17. Die Paarungskämpfe
Ich stehe neben A350 und blicke hinab auf die gefüllten Zuschauerränge der Arena. Es herrscht ein ungewohntes Gemurmel und die Aufregung ist fast greifbar. Früher war das nie der Fall. Normalerweise waren die Bewohner der Sicherheitszone immer still, weil sie einander nichts zu sagen hatten, doch das scheint sich mittlerweile geändert zu haben. Zwar sind wir noch weit entfernt von der tosenden Stimmung, die bei den Rebellen an so einem Tage ausbrechen würde, aber immerhin reden jetzt die Menschen wenigstens miteinander. Zwar leise und auch nur vereinzelt, aber immerhin.
Die Paarungskämpfe sind eine der wenigen Traditionen der Legion. Wir feiern keine Feste, wie es die Menschen auf der alten Erde taten. Bei uns gibt es auch keine Jahreszeiten, die man willkommen heißen könnte. Uns bleiben nur die Paarungskämpfe und die Abschiedsfeier. Nicht einmal die Geburt einer neuen Generation erscheint der Legion ehrwürdig. Die Kleinkinder werden im Stillen herangezogen, bis sie irgendwann einfach da sind.
Die ersten drei Tage der Paarungszeit werde ich nichts weiter zu tun haben, als mir die anderen Kämpfe von der Tribüne der Legionsführer aus anzusehen und zu versuchen, aus den Fehlern der anderen zu lernen. Als Legionsführerin belege ich in den Ranglisten meiner Generation den zweiten Platz. Nur A566 wurde über mir eingestuft. Er ist die Nummer eins.
Der erste Tag ist den Kämpfen der D-Klassifizierung gewidmet. Sowohl in der fünften als auch in der vierten Generation gibt es jeweils fünf Gruppen, die je nur einen Gewinner hervorbringen können. Gewöhnlich dauern die Kämpfe der D-ler nicht sehr lange, da ihre kämpferischen Qualitäten nicht gerade die besten sind. Jedoch sind die Gruppen der D-ler die größten, da etwa fünfzig Prozent jeder Generation aus D-lern besteht.
Als eine der ältesten Legionsführer eröffnet A233 die Paarungskämpfe. Sie tritt an den Rand der Tribüne vor das Mikrofon.
„Willkommen zur Eröffnung der Paarungszeit!“
Es folgt ein Applaus, zwar verhalten, aber trotzdem kann ich in einigen Augen einen gewissen Glanz erkennen, der sonst gänzlich fehlt. Die Bewohner der Sicherheitszone lieben die Paarungskämpfe und es wäre falsch gewesen, ihnen diese zu nehmen.
A233 fährt fort, wobei sich um ihren Mund ein winziges Lächeln legt: „Wie ihr schon wisst, kämpfen dieses Jahr nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen, um ein eindeutigeres Paarungsergebnis erzielen zu können. Zudem wird nach jeder Gruppenphase die Paarung bekannt gegeben werden. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Legion, dass wir die Verbindung zweier Menschen in der Legion fördern. Es ist ein Schritt zurück zur Menschlichkeit.“
Der Applaus bleibt aus. Die Menschen sind verwirrt. Bisher war uns jeglicher Kontakt, der über die Arbeit hinausging, untersagt. Deshalb wissen sie jetzt nicht, wie sie auf A233s Worte reagieren sollen. Ich erhebe mich von meinem Platz, sodass jeder mich sehen kann, und beginne zu klatschen. Das Geräusch meiner gegeneinanderschlagenden Hände hallt durch die stumme Arena. A350, neben mir, steht ebenfalls auf und stimmt in den Applaus mit ein. Ihr folgen weitere Legionsführer. Von unserem Vorbild animiert stehen auch andere Bewohner in den Zuschauerreihen auf und fangen an zu klatschen. Bis schließlich die ganze Arena steht und applaudiert. Ich fühle mich dabei wie berauscht. Es ist ein großartiges Gefühl, hier zwischen Menschen zu stehen, denen die Rebellen vorwerfen, wie Roboter zu sein, und mit ihnen die Menschlichkeit zu bejubeln. Keiner von uns ist kalt oder emotionslos. Wir haben Gefühle wie jeder andere auch. Wir sind Menschen.
Die Paarungskämpfe beginnen mit der ersten Gruppe der D-Klassifizierung aus der fünften Generation. Der Kampf dauert gerade mal eine Minute und der männliche Kämpfer geht als Sieger hervor, wobei er sich nicht unbedingt gut angestellt hat, sondern lediglich besser als seine weibliche Gegnerin war. Das ist die Art von Kampf, die die Legionsführer von den D-lern erwarten. Kurz und eindeutig, ohne große Überraschungen.
Die nächste Paarung stellen Asha und ein Junge mit der Bezeichnung D587 dar. Ashas Gesichtsausdruck ist grimmig und entschlossen. Allein bei einem Blick in ihre eisigen Augen muss dem Jungen zum Fürchten zumute sein. Jede Faser ihres Körpers ist auf einen Sieg ausgerichtet. Sie nehmen beide die Startposition ein.
„3, 2, 1. Los!“, verkündet die Stimme des Computers. Ashas Laserstrahl schießt sofort über das Kampffeld und trifft sein Ziel, ehe ihrem Gegner überhaupt bewusst ist, was passiert. Der Kampf ist vorbei. Asha hat gewonnen.
Es dauert einige Sekunden, bis der Applaus für sie einsetzt. Auch die Zuschauer sind überrumpelt, aber dann ist der Jubel für sie umso lauter, und ich klatsche am lautesten. In mir spüre ich so etwas wie Stolz. Stolz auf Ashas starken Willen, aber auch Stolz auf mich, weil ich mitgeholfen habe, sie zu der starken Frau zu machen, die heute furchtlos vor uns stand.
