23
Ich war in meinem Zimmer und ließ das trägerlose Kleid über das passende Bustier gleiten, als Gideon hereinkam. Ich hörte buchstäblich auf zu atmen, als ich seine Gestalt im Spiegel sah. Ich verschlang ihn förmlich mit Blicken. Er stand in einem maßgeschneiderten Smoking hinter mir. Dazu trug er eine hübsche graue Fliege, die perfekt zu meinem Kleid passte. Er war einfach atemberaubend. Nie hatte er besser ausgesehen.
»Wow«, hauchte ich verzückt. »Du wirst diese Nacht aber so was von flachgelegt.«
Seine Lippen zuckten. »Bedeutet das, ich kann den Teil mit dem Reißverschluss auslassen?«
»Bedeutet das, wir können unseren Besuch bei dieser Veranstaltung auslassen?«
»Keine Chance, mein Engel. Heute werde ich aller Welt meine Frau vorführen.«
»Es weiß doch niemand, dass ich deine Frau bin.«
» Ich weiß es.« Er trat hinter mich und zog meinen Reißverschluss zu. »Und bald – sehr bald – wird auch die ganze Welt es wissen.«
Ich lehnte mich an ihn und bewunderte unser gemeinsames Bild im Spiegel. Zusammen ergaben wir ein tolles Paar.
Was mich wiederum an andere Bilder denken ließ …
»Versprich mir«, sagte ich, »dass du dir das Video nie ansehen wirst.«
Als er keine Antwort gab, wandte ich mich um und schaute ihm direkt in die Augen. Angesichts seiner verschlossenen Miene flippte ich aus. »Gideon! Hast du es dir etwa schon angesehen?«
Sein Kinn arbeitete. »Nur ein oder zwei Minuten. Keine eindeutigen Szenen. Gerade so viel, um zu überprüfen, ob es sich auch wirklich um das bewusste Filmmaterial handelte.«
»O mein Gott. Versprich mir, dass du es dir nie ansehen wirst.« Meine Stimme wurde laut und schrill, weil mich Panik erfasste. »Versprich es mir!«
Seine Hände umfassten meine Handgelenke und drückten heftig genug zu, dass ich den Atem anhielt. Ich sah ihn mit großen Augen an, verwirrt von der plötzlichen Aggression.
»Beruhige dich«, sagte er leise.
Eine seltsame Wärme breitete sich von der Stelle aus, wo er mich berührte. Mein Herz schlug schneller, aber auch gleichmäßiger. Ich starrte auf unsere Hände, sein Rubinring zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Rot. Wie die Handschellen, die er mir gekauft hatte. Ich fühlte mich gefangen und gefesselt, und es beruhigte mich auf eine Weise, die ich nicht verstand.
Aber Gideon tat es offenbar.
Mir wurde klar, dass ich deshalb solche Angst davor gehabt hatte, ihn so schnell zu heiraten. Er nahm mich mit auf eine Reise mit unbekanntem Ziel, und ich hatte mich einverstanden erklärt, ihm blindlings zu folgen. Es ging nicht darum, wie wir als Paar enden würden, denn das stand nie infrage. Wir waren voneinander besessen, voneinander abhängig, so erbarmungslos wie Süchtige. Aber ich wusste nicht, wo ich am Ende stehen würde, wer ich schließlich sein würde.
Gideons Verwandlung war fast gewaltsam vor sich gegangen. Sie war in einem Augenblick scharfer Erkenntnis erfolgt, als er verstanden hatte, dass er nicht ohne mich leben wollte und konnte. Meine Veränderung fand eher langsam statt, in so winzigen Schritten, dass ich geglaubt hatte, mich überhaupt nicht ändern zu müssen.
Aber ich irrte mich.
