Es war die Romanze mit einem Fremden, ›groß und blond wie das Bier, die Brust tätowiert mit einem Herzen‹. Julio hatte mit Queta zum erstenmal eine psychologisch unterlegene Frau kennengelernt, die ihm weder Bildung noch neue Erlebnisse brachte, sondern einfach Kommunikation, Solidarität und auch die persönliche Bereicherung brauchte, die er ihr geben konnte, ebenso wie das Mysterium von Jugend und Ferne, das bei Señor Ramón längst tot und begraben war. Für diese Frau hatte die Tätowierung einen Sinn, es war das Motto seines Lebens, die Krönung der Vertraulichkeiten in diesem Bett mit Baldachin, das beiden fremd war. Hier in diesem Bett hatte der lange Marsch von der Armut zum Nichts den Mann wohl bereitgemacht, die Wut und die Idee seines Lebens mit einem Bild und mit Worten zu besänftigen: Ich bin geboren, das Inferno aus den Angeln zu heben. Eine Losung, die weder für die reife Dame in Amsterdam, den Engel der Autodidakten, tätowiert wurde, noch für den Specht Teresa Marsé, der an Bäumen aller Art pickte, und ebensowenig für La Pomadas oder andere Mietmatratzen. Carvalho spürte plötzlich den Wunsch, die Szene zu streichen, in der er gerade mitspielte, aus dem Bett zu springen und mit dem Torerodegen in der Faust dem Fall den Genickstoß zu geben.

Er richtete sich in Fluchtgeschwindigkeit auf.

»War das alles, ist der Abend für dich schon gelaufen?«

»Ja.«

»Kaufst du immer nur einfache Fahrt?«

»Kommt drauf an, mit wem ich reise.«

»Vielen Dank.«

Als er den Spott in Teresas grauen Augen sah, wollte Carvalho doch bleiben und noch einmal seine Funktion erfüllen, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Aber er entdeckte plötzlich ein radikales Desinteresse an der so schlanken Frau, die dieses Erlebnis wahrscheinlich weitererzählen würde, ihrem Ehemann oder dem Schwarm ihrer Piranhafreunde in irgendeiner Cafeteria der Calle Tuset.

»Ich hatte meinen Zeitplan auf deinen abgestimmt. Ich dachte, du müßtest wie immer gehen und deinen Sohn abholen, und habe mich verabredet.«

Sie schien einverstanden. Sie zog sich an mit dem Rükken zu ihm. Aus dieser Position sprach sie auch mit ihm.

»Du bist bei der Polizei, stimmt’s?«

»Warum?«

»Ich merkte von Anfang an, daß du wie ein Polizist fragst.«

»Nein, nein, ich bin nicht bei der Polizei!«

»Woher dann dieses Interesse an Julio?«

»Ein besonderer Auftrag. Ich bin Privatdetektiv.«

Teresa brach in Gelächter aus. Das Lachen schüttelte sie so sehr, daß sie sich halb angezogen auf dem Bett wälzte. Als der Anfall vorüber war, mußte sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischen.

»Mit wem war ich denn jetzt im Bett, mit Hercule Poirot, Kommissar Maigret oder Philip Marlowe?«

»Wenn es dir besser gefällt, dann sag ruhig mit Lemmy Caution oder James Bond.«

»James Bond gefällt mir nicht.«

»Also, dann mit wem du willst. Ich habe dir die Erfahrung deines Lebens verschafft.«

»Das mit dem Schahneffen war aufregender, das schwör’ ich dir. Der hatte keine Termine ausgemacht. Ein echter Caballero, einer von der Sorte, an die man noch lange denkt.«

»Dafür hast du doch einen Ehemann.«

Das Wiederabschließen des Hauses, die Rückkehr zum Auto und die Rückfahrt in die Stadt verliefen schweigend. Teresa stellte nicht einmal das Radio an. Als Carvalho vor ihrer Boutique anhielt, sagte er zu ihr:

»Du mußt dir ein Alibi für die erste Julihälfte ausdenken. Du mußt sagen können, was du in jedem einzelnen Moment getan hast. Ein vernünftiges und unkompliziertes Alibi.«

»Warum?«

»Es ist sehr wahrscheinlich, daß Julio in dieser Zeit ermordet wurde, in deinem Haus in Caldetas oder vielmehr im Zusammenhang mit einem Rendezvous in deinem Haus. Die Polizei kann jeden Moment davon Wind bekommen.«

»Eine Drogengeschichte?«

»Das dachte ich auch. Aber jetzt glaube ich nicht mehr daran. Besorg dir ein Alibi!«

Teresa sah ihn an, als wollte sie mögliche Hintergedanken erraten.

