Das formalistische Modell: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch

Gegen den »Existentialismus«: Erster Teil der Geschichte

In Dostojewskis Aufzeichnungen aus dem Kellerloch[10] (1864) erreicht das Ressentiment literarisch womöglich einen paradigmatischen Ausdruck. Dieses Meisterwerk moderner Fiktion ist nicht so sehr für die unabhängige »existentialistische« Philosophie repräsentativ, für die es bekannt geworden ist, sondern eher für eine persönliche Geschichte, die sich durch frustrierte Rachsucht und einen verdrehten narrativen Formalismus definiert. Der Aufbau der Geschichte, an der sich ihre ursprüngliche Aufteilung in zwei deutlich getrennte Abschnitte[11] ablesen lässt, weist darauf hin, dass Ressentiment häufig durch externe Ereignisse motiviert ist, die auf eine überhitzte verbale Vorstellungskraft einwirken. Die gegenläufige Chronologie des Aufbaus ermöglicht das klare Verständnis der Wechselwirkung dieses Verhältnisses: Die im zweiten Teil beschriebenen externen Ereignisse haben zum romantischen Philosophieren im ersten Teil geführt; dieser wiederum zeigt die ressentierende Perspektive auf, aus der die Jugenderlebnisse des Protagonisten etwa fünfzehn Jahre später gesehen werden.

Die beiden Teile dieses bekannten Romans Dostojewskis haben es Kritikern, die Sympathien für die Philosophie des Kellerlochmenschen empfinden, erleichtert, ihre Analyse auf den ersten Teil zu beschränken und die diese Philosophie inspirierenden Ereignisse im zweiten Teil praktisch zu ignorieren. Apologeten des Protagonisten, angefangen beim existentialistischen Kritiker Leo Schestow bis hin zu vielen neueren Interpreten[12] vergessen gerne, dass die Ergüsse in der ersten Hälfte des Romans aus der fiktiven Feder derselben Person stammen, deren klägliche Ansätze zur Interaktion mit anderen Menschen erst später beschrieben werden. Denn in seinen »Beziehungen« mit dem Offizier aus dem schäbigen Restaurant, mit Swerkow, mit Lisa und sogar mit seinem Diener Apollon durchlebt der Tagebuchschreiber im zweiten Teil alle Phasen des Phänomens Ressentiment. Diese wenigen gescheiterten Interaktionen mit anderen haben ihn ins Kellerloch gebracht, in dem er für immer die aus ihnen folgende Erniedrigung ressentieren kann. Aber selbst wenn eine Interpretation den zweiten Teil ignoriert, wird mit den internen Belegen aus dem ersten Teil der Nachweis für die jämmerliche Unterwerfung des Protagonisten unter eine narrative Form geführt, die eine ungezwungene Reaktion auf Menschen und sogar auf Ideen völlig blockiert.

Wenn wir anerkennen, dass wir es mit einer Geschichte und nicht mit einer Abhandlung zu tun haben, können wir den tiefen Sinn des Romans besser verstehen. Denn wenn der Protagonist aus dem Kellerloch zum Sprecher der Existentialisten des 20. Jahrhunderts geworden ist und wenn, wie ich zeigen werde, seine Tiraden im ersten Teil in subtiler Weise die Triebfeder der Negativität verschleiern sollen, kann die Geschichte letztlich als brillante Kritik derer verstanden werden, die mit ihrer Freiheit protzen, deren Philosophie aber in Wirklichkeit aus passivem Ressentiment und unterdrückter Gewalt herrührt (und auch dazu führt).

Im ersten Teil werden drei grundlegende Aspekte des Charakters des Protagonisten eingeführt: seine Streitsucht, seine obsessive Selbstwahrnehmung und seine Geschwätzigkeit. Schon im ersten Absatz steht das Adjektiv zloi im Mittelpunkt, das russische Wort, das dem Wort ressentierend am nächsten kommt, und das in Dostojewskis gesamtem Werk mit Intellektuellen assoziiert wird. »Ich bin ein kranker Mensch… Ich bin ein böser [zloi] Mensch«, beginnen die »Bekenntnisse« aus dem Kellerloch (S. 3). Wir werden direkt in eine Geisteshaltung versetzt, die dem edlen Helden der prämodernen Literatur diametral entgegengesetzt ist. Der Kellerlochmensch gibt zu, dass er kein Achilles ist; der wortreiche Thersites rächt sich jetzt als epischer Held, und Gehässigkeit ist von der Peripherie abendländischer Literatur in deren Zentrum vorgerückt.

Der Kellerlochmensch findet im Leser seines Tagebuchs rasch ein Objekt seines charakteristischen Grolls. Ganz unnötigerweise drängt er uns seinen unsensiblen Spott auf: »Nein, meine Herrschaften, wenn ich für meine Gesundheit nichts tue, so geschieht das nur aus Bosheit [zlost’i]. Sie werden sicher nicht geneigt sein, das zu verstehen. Nun, meine Herrschaften, ich verstehe es aber« (S. 3). Und weiter: »Glauben Sie, meine Herrschaften, daß ich jetzt etwa irgend etwas bereue, vor Ihnen? Daß ich für irgend etwas Ihre Verzeihung erbitte? Ich bin überzeugt, daß Sie das glauben … Doch übrigens, ich versichere Sie, mir ist es ganz gleich, was Sie da glauben …« (S. 5). In einer bewussten Parodie des Stils der Rousseauschen Tagebuchschreiber und im Vorgriff auf den Stil von Camus’ Clamence offenbart Dostojewskis Protagonist seinen Mangel an wirklicher Selbstanalyse. Die der Beziehung zwischen Sprecher und Zuhörer vom Kellerlochmenschen auferlegte gegenseitige Gehässigkeit schafft es, aus dem ersten Teil jede Art aufrichtiger Kommunikation zu eliminieren.