Der Computer verkündet die nächsten Kampfgegner. „Es tritt D523 gegen D577 an.“
Es fühlt sich an, als würde mein Herz stehen bleiben. Mir entgleiten sämtliche Gesichtszüge und für einen kurzen Moment verschwimmt alles vor meinen Augen. Doch bereits im nächsten betreten Zoe und Finn das Feld, jeweils aus einem separaten Eingang. Kann das wirklich Zufall sein oder ist es ein gemeines Spiel der Legion? Entsetzt suche ich den Blick von A350, doch sie zuckt nur entschuldigend mit den Schultern. Offenbar wusste auch sie nichts davon. Zwar ist nicht gesagt, dass, wenn Zoe gegen Finn verliert, sie auch mit ihm gepaart werden würde, sondern sie könnte genauso gut mit jedem anderen aus der Gruppe gepaart werden. Aber sicher ist, dass einer der beiden nach diesem Kampf ausscheiden wird. Es ist grausam, Geschwister gegeneinander kämpfen zu lassen. Schlimmer geht es gar nicht. Unter normalen Umständen würde Finn sich weigern, seiner kleinen Schwester auch nur ein Haar zu krümmen. Aber er erinnert sich nicht oder zumindest muss er so tun als ob. Ich glaube ihm nicht mehr, dass er alles vergessen hat. Zu oft haben seine Reaktionen mir schon das Gegenteil bewiesen.
Sie nehmen beide ihre Startposition ein.
„3, 2, 1. Los!“
Es fällt kein Schuss so wie bei Ashas Kampf, der schon nach nicht einmal einer Sekunde entschieden war. Stattdessen fixieren beide einander mit den Augen. Sie umkreisen einander, wie es Tiger oder Löwen tun würden, bevor sie aufeinander losgehen. Der Abstand zwischen ihnen ist jedoch viel zu groß, um einen sicheren Treffer zu garantieren.
Beide haben ihr rechtes Handgelenk mit dem Laser erhoben. Gerade als Finn mit dem Gesicht zu mir steht, löst sich sein erster Schuss. Sein Gesicht mit den zusammengepressten Lippen verrät ihn jedoch, lange bevor der Schuss sich löst, sodass Zoe ihm leicht ausweichen kann. Finn setzt jedoch direkt einen weiteren Schuss nach und Zoe bleibt nichts anderes übrig, als weiter zu flüchten. Während Finn einen Schuss nach dem anderen abgibt, flieht Zoe über das Feld wie eine Antilope vor einem Löwen. Es ist eindeutig ersichtlich, dass Finn ihr klar überlegen ist. Zoe ist nicht unbedingt die schnellste Läuferin, aber Finn auch nicht der beste Schütze. Jedoch auch bei weitem nicht so schlecht, wie es gerade den Anschein macht. Keiner seiner Schüsse wird ihr auch nur im Geringsten gefährlich. Immer wenn sie langsamer wird, scheint es so, als würden Finns Schüsse gleichzeitig besonders ungenau. Er trifft den Sand vor ihren Füßen oder die Wand neben ihrem Kopf, aber nie sie selbst. Zudem sind seine Schüsse immer in Brusthöhe, sodass sich Zoe nur zu bücken braucht, um ihnen zu entgehen. Es wirkt fast so, als wolle Finn sie nicht erschießen, doch gleichzeitig gibt er ihr keine Chance, ihn zu treffen. Beide legen nicht den Ehrgeiz an den Tag, der bei Asha deutlich zu sehen war. Aber Zoe erreicht langsam einen Punkt der Erschöpfung. Sie atmet immer schwerer und ihre Schritte werden schleppender. Finn, der kaum etwas anderes getan hat, als auf seine Schwester zu schießen, lässt ebenfalls kraftlos den Arm hängen. Während er bei unserem Training noch voller Tatendrang war, scheint es ihm jetzt völlig gleichgültig zu sein, ob er gewinnt oder verliert. Zoe holt keuchend Luft, als sie den Halt verliert und zu Boden knallt. Sie hat nicht einmal mehr die Kraft, ihre Arme schützend vor sich auszustrecken, sodass sie mit dem Kinn voran aufschlägt. Japsend dreht sich auf den Rücken, jedoch ohne aufzustehen. Sie muss sich bei dem Aufprall auf die Zunge oder die Lippe gebissen haben, denn eine schmale Blutspur rinnt von ihrer Lippe hinab auf ihr Kinn. Sie bekommt kaum noch Luft und Tränen stehen in ihren Augen, während Schweiß auf ihrer Stirn glänzt. Sie gibt auf. Finn tritt mit erhobenem Laser auf sie zu. Er hätte schon längst schießen können, wenn er gewollt hätte.
Das Licht seiner Waffe tanzt unruhig auf ihrem mit Sand beschmutzten Anzug auf und ab, ohne dass sich ein Schuss löst. Er zögert viel zu lange. Jeder bemerkt es. Das ist der Beweis, auf den ich gewartet habe. Es gibt keinen Zweifel mehr. Finn erinnert sich. Die Frage ist nur, an wie viel.
Er hebt den Kopf und blickt zu der Tribüne. Sein Blick gleitet suchend über die Gesichter der Legionsführer und verweilt auf meinem. Ich lächle ihm entgegen und versuche ihm damit zu signalisieren, dass ich, egal wie er sich auch entscheiden mag, hinter ihm stehen werde. Ich erwarte keinen Sieg von ihm.
