3
Nach einer schrecklichen Stille sank eine Frau in einen Sessel nieder und sagte: »Wir dachten, Sie wären oben, auf der Fingal-Straße. Wir haben eine Projektion auf der Fingal-Straße.«
»Wie haben Sie uns gefunden?« fragte ein Mann. Ihre Stimmen, die eher zu Halbwüchsigen paßten, vermischten sich zu einem Chor.
Aus dem Stimmenwirrwarr konnte er einen angemessenen Teil herausfiltern. Eine Versammlung. Geheim, hier unten im Lagerhausviertel. Ihrer Abgeschiedenheit so sicher, daß sein Kommen nicht registriert worden war.
Shupo. Das war das Wort für ihn gewesen.
Langsam und betont sagte Parsons: »Ich bin nicht Shupo.« Was immer das war.
Augenblicklich reckten sie alle Hälse. Alle Augen richteten sich wieder auf ihn, diese schwarzen, großen, jugendlichen Augen.
Ein Mann sagte voller Bitterkeit: »Wer bohrt sonst durch Türen?«
»Er bohrt nicht nur«, sagte ein Mädchen, »sondern er ist auch maskiert.«
Sie nickten. Ihre Besorgnis war von Widerwillen eingefärbt.
»Diese unglaublich weiße Maske«, sagte ein Mädchen.
»Wir hatten auch Masken«, sagte ein Mann. »Letztes Mal.«
»Oftmals«, warf ein anderer ein, »tragen wir Masken, wenn wir draußen sind.«
Er war offenbar in eine konspirative Randgruppe gestolpert, die außerhalb des Gesetzes arbeitete. Verschwörerisch … möglicherweise politisch … und gefährdet. Bestimmt waren sie nicht in der Position, ihn zu bedrohen. Glück für mich, entschied er.
»Lassen Sie uns ihr wahres Gesicht sehen«, verlangte ein Mann. Jetzt lärmten sie alle mit wachsender Empörung.
»Dies ist mein wahres Gesicht«, sagte er.
»So ganz weiß?«
»Und hört nur, wie er redet«, sagte ein anderer. »Sprachbehinderung.«
»Auch teilweise taub«, sagte jemand anders, ein Mädchen. »Dadurch bekommt er nicht einmal die Hälfte von dem mit, was gesagt wird.«
»Ein richtiger Quivak«, sagte ein Junge verletzend.
Ein kleiner Jugendlicher mit scharf geschnittenem Gesicht stolzierte zu Parsons heran. Mit Verachtung in der schleppenden, schmeichlerischen Stimme sagte er dicht vor Parsons Gesicht: »Bringen wir es hinter uns.« Er hielt seinen rechten Daumen hoch.
»Schneid ihn ab«, sagte ein Mädchen mit blitzenden Augen. »Los. Schneid ihn jetzt gleich ab!«
So, dachte Parsons. Politische Verbrecher werden in dieser Gesellschaft also verstümmelt. Uralte Bestrafung. Er verspürte tiefe Abscheu. Barbarisch … und diese Tier-Totems. Rückkehr zu Stammesriten.
Und auf dem Highway der Junge, der geglaubt hat, ich wollte getötet werden. Der versucht hat, mich zu überfahren, und dann verblüfft war, als ich auswich.
Er dachte: Und ich habe die Stadt so schön gefunden.
Abseits, in einer Ecke, stand ein Mann, der nichts gesagt hatte, der an seinem Drink nippte und zusah. Seine dunklen, ernsten Züge zeigten einen ironischen Ausdruck. Von ihnen allen schien er der einzige zu sein, der seine Gefühle unter Kontrolle hatte. Jetzt kam er auf Parsons zu und erhob zum ersten Mal die Stimme.
»Sie haben nicht damit gerechnet, hier jemanden vorzufinden«, sagte er. »Sie haben gedacht, dies sei ein leeres Lagerhaus.«
Parsons nickte.
»Die einzigartige Gesichtsfärbung Ihrer Art ist meiner Kenntnis nach«, fuhr der Mann fort, »die Folge einer hochgradig ansteckenden Seuche. Aber Sie scheinen gesund zu sein. Mir fällt auch auf, daß Sie unpigmentierte Augen haben.«
»Blau«, berichtigte ein Mädchen.
»Das ist unpigmentiert«, sprach der kräftig gebaute Mann weiter. »Was mich am meisten interessiert, ist Ihre Kleidung. Ich würde auf 1910 tippen.«
Mit Bedacht sagte Parsons: »Eher 2010.«
Der Mann lächelte schwach. »Aber nicht weit davon entfernt.«
»Und was für eine Zeit ist dies hier?« fragte Parsons.