Unter Einsatz einer überaus geschickten Rationalisierung zieht der Kellerlochmensch allgemeine Schlüsse aus der eigenen, offen zu Tage tretenden Negativität: Er erklärt, dass alle intelligenten Menschen unter »zuviel Bewußtsein – eine […] richtige, regelrechte Krankheit« – leiden (S. 5). So wird Intelligenz als Schwäche dargestellt, die einigen Bedauernswerten von der verhassten »Naturgesetzmäßigkeit« auferlegt wurde. Diese Menschen verlieren in der Folge die Fähigkeit der Selbstverwirklichung, weil im 19. Jahrhundert »[ein] kluger Mensch [umni čelovek] ernsthaft überhaupt nie etwas werden« kann (S. 5). Nur im Akt des Schreibens wird er zu etwas, denn allein dadurch kann er die einzige ihm verbleibende Emotion, den »Genuß, der […] in dem […] Bewußtsein der eigenen Erniedrigung« liegt, zum Ausdruck bringen. (»Deswegen habe ich doch zur Feder gegriffen«, sagt der Protagonist, S. 9.) Nur über narrative Formen ist eine sinnvolle Einstellung zum Leben möglich, und aus diesen Formen greift der Protagonist bezeichnenderweise das Paradigma von Kränkung und Rache heraus:

Und schließlich, hätte ich mich entschlossen, durchaus nicht großmütig zu verfahren, und mich, ganz im Gegenteil, am Beleidiger rächen wollen, so hätte ich mich doch für nichts und an niemandem rächen können, weil ich wahrscheinlich nicht gewagt hätte, etwas zu tun, selbst wenn ich es gekonnt hätte. Warum hätte ich es nicht gewagt? Darauf möchte ich mit einigen Worten eingehen. (S. 10)

Viele Leser schätzen Kapitel 2 als Zeichen edler Entfremdung und Feinfühligkeit eines existentialistischen Helden. Eine andere Betrachtungsweise versteht dieses Kapitel und jene »einigen Worte«, die ihm folgen, als Ausdruck eines hoffnungslos statischen oder nicht existentialistischen Bewusstseins. In diesem rhetorischen Meisterwerk werden Ursachen und Wirkungen zwanglos ineinander verquickt. Intelligenz wird nach Belieben mit Nichtverwirklichung, idiosynkratische Krankheit mit einer verbreiteten gesellschaftlichen Situation verknüpft. Statt vom Bewusstsein einer persönlichen Malaise ausgehend nach ihrer Ursache zu suchen (dem normalen Weg einer Heilung), schafft es der Erzähler, in umgekehrter Richtung zu arbeiten. Er setzt die Ursache; das ungreifbare »19. Jahrhundert«, als Postulat, und zieht daraus den perversen Schluss, dass ein negatives Syndrom (Rachsucht) der Reflex einer positiven Bedingung (Intelligenz) sein muss. Diesem logischen Hirngespinst zu entrinnen ist unmöglich. Seit Hamlets Bemerkung »Die Zeit ist aus den Fugen: Schmach und Gram,/Daß ich zur Welt, sie einzurichten, kam!« ist dies das erste signifikante literarische Beispiel für mauvaise foi. Beide Protagonisten geben die Schuld an ihren krassesten Schwächen einer externen Kraft, der Zeithaftigkeit.[13]

Mit ungemeinem Einfühlungsvermögen in die zwanghaften Interessen derartiger Protagonisten lässt Dostojewski den Kellerlochmenschen nun sein Traktat mit einer Dialektik zu dem Thema vorbringen, das ihn am meisten zu interessieren scheint: Kränkung und Rache. Jemand, der kein Intellektueller ist und sich gekränkt fühlt, erfahren wir, »schießt denn auch sofort wie ein wildgewordener Stier mit gesenkten Hörnern auf das Ziel los, und höchstens eine Mauer kann ihn noch zum Stehen bringen« (S. 10 f.). Andererseits macht der überbewusste Mensch, der sich selbst als »Maus« versteht, sein Racheproblem so kompliziert, dass er den Angriff nicht einmal beginnt. Jahrzehntelang haben Kritiker über die Bedeutung der »Mauer« gestritten, die Kraft, vor der selbst der Tatmensch »sich geschlagen gibt«, und über die die »Maus« ab Anfang von Kapitel 3 endlose Theorien aufstellt.[14] Die Mauer steht offensichtlich zwischen allen Menschen und einer erforderlichen Handlung. Wenn ein »normaler Mensch« auf der Suche nach solchen Handlungen auf die Mauer stößt, gesteht er sich ein, dass sie ihm eindeutig überlegen ist, und geht zu anderen Tätigkeiten über. Er nimmt die Mauer als solche, als eine Gegebenheit war:

Als ob eine solche Mauer tatsächlich eine Beruhigung wäre, als ob sie den geringsten Trost enthielte, einzig, weil sie zwei mal zwei gleich vier ist. (S. 14 f.)