»Soll ich dir etwa dankbar sein?«

»Nicht mal das. Aber nimm es ernst, und wenn die Polizei dich verhört, sag nichts, auch nicht meinen Namen!«

Teresa stieg aus. Vor der Tür der Boutique warf sie ihm einen letzten zweifelnden Blick zu.

Charo beschränkte sich auf den Kommentar: »Eigentlich habe ich überhaupt keine Zeit.«

»Ich bin sofort wieder weg.«

»Tagelang meldest du dich nicht, und dann tauchst du zur unmöglichsten Zeit auf.«

»Ist La Andaluza da?«

»Nein.«

»Was macht ihre Frisur?«

»Was soll sie schon machen?«

»Ich zahle ihr den Friseur und lade euch beide in den nächsten Tagen zum Abendessen ein, wenn sie sich dort noch einmal frisieren läßt.«

»Sie war aber erst vor zwei Tagen da!«

»Dann soll sie ihre Frisur durcheinanderbringen.«

Carvalho schrieb etwas auf einen Zettel und steckte ihn in einen kleinen Umschlag.

»Hier. Gib ihr das. Morgen soll sie zum Friseursalon gehen und das Queta zustecken, aber so, daß keiner etwas merkt.«

»Und jetzt? Adiós

»Jetzt ist deine Hauptgeschäftszeit. Ich glaube nicht, daß es gut wäre, wenn deine Kunden mich hier sehen.«

»Meine Kunden und du, ihr könnt mich alle mal!«

Sie rauschte aus dem Wohnzimmer und lief in die Küche, verfolgt vom Knall der zugeschlagenen Tür. Carvalho hörte sie schimpfen, als stritte sie mit sich selbst.

»Männer sind Schweine! Blöde Kuh! Idiotin! So blöd kann auch nur ich sein!«

An ein und demselben Tag zwei Frauen zu enttäuschen, das war zuviel. Carvalho verließ die Wohnung und erwartete auf dem Treppenabsatz die unvermeidliche Versöhnungsrückkehr von Charo. Ihr Gesicht war tränenfeucht und ihre Stimme kläglich, als sie die Tür öffnete und den Kopf herausstreckte.

»Du gehst einfach so?«

»Du hast heute einen von den guten Tagen.«

»Kein Grund, sich auf französisch zu verabschieden.«

»Morgen gibt es viel Arbeit. Sieh zu, daß du dir die Nacht freihältst. Dann gehen wir aus.«

»Holst du mich ab?«

»Also gut, um neun.«

Er trat auf die Ramblas hinaus und ging zum Hafen hinunter. Auf der Höhe der Santa-Monica-Kirche verließ er den Mittelstreifen, überquerte die rechte Fahrbahn und bog in die Gasse ein, die links an der Kirche entlanggeht. Er betrat die Bar El Pastís und bestellte Absinth. Die Wirtin hatte ein visuelles Gedächtnis wie ein Elefant.

»Lange her, daß du das letzte Mal hier warst.«

Carvalho lächelte ihr zu in dem Versuch, eine flüchtige Vision des Fatalismus zu übermitteln, die unsere Begegnungen und unsere Abwesenheiten bestimmt.

»Aber sie kommen alle wieder. Sieh dir die dort an!«

Eine Gruppe junger Männer trank mit Anis gefärbtes Wasser, mit geröteten Wangen und dem Salto mortale auf der Zungenspitze. Einer von ihnen schlug vor, die Internationale zu singen, ein anderer improvisierte einen Vortrag zur Feier von dreiunddreißig Jahren Frieden.

»In ein paar Jahren kommen die wieder. Wenn sie gestandene Männer sind, wie dieser Caballero hier. Er ist eine Eminenz!«

Damit zeigte die Wirtin auf einen Mittdreißiger, der schon nicht mehr geradeaus schauen konnte und seinen schweren Körper mit beiden Ellbogen auf dem Tresen abstützte. Er richtete sich herausfordernd und angeberisch auf, um Carvalho zu beeindrucken.

»Sehen Sie, ich kannte ihn schon, als er studierte, und jetzt ist er eine Eminenz.«

»Meinen Glückwunsch.«

Die Eminenz belauerte ihn mit trübem Blick und gespanntem Hahn für den Fall, daß Carvalho es wagen sollte, auch nur die leiseste Andeutung von Skepsis zu zeigen.

