22
Die Mitglieder des Rates von Julatsa hatten sich rings um das ewige Licht im Herzen versammelt. Sie hatten die Arme weit ausgebreitet, ringsherum tobte das Mana der Dämonen und zerfetzte die begrenzenden Formen, die sie mühsam aufgebaut hatten. Sie verloren bereits viel Kraft, wenn sie nur versuchten, das Tor zur Dimension der Dämonen geschlossen zu halten.
Der Spruch, mit dem der Dämonenschirm aufgelöst werden sollte, hatte ruhig begonnen, und die Mana-Gestalt, die den Schirm schließen und seine Energie in der Dämonendimension zerstreuen sollte, war rasch aufgebaut und angewandt worden. Doch genau in dem Augenblick, als die Gestalt den Schirm berührte, hatten die Dämonen angegriffen und Energiestöße von reinem Mana durch die äußeren Bereiche des Schirms geschickt.
Während er sich bemühte, die Konzentration zu halten und die Überreste der Abdeckung, die einer Krone ähnelte, nicht völlig zu verlieren, dankte Barras den Göttern, dass die Ratsmitglieder so außergewöhnliche Meister der Magie waren. Schwächere Magier hätten den Spruch völlig verloren und wären fortgefegt worden. Ihr Geist wäre von den Kräften, die die Dämonen gegen sie entfesselten, in Stücke gerissen worden. Endorr und Cordolan hatten sogar einen Augenblick lang geschwankt, sodass die übrigen vorübergehend allein die Krone halten mussten.
Gleichzeitig empfand er aber auch Furcht. Vielleicht war der Rat trotz seiner Kräfte nicht mehr lange fähig, die Position zu halten, und es war zu spät, um umzukehren. Die Mana-Gestalt, die den Schirm begrenzte, wurde von den Dämonen gespeist, und für diesen Dienst forderten sie die Seele eines bedeutenden Menschen. Wenn die Form aufgelöst wurde, ging die Kontrolle von den Dämonen wieder auf die Magier in Julatsa über.
Die Auflösung verschlang große Mengen an Mana und ging mit einer Veränderung im Wesen der Konstruktion einher. An diesem Punkt konnten die Dämonen, wenigstens theoretisch, mit Gewalt die Mana-Gestalt aufbrechen, die Abschirmung verlassen und Balaia mit genügend Mana überfluten, um jedes Lebewesen zu töten. Die Magier hatten stets gewusst, dass diese Möglichkeit bestand, doch die Dämonen besaßen keine unabhängige Kraftquelle, die stark genug war, um diese Möglichkeit in eine reale Bedrohung zu verwandeln. Dies hatte sich jetzt offenbar geändert.
Vor allem aber machte Barras sich Sorgen, weil die Dämonen genau wussten, wann sie zuschlagen mussten. Das bedeutete, dass sie ein Verständnis für die julatsanische Überlieferung und die Mana-Konstruktion besaßen, das weit über alles hinausging, was er sich in seinen schlimmsten Träumen ausgemalt hätte. Genau genommen bedeutete dies auch, dass die Dämonen die Mana-Spuren lesen konnten, und wenn dies zutraf, dann konnten sie alles unterbinden, was der Rat tun wollte, noch bevor der Versuch richtig begonnen hatte.
So hielten die Magier weiter an der Krone fest und versuchten entweder, die Krone auf den Schirm zu drücken, oder sie ganz zu entfernen, damit die Dämonen sie nicht zerfetzen konnten, wie es zweifellos ihre Absicht war. Barras schauderte. Die Krone war der schwächste Punkt der ganzen Konstruktion, und ihre Zerstörung würde den Schirm in einen veränderten, instabilen Zustand versetzen. Die Krone ganz zu verlieren, war undenkbar. Dann wären die Dämonen frei.
»Kerela, wir müssen die Gestalt neu aufbauen. Die Krone verliert ihre Form. So, wie sie jetzt ist, können wir sie nicht anbringen.« Barras hatte leise gesprochen, doch trotz der Mana-Schreie, die in ihren Köpfen halten, konnten ihn die anderen Ratsmitglieder deutlich hören.
»Zuerst müssen wir sie wieder fest zusammenfügen. Die Verbindung zum Schirm ist nicht sehr stark.« Kerelas Stimme war ruhig und selbstsicher. »Endorr, wir brauchen eine Abschirmung gegen das Mana der Dämonen.«
»Ja, Erzmagierin.« Seine angestrengte Stimme verriet, unter welcher Belastung er stand.
»Überlasse uns die Krone. Wir können sie allein halten, während du deinen Spruch wirkst.«
»Ich ziehe mich zurück«, sagte Endorr. Als er sich aus der Krone zurückzog, sprangen Vilif und Seldane ein und übernahmen den verwaisten Bereich, um die Gestalt stabil zu halten. Barras schloss die Augen und ließ seinen Geist behutsam zu Endorr wandern. Er spürte den Zug im Mana, als der Magier einen ganz normalen Schild aufbaute. Er war geeignet, offensive Sprüche abzuwehren und sollte als Abschirmung vor dem Strom des Mana dienen. Er lächelte. Endorr war brillant, er versah den Schirm zusätzlich mit einer Mana-Maske, die Angriffe aufs Bewusstsein abblockte.