Existentialisten wie Schestow machen sich die wohl artikulierte Weigerung des Protagonisten zu eigen, sogar diese grundlegende externe Realität ohne weiteres Nachdenken zu akzeptieren:

Herrgott, was gehen mich aber die Naturgesetze und die Arithmetik an, wenn mir diese Gesetze und das Zwei-mal-zwei-gleich-vier nicht gefallen? Versteht sich, ich werde in eine solche Mauer mit der Stirn keine Bresche schlagen können, wenn ich tatsächlich die Kraft dazu nicht habe, aber ich werde mich mit ihr auch nicht abfinden, bloß, weil ich vor einer Mauer stehe und meine Kräfte nicht ausreichen. (S. 14)

In der Tat sind diese Passagen ein oberflächlicher Ausdruck einer heftigen Ablehnung des Rationalismus im Namen der Freiheit. Kein Wunder, dass zum Beispiel Schestow den Kellerlochmenschen mit Nietzsche, Kierkegaard und sogar Sokrates vergleicht.[15]

Betrachtet man die Qualität der Voraussetzungen der Argumentation genauer, ohne dass eine Analyse ihrer Quelle nötig wäre, wird die deterministische Einstellung des Protagonisten deutlich. Aus den Tiefen seines negativen Wesens setzt der Erzähler zunächst voraus, dass sogar der Tatmensch sich vor der Mauer geschlagen gibt. Ein derartiger Mensch beginnt jedoch wenigstens zu handeln, wohingegen der Protagonist sich bereits als jemand zu erkennen gegeben hat, der sich »für nichts und an niemandem [hätte] rächen können«. Die Maus würde nicht im Traum daran denken, gegen die Mauer anzurennen, und erst recht nicht, in sie mit der Stirn eine Bresche zu schlagen; stattdessen erfindet sie für sich so viele Zweifel über die Mauer, dass sie keine einzige Bewegung macht, um eine tief empfundene Kränkung zu beseitigen. Die ursprünglichen Gründe (die Begründetheit eines Angriffs auf den Unterdrücker unabhängig von den Erfolgsaussichten) werden durch nicht enden wollendes Hinterfragen ersetzt (Sollte ich handeln? Wird sich eine bessere Gelegenheit zum Handeln ergeben? War mein Feind wirklich im Unrecht? Bewundere ich ihn vielleicht sogar zuinnerst? Würde ich mich lächerlich machen? Usw.).

Aber die Mauer, die gelegentlich sogar für den Tatmenschen ein Hindernis darstellt, lässt definitionsgemäß nicht viel Platz für Fragen. Sie steht für ein Axiom menschlicher Erfahrung. Zwei und zwei ist eben vier. Es gibt Dinge im Universum, die materiell wahr und einer Veränderung durch den Menschen unzugänglich sind. In Nietzsches Worten (und der Kellerlochmensch ist kein Nietzscheaner!): »Solche Wahrheiten gibt es.« Die Bereitschaft, seine natürlichen Fähigkeiten voll auszutesten, adelt den nicht unintelligenten »homme de la nature«; er lässt nicht zu, dass Unwägbarkeiten ihn daran hindern, sein Schicksal frontal anzugehen. Daher ist der Mensch des 19. Jahrhunderts, selbst wenn er so mittelmäßig wäre, wie der Kellerlochmensch bösartig behauptet, dem Erzähler einen Schritt voraus. Beide sind gleichermaßen von der Mauer fasziniert; keiner hat die heroische Fähigkeit, ihr die Stirn zu bieten. Doch während der normale Mensch ihre unumstößliche Präsenz akzeptiert, macht der Ressentierende sie sich zum persönlichen Gegner und definiert sein Leben als Reaktion darauf. Daher wandelt der Kellerlochmensch und nicht, wie es zunächst scheinen mag, der normale Mensch, eine fundamentale Wahrheit in einen »befriedigenden Determinismus«[16] um.

Wiktor Schklowski, der talentierte russische Formalist, erkennt die immanenten Trugschlüsse der Erklärung von »Freiheit« durch den Kellerlochmenschen und deren autobiografischen Anstoß. In seinen Worten: »Der Erzähler kann nicht einmal zur Mauer gehen, um sein Glück zu versuchen und sie zu Fall zu bringen. So wird Schwäche zu seinem Vergnügen [B’essilie stanowitse ewo razlečeniem].« Anders als Schestow greift Schklowski auch auf den zweiten Teil zurück und bemerkt, dass »die Mauer in der Person des Offiziers verkörpert ist, der alles beiseite schiebt, was ihm im Weg steht. […] Der Erzähler kann nicht leben, weil er von Mauern dieser Art umgeben ist. […] Der gut gekleidete, gesellschaftlich erfolgreiche Mann stellt für den Bewohner des Kellerlochs bereits eine Mauer dar.«[17] Schklowskis Ansatz kommt meinem eigenen nahe, da er die Einheit der Erzählung und die Wechselwirkung ihrer Teile betont. Tatsächlich ist die »Mauer«-Passage am Anfang der Erzählung nur eine Umformulierung und Rationalisierung der ressentierenden Frustrationen und Schwächen und der Untätigkeit im zweiten Teil. Denn dort erzählt er die ihn ärgernde Wahrheit, dass nämlich »normale« Typen wie Swerkow und der Offizier aus dem schäbigen Restaurant ihn durch ihr Selbstvertrauen und ihre Popularität »gekränkt« haben.