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und sprach mit festerer Stimme. »Gideon, hör mir zu. Was immer auf diesem Video zu sehen ist, es ist nichts im Vergleich zu dem, was du und ich miteinander teilen. Die einzigen Erinnerungen, die du meiner Meinung nach haben solltest, sind diejenigen, die wir uns schaffen. Was wir zusammen haben … das ist das Einzige, was real ist. Das Einzige, was zählt. Also bitte … versprich es mir.«
Er schloss für einen kurzen Moment die Augen, dann nickte er. »Na gut. Ich verspreche es.«
Ich atmete erleichtert aus. »Danke.«
Er hob meine Hände an die Lippen und küsste sie. »Du gehörst mir, Eva.«
In stillem, gegenseitigem Einvernehmen nahmen wir davon Abstand, uns in der Limousine noch einmal durcheinanderzubringen, bevor wir uns zum ersten Mal als verheiratetes Paar in der Öffentlichkeit präsentierten. Ich war nervös. Ein oder zwei Orgasmen hätten die Anspannung zwar lindern können, aber nicht perfekt auszusehen, hätte sie wiederum nur noch gesteigert. Außerdem hätten die Leute es bemerkt. Mein silbernes Kleid war schon sehr auffällig mit seinem seidigen Schimmer und der kurzen Schleppe, aber mein Begleiter und Ehemann war ein Accessoire, das man unmöglich übersehen konnte.
Alle Aufmerksamkeit würde sich auf uns richten, und Gideon schien entschlossen zu sein, dass das auch so blieb. Er half mir aus der Limousine, als wir in der Fifth Avenue am Central Park South angelangt waren, und nahm sich einen Augenblick Zeit, um mit seinen Lippen meine Schläfe zu berühren. »Dieses Kleid wird auf dem Schlafzimmerboden umso atemberaubender aussehen.«
Ich lachte über diesen kitschigen Spruch, was er auch beabsichtigt hatte, und prompt setzte das blendende Blitzlichtgewitter der Kameras ein. Als er sich von mir abwandte, wich alle Wärme aus seinem Gesicht, und seine schönen Züge nahmen einen verschlossenen Ausdruck an. Er legte mir die Hand ins Kreuz und führte mich über den roten Teppich ins Cipriani’s.
Drinnen fand er bald ein geeignetes Plätzchen für uns, und dort blieben wir etwa eine Stunde lang stehen, während sich Geschäftspartner und Bekannte um uns scharten. Er wollte mich an seiner Seite haben und sich zugleich an meiner Seite zeigen, wie er mir nach einiger Zeit bewies, als wir uns auf die Tanzfläche begaben.
»Stell mich vor«, sagte er einfach, und ich folgte seinem Blick. Dort standen Christine Field und Walter Leaman von Waters Field & Leaman lachend mit einer Gruppe anderer Leute zusammen. Christine strahlte zurückhaltende Eleganz aus in ihrem perlenbesetzten und bodenlangen schwarzen Kleid, das ihren gesamten Körper bedeckte und nur den Rücken freiließ. Walter, ein groß gewachsener Mann, wirkte in seinem gut geschnittenen Smoking und der Fliege erfolgreich und selbstbewusst.
»Sie wissen, wer du bist«, antwortete ich.
»Aber wissen sie auch, wer ich für dich bin?«
Ich zog die Nase etwas kraus, denn mir wurde klar, dass sich mein gewohntes Leben als Single-Frau drastisch verändern würde, wenn ich nun die Identität der Eva Cross annahm. »Komm, Ace.«
Wir gingen hinüber, vorbei an runden Tischen mit weißen Tischtüchern und etlichen Kandelabern, die mit Blumengirlanden geschmückt waren. Der Raum war erfüllt von ihrem wundervollen Duft.
Meine Chefs bemerkten natürlich zuerst Gideon. Ich glaube sogar, sie erkannten mich erst, als Gideon offensichtlich darauf wartete, dass ich als Erste das Wort ergriff.
»Guten Abend«, sagte ich und schüttelte Christine und Walter die Hand. »Sie beide kennen ja Gideon Cross, meinen …«
Ich machte eine Pause, und mein Gehirn kam mit quietschenden Reifen zum Stehen.
»Verlobten«, beendete Gideon den Satz, und sie schüttelten sich die Hände.
Man gratulierte uns, ihr Lächeln wurde breiter, die Augen strahlender.
»Das bedeutet doch hoffentlich nicht, dass wir Sie verlieren, oder doch?« fragte Christine, deren tropfenförmige Diamantohrringe im sanften Licht der Kronleuchter funkelten.
»Nein. Ich gehe nirgendwo hin.«
Das brachte mir einen heftigen Kniff in den Hintern von Gideon ein.
