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10

Am nächsten Abend teilte sich die Kolonne, die von Parve aufgebrochen war, in drei Gruppen. Nach dem Abendessen und der angekündigten Kommunion führten Styliann und Ilkar eine kurze Unterhaltung, bis der ehemalige Herr vom Berge sein Pferd sattelte und die Protektoren um sich scharte. Die Nachricht, dass er in Xetesk entmachtet worden sei, hatte sein Selbstvertrauen stark erschüttert.

Nachdem sie den ganzen Tag zwischen schroffen Hängen durch tiefe Täler geritten waren, bemerkte Ilkar, dass Styliann gebeugt war, und das selbstbewusste Strahlen war aus seinen Augen verschwunden. Etwas anderes, viel Dunkleres war an dessen Stelle getreten – ein halb verborgener, brütender Zorn, der sein Gesicht verdüsterte, seine Lippen versiegelte und die Sehnen am Hals hervortreten ließ.

Styliann wollte nicht sagen, wohin er ging, nur dass er so bald wie möglich mit jemandem, der ihm freundlich gesonnen sei, Verbindung aufnehmen müsse. Sein Weg sollte ihn nach Süden zur Bucht von Gyernath führen. Diesen Weg wollte auch Darrick am nächsten Morgen einschlagen, doch sie würden nicht gemeinsam reiten. Die Protektoren brauchten kaum Schlaf, und Darricks Kavallerie würde nur Stylianns Marschtempo bremsen.

Doch als er davonritt, die Protektoren in Form eines Diamanten schützend um sich geschart, entstand eine gewisse Unruhe. Der Rabe wollte am frühen Morgen, noch vor Sonnenaufgang, möglichst unbemerkt aufbrechen und den Weg nehmen, der nördlich von Terenetsa verlief. Jetzt saßen die Rabenkrieger mit Darrick zusammen, der nicht begeistert über die Aussicht war, auf dem Weg zu reisen, den Styliann kurz vorher mit seinen Protektoren genommen hatte.

»Wenn er auf Schwierigkeiten stößt, dann wird es für uns zehnmal schlimmer, aber wir werden es erst bemerken, wenn wir schon mitten darin stecken.«

»Dann nehmt doch einen anderen Weg«, schlug Denser achselzuckend vor.

»Klar, es gibt ja hunderte, zwischen denen er wählen kann.« Thraun lächelte.

Darrick nickte und griff die Bemerkung auf. »In der Tat. Es war nur ein Zufall, dass wir unter diesen vielen Möglichkeiten den gleichen Weg gewählt haben.«

Kichern wurde am Lagerfeuer laut.

»Ich wollte eigentlich nur auf die offensichtliche Lösung hinweisen«, murmelte Denser.

»Vielleicht solltest du doch lieber bei der Magie bleiben, Denser«, sagte Thraun, jetzt mit breitem Grinsen.

»Wozu soll das gut sein? Dawnthief hat uns nichts Gutes gebracht, oder?«, gab Denser ärgerlich zurück. Darrick beschloss, nicht weiter auf ihn zu achten.

»Nun ja, man kann die Bucht von Gyernath auf verschiedenen Wegen erreichen, doch alle bis auf einen sind mit Gefahren für Pferd und Reiter verbunden.« Darrick rieb sich die Hände und wärmte sie über dem Lagerfeuer, obwohl es kein besonders kalter Abend war. »Das Problem ist, dass der beste Weg durch ein halbes Dutzend Dörfer führt, denen wir ausweichen müssen. Falls Styliann sich entschließt, sie zu zerstören, statt sie zu umgehen, könnte ich große Schwierigkeiten bekommen, wenn ich ihm kurze Zeit später folge.«

»Dann kommt doch mit uns«, sagte Hirad.

Darrick schüttelte den Kopf. »Nein, ich darf Eure Mission nicht gefährden. Wie auch immer, ich werde es schon schaffen. Ich schaffe es immer.« Er kicherte.

»Bei den Göttern, Ihr klingt wie Hirad«, sagte Ilkar. Er war immer noch bedrückt, doch seine Stimmung hatte sich deutlich gebessert, nachdem Styliann ihm mitgeteilt hatte, dass das Kolleg von Julatsa nicht gefallen war. Über den Grund konnte er nur Mutmaßungen anstellen, doch in diesem Augenblick existierte das Kolleg noch.

»Wie lange braucht Ihr von hier bis zur Bucht?«, fragte Hirad.

Darrick zuckte mit den Achseln. »Nun ja, südlich von Terenetsa wird der Weg für ein paar Tage leichter. Ich glaube, wenn wir nicht aufgehalten werden, dürften wir den Wesmen in etwa zehn Tagen eine Menge Ärger bereiten.« Er strich das Haar zurück, das ihm der Wind ins Gesicht geweht hatte.

»Bis dahin werden wir schon in Julatsa oder in der Nähe sein«, sagte der Unbekannte.

»Falls noch etwas davon übrig ist«, meinte Ilkar.

»Könnt Ihr nicht mit Euren Leuten dort Kommunion halten?«, fragte Darrick.

