KAPITEL ZEHN

 

»Dort, Thane! Schau, dort!«

Kurdran Wildhammer riss Sky'ree herum und blickte nach unten, in die Richtung, die Farand wies.

Ja, dort! Seine scharfen Augen machten eine Bewegung aus, und er trat Sky'ree leicht mit den Füßen. Sein Greif krächzte leise als Antwort, bevor er die Flügel anlegte und in den Sturzflug überging. Der Wind zerrte an ihnen beiden.

Ja, jetzt konnte er die Gestalten besser erkennen, die durch den Wald liefen. Waren es Trolle? Sie waren jedenfalls genauso grün wie die verhassten Waldtrolle. Aber sie gingen auf dem Boden, statt sich durch die Äste zu bewegen. Und ihre Schritte waren viel zu schwer, zu sorglos, um Trolle zu sein, die den Wald fast so gut wie die Elfen kannten.

Nein, diese Gestalten waren etwas anderes. Kurdran konnte eines der Wesen genau sehen, als er über eine kleine Lichtung flog.

Er runzelte die Stirn. Sie waren von massiger Statur und fast so groß wie Menschen, mit dicken Muskeln und langen Beinen. Und mit schweren Waffen: Äxten, Hämmern und Stäben. Was auch immer sie sein mochten, sie waren für den Kampf gerüstet.

Er zog an den Zügeln, und Sky'ree fächerte ihren Schwanz auf, breitete die Flügel aus und stieg wieder über die Baumhöhe hinaus, zurück in den Himmel.

Farand und die anderen kreisten weiter weg, die wettergegerbte Haut des Zwergs vermischte sich auf die Entfernung mit dem gelbbraunen Pelz ihrer Reittiere. Kurdran flog ebenfalls hoch. Sein geflochtener Bart und das Haar flatterten hinter ihm her. Er genoss das Gefühl des Fliegens, selbst unter diesen unfreundlichen Bedingungen.

In der Ferne sah er das riesige Steinbild eines Adlers, der wachsam und zuversichtlich in die Welt blickte. Dort lag seine Heimat – und das Herz seines Reiches: der Nistgipfel.

Aber diesmal erfüllte ihn der Anblick nicht mit Stolz und Freude, denn der Gipfel schien viel zu weit entfernt, um Trost zu spenden, vor allem, wenn man die Geschehnisse unter ihnen bedachte.

»Hast du's gesehen, Thane?«, fragte Farand. »Ich hab's ja gesagt. Hässliche Strolche in unserem Wald!«

»Ja, du hattest Recht«, sagte Kurdran dem Kundschafter. »Sie sind hässlich, und sie dringen hier einfach ein. Es sind eine ganze Menge. Es wird schwer sein, sie zu erwischen, solange sie sich unter den Bäumen befinden.«

»Dann lassen wir sie einfach so durch unser Gebiet ziehen?«, wollte einer der anderen Kundschafter wissen.

»Oh nein«, antwortete Kurdran. Er grinste den anderen Wildhammerzwergen zu. »Wir müssen sie nur zuerst aufschrecken und ins Freie scheuchen. Los, Leute, ab nach Hause. Ich habe ein paar Ideen. Aber keine Angst, wir räumen schon bald mit den Grünhäuten auf und machen ihnen klar, dass sie auf unserem Territorium unwillkommen sind!«

 

***

 

»He, Ihr da, Paladin!«

Turalyon schaute auf, als der Elf neben ihm stehen blieb. Er hatte nicht bemerkt, wie der Waldläufer eingetroffen war, doch das überraschte ihn auch nicht. In den letzten paar Wochen hatte er vielfach erfahren, wie schnell Elfen kommen und gehen konnten – und wie leise sie dabei waren. Ganz besonders Alleria, der es Spaß bereitete, ihn zu erschrecken, indem sie ihm überraschend etwas ins Ohr flüsterte, obwohl er noch nicht einmal mitbekommen hatte, dass sie wieder im Lager war.

»Ja?« Er säuberte seine Ausrüstung, wartete aber respektvoll.

»Die Orcs sind im zwergischen Hinterland«, berichtete der Elf. »Und sie treffen sich dort mit den Trollen.« Er sprach den Satz voller Ekel aus.