Inmitten des irreführenden Narrativs im ersten Teil steht Kapitel 5 als eine kleine Oase der Wahrhaftigkeit. Man könnte es den »Monolog« nennen, da der Kellerlochmensch in dem nur aus einem Absatz bestehenden Kapitel sich in einer Weise ausdrückt, die wie ein Echo auf Hamlet in dessen lichtesten Momenten wirkt. Er teilt uns mit, dass er sich »das Leben selbst zurechtgedichtet [hat], um wenigstens auf irgendeine Weise zu leben« (S. 18). Er lehnt die Realität kurzerhand ab und findet permanent Entschuldigungen für Isolation und Untätigkeit: »die direkte, legitime, unmittelbare Frucht des Bewußtseins – ist Trägheit, d. h. bewußtes Hände-im-Schoß-Dasitzen« (ebd.). Und obwohl er sich weiterhin vorgaukelt, dass nur dumme Menschen handeln können, kommt er wie Hamlet zu einem verblüffenden Ende:

Oh, meine Herrschaften, vielleicht halte ich mich nur deswegen für einen klugen Menschen, weil ich in meinem ganzen Leben weder etwas habe beginnen noch beenden können. Schon gut, schon gut, ich mag ein Schwätzer sein, ein harmloser, lästiger Schwätzer, wie wir es ja alle sind. Aber was soll man denn tun, wenn die einzige und direkte Bestimmung eines jeglichen klugen Menschen in Schwatzen besteht: das heißt darin, mit Vorsatz leeres Stroh zu dreschen. (S. 20)

Dieser für den Kellerlochmenschen auffallend und einzigartig ehrliche Kommentar bestätigt, dass die interne Logik seiner Tiraden gegen die »Naturgesetze« und das 19. Jahrhundert schon im Ansatz falsch ist. Der Protagonist schafft es, ein kurzes Bekenntnis abzulegen. Er gibt zu, dass sogar die Intelligenz, seine einzige Tugend, nur ein Hirngespinst seiner Verlogenheit sein könnte. Nachdem er diesen wesentlichen Charakterzug unterminiert hat, wird der Kellerlochmensch endgültig in das von Schklowski so genannte Nichts [ničtožnost’] verbannt.

Aber während das Nichts den Protagonisten definiert, besteht er paradoxerweise darauf, dem eine narrative Form zu geben. Könnte es sein, so fragt er, dass ich mich nur als intelligent bezeichne, um meine Untätigkeit zu rationalisieren? Denn die Tiraden des Kellerlochmenschen im ersten Teil gegen die beobachtbare Wirklichkeit lassen sich nur zum Teil als Kritik eines mittelmäßigen technologischen Positivismus rechtfertigen. Schließlich ist der homme de la nature in weitaus geringerem Umfang ein Positivist als der Protagonist. Der natürliche Mensch hat spontan an der ganzen Fülle der Wirklichkeit teil; auf der anderen Seite besteht die einzige Aktion des Protagonisten darin, diese Realität auf die beruhigenden Grenzen seiner vier Kellerlochwände und die Seiten seines Tagebuchs zu beschränken.

Von der Kränkung zur Verlogenheit: Zweiter Teil

Weit entfernt vom Wunsch zu leben, hat der Protagonist eine hermetische, dem Untergang geweihte Art schierer Existenz gewählt. Doch hat er diese Haltung nicht auf dem Weg der Ablehnung einer entfremdenden Gesellschaft eingenommen, sondern durch feige Inkaufnahme seines eigenen Hangs zum Ressentiment.

Der Protagonist war ein Beamter des mittleren Dienstes, ehe er seinen »Abschied« nahm. Er verachtete aufrichtig seine Arbeit, doch hat er »nicht auf sie gespuckt«, weil er »Geld dafür erhielt«. Seinen Kollegen gegenüber fühlte er sich überlegen (sie »waren alle stumpfsinnig«), aber er beneidete sie um ihr Selbstbewusstsein und fürchtete, sich lächerlich zu machen. »Das geschah bei mir damals immer ganz plötzlich«, erzählt er uns, »bald verachtete ich sie, bald erhob ich sie über mich.« Er führte ein eigenbrötlerisches Leben; seine einzige Freizeitbeschäftigung war die Lektüre. Dank dieser Lektüre wurde er zum »Romantiker«, zu einem intelligenten Menschen, der ein Ideal hat, aber »für dieses Ideal keinen Finger rühren« mag, und der »eher verrückt [wird] (was übrigens sehr selten vorkommt), doch er wird nicht spucken, bevor er nicht eine andere Karriere in Aussicht hat«. Oft versucht er, »durch äußere Reize das in [ihm] unaufhörlich Brodelnde [zu] unterdrücken«. Dazu dienen ihm das Lesen, das ihn »erquickte und quälte« sowie einsame, »schäbige Ausschweifungen«. »Schon damals trug ich das Kellerloch in meiner Seele.«