Die schwarzen Augen flackerten. »Ah«, sagte er und wandte sich der Gruppe zu. »Nun, amici, die Sache ist weniger bedrohlich, als ihr es euch vorstellt. Wir haben es hier mit einer weiteren Tempus-Pfuscherei zu tun. Ich schlage vor, wir verschließen die Tür wieder und setzen uns dann hin und beruhigen uns.« Zu Parsons sagte er: »Wir schreiben das Jahr 2405. Sie sind die erste Person, soviel ich weiß. Bisher waren es nur Dinge. Verdrängungen. Soll angeblich natürlich sein, was aber grotesk ist. Frösche, eine ausgestorbenen Gattung, fallen auf die Straße. Das war die Vorwarnung für unsere Wissenschaftler. Steine. Trümmer. Krimskrams. Verstehen Sie?«
»Ja«, sagte Parsons zögernd.
Der Mann zuckte mit den Schultern. »Aber keiner weiß, warum.« Wieder lächelte er Parsons an. »Ich heiße Wade«, sagte er. »Und Sie?«
»Parsons.«
»Willkommen«, sagte Wade und hob die offene Handfläche. »Oder womit macht man’s bei euch? Mit den Nasen? Wie auch immer. Wollen Sie sich uns nicht anschließen? Ich meine nicht irgendwelche Lustbarkeiten dieser Party, sondern den Anschluß auf anderer Ebene.«
»Der politischen«, sagte Parsons.
»Ja, um die Gesellschaft zu verändern. Ich bin hier der Anführer, ich leite diese … Wie heißt Ihr altes Wort dafür? Zille? Zoll?«
»Zelle«, sagte Parsons.
»Ganz recht«, räumte Wade ein. »Wie bei den Bienen, mein Lieber. Wollen Sie unser Programm hören? Es wird Ihnen kaum etwas sagen. Ich schlage vor, Sie gehen raus. Wir sind in Gefahr.«
Parsons sagte: »Ich habe dort draußen Ärger gehabt. Ich bin ebenfalls in Gefahr.« Er zeigte auf sein Gesicht. »Lassen Sie mir wenigstens Zeit, meine Gesichtsfarbe zu verändern.«
»Kaukasisch«, sagte Wade und ließ das Wort auf der Zunge zergehen, als er es finster dreinblickend aussprach.
»Geben Sie mir eine halbe Stunde«, sagte Parsons knapp.
Wade machte eine einladende Geste. »Seien Sie unser Gast.« Er betrachtete Parsons genau. »Wir – sie, wenn Sie so wollen – haben starre Normen. Vielleicht können Sie sich anpassen. Unglücklicherweise dürfte das jedoch nicht einfach sein. Hier herrscht ein starres Freund-Feind-Denken. So etwas wie eine Mitte kennt man nicht.«
»Mit anderen Worten«, sagte Parsons, während er seine Anspannung und Abneigung wachsen spürte, »es ist wie in allen primitiven Gesellschaften. Der Fremde wird als nichtmenschlich eingestuft und beim ersten Anblick getötet, nicht wahr? So wie alles Unbekannte.« Seine Hände zitterten. Er kramte eine Zigarette hervor und steckte sie an, versuchte sich damit zu beruhigen. »Euer Totem-Sinnbild«, sagte er, wobei er auf Wade deutete. »Der Adler. Ihr verherrlicht Adler-Eigenschaften? Unbarmherzigkeit und Schnelligkeit?«
»Nicht ganz«, sagte Wade. »Alle Stämme sind vereinigt und haben die gleiche Weltanschauung. Wir wissen nichts über Adler. Unsere Stammesnamen wurzeln im Zeitalter der Dunkelheit, das dem H-Krieg gefolgt ist.«
Parsons kniete sich hin und öffnete seinen Instrumentenkoffer. So schnell wie möglich breitete er seine Hautsprays aus. Wade und die anderen sahen eine Weile zu, verloren dann aber offenbar das Interesse. Ihr Gespräch ging weiter. Er dachte: Kurze Aufmerksamkeitsspanne. Wie bei Kindern. Nein, sie sind Kinder. Bisher hatte er niemanden über zwanzig gesehen. Wade stellte voll und ganz den Habitus, die sich vornehm gebende, Bildung versprühende Wichtigtuerei eines linksorientierten Collegestudenten im zweiten Semester zur Schau. Natürlich hatte er bisher noch keinen richtigen Vertreter dieser Spezies gesehen. Diese Gruppe, der Junge auf dem Highway … Plötzlich ging die Tür auf. Eine Frau trat ein. Bei Parsons Anblick blieb sie stehen. »Oh«, keuchte sie. Ihre dunklen Augen weiteten sich vor Staunen. »Wer …?«
Wade begrüßte sie. »Icara. Das ist keine Krankheit. Das ist einer von diesen Fröschen. Eine Verdrängung namens Parsons.« Zu Parsons sagte er: »Sie ist meine … Geliebte? Kupplerin? Große und gute Freundin? Puella.«
Die Frau nickte nervös. Sie setzte eine Armladung von Päckchen ab, welche die anderen Anwesenden sofort aufsammelten. »Warum hat Ihre Haut diese Kreidefarbe?« fragte sie, als sie sich neben ihm herunterbeugte, schlank, ein wenig rasch atmend, wobei ihre schwarzen Lippen vor Besorgnis zuckten.