Der Schuss löst sich und hallt durch die Arena. Es ist still geworden.
„D577 hat den Kampf gewonnen“, verkündet der Computer monoton. Der Applaus bleibt aus.
Nachdem der letzte Kampf des Tages in der Arena ausgetragen wurde, sind nicht nur die Kämpfer, sondern auch die Zuschauer erschöpft. Die Deckenleuchten dimmen sich leicht, doch das schwache Licht erinnert nur entfernt an das satte Rot der untergehenden Sonne. Es fehlt jegliche Wärme. A233 tritt ans Mikrofon, um die Sieger der D-Gruppen und die Paarungen bekannt zu geben.
„Ein erfolgreicher erster Tag liegt hinter uns mit vielen überraschenden Wendungen, spannenden Kämpfen und glorreichen Siegen. In die nächste Runde der Paarungskämpfe steigen sowohl aus der vierten als auch aus der fünften Generation jeweils nur fünf Kämpfer der D-Klassifizierung auf. Diese haben durch ihren Sieg bereits einen höheren Ranglistenplatz erreicht, aber haben bei weiteren erfolgreichen Kämpfen auch die Chance auf eine Neuklassifizierung, das erste Mal in der Geschichte der Paarungskämpfe.“
Die Bewohner der Sicherheitszone beginnen, verhalten zu applaudieren. Doch auch wenn ihre Körpersprache nicht Freude ausdrückt, so kann ich sie und vor allem Neugier in ihren Gesichtern erkennen. A233 verliest einzeln die fünf Sieger der vierten Generation, die sich daraufhin in einer Reihe in der leeren Arena aufstellen. Danach verkündet sie die Paarungen, woraufhin sich die Genannten zu Paaren aufstellen. Sie wirken weder glücklich noch traurig über die Wahl ihres Partners. Obwohl sie ein Kind zusammen zeugen werden, wird sie das darüber hinaus nicht weiter miteinander verbinden. Es ist keine körperliche Liebe, sondern eine Fortpflanzung im Reagenzglas.
Die D-Klassifizierung der vierten Generation verlässt die Arena.
„Die Sieger der fünften Generation sind D514, D539, D540, D560 und D577.“
Die Sieger treten einzeln in die Arena, allesamt wirken sie zum ersten Mal stolz in ihrem Leben. Auch Asha hat den Kopf hoch erhoben. Ein Lächeln liegt auf ihren schmalen Lippen. Finn ist der Einzige, der betreten zu Boden blickt. Er scheint ein schlechtes Gewissen wegen Zoe zu haben. Nur kurz hebt er den Blick in meine Richtung und ich weiß: Er ist wieder der Alte. Manchmal kann ein kurzer Moment in die Augen eines Menschen mehr verraten, als Worte es könnten. Es ist ein stummes Geständnis.
Als nächstes folgen die Paarungen. Während die anderen D-ler fast teilnahmslos wirken, ist Zoe am Boden zerstört. Ihre Beine scheinen kaum ihr Gewicht noch tragen zu können und zittern, während sie wie erstarrt und mit hängendem Kopf in der Reihe steht und darauf wartet, dass ihre Bezeichnung aufgerufen wird.
„Zum ersten Mal in der kurzen Geschichte der Legion werden die Paarungen offiziell bekannt gegeben. Es ist den Partnern erlaubt, miteinander zu sprechen und sich besser kennenzulernen. Eine erneute Paarung in fünf Jahren ist zudem nicht auszuschließen.“
Mit jedem Wort von A233 scheinen Zoes Schultern immer weiter nach unten zu sacken. Ihre Brust hebt und senkt sich, so als würde sie kaum Luft bekommen. Ich sehe, wie sie kontrolliert ausatmet, um so ihre Tränen daran zu hindern hervorzuschießen.
A233 beginnt die Paarungen vorzulesen, woraufhin sich die genannten Personen zu Paaren aufstellen. Allen scheint es im Grunde egal zu sein, mit wem sie gepaart werden, denn sie haben für den anderen nicht mehr als ein kurzes Nicken übrig. Niemand lächelt, niemand weint.
„D541 und D523“, verkündet A233 mit monotoner Stimme, die sich kaum von einem Computer unterscheidet.
Erschrocken hebt Zoe den Kopf und starrt zur Tribüne empor, so als könne sie kaum glauben, dass ihre Bezeichnung verkündet wurde. Die Tränen quellen aus ihren Augen hervor und sie sucht meinen Blick. Es tut mir weh, sie so leiden zu sehen und nichts tun zu können. Ich weiß, dass sie Hilfe von mir erwartet, aber ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll.
Als ich nichts unternehme, blickt sie orientierungslos zu den anderen D-lern. Einer von ihnen ist nach vorne getreten und wartet darauf, dass sie ihren Platz an seiner Seite einnimmt. Er muss D541 sein. Er wirkt wie alle anderen. Nicht zu groß oder (und nicht) zu klein. Ein kahler Kopf, große, lichtblaue Augen, eine gerade Nase, wohlproportionierte Lippen und ein schlanker Körper mit leichten Muskeln an den Oberarmen. Der perfekte Mann. Ich kann von der Tribüne aus nichts erkennen, was ihn zu etwas Besonderem machen würde. Aber ich bin sicher, dass dort etwas sein muss, hinter der Fassade.
Als Zoe ihm entgegentritt, schwanken ihre Beine sichtbar für alle. Ein leises Keuchen dringt aus ihrer Kehle, während Tränen über ihre Wangen laufen. Sie würdigt D541 nicht eines Blickes, stattdessen presst sie ihre Lippen fest aufeinander, um nicht zu schluchzen. Sie starrt mir entgegen, so als wolle sie sagen, dass das meine Schuld sei.