So schnell wie es entstanden war, verschwand Barras’ Lächeln wieder. Endorrs Mana-Gestalt war zerfasert, die beiden Sprüche waren ungenau miteinander verbunden, und das Mana strömte von einem zum anderen und ließ die ganze Konstruktion instabil werden. Doch Endorr hatte es noch nicht bemerkt, denn er gab immer mehr Kraft hinein.
Die Begrenzungen begannen zu pulsieren, als er sich dem Punkt näherte, an dem er den Spruch anwenden wollte. Doch mitten in dem zwölfseitigen Gebilde entstand ein Chaos von Farben. Gelb rang dort mit einem lebhaften Purpur, und ein dunkles, wirbelndes Grau verriet, dass dort eine verhängnisvolle Schwäche drohte.
»Endorr, du bist nicht stabil. Überprüfe den Spruch. Wende ihn noch nicht an. Du hast Zeit.« Barras’ drängende Worte störten die Konzentration der anderen, die um das ewige Licht versammelt waren. Fetzen schälten sich von der Krone ab, als der Rat erschrocken Endorrs fehlerhafte Mana-Form wahrnahm. Doch der junge Magier hörte nicht zu. Er hatte den Kreis der Magier verlassen, die mit der Krone beschäftigt waren, und war völlig in seinen eigenen Gedanken verloren. Er bewegte lautlos die Lippen, und seine Hände zuckten hierhin und dorthin, während er versuchte, die Gestalt beisammen zu halten. Nur den Fehler in ihrem Zentrum konnte er offenbar nicht sehen. Barras wusste nicht warum, doch die Dunkelheit fraß am Verbindungspunkt der beiden Sprüche die Gestalt auf, und wenn der Spruch jetzt gewirkt wurde, würde dies fatale Folgen haben.
»Endorr!«, rief Kerela. Ihr Griff an der Krone änderte sich nicht, obwohl sie jetzt vor allem darauf konzentriert war, den jungen Magier zu unterbrechen. Endorr rezitierte weiter die Worte des Spruchs, und die übrigen Ratsmitglieder beobachteten ihn voller Angst. Ihre Furcht fand ihren Niederschlag in der Krone. Kerela ermahnte sie mit einem Ruf, sich wieder zu konzentrieren, und die lebenswichtige Form stabilisierte sich, auch wenn weiterhin aller Augen auf Endorr ruhten.
Keiner von ihnen konnte sich bewegen, denn dadurch wäre die Krone instabil geworden, und zu fünft konnten sie das Gebilde nicht lange gegen den Ansturm aus der Dimension der Dämonen halten. Endorr näherte sich unaufhaltsam dem Punkt, an dem er den Spruch anwenden konnte. Das zwölfseitige Gebilde war von strahlend gelber Farbe und mit Bronze und Weiß durchzogen, doch im Zentrum war immer noch der graue Fleck. Barras spürte, wie im Kreis die Spannung wuchs.
»Bereitet euch vor. Wenn er scheitert, dann müssen wir stark sein«, warnte Kerela die anderen.
Warum konnte Endorr seinen Fehler nicht sehen? Barras überlegte immer noch, wie er zu ihm durchdringen konnte, doch er wusste im Grunde, dass es hoffnungslos war. Und er wusste, dass er die Krone gefährdete, wenn er sich zu sehr auf den jungen Magier konzentrierte.
Endorr öffnete die Augen, sprach das Befehlswort und sah erst in diesem Augenblick den Makel in seiner Konstruktion, den er viel früher hätte bemerken müssen. Sein Gesicht lief rot an, als die Form aufblühte und wieder in sich zusammenfiel. Sie wurde blitzschnell vom zornig brodelnden Grau im Zentrum verschlungen. Ein schriller Schrei kam aus seinem fest geschlossenen Mund, Blut quoll aus Nase und Ohren, und er zitterte am ganzen Körper, tastete mit den Händen blind in der Luft und versuchte verzweifelt, den zusammenbrechenden Spruch zu kontrollieren.
Mit einem Blitz im Manaspektrum, der sie alle vorübergehend blendete, implodierte die Konstruktion. Endorrs Kopf wurde zurückgeworfen, alle Glieder verkrampften sich, und dann stürzte er reglos zu Boden.
Das grelle Licht verschwand so schnell, wie es entstanden war. Die Krone schwankte bedenklich. Ein neuer Manastoß heulte an den Rändern des Schirms und zerstörte an einem Dutzend Stellen die Verbindungen.
»Befestigen«, sagte Kerela. »Verankern.« Die übrigen sechs Magier kämpften und stabilisierten sich und versuchten, die versagende Abdeckung wieder zu stabilisieren.
»Was jetzt?«, fragte Seldane. Ihre Stimme war voller Angst.
»Wir warten und denken nach. Wir konzentrieren uns und sammeln unsere Kräfte«, sagte Kerela.
»Und worauf warten wir?«
»Ich weiß es nicht, Seldane«, sagte sie, und jetzt sah Barras in ihren Augen die Angst vor der Niederlage. »Ich weiß es nicht.«
Der Korridor bebte, als er die äußeren Bereiche des Dämonenschirms durchbrach. Sofort sammelten sich die zuckenden blauen Gestalten der Dämonen jenseits der grünen Barriere des Kaltraums. Ohne den Spruch wären die Seelen der Rabenkrieger schon im Besitz der Dämonen gewesen, doch das Heulen und die frustrierten und gepeinigten Schreie aus hundert Mäulern mit scharfen Zähnen bezeugten die ungestillte Gier der Dämonen. Einen Augenblick lang wagten sie sich nicht weiter.