»Nein, es tut mir Leid, ich habe die Kommunion nie besonders gründlich studiert. Für einen Magier, der sich als Söldner verdingt, ist das auch nicht besonders nützlich«, erwiderte Ilkar. »Aber selbst wenn ich es könnte – nicht einmal Styliann, der die Kunst viel besser beherrscht, vermochte im Kolleg eine Kontaktperson zu finden. Seine Informationen stammen von jemandem, der sich außerhalb der Stadt versteckt.«

»Woher wissen wir dann, dass das Kolleg nicht erobert wurde?«, fragte Will.

»Wir wissen es, weil der Turm noch steht und weil es keine Kampfgeräusche gibt.«

Darricks Stirn bekam unter dem lockigen hellbraunen Haar tiefe Furchen.

»Ich kann nicht glauben, dass sie direkt vor den Mauern des Kollegs angehalten haben«, wandte er ein.

»Sie haben Angst vor der Magie«, sagte Ilkar. »Und sie haben die Unterstützung durch die Wytchlords verloren. Wenn sie nun vor den Mauern eines magischen Kollegs stehen, dann haben sie große Angst, weil sie über die Kräfte in seinem Innern nur Gerüchte gehört haben. Außerdem vermute ich, dass der Rat sie mit irgendeinem Trick ausmanövriert hat. Die Frage ist natürlich, wie lange so etwas hält.«

»Kennen wir die Position dieses Magiers, mit dem Styliann Kontakt aufgenommen hat? Er könnte sehr wertvoll sein«, sagte der Unbekannte.

»Sie«, korrigierte Ilkar ihn. »Die Magierin wollte ihre genaue Position nicht mitteilen, aber Denser kennt ihre Mana-Gestalt und kann mit ihr in Verbindung bleiben.«

»Gut, wir brauchen Menschen wie sie, wenn wir die Bucht überquert haben.«

»Inzwischen ist mir alles klar«, sagte Ilkar. »Der Rabe führt eine Bande von rebellierenden Julatsanern bei einem wagemutigen Angriff gegen die Wesmen an, der Unbekannte Krieger reitet an der Spitze.« Er tätschelte den Arm des großen Kriegers. »Ich glaube, das wäre sogar für uns zu viel, aber vielen Dank für die Idee.«

Der Unbekannte Krieger streckte sich und gähnte. »Völlig abwegig ist es nicht. Wenn eine große Anzahl Kämpfer aus der Stadt fliehen konnte, und wenn es wahr ist, dass Entsatztruppen aus Dordover kommen, dann könnten wir dein Kolleg aus eigener Kraft befreien.«

»Ich glaube immer noch, du befindest dich im Land der Träume, Unbekannter.«

»Tja, dahin gehört Ihr jetzt ganz sicher«, sagte Darrick. »Legt Euch hin, ich wecke Euch in vier Stunden.«

 

Der Rückzug der Wesmen nach Blackthorne gab dem Baron und seinen Guerillas einen großen Vorteil in die Hand. Die Wege nach Gyernath waren jetzt frei und sicher. Blackthorne hatte ein Dutzend schneller Reiter zum Hafen im Süden geschickt, um den Rat von ihrer Ankunft zu unterrichten. Die Kommunionsmagier sollten sich unterdessen für den Fall ausruhen, dass es doch noch einen Angriff der Wesmen gab. Sein versiegelter Brief hatte außerdem umrissen, welche Bedürfnisse er hatte und wie viele Männer, Pferde und Vorräte er brauchte. Den Grund hatte er nicht genannt.

Baron Blackthorne saß mit Gresse, der sich langsam erholte, sechs Tagesmärsche von Gyernath entfernt in einem Lager. Die Moral seiner Leute stieg, sie hatten einen konkreten Plan und waren nicht mehr auf bloße Schadensbegrenzung beschränkt. Jetzt hatten sie ein Ziel vor Augen, und es war etwas, an das sie glauben konnten. Sie wollten versuchen, ihre Heimat zurückzuerobern.

»Wenn wir Blackthorne eingenommen haben, ist Taranspike das nächste Ziel«, sagte Blackthorne. Gresse lächelte und sah ihn übers Feuer hinweg an.

»Ich glaube, es könnte wichtiger sein, dass wir uns in der Nähe der Bucht von Gyernath aufhalten«, sagte er. »Taranspike kann warten. Pontois wird die Burg schließlich nicht zerstören. Eine Schande, dass er seinen beträchtlichen Einfluss nicht dafür verwendet hat, für sein eigenes Land zu kämpfen.«

»Zum Teufel mit ihm«, murmelte Blackthorne. Baron Pontois war stets aalglatt und überheblich gewesen. Blackthorne konnte sich gut vorstellen, wie er mit seinen Kumpanen lachend an Gresses Tisch saß, nachdem er die unverteidigte Burg Taranspike einfach besetzt hatte.