Eines Tages würden wir uns auch mit dem Thema Arbeit befassen müssen, aber ich hoffte, ihn zumindest bis nach unserer Hochzeit hinhalten zu können.
Wir unterhielten uns über die Kingsman-Vodka-Kampagne, was vornehmlich dem Zweck diente, die gute Arbeit von Waters Field & Leaman zu betonen und weitere Aufträge von Cross Industries an Land zu ziehen. Gideon kannte diese Spielchen natürlich und beherrschte sie. Er war höflich, charmant und ganz offensichtlich ein Mann, der sich nicht so leicht beeinflussen ließ.
Danach ging uns der Gesprächsstoff aus. Gideon entschuldigte uns.
»Lass uns tanzen«, flüsterte er mir ins Ohr. »Ich will dich im Arm halten.«
Wir gingen auf die Tanzfläche, wo Cary die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich zog, weil er mit einem atemberaubenden Rotschopf tanzte. Blasse, wohlgeformte Beine blitzten hinter dem gewagten Schlitz ihres smaragdgrünen Kleides auf. Er wirbelte sie herum, dann neigte er sie nach hinten – zweifelsohne weltmännisch und gewandt.
Trey hatte wegen eines Abendseminars nicht kommen können, was ich bedauerte. Zugleich tat es mir leid, dass ich froh darüber war, nicht Tatiana an Carys Seite hier zu sehen. Wegen dieser Gedanken fühlte ich mich stutenbissig, und eigentlich war mir ein solches Verhalten immer verhasst gewesen.
»Sieh mich an.«
Ich hob den Kopf und folgte Gideons Aufforderung. Seine Augen ruhten auf mir.
»Hi, Ace.«
Seine Hand lag auf meinem Rücken, die andere hielt die meine fest, und wir schwebten lässig über die Tanzfläche.
»Crossfire«, flüsterte er und verschlang mich mit heißen Blicken.
Ich berührte seine Wange mit den Fingerspitzen. »Wir lernen aus unseren Fehlern.«
»Du hast meine Gedanken gelesen.«
»Das fühlt sich gut an.«
Er lächelte, die Augen so blau und das Haar so verdammt sexy, dass ich am liebsten hier und jetzt meine Finger hineinvergraben hätte. Er zog mich dichter zu sich heran. »Nicht so gut, wie du dich anfühlst.«
Wir blieben zwei Lieder lang auf der Tanzfläche. Dann endete die Musik, und der Bandleader trat ans Mikrofon, um eine Ankündigung zu machen: Das Abendessen wurde jetzt serviert. An unserem Tisch saßen meine Mutter und Richard, Cary, ein plastischer Chirurg und seine Frau und ein Typ, der behauptete, gerade die Pilotfolge zu einer neuen Fernsehserie gedreht zu haben, von der er sich eine längere Laufzeit erhoffte.
Das Essen war asiatisch angehaucht, und ich aß alles auf, weil es gut schmeckte und die Portionen nicht allzu groß waren. Gideon hatte unter dem Tisch die Hand auf meinen Schenkel gelegt, sein Daumen beschrieb sanfte kleine Kreise, unter denen ich mich wand.
Er beugte sich zu mir herüber. »Sitz still!«
»Dann hör auf!«, flüsterte ich zurück.
»Zappel nur weiter so, dann stecke ich meinen Finger in dich hinein.«
»Das würdest du nicht wagen.«
Er grinste. »Fordere mich heraus.«
Weil ich es ihm glatt zutraute, blieb ich also still sitzen, obwohl es mich fast umbrachte.
»Entschuldigt mich«, sagte Cary plötzlich und schob seinen Stuhl zurück.
Ich beobachtete, wie er davonging und seinen Blick auf einen Tisch in der Nähe richtete. Als der Rotschopf in Grün ihm ein paar Augenblicke später folgte, und sie beide den Raum verließen, war ich nicht allzu überrascht, aber sehr enttäuscht. Ich wusste, dass die Situation mit Tatiana ihn stresste und dass gedankenloser Sex Carys Allheilmittel war, aber es schadete seinem Selbstwertgefühl und schuf nur mehr Probleme, als es löste. Zum Glück würden wir in ein paar Tagen zu Dr. Travis fahren.
