9. KAPITEL
Harry Griffith war ein Mann, der sein Leben Jahre im Voraus plante. Er kannte Einzelheiten seiner Zukunft, über die andere Leute erst begannen nachzudenken, wenn sie die sechzig überschritten hatten.
Eines hatte er bei seiner Planung jedoch nicht bedacht: dass er sich verlieben würde.
Als er spürte, dass Amy ins Zimmer trat, wandte er sich vom Fenster ab und drehte sich zu ihr um. Und der Anblick, wie sie in ihrem langen, hautengen Kleid vor ihm stand, ließ seinen Atem stocken.
Er war sicher, dass man ihm diese Regung nicht ansah, denn kühle Reserviertheit war Harrys Stärke. Auf diese Gabe hatte er sich so lange gestützt, dass sie ihm jetzt zur zweiten Natur geworden war.
Amys Augen strahlten eine seltsame Mischung von Trotz und Hoffnung aus, und in diesem Moment entschied Harry, dass er alles aufgeben würde, um mit Amy zusammen sein zu können: seinen Stolz, sein Vermögen, alles …
Er führte sie in die Oper, um „Madame Butterfly“ anzusehen. Anschließend aßen sie in einem Lokal am Stadtrand von Sydney, das Harry sehr schätzte, zu Abend.
„Wie hat dir die Oper gefallen?“, fragte er, als sie auf ihr Essen warteten. Er stellte die Frage scheinbar beiläufig und – wie immer – in ruhigem Ton, und doch waren seine Gefühle voller Aufruhr.
Amy trank einen Schluck Wein, ehe sie antwortete. „Ich kannte das Stück natürlich schon“, sagte sie und wirkte etwas unbehaglich. „Ich muss jedes Mal weinen. Vor allem ärgere ich mich immer wieder über Pinkerton, weil er so wenig für Butterflys Gefühle übrig hat. Er heiratet sie schon mit dem Vorsatz, sie später für eine ‘echte’ Frau wieder fallen zu lassen.“
Harry spürte ein schmerzhaftes rhythmisches Pochen hinter der Stirn. Schon im Opernhaus, als sie gerade ihre Plätze eingenommen hatten, hatte er erkannt, dass „Madame Butterfly“ die falsche Wahl war. Jetzt bestätigte sich seine Befürchtung.
„Es sind aber nicht alle Männer wie Pinkterton“, gab er ruhig zurück.
Amy sah nicht überzeugt aus. „Wenn ein Mann viel auf Reisen ist“, gab sie nachdenklich zurück, „begegnet er allen möglichen Versuchungen. Ich habe eine Freundin, die mit einem Piloten verheiratet war, und der hatte eine Geliebte in jeder Stadt zwischen hier und New York.“
Harry zog eine Augenbraue hoch. „Ein viel beschäftigter Mann“, bestätigte er lakonisch. Dann wurde er wieder ernst. „Amy, was ist? Was quält dich wirklich?“
Er sah ihren haselnussbraunen Augen an, dass sie einen heftigen Kampf mit sich austrug, und er fragte sich, ob er dabei gewinnen oder verlieren würde.
„Ich glaube, ich liebe dich“, sagte Amy, und so wie sie es sagte, klang es, als handle es sich dabei um eine ansteckende Krankheit.
Obwohl Harry selten die Nerven verlor, musste er sich stark zusammennehmen, um nicht aufzuspringen und die Neuigkeit laut im Saal zu verkünden. „Und das ist ein Problem?“, fragte er.
„Ja!“, fuhr sie ihn im Flüsterton an. „Weil du reich bist! Du hast deinen eigenen Jet und besitzt sogar eine Insel!“
„Ich werde versuchen, das zu ändern“, versprach Harry.
Amys Gesicht glühte, und in ihren zornerfüllten Augen standen Tränen. „Ich kann dich nicht mit all den anderen Frauen teilen, die du kennst. Das kann ich nicht!“
„Das brauchst du auch nicht.“
Verdutzt sah Amy ihn an. „Was?“
„Amy, du bist nicht die Einzige, die sich verliebt hat.“
Sie ließ die Gabel sinken. „Willst du damit sagen, dass du … dass ich … dass wir …?“
„Ich liebe dich, Amy. Ich dachte, das sei dir klar geworden, als ich dich bat, bei mir zu bleiben.“
Amy hob die Gabel wieder hoch und wedelte damit in der Luft herum. Sie bewegte die Lippen, als wolle sie ihm eine Lektion erteilen, doch brachte sie keinen Ton hervor.
„Heirate mich, Amy“, sagte Harry. „Ich werde die Insel verkaufen, dann können wir für immer in den Staaten bleiben. Ich werde Baseballkappen tragen, Bier trinken und dich ‘Baby’ nennen, wenn du das möchtest. Und wenn es auch selbstverständlich ist, so möchte ich es trotzdem noch einmal sagen: Ich werde dir niemals untreu sein.“
Amy lief eine Träne über die Wange. „Du wirst uns bald über haben, Ashley, Oliver und mich.“
„Keine Chance“, sagte Harry tief ergriffen. „Amy, Männer sind durchaus in der Lage, solide Bindungen einzugehen. Das weißt du. Tyler hat es getan.“
Gegen dieses Argument schien sie machtlos zu sein. Tyler hatte Amy glücklich gemacht; dafür war Harry seinem Freund sehr dankbar. Insgeheim gelobte er Tyler wie auch sich selbst, Amy nichts als Freude zu bereiten.
„Ich möchte nicht, dass du die Insel verkaufst“, sagte Amy eine Weile später. „Sonst können wir uns nie wieder im Baumhaus lieben.“
„Du sagst also ja?“, fragte Harry und beugte sich dabei erwartungsvoll über den Tisch.
„Ja“, entgegnete Amy, und dann liefen ihr noch mehr Tränen über die Wangen. Tränen des Glücks, die im Kerzenschein silbern glänzten.
Wieder einmal gelang es Harry nur mit Mühe, seine Freude für sich zu behalten. Er winkte den Kellner heran, bezahlte und half Amy in ihre Jacke. Als sie die wartende Limousine erreichten, öffnete er ihr galant die Tür und bat den Fahrer, sie zum Hotel zurückzubringen.
Erst als sie in ihrer Suite allein waren, zog er sie an sich und küsste sie. Dann umfasste er ihre Taille, hob sie über die Schulter und trug sie ins Bett, um ihr Jawort angemessen mit ihr zu feiern.
Am nächsten Morgen gingen Amy und Harry einkaufen. Sie besorgten Ashley einen Koala-Stoffbären und einen Crocodile-Dundee-Hut für Oliver. Harry kaufte Verlobungsringe.
An Bord des Flugzeuges steckten sie sich gegenseitig die Ringe an, während Australien unter ihnen immer kleiner wurde. Amy war überzeugt, dass sie auch ohne Flugzeug hätte fliegen können, so glücklich war sie.
Sechsundzwanzig Stunden später landeten sie in Seattle, und Harry brachte Amy in seinem Mietbus nach Hause.
„Du wirst etwas Zeit brauchen, um dich zu erholen“, sagte er, als sie in Amys Küche standen. „Auf mich warten ein paar Geschäfte in New York, aber ich rufe dich an, sobald ich wieder da bin.“
Augenblicklich keimte eine gewisse Eifersucht in Amy auf, aber sie war zu erschöpft von der Reise, um diesem Gefühl nachzugeben. Wollte sie Harry lieben, so würde sie ihm glauben müssen.
„Ich liebe dich“, sagte sie.
Harry küsste sie, bis ihre Knie nachgaben und ihr Herz zu rasen begann. „Und ich liebe dich“, entgegnete er mit tiefer Stimme.
Nachdem er gegangen war, rief Amy zuerst die Nummer in Kansas an, die Louise ihr gegeben hatte. Sie sprach mit Oliver und Ashley, denen die Familienfeier viel Spaß zu machen schien, erwähnte jedoch nichts von ihrer eigenen Reise oder der bevorstehenden Hochzeit. Das waren Dinge, über die sie lieber persönlich mit Louise sprechen wollte.
„Großvater sagt, wir sind am Dienstag wieder zu Hause“, erklärte Ashley. „Ich bringe dir was ganz Tolles mit!“
Amy lächelte. Sicher hatten die Kinder ganze Souvenirläden geplündert. „Darauf freue ich mich schon sehr.“
Nachdem sie sich verabschiedet hatte, wählte Amy die Nummer ihrer Freundin Debbie.
„Was soll das heißen, du bist mit Harry Griffith nach Australien geflogen?“, legte Debbie los, kaum dass die Telefonistin des Krankenhauses Amy durchgestellt hatte.
Amy setzte sich auf die Kante ihres Schreibtischs und wickelte sich die Schnur des Telefonhörers um den Zeigefinger. Lächelnd antwortete sie: „Er hat um meine Hand angehalten – und ich habe ja gesagt.“
Debbie stieß einen Freudenschrei aus, doch dann schien sie Bedenken zu hegen. „Warte mal, du kennst ihn doch kaum.“
„Ich kenne ihn gut genug“, gab Amy ruhig zurück. „Was ist denn mit dir passiert? Hattest du mir nicht dauernd gepredigt: ‘Amy, du musst die Vergangenheit hinter dir lassen und dein Schicksal selbst in die Hand nehmen’?“
Debbie seufzte. „Das klang auch ganz gut in der Theorie. Liebst du ihn denn?“
„Von ganzem Herzen.“
„Ich komme gleich rüber. Dann gehen wir eine Pizza essen. Das musst du mir alles mal genau erzählen …“
„Nein“, unterbrach Amy sie. „Nicht heute Abend. Ich komme gerade vom anderen Ende der Welt, und ich bin völlig geschafft. Ich werde mir jetzt noch eine Suppe warm machen, schön heiß baden und dann in mein Bett krabbeln.“
„Na gut. Dann unterhalten wir uns eben morgen“, sagte Debbie. „Ihr habt aber doch nicht etwa vor, nach Australien zu ziehen, oder?“
„Wir werden uns nur einen Teil des Jahres dort aufhalten“, antwortete Amy. „Tschüs, Debbie.“
Ehe ihre Freundin protestieren konnte, legte Amy auf. Sie hatte kaum mehr die Kraft, noch etwas zu kochen, doch sie wusste, sie musste etwas essen. Nachdem sie einen halben Teller Hühnerbrühe gegessen hatte, stieg sie müde die Treppe hinauf und gönnte sich das Bad, das sie sich versprochen hatte, zog sich anschließend ein Nachthemd über und ließ sich ins Bett fallen.
„Es wird aber auch Zeit, dass du nach Hause kommst“, sagte Tyler, der, wie schon einmal, am Ende ihres Bettes stand, einen Fuß lässig auf die Bettkante gestellt. „Wo bist du gewesen?“
Er sah großartig aus, genau so, wie sie ihn in Erinnerung hatte. „Ich war in Australien – mit Harry Griffith“, antwortete Amy und war im selben Augenblick über sich selbst erstaunt. Sie hatte keinen Moment gezögert, ihm dies zu beichten.
Tyler wandte sich für einen Moment ab.
„Tyler?“
Er drehte sich langsam wieder zu ihr um und hielt eine Hand hoch. „Ist schon gut, Amy. Ich wusste, dass du und Harry zusammenkommen würdet. Es sollte so sein. Aber es fällt mir trotzdem noch etwas schwer, dich gehen zu lassen.“
Amys Kehle war wie zugeschnürt, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Das sagst ausgerechnet du! Dich zu verlieren, war das Schlimmste, was mir je passiert ist, Tyler. Hätte ich dich auch nur einen Augenblick länger hierbehalten können, hätte ich das getan.“
Auch Tylers Augen glänzten verräterisch. „Wo sind die Kinder? Geht es ihnen gut?“
Amy atmete tief ein und hielt die Luft einen Moment an, bis sie ihre Fassung wieder errungen hatte. „Sie sind mit deinen Eltern in Kansas. Ich habe mit ihnen gesprochen. Sie scheinen glücklich zu sein.“ Sie liebte Harry, und sie wusste, ihn zu heiraten, war die richtige Entscheidung. Doch Tyler war ihre erste Liebe gewesen, und er war der Vater ihrer Kinder. Es würde nicht leicht sein, sich endgültig von ihm zu verabschieden.
„Werde ich dich irgendwann noch einmal wiedersehen?“, fragte sie leise und krallte sich dabei an der Bettdecke fest, wie an einem Rettungsring.
„Es mag sein, dass unsere Wege sich wieder kreuzen