»Er hat einen Lehrstuhl an der Universität.«

Der Betrunkene sah aus wie ein heruntergekommener Bourbonenprinz, groß und mit Gesichtszügen, die nach dem klassizistischen Schönheitsideal als ebenmäßig zu bezeichnen wären. Der eminente Prinz überschüttete Carvalho mit einem Wortschwall in einer Sprache, die wie Arabisch klang. Die Wirtin nickte begeistert und zeigte auf ihren Schützling, als wollte sie ihm Carvalho ans Herz legen.

»Ist er Professor für Arabisch?«

»Nein, für Spanische Geschichte. Aber kann man die Geschichte Spaniens verstehen, ohne Arabisch zu sprechen?«

»Wahrscheinlich nicht.«

»Menéndez Pidal hat ein völlig falsches Bild gezeichnet. Wissen Sie überhaupt, wer das war?«

»Kommt mir bekannt vor.«

»Er hat EI Cid geschrieben. Ein antiarabischer Rassist! Trinken Sie einen Pastis. Ich gebe einen aus.«

Der eminente Prinz begann, eine arabische Litanei zu singen, die sich langsam zu einem Fandango entwickelte. Er hatte die Rockschöße seines Jacketts hochgeschlagen und schlang sie eng um den Körper, so daß das Jackett zur Weste eines Fandangotänzers wurde. Er blickte auf seine Füße und begann langsam und unsicher zu steppen. Carvalho bezahlte seinen Pastis und wollte gehen. Doch der tanzende Professor packte ihn an der Schulter.

»Warum haben Sie bezahlt? Ich gebe einen aus!«

»Ich bezahle immer, was ich trinke.«

»Nicht, wenn ich einen ausgebe!«

Mit dem Arm fegte der Professor das Geld vom Tresen, das Carvalho dort hingelegt hatte. Es fiel zwischen den beiden Männern zu Boden. Die Wirtin kam hinter dem Tresen hervor und sammelte es auf, um es Carvalho mit komplizenhaftem Augenzwinkern zurückzugeben. Pepe zuckte die Achseln und ging, das Geld einsteckend, hinaus. Er war schon fast auf den Ramblas, als er hinter sich Schritte hörte, die rasch näher kamen und ihn gleich erreichen würden. Er drehte sich um, und der Professor stand vor ihm.

»Wußten Sie schon, daß alle Studien über Toponomastik gefälscht sind? Nein, gefälscht ist nicht der richtige Ausdruck. Geklaut! Geklaut, um dem ganzen Volk die Wurzeln seiner Identität zu verheimlichen! Sie wollen, daß wir unsere arabischen Ursprünge vergessen!«

Als sie am eisernen Zaun der Santa-Monica-Kirche einem Müllhaufen auswichen, verlor Carvalho die Beherrschung und gab dem Professor einen kräftigen Stoß, so daß er stolperte und seitlich auf den Abfallhaufen kippte. Im Davonlaufen drehte sich Carvalho um und sah, wie sich der andere mühsam aufrappelte. Carvalho lief weiter. Vor dem Wachhäuschen der Marinekommandantur verlangsamte er seinen Schritt. Er glaubte, die näherkommenden Schreie des Professors zu hören. Sobald er die beleuchtete Zone hinter sich gelassen hatte, fing er wieder an zu laufen und kehrte in das Viertel zurück, wo er hergekommen war. Sein Auto stand auf dem Parkplatz der Calle Barberá. Er ahnte, daß er dem Betrunkenen noch einmal begegnen würde, und tatsächlich – als er das Tanzlokal Cádiz erreichte, sah er den andern, der seine Wegstrecke richtig kalkuliert hatte. Breitbeinig stand er mitten auf der Straße und fuchtelte mit den Armen, als wollte er fünfzehn Mann gleichzeitig fertigmachen.

»Komm her, du Scheißtyp, und stell dich Mohamed Ali!«

Kein Mensch war auf der Straße. Die Laternen mit ihren schwindsüchtigen, schmutzigen Birnen schafften es kaum, die Dunkelheit der Gasse zu erhellen. Carvalho griff in die Tasche und holte sein Klappmesser heraus. Er wartete, bis sich der andere auf ihn stürzte, dann ließ er das Messer aufschnalzen und vorschnellen – die Klinge fuhr haarscharf am Gesicht des Professors vorbei. Der eminente Prinz zuckte zurück und blickte Carvalho verdutzt an.

»Messerstecher, eh?«

Aber er wich zurück. Carvalho sah rot und griff mit vorgestrecktem Messer an. Der andere wollte rückwärts ausweichen, fiel aber auf den Gehweg. In blinder Wut bearbeitete ihn Carvalho mit den Füßen. Er wollte sein Gesicht treffen, aber der andere bedeckte es mit beiden Armen.