»Wartet nicht auf sie. Schlagt zu, sobald sie gegen euren Spruch drängen. Sie sollen euch fürchten. Sorgt dafür, dass sie langsamer werden«, sagte Sha-Kaan, und wie um es zu demonstrieren, schob er die Vorderglieder und den Kopf vor und spie einen Feuerstoß aus, während er den Schwanz schützend um die Magier legte.
Die Schwertspitze des Unbekannten tippte nicht mehr auf den Boden.
»Der Rabe«, knurrte er. »Der Rabe zu mir!« Er hob die Klinge und schwang sie über dem Kopf in einem weiten Bogen bis hinauf zu den ungeschützten Leibern der Dämonen. Wutschreie waren zu hören, dann wurden Arme und Beine ausgestreckt, Krallen blitzten und kratzten über das Metall, das an ihnen vorbeiglitt. Hirad sah sich nach rechts um. Will griff ungestüm an, und seine beiden Schwerter beschrieben komplizierte Manöver. Thraun heulte und stürzte sich ebenfalls in den Kampf.
Hirad konzentrierte sich wieder auf seine eigene Situation. Die Klingen der Rabenkrieger hatten die Dämonen erst richtig wütend gemacht, und er konnte sehen, dass sie die Oberfläche des Kaltraums förmlich überschwemmten und eine Stelle suchten, an der sie ungefährdet zuschlagen konnten. Hin und wieder drang ein Dämon in den Raum vor, in dem es kein Mana gab, zuckte zusammen und verlor die blaue Farbe, schrie gequält auf und schnitt eine schmerzvolle Grimasse.
Doch immer mehr Dämonen kamen, und das Verlangen, der Erste zu sein, der das Fleisch und die Seelen schmeckte, war stärker als die Angst vor dem Schaden, den ein Flug durch den manalosen Raum anrichten konnte. Hirad schaute auf. Auch über seinem Kopf sammelten sie sich jetzt, sie dürsteten nach Blut und nach den Seelen der Lebenden.
»Es sind so viele, wie können wir sie schlagen?«, fragte Hirad.
»Wir wollen sie nicht besiegen«, erklärte Sha-Kaan. Mit einem kleinen, gezielten Feuerstoß verbrannte er den Arm eines Dämons, der in die schützende Hülle eingedrungen war. Das Wesen verschwand. »Je mehr wir auf uns ziehen können, desto geringer wird der Druck auf den Rat von Julatsa. Wir müssen sie beschäftigen, und dadurch bekommen die Magier vielleicht eine Atempause, um den Schirm zu schließen.«
»Und wenn nicht?«
»Dann sind wir sowieso alle tot.« Sha-Kaan drehte den Kopf und sah seinen Drachenmann an. Hirad war augenblicklich von neuem Selbstvertrauen erfüllt. »Kämpfe, Hirad Coldheart. Kämpft, ihr Rabenkrieger. Kämpft, wie ihr noch nie gekämpft habt.«
Die ersten Dämonen wagten sich in die Qualen des Kaltraums, und die Schlacht um das nackte Überleben begann.
Der geistige Druck auf die Magier wurde stärker, als habe sich der Sturm in einen Hurrikan verwandelt. Die Dämonen zerrten an der Verankerung der Krone, raubten den Magiern die Kräfte und störten ihre Konzentration. Stimmen und Gelächter waren zu hören. Die Dämonen wurden stärker und frecher, als sie sahen, wie das Mana, das sie in großen Wogen auf den Rat von Julatsa schleuderten, die Willenskraft ihrer Feinde lähmte. Sie kamen näher heran und drohten, jeden Augenblick in die Dimension von Balaia durchzubrechen.
Zuerst war es nur ein Flüstern, mit dem Barras nichts anfangen konnte. Dann wurde es langsam lauter, und eine einzelne Stimme schälte sich heraus, die von vielen anderen unterstützt wurde. Der Hass von Millionen schlug ihm entgegen. Elend versprach die Stimme. Eine Ewigkeit voller Leiden für ihn und alle, die ihm lieb und teuer waren. Die Stimme verhieß ihm Schmerzen, Qualen und unendliches Leid. Sie versprach ihm die Hölle.
Aber nur, wenn er seinen nutzlosen Spruch weiter aufrechterhielt.
Falls er aber losließ, falls er den Dämonen erlaubte, ihr Werk zu vollenden, dann sollte er verschont werden. Dann würden sie alle verschont. Ja, ein paar mochten draußen in Julatsa auf der Straße sterben, aber das war ein geringer Preis für die Rettung des Rates und der Auserwählten, die für die Magie von Julatsa besonders wichtig waren. War es denn wirklich ausgeschlossen, dass er nach einem Leben voller selbstloser Opfer auch einmal an sich selbst dachte? In diesem Fall wurde der Preis an menschlichem Leben vom Nutzen für die späteren Generationen mehr als wettgemacht. Loslassen. Er musste einfach nur loslassen.
