Dienstag Luftwaffenstützpunkt Dobric, Bulgarien
Der
Luftwaffenstützpunkt Dobric galt seit der Jahrtausendwende als
»inaktiv«, doch es gab unterschiedliche Formen von Inaktivität, und
obwohl kein Flugzeug von der Basis startete oder dort landete,
waren dort ständig bewaffnete Wachen stationiert. Der Grund dafür
war, dass Dobric als eines der größten Lager Bulgariens für
Reserveflugzeuge, Flugzeugersatzteile und Munition betrieben
wurde.
Belieferungen und
Abholungen fanden häufig statt, jedoch wurden diese Aktionen stets
rechtzeitig angekündigt, damit ausreichend Personal zugegen war, um
beim Ent- oder Beladen zu helfen. Als nun ein Trio von neutral
aussehenden Dreitonnern vor dem verschlossenen Haupttor stoppte,
ignorierte der Posten im aus Beton erbauten Wachhaus diese anfangs
mehr oder weniger, da keinerlei derartige Aktivitäten für diesen
Tag angekündigt worden waren.
Sein Interesse wurde
jedoch geweckt, als zwei Männer in Uniformen der bulgarischen
Luftwaffe aus dem ersten Fahrzeug stiegen und laut diskutierend zum
Wachhaus gingen. Durch den Anblick der vertrauten Uniformen
beruhigt, dachte der Posten nicht daran, zum Sturmgewehr zu
greifen, das neben ihm an der Wand des Wachhäuschens lehnte. Hinter
ihm plärrte ein aktueller Popsong aus dem Lautsprecher eines
kleinen tragbaren Fernsehers, während einige Balletttänzer ziemlich
lustlos umherhüpften.
Einer der Besucher,
der den Namen Draco benutzte, nickte dem Wächter grüßend zu und
schob einen gefalteten Bogen Papier durch den Schlitz unter dem
Fenster hindurch. Der Bulgarier griff danach und erwartete, darauf
eine Adresse oder einen Hinweis auf den Ort zu finden, den sie
suchten, aber als er das Papier auseinanderfaltete, war es
vollkommen leer. Er blickte verwirrt hoch und sah den Mann
lächeln.
Das Nächste, was er
wahrnahm, war die Mündung einer Pistole mit Schalldämpfer, die
durch den Schlitz auf ihn gerichtet war. Ehe der Wächter reagieren
konnte, erklang ein Laut, der an ein Husten erinnerte, und er
kippte nach hinten, mitten ins Herz getroffen.
Sofort eilte der
zweite Mann hinüber zum Haupttor und inspizierte es eingehend. Auch
wenn es nicht elektronisch gesichert war, konnte man mit
irgendeinem Alarmsystem rechnen, aber er fand nichts
Besorgniserregendes. Das bedeutete, dass sie jetzt nichts anderes
zu tun hätten, als den Schlüssel zu suchen und in die
Luftwaffenbasis einzudringen.
Wie bei fast allen
militärischen Einrichtungen auf der ganzen Welt bestand jeder
Torflügel aus einem drei mal drei Meter großen Stahlrahmen mit
diagonalen Streben als Verstärkungen und einem daran befestigten
Maschendraht. Er hätte diese Konstruktion leicht mit einer Zange
durchschneiden können, aber sie ließ sich mindestens ebenso schnell
überwinden, wenn man einfach darüberkletterte.
Er griff mit den
behandschuhten Händen in den Maschendraht, zog sich hoch, zwängte
die Schuhspitzen in die Maschen und ertastete den soliden Torrahmen
und die Verstrebungen dahinter. In weniger als zehn Sekunden saß er
rittlings auf einem Torflügel, und fünfzehn Sekunden danach stand
er schon vor dem Wachhaus und versuchte sein Glück mit der
Türklinke.
Wie erwartet war die
Tür verriegelt, daher zog er ein Stemmeisen aus einer Schlaufe
seines Werkzeuggürtels. Dann rammte er sein Ende in den Spalt
zwischen Tür und Türrahmen und zog kraftvoll am langen Hebel. Das
Holz splitterte, gab jedoch nicht nach, deshalb veränderte er die
Position des Stemmeisens und zog abermals am längeren Ende. Diesmal
gab die Tür ein gequältes Ächzen von sich und flog auf. Der Mann
trat über die Schwelle.