»He, was ist da los?«

Ein paar Nachteulen kamen aus dem Cádiz, und eine davon fing an zu schreien. Carvalho steckte das Messer ein und ging davon, ohne sich sonderlich zu beeilen. Er fühlte eine Wärme in der Brust wie nach einem französischen Cognac oder einem Whisky Black Label.

Auf dem Zettel stand: ›Ich möchte mit Ihnen über Julio sprechen, aber allein. Kommen Sie um vier Uhr in die Luna-Bar, Rambla Cataluña, Ecke Plaza Cataluña!‹. Fünf Minuten vor vier sah er, wie Queta die Rambla Cataluña überquerte. Sie trug ein ärmelloses Kleid ohne Gürtel, Sandalen und eine rote Handtasche. Carvalho gab zu, daß sie eine sehenswerte Erscheinung war. Die erotische Ausstrahlung ihres unverbrauchten, vollen Körpers stand im krassen Gegensatz zur Welkheit ihres leidenden oder erschrockenen Gesichtsausdrucks. Sie entdeckte Carvalho und blieb an seinem Tisch stehen. Er erhob sich und bot ihr einen Metallstuhl an. Sie wollte nichts trinken, aber Carvalho überredete sie zu einem Kaffee. Ihre Haltung war unnahbar, als wollte sie ihre normalen Kräfte verdoppeln, um ihre Schwäche zu verbergen.

»Wir trinken etwas und fahren dann mit dem Auto. Es spricht sich besser unter vier Augen.«

»Ich weiß nicht, worüber wir zu reden hätten. Ich weiß weder, was Sie wollen, noch verstehe ich Ihren Zettel.«

»Warum sind Sie dann gekommen?«

Sie gab keine Antwort. Sie hatte wieder Anfälle von Schüchternheit und sah Carvalho nicht einmal an.

»Hören Sie. Ich weiß Bescheid über Ihr Verhältnis mit Julio Chesma. Ihr Mann gab mir den Auftrag, die Identität eines Ertrunkenen herauszufinden, der vor einigen Wochen am Strand von Vilasar auftauchte. Er hatte kein Gesicht mehr, das hatten die Fische weggefressen, aber auf seinem Rücken stand etwas geschrieben.«

Er redete nicht weiter. Queta weinte, mit einem Taschentuch in der Hand, und ihr Schluchzen verriet, daß sie kurz vor einem hysterischen Ausbruch stand. Hastig nahm Carvalho Geld aus der Tasche, bezahlte und nahm Queta am Arm. Er schob sie zum Parkplatz gegenüber dem Kino Coliseum. Der Parkwächter schaute sich beunruhigt nach der weinenden Frau um. Carvalho machte eine Geste männlicher Ohnmacht angesichts des zerbrechlichen Innenlebens der Frauen.

Carvalho fuhr auf die Gran Vía und dann zur Küstenautobahn. Queta schien sich beruhigt zu haben. Ihr Atem ging regelmäßig, und sie tat, als betrachte sie aufmerksam die Landschaft. Als sie Masnou erreicht hatten und das Meer im goldenen Licht des Abends vor ihnen lag, wandte sich Queta beunruhigt an Carvalho.

»Wohin bringen Sie mich?«

»Nach Caldetas!«

»Nein, ich will nicht!«

»Vielleicht ist es nicht nötig.«

»Ich will nicht! Eher springe ich aus dem Auto! Sie haben kein Recht dazu!«

»Vielleicht ist es gar nicht nötig. Ich weiß sowieso fast alles, was geschehen ist. Aber ein paar Sachen fehlen mir noch.«

Queta sah auf die Straße, als würde sie bei jedem Kilometer etwas verlieren.

»Wie haben Sie Julio kennengelernt?«

»Welchen Julio?«

»Den von dem Zettel. Auf dem Zettel stand sein voller Name, und Sie wußten, wer gemeint war.«

»Daß er Julio hieß, erfuhr ich erst, als Sie es Ramón sagten.«

»Wie haben Sie ihn kennengelernt?«

»Warum ist das jetzt noch wichtig? Warum interessiert Sie das? Bitte, ich will nicht in dieses Haus. Bitte!«

»Wir gehen jetzt ein wenig spazieren, und Sie erzählen mir alles.«

»Ich lernte ihn in einem Kino kennen. Ramón geht nicht gerne ins Kino. Ich gehe manchmal abends in ein Kino im Viertel, wenn im Geschäft nicht mehr viel los ist.«

»Ist es lange her?«

»Etwas über ein Jahr. Anderthalb. Ich weiß nicht, warum ich diese Dummheit gemacht habe. Gott hat uns dafür bestraft. Alle.«

»Welchen Namen nannte er Ihnen?«

»Alejandro.«

»Und dann begannen Sie, sich in der Villa in Caldetas zu treffen?«

»Nein, am Anfang brachte er mich in Häuser, die er kannte.«

»Was für Häuser?«

»Solche Häuser eben.«

»Stundenhotels?«

Sie gab keine Antwort. Gedankenverloren betrachtete sie ihren eigenen Schoß.