Barras öffnete erschrocken die Augen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Alle im Kreis, alle anderen Ratsmitglieder, hatten die Augen geschlossen. Cordolan lächelte sogar. Und über ihnen löste sich die Gestalt der Krone langsam auf. Die schnell kreisenden Diamanten wurden flach und verblassten. Das Geflecht der Bänder in der Mitte verschwand. Die Verbindung zum Schirm riss ab und wurde vom Wirbelsturm des dämonischen Mana weggefegt.
»Nein!«, rief der alte Unterhändler. Die Krone schwankte und wurde nur noch instinktiv von den Magiern an Ort und Stelle gehalten. Doch ihre Kraft erlahmte, und sein Ruf störte den letzten Rest an Konzentration, den seine Freunde noch aufbieten konnten.
»Kerela, wach auf«, sagte er laut. Die Erzmagierin musste reagieren, wenn er ihren Namen nannte, aber damit konnte er sie auch aus der Konzentration reißen. Er riskierte es und übernahm vorübergehend den Teil der Krone, den sie kontrolliert hatte, während sie wieder zu sich kam. Sie hauchte ein zustimmendes Wort, dann fluchte sie und stieß Verwünschungen aus. Der Schweiß lief Barras übers Gesicht, als er einen Abschnitt der Krone kontrollierte, der eigentlich viel zu groß für ihn war.
Dann war Kerela wieder da. Sie stieß ihn sanft zur Seite und sammelte sich. Ohne groß nachzudenken sagte sie: »Jetzt die anderen. Übernimm ihren Platz, bevor du sie ansprichst. Und sei behutsam.«
Es war, als holten sie Kinder aus einem tiefen, von Träumen erfüllten Schlaf. Barras und Kerela brachten die hypnotisierten Ratsmitglieder langsam wieder zu Bewusstsein. Zuerst reagieren sie verwirrt, dann mit Verzweiflung, und dann waren sie wieder hellwach. Sie konnten jetzt die Dämonen hören, die sie lockten und einluden, die Realität zu verleugnen und sich der Hölle zu ergeben, zuerst verführerisch, dann erregt und schließlich voller Zorn, als der Rat, wenigstens für den Augenblick, ihrer Kontrolle entglitt.
Vilif war der Letzte, der zu sich kam und den Kampf um die Stabilität der Krone wieder aufnahm. Er wirkte unendlich müde, und jetzt merkte man ihm auch die mehr als siebzig Lebensjahre deutlich an. Seine aufrechte Haltung war verschwunden, er stand gebeugt und wirkte niedergeschlagen. Sein kahler Kopf sah blass und krank aus, und seine Gliedmaßen zitterten. Er war dicht davor, endgültig aufzugeben.
»Vilif, wir werden siegen«, sagte Barras. »Vertraue auf unsere Kräfte. Das Herz soll schlagen.«
Vilif nickte, und ein kleiner Lichtfunke kehrte in seine Augen zurück. Doch ringsum im Kreis sprach die Haltung der Ratsmitglieder eine deutlichere Sprache als jedes Wort. Sie hatten, als Barras zu sich gekommen war, unmittelbar vor einer Katastrophe gestanden, und sie wussten es. Ohne Hilfe von außen, ohne irgendein Hindernis, das die Kraft der Dämonen eindämmte, waren sie verloren. Es war nur eine Frage der Zeit.
Kreischen erfüllte die Luft, und die Dämonen kamen von allen Seiten. Der Angriff wurde heftiger. Hirad hatte nicht einmal genug Freiraum, um sich umzusehen, wie es seinen Freunden erging. Er hatte schon Mühe, seine Position zu halten.
Von oben, von links und von vorn gingen sie auf ihn los. Nadelspitze Zähne wurden hinter lippenlosen Mündern gebleckt, Klauen blitzten im grünen Schein der Barriere. Alle Gesichter waren vor Schmerzen verzerrt, die Körper wurden trüb, als sie sich näherten, als blätterte der Überzug von einer polierten Klinge ab. Doch sie kamen und kamen, und sie waren stark.
Er hatte das Langschwert in der rechten und den Dolch in der linken Hand. Sie kamen in Wellen, sie schnatterten und lachten, sie kreischten und riefen, und sie verhießen ihm einen Tod, der ewig dauern sollte.
Er lachte und führte sein Schwert vor sich im Zickzack nach unten, während er den Dolch über dem Kopf bis nach hinten zum Nacken schwenkte. Die schwere Klinge fand ein Ziel, er hörte einen gequälten Schrei und blickte nach rechts, wo ein Dämon einen Beinstumpf umklammerte. Das Wesen sah ihn kurz mit schrecklichen Augen an und verging.
Über ihm nahm der Lärm zu. Er musste die Klingen wechseln und über seinem Kopf einen Kreis freihacken, um die Dämonen zurückzutreiben. Hinter ihm gingen gleich fünf auf die Magier los. Er wollte ihnen zu Hilfe eilen, doch der Unbekannte war schneller und stieß das Zweihandschwert tief in die blaue Haut eines Gegners hinein. Seine Bewegungen waren viel zu schnell für ihre geschwächten Körper.