Vor diesem Hintergrund waren nur ein oder zwei besondere Ereignisse erforderlich, um die Saat von Neid und Rachsucht zu einem gereiften Fall von Kellerloch-Ressentiment aufgehen zu lassen. Der Erzähler beschreibt diese wenigen Erfahrungen mit vielen Details, denn auch wenn sie nach normalen Maßstäben recht belanglos sind, stellen sie doch in seinem Leben die einzigen Beispiele für menschliche Kontakte dar. Dostojewski will, dass wir die fesselnde Sprache, mit der der Kellerlochmensch seine philosophische Freiheit präsentiert, anhand der Einzelheiten seiner Biografie überprüfen.

Das erste dieser Ereignisse beginnt damit, dass der junge Beamte zusieht, wie jemand von einem Offizier aus einem schäbigen Restaurant hinausgeworfen wird. Da er nach seinen Worten »diesen hinausgeworfenen Herrn einfach beneidete«, möchte er natürlich denjenigen treffen, der den Hinauswurf besorgt hat. Als er das Restaurant betritt, bringt er dieselbe Mischung aus Faszination und Furcht zum Ausdruck, die er oft gegenüber seinen Kollegen empfunden hat.[18] Außerdem hofft er, sich in eine »literarische« Situation zu begeben, doch die Niederlage in einer Prügelei, die er romantisch ersehnt, findet nicht statt. Stattdessen hebt ihn der vorübergehende Offizier an den Schultern an, stellt ihn an einen anderen Platz und »ging weiter, als hätte er überhaupt nichts bemerkt«. Diese schmähliche Konfrontation ohne die erhofften Schnörkel beleidigt das Zartgefühl des Kellerlochmenschen zutiefst. Aber obwohl er fühlt, dass er protestieren sollte, »überlegte [er] und zog vor, [sich] ergrimmt [ozloblenno] zu verziehen«.[19]

Angesichts einer direkten Kränkung kann der junge Mann nicht zurückschlagen, ja nicht einmal seine Empörung zum Ausdruck bringen. Stattdessen übernimmt er Hamlets Philosophie des »Wartens bis zum nächsten Mal«,[20] dieses fatale Zögern, das sich aus dem legalistischen Ansatz des Verbalisierers gegenüber Konfrontationen ergibt. So wie Hamlet sein Schwert während Claudius’ Gebet in die Scheide steckt, so unterdrückt der Kellerlochmensch jede äußerliche Reaktion auf die empfundene Kränkung. Und wie der Prinz tröstet er sich mit dem Versprechen, dass die Rache im Kontext einer vollkommeneren »Gerechtigkeit« eintreten wird. Am nächsten Abend kehrt er in das Restaurant zurück, aber das Wissen um seine ursprüngliche Schwäche hat sich verschärft, und im gleichen Maß hat sich sein daraus folgendes Ressentiment verallgemeinert; damit wird die ganze im Restaurant versammelte Gruppe, »von dem unverschämten Marqueur bis zu dem letzten ranzigen, finnigen kleinen Beamten […] mit speckigem Kragen«, nun zum Gegenstand seiner Rachsucht.

Die Wirkungen seiner wuchernden negativen Einstellung bleiben bestehen und werden noch größer, als der Kellerlochmensch sein Problem in das mondäne Milieu des Newski-Prospekts einführt. Doch selbst dort kann er seinen Hass auf den Offizier nicht in eine sinnvolle physische oder verbale Form umsetzen. Stattdessen übernimmt er die visuelle Haltung von Plutarchs neidischem Menschen: »Ich aber, ich starrte ihn mit Zorn und Haß an und das dauerte … mehrere Jahre, jawohl! Mit der Zeit wurde mein Zorn [sloba] sogar tiefer und nahm immer mehr zu. […] Zuweilen würgte die Wut mich geradezu« (S. 56 f.).

In Kapitel 3 wird Swerkow eingeführt, die Figur, die beim Kellerlochmenschen Existentialneid* auslöst, die vorletzte Phase im Entstehen der Negativität. Der Protagonist merkt an, dass sein früherer Schulfreund »ein hübscher, lustiger Knabe gewesen [war], den alle liebten. […] Er war ausgesprochen gewöhnlich, doch ein guter Junge, selbst dann, wenn er prahlte« (S. 68). Außerdem wurde Swerkow von vielen verehrt, »einfach so, weil er ein vom Schicksal favorisierter Mensch war« (S. 68). Wie gut lässt sich nun in diesem persönlichen Kontext die Polemik gegen die »Naturgesetze« verstehen, und mit welcher Brillanz demoliert Dostojewski komplexe Aussagen der Sozialkritik!

[Ich haßte] ihn […] eben gerade deshalb, weil er hübsch und lustig war. […] [Ich] haßte sein schönes, aber einfältiges Gesicht (gegen das ich übrigens mit Vergnügen mein kluges eingetauscht hätte […]). Ich haßte es, wie er von seinen zukünftigen Erfolgen bei Frauen erzählte […]. (S. 68 f.)

