Montag Nordkorea
Lange bevor er Seoul
verließ, hatte Yi Min-Ho mehrere Stunden mit seinen Kollegen bei
Naegok-dong verbracht und die optimale Route zu seinem Ziel
ausgearbeitet, allerdings waren die Wahlmöglichkeiten ziemlich
begrenzt. Die Küstenregion war vorwiegend eben, aber
landwirtschaftlich intensiv genutzt und bewohnt und daher
potenziell gefährlich. Die Berge, die sich nördlich der Küste
erstreckten, stellten ebenfalls ein schwieriges Terrain dar, und
obgleich auf dieser Route die geringste Gefahr drohte, dass man ihn
entdeckte, würde er auf diesem Weg eine inakzeptabel lange Zeit
brauchen, um sein Ziel zu erreichen.
Daher blieb Yi in
Küstennähe und folgte der Hauptstraße, die außerdem auch die
einzige Straße war. Er marschierte auf dem grasbewachsenen Rand,
weil das Geräusch seiner Schritte – auch wenn seine Stiefel
Gummisohlen besaßen – möglicherweise unerwünschte Zeugen auf seine
Anwesenheit aufmerksam gemacht hätte. Alle fünfzig Schritte blieb
er stehen und lauschte einige Sekunden lang, falls seine Ohren
etwas auffingen, das seinen Augen entgangen war.
Zweimal erstarrte er
zu völliger Regungslosigkeit, als er eine Bewegung in seiner Nähe
wahrnahm. Jedes Mal griff er zur Pistole, aber jedes Mal
verstummten die Geräusche wieder. Wahrscheinlich irgendwelches
Getier, sagte er sich und nahm seinen einsamen Marsch wieder auf.
Einmal ratterte ein altes Automobil – ein altersschwacher Truck,
dem ein Scheinwerfer fehlte – an dem Graben vorbei, in dem er in
Deckung gegangen war. Regungslos blieb er dort noch einige Minuten
liegen, nachdem der Wagen längst am Horizont verschwunden war, für
den Fall, dass ihm irgendjemand zu Fuß folgte.
Sein GPS verriet
ihm, dass er während der ersten Stunde fast drei Kilometer
zurückgelegt hatte, und er rechnete sich aus, dass er die
Außenbezirke von Ugom in zwei weiteren Stunden erreichen würde. Yi
legte zwischen verkrüppelten Büschen eine Rast ein, verzehrte einen
kleinen Schokoladenriegel und spülte ihn mit einem Mundvoll Wasser
hinunter, dann marschierte er weiter nach Osten.