»Haben Sie sich nicht gewundert, daß er Sie nie in seine eigene Wohnung mitnahm?«

»Seine Wirtin wollte es nicht. Das sagte er mir. Dann fingen wir an, in die Villa zu gehen. Er sagte mir, sie gehörte einem Neffen von ihm.«

»Sah er so aus, als ob er Neffen mit so einer Villa hätte?«

»Er war sehr fein, sehr gebildet. Sehr höflich.«

»Wußte Ihr Mann davon?«

»Nein.«

»Aber schließlich kam er dahinter?«

»Nein.«

»Warum gab er mir den Auftrag, eine Leiche zu identifizieren, die er schon mehr als genau kannte?«

»Er kannte seinen richtigen Namen nicht.«

»Also geben Sie zu, daß er von der Existenz Ihres Freundes wußte.«

»Nein. Nein, das habe ich nicht gesagt.«

Carvalho beugte sich zu Queta hinüber und schrie sie an: »Seien Sie doch nicht blöd! Die Polizei macht sich nicht soviel Mühe, die bringen Sie in weniger als einer Minute zum Singen!«

»Schreien Sie mich nicht an! Was fällt Ihnen überhaupt ein! Lassen Sie mich sofort raus!«

»Wann kam Ihr Mann dahinter?«

»Das weiß ich nicht.«

»Ich will wissen, wie er starb!«

»Er ist ertrunken.«

»Ist er nicht. Oder Ihr Mann hat dabei zugesehen, wie er ertrank. In der Zeitung stand nichts über den Zusammenhang zwischen dem Ertrunkenen und der Razzia. Aber Ihr Mann erzählte mir sofort davon.«

»Sie wissen doch, wie es in solchen Vierteln zugeht. Es gibt eine Menge Informanten. Ramón macht nicht immer saubere Geschäfte. Warum sollen wir uns etwas vormachen. Er hat Beziehungen.«

»So gut können die gar nicht sein, wenn er mich beauftragen muß, um die Identität eines Ertrunkenen herauszufinden oder zu bestätigen. Lügen Sie mich nicht an, oder ich bringe Sie auf die nächste Polizeiwache.«

»Na und? Ich hatte einen Freund oder ein Verhältnis, wie Sie wollen. Ramón weiß davon. Was soll mir also passieren?«

»Nicht alle ›Verhältnisse‹ werden unter so mysteriösen Umständen tot aufgefunden und verursachen dann noch einen derartigen Wirbel. Lassen Sie mich die fehlenden Teile der Geschichte ergänzen: Ramón kommt Ihnen auf die Schliche. Er bringt Ihren Liebhaber um und wirft ihn ins Meer. Als er erfährt, daß die Polizei den Fund der Leiche mit einem Ring von Rauschgifthändlern in Zusammenhang bringt, kompliziert sich für ihn der Fall und seine eigene Position. Er schaltet mich ein, ich soll die Sache untersuchen, falls es eine Nebenspur abseits der Drogengeschichte gibt. Ich komme von Holland zurück, und alles hat sich perfekt entwickelt für Ihren Ramón. Alles deutet auf die Drogengeschichte, und es gibt nichts, was Sie beide mit der Sache in Verbindung bringt. Er hat mich zu früh eingeschaltet und will mich nun so schnell wie möglich wieder loswerden. Arbeit getan, Arbeit bezahlt. Aber das konnte nicht funktionieren: Ich war schon viel zu sehr an dem Fall interessiert.«

»Warum? Was wollen Sie?«

»Mehr Geld. Das wäre eine Erklärung. Oder ich will einfach den Fall für mich selbst vollständig aufklären. Ich mag solche Rätsel nicht und übe deshalb einen Beruf aus, der sich mit ihrer Lösung beschäftigt.«

»Von mir werden Sie nicht hören, daß Ramón Julio umgebracht hat.«

»Aber er hat es getan. Und zwar in der Villa, ganz bestimmt. Die Besitzerin hat Blutspuren gefunden.«

Queta bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

»Und er kann es nicht allein getan haben. Wie hätte er allein mit dem großen Mann fertig werden sollen, ›groß und blond wie das Bier‹?«

Jetzt sah ihn Queta verblüfft an.