»In meiner Zeit«, sagte er unter Schwierigkeiten, »war die Menschheit in weiße, gelbe, braune, schwarze Rassen unterteilt. Es gab alle Varianten von Unterrassen innerhalb dieser Arten. Es ist offensichtlich, daß es später irgendwann eine Verschmelzung gegeben hat.«
Icaras feingeformte Nase zog sich kraus. »Getrennt? Wie schrecklich. Und Ihre Sprache ist schlecht. Voller Fehler. Warum steht die Tür offen?«
»Er hat das Schloß aufgeschnitten«, seufzte Wade.
»Dann sollte er es reparieren«, sagte die Frau ohne Zögern. Während sie noch immer neben ihm gebückt kauerte, fuhr sie fort: »Was ist das für ein grauer Kasten? Warum öffnen Sie diese Tuben? Werden Sie in Ihre Zeit zurückkehren? Können wir zusehen?«
»Er sprüht sich an«, erklärte Wade. »Damit er dunkler aussieht.«
Ihr glänzendes, schwarzes Haar kam näher an ihn heran, als sie sich vorbeugte und vorsichtig schnupperte. »Sie sollten auch etwas gegen Ihren Geruch tun«, sagte sie mit leiser Stimme.
»Was?« sagte er, auf mehreren Ebenen empfindlich getroffen.
Sie betrachtete ihn. »Sie riechen schlecht«, sagte sie. »Wie Moder.«
Die anderen, die mithörten, kamen herbei, um ihn anzusehen und dann ihre Meinung abzugeben. »Mehr wie Pflanzen«, sagte ein Mann. »Vielleicht sind es seine Kleider. Möglicherweise Pflanzenfasern!«
Icara sagte: »Wir baden.«
»Wir auch«, brummte Parsons ärgerlich.
»Jeden Tag?« Sie wich zurück. »Ich glaube, es sind Ihre Kleider, nicht Sie.« Und sie betrachtete ihn, wie er seine Hautfärbung aufsprühte. »So ist es schon viel besser. Gott, Sie sehen aus wie eine Made. Nicht …«
»Nicht wie ein Mensch«, beendete Parsons ironisch.
Icara stand auf, und sagte zu Wade: »Ich verstehe nicht … ich meine, das ergibt ein gewaltiges Problem. Der Seelenquader wird aus dem Gleichgewicht geraten. Und wie könnte er jemals an den Quell angepaßt werden? Er ist völlig anders, und wir haben auf keinen Fall Zeit dafür. Wir müssen mit der Versammlung weitermachen. Und dann unsere Tür – sie steht noch immer offen.«
»Ist das so schlimm?« fragte Parsons.
»Die Tür?« fragte sie.
»Anders zu sein.«
»Nun, selbstverständlich ist das schlimm. Wenn Sie anders sind, dann gehören Sie nicht dazu. Aber Sie können lernen. Wade wird Ihnen die richtige Kleidung geben. Sie können lernen, richtig zu sprechen. Und sehen Sie … diese Färbemittel von Ihnen funktionieren ganz gut.« Sie lächelte ihm hoffnungsvoll zu.
»Das wirkliche Problem«, sagte Wade, »ist die Orientierung. Die kann er unmöglich erlernen. Ihm fehlen die Grundkonzepte – wir lernen sie schon als Säuglinge.« Er hob eine Augenbraue und sagte zu Parsons: »Wie alt sind Sie?«
»Zweiunddreißig«, antwortete Parsons. Er war fast damit fertig, sich Gesicht, Hals, Hände und Arme einzusprühen, und hatte begonnen, sein Hemd auszuziehen.