Lange sollte er keine Freude daran haben. Ob nun die Wesmen kamen oder eine von Blackthorne angeführte Truppe, der Tag, an dem Pontois vor Entsetzen heulen würde, war nicht mehr fern. Blackthorne hielt sich selbst nicht für einen besonders gewalttätigen Mann, aber wenn er Gresse betrachtete und den Kummer und die Bitterkeit hinter der aufgesetzten Tapferkeit sah, dann bekam er nicht übel Lust, Pontois das Herz aus dem Leib zu schneiden und es, garniert mit seinen eigenen Eingeweiden, Gresse zu servieren.

»Wir müssen Kuriere zu allen Baronen und Lords schicken, nicht nur zu denen, die der Handelsallianz von Korina angehören«, sagte Gresse.

»An alle bis auf Pontois«, sagte Blackthorne. »Ich würde lieber sterben, als Seite an Seite mit ihm zu kämpfen.«

»So sehe ich das auch.«

»Ich kümmere mich darum, sobald wir Gyernath erreicht haben. Dann haben wir auch eine genauere Vorstellung, wie viele Kämpfer wir brauchen.« Blackthorne starrte in die Dunkelheit und schmeckte die Luft. Er biss sich auf die Oberlippe.

»Was ist los?«, fragte Gresse.

»Es wird zehn oder zwölf Tage dauern, bis wir Blackthorne erreichen«, sagte der Baron. »In dieser Zeit können sie entweder Verstärkung nachführen oder meine Stadt ausradieren. Eines ist sicher: Sie werden nicht herumsitzen und überhaupt nichts tun. Wir müssen unsere Reise um zwei Tage verkürzen, sonst kommen wir zu spät. Ich will nicht die Berge von Balan besteigen, nur um zu sehen, dass meine ganze Welt in Flammen steht.«

 

Bis spät in die Nacht brannten die Kerzen im Turm von Julatsa. Die Ratsmitglieder des Kollegs tagten ununterbrochen seit drei Stunden und diskutierten über die wenigen Möglichkeiten, die sie angesichts von Senedais Drohung noch hatten. Sie mussten damit rechnen, sich diejenigen zu Feinden zu machen, die sich im Schutz des Dämonenschirms befanden. Abweichend von der Tradition des Rates war auch General Kard eingeladen worden, an der Sitzung teilzunehmen. Es wäre undenkbar gewesen, einen Mann mit seiner Erfahrung auszuschließen.

»Es läuft alles auf einige wenige Fragen hinaus«, fasste Kerela zusammen, nachdem sie viel frommes Gerede gehört hatte: über die julatsanische Magie, die unbedingt erhalten werden müsse, weil sie für das Gleichgewicht in Balaia unentbehrlich sei; über das Volk von Julatsa, das seinen Magiern doch eine gewisse Dankbarkeit schuldig sei, und darüber, dass die Erhaltung der Magie langfristig für alle Menschen, also für ganz Balaia, ein wichtiges Gut sei, weshalb die unmittelbaren Interessen jener, die bald im Dämonenschirm geopfert werden sollten, in den Hintergrund treten müssten.

»Werden die Wesmen ihre Drohung wahr machen? Können wir verhindern, dass die Menschen hier drinnen mitbekommen, was draußen geschieht? Wenn wir es nicht können, wie rechtfertigen wir dann unsere Entscheidung, das Kolleg zu halten und die Menschen sterben zu lassen? Sollten wir das Kolleg aufgeben, um Leben zu retten? Oder würde die Übergabe des Kollegs letzten Endes mehr Menschenleben fordern, als sie scheinbar gerettet hat?«

»Das ist eine gute Zusammenfassung«, sagte Barras. »Ich denke, Kard kann die ersten beiden Punkte beantworten. General?«

Kard nickte. »Zuerst einmal werde ich hier für alle wiederholen, was ich bereits sagte, als wir uns vorhin vom Tor entfernt haben. Senedai wird Wort halten, aber das war meiner Ansicht nach ohnehin klar. Wenn ich mich nicht sehr irre, werden es alle an diesem Tisch schon sehr bald auf denkbar unangenehme Weise erfahren. Wir können nichts anderes erwarten. Unter diesen Bedingungen sofort aufzugeben, wäre allerdings eine sehr nachteilige Art der Kapitulation.«

Barras, der mit Kerela am Kopfende des Tisches saß, versuchte, die Reaktionen der anderen Ratsmitglieder einzuschätzen. Sie waren entschlossen, hart zu bleiben und weiterzumachen. Er war ein wenig überrascht, denn Mitgefühl war normalerweise unter den Ratsmitgliedern beinahe schon im Übermaß vorhanden. Doch andererseits waren dies beileibe keine normalen Zeiten.

»Zweitens«, fuhr Kard fort, »können wir verhindern, dass irgendjemand die Hinrichtungen sieht. Wir haben jetzt schon aus Sicherheitsgründen den Zugang zu den Mauern beschränkt, und es gibt kein Gebäude, von dem aus man das untere Ende des Schirms sehen kann; man sieht es nicht einmal vom Turm aus. Wenn wir den Zugang zu den Mauern völlig sperren, wird niemand sehen, was passiert.«

»Das ist unannehmbar«, sagte Vilif knapp.