Turalyon hatte erfahren, dass die Elfen die Trolle hassten und dass diese Gefühle auf Gegenseitigkeit beruhten. Beide waren Waldbewohner, doch die Wälder hier waren nicht groß genug für zwei Völker. Sie waren schon seit Jahrtausenden verfeindet, seit die Elfen die Trolle aus einem Teil des Waldes vertrieben und ihr Königreich auf dem eroberten Land errichtet hatten.

»Seid Ihr Euch sicher, dass sie wirklich Verbündete sind und sich ihre Pfade nicht durch Zufall kreuzten?«, fragte Turalyon und legte seine Rüstung beiseite. Er rieb sich über das Kinn. Wenn Orcs und Trolle sich wirklich zusammentaten, bedeutete das zusätzlichen Ärger.

Der Waldläufer schnaubte als Antwort. »Natürlich bin ich mir sicher! Ich habe sie belauscht. Sie haben eine Art Pakt geschlossen.« Der Elf sah zum ersten Mal besorgt aus. »Sie planen einen Angriff auf den Nistgipfel – und dann wollen sie gegen Quel'Thalas marschieren.«

Das erklärte seine Erregung. Quel'Thalas war die Heimat der Elfen, und die Trolle hassten sie. Wenn sie sich tatsächlich mit der Horde verbündet hatten, machte es also durchaus Sinn, sie genau dorthin zu führen.

»Ich sage Lothar Bescheid«, versicherte ihm Turalyon und stand auf. »Wir halten sie auf, bevor sie sich Eurer Heimat nähern können.«

Der Elf nickte, obwohl er nicht überzeugt wirkte, drehte sich um und lief zurück zu den Bäumen, zwischen denen er verschwand. Turalyon sah ihm nicht hinterher. Er war bereits auf dem Weg zum Kommandozelt.

Drinnen traf er Lothar und Khadgar, Terenas und ein paar andere.

»Die Orcs greifen den Nistgipfel an«, erklärte er im Eintreten. Jedermann wandte sich ihm zu, und Turalyon sah, dass sich einige Augenbrauen überrascht hochzogen. »Das hat mir gerade einer der Waldläufer berichtet«, erklärte er. »Die Orcs haben sich mit den Waldtrollen verbündet, und jetzt wollen sie den Nistgipfel angreifen.«

Terenas nickte und wandte sich der obligatorischen Karte auf dem Tisch zu. »Das macht Sinn«, gab er zu und tippte auf den Nistgipfel. »Die Wildhammerzwerge sind stark genug, um sich dem Kampf zu stellen, aber sie wollen einen Angriff aus dem Hinterhalt vermeiden. Und wenn die Orcs mit den Trollen zusammenarbeiten, wollen sie gemeinsam die Zwerge aus dem Hinterland vertreiben.«

Lothar betrachtete ebenfalls die Karte. »Es wird schwer werden, sie im Wald zu bekämpfen«, merkte er an. »Wir können uns dort nicht richtig aufstellen, und wir wären gezwungen, unsere Katapulte zurückzulassen.« Er strich sich nachdenklich mit der Hand über die Stirn. »Andererseits können sie ihre eigenen Truppen auch nicht optimal antreten lassen. Wir könnten vereinzelte kleinere Gruppen von Orcs angreifen, ohne uns darum sorgen zu müssen, dass sie die ganze Armee gegen uns einsetzen.«

»Außerdem wären die Zwerge starke Verbündete«, meinte Khadgar. »Wenn wir ihnen helfen, helfen sie uns vielleicht auch. Sie sind exzellente Kundschafter.«

»Wir könnten die Zwerge und ihre Greifen sicherlich gut gebrauchen«, stimmte Lothar zu. Er schaute auf, blickte Turalyon an und nickte. »Sammelt die Truppen«, befahl er. »Wir ziehen in den Wald, um die Zwerge zu retten.«

 

***

 

»Bei den Ahnen, sind das viele! Wie die Fliegen – nur größer und besser bewaffnet!« Kurdran fluchte, als er die Lage unter sich betrachtete. Er und eine Jagdgruppe waren auf Patrouille und flogen hoch über den Orcs, um eine bessere Übersicht über die Grünhäute zu bekommen. Was er sah, war gar nicht gut.

Die Kreaturen marschierten schnell und waren nur noch einen Tagesmarsch vom Nistgipfel entfernt. Zuerst hatte er lediglich ein paar von ihnen gesehen, aber dann war ihm eine weitere Gruppe nicht weit entfernt aufgefallen... und dann eine dritte. Die anderen hatten ähnliches berichtet. Obwohl die Grünhäute in Gruppen von jeweils zwanzig Kriegern aufgeteilt waren, gab es mehr dieser Einheiten, als man zählen konnte.