»Wahrscheinlich half ihm die Familie Larios. Der Vater. Die beiden Brüder. Sie haben ihm viel zu verdanken, zum Beispiel den Arbeitsplatz der Tochter. Stimmt’s?«

Queta sah ihn fast mit Bewunderung an.

»Waren sie ’s?«

Die Frau blickte wieder auf die fliehende Straße.

»Und Sie waren dabei. Sie haben euch beide in flagranti erwischt.«

Jetzt weinte sie.

»Der Idiot war geboren, um das Inferno aus den Angeln zu heben, und starb von der Hand eines gehörnten Ehemanns. Haben Sie weggeschaut, als sie ihn umbrachten?«

Sie begann, mit beiden Fäusten hysterisch gegen das Seitenfenster zu trommeln.

»Ich will raus! Ich will gehen!«

Carvalho versetzte ihr einen Faustschlag in den Rücken, daß ihr die Luft wegblieb.

»Ich bringe dich jetzt zurück nach Hause. Du kannst deinem Mann von unserem Plauderstündchen erzählen und ihm sagen, daß wir nicht zu einem Besuch in Caldetas gekommen sind. Daß er sich meinetwegen keine Sorgen zu machen braucht. Aber morgen komme ich vorbei und will mit ihm sprechen. Es war eine sehr anstrengende Arbeit, und ich habe so viele Dinge erfahren, daß ich mich unterbezahlt fühle. Vor allem, wenn das Gespräch morgen nicht so verläuft, wie ich es mir wünsche.«

Als Queta ihn durch den Salon gehen sah, war ihm keine Gefühlsregung anzumerken. La Gorda kam ihm wieder zuvor, und als er das Büro betrat, stand sie bereits Wache neben Señor Ramón. Der Alte wartete, bis Pepe sich gesetzt hatte, dann schickte er La Gorda hinaus, und als er sicher war, daß sie allein waren, öffnete er eine Schublade im Tisch, nahm einen Umschlag heraus und warf ihn Carvalho zu. Der öffnete ihn gemächlich. Zählte das Geld. Einhunderttausend.

»Nehmen Sie das Geld, und gehen Sie!«

Carvalho steckte das Geld zurück in den Umschlag und schleuderte ihn mit Wucht in das Gesicht von Señor Ramón.

»Ich habe noch nicht entschieden, ob ich kassieren will oder nicht.«

»Was wollen Sie noch? Queta hat Ihnen doch alles erzählt.«

»Besser gesagt, ich erzählte ihr alles, und Ihre Frau sagte nicht nein.«

»Was erzählten Sie ihr?«

»Sie finden heraus, daß Ihre Frau einen Liebhaber hat. Tauchen mit ein paar Komplizen am Ort des Stelldicheins auf und bringen ihn um. Dann schaffen Sie ihn mit einem Lieferwagen für Tiefkühlprodukte zur Lagerhalle Larios in Badalona, fahren ihn mit einem Motorboot aufs Meer hinaus, verkleiden ihn als Schwimmer und werfen ihn ins Wasser. Aber die Leiche ist gefährlich. Sie hat das Gewicht eines dicken Drogenpakets. Sie bekommen alarmierende Nachrichten und sehen, daß Sie von der Polizei oder von Freunden des Toten mit der Sache in Verbindung gebracht werden könnten. Sie kennen nicht einmal seinen Namen. Die Polizei führt die Ermittlungen mit großer Gründlichkeit. Also beauftragen Sie mich, die Identität des Toten herauszufinden, denn ich werde die Sache im Zustand paradiesischer Unschuld angehen und Ihnen frische, unvoreingenommene Informationen liefern. Ihr Pech ist, daß ich an der Person Interesse gewinne. Das passiert nicht immer. Früher schätzte ich die Literatur sehr, Señor Ramón. Heute schätze ich nur noch Literatur aus Fleisch und Blut, und unser Freund war eine Art gescheiterter Romanheld. Ich ging also den Spuren nach, die ich gefunden hatte, und stieß am Ende auf die Frau aus dem Chanson, auf die wahre Frau aus dem Chanson.«

»Aus welchem Chanson?«

»Das geht nur mich etwas an. Die Fakten sind, wie ich es Ihnen sagte. Als ich aus Holland zurückkam, waren Sie bereits unterrichtet, daß die Polizei ausschließlich in der Drogenszene ermittelte. Sie standen nicht mehr in der Schußlinie, Sie waren aus dem Spiel, amigo, und mich brauchten Sie nicht mehr.«