Ich beugte mich zu Gideon und flüsterte: »Cary und ich fahren dieses Wochenende nach San Diego.«
Sein Kopf wirbelte herum. »Das sagst du mir jetzt ?«
»Na ja, in dem Durcheinander mit deinen Exgeliebten und meinem Ex, meinen Eltern, Cary und allem anderen ist mir das immer wieder entfallen! Ich dachte, es wäre besser, es dir zu sagen, ehe ich es wieder vergesse.«
»Mein Engel …« Er schüttelte den Kopf.
»Warte einen Moment.« Ich stand auf. Ich musste ihm auch noch in Erinnerung rufen, dass Brett gleichzeitig Station in San Diego machen würde, aber zuerst musste ich Cary einfangen.
Er sah mich fragend an und erhob sich ebenfalls.
»Ich bin gleich zurück«, sagte ich und fügte sehr leise hinzu. »Ich muss einen Schwanz bei der Arbeit stören.«
»Eva …«
Ich hörte den warnenden Unterton in seiner Stimme, ignorierte ihn aber. Dann hob ich das Kleid und eilte Cary hinterher. Ich war gerade aus dem Ballsaal heraus, als ich auf ein vertrautes Gesicht traf.
»Magdalene«, rief ich überrascht und blieb stehen. »Ich wusste ja gar nicht, dass Sie auch hier sind.«
»Gage musste länger arbeiten, deshalb sind wir etwas spät dran. Ich habe das Abendessen komplett verpasst, aber immerhin habe ich einen von diesen Schokoladenmousse-Dingern bekommen, die sie zum Dessert serviert haben.«
»Superlecker«, meinte ich.
»Absolut.« Magdalene lächelte.
Ich dachte bei mir, dass sie wirklich gut aussah. Weicher, netter, und doch immer noch atemberaubend und heißblütig in ihrem roten Spitzenkleid, das eine Schulter frei ließ. Ihr dunkles Haar umrahmte ein zartes Gesicht und karmesinrote Lippen. Es hatte ihr gutgetan, sich von Christopher Vidal zu lösen. Und dabei half ihr sicher auch der neue Mann in ihrem Leben. Ich erinnerte mich daran, dass sie einen Typen namens Gage erwähnt hatte, als sie mich vor ein paar Wochen im Büro besucht hatte.
»Ich habe Sie mit Gideon zusammen gesehen«, sagte sie. »Und ich habe Ihren Ring bemerkt.«
»Sie hätten zu uns kommen und Hallo sagen sollen.«
»Ich war mit meinem Dessert beschäftigt.«
Ich lachte. »Eine Frau muss klare Prioritäten setzen.«
Magdalene streckte die Hand aus und berührte mich kurz am Arm. »Ich freue mich für Sie, Eva. Und für Gideon.«
»Danke. Sie sollten an unserem Tisch vorbeikommen und ihm das sagen.«
»Das werde ich. Bis später also.«
Sie schritt davon, und ich sah ihr einen Augenblick lang hinterher. Ich war zwar immer noch misstrauisch, aber vielleicht war sie ja doch nicht ganz so schlimm.
Blöderweise hatte ich durch das Zusammentreffen mit Magdalene Cary aus den Augen verloren. Als ich meine Jagd nach ihm wieder aufnehmen konnte, hatte er sich schon aus dem Staub gemacht.
Ich kehrte also zu Gideon zurück und sah dabei im Geiste vor mir, wie ich Cary einen ordentlichen Arschtritt verpassen würde. Plötzlich stellte sich mir Elisabeth Vidal in den Weg.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich, denn ich hätte sie fast über den Haufen gelaufen.
Sie packte mich am Ellbogen und zog mich in eine dunkle Ecke. Dann ergriff sie meine Hand und sah sich den prächtigen Asscher-Diamant an. »Das ist mein Ring.«
Ich riss mich los. »Das war Ihr Ring. Jetzt gehört er mir. Ihr Sohn hat ihn mir gegeben, als er mich bat, ihn zu heiraten.«
Sie sah mich mit jenen blauen Augen an, die denen ihres Sohnes so sehr ähnelten. Und Irelands Augen. Sie war eine schöne Frau, bezaubernd und elegant. Eine ebenso auffällige Erscheinung wie meine Mutter, wirklich, aber sie konnte genauso eiskalt sein wie Gideon.