Die Wildhammerzwerge hatten vor nichts Angst, aber wenn diese Kreaturen auch nur halb so stark waren, wie sie aussahen, konnten sie den Gipfel allein schon durch die schiere Übermacht überrennen.

Nicht, dass sie das zulassen würden.

Kurdran sah sich um, und jeder der Zwerge nickte zurück. »Gut«, sagte er und hob sein Horn an die Lippen. »Wildhammerzwerge, zum Angriff!« Er blies ins Horn und hängte es sich dann wieder um. Dabei brachte er Sky'ree bereits mit den Knien in Position. Sie reagierte mit einem wilden Schrei, breitete die Schwingen aus und stieg auf, bevor sie die Flügel anlegte und sich auf den Sturzflug vorbereitete. Während sie nach unten stürzten, löste Kurdran seinen Sturmhammer und hob die Waffe.

Aber vorerst waren die Grünhäute nicht seine Ziele. Stattdessen schlug er dem ihm am nächsten befindlichen Baum hart gegen den Stamm. Durch den Aufprall regnete es Blätter, Beeren und Nadeln, was die verwirrten Grünhäute ärgerte.

Kurdran schlug gegen zwei weitere Bäume, aus deren Wipfeln Tannenzapfen und Nüsse auf die Kreaturen hagelten, so heftig, dass sie Beulen verursachten. Die Grünhäute duckten sich und hoben abwehrend die Hände, um ihre Augen zu schützen. Doch die Aktion wurde fortgesetzt, als die Wildhammerzwerge weiter gegen die Bäume schlugen.

Die Grünhäute wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten. Aber es gefiel ihnen ganz und gar nicht. Schließlich reagierten sie mit der einfachsten Lösung. Wenn der Baumbereich nicht sicher war, ließ man ihn besser hinter sich zurück, entfloh dem bedrohlichen Blätterdach und eilte der nächsten Lichtung entgegen.

Das war genau der Moment, auf den die Wildhammerzwerge gewartet hatten.

Mit einem lauten Kriegsschrei führte Kurdran den Angriff an, seinen Hammer hielt er bereit. Die erste Grünhaut hatte noch Zeit aufzuschauen und die große Kriegsaxt halb zu ziehen, bevor ihr Kurdran seinen blitzgestählten Sturmhammer entgegenschleuderte.

Er erwischte den Gegner am Kiefer, zerschmetterte ihn mit einem Donnerschlag und drosch die Kreatur durch die Luft. »Du bist zu hässlich für meinen Wald, du Bastard!«, brüllte er ihr hinterher.

Der Hammer landete in seiner Hand, und er warf ihn erneut. Der Schlag zermalmte eine zweite Grünhaut. Dann spreizte Sky'ree ihre Flügel, um sie außer Reichweite der Gegner zu bringen, bevor sie einen Bogen flog und sich erneut näherte.

Der Rest von Kurdrans Gefährten schlug sich ebenfalls wacker, und der Wald war erfüllt von Heulen, Schreien, Flüchen und Beleidigungen, als die Greifen abdrehten.

Was auch immer das für Kreaturen waren, sie ließen sich jedenfalls nicht leicht ängstigen. Als er zu einem neuen Anflug ansetzte, bemerkte Kurdran, dass die übrig gebliebenen Grünhäute ihre Waffen gezogen hatten. Gleichzeitig formierten sie sich zu engeren Gruppen, weshalb die Zwerge sie nicht mehr so leicht treffen konnten.

Doch sie hatten sich nicht auf die Luftüberlegenheit verlassen. Kurdran schwang seinen Hammer über dem Kopf und ließ ihn fliegen. Der schwere Stein traf eine Grünhaut direkt an der Schläfe. Sie kippte mit einem Geräusch um, das wie eine kleine Explosion klang. Als die Kreatur fiel, stolperte sie gegen zwei andere, die vorwärts taumelten, um nicht mitgerissen zu werden.

»Ha! Das hat euch umgeworfen, wie!«, rief Kurdran den gefallenen Kreaturen zu. Er war über ihnen, noch bevor sie ihren Fehler erkannten. Doch obwohl er seinen Sturmhammer längst wieder in Händen hielt, ließ er die daliegenden Kreaturen von Sky'ree erledigen. Mit ihren machtvollen Klauen packte sie den einen, erwischte den zweiten mit ihrem scharfen Schnabel und schlug einen dritten mit dem Flügel bewusstlos.