»Nehmen Sie die hunderttausend, und gehen Sie!«

»Warum haben Sie ihn umgebracht?«

»Meinen Sie nicht, ich hatte Grund genug?«

»Sie sind kein Mann, der zu dramatischen Gefühlen neigt. Tatsächlich haben Sie ihn mit kalter Berechnung und hinreichender Verstärkung umgebracht.«

»Sind Sie sicher, daß ich es war, der ihn umgebracht hat?«

»Wer denn sonst?«

»Diese Frau ist wirklich ein Stück Dreck.«

Señor Ramón war aufgebracht. Zornesröte übertönte seine bleichen Sommersprossen eines alten Tieres mit Pigmentstörungen. Er hatte sich erhoben und zitterte vor Wut.

»Sie hat mein ganzes Leben verändert. Wegen ihr ließ ich alles hinter mir. Glauben Sie, ich bin dazu geboren, dieses Geschäft zu führen, diese erbärmliche Bude? Diese Frau war die Maniküre meiner Frau, meiner richtigen Frau. Vor fünfzehn Jahren hatte ich noch die Kraft und den Schneid, um Ihnen und diesem Zuhälter die Fresse einzuschlagen. Wegen ihr ließ ich alles hinter mir, und es ging uns gut, bis er auftauchte. Sie ist weich wie Pudding. Ohne Rückgrat. Er sprach sie auf der Straße an und nahm sie mit, und sie dachte mit keinem Gedanken daran, was ich alles für sie geopfert habe, was ich alles verloren habe.«

Er setzte sich wieder, seine Wut und seine Kraft hatten ihn verlassen.

»Ich bin jetzt in einem Alter, in dem man Ruhe braucht. Meine richtige Frau erlebt ein harmonisches Alter im Kreis unserer Kinder und Enkel. In unserem Alter ist man empfindlich, man braucht Zuwendung, besondere Fürsorge, und ich brauche diese besondere Fürsorge mit jedem Tag mehr, verstehen Sie? Es ist das Alter der Harmonie.«

Er gestikulierte mit den Händen wie ein Pianist.

»Vielleicht hätte ich es nicht getan, wenn ich das alles nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, verstehen Sie? Ich ging mit meinen Freunden dorthin, um ihm eine Tracht Prügel zu verpassen und ihr einen ordentlichen Schreck einzujagen. Diese Frau ist wirklich ein Stück Dreck! Das kann ich Ihnen sagen! Sobald sie uns hereinkommen sah, warf sie sich auf den Boden, kroch auf mich zu und wollte meine Hände küssen, und sie war nackt. Ganz nackt. ›Der Kerl da bedeutet mir gar nichts, Ramón! Mein Leben! Dir verdanke ich alles!‹ Währenddessen waren die anderen dabei, ihn gründlich fertigzumachen, bis er bewußtlos war.«

Señor Ramón lehnte sich zurück in seinem drehbaren Sessel mit dem Lächeln einer unerwarteten Enthüllung.

»Und wissen Sie, was dann geschah?«

Er wartete Carvalhos Antwort nicht ab.

»Sie wollte mich küssen und kümmerte sich einen Dreck darum, was mit ihrem Galan passierte. ›Ramón, mein Leben! Er bedeutet mir gar nichts! Nur du allein bist für mich wichtig!‹«

Er musterte Carvalho wie ein Spieler, der sich seiner Karten sicher ist.

»Ich gab ihr nur die Bronzestatuette, die auf der Kommode stand.«

Carvalho blinzelte nervös, die Szene imprägnierte seine Netzhaut mit Blut.

»Ich gab sie ihr einfach, und sie wußte sofort, was sie zu tun hatte.«

Carvalho wandte seinen Blick von Don Ramóns Gesicht, um an irgendeinem Punkt des Zimmers Halt zu finden.

»Sein Gesicht war nur noch Hackfleisch. Sie hat mindestens hundertmal mit der Statue zugeschlagen. Als wir sie von ihm trennten, war kein Winkel des Gesichts mehr zu erkennen.«

Carvalho war müde. Er merkte es an der Dankbarkeit, die er gegenüber dem Stuhl empfand, und wie angenehm ihm der vertrauliche Ton war, zu dem Señor Ramón überging.