»Ich werde nicht zulassen, dass Sie ihn mir wegnehmen«, stieß sie zwischen ihren blendend weißen Zähnen hervor.
»Das haben Sie missverstanden.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich möchte Sie beide zusammenbringen, damit wir offen über alles sprechen können.«
»Sie reden ihm irgendwelche Lügen ein.«
»O mein Gott, meinen Sie das etwa ernst? Wenn er Ihnen das nächste Mal erzählt, was passiert ist – und ich werde dafür sorgen, dass er es Ihnen erzählt –, dann sollten Sie ihm besser glauben. Und Sie werden sich entschuldigen und irgendeinen verdammten Weg finden, um es erträglicher für ihn zu machen. Denn ich will, dass er heilt, dass er gesund wird und sich wieder vollständig fühlt.«
Elisabeth starrte mich an. Sie kochte vor Wut. Offensichtlich hielt sie von meinem Plan nicht allzu viel.
»Sind wir fertig?«, fragte ich, angewidert von ihrer vorsätzlichen Blindheit.
»Nicht annähernd«, zischte sie und beugte sich zu mir vor. »Ich weiß von Ihnen und diesem Sänger. Ich behalte Sie im Auge.«
Ich schüttelte den Kopf. Hatte Christopher ihr davon erzählt? Was genau mochte er ihr gesagt haben? Da ich wusste, was er Magdalene angetan hatte, traute ich ihm praktisch jede Schandtat zu.
»Unglaublich. Sie glauben die Lügen und ignorieren die Wahrheit.« Ich wandte mich ab, aber dann blieb ich doch noch einmal stehen. »Wissen Sie, was wirklich interessant ist? Nachdem ich Sie beim letzten Mal mit der Wahrheit konfrontiert habe, haben Sie Gideon nicht ein einziges Mal gefragt, was wirklich geschehen ist. ›Hey, mein Sohn, deine verrückte Freundin hat mir gerade diese verrückte Geschichte erzählt.‹ Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum Sie ihn nicht darauf angesprochen haben. Und ich vermute mal, Sie werden es mir auch jetzt nicht erklären, oder?«
»Fahren Sie zur Hölle.«
»Ja. Das habe ich mir schon gedacht.«
Ich ließ sie stehen, bevor sie den Mund noch einmal öffnen und mir den Abend verderben konnte.
Als ich auf unseren Tisch zuging, entdeckte ich zu meinem Leidwesen Deanna Johnson auf meinem Platz. Sie unterhielt sich mit Gideon.
»Das ist doch wohl ein Scherz«, murmelte ich. Meine Augen verengten sich, als die Reporterin im Gespräch immer wieder ihre Hand auf seinen Unterarm legte. Cary war fort und tat, was er nicht tun sollte. Meine Mom und Stanton waren auf der Tanzfläche, und schon hatte sich Deanna wie eine Schlange angeschlichen.
Was immer Gideon denken mochte, für mich war es offensichtlich, dass ihr Interesse an ihm so groß war wie eh und je. Zwar ermutigte er sie keineswegs, sondern hörte nur zu, was sie zu sagen hatte, aber allein die Tatsache, dass er ihr seine Aufmerksamkeit schenkte, bestätigte sie in ihrem Vorgehen.
»Sie soll eine Granate im Bett sein. Er fickt sie häufig.«
Ich erstarrte und wandte mich der Frau zu, die mich angesprochen hatte. Es war Carys Rotschopf, die den erhitzten, strahlenden Gesichtsausdruck einer Frau trug, die gerade einen hübschen, kleinen Orgasmus gehabt hatte. Doch sie war älter, als ich aus der Ferne zuerst vermutet hatte.
»Sie sollten auf ihn aufpassen«, sagte sie und sah Gideon an. »Er benutzt Frauen nur. Ich habe es miterlebt – mehr als einmal.«
»Ich kann auf mich aufpassen.«
»Das sagen sie alle.« Ihr mitfühlendes Lächeln ging mir gegen den Strich. »Ich kenne zwei Frauen, die seinetwegen schwere Depressionen hatten, und die sind bestimmt nicht die Letzten.«
»Sie sollten nicht auf Klatsch und Tratsch hören«, erwiderte ich scharf.