Obwohl ich mich vor dem Besuch fürchte, sehe ich es als meine Pflicht an, Zoe zu besuchen, bevor die Befruchtung bei ihr durchgeführt wird. Die Krankenstation ist so belebt, wie ich sie zuvor noch nie erlebt habe. Durch die Gänge rennen Ärzte in ihren grünen Anzügen, gefolgt von D-lern in braunen und Kämpfern in blauen Anzügen. Heute werden bereits allen Männern der vierten und fünften Generation die Samen entnommen, um diese ab dem nächsten Morgen bei den Frauen gemäß der bereits feststehenden Paarungen einzusetzen.
Zoe befindet sich in einem großen Zimmer, zusammen mit zwei anderen D-lerinnen, die ebenfalls befruchtet werden sollen. Als sie mich durch die Tür treten sieht, springt sie erleichtert von ihrem Bett auf und rennt mir in ihrem braunen Nachthemd barfuß entgegen.
„Endlich bist du da! Ich hatte schon Angst, dass du nicht mehr kommst. Wie sieht dein Plan aus?“, überfällt sie mich aufgeregt. Die Wahrheit ist, es gibt keinen Plan. Aber das kann ich ihr so nicht sagen. Behutsam lege ich meine Hand auf ihren nackten Oberarm und führe sie zurück zu ihrem Bett.
„Setz dich bitte“, fordere ich sie auf. Doch Zoe schüttelt nur verständnislos den Kopf. „Warum? Wir haben keine Zeit. Der Eingriff soll schon morgen früh erfolgen. Wirst du mich verstecken?“
„Bitte setz dich“, wiederhole ich erneut, dieses Mal schärfer als beabsichtigt. Ich sehe die auflodernde Panik in ihren Augen, doch sie gehorcht und lässt sich kraftlos auf das Bett zurücksinken, jedoch ohne mich aus den Augen zu lassen.
„Was hast du vor?“, fragt sie erneut, doch nun zittert ihre Stimme. Sie hat Angst und ich kann es ihr nicht verdenken.
Seufzend setze ich mich neben sie. „Ich will ehrlich zu dir sein. Ich weiß nicht, was ich tun soll“, gestehe ich ihr entschuldigend.
Ungläubig schüttelt Zoe nur den Kopf. „Aber es muss doch irgendetwas geben, was du tun kannst...“
„Ich kann dich nicht einfach entführen und hier rausschleusen. Alle Gänge werden bewacht, gerade jetzt. Die Kämpfer sind in höchster Alarmbereitschaft. Zum einen wegen der Paarungszeit und zum anderen wegen der drohenden Angriffe durch die Rebellen. Es war nie schwerer als jetzt zu entkommen.“
„Aber es ist nicht unmöglich, oder?“
Ich höre die langsam sterbende Hoffnung in ihrer Stimme. Es bricht mir das Herz, ihr zu antworten.
„Doch, das ist es.“
Ihre Finger krallen sich in den weißen Stoff der Bettdecke, während ihre Lippen erneut zu beben beginnen. Die Tränen glitzern in ihren Augen, aber bevor sie sich einen Weg über ihre Wangen bahnen können, kneift sie entschlossen die Lieder zusammen und schüttelt wütend den Kopf.
„Du bist Legionsführerin und du sagst mir, du kannst nichts tun. Das glaube ich dir nicht!“
Es ist wieder einer der Momente, in denen ich es hasse, ernannt worden zu sein. Es wäre so viel leichter, nur eine von vielen zu sein.
„Wenn es um dich ginge, würdest du einen Weg finden“, behauptet Zoe erbost und funkelt mich verächtlich an. Sie hasst mich dafür, dass ich nicht zusammen mit ihr auf meine Befruchtung warte. Aber was wäre, wenn ich heute genau wie sie hier sitzen würde? Würde ich versuchen zu fliehen? Immerhin ist es nur eine künstliche Befruchtung. Ich würde keinerlei Körperkontakt zu dem fremden D-ler haben. Er ist nur der Samenspender, mehr nicht.
„Wovor hast du am meisten Angst?“, frage ich Zoe, ohne auf ihre Vorwürfe einzugehen. Ich weiß, dass sie es nicht so meint.
Überrumpelt löst sich die Wut aus ihren Gesichtszügen und zurück bleibt bloße Verzweiflung.
„Ich habe keine Angst. Aber ich will nicht von einem Fremden einen Samen eingesetzt bekommen. Ich will nicht schwanger sein und wissen, dass ich das Kind niemals sehen werde. Ich will Kinder, aber nicht so und nicht von irgendwem.“
Es geht also nicht einmal um die Befruchtung an sich, sondern mehr um die Aussicht, nie wirklich Mutter sein zu können und das Kind eines Fremden in sich zu tragen. Ich kann die Befruchtung zwar nicht verhindern, aber zumindest den Samenspender könnte ich verändern, jedoch hüte ich mich davor, das gegenüber Zoe zu erwähnen.
Sie greift verzweifelt nach meiner Hand. „Gibt es denn gar nichts, was du für mich tun kannst?“
Traurig schüttele ich den Kopf.
Sie lässt meine Hand los, legt sich auf das Bett und dreht mir den Rücken zu. „Dann wäre ich jetzt gerne allein.“
Ihre Abweisung tut weh, aber ich bin froh, dass sie nicht ausrastet und schreit oder Dinge verwüstet, denn dann würde man sie ruhigstellen und zur Not sogar am Bett fixieren. Die Nacht wäre umso schrecklicher für sie selbst.