Weitere Dämonen drangen in den Kaltraum ein. Sie keuchten, weil es hier kein Mana gab, und machten Anstalten, die Flanke und den ungeschützten Rücken des Unbekannten anzugreifen.
»Der Rabe, aufstellen!«, rief Hirad. »Will, links neben mich, der Unbekannte rechts. Im Uhrzeigersinn drehen, wenn überhaupt, und die Magier beschützen.«
Will löste sich von zwei Dämonen, die ihn erbittert attackiert hatten und über seinem Kopf herumflatterten. Er wich ein wenig zurück und blieb einen halben Schritt vor Hirad stehen, während der Barbar die Dämonen abwehrte, die den Unbekannten angreifen wollten. Der große Mann warf seine Klinge weg, die mit lautem Klirren auf den Steinboden fiel, und zog zwei lange Dolche aus den Scheiden an den beiden Unterschenkeln. So bildete er den dritten Eckpunkt des Dreiecks, mit dem der Rabe sich verteidigte. Rasch und mühelos fuhren seine Dolche durch die Luft.
»Will, wenn es zu schwierig wird, können wir dich entlassen. Aber sag uns Bescheid.«
»Keine Sorge, das mache ich.«
Sha-Kaan überragte sie alle und beschäftigte sich damit, die Dämonen geräuschlos und mit kurzen Feuerstößen aus seinem Maul zu vernichten. Hirad spürte ihn in seinem Geist. Ruhig und beherrscht.
Über den Menschen sammelten sich die Dämonen zu einem neuen Angriff.
Thraun schob seine Verwirrung beiseite. Er musste dem Rudelbruder helfen und fiel unermüdlich über die schwebenden, zischenden blauen Wesen her, die aus dem grünen Himmel kamen. Er schnappte mit den Zähnen, biss in geschmackloses, blutleeres Fleisch, das zwischen seinen Kiefern zerplatzte. Er wusste, dass er ihnen wehtat, und er wusste, dass seine Bisse sie verletzten, doch sie bluteten nicht, und die Löcher, die er mit den Zähnen aufgerissen hatte, schlossen sich sofort wieder, wenn er losließ, um noch einmal zuzuschnappen.
Eine Furcht, die noch stärker als jene vor dem großen Tier war, erfüllte ihn. Anscheinend war ihnen das Tier nicht feindlich gesonnen, auch wenn seine Kraft sie mühelos vernichten konnte. Die blauen Wesen waren keine Vögel, und doch konnten sie fliegen. Sie waren keine Menschen, und doch konnten sie aufrecht gehen, wenn sie wollten. Ihr Geruch ängstigte ihn. Es war kein Geruch von seiner Erde. Er war fremd und böse wie ein Sterben, das rückwärts lief. Der Gedanke ließ ihn die Wolfsstirn runzeln, während er einem Angreifer die Pranke ins Gesicht schlug. Das Wesen quietschte und verschwand so schnell, dass er kaum mit den Augen folgen konnte, aber dadurch war der Weg frei, und er konnte ein anderes schnappen. Es verbiss sich in seinem Ohr, und ein Gefühl wie Feuer breitete sich in seinem Kopf aus. Er heulte und schüttelte sich, und das Wesen flog davon und prallte gegen eine Wand.
Angst überkam ihn, und er wich zurück. Die Zunge hing ihm aus dem Maul, er sah viele Wesen, die auf ihn losgingen, er heulte und sah sich nach dem Mann-Rudelbruder um, der jetzt bei den anderen Männern stand.
Dann wurde die Luft blau.
»Jetzt kommen sie«, sang Sha-Kaan und brachte Hirad einen Augenblick aus dem Konzept. Der Barbar sah sich um. Die sich windenden Kinderkörper der Dämonen waren verschwunden. Jetzt sah er tausende von Augen, die ihn, ohne zu blinzeln, wie Spielzeugpuppen anstarrten. Dunkle Augenbrauen wuchsen über den Augen, und die dunkelblauen Gesichter waren scharf geschnitten. Die Haut spannte sich über kantigen Wangen und Kiefern, die Augen lagen tief in den Höhlen, die Münder waren klein und voller Reißzähne, die in schwarzem Fleisch steckten.
»Bei den Göttern«, keuchte Hirad.
»Lasst euch nicht von ihren Blicken bezwingen. Bewacht eure Seelen«, warnte Sha-Kaan.
»Wie, zum Teufel, sollen wir das anfangen?«, knurrte Will, dessen Augen hierhin und dorthin irrten.
»Vermeidet den Blickkontakt. Wenn sie euer Bewusstsein gefangen haben, dann können sie euch die Seele nehmen«, erklärte Sha-Kaan.
Die Dämonen griffen an.
Im Nu war die Luft voller quietschender, puppengroßer Dämonen mit und ohne Flügel, die entzückt schrien, als sie die frischen Seelen angreifen durften, und schmerzvoll kreischten, sobald sie die giftige Atmosphäre zu spüren bekamen. Zu hunderten drangen sie in den Kaltraum ein, und für zehn, die entkräftet und leblos zu Boden sanken, rückten doppelt so viele nach. Doch sie waren geschwächt.
Hirad folgte dem Beispiel seiner Freunde und ließ das Langschwert fallen, um sich mit einem zweiten Dolch auszurüsten.