Sie ging mit einem aufreizend heiteren Lächeln davon und strich sich übers Haar, während sie zwischen den Tischen hindurch zu ihrem eigenen zurückkehrte. Erst als sie schon den halben Raum durchquert hatte, konnte ich ihr Gesicht einordnen.
»Scheiße.«
Ich eilte zu Gideon zurück. Er stand auf, als ich an den Tisch trat.
»Ich brauche dich ganz schnell«, sagte ich forsch, bevor ich die Brünette auf meinem Stuhl eines Blickes würdigte. »Deanna. Es ist mir immer wieder ein Vergnügen, Sie zu sehen.«
Sie ignorierte die Spitze. »Hi, Eva. Ich wollte gerade gehen …«
Aber ich hörte sie schon nicht mehr. Ich zerrte an Gideons Hand. »Komm schon.«
»Okay. Sofort, warte.« Er sagte etwas zu Deanna, aber ich verstand es nicht, sondern zog ihn mit mir fort. »Zum Teufel, Eva. Warum die Eile?«
An der Wand blieb ich stehen und sah mich auf der Suche nach Grün und Rot im Raum um. Eigentlich hätte er seine frühere Geliebte doch erkennen müssen – wenn sie ihn nicht bewusst gemieden hatte. Natürlich sah sie jetzt vollkommen anders aus ohne ihren früheren Kurzhaarschnitt. Ihren weißhaarigen Mann hatte ich ebenfalls nicht entdeckt, denn mit ihm an ihrer Seite hätte ich sie sicher schon früher identifiziert.
»Weißt du, ob Anne Lucas hier ist?«
Sein Griff wurde fester. »Ich habe sie nicht gesehen. Warum?«
»Smaragdgrünes Kleid, langes rotes Haar. Hast du diese Frau gesehen?«
»Nein.«
»Sie hat vorhin mit Cary getanzt.«
»Ich habe nicht darauf geachtet.«
Ich sah ihn an, immer erregter. »Mein Gott, Gideon. Sie war doch kaum zu übersehen.«
»Vergib mir, weil ich nur Augen für meine Frau habe«, sagte er trocken.
Ich drückte seine Hand. »Tut mir leid. Ich muss einfach nur wissen, ob sie es war.«
»Erkläre mir, wieso. Hat sie dich angesprochen?«
»Ja. Sie hat irgendeinen Mist über dich erzählt und sich dann wieder verdrückt. Ich glaube, Cary hat sich zuvor mit ihr davongeschlichen. Du weißt schon, für einen Quickie.«
Gideons Miene wurde hart. Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Raum zu, durchkämmte ihn von einer Seite zur anderen mit langsamem, suchendem Blick. »Ich sehe sie nicht. Und niemanden, auf den deine Beschreibung passt.«
»Ist Anne nicht Therapeutin?«
»Psychiaterin.«
Ich hatte ein ungutes Gefühl, das mich ganz nervös machte. »Können wir jetzt gehen?«
Er musterte mich. »Was hat sie zu dir gesagt?«
»Nichts, was ich nicht schon mal gehört hätte.«
»Wie beruhigend«, murmelte er. »Ja, lass uns gehen.«
Wir kehrten an unseren Tisch zurück, um meine Handtasche zu holen, und verabschiedeten uns von den anderen Gästen.
»Kann ich mit euch fahren?«, fragte Cary, nachdem ich meine Mutter zum Abschied umarmt hatte.
Gideon nickte. »Natürlich, komm mit.«
Angus schloss die Tür der Limousine.
Cary, Gideon und ich machten es uns auf den Rücksitzen bequem, und nur wenige Augenblicke später entfernten wir uns vom Cipriani’ s und reihten uns in den Verkehr ein.
Mein bester Freund warf mir einen Blick zu. »Fang gar nicht erst an.«
Er verabscheute es, wenn ich ihn wegen seines Verhaltens zusammenstauchte, und ich machte ihm daraus keinen Vorwurf. Ich war schließlich nicht seine Mutter. Aber ich liebte ihn, und ich wünschte ihm nur das Beste. Ich kannte seine selbstzerstörerischen Neigungen, wenn niemand auf ihn achtete.