»Alles übrige tat ich nur, um sie zu decken. Ich beauftragte Sie mit dem Fall, als ich, wie Sie richtig feststellten, sah, daß die Sache die Wendung nahm, die sie genommen hat. Schauen Sie!«

Er griff wieder in die Schublade und nahm zwei Flugtikkets heraus.

»Wenn Ihre Nachforschungen etwas Alarmierendes ergeben hätten oder die Polizei hier aufgetaucht wäre – das kleinste Indiz, und wir wären sehr weit weggefahren. Alle beide. Sie auch.«

Er zeigte ihm Quetas Namen auf einem der Tickets.

»Was böse anfängt, nimmt auch ein böses Ende, Señor Carvalho. Eine große Wahrheit. Aber ich habe, wir haben immer noch eine Hoffnung.«

Er hielt ihm den Umschlag mit dem Geld hin.

»Wenn alles unter uns bleibt, verdoppele ich die Summe!«

Carvalho merkte, daß der Zeitpunkt gekommen war, um von der Bühne abzutreten. Aber er war müde, und es wäre ihm lieber gewesen, wenn Señor Ramón gegangen wäre. Er wartete vergebens, mit dem unklaren Wunsch, im Sessel sitzenzubleiben und zu schlafen, bis der Friseursalon sich leerte und er seinen Heimweg wiederfand. Er hörte die letzten bittenden Worte des Alten nicht mehr, der ihm weiterhin die schäbige Grausamkeit des Ausgangs dieser Geschichte aufdrängte. Carvalho erhob sich. Wandte Señor Ramón den Rücken zu. Stieg die Treppe hinab und durchschritt den Salon wie einen menschenleeren Tunnel. Auf den Ramblas blieb er wie gelähmt auf dem Mittelstreifen stehen, bis er eine südliche Richtung einschlug und fast wie ein Schlafwandler am Fuß der Treppe landete, die zum öligen Wasser der Anlegestelle der ›Golondrinas‹ hinabführte. Er löste eine Karte und bestieg die Barkasse, die durch den Hafen zum Wellenbrecher hinüberfuhr. Dort ging er auf der Mauer entlang und betrachtete die gemächliche Ruhe der alten Angler, die wegen der drückenden Hitze nur halb und mit zweckmäßiger Nachlässigkeit bekleidet waren. Das Bild schien ihm vertraut. Eine Szene aus seiner Jugend drängte sich ihm auf: die nachdenkliche Betrachtung des Wassers an der Mole der musclaires, mit Häusern auf Pfählen und gebrauchten Präservativen, die im Wasser trieben. Es waren Sünden. Pro Präservativ eine Sünde. »Werden die aus den Schiffen geworfen?« fragte einer seiner Freunde, der noch nicht so verdorben war.

»Die kommen aus den Abwasserrohren.«

Der Duft von geschmorten Zwiebeln und Tomaten machte ihm die Welt wieder erträglich. Er erreichte ein Ausflugslokal, zu dem eine zwischen die Quader des Wellenbrechers gebaute Betontreppe hinabführte. Er sah dampfende Töpfe mit Miesmuscheln in Weißweinsauce. Es war die richtige Zeit und ein herrlicher Ort, um seinen Bauch von Schmerzen zu befreien.

Es half alles nichts, er mußte sich die Zeitung kaufen. Charo hatte ihm schon am Telefon von der Neuigkeit berichtet. Er fuhr extra zur Druckerei von Vallvidrera hinab, wo auch Zeitungen verkauft wurden. Im Tele/eXpres brachte Fernando Casado den ersten Bericht und eine anschauliche Zeichnung voll morbider Dramatik. Don Ramón Freixas war in seinem eigenen Geschäft, einem Friseursalon des V. Distrikts, tot aufgefunden worden. Die Tür des Geschäfts stand frühmorgens offen, als die beiden Schwestern zur Arbeit kamen. Man hatte Don Ramón eine Schere in den Hals gerammt. Die Polizei fahndete nach Enriqueta Sánchez Cámara, einer Frau, die mit dem Eigentümer in wilder Ehe lebte, seit dieser vor Jahren seine Familie verlassen hatte. Carvalho nahm irgendwelche Trampelpfade und ließ seinen Körper der Laune der Füße folgen, durch Kiefernwäldchen und Macchia, deren Harz in der drükkenden Hitze duftete. Plötzlich erinnerte er sich an das Ende des Chansons:

Hör zu, Seemann, und sag:

Was weißt du von ihm?

Er war stattlich und stolz,

und blonder als Honig.

Sieh seinen fremden Namen

trage ich hier auf der Haut.

Und, Seemann, wenn du ihn triffst,

sag ihm, ich sterbe für ihn.