»Ich sagte nicht, dass es akzeptabel ist«, meinte Kard. »Ich sagte nur, es wäre möglich.«

»Ihr könnt den Blick sperren, aber niemals den Lärm. Spätestens wenn Senedai dreimal am Tag hundertfünfzig Gefangene hinrichtet, sind die Schreie im ganzen Kolleg zu hören. Und denkt nur an die Folgen, wenn die Wahrheit ans Licht kommt.«

»Von morgen früh an wird es auch Gerüchte geben«, fügte Cordolan hinzu. »Ich wäre sogar überrascht, wenn es sie nicht jetzt schon gäbe. Ich will nicht die Loyalität Eurer Soldaten in Frage stellen, General, aber mindestens ein Dutzend von ihnen hat Senedais erste Drohung gehört, und die Leute reden.«

»Ich versichere Euch, dass ich in dieser Hinsicht keine Illusionen hege«, sagte Kard.

»Nun gut«, sagte Kerela. »Es läuft also darauf hinaus, dass wir es ohnehin nicht geheim halten könnten, selbst wenn wir wollten, und es zu versuchen, würde die Menschen nur von uns entfremden. Also läuft es auf die Frage hinaus, wie wir unsere Weigerung, uns zu ergeben, rechtfertigen wollen.«

Die Teilnehmer der Sitzung regten sich unbehaglich und schauten in alle möglichen Richtungen, nur nicht einander in die Augen. Kard brach das unbehagliche Schweigen.

»Die Weigerung, uns zu ergeben, vermittelt das unmissverständliche Signal, dass wir der Überzeugung sind, die Magie sei wichtiger als das Leben. Und das ist schwer zu rechtfertigen. Bei den Göttern, ich bin kein Magier, und deshalb könnt Ihr Euch vorstellen, wie ich damit zu ringen habe.

Wir haben aber noch nicht besprochen, welche Konsequenzen die Alternativen auf der persönlichen Ebene haben. Das Kolleg zu halten, ist nicht nur im Hinblick auf das Gleichgewicht der Magie wichtig, sondern auch für die Menschen und Elfen ganz allgemein. Wenn wir uns Senedai ergeben, dann bedeutet dies zweierlei. Alle julatsanischen Magier in diesen Mauern werden ermordet, und alle überlebenden Julatsaner werden versklavt. Ich persönlich wäre lieber tot.«

Es war, wie Barras bemerkte, ein Gefühl, das die anderen durchaus teilten, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. Kard wollte weiter das Leben führen, das er kannte, der Rat wollte die julatsanische Magie retten und war bereit, dafür fast alles aufs Spiel zu setzen.

»Da wäre noch etwas«, sagte Torvis, und sein Gesicht zeigte keine Spur des gewohnten Humors. »Unsere Gäste, wie Kerela sie so treffend nennt, können uns nicht zwingen, den Schirm zu entfernen, selbst wenn sie uns töten. Wenn wir nicht bereit sind, den Schirm zu entfernen, bleibt er fünfzig Tage aktiv, bis Heila wieder auftaucht.«

Kard schüttelte den Kopf.

»Wollt Ihr etwas einwenden?«, meinte Torvis finster. »Ich beschreibe doch nur die Fakten.«

»Ja, ich will etwas sagen.« Kard schob den Stuhl zurück, stand auf und ging langsam um den Tisch herum. Alle Augen folgten ihm. »Diese Art zu denken führt zu Konflikten. Wenn Ihr mir sagtet, wir ändern unseren Standpunkt nicht, und du kannst uns nicht einmal zwingen, indem du uns tötest, würde ich sehr schnell auf die Idee kommen, genau dies zu tun, sobald ich erfahre, dass meine Freunde und meine Familie draußen vor den Mauern sterben. Ich würde Euch töten, damit ich sicher bin, dass Ihr zusammen mit denen sterbt, die in den Schirm getrieben werden.

Wenn Ihr wollt, dass die Leute möglichst lange zu Euch stehen, dann müsst Ihr ihnen die Überzeugung vermitteln, dass die Konsequenzen, wenn sie sich ergeben, noch viel schlimmer sein werden. Ihr müsst ihnen vor Augen führen, dass sie dann als Sklaven von Senedai und den Wesmen leben müssten. Ihr müsst sie daran erinnern, dass die Dordovaner kommen, und Ihr dürft niemals erwähnen, dass die Erhaltung der julatsanischen Magie in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist. Appelliert an sie, aber schreibt ihnen nichts vor.«

»Warum tut Ihr das nicht selbst, wenn Ihr sie so gut kennt?«, warf Vilif herausfordernd ein. Kard blieb stehen; er war gerade am anderen Endes des Tischs angekommen und stand Barras gegenüber.

»Also gut. Ich werde es tun.«

 

Während seine Gefangenen den neuen Palisadenzaun rings um Understone bauten und mit Steinen die Befestigungen am Pass verstärkten, wartete Tessaya ab.