Der Kampf war rasch vorbei. Woher auch immer diese Grünhäute kamen, sie waren langsam und nicht an Angreifer aus der Luft gewöhnt. Kurdran und seine Leute hingegen waren Meister in Sachen Luft-Bodenangriffe.

Den Kreaturen waren ein paar Treffer gelungen, und einige seiner Leute hatten Wunden abbekommen. Aber sie hatten niemanden verloren und auch niemanden zurückgelassen. Nur ein paar der Grünhäute in dieser Gruppe hatten überlebt, und das auch nur, weil sie unter die Bäume geflohen waren.

»Das sollte sie gelehrt haben, nach oben zu schauen«, lästerte Kurdran, und die Zwerge lachten. »Zurück zum Gipfel, Kameraden. Wir schicken eine weitere Mannschaft aus, die eine andere ihrer kleinen Gruppen ausschaltet. Vielleicht machen sie dann ja einen Bogen um den Nistgipfel...«

 

***

 

»Macht euch bereit«, flüsterte Lothar. Er hatte sein Pferd auf Schritttempo verlangsamt, weil ein schnelleres Laufen das Risiko erhöht hätte, dass sie gegen Bäume ritten oder jemand an den Ästen und Zweigen hängen blieb. Er zog sein Schwert und hielt es vor sich, sein Schild hing an seinem Arm. »Sie sollten ganz nah sein.«

Turalyon nickte und befestigte seinen Kriegshammer. Er ritt wie stets unmittelbar hinter seinem Kommandeur. Khadgar befand sich neben ihm, die drei bildeten das klassische Kavalleriedreieck. Und auch wenn die Hände des Magiers waffenlos waren, so hatte Turalyon doch die Magie zu schätzen gelernt, die sein Freund in der Schlacht beschwören konnte. Mit angespanntem Blick versuchte Turalyon, das Dickicht der Bäume zu durchdringen und ihre Beute zu erspähen. Irgendwo hier in der Nähe...

»Dort!« Er zeigte nach rechts, hinter Khadgar. Seine beiden Begleiter folgten seiner Geste. Einen Moment später nickte Lothar. Der Zauberer brauchte eine Minute länger, bevor auch er Bewegungen vor dem Hintergrund der Bäume ausmachte. Bewegung, die zu niedrig erfolgte für einen Vogel und zu gleichmäßig für eine Schlange oder ein Insekt. Nein, die Bewegung konnte nur von etwas stammen, das so groß wie ein Mensch war und auf zwei Beinen durch den Wald ging. Und dass sie sich wiederholte, bedeutete, dass sich dieselbe Gestalt vor- und zurückbewegte oder es sich um eine größere Gruppe handelte.

Da die Bewegung kaum zu erkennen war, mussten die Gestalten dieselbe Farbe wie ihre Umgebung haben.

Das alles führte zu einem Schluss: Es waren Orcs.

»Wir haben sie«, stimmte Lothar leise zu. Er schaute sich zu Khadgar um. »Informiert die anderen«, befahl er.

Der junge, aber alt aussehende Magier nickte.

»In der Zwischenzeit passen wir auf«, sagte Lothar zu Turalyon, der ihm mit einer Geste seine Zustimmung signalisierte. »Und wenn es so aussieht, als würden sie davonkommen, stellen wir beide sicher, dass das nicht passiert.«

»Ja, Sire!«, grinste Turalyon und griff nach dem Stiel seines Kriegshammers. Er war bereit, wenn auch immer noch nervös. Immerhin sorgte er sich nicht mehr, dass er starr vor Angst werden oder gar weglaufen könnte. Er war den Orcs schon einmal gegenübergetreten, und er wusste, dass er es wieder schaffen würde.

 

***

 

»Wir haben Tearlach verloren«, berichtete Iomhar. Kurdran sah ihn überrascht an. »Oengus auch«, fuhr der Kämpfer der Wildhammerzwerge fort. »Und zwei weitere sind zu erschöpft, um weiterzukämpfen.«

»Was ist passiert?«, wollte Kurdran wissen. Der andere Zwerg wirkte zunächst verlegen, dann wurde er streitlustig.