Wade und Icara wechselten ein paar Blicke. »Lieber Himmel«, sagte Icara. »Wirklich? Zweiunddreißig?« Offenbar um das Thema zu wechseln, sagte sie: »Was ist das für eine schlaue Kiste – und worum handelt es sich bei den Gegenständen darin?«
»Das sind meine Instrumente«, sagte Parsons, der sein Hemd jetzt ausgezogen hatte.
»Und was ist mit den Listen?« sagte Wade halb zu sich selbst. »Es wird der Regierung nicht gefallen.« Er schüttelte den Kopf. »Er kann in keinen Stamm eingefügt werden. Er wird die Zählung schmeißen.«
Parsons schob den Instrumentenkoffer auf Wade zu. »Sehen Sie«, sagte er grob, »ich kümmere mich einen Dreck um Ihre Stämme. Sehen Sie das hier? Das sind die feinsten chirurgischen Werkzeuge, die in sechsundzwanzig Jahrhunderten entwickelt worden sind.
Ich weiß nicht, wie gut oder wie umfassend euer medizinischer Standard ist, aber ich kann mich in jeder Kultur durchschlagen, egal ob Vergangenheit oder Gegenwart. Mit meinem Wissen und Können werde ich überall von Wert sein. Das weiß ich, auch wenn ich sonst nichts weiß. Mein medizinisches Wissen wird mir immer und überall einen Platz verschaffen!«
Icara und Wade schauten verblüfft drein. »Medizinisches Wissen?« Icara zögerte. »Was ist das?«
Entsetzt sagte Parsons: »Ich bin Arzt.«
»Sie sind …« Icara suchte nach dem Wort. »Was habe ich in dem Geschichtsband gelesen? Alchimist? Nein, das war früher. Hexer? Ist ein Arzt ein Hexer? Sagt er Geschehnisse voraus, indem er die Bewegung der Sterne erforscht, sich mit Geistern berät und so weiter?«
»Wie dumm«, murmelte Wade. »Es gibt keine Geister.«
Jetzt hatte sich Parsons Brust, Schultern und Rücken eingesprüht. So schnell wie möglich knöpfte er sein Hemd wieder zu – in der Hoffnung, daß die Schicht bereits eingetrocknet war. Er zog seinen Mantel an, warf seine Instrumente in den Koffer zurück und ging auf die halboffene Tür zu.
Wade sagte: »Salvay, amicus.« Es hörte sich düster an.
Parsons stoppte an der Tür und wandte sich zum Sprechen um. Aber die Tür peitschte von selbst von ihm weg. Halb im Fall stolperte er, fing sich – und schaute in ein grinsendes, sardonisches kleines Gesicht hinunter, das frohlockend zu ihm aufblickte. Ein Kind, dachte er. Die scheußliche Karikatur eines Kindes. Und es gab noch mehr davon. Sie alle trugen dieselbe niedliche grüne Mütze … Kostüme in einer Mittelschul-Aufführung. Das erste Kind richtete eine Metallröhre auf ihn und kreischte:
»Shupo!«
Er schaffte es, dem ersten Shupo einen Tritt zu verpassen: Sein großer Zeh erwischte ihn und hob ihn hoch. Er kreischte noch immer, selbst als er gegen die Zementmauer krachte, die sich zu beiden Seiten des Eingangs erhob. Aber noch während er zutrat, schwärmten die anderen an ihm vorbei, zwischen seinen Beinen hindurch, an ihm hinauf und über ihn hinweg, und ihre Nägel zerrten an ihm, als sie weiter vorbeikrabbelten und in den Versammlungsraum strömten.
Die Arme vor dem Gesicht gekreuzt, pflügte er die Stufen hinauf, zur Straße.
Unter ihm drängten sich die Shupos wie giftige grüne Wespen an der Tür. Er konnte nicht feststellen, was drinnen geschah, denn er sah nur ihre Rücken und konnte nichts anderes als ihre Rufe hören. Sie hatten ihre Opfer in der Falle. Für ihn interessierten sie sich entweder nicht, oder sie nahmen sich nicht die Zeit, ihn zu fangen. Jetzt sah er ihre Fahrzeuge. Mehrere waren so gestellt, daß sie die Straße blockierten. Möglicherweise hatte die unverschlossene, halboffene Tür Licht herausfallen lassen, was eine Routinepatrouille angelockt hatte. Oder sie waren der Frau gefolgt, Icara. Er wußte es nicht. Vielleicht war sie sogar ihm gefolgt, und zwar von Anfang an.