Zeit war kostbar. Darrick und der Rabe mussten schon unterwegs sein, und die schreckliche Protektorenarmee ging wieder um. Alle waren in den Osten unterwegs, alle zogen in den Kampf. Er musste verhindern, dass sie sich mit den restlichen Armeen im Süden vereinigten, und sie durften auch nicht die Kollegien und ganz besonders nicht Korina erreichen.

Vier Tage waren keine lange Zeit, doch er hatte damit gerechnet, dass Taomi inzwischen kurz vor Understone stehen würde, nachdem er beim Übersetzen über die Bucht von Gyernath und auf dem nur wenig benutzten Weg nach Norden auf keinen nennenswerten Widerstand gestoßen war. Senedai, der die Kollegien angriff, hatte wahrscheinlich erheblich größere Schwierigkeiten.

Vom dritten Morgen an verbrachte Tessaya Stunden damit, den bewölkten Himmel zu überwachen. Er blickte nach Süden und wartete auf ganz bestimmte dunkle Punkte am Himmel – seine Vögel. An diesem Nachmittag wurde seine Geduld endlich belohnt. Ein einzelner Vogel näherte sich hoch am Himmel von Süden her. Tessaya band sich die Haare zurück und beobachtete den Vogel. Mit scharfen Augen verfolgte er dessen Flugbahn vom gerade fertig gestellten südlichen Wachturm aus.

Es war eindeutig einer seiner Vögel. Er erkannte es an der Art des Fluges, am Wechsel zwischen dem schonenden Gleitflug und den kräftigen Flügelschlägen, mit denen das Tier die richtige Position in den Luftströmungen hielt und den Konturen der Landschaft folgte.

Als sich der Vogel näherte, band Tessaya ein grünrotes Markierungsband an sein Handgelenk und winkte damit langsam über seinem Kopf. Der gestreifte Stoff flatterte im steifen Wind. Die grauweiße Elster landete auf dem Geländer des Wachturms. Tessaya nahm den Vögel auf und hielt ihn mit einem Arm an seine Brust, beugte sich vor, drückte ihm die Lippen auf den Kopf und nahm die Botschaften von den Beinen ab. Dann ließ er ihn wieder fliegen, damit er im Horst über dem Gasthof ausruhen und fressen konnte.

»Zuverlässiger als Rauchsignale, was?«, sagte er zum Wächter auf dem Turm. Er rollte das Blatt mit der verschlüsselten Botschaft auseinander.

»Ja, mein Lord«, erwiderte der Mann, doch das zaghafte Lächeln verschwand sofort, als Tessaya ihn scharf anschaute, nachdem er die Botschaft gelesen und deren Bedeutung erfasst hatte.

»Mein Lord?«, fragte der Wächter.

»Zur Hölle mit ihnen«, knirschte Tessaya. »Zur Hölle mit ihnen.« Er ignorierte den erschrockenen Wächter, marschierte zur Leiter und stieg sie erheblich schneller hinunter, als es seiner Sicherheit zuträglich war. Seine Reiter hatten Lord Taomi nicht gefunden. Sie hatten allerdings dessen Männer und Schamanen gefunden, abgeschlachtet und verwesend. Sie hatten Scheiterhaufen gefunden, die nach der Art des Ostens aufgeschichtet waren. Und sie hatten Hinweise darauf gefunden, dass Taomi sich eilig nach Süden zurückgezogen hatte. Die Späher wollten weiter vordringen, doch sie konnten dies nur langsam tun. Es wäre dumm, von hinten auf das Heer zu stoßen, das Lord Taomi verfolgte.

Wer mochte dahinter stecken? Die Angreifer waren sicher nicht aus Richtung Gyernath gekommen, denn dazu war der Angriff zu schnell erfolgt. Somit blieb nur der reiche Baron Blackthorne, dessen Wein nach Tessayas Erinnerung sauer schmeckte. Doch er wollte nicht glauben, dass Blackthorne, so gut bewaffnet er auch sein mochte, genügend Streitkräfte hatte aufbieten können, um Taomi ernsthafte Schwierigkeiten zu bereiten. Nicht ohne fremde Hilfe.

Er las die Mitteilung noch einmal durch, dann wandte er sich zu den Baracken, in denen die Gefangenen untergebracht waren. Dieser dicke Mann, Kerus, musste ihm einige Fragen beantworten. Entweder dies, oder er würde einige Männer an die Scharfrichter der Wesmen verlieren. Die Zeit der schönen Worte war vorbei. Tessaya musste herausfinden, gegen welche Kräfte er antrat, und er war inzwischen bereit, jede nur denkbare Methode anzuwenden, um diese Informationen zu bekommen.

 

Die Dämmerung spaltete den Himmel im Osten. Barras stand auf dem höchsten Wehrgang des Turms und blickte auf die ruhige Stadt hinunter. Ein kühler Wind wehte ihm frische Luft ins Gesicht.

In einem Moment wie diesem konnte man sich leicht vorstellen, dass alles war, wie es sein sollte. Dass es draußen vor den Mauern keine Truppen der Wesmen gab, die das Kolleg belagerten. Dass beim ersten Morgengrauen keine fünfzig Unschuldigen abgeschlachtet wurden. Unschuldige, deren Seelen den unersättlichen Appetit der Dämonen stillten. Ihr Schicksal würde immer auf Barras’ Seele lasten.

