich doch nur um materielle, unwichtige Dinge.«
»Ja, aber das ist zu viel. Mein Gehalt ist zwar nicht groß, aber wir können mit ihm durchkommen. Wirklich.«
»Ja, natürlich. Aber warum soll der Mann meiner Tochter kein angenehmes Leben führen? Wie solltest du sonst in Ruhe die iranischen Sitten kennenlernen und dein Versprechen halten? Ich versichere dir, mein Sohn, diese Dinge stellen für mich keinen großen Wert dar. Du gehörst jetzt zu meiner Familie. Die Familie steht im Iran an erster Stelle. Innerhalb einer Familie kümmert sich jeder um jeden.«
»Ja, aber um Scharazad muß ich mich kümmern – nicht du.«
»Natürlich, und mit Allahs Hilfe wirst du ihr in einiger Zeit das Leben bieten können, an das sie gewöhnt ist. Doch jetzt ist es dir unmöglich, weil du für deine frühere Frau und dein Kind sorgen mußt. Es ist mein Wunsch, diese Angelegenheit auf zivilisierte Art, auf iranische Art zu regeln. Du hast doch versprochen, so zu leben wie wir, nicht wahr?«
»Ja. Aber bitte, ich kann es nicht annehmen. Gib ihr, was du willst, nicht mir! Gib mir die Möglichkeit, mein Bestes zu tun!«
»Das kannst du ja. Das Haus schenke ich dir, nicht ihr. Dadurch wird es erst möglich, daß ich sie dir schenke.«
»Gib es doch ihr, nicht …«
Jared Bakravan hatte ihn brüsk unterbrochen. »Es ist Allahs Wille, daß der Mann der Herr des Hauses ist. Wenn es nicht dein Haus ist, dann kannst du nicht der Herr sein. Ich muß darauf bestehen. Ich hin das Oberhaupt der Familie, Scharazad tut, was ich sage, und um ihretwillen muß ich darauf bestehen, sonst kann die Hochzeit nicht stattfinden. Das Dilemma, in dem du als Europäer steckst, ist mir klar, obwohl ich es nicht verstehen kann, mein Sohn. Aber im Iran bestimmen unsere Sitten das Leben, und in einer Familie kümmert sich jeder um jeden …«
Lochart nickte vor sich hin. Das stimmt, und ich habe Scharazad gewollt, habe zugestimmt … Aber dieser Hurensohn Valik hält es mir nun vor, so daß ich mir wieder schäbig vorkomme. Ich hasse ihn, ich hasse es, daß ich mir alles schenken lassen mußte, ich weiß, daß mein einziges Geschenk für sie die Freiheit ist, die sie sonst nie bekommen würde, und mein Leben, falls es notwendig sein sollte. Wenigstens ist sie jetzt Kanadierin und muß nicht hierbleiben. – Mach dir nichts vor, sie ist Iranerin und wird es immer bleiben. Würde sie sich in Vancouver zu Hause fühlen, wenn es regnet und sie keine Familienangehörigen, keine Freunde, nichts Heimatliches um sich hat? O ja, eine Zeitlang könnte ich ihr alles ersetzen. Aber nicht für ewig.
Er hatte sich zum erstenmal dem wahren Problem gestellt, das sich vor ihnen auftürmte. Der alte Iran ist mit dem Schah für immer verschwunden. Vielleicht wird der neue besser. Sie wird sich anpassen, genau wie ich. Ich spreche Persisch, sie ist meine Frau, und Jared ist mächtig. Wenn wir auf einige Zeit fort müssen, werde ich sie darüber hinwegtrösten. Die Zukunft sieht immer noch rosig aus, ich liebe sie so sehr und danke Gott für sie.
Das Kaminfeuer war beinahe heruntergebrannt. Leichter Duft stieg aus den glühenden Resten der Scheite auf und mit ihm ein Hauch ihres Parfüms. Die Polster, auf denen sie gelegen hatten, waren noch eingedrückt, und obwohl er vollkommen befriedigt und erschöpft war, sehnte er sich nach ihr. Sie gehört wirklich zu den Huris, den Geschöpfen des Paradieses, dachte er schläfrig. Sie hat mich verzaubert, und das ist wunderbar; wenn ich heute nacht sterbe, dann wenigstens nachdem ich erfahren habe, wie es im Paradies ist. Sie ist wunderbar. Ihr Vater ist wunderbar. Auch ihre Kinder und ihre eigene Familie werden wunderbar sein.
Ach ja, Familie. Ich muß tun, wozu mich Valik drängt, ob ich will oder nicht. Ich muß, ihr Vater hat das deutlich ausgedrückt.
Die letzten Glutreste knisterten und flammten noch einmal auf. »Was ist an ein paar Ersatzteilen und ein paar Rial so wichtig?« fragte er die Flammen. Die Flammen gaben ihm keine Antwort.