Wortlos verlasse ich das Zimmer und laufe durch die Gänge der Krankenstation, jedoch nicht ziellos. Ich suche das Labor, in dem die Samenspenden aufbewahrt werden. Bei der Suche nach der Zelle von Z318 bin ich bereits an den Laborräumen vorbeigekommen, sodass ich sie auch jetzt bald wiederfinde. Sie sind leicht zu erkennen, da der Zugang durch eine Glastür abgesperrt ist. Jedoch brauche ich nur meinen Daumen auf den Scanner an der Tür zu legen, um mir Zutritt zu verschaffen. Das sind die Momente, in denen ich es wiederum liebe, Legionsführerin zu sein. Normalerweise wären die Laborräume zu dieser späten Tageszeit verlassen, doch heute werden die B-ler die Nacht durcharbeiten. Die Proben müssen nicht nur genommen, sondern auch beschriftet und sortiert werden. Dementsprechend irritiert sind sie auch, mich in ihren Räumen zu sehen. Ich erkenne den leitenden Arzt von den Konferenzen in der Legionsführerkugel wieder. Genau dieser steuert nun auf mich zu. Er verneigt sich respektvoll vor mir.
„Legionsführerin A518, ich grüße Euch.“
„Ich grüße Euch ebenfalls, B210.“
„Was kann ich für Euch tun?“
„Ich wollte euch nur etwas bei der Arbeit zuschauen. Das ist für mich die erste Paarungszeit, die ich aktiv und vor allem als Legionsführerin miterlebe. Ich hoffe, ich störe euch nicht bei eurer Arbeit.“
B210 nickt verständnisvoll. „Eine Legionsführerin stört nie. Wir freuen uns über Ihr Interesse. Sehen Sie sich ruhig um. Aber ich muss jetzt weiter.“
Er nickt mir kurz zu, bevor er eilig das Labor verlässt. Die arbeitenden B-ler wirken weniger erfreut über meinen Besuch. Für sie bin ich ein Störfaktor, zum einen, weil ich im Weg stehe, zum anderen, weil sie sich von mir kontrolliert fühlen. Ich bin sicher, dass jeder von ihnen seine Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen und zur vollsten Zufriedenheit der Legion erledigt, aber ich kann mir gut vorstellen, wie nervös ich gewesen wäre, wenn in der Nahrungsvergabe damals ein Legionsführer aufgetaucht wäre, um unsere Arbeit zu begutachten.
Ich habe jedoch nicht vor, sie lange zu stören, ganz im Gegenteil, mich interessiert im Grunde nur der Ort, an dem die Proben aufbewahrt werden. Das große Regal ist kaum übersehbar. Es thront am Ende des Raums und ist durch eine Glastür verschlossen. Weißer Dampf von der Kühlung wabert rund um den großen Schrank.
Als ich die Tür öffne, gibt sie ein leises Zischen von sich und Kälte schlägt mir entgegen. Alle enthaltenen Reagenzgläser sind nach Klassifizierungen und Bezeichnungen sortiert. Das erste Reagenzglas trägt die Bezeichnung A489, das letzte D599. Es dauert nicht lange, da halte ich bereits das Glas mit dem Etikett D541 in den Händen. Verstohlen blicke ich über meine Schulter, um zu sehen, ob mich jemand beobachtet, doch alle scheinen völlig in ihre Arbeit vertieft. Niemand von ihnen würde je annehmen, dass eine Legionsführerin etwas Unrechtes tun könnte.
Zielstrebig fahre ich die Reihen der Reagenzgläser entlang zu der C-Klassifizierung. C515. Perfekt!
Vorsichtig löse ich beide Etiketten und klebe C515 auf das Reagenzglas von D541 und umgekehrt. Ich stelle das neue D541-Glas zurück.
„Kann ich Ihnen helfen?“, ertönt es hinter mir und ich erschrecke so sehr, dass ich beinahe das Glas hätte fallen lassen. Ein junger B-ler aus meiner Generation hat sich hinter mir aufgebaut. Ich kontrolliere seinen Blick nach Misstrauen, doch er wirkt lediglich höflich und zuvorkommend.
„Ich habe mir nur die Reagenzgläser angesehen. Es ist unglaublich, dass daraus mal ein neuer Mensch entstehen wird.“
„Es sind nicht nur Menschen, sondern bessere Menschen. Wir untersuchen jede Probe auf Krankheiten oder Missbildungen. Bereits jetzt können wir die Größe eines jeden Menschen beeinflussen“, erklärt er stolz. Ich gebe mich weiter interessiert, während ich das Reagenzglas mit der Bezeichnung C515 zurück auf seinen Platz stelle.
„Warum wird nicht auch zum Beispiel die Augenfarbe oder andere Merkmale in den Genen verändert?“
„Würden wir jedes Merkmal gleichsetzen, wäre es nicht mehr möglich, die Verstoßenen zu identifizieren. Nur gute Menschen haben das Recht, das Aussehen der Legion zu tragen.“
Er sieht es als Ehre an, sich nicht von anderen zu unterscheiden. Auf diese Weise habe ich es nie gesehen und könnte es auch nicht. Schon vom ersten Moment an habe ich das warme Braun meiner Augen vermisst. Meine wahre Augenfarbe und nicht das künstliche Lichtblau. Es ist wie eine Maske, die den wahren Menschen dahinter verbirgt.