Zwei Dinge straften allerdings Barras’ Tagträume Lügen. Der bedrückende Dämonenschirm, der die Mauern umgab und dessen bösartige Ausstrahlung ihm Angst einflößte, und der Turm der Wesmen, der inzwischen beinahe fertig gestellt war und die Mauern überragte.

Sie hatten sich in Bezug auf den Zweck des Turms geirrt. Die Wesmen hatten nicht die Absicht, mithilfe dieses Bauwerks den Schirm zu durchbrechen, der sich gut achtzig Fuß in die Luft erhob. Die Räder waren dazu da, den Turm rings um die Kollegmauern zu bewegen, und die Stahlverkleidung sollte Feuer und Sprüche abwehren. Sie wollten ins Kolleg hineinschauen, und Barras musste einräumen, dass dies durchaus vernünftig war, während er zugleich die Gerissenheit dahinter verfluchte.

Der alte Elfenmagier blickte hinaus, über die Mauern seiner Stadt hinweg. Der graue Dämonenschirm wurde sichtbar, sobald das Licht den Himmel erhellte, ein grässliches Symbol für die Schrecken, mit denen sie Tag für Tag leben mussten. Die Wesmen – oder besser deren Gefangene  – waren nicht untätig gewesen, und überall waren Hinweise darauf zu sehen, dass sie sich auf eine dauerhafte Besatzung einrichteten.

An einem halben Dutzend Orten wurden bereits weitere stationäre Wachtürme errichtet, und jetzt bauten sie auch einen Palisadenzaun. Es würde langsam gehen, denn passendes Bauholz war nicht leicht zu beschaffen, und Julatsa war eine weitläufige Stadt. Trotzdem wäre die Stadt binnen drei Wochen von Pfählen umgeben, und dann wären die Wesmen entsprechend schwieriger zu vertreiben.

Barras richtete den Blick auf den inneren Bereich des Kollegs. Der Turm, die vielen offiziellen Gebäude und die Nebengebäude nahmen das Zentrum des Geländes ein. Vor ihm lagen die drei langen Hallen, in denen die Fernsprüche getestet wurden. Sie erstreckten sich bis zur anderen Seite des mit Steinplatten ausgelegten Hofs, in dessen Zentrum der Turm stand. Jeder dieser Testräume war mehr als zweihundert Fuß lang, niedrig und armiert. Dort hatten sich im Laufe der Jahrhunderte einige von Julatsas größten Erfolgen und einige der schrecklichsten Niederlagen zugetragen. Jetzt dienten sie als Notunterkünfte.

Das Gleiche galt für die Vorlesungssäle, die alte Versammlungshalle, das Hauptauditorium und das Mana-Bad, wo angehende Magier ihre Empfänglichkeit für das Mana zu entdecken suchten und um ihre geistige Gesundheit fürchten mussten, wenn sie scheiterten. Nur die Bibliothek und die Lebensmittellager waren für die Gäste gesperrt.

Trotz der frühen Stunde wanderten etwa einhundert Menschen im Hof umher. Von Kard hatten sie erfahren, welches Schicksal den Unglücklichen drohte, die den Wesmen in die Hände gefallen waren. Der General hatte nicht geschlafen. Zusammen mit jeweils einem der Ratsmitglieder, die sich gegenseitig ablösten, hatte er nacheinander alle Gruppen von Menschen innerhalb der Kollegmauern aufgesucht und die Situation so umfassend wie möglich erklärt. Bisher hatten seine Worte Trauer und Angst hervorgerufen, aber keinen Zorn. Barras sollte am letzten Treffen teilnehmen, doch zuerst musste er versuchen, für das Kolleg noch etwas Zeit herauszuschinden.

Er eilte vom Turm hinunter und ging rasch übers Pflaster zum Nordtor. Dort stieg er zum Torhaus hinauf und sah sich einem überraschten Wächter gegenüber.

»Mein Magier?«

»Ich muss mit Senedai reden. Entschuldige mich.« Barras ging zur Brustwehr, die über dem Tor verlief. Die üble Ausstrahlung des Dämonenschirms war zum Greifen nahe. Ein Stück dahinter saßen drei Wächter der Wesmen an einem kleinen Feuer auf einer kleinen freien Fläche zwischen dem Kolleg und den ersten Häusern der Stadt.

»Ich will mit eurem Lord sprechen!«, rief Barras. Die Wesmen schauten auf. Barras konnte sehen, wie sie die Stirn runzelten. Einer stand auf, kam etwas näher und legte sich eine Hand hinters Ohr.

»Ich muss mit eurem Lord sprechen«, sagte Barras. Die Antwort kam in irgendeiner Stammessprache, dann zuckte der Mann mit den Achseln.