Sie verlieren ihre Daumen, nicht wahr, fragte er sich. Und sogar freiwillig? Aber es hörte sich nicht danach an, als hätte die Gruppe beschlossen, sich zu unterwerfen – der Aufruhr schwoll an. Wenn ich die Shupos hierhergeführt habe, dachte er, bin ich verantwortlich. Ich kann nicht einfach davonlaufen. Zögernd kehrte er um und ging zurück.
Aus der wogenden Masse in den Schatten am Fuß der Treppe spalteten sich zwei ausgewachsene Gestalten ab und traten hervor. Ein Mann und eine Frau, die sich keuchend heraufkämpften. Er sah mit Entsetzen Blut heruntertropfen und auf ihren Gesichtern glänzen. Nichts mit Daumen, dachte er. Sie kämpfen, und es hört nicht auf. Das ist das Opfer. Aber wenn sie es nicht bringen wollen, dann – ihr Leben?
Der Mann, Wade, brüllte heiser zu ihm herauf: »Parsons!« Seine Arme hoben sich, und er versuchte, das Mädchen die Stufen hinaufzustoßen. Shupos klammerten sich an seinen Händen und Füßen fest. »Bitte!« rief er, die Augen blind, voller Todesqual.
Parsons kam zurück. Er stürmte in den Treppenschacht hinunter, stampfte mit beiden Füßen und bekam das Mädchen zu fassen.
Wade sank zurück, von den Shupos gezogen, verschmolz wieder mit der Dunkelheit und dem Lärm, und die grünen Gestalten glänzten und schrien triumphierend. Blut, dachte Parsons. Sie bekommen Blut. Er preßte das Mädchen an sich und kämpfte sich keuchend die Treppe hinauf, erreichte die Straße, taumelte. Blut lief an seinen Handgelenken herunter – Blut vom Körper des Mädchens. Warm, schlaff, rückte sie näher an ihn heran, als er weiterging. Ihr Kopf pendelte hin und her. Ihre offen getragenen Haare breiteten sich schimmernd aus. Icara. Nicht verwunderlich, dachte er dumpf. Liebe kommt vor Politik.
Hier in der Dunkelheit der Straße irrte er davon, rang nach Atem. Seine Kleidung war zerrissen, und er trug Wades Geliebte oder Mädchen oder was auch immer. Ob sie wohl Nachnamen haben? fragte er sich.
Der Lärm des Aufruhrs hatte Passanten angelockt, und sie strömten zusammen und riefen aufgeregt durcheinander. Mehrere blickten Parsons an, wie er das bewußtlose Mädchen trug. War sie tot? Nein. Er fühlte ihr Herz schlagen. Die Passanten eilten weiter in die entgegengesetzte Richtung, zum Schauplatz des Kampfes.
Erschöpft hielt er an, hob das Mädchen hoch und stemmte sie sich über die Schulter. Ihr Gesicht streifte seines. Diese wunderschöne glatte Haut. Lippen, dachte er, warm und feucht … was für eine hübsche Frau. Ungefähr zwanzig.
Er bog um eine Ecke, ging weiter und war kaum fähig voranzukommen. Seine Lungen schmerzten, und er hatte Mühe, etwas zu sehen. Jetzt erreichte er eine hell erleuchtete Straße. Er sah viele Leute, erhaschte einen Blick auf Läden, Schilder, geparkte Fahrzeuge. Aktivität, der angenehme Hintergrund für Freizeitvergnügungen. Aus dem Eingang eines Geschäftes – eines Kleiderladens, dem Aussehen der Schaufensterausstattung nach – wehte Musik, und er erkannte sie: Beethovens Erzherzog-Trio. Bizarr, dachte er.
Voraus ein Hotel. Zumindest ein großes, mehrstöckiges Gebäude mit Bäumen, schmiedeeisernem Geländer, davor Fahrzeuge in langen Reihen. Als er die Stufen erreichte, stieg er hinauf und kam in eine große Eingangshalle, in der sich viele Leute aufhielten. Was er jetzt tun sollte, wußte er nicht, denn ganz plötzlich spürte er, wie der Herzschlag des Mädchens flatterte, unregelmäßig wurde.
Er hatte doch noch seinen Instrumentenkoffer, oder? Ja, er hatte es geschafft, ihn festzuhalten. Nachdem er das Mädchen abgesetzt hatte, öffnete er den Koffer.
Leute wimmelten um ihn herum. »Holt den Hotel-Euthanisten!«
»Sie hat bereits einen. Sie hat ihren eigenen Euthanisten.«
Parsons sagte: »Keine Zeit zu verlieren.« Und er machte sich an die Arbeit.