»Rabenkrieger, teilt eure Schläge schneller aus, und beschützt mir die Magier.«
Seine Dolche zuckten durch die Luft und deckten vor allem Oberkörper und Kopf. Die Dämonen schwirrten wie Vögel umher, unzählige lagen bereits mit zuckenden Gliedern am Boden. Ein oder zwei kamen auch durch den Stein herauf, aber sie waren viel zu erschöpft, um noch großen Schaden anzurichten und störten eher den Vormarsch ihrer Brüder.
Unablässig griffen sie weiter an, bissen in seine Lederrüstung, landeten auf seinen rudernden Armen, stachen ihm in die Kopfhaut und zerrten an seinen Stiefeln. Wenn sie sein Fleisch berührten, fuhren feurige und eiskalte Schmerzwellen durch seinen Körper. Er brüllte wütend und bewegte sich noch schneller als zuvor.
Will, der neben ihm stand, atmete viel zu schnell. Das verängstigte Grunzen, das jeden Schlag untermalte, jagte Hirad einen kalten Schauer über den Rücken. Während er ohne Unterbrechung weiter zuschlug und zustach, um die angreifenden Dämonen abzuwehren, wandte er sich an den kleinen Mann.
»Will, du musst tiefer atmen. Konzentriere dich auf die Ziele und ignoriere die Schmerzen. Sie können dich nicht töten, wenn sie dir nicht in die Augen sehen.«
»Es sind so viele«, keuchte der kleine Mann.
»Aber jeder, den du erledigst, ist einer weniger.« Hirad schlug mit der Linken durch eine Reihe von vier anrückenden, schwatzenden Dämonen. Ihr Kreischen hallte lange nach, als sie in ihre eigene Dimension zurückstürzten.
Hinter ihnen stieß Sha-Kaan abwechselnd durch die Nasenlöcher und zwischen den Zähnen Feuerlanzen aus, die jeweils einen Dämon trafen. Gleichzeitig hackte er mit den Klauen um sich und ließ den Schwanz wie eine Peitsche zucken, um die reglos stehenden Magier von oben zu schützen. Jede Bewegung war genau bemessen, und jeder Atemzug war genau gezielt, um mit möglichst wenig Aufwand einen möglichst großen Schaden zu verursachen.
Bei Thraun dagegen sah es anders aus. Der Wolf war von diesem fremdartigen Nahkampf verunsichert; er wimmerte leise und jagte seinen eigenen Schwanz, sein Kopf zuckte hierhin und dorthin, und er drehte sich orientierungslos um sich selbst. Dann schnappte er nach der leeren Luft, schlug blindlings mit den Pfoten und behielt die ganze Zeit Will im Auge. Sein Wolfsgesicht verriet seine Angst.
Der Angriff nahm an Heftigkeit zu. Immer mehr Dämonen drangen in den geschützten Bereich ein.
»Haltet sie ab, wir gewinnen die Schlacht«, sagte Sha-Kaan.
»Gewinnen?«, keuchte Hirad, während er um sich trat und gleichzeitig mit den Klingen zuschlug. Die Dämonen waren überall. Sie krochen an seinen Beinen hoch, sie bissen in seine Lederrüstung, sie umschwärmten seinen Kopf, sie kratzten mit den Krallen über seinen Kopf. Der Unbekannte, der niemals viel redete, keuchte erschrocken, als seine nackten Arme Bisse und Kratzwunden abbekamen. Hirad dachte an das Gefühl von Eis und Feuer, das jetzt durch seinen Körper raste, und sah das Blut über die Haut des Unbekannten laufen. Will hatte seine Gegenwehr beinahe eingestellt. Er war von blauen Wesen fast zugedeckt und hatte hilflos die Arme gehoben. Thraun war dicht bei ihm und heulte und schlug nach den Wesen, die seinen Freund angriffen, während seine Haut immer wieder durchbohrt wurde und seine Hinterläufe unter dem schieren Gewicht der Feinde einzuknicken drohten.
Sha-Kaan schoss einen gewaltigen Feuerstoß rechts neben den Raben, während sein Schwanz zuckte und nach den Gegnern schlug. Sein mächtiger, goldener Körper war voller kleiner blauer Leiber, und so sehr er sich auch schüttelte, er konnte die zähen Ausgeburten der Hölle nicht abschütteln.
»Der Rabe, kämpft weiter, kämpft weiter«, rief Hirad und ließ die Arme über dem Kopf kreisen. Die Schmerzen in den Beinen ignorierte er, während er nach den über ihm fliegenden Feinden stach.
Inzwischen drängten sie auch von unten heran, und einige Dämonen hatten sogar schon die wehrlosen Magier erreicht. Der Unbekannte rief eine Warnung und tauchte unter dem peitschenden Schwanz des Drachen durch, um die schnatternden, lachenden Wesen von den drei Magiern zu pflücken, deren Anrufung sie alle vor dem sicheren Tod schützte. Wenn der Kaltraum erhalten blieb, hatte der Rabe eine Chance. Aber auch so war es fast zu viel für sie.
Will kreischte, als die Dämonen sein Gesicht erreichten.