»Trottel«, murmelte Barras. Er richtete sich auf und sprach noch etwas lauter. »Senedai. Holt Senedai her. Ja?« Es gab eine Pause, die eine Ewigkeit zu dauern schien, dann nickte der Wächter und trabte los. Unterwegs rief er seinen Kollegen eine Bemerkung zu, die daraufhin lachend in Barras’ Richtung blickten.

»Lacht nur, solange ihr könnt.« Barras lächelte zurück und winkte. Er musste nicht lange warten, bis Senedai aus den Schatten in den Feuerschein trat. Inzwischen war das erste graue Licht der Morgendämmerung zu sehen.

»Das habt Ihr genau abgepasst, Elf«, sagte Senedai, als er in sicherer Entfernung vor dem Schirm stehen geblieben war. »Ich hoffe doch, dass es jetzt eine ordentliche Kapitulation geben wird.«

»Letzten Endes, Lord Senedai, aber nicht in der Morgendämmerung. Wir sind noch nicht bereit.«

Senedai schnaubte. »Dann werden bald fünfzig Eurer Leute tot sein.« Er wandte sich zum Gehen.

»Nein, Senedai, wartet.« Der Lord der Wesmen breitete die Arme aus und drehte sich wieder um.

»Ich höre, aber es wird nichts ändern.«

»Ihr versteht unsere Situation nicht richtig.«

»Oh, aber gewiss verstehe ich sie. Ihr seid verzweifelt. Ihr seht keinen Ausweg mehr und versucht, etwas Zeit zu schinden. Habe ich nicht Recht?«

»Nein«, antwortete Barras. Er wusste nun, dass sein Versuch, der ohnehin nichts weiter als ein Schuss ins Blaue sein konnte, schon so gut wie gescheitert war. »Versetzt Euch doch in unsere Lage. Unser Volk ist verängstigt. Wir brauchen mehr Zeit, um die Leute zu beruhigen und sie davon zu überzeugen, dass Ihr ehrenhafte Absichten verfolgt. Noch wichtiger ist, dass wir unsere Angelegenheiten ordnen müssen.«

»Welche Angelegenheiten?«, fragte Senedai. »Ihr dürft nichts behalten, und alles, was Ihr hinterlasst, gehört uns. Euer Volk ist mit Recht verängstigt, weil wir stark und wild sind, aber die einzige Möglichkeit, die Leute davon zu überzeugen, dass wir nicht alles, was wir erobert haben, vernichten, ist, sie in unsere Hände zu geben.«

»Ich appelliere an Euer Mitgefühl, aber auch an Euren gesunden Menschenverstand und an Eure Vernunft«, sagte Barras. »Wir können unsere Leute beruhigen, und das wird Euch und uns helfen, aber wir brauchen mehr Zeit. Das ist die eine Sache. Noch viel wichtiger ist aber, dass das Kolleg gesichert sein muss, wenn Ihr schließlich triumphierend durch die Tore schreitet. Das Mana ist für diejenigen, die es nicht verstehen, eine gefährliche Kraft. Wenn Ihr jetzt ohne einen Magier hereinkommt, dann könnte ich nicht garantieren, dass Ihr es überleben würdet.«

»Wollt Ihr mir drohen, Magier?« Senedai erhob die Stimme und antwortete merklich schärfer.

»Nein. Ich sage Euch einfach die Wahrheit«, gab Barras ruhig zurück.

»Und trotzdem habt Ihr einen vollen Tag gewartet, um mir die Wahrheit zu sagen.«

»Es tut mir Leid, Lord Senedai, aber wir waren noch nie in einer solchen Situation, und ich hatte keine Vorstellung davon, wie lange es dauert, die Quelle unserer Magie zu verschließen. Genau dies müssen wir aber tun, denn sonst geriete neben Euch auch unsere ganze Stadt in Gefahr, vernichtet zu werden.«

Senedai stellte sich etwas anders auf, setzte zum Sprechen an, überlegte es sich anders. Zweifel machten sich in seinem Gesicht breit. Barras erkannte seine Chance.

»Ich will Euch damit Folgendes sagen. Ihr könnt beginnen, Unschuldige zu töten, wenn Ihr wollt, aber wir werden nicht die Tore öffnen und unseren Schirm entfernen. Es ist nicht so, dass uns das Schicksal unserer Leute einerlei wäre. Aber das Kolleg muss auch ohne Magier sicher sein. Schließlich tragen wir die Verantwortung für ganz Julatsa und nicht nur für diejenigen, die Ihr für die Hinrichtung auswählt. Ich flehe Euch an, Lord Senedai, meinen Worten zu glauben.«

Senedai starrte Barras lange und mit kalten Augen an. Sein Gesicht verriet seine Unsicherheit. Ihm war klar, dass er nicht über das nötige Wissen verfügte, um Barras’ Worte zu widerlegen.