»Die Grünhäute, das ist passiert!«, antwortete er. »Sie waren auf uns vorbereitet! Als wir auf sie hinabstießen, warfen sie Speere! Dann verteilten sie sich, weshalb wir sie unter den Bäumen nicht mehr so gut anvisieren konnten.« Er schüttelte den Kopf. »Euer Angriff stand unter einem glücklichen Stern und hat sie überrascht. Aber jetzt haben sie dazugelernt, diese hässlichen Bastarde, und zwar verdammt schnell.«

Kurdran nickte. »Nicht dumm, diese Grünhäute«, stimmte er zu. »Und es waren mehr, als wir dachten.«

Er blickte auf die vor ihm aufgeschlagene Karte des Zwergenkönigreichs. Markierungen zeigten an, wo die Grünhäute sich befanden. Die Karte war fast vollständig damit übersät.

»Nun gut, wir müssen sie treffen, bevor sie reagieren können. Sagt euren Streitern, dass sie schnell und hart angreifen und sich außerhalb der Wurfweite der Grünhäute halten müssen. Sie arbeiten gegen die Schwerkraft – und wir mit ihr. Also haben wir einen Vorteil.«

Iomhar nickte, aber bevor er etwas sagen konnte, stürmte Beathan herein. »Trolle!«, rief er und sank auf einem Hocker zusammen. Sein linker Arm hing nutzlos an seiner Seite und blutete aus einem tiefen Schnitt an seiner Schulter. »Wir stießen auf eine Kampfgruppe dieser Grünhäute hinab, als eine Gruppe Waldtrolle uns angriff! Sie haben Moray und Seaghdh mit den ersten Schlägen erwischt und Alpin und Lachtin von ihren Greifen geschlagen.« Er zeigte seine Wunden. »Das kam von einem hinterhältigen Schlag mit einer Axt. Aber ich habe den zweiten Schlag abgewehrt, sonst wäre mein Kopf futsch gewesen.«

»Verdammt!«, knurrte Kurdran. »Sie haben sich also mit den Trollen verbündet. Grünhaut und Grünhaut! Und diese Trolle hindern uns daran, die Bäume zu nutzen!« Er zupfte frustriert an seinem Schnurrbart. »Wir brauchen etwas, das die Chancen ausgleicht. Und zwar schnell, Kameraden. Oder sie überrennen uns wie Ameisen einen Käfer.«

Wie auf Stichwort erschien ein dritter Zwerg und berichtete. Aber dieser, ein Kundschafter namens Dermid, war nicht verwundet. Und er sah auch eher zufrieden als besorgt aus.

»Menschen!«, verkündete er glücklich. »Sehr viele! Sie sagen, dass sie uns gegen die Orcs helfen wollen – so nennen sie die Grünhäute.«

»Den Ahnen sei Dank«, knurrte Kurdran. »Wenn sie diese Orcs beschäftigen können, sodass deren neue Taktik nicht zum Tragen kommt, können wir sie wieder von oben angreifen.« Er grinste und schulterte seinen Sturmhammer. »Gut, und wir werden uns auch um die Trolle kümmern, die uns zu nahe kommen. Sie mögen die Bäume kontrollieren, aber wir kontrollieren die Lüfte, und unsere Greifen werden sie zerreißen, sobald sie in Reichweite kommen.« Er ging durch die Tür und pfiff bereits nach Sky'ree. »Wildhammerzwerge, lasst uns starten!«, rief er.

Hinter ihm jubelten die anderen Zwerge und kamen eilends seinem Befehl nach.

 

***

 

»Jetzt!« Lothar trieb sein Pferd an und attackierte eine Gruppe Orcs. Die Grünhäutigen wirbelten sichtlich überrascht herum. Sie waren damit beschäftigt gewesen, den Himmel zu beobachten. Viele von ihnen hielten Speere statt der sonst üblichen Äxte und Hämmer in Händen.

Einer wollte seinen Speer gegen Lothar schleudern, doch der war schon zu nah heran. Er schlug mit seinem Schwert zu, durchtrennte den Speer samt Arm, holte dann erneut aus und enthauptete den Orc, noch bevor der fallende Arm den Boden berührte.

Turalyon war unmittelbar neben ihm. Sein Hammer erwischte einen Orc und zerschmetterte seinen Brustkasten. Seine zweiter Schlag trennte einen Orc-Arm ab, und die grünhäutige Kreatur ließ ihre Axt fallen. Daraufhin schlug er ihr einfach auf den Kopf.

Aber Turalyon hörte ein merkwürdiges Geräusch – irgendetwas zwischen Husten und Lachen – und schaute auf. Eine große Gestalt, größer als ein Orc und schmaler gebaut, sprang aus den Bäumen direkt vor ihm. In ihren großen, langfingrigen Händen hielt sie einen Speer. Ihre Augen standen eng zusammen, und die Kreatur grinste ihn an. Dann stach sie mit dem Speer zu und bleckte ihre spitzen Zähne.

Ein Troll!

Turalyon hob seinen Schild und blockte den Speerstoß ab, sodass er gegen seinen Schild krachte. Er parierte mit einem wilden Hammerschlag. Der Troll taumelte, wollte aber nicht zu Boden gehen. Die Kreatur schritt weiter vorwärts, den Speer zur Attacke bereit.

Turalyon trieb sein Pferd an und schmetterte dem Geschöpf seinen Schild ins Gesicht. Mit einer solchen Attacke hatte es nicht gerechnet und bekam deshalb den Schlag mit voller Wucht zu spüren. Es stürzte rückwärts und schüttelte den Kopf, um wieder zu sich zu kommen.

Turalyon ließ ihm jedoch keine Zeit, sich wieder zu erholen. Sein Hammer traf die Zähne und schleuderte den Troll davon.

Turalyon schaute gerade noch rechtzeitig auf, um einen zweiten Troll zu sehen, der sich von einem nahen Ast herabschwang. Seine Augen waren vor Hass zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, und er hielt seinen Speerwurf bereit.

Turalyon wusste, dass die Waffe auf ihn zielte und er nicht stark oder schnell genug war, um sie abzuwehren. Er bereitete sich auf das Schlimmste vor, schloss seine Augen und lauschte nach dem Geräusch des heransausenden Speers.

Stattdessen hörte er einen merkwürdig schrillen Schrei, gemischt mit einem tiefen Bellen, kurz darauf einen massiven Donnerschlag und schließlich einen Schmerzensschrei.

Er öffnete seine Augen und sah etwas Erstaunliches. Der Troll fiel von seinem Ast, seine Hände umfassten noch die Gesichtshälfte, die offensichtlich zerfetzt war. Darüber schwebte eine mächtige Kreatur, wie Turalyon sie noch nie gesehen hatte. Sie war wie ein Löwe gebaut, mit demselben braunen Fell, hatte aber den Kopf eines Raubvogels. Der Schnabel war gebogen und breit, und aus ihm drang ein Kreischen, das er schon früher einmal gehört hatte. Die Vorderfüße endeten in tödlichen Klauen, die Hinterbeine in dicken Tatzen. Seine großen Flügel waren ausgebreitet, Gefieder bedeckte den Kopf bis hinab zu den Schultern. Und ein Mann ritt das Tier wie ein Pferd.

Nein, es war kein Mann. Turalyon sah etwas anderes. Er hatte von den Wildhammerzwergen bereits gehört, allerdings noch nie einen von ihnen leibhaftig gesehen. Sie waren größer und schlanker als ihre Bronzebart-Vettern. Aber auch die Wildhammerzwerge waren kleiner und stämmiger als Menschen, mit einem mächtigen Brustkorb und dicken Armen. Sie benutzten Sturmhämmer, die der riesigen Waffe glichen, die der Zwerg gerade wieder in die Hand nahm.

Er war eindeutig für den Tod des Trolls verantwortlich.

Der Zwerg merkte, dass Turalyon ihn ansah und grinste. Er hob seinen Hammer zum Gruß. Turalyon grüßte mit seinem eigenen zurück, dann trieb er sein Pferd weiter und suchte sich den nächsten Orc.

Dank der Zwerge, die über ihnen kreisten, musste er sich nicht länger um Angriffe von oben kümmern. Er konnte sich jetzt voll auf die Horde konzentrieren. Die Orcs wiederum mussten sich jetzt um Angriffe von allen Seiten sorgen, außer von unten. Dadurch wurden sie verwirrt und nervös. Und wie Lothar gehofft hatte, zwangen die Bäume die Orcs dazu, sich in kleineren Gruppen zu bewegen, statt als eine einzige tobende Masse. Dadurch mussten sich die Soldaten der Allianz immer nur um einen Teil von ihnen zur selben Zeit kümmern. Es hätte nicht besser kommen können.

 

***

 

Stunden später begrüßte Kurdran die Anführer der Menschen in seinem Heim. Der Kommandeur war ein großer Mann, größer als die meisten anderen. Er trug einen Bart nach Zwergenmanier und einen langen Zopf, obwohl sein Kopf kahlköpfig war. Er bewegte sich wie der geborene Krieger, und Kurdran wusste, dass dieser Mann schon viele Kämpfe erlebt hatte. Seine blauen Augen blieben stets wachsam, und der goldene Löwenkopf auf Schild und Brustpanzer glänzte immer noch.

Der Jüngere war beklagenswerterweise bartlos und schien sich seiner selbst weniger sicher. Aber Zoradan hatte gesagt, dass er gesehen hatte, wie auch er seinen großen Hammer fast wie ein Zwerg geführt hatte. Es war noch etwas anderes Beachtliches an diesem Kerl, etwas Ruhiges, das Kurdran an einen Schamanen erinnerte. Vielleicht war er ja ein Schamane oder stand sonst wie mit den Elementen oder den Geistern in Verbindung.

Das traf auf den dritten Mann sicherlich zu. Der in eine violette Robe gekleidete Mann mit dem kurzen, ungepflegten weißen Bart, aber dem Gang eines jungen Mannes, war ein Zauberer, das schien offensichtlich.

Und dann war da dieses Elfenmädchen. Schön, stark und geschmeidig, wie sie alle waren, mit einem Bogen und lachenden Augen.

Kurdran hatte selten so interessante Leute getroffen, und unter anderen Umständen wäre er darüber glücklich gewesen. Doch auch jetzt war er froh, ihre Bekanntschaft zu machen.

»Seid gegrüßt, Kameraden und Kameradinnen!«, sagte er. Er wies auf die Stühle, Hocker und Kissen, die überall im Raum verteilt waren. »Ihr seid willkommen! Wir fürchteten, dass diese Grünhäute – die ihr Orcs nennt – unser Heim überrennen würden, es waren so viele! Aber eure Ankunft hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht, und gemeinsam werden wir sie aus dem Hinterland vertreiben! Ich stehe tief in eurer Schuld.«

Der große Krieger saß auf einem Hocker nahe Kurdrans eigenem Stuhl. Sein Schwert hatte er auf den Rücken gebunden. »Führt Ihr die Wildhammerzwerge an?«, fragte er.

»Ich bin Kurdran Wildhammer«, antwortete Kurdran. »Ich bin der Chef-Thane – und damit ihr Anführer.«

»Gut.« Der Krieger nickte. »Ich bin Anduin Lothar, ehemaliger Ritter von Stormwind und jetziger Oberkommandierender der Streitkräfte der Allianz.« Er erzählte von der Horde und über Stormwinds Schicksal. »Wollt ihr Euch uns anschließen?«

Kurdran runzelte die Stirn und zupfte an seinem Schnurrbart. »Ihr sagt, die Orcs wollen das ganze Land erobern?«

Lothar nickte.

»Und sie sind in großen schwarzen Eisenbooten gekommen?«

Noch ein Nicken.

»Dann müssen sie durch Khaz Modan gekommen sein«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Wir haben von unseren Verwandten in Eisenschmiede schon seit vielen Wochen nichts mehr gehört. Ich hatte mich gefragt, warum. Das ist die Antwort.«

»Sie eroberten die Minen und verwendeten das erbeutete Eisenerz, um Schiffe zu bauen«, sagte der Zauberer.

»Ja.« Kurdran fletschte die Zähne. »Wir Wildhammerzwerge hatten über die Jahre viele Zwistigkeiten mit dem Bronzebart-Clan. Deshalb verließen meine Leute schließlich Khaz Modan.

Aber sie sind immer noch unsere Vettern, unsere Verwandten. Und diese verdammenswerten Kreaturen – diese Horde – haben sie angegriffen... und attackieren jetzt uns. Nur Eure rechtzeitige Hilfe hat uns davor bewahrt, das Schicksal unserer Vettern zu teilen.« Er schlug mit der Faust auf die Lehne seines Stuhls. »Ja, wir werden uns Euch anschließen! Wir müssen diese Orcs zurückdrängen, bis die Bedrohung durch die Horde nicht mehr existiert!« Er erhob sich und streckte die Hand aus. »Ihr habt Wildhammers Hilfe.«

Lothar war ebenfalls aufgestanden und ergriff ernst die Hand an. »Danke«, sagte er nur, doch das reichte schon.

»Zumindest haben wir sie aus dem Hinterland vertrieben«, sagte der junge, bartlose Krieger. »Euer Heim ist sicher.«

»Das ist es«, stimmte Kurdran zu. »Wenigstens fürs Erste. Aber wohin gehen diese Orcs als nächstes? Werden sie sich wieder gegen das Hügelland wenden? Oder gegen die Hauptstadt von Lordaeron? Oder marschieren sie nach Norden, um sich dem Rest ihrer bösen Brut anzuschließen?«

Vielleicht war es falsch gewesen, das zu erwähnen. Doch plötzlich erhoben sich all die neuen Verbündeten.

»Was habt Ihr gesagt?«, wollte die Elfe wissen.

»Dass sie sich mit dem Rest ihrer Leute vereinigen könnten?«, fragte Kurdran verwirrt. Sie nickte schnell, und er zuckte die Achseln. »Meine Kundschafter sagen, dass wir hier nur einen Teil der Horde erlebt haben. Der Rest sei nach Norden gezogen, habe unsere Wälder nur am Rand gestreift und sei weiter in die Berge.« Er sah in ihre Gesichter. »Wusstet ihr das nicht?«

Der junge Kämpfer ohne Bart und der Magier schüttelten die Köpfe, der ältere Krieger fluchte bereits. »Das war eine Finte!«, sagte er, dabei spie er die Worte förmlich aus. »Und wir sind darauf reingefallen!«

»Eine Finte?« Kurdran legte die Stirn in Falten. »Mein Heim war in Gefahr! Das war doch nicht nur eine Finte!«

Lothar schüttelte den Kopf. »Nein, die Bedrohung war echt«, stimmte er zu. »Aber wer auch immer die Horde anführt, ist schlau. Er wusste, dass wir Euch helfen würden. Er hat den Rest seiner Streitkraft nach Norden geschafft und einen kleinen Teil zurückgelassen, um uns aufzuhalten.«

»Und er marschiert auf Quel'Thalas zu!«, rief die Elfe. »Wir müssen sie warnen!«

Lothar nickte. »Wir sammeln sofort die Truppen und marschieren los. Wenn wir schnell genug sind...«

Aber die Elfe unterbrach ihn. »Wir haben keine Zeit!«, sagte sie. »Ihr habt selbst gesagt, dass die Horde einen Vorsprung hat. Wir haben bereits Tage verloren! Und die Truppen erst zu sammeln, wird uns noch weiter verlangsamen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich gehe allein.«

»Nein.« Die Stimme klang ruhig, doch der Tonfall duldete keinen Widerspruch. »Ihr geht nicht allein«, sagte Lothar und ignorierte ihren Blick. »Turalyon, nehmt den Rest der Kavallerie und die Hälfte der Soldaten. Ihr habt den Befehl. Khadgar, Ihr begleitet ihn. Ich will, dass die Allianz präsent ist bei der Verteidigung von Quel'Thalas.«

Er wandte sich wieder an Kurdran, der beeindruckt war. Dieser Mann wusste, wie man führte. »Es sind bestimmt noch Orcs in den Wäldern«, warnte er ihn. »Und wir können es uns nicht leisten, sie in unserem Rücken zu haben. Wir bleiben und sorgen dafür, dass der Wald völlig von ihnen befreit wird. Erst danach marschieren wir los und vereinigen uns wieder mit den anderen.«

Kurdran nickte. »Ich danke Euch für Eure Hilfe«, antwortete er förmlich. »Und wenn das Hinterland erst wieder sicher ist, werden meine Krieger und ich Euch nach Norden folgen und es mit dem Rest der Horde dort aufnehmen.«

»So sei es.« Lothar verneigte sich. Dann wandte er sich an die Elfe, den jungen Mann ohne Bart und den Zauberer. »Seid Ihr immer noch hier? Ab mit euch, jeder Augenblick, den ihr vergeudet, bringt die Horde näher an Quel'Thalas heran.«

Die drei verneigten sich und verließen eilig den Raum. Kur-dran beneidete sie nicht um ihre Aufgabe, eine Armee zu jagen, verzweifelt zu versuchen, sie zu überholen... und schließlich die Elfen zu warnen.

Er hoffte nur, dass sie all dies rechtzeitig schafften.