»Nein!«, rief Hirad. »Lasst ihn in Ruhe, ihr Schweinehunde!« Er stürmte zu dem kleinen Mann, warf ihn zu Boden und pflückte die Dämonen von seinem Körper, wie es der Unbekannte bei den Magiern tat. Thraun hatte Hirad beobachtet und schnappte mit seinen mächtigen Kiefern überall nach den kleinen Körpern.
»Sha-Kaan!«, rief Hirad. Sein Hilferuf übertönte den Tumult im Kaltraum. »Wir müssen hier raus. Sofort!«
»Einen kleinen Augenblick noch«, sagte der Drache. Seine Stimme klang irgendwie erstickt und weit entfernt. »Wir können siegen. Wir müssen siegen.«
Doch Hirad spürte die Dämonen im Nacken und an den Kleidern, sie wollten seine Haut erreichen, weil sie wussten, dass sie ihn damit verletzen konnten. Sha-Kaan hatte sich geirrt. Bald wäre es aus mit dem Raben.
Endorr lag, wie ein Fötus zusammengerollt, auf dem Boden des Herzens. Er hatte die Hände an den Kopf gepresst und ein Bein ganz angezogen, das andere war ausgestreckt. Ein Blutfaden rann aus seinem Mund, hin und wieder fiel ein Tropfen aus seiner Nase. Wenigstens lebte er noch.
Barras beobachtete ihn distanziert, denn er musste sich vor allem darauf konzentrieren, die sich auflösende Krone so lange und so gut wie möglich zu sichern.
Die Dämonen sahen ihren Sieg kommen, und ihre Schmähungen setzten seiner Willenskraft zu. Das Mana heulte rings um ihn und überflutete seinen Geist. Er hatte Mühe, die Konstruktion zu halten, die der Rat aufgebaut hatte, während das höhnische Lachen der Dämonen in seinen Ohren hallte.
Die anderen Magier ringsum standen unter ähnlicher Belastung. Schweiß, Tränen, Stirnrunzeln, Grimassen und verkrampfte, stark angespannte Körper schufen eine Atmosphäre von Verzweiflung und drohender Niederlage. Der hingestreckte Endorr brauchte dringend Hilfe, aber sie konnten nichts für ihn tun. Bei den Göttern, sie konnten nicht einmal etwas für sich selbst tun.
»Wie lange noch?«, keuchte Seldane.
»So lange es nötig ist«, sagte Kerela, doch alle wussten, dass die Frage anders gemeint war.
Eine frustrierte Träne entstand in Barras’ Auge. Sie saßen in der Falle. Endorrs Schild hatte versagt, und sie konnten die Krone nicht mehr loslassen, um einen Haltespruch zu wirken, weil die Dämonen ihnen nicht genug Zeit ließen. Andererseits konnten sie nicht unbegrenzt lange auf den Beinen bleiben, und wenn ihr Mana verbraucht war, dann wäre das Endergebnis dasselbe, als wenn sie ihre Bemühungen sofort einstellten.
Aber sie durften sich den Dämonen nicht so einfach ergeben. Nicht, solange sie noch eine schwache Hoffnung hatten, dass von irgendwoher Hilfe kommen konnte.
Barras unterdrückte die Tränen. So lange hatte er sich darauf gefreut, beschaulich zu altern, geborgen in der liebevollen Umgebung des Kollegs, dem er sein Leben lang gedient hatte. Dann hatten die Wesmen angegriffen, und er hatte sich mit seinem Tod abgefunden. Eine Heldentat, die nötig war, um sein Kolleg zu verteidigen.
Aber dies hier? Dieses schändliche, vergebliche, sinnlose Ende in einem verschlossenen Raum, weit entfernt von frischer Luft und Sonnenschein, ein Ende, das niemandem Hoffnung spendete und in Qualen für sie alle übergehen würde – nein, ein solches Ende war eines Elfen von seinem Format unwürdig. Es war für keinen im Rat ein würdiges Ende. Was sie nun beinahe als unvermeidlich hinnehmen mussten, war auf keinen Fall und in keiner Weise hinnehmbar.
Er hob den Kopf, ohne den inneren Blick vom Manaspektrum zu werden, und wob neue Fäden in die Krone.
»Barras?« Torvis konnte vor Anstrengung kaum noch sprechen.
»Verdammt will ich sein, wenn ich diese entsetzlichen Geschöpfe in mein Kolleg und meine Dimension hereinlasse. Ich will nicht sterben wie ein alter schwacher Mann.« Jedes Wort wurde von einem geistigen Stoß untermalt, mit dem die zerbrechliche Struktur neue Stabilität bekam. Die Kraft der Verzweiflung durchströmte jetzt seinen Körper.
»Bei den großen Göttern der Erde, wir sind nicht hilflos«, knirschte Kerela. »Wer sich noch stark genug fühlt, kann jetzt diesen Bastarden zeigen, wem Balaia gehört. Und ihr anderen: Haltet einfach durch und werdet nicht schwach.« Sie unterstützte Barras, verstärkte die Struktur und ließ sie wieder wachsen.
Erst jetzt bemerkten sie die Veränderung. Unauffällig zuerst und beinahe nicht spürbar. Doch der Eindruck verstärkte sich zusehends. Der Mana-Sturm ließ nach, und die Stimmen der Dämonen, die sie verspotteten und schmähten, klangen verzagt. Es wäre leicht gewesen, dies mit ihren eigenen Bemühungen in Verbindung zu bringen, doch Barras wusste, dass es keinen solchen Zusammenhang gab. Kaum zu glauben, aber das Wunder geschah. Irgendetwas oder irgendjemand hatte die Dämonen abgelenkt.
