North American Aerospace Defense Command, Cheyenne Mountain, Colorado
»Wiederholen Sie
das«, verlangte General Wayne Harmon.
»Wir haben den
Kontakt mit der Rakete nach dem Ausbrennen der dritten Stufe bei
etwa 320 Sekunden verloren, Sir, und die DPS-Vögel zeichnen auch
nichts mehr davon auf. Ich habe einen Funktionscheck vorgenommen,
und alles bewegt sich im grünen Bereich. Der Satellit über dem
Pazifik zeichnet noch immer Restwärme von den Trümmern der ersten
und zweiten Raketenstufe auf. Als wir sie verloren, hatte die
Rakete eine Höhe von über 200 Meilen und eine Geschwindigkeit von
13 000 Meilen pro Stunde erreicht.
»Okay«, sagte
Harmon, »damit wäre also die Boostphase beendet, und die Rakete
befindet sich in der Thermosphäre. Die Pave Paws in Beale sollten
sie eigentlich noch immer verfolgen können, und wir erhalten in
Kürze Bescheid von dort. Und wenn Beale sie nicht orten kann, dann
wird das Kwajalein Atoll sie aufspüren. Verlängern Sie mal die
Flugbahn, und sehen Sie, welches Ziel sie nach Berechnung der
DPS-Satelliten ansteuert.«
Auf dem Display
erschien ein grüner Vektor, verlief direkt durch das Viereck und
endete im Nordpazifik ungefähr auf dem Mittelpunkt der
Verbindungslinie zwischen Hawaii und der Westküste
Mexikos.
»Das erinnert mich
an die Taep’o-dong 1, die sie 1998 gestartet haben«, erzählte
Harmon, »nur dass diese hier eine völlig andere Flugbahn hat und um
einiges weiter fliegt. Solange sie kein Mittelkurs-Lenksystem
eingebaut haben, ist sie für uns ungefährlich. Das Ganze sieht
wirklich aus wie ein routinemäßiger Raketentest. Überwachen Sie die
Flugbahn, und sagen Sie mir Bescheid, wenn die DSP-Vögel den
Wiedereintritt in die Atmosphäre melden.«
Ein paar Sekunden
später erschienen die ersten Daten des Pave-Paws-Radar auf dem
Bildschirm, kurz darauf vervollständigt durch die Informationen vom
Kwajalein Atoll. Die beiden Radarsysteme hatten die Rakete genau im
Fokus, und die von ihnen berechneten Kursvektoren entsprachen
ziemlich genau den Voraussagen der DSP-Satelliten.
»Alle Stationen,
hier spricht Brass Hat. DSP-Berechnung des Flugkurses durch Radar
bestätigt. Voraussichtlicher Aufschlagpunkt befindet sich zwischen
Hawaii und der Westküste von Mexiko. Flugbahnberechnungen ergeben
keinerlei Gefahr für die US oder verbündete Nationen. Erste
Analysen deuten auf den Test einer dreistufigen Rakete hin,
wahrscheinlich einer Teap’o-dong 2.«
Der vorausberechnete
Aufschlagpunkt war notwendigerweise ungenau, da er von einer Reihe
verschiedener Faktoren abhing wie der Geschwindigkeit der Rakete,
der maximalen Höhe, die sie erreichte, ehe die Gravitation sie auf
die Erde zurückstürzen ließ, sowie ihrer Aerodynamik und ihrem
Vermögen, der Hitze zu widerstehen, die durch die Luftreibung beim
Wiedereintritt in die Atmosphäre erzeugt wurde. Je länger die
Radaranlagen die Rakete verfolgten, desto genauer ließ sich der
Aufschlagort bestimmen.
»An alle Stationen
von Brass Hat. Radarwerte ergeben, dass die Rakete soeben das
Apogäum passiert hat. Aktualisierte Berechnungen ergeben, dass der
Aufschlagpunkt sich bei 140 Grad West und 35 Grad Nord befinden
wird.«
Und dann geschah
etwas Unerwartetes.
»Sir, das Radar auf
dem Kjawalein Atoll meldet, dass der Gefechtskopf
zerbricht.«
»In welcher
Höhe?«
»Etwa 320
Meilen.«
»Dann ist
atmosphärische Reibung ganz sicher nicht die Ursache. Vielleicht
haben sie ein ganz spezielles System der Radartäuschung entwickelt,
das sie ausprobieren wollen. Oder sogar ein MIRV.«
Ein Multiple
Independently-targeted Re-entry Vehicle bietet die Möglichkeit,
eine einzige Rakete mit mehreren Waffen auszustatten. Üblicherweise
wird der Kegel an der Raketenspitze gleichzeitig mit der ersten
ausgebrannten Raketenstufe abgeworfen, wodurch der MIRV-»Bus«
freigelegt wird – also die Vorrichtung, die die einzelnen
Gefechtsköpfe trägt. Nach Passieren des Apogäums aktiviert der
»Bus« kleine Raketen, die von einem inertialen Lenkund GPS-System
gesteuert werden, um auf die Flugbahn der ersten Sprengwaffe
umzuschwenken. Sobald der Vorgang abgeschlossen ist, wird die
Atomwaffe ausgeklinkt und stürzt im freien Fall zur Erde, dann wird
die Rakete auf den Flugkurs der zweiten Waffe gebracht und
wiederholt den Prozess. Die Verteidigung gegen eine solche Waffe
ist extrem schwierig, und solche Raketen enthalten meistens
Täuschkörper, die ein Radarbild erzeugen, das dem eines
Gefechtskopfs ähnelt, und Düppel – dünne Streifen aus Aluminium, um
Radarsysteme zu täuschen. Wenn die MIRV-Gefechtsköpfe kurz nach dem
Apogäum, dem höchsten Punkt der Raketenflugbahn, ausgelöst werden,
kann das Gebiet, in dem sie aufschlagen, sehr groß
sein.
Seit der Alarm
ausgelöst wurde, befand General Harmon sich in engem Kontakt sowohl
mit dem Pentagon wie auch dem Weißen Haus.
»Mr. President, wir
fangen etwa ein Dutzend Echos auf, die sich fächerartig ausbreiten.
Es sieht jetzt so aus, als handele es sich um einen Test von
Attrappen oder Täuschkörpern und nicht eines MIRV, da die
jeweiligen Flugbahnen sehr dicht zusammenliegen und einen
gemeinsamen Ursprung haben.«
»Und der
Aufschlagpunkt?« Der Präsident hatte seit Beginn der
Telefonkonferenz die Frage viermal gestellt, und jedes Mal hatte
Harmon ihm die gleiche Antwort gegeben.
»Im Pazifik, Sir,
irgendwo nordöstlich von Hawaii.«
»Sind Sie demnach
sicher, dass keiner der Gefechtsköpfe, oder was immer dieses
verdammte Ding geladen hatte, amerikanischen Boden erreichen
kann?«
»Da bin ich mir ganz
sicher, Sir. Die Gesetze der Physik lassen sich nun mal nicht außer
Kraft setzen. Der Inhalt des nordkoreanischen Gefechtskopfs stürzt
direkt in den Ozean, und es besteht nicht die geringste
Wahrscheinlichkeit, dass ein Teil seines Inhalts Hawaii oder gar
die Vereinigten Staaten treffen könnte.«