Unser Verständnis dieses Protagonisten definiert in weitem Umfang unsere Empfänglichkeit für moderne Fiktion, und er verdient unser Mitleid, nicht unsere Bewunderung. Der Kellerlochmensch ist der Repräsentant einer Kultur, deren Mangel an konsistenten Werten es notwendig macht, uns mit anderen zu vergleichen, ein persönliches Weltbild eher zu übernehmen als selbst zu schaffen. Mit anderen Worten: Die imitatio Christi[21] ist zum relativistischen Muster einer imitatio alterorum degeneriert. Schon Swerkow kann in all seiner Belanglosigkeit potenziell Ressentiment auslösen. In einer derartigen Kultur wird Bewunderung statt Neid nur durch das ermöglicht, was Nietzsche (in gewisser Weise John Rawls vorwegnehmend) einen Akt des »gute[n] Wille[ns] unter ungefähr Gleichmächtigen«[22] bezeichnet. Weder reaktive christliche »Liebe« noch beliebige Rechtssysteme können dem modernen Protagonisten dieses Gefühl von Gelassenheit verschaffen. Und noch weniger zu finden ist dieses Gefühl in wortreichen philosophischen oder literaturkritischen Analysen, in die keine von Anteilnahme geprägten Werte eingehen.

Wenige Leser werden das Bild des Protagonisten während der Abendessensszene vergessen: Verzweifelt sucht er die Aufmerksamkeit des beneideten Wesens zu erlangen. »Alle vergaßen mich, und ich saß zertreten und vernichtet da. […] Swerkow musterte mich schweigend wie ein winziges Insekt. Ich senkte den Blick« (S. 84 f.). Wieder einmal landen die lichten Träume des Erzählers auf dem Niveau der kalten Wirklichkeit, genau wie im Restaurant und auf dem Newski-Prospekt. Und wieder sucht sich der Kellerlochmensch selbst die absurde Rolle des rächenden Helden, indem er Ferfitschkin, den unbedeutenden Außenseiter, zum Duell herausfordert. Als sich die anderen Teilnehmer des Abendessens über diese unerwartete, verfehlte Herausforderung lustig machen, ist die Bühne frei für die exemplarische Verdrängungshandlung des Romans:

»Jetzt sollte man ihnen allen eine Flasche an den Kopf werfen«, dachte ich, griff nach der Flasche und … schenkte mir das Glas bis zum Rand voll. (S. 87)

Die Kürze dieses Satzes täuscht über seine Tragweite hinweg, denn beschrieben wird eine Nichthandlung, das durchgängige Markenzeichen der intellektuellen, legalistischen Romanhelden. Die abgestellte Flasche ist wie Hamlets in die Scheide gestecktes Schwert (»Jetzt könnt’ ich’s thun, bequem«) das Symbol für den gescheiterten Versuch eines Frustrierten, ein tief sitzendes Gefühl persönlicher Kränkung aufzulösen. Die Flasche ist auch das getreue Abbild einer Verinnerlichung. Statt die nach außen gerichtete Handlung – das Schleudern der Flasche auf die anderen – zu Ende zu bringen, nimmt der Kellerlochmensch nur ihren Inhalt zu sich. Wenn Hamlet sein Schwert in die Scheide steckt, kann dies als Symbol der Verleugnung der Männlichkeit im Freudschen Sinn verstanden werden – auch hier ein Akt der Verinnerlichung. So kläglich die modernere Version im Vergleich zu der Hamlets sein mag, ihre Folgen für die wuchernde Negativität der Romanhelden sind weit reichend. Keiner der Protagonisten »geht mit gesenkten Hörnern auf das Ziel los«.

Am Anfang der darauf folgenden Bordellszene wird Lisa, des Protagonisten letzte Chance für menschliche Nähe, ehe er für immer ins Kellerloch kriecht, das passive Objekt, auf das er all seinen frustrierten Rachedurst projiziert. Wie bei der Herausforderung von Ferfitschkin an Stelle von Swerkow plant er, sich an Lisa an Stelle seiner wirklichen »Feinde« zu rächen. Wir wissen auch, dass der Kellerlochmensch immer diejenigen zurückgewiesen hat, die ihn zu verstehen suchten. Zum Beispiel hatte er in der Schule »einen Freund«, »eine naive und hingebungsvolle Seele«, dessen uneingeschränkte Verehrung beim Protagonisten dazu führte, »ihn sofort zu hassen« und »bis zu Tränen, zu Krämpfen« zu bringen (S. 76). Wie vorauszusehen, fängt der Kellerlochmensch an, die freundliche, ruhige Lisa in seine bombastischen Fantasien einzubeziehen. Sie soll die sklavisch unterdrückte Heroine seines »Buchs« sein. Er wird sie retten. Aber während er in Gedanken die literarische Rolle des Helden auslebt, zerstört er ihre reale Existenz so wie der Offizier aus der Taverne und Swerkow seine eigene zerschlagen haben. Dass Lisa ihre Rolle in diesem Szenario ablehnt, stellt für den Protagonisten eine Kränkung dar, die ihn auf Dauer entkräftet. Wie bei mehreren der Frauen Dostojewskis verfügt Lisa über eine bodenständige, nicht verkopfte Sympathie für andere, dank derer ihr bemerkenswerte Einblicke in komplizierte Persönlichkeiten möglich sind. Aus genau diesem Grund kann sie sich nicht in die romantischen Formen des Helden einfügen. Ihr einfache Feststellung »Aber Sie sprechen … genau wie nach dem Buch« (S. 109) bringt seine glorreichen Pläne zum Einsturz und lässt ihn ahnen, dass sie eine Kraft ist, mit der ein Kampf bevorsteht.

Lisas Einblicke, so bedrohlich sie sein mögen, sind fast erfolgreich bei der Heilung der Seele des Erzählers von Bitterkeit. Mit Lisa erlebt er die einzigen Momente direkter emotionaler Reaktionen, die in seinem Bericht vorkommen. Sein Eingeständnis, dass seine gespreizt vorgebrachte Tirade bedeutungslos war, sein Greifen nach ihrer Hand, seine aufrichtig gemeinte Einladung zu sich, seine warmherzige Reaktion auf ihre »Rechtfertigung« (den Liebesbrief des Studenten): All dies lässt durchblicken, dass Lisa den jungen Mann ganz unerwartet angerührt hat. Aber weil er derartige Gefühle nicht gewöhnt ist, weil er sich gegen sie mit verbalen Konstruktionen nicht zur Wehr setzen kann (in den abschließenden Absätzen von Kapitel 7 sagt er praktisch nichts), muss er das Bordell fluchtartig verlassen und nach Hause zurückkehren.

Unglücklicherweise hält das Hochgefühl, das ihn womöglich hätte retten können, nur so lange an, bis er im Erschöpfungsschlaf versinkt. Und schon bald fängt die »Umkehrung der Wertetafel« wieder an. Rachsucht beherrscht ihn so sehr, dass er Gutes in Böses und Perversion in ein Ideal verkehrt. Erneut zieht er sich in seinen Formalismus zurück, vergisst Lisa fast und schreibt einen versöhnlichen Brief an einen der Teilnehmer des Abendessens, die ihn gekränkt hatten. Seine ressentierenden Tendenzen konkurrieren mit Lisas positivem, aber zu kurzen Einfluss. Eine Passage bei Scheler fängt die bei solchen Typen herrschende Spannung ein:

Darum ist der Ressentimentmensch wie magisch angezogen von Erscheinungen wie Lebensfreude, Glanz, Macht, Glück, Reichtum, Kraft; er kann nicht vorübergehen, er muß sie ansehen (ob er »will« oder nicht); aber gleichzeitig quält ihn im geheimen der ihm als »vergeblich« bewußte Wunsch, sie zu besitzen […]. Der Fortschritt dieser inneren Bewegung führt zunächst zu einer charakteristischen Verfälschung des sachlichen Weltbildes. Die Welt des Ressentimentmenschen erhält eine ganz bestimmte Struktur des Reliefs der Lebhaftigkeitswerte […]. Je mehr diese Abwendung den Sieg davonträgt über die Anziehung durch jene positiven Werte, versenkt er sich mit Auslassung der Übergangs- und Mittelwerte in die ihnen entgegengesetzten Übel, die nun einen immer größeren Raum in seiner Wert-Beachtungssphäre einnehmen. Es ist in ihm etwas, das schelten möchte, herabsetzen, verkleinern, und das packt gleichsam jede Erscheinung, an der es sich betätigen kann. So »verleumdet« er unwillkürlich Dasein und Welt zur Rechtfertigung seiner inneren Verfassung des Werterlebens. (»Das Ressentiment im Aufbau der Moralen«, S. 31)

Aber diese instinktive Verfälschung des Weltbilds hat nur eine begrenzte Wirkung. Immer wieder wird der ressentierende Mensch mit Glück (die Passanten am Newski-Prospekt), Macht (Anton Antonytsch Setotschkin), Schönheit (Swerkow), Herzensgüte (Lisa) und anderen positiven Lebensformen konfrontiert. Es gibt sie, und sie drängen sich auf, auch wenn der Protagonist sie mit den Fäusten bedroht und versucht, sie wegzuerklären. Er kann dem qualvollen Konflikt zwischen Verlangen und Ohnmacht nicht entgehen. Wegsehen ist manchmal unmöglich und langfristig wirkungslos. Wenn sich eine positive Eigenschaft seiner Aufmerksamkeit unwiderstehlich aufdrängt, erzeugt allein ihre Wahrnehmung schon Hass gegen ihre Besitzer, auch wenn diese ihn niemals gehasst oder gekränkt haben.

Es ist überaus wichtig anzuerkennen, dass ein einzelnes nicht aufgelöstes Ereignis, das von einer komplizierten, empfindlichen Person als existentieller Vorwurf aufgefasst wird, ohne Weiteres zu einer allgemein gewendeten Rachsucht führen kann, die in allem und jedem eine potenzielle Quelle der Kränkung sieht. Daher kann eine andere Person noch vor dem Entstehen einer echten Bindung als Bedrohung wahrgenommen werden. Mehr noch: Wie die Reaktion des Kellerlochmenschen auf Lisa zeigt, verwechseln ressentierende Persönlichkeiten in perverser Weise Herzensgüte mit Feindseligkeit. Da alle mich attackieren, sagt der Ressentimentmensch, sind mit Sicherheit diejenigen für mich die größte Bedrohung, die am stärksten verkörpern, was andere »positive« Wesenszüge nennen. Insbesondere vor ihnen muss ich auf der Hut sein.

Diese Pervertierung der Wahrnehmung durch das Ressentiment wird in der in ihrer Bedeutung häufig übersehenen Szene der Konfrontation des Kellerlochmenschen mit seinem Diener Apollon exemplarisch vorgeführt. Die Rolle Apollons ist ähnlich der Smerdjakows gegenüber Iwan Karamasow; er erinnert den Kellerlochmenschen ständig an seinen Verfall. Jede dieser beiden kriecherischen Figuren arbeitet daran, die offensichtlich bestehende Herr-Diener-Beziehung umzukehren. Wie in dem brillanten Film Der Diener von Joseph Losey (Drehbuch Harold Pinter nach dem Roman von Robin Maugham) usurpiert ein scheinbar Abhängiger den Status des seinem vermeintlichen Herrn moralisch Überlegenen zu dessen letztlichem Niedergang. Wird die Werttafel in den zermarterten Köpfen des Kellerlochmenschen und Iwans implizit auf den Kopf gestellt, geschieht dies in den beiden genannten dämonischen dostojewskischen Beziehungen explizit. In seiner Verwirrung schafft der Kellerlochmensch nur schwer, Apollon zu entlassen. »Ich bringe ihn um!«, schreit er und bricht in Tränen aus. Aber dann geschieht etwas Merkwürdiges: »Ein schrecklicher Zorn [strašnaya zloba] auf sie kochte plötzlich in meinem Herzen; am liebsten hätte ich sie totgeschlagen, glaube ich« (S. 133 – Herv. i. O.).

In Sekundenschnelle hat die überhitzte Fantasie des Kellerlochmenschen Apollon durch Lisa ersetzt. Egal welche »Rache« er an seinem Diener (oder an dem Offizier oder an Swerkow) nicht nehmen konnte, jetzt will er sich an ihr rächen. Aber wieder nimmt seine Rache die Form eines gegen ein irrelevantes Objekt gerichteten Hamletschen Redeschwalls an.

Seit Ophelia haben nur wenige unschuldige Opfer ressentierender Frustrationen die vom gepeinigten Protagonisten geschleuderten verbalen »Dolche« so würdevoll ertragen. Schließlich, ganz unglaublich, versucht er, das Mädchen für die mit ihm verbrachte Zeit zu bezahlen. Die Grausamkeit dieser Geste verwundert selbst Lisa, und sie entflieht ihrem Peiniger für immer. In seiner Unfähigkeit, Liebe anzunehmen, und seiner herbeifantasierten heroischen Statur beraubt, bleibt dem Protagonisten nur noch der Weg ins Kellerloch.

Wie bereits erwähnt, decken sich Vokabular und Stil des ersten Teils mit der Verlogenheit des Erzählers. Der durchgängige Einsatz von Ironie, Paradox und Tirade zwingt den Leser zu einem unnachgiebigen hermeneutischen Herangehen an das »Tagebuch«. Nichts kann er für bare Münze nehmen. Doch der zwanghafte Aspekt der Rhetorik im ersten Teil lässt sich wohl am besten in den eigenen Worten des Protagonisten während seiner Ergüsse gegenüber Lisa verstehen:

Ich wußte, daß ich gespreizt und steif gesprochen hatte, mit einem Wort, »literarisch« [knižke], ich konnte ja gar nicht anders sprechen als eben »wie nach dem Buch.« (S. 115)

In gewisser Weise kann der gesamte erste Teil so analysiert werden, als sei er eine Reprise des pompösen Wortschwalls des Lisa-Vorfalls, »wie nach dem Buch« und nicht aus den spontanen Mechanismen eines existenzialistischen Bewusstseins stammend. Organische Verlogenheit wird im Kellerloch zum Dauerbrenner. Ihre Opfer sind wir, nicht mehr Lisa.

Mit Dostojewskis brillanter Beschreibung ressentierender Negativität gelingt es ihm hier, eine scheinbar »freie« Philosophie mit den verfälschendsten und obsessivsten Tendenzen eines bestimmten Typs formalistischer Existenz in Beziehung zu setzen. Wie noch gezeigt werden wird, bezieht der Schriftsteller sein eigenes Unterfangen mit ein, wenn er einen solchen Zusammenhang herstellt: Der Drang, Wirklichkeit in der künstlichen Enge eines »Buchs« anzuordnen, ist natürlich der des Schriftstellers. Noch deutlicher: Die beiden Teile der Geschichte zeigen die Notwendigkeit auf, die Prämissen zu untersuchen, auf denen hochtrabende Äußerungen basieren. Diese Einsicht wird unser Verständnis von Romanfiguren wie Iwan Karamasow, Kapitän Vere und Jean-Baptiste Clamence erhöhen. Doch mit dem nächsten Werk Dostojewskis, Schuld und Sühne, wird die Tendenz zum Verbalisieren über die Grenzen der Kellerlochmentalität auf die Gerichtshöfe ausgedehnt. Auf seinem vorsichtigen Weg hin zu Die Brüder Karamasow gelang es Dostojewski, die gesellschaftlichen, nicht nur die rein persönlichen Konsequenzen narrativen Ressentiments zu begreifen.