„Danke für deine Hilfe“, erwidere ich freundlich und verlasse das Labor. Meine Arbeit ist getan. Das ist alles, was ich für Zoe tun kann. Ich kann sie nicht vor einer ungewollten Schwangerschaft bewahren, aber zumindest wird es nun nicht das Kind von irgendjemandem sein, sondern von ihr und Clyde. Seit ich zurück in der Legion bin, habe ich das Gefühl, dass die beiden eine besondere Beziehung zueinander haben. Es sind die kurzen Blicke, die sie einander zuwerfen, und der sanfte Klang ihrer Stimmen, wenn sie miteinander sprechen. Es ist die Sorge, die sie für den anderen hegen. Vielleicht täusche ich mich auch, immerhin habe ich nicht viel Erfahrung, was Gefühle angeht, aber vielleicht ist es gerade das, was mich Wahrheiten leichter erkennen lässt. Uns bleiben neun Monate, um einen Weg zu finden, dass Zoe ihr Kind behalten kann.
Bereits am nächsten Morgen gehen die Paarungskämpfe weiter. Heute habe ich das Gefühl, dass schon etwas mehr Leben in die Zuschauer geraten ist. Sie wirken gespannter auf das Schauspiel als noch am Vortag. Es ist eine Art Vorfreude in der Luft zu spüren, so zart und leicht wie die Flügelschläge eines Schmetterlings.
Heute ist die C-Klassifizierung dran. Obwohl es deutlich weniger C-ler als D-ler gibt, werden die Kämpfe trotzdem den ganzen Tag andauern, da gerade die Kämpfe der C-ler am längsten dauern werden. Sie sind die Erfahrensten von uns allen. Niemand kennt sich besser mit Kampftechniken aus. Ich zweifle nicht einen Moment daran, dass Clyde und Ruby zu den Siegern gehören werden, und genau so kommt es dann auch. Rubys Kampf dauert nur wenige Minuten. Von allen Kämpfern zeigt sie den größten Ehrgeiz. Da sie als Einzige von meinen Freunden aus der vierten Generation stammt, ist sie auch die Einzige, die die Paarungskämpfe schon einmal miterlebt hat, jedoch aus einer passiven Perspektive. Wieder frage ich mich, wie es für sie sein muss, nicht zu wissen, wer ihr Kind ist und wie es ihm geht. An der Art, wie sie kämpft, ohne Gnade oder Mitgefühl, erkenne ich, dass es schrecklich sein muss. Sie wird versuchen zu verhindern, dass ihr so etwas noch einmal widerfährt, koste es, was es wolle.
Am dritten Tag finden die Kämpfe der B-Klassifizierung statt. Sie überdauern lediglich den Vormittag, was daran liegt, dass die B-ler nur wenig trainiert sind. Ihre Qualitäten liegen auf anderen Gebieten, zudem gibt es nur wenige von ihnen. Deshalb nehmen alle Bewohner am Nachmittag für ein paar Stunden ihre Arbeit wieder auf. Eigentlich wollte ich diese Zeit nutzen, um Zoe zu besuchen, doch A350 macht mir einen Strich durch die Rechnung, indem sie mich zwingt, mit ihr die vergangenen Kämpfe zu analysieren. Sie zeigt mir die Schwachstellen der anderen Kämpfer und lobt geschickte Manöver. Der Nachmittag ist schneller vergangen, als ich es mir je hätte träumen lassen.
Erst am vierten Tag beginnen die Paarungskämpfe auch für die wenigen Legionsführer. Es war von vorneherein klar, dass ich gegen A566 antreten würde, denn er ist der einzige andere Legionsführer aus unserer Generation. Als ich ihm in der Arena gegenüberstehe, kann ich an seinem Gesicht deutlich ablesen, dass er sich schon sehr lange auf diesen Kampf gefreut hat. Ich möchte ihm sein dreistes Grinsen mit den Fäusten aus dem Gesicht schlagen, aber allein der Gedanke daran, ihn zu berühren, löst einen Würgereiz in mir aus. Die Computerstimme beginnt unseren Kampf anzusagen: „A566 gegen A518. 3, 2, 1. Los!“
Ich erwarte eigentlich, dass A566 direkt losfeuern wird, doch nichts dergleichen geschieht. Stattdessen scheint er auf meine Initiative zu warten. Vielleicht versucht er so herauszufinden, wie gut ich wirklich bin, um sich dann eine Taktik gegen mich zu überlegen. Mittlerweile sollte er wissen, dass er nicht den Fehler machen darf, mich zu unterschätzen. Aber ich bin sicher, dass auch er vor den Kämpfen mit A489 trainiert hat. A489 hat bei seinem Kampf bereits eine grandiose Leistung gezeigt und natürlich gesiegt. A566 wird ihm nacheifern wollen, zudem dürfte es ihm eine Genugtuung sein, mich zu besiegen. Jedoch habe ich keine Lust, ihn weiter zu umkreisen wie ein scheues Tier, das es nicht wagt anzugreifen. Unerwartet beginne ich loszusprinten, um so mit meiner Geschwindigkeit punkten zu können. Ich denke an A350s Worte, dass jedes Mittel zum Sieg recht ist, und feuere meinen Schuss ab, als er mit dem Rücken zu mir steht. Doch A566 reagiert blitzschnell und schießt gekonnt zurück. Jetzt geht der Kampf erst richtig los.
Es ist deutlich, dass wir beide mit allen Mitteln gewinnen wollen. Aber allein der Gedanke, neun Monate seinen Samen in mir zu tragen, erfüllt mich mit Schwindel.