»Das ist die einzige Chance, die wir bekommen!« Kerelas Stimme hatte die alte Autorität zurückgewonnen, und sie rief den Rat zum Handeln auf. »Wir haben schon genug von Kards wertvoller Zeit verschwendet. Lasst uns die Stadt von diesem verdammten Schirm befreien.«
Die gerade noch trübe Krone begann wieder hell zu glühen.
Wills Schreie störten die Konzentration der Magier mehr als die anstürmenden, schwärmenden Dämonen, die über ihre Körper liefen. Hirad und der Unbekannte ignorierten ihre eigenen Schmerzen und rissen die Dämonen weg, zerdrückten sie und traten nach ihnen und zerstampften die schrecklichen Puppen, die die schutzlosen Magier angriffen.
Mit einer Hand pflückte der Unbekannte die Dämonen ab, die seinen Blick suchten, mit der anderen fegte er diejenigen weg, die sich den Magiern nähern wollten, und die ganze Zeit musste er sich bücken, um nicht von Sha-Kaans peitschendem, blau geflecktem Schwanz getroffen zu werden.
Hirad hatte eine noch schwierigere Aufgabe. Will hatte seine beiden Kurzschwerter weggeworfen, rollte sich am Boden hin und her, tastete blind mit beiden Händen umher und stieß bei jeder Bewegung heisere Schreie aus. Sein Körper bebte und zuckte unter der Woge von Dämonen, die über ihn herfielen. Hirad wurde es beinahe übel, als er die Krallen und Füße sah, die immer wieder ihr Ziel fanden.
»Will, bleib ruhig!«, rief er. Er schüttelte heftig den Kopf, um einen Dämon zu verscheuchen, der auf seinem Schädel gelandet war. »Verdammt«, keuchte er. Ein Dämon hatte ihn am Kopf erwischt, und ein Blutfaden rann ihm die Stirn hinunter zwischen seine Augen. Der kleine Mann schlug unterdessen wild um sich, als die Dämonen sein Gesicht erreichten.
Hirad legte eine Hand auf Wills Schulter und drehte den kleinen Mann herum, damit er ihm die Kreaturen aus dem Gesicht reißen konnte. Er ignorierte die Kratzer, die sie ihm versetzen, und sorgte vor allem dafür, dass Wills Blick nicht ihrem tödlichen Starren begegnete. Die ganze Zeit über schaute Thraun verwirrt und verschreckt zu. Hin und wieder packte er mit dem Maul zu und pflückte sich einen Dämon aus dem Fell, doch größtenteils ignorierten sie ihn. Seine tierische Seele war für sie schlechter zu erreichen.
Überall stürzten erschöpfte Dämonen zu Boden, doch sobald sie verschwanden, setzten neue nach. Höhnisches Gelächter umgab den Raben, während die Dämonen kratzten und schnitten und bissen.
Eine Kralle bohrte sich in Hirads Wange, krümmte sich und zerriss ihm die Haut. Er fluchte, riss den Dämon aus seinem Gesicht und zerquetschte ihn mit einer Hand. Will entzog sich seinem Griff und rollte davon. Er rieb sich hektisch die Seiten und das Gesicht.
»Ruhig, Will.« Aber der kleine Mann hörte nicht auf ihn.
»Wir müssen hier raus«, heulte er. »Raus …« Er stand auf und rannte zur Begrenzung des Kaltraums.
»Nein, Will, nein!« Hirad sprang ihm hinterher und schlug nach seinem Fuß. Will stürzte, stand aber sofort wieder auf. Hirad hörte die Dämonen, die ihn lockten und ihm sagten, er sei auf dem richtigen Weg.
Viel zu spät schaltete Thraun sich ein. Er bellte und sprang hinter seinem Freund her, verfehlte ihn aber um eine Handbreit. Will erreichte die Grenze des Kaltraums und schob eine Hand hindurch. Im gleichen Augenblick verschwanden die Dämonen mit ihrer bösen Ausstrahlung und ihrer Gier. Ilkar, Erienne und Denser ließen den Spruch zusammenbrechen. Es war wieder still im Korridor.
Hirad hatte Zeit, den Raben und Sha-Kaan zu betrachten. Der Unbekannte Krieger saß bei den mehr oder weniger unverletzten Magiern. Sein Kopf war von unzähligen blutenden Schnitten entstellt, die Arme waren glitschig vom Blut. Der Große Kaan lag auf dem Bauch. Äußerlich waren seine Schuppen unversehrt, aber Hirad konnte spüren, dass der Drache verletzt war, und er wusste, dass die Dämonen ihn für jeden, den er getötet hatte, hatten büßen lassen.
Ein durchdringendes Heulen erfüllte die Luft. Die Rabenkrieger drehten sich um und sahen Thraun neben dem hingestreckten Will stehen. Eine Pfote hatte er dem Freund auf die Brust gesetzt. Angst und blinde Wut sprachen aus den gelben Wolfsaugen.
»Oh, nein«, keuchte Erienne.
Will bewegte sich nicht mehr.