Ohne der
ausgestreckt auf dem Fußboden liegenden Leiche des Wachtpostens
weitere Beachtung zu schenken, ging der Eindringling zu dem
offenen, an die Wand geschraubten Schlüsselkasten. Darin hingen
etwa zwei Dutzend Schlüsselsätze an mit verschiedenen
Beschriftungen versehenen Haken, doch er wusste genau, welche
Schlüssel er brauchte. Er wählte zwei aus und kehrte zum Haupttor
zurück. Nachdem er einen Schlüssel ins Loch gesteckt und umgedreht
hatte, zog er die Torflügel weit auf.
Im gleichen Moment
setzten die drei Lastwagen sich in Bewegung und rollten auf das
Gelände der Flugbasis. Er ging zum führenden Fahrzeug und reichte
Draco, der mittlerweile wieder im Führerhaus saß, den zweiten
Schlüsselsatz. Danach schloss und verriegelte er das Haupttor.
Während die Dreitonner sich in Richtung der Lagerhäuser entfernten,
begann der erste Eindringling im Wachhaus mit einer oberflächlichen
Aufräumaktion, indem er die Leiche des Wachtpostens ein Stück
wegschleifte, sodass sie durch das Fenster nicht mehr zu sehen
war.
Innerhalb des
Dobric-Komplexes stoppten die drei Lastwagen vor einem Gebäude,
während der Fahrer die Nummer überprüfte, die auf die Außenmauer
gemalt worden war. Er schüttelte den Kopf und fuhr weiter zum
nächsten Gebäude. Dort beschrieb er mit dem Lastwagen einen weiten
Kreis, sodass er den Lkw rückwärts dicht vor die Eingangstür setzen
konnte.
Draco stieg aus dem
Führerhaus und rannte zu den stählernen Schiebetüren, in einer Hand
den zweiten Schlüsselsatz. Die Tür wurde durch ein einzelnes
Schloss gesichert, doch ehe er dieses öffnete, benutzte er einen
anderen Schlüssel des gleichen Satzes, um eine Alarmanlage
auszuschalten, die an der angrenzenden Wand installiert war. Sobald
die Farbe der Kontrollleuchte von Rot zu Grün gewechselt hatte,
schob er den Schlüssel für das Eingangstor ins Schloss. Eine halbe
Minute später befanden die beiden Männer sich im Innern des
Gebäudes. Sie ließen die Torflügel weit offen stehen, und
Neonlampen an der Decke spendeten zusätzliches Licht.
Sie erhielten
Gesellschaft von vier weiteren Männern in bulgarischen
Luftwaffenuniformen. Sie verteilten sich und durchsuchten
systematisch die Stahlregale und Kistenstapel nach dem, weshalb sie
hergekommen waren. Nach ein paar Minuten stieß ein Mann einen
lauten Ruf aus, und die anderen folgten ihm, um zu überprüfen, ob
sie das Gesuchte gefunden hatten. Vor ihnen ragte ein Stapel von
etwa fünfzig Holzkisten auf, jede etwa sechs Meter lang und mit der
Aufschrift »R-40T« versehen.
Draco nickte
zufrieden und gab eine Reihe knapper Anweisungen. In einer Ecke der
Lagerhalle hatte er bereits einen Gabelstapler entdeckt, dessen
Hubgabeln entsprechend modifiziert worden waren, um die sperrigen
Kisten zu bewegen, die an den Wänden aufgestapelt oder in den
Stahlregalen untergebracht waren. Einer der Männer lenkte den
Gabelstapler hinüber zu den Kisten, die sie gefunden hatten, und
hob die oberste vom Stapel herunter. Er transportierte sie durch
den Gang zwischen den Regalen und setzte sie behutsam auf der
Ladefläche eines der drei Lastwagen ab.
Sie hatten bereits
zehn Kisten aufgeladen, als ein lauter Ruf ertönte. Vier
bulgarische Luftwaffensoldaten standen im offenen Tor,
Kalaschnikows im Anschlag, mit denen sie auf die Eindringlinge
zielten.