Doch plötzlich bleibt A566 wie erstarrt stehen und blickt fassungslos in den Himmel hinter mir. Seine Augen sind vor Schreck geweitet. Neugierig drehe ich mich herum. Es ist nichts zu sehen. In diesem Moment stöhnt das Publikum laut auf und beginnt, wild zu schreien. Ich fahre herum und kann gerade noch A566s Strahl ausweichen, der nur knapp mein Ohr verfehlt. Es war ein Trick. Er hat versucht, mich reinzulegen, und er hätte es auch geschafft, wenn die Zuschauer mich nicht gewarnt hätten. Aber sie sind auf meiner Seite. Es ist das erste Mal während der Kämpfe, dass sie für einen Kämpfer Partei ergreifen. Diese Gewissheit erfüllt mich mit neuem Mut. Ich habe nicht vor, ihr Vertrauen in mich zu enttäuschen. Wütend schleudere ich einen Strahl nach dem anderen in A566s Richtung und jage ihn über das Feld, so wie er mich. Wir sind gleich stark, doch ich habe die Unterstützung der Zuschauer. Wann immer ich drohe, langsamer zu werden, feuern sie mich an. Schließlich wird A566 immer langsamer und ich lande einen Treffer. Er kommt völlig unerwartet, aber trifft genau ins Schwarze, auf Höhe seines Herzens. Erschöpft und gedemütigt lässt er sich in den gelben Sand fallen. Das Publikum applaudiert wie nie zuvor. Ich recke ihnen stolz meine Hände entgegen und drehe mich im Kreis, sodass alle mich sehen können. Bereits jetzt fühle ich mich wie eine Gewinnerin. Die Menschen mögen mich und das bedeutet, dass ich alles richtig gemacht haben muss. Egal wie die Kämpfe auch ausgehen werden, das kann mir niemand nehmen.
Da es in der fünften Generation nur einen Kampf unter Legionsführern und in der vierten Generation nur zwei Kämpfe gibt, treten im Verlauf des restlichen Tages die Gewinner der anderen Klassifizierungen gegeneinander an. Dabei besiegt Asha überraschenderweise Clyde. Sie beweist damit, dass man wirklich alles schaffen kann, wenn man es nur will. Am Ende des Tages sind aus der fünften Generation nur noch ein B-ler, eine C-lerin, Asha, Finn, A566 und ich übrig. A566 hat nach dem verlorenen Kampf gegen mich alle übrigen Kämpfe gewonnen und konnte so seine Stellung halten. Das ist der Vorteil eines Legionsführers. Aber ich werde nicht noch einmal gegen ihn kämpfen müssen. Mit nur einem einzigen Kampf führe ich unsere Rangliste an. Es ist im Grunde unfair, vor allem Asha und Finn gegenüber, die so viele Kämpfe bestreiten mussten, um überhaupt erst so weit zu kommen.
Auch Ruby ist in der vierten Generation erfolgreich.
Der fünfte Tag ist der letzte und entscheidendste der Paarungskämpfe. Heute wird der Sieger ermittelt und die letzten Paarungen bekannt gegeben. Ich befinde mich bereits startklar am Rand der Arena, als der Computer den ersten Kampf des Tages verkündet: „A518 gegen D577.“
Ich wusste, dass es irgendwann passieren würde, aber als es dann soweit ist, fühlen sich meine Beine wie Gummi an. Die Welt beginnt, sich um mich zu drehen, und meine Schritte sind nicht einmal halb so stark und würdevoll, wie sie es für eine Legionsführerin sein sollten. Ich gehe gegenüber von Finn in Stellung. Seine Augen blitzen mir vor Aufregung herausfordernd entgegen. Ein freches Grinsen umspielt seine Lippen. Er ist wirklich wieder der Alte. Der neue Finn hätte in dieser Situation niemals lachen können. Es wäre ihm zu ernst gewesen. Fast vermisse ich ihn.
„3, 2, 1. Los!“
Noch ehe ich begreife, was passiert, stürmt Finn auf mich zu und schmeißt mich mit voller Wucht auf den Boden. Er setzt sich auf mich und drückt mich zu Boden, doch ich werde mich nicht kampflos geschlagen geben. So leicht darf ich es ihm nicht machen, das bin ich den Bewohnern der Sicherheitszone schuldig. Ich verpasse ihm eine Kopfnuss und nutze den Moment seiner Irritation, um mich durch einen Schlag mit dem Ellbogen von ihm zu befreien. Ich versuche zu flüchten, doch da packt Finn bereits meinen Fußknöchel und zieht mir förmlich die Füße unter den Beinen weg. Ich schlage hart mit meinem Kinn auf den Sandboden. Blut sickert in meinen Mund und bringt mich zum Röcheln. Aber mir bleibt keine Zeit, um mir weiter Gedanken darüber zu machen, denn schon im nächsten Moment stürzt sich Finn bereits wieder auf mich. Ich trete mit voller Wucht nach ihm und treffe ihn in der Magengegend. Er krümmt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Für einen Augenblick habe ich tatsächlich vergessen, dass es Finn ist, gegen den ich kämpfe. Er hat mich mit einer solchen Intensität angegriffen, dass ich das Gefühl habe, dass er mich hassen muss. Er kämpft anders als alle anderen. Er kämpft mit seinem Körper. Er kämpft so, wie der alte Finn kämpfen würde. Nicht mit Laserwaffen, sondern mit seinen Fäusten. Vielleicht habe ich seine Entschlossenheit falsch gedeutet und das hier ist seine Art, mir zu zeigen, dass er sich erinnert.