Aber das war im Augenblick nicht meine größte Sorge.
»Wie hieß sie?«, fragte ich und betete, dass er ihren Namen kannte, damit ich den Rotschopf ein und für alle Mal identifizieren konnte.
»Ist doch egal!«
»Mein Gott.« Ruhelos knetete ich meine Handtasche. »Weißt du es jetzt oder nicht?«
»Ich habe sie nicht gefragt«, gab er zurück. »Lass es jetzt gut sein.«
»Achte auf deinen Ton, Cary«, tadelte Gideon ihn leise. »Du hast ein Problem, na gut. Aber lass es nicht an Eva aus, weil sie sich um dich sorgt.«
Cary biss die Zähne zusammen und sah aus dem Fenster.
Ich lehnte mich zurück, und Gideon legte den Arm um meine Schulter. Seine Hand streichelte meinen nackten Oberarm.
Auf der ganzen Fahrt nach Hause sagte keiner von uns mehr ein Wort.
Als wir in meiner Wohnung ankamen, ging Gideon in die Küche, um sich eine Flasche Wasser zu holen, und musste sogleich wieder telefonieren. Unsere Blicke trafen sich über den Küchentresen und die wenigen Meter, die uns trennten, hinweg.
Cary stolzierte in Richtung Schlafzimmer, im Flur drehte er sich plötzlich auf dem Absatz um und kam zurück, um mich zu umarmen. Sehr fest.
Er vergrub sein Gesicht an meiner Schulter und flüsterte: »Tut mir leid, Baby.«
Ich erwiderte seine Umarmung. »Du hast etwas Besseres verdient als die Art und Weise, wie du dich selbst behandelst.«
»Ich habe es nicht mit ihr getrieben«, sagte er leise und sah mir in die Augen. »Ich hatte es vor. Ich glaubte, es zu wollen. Aber als es dann so weit war, kam mir der Gedanke, dass ich ein Kind erwarte. Ein Kind , Eva. Und ich will nicht, dass er – oder sie – so aufwächst wie ich und so von mir denkt wie ich von meiner Mom. Ich muss meine Scheiße geregelt kriegen.«
Ich umarmte ihn erneut. »Ich bin stolz auf dich.«
»Ja, na ja …« Er sah verlegen aus. »Ich habe ihr einen gerubbelt, denn schließlich hatte ich es ja schon so weit kommen lassen, aber mein Schwanz blieb in der Hose.«
»So genau wollte ich es gar nicht wissen, Cary«, sagte ich. »Wirklich nicht.«
»Fliegen wir trotzdem morgen nach San Diego?« Er blickte mich so hoffnungsvoll an, dass es mir einen Stich versetzte.
»Zum Teufel, ja natürlich. Ich freue mich drauf.«
Er grinste erleichtert. »Gut. Ich habe uns für acht Uhr dreißig einen Flug gebucht.«
In diesem Augenblick kam Gideon zu uns, und sein Blick sagte mir, dass wir über meinen Kurzurlaub am Wochenende noch reden würden. Aber als Cary den Flur hinabging, um sich auf sein Zimmer zurückzuziehen, schnappte ich mir Gideon und küsste ihn stürmisch, um dieses Gespräch noch etwas hinauszuzögern.
Wie ich gehofft hatte, zog er mich gleich in seine Arme und übernahm die Führung. Er eroberte meine Lippen, und seine lüsterne Zunge drang tief in meinen Mund ein.
Ich stöhnte und ließ mich von ihm mitreißen. Sollte die Welt doch heute verrücktspielen. Morgen konnte ich mich damit und mit all unseren anderen Problemen immer noch befassen.
Ich packte seine Krawatte. »Heute Nacht gehörst du mir.«
»Ich gehöre dir jede Nacht«, sagte er mit jener warmen, rauen Stimme, die die wildesten Fantasien in mir entfachte.
»Dann fang jetzt an.« Ich ging rückwärts und zog ihn in mein Schlafzimmer. »Und hör nicht auf.«
Das tat er nicht. Bis zum Morgen.
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