»Ich muss nachdenken«, sagte er nach einer Weile. »Wie lange werdet Ihr brauchen, um die Mana-Quelle zu schließen?«

Barras zuckte mit den Achseln. »Sechs Tage, vielleicht auch länger.«

»Ihr müsst mich für sehr dumm halten«, fauchte Senedai. »Sechs Tage. Und ich habe keinen Beweis dafür, dass Ihr mir die Wahrheit sagt. Was könnt Ihr mir anbieten?«

»Nichts«, erwiderte Barras gleichmütig. »Nichts außer der Tatsache, dass wir nichts zu gewinnen haben, wenn wir Euch anlügen. Es kommt keine Hilfe, und wir haben keine Möglichkeit, Hilfe zu holen. Mir ist bewusst, dass Ihr ungeduldig seid, aber zuerst müsst Ihr hier Sicherheit haben. Solange wir nicht bereit sind, habt Ihr diese Sicherheit nicht. Was wir tun, hilft uns allen.«

»Wenn Ihr mich anlügt, dann werde ich Euch persönlich enthaupten.«

»Ich bin einverstanden.«

»Sechs Tage«, murmelte Senedai. »Ich könnte Euch zwei oder drei gewähren. Ich könnte Euch keinen einzigen gewähren. Die Schreie der Sterbenden werden Euch sagen, wann meine Geduld erschöpft ist.« Wieder wollte er sich entfernen, und wieder drehte er sich noch einmal um. »Ihr spielt mit meinem mangelnden Wissen über die Magie. Vielleicht werde ich auch einen meiner gefangenen Magier befragen und mein Wissen ein wenig erweitern.«

»Hieß es nicht, sie seien alle tot?«

»Wie ich solltet auch Ihr nicht alles glauben, was man Euch erzählt.« Er rief einen Wächter zu sich und verließ den Platz.

 

»Das nenne ich allerdings Verhandlungsgeschick«, sagte Kerela. Sie und Kard standen mit Barras im südlichen langen Raum. Die bedrückten Menschen versammelten sich, um eine Ansprache des Generals zu hören.

»Was müsst Ihr denn nun eigentlich tun, um die julatsanische Magie abzuschalten?«, fragte Kard. Ein ironisches Lächeln spielte um seine Lippen.

»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Überhaupt nichts, soweit ich weiß«, antwortete Barras. »Allerdings war ich doch sehr überrascht, dass er so wenig über die ungeordnete Natur des Mana und die Harmlosigkeit seines natürlichen Zustandes weiß.«

»Gut gemacht.« Kard klopfte Barras auf den Rücken. Dann wurde er wieder ernst. »Ihr wisst, dass er uns keine sechs Tage geben wird. So dumm ist er nicht.«

»Selbst ein Tag rettet hundertfünfzig Menschen das Leben«, sagte Kerela.

»Schätzt die Einstellung der Wesmen nicht falsch ein. Die Magie versetzt sie in Angst und Schrecken. Senedai weiß, dass er gewonnen hat, oder er glaubt es wenigstens. Einige Tage mehr oder weniger werden daran nichts ändern«, sagte Barras.

»Er mag Angst haben, aber das hat ihn nicht davon abgehalten, die Stadt zu erobern.« Kard rückte seine Uniform zurecht und strich seine Jacke glatt. Die Menschen verstummten allmählich. »Ich verstehe ja, was Ihr meint, aber seine Ungeduld wird bald die Oberhand gewinnen. Seine Gefangenen bedeuten ihm nichts, was besonders für diejenigen gilt, die keine schwere Arbeit verrichten können. Wir müssen damit rechnen, dass in spätestens drei Tagen kleine Mädchen und alte Menschen als Erste in den Schirm getrieben werden.«

»Ich schließe mich dieser Einschätzung an«, sagte Kerela. »Er kann nicht überprüfen, was du gesagt hast, aber er wird früher oder später annehmen, dass du gelogen hast, und dann wird er die Leute opfern, und sei es nur, um uns unter Druck zu setzen.«

Barras nickte. Es war abzusehen, dass er noch einmal mit Senedai sprechen musste. Das Hochgefühl nach seinem kleinen Triumph verschwand schon wieder. Kard begann unterdessen mit seiner Ansprache an die etwa dreihundert im langen Raum versammelten Menschen.

»Danke, für Eure Geduld und dafür, dass Ihr gekommen seid. Inzwischen haben einige von Euch sicher schon erfahren, was draußen vor den Mauern vor sich geht. Für diejenigen, die es noch nicht wissen, will ich es noch einmal zusammenfassen. Ich bitte Euch, Eure Fragen erst danach zu stellen …«

Barras ließ seine Gedanken wandern. Drei Tage. Sie waren wahrscheinlich insgesamt im Verhältnis acht zu eins in der Unterzahl, und wenn man allein die kämpfende Truppe rechnete, sah es noch schlechter aus. Wenigstens waren die Magier ausgeruht. Von Dordover war Hilfe unterwegs, doch der Schirm verhinderte die Kommunion. Kein Spruch konnte die Barriere durchdringen. Unterdessen mussten sie ihre Pläne schmieden. Er wollte das Kolleg nicht einfach aufgeben.

Sobald die Bevölkerung innerhalb der Mauern unterrichtet war, konnte man sich ernsthaft unterhalten. Wenn Julatsa fallen musste, dann sollte es eine Schlacht werden, die in die Legenden eingehen sollte.