Sein Schlag trifft mich ins Gesicht, aber ich spüre keinen Schmerz. Ich suche den Blick in seine Augen. Feuer lodert in ihnen und so viel Wärme, dass mir schwindelig wird. Ich schaffe es nicht, mich aufzurichten, und sacke auf den Boden zurück. Die grellen Deckenleuchten verschwimmen vor meinen Augen. Finn baut sich mit erhobenem Laser vor mir auf. Er hat so gut wie gewonnen. Ich brauche nur liegen zu bleiben und mich erschießen zu lassen und es wird sein Samen sein, der in mir heranwachsen wird. Durch ein Kind werden wir für immer miteinander verbunden sein. Es gibt nichts, was ich mir mehr wünschen würde. Aber nicht so.
Ich trete ihm die Beine weg und zögere nicht einen Moment, ihn zu erschießen. Sein Blick ist entsetzt. Er kann kaum glauben, was gerade passiert ist. Als die Erkenntnis kommt, blickt er mich so fassungslos an, als hätte ich ihn getötet.
Zu Beginn des nächsten Kampfes befinde ich mich bereits wieder neben A350 auf der Tribüne. Ihrem Blick entnehme ich, dass sie mit meiner Leistung mehr als zufrieden ist. Vielleicht hatte sie nicht erwartet, dass ich Finn besiegen würde. Ich hätte es selbst nicht gedacht. Auch wenn er mich nun hasst, bereue ich es nicht. Finn ist ein Feind der Legion. Es würde ihn nicht glücklich machen, mit mir ein Kind zu zeugen auf die Art, wie es die Legion tut. Es wäre für ihn nicht das Gleiche. Es würde ihn immer nur an seine Gefangenschaft erinnern. Ich liebe Finn zu sehr, um ihm das anzutun.
„A566 gegen D560.“
Für einen Moment setzt mein Herzschlag aus. Ich wünschte, ich hätte Asha davor bewahren können, aber als ich sie in die Arena treten sehe, erkenne ich den Stolz und die Entschlossenheit in ihren Augen. Das ist es, was sie von Anfang an wollte. Sie will ihn vor den Augen aller demütigen. SIE, eine unscheinbare und schwache D-lerin, wird IHN, den großen Legionsführer, besiegen. Wenn ich es geschafft habe, A566 zu besiegen, kann sie es auch. Sie ist die Bessere von uns beiden.
„3, 2, 1. Los!“
Sofort löst sich Ashas erster Schuss. Wie einen Feuerball schleudert sie ihn A566 entgegen. Ich habe das Gefühl, nie einen kräftigeren Laserstrahl gesehen zu haben. Ihr Wille muss sich bildlich auf das Gerät übertragen. A566 erwidert genauso verbissen ihren Angriff. Es reicht, dass er von mir besiegt wurde, nun wird er sich nicht auch noch von Asha besiegen lassen. In seinen Augen war sie immer unwürdig und ihm unterlegen. Lieber würde er sich die Zunge abbeißen, als sich von ihr demütigen zu lassen.
Ein Schuss nach dem anderen zischt über das Feld. Die Zuschauer halten angespannt den Atem an. Nie haben sie einen bewegungsreicheren Kampf miterlebt. Erst die Stille in der Arena lässt mich etwas hören, was unter anderem Umständen nie möglich gewesen wäre. Die Laser zischen tatsächlich. Vom Training her weiß ich, dass sie nur zischen, wenn sie aktiviert sind. Deshalb wirkte Ashas Strahl auch stärker als alle anderen. Er ist aktiv. Bereits ihr nächster Schuss ist eine Art Treffer. Sie streift A566s Bein, der sofort vor Schmerz aufheult. Sein weißer Anzug verfärbt sich rot. Es war nie Ashas Ziel, A566 zu besiegen, sondern sie will ihn töten.
Hilfesuchend blicke ich mich auf der Tribüne um. Auch die anderen Legionsführer haben nun bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Sie wirken jedoch völlig ratlos darüber, was jetzt zu tun ist.
„Sie kämpft mit einem aktivierten Laser. Wir müssen den Kampf sofort abbrechen“, stoße ich in Richtung von A233 hervor.
„Aber dann haben wir keine Wertung“, ruft A320 aus. In diesem Moment aktiviert A566 ebenfalls seinen Laser und streift mit seinem Schuss Ashas Ohr.
„Sie werden sich noch weiter verletzen“, kommt mir nun auch A350 besorgt zur Hilfe. Jedoch habe ich meine Zweifel, dass es nur bei Verletzungen bleiben wird.
„Jemand muss sie aufhalten“, schreie ich panisch.
Sofort reißt A233 das Mikrofon an sich. „Der Kampf ist beendet und muss sofort abgebrochen werden!“
Weder Asha noch A566 reagieren auf sie. Sie kämpfen nun um Leben oder Tod. Auch die Zuschauer haben nun bemerkt, was vor sich geht, und brechen in Panik aus. Einige verlassen fluchtartig die Arena, andere sind zu gebannt von dem gefährlichen Schauspiel, als dass sie sich losreißen könnten.
Egal, was A233 ihnen auch befehlen wird, Asha und A566 werden erst aufhören zu kämpfen, wenn einer von ihnen tot am Boden liegt. Ich habe keine Zeit, darauf zu warten, und verlasse hektisch die Tribüne. Ich stolpere über die Treppenstufen in das unterste Stockwerk der Arena. An mir vorbei strömen flüchtende Menschen. Als ich es endlich schaffe, das Kampffeld zu betreten, landet Asha gerade einen Treffer auf A566. Er geht sofort zuckend zu Boden. Es ist mir völlig gleich, was nun aus A566 wird, mir ist nur Asha wichtig. Ich packe sie am Arm und zerre sie hinter mir her aus der Arena. Wenn sie A566 getötet hat, wird die Legion sie ebenfalls umbringen. Wir haben keine Zeit zu verlieren und uns bleibt nur eine einzige Chance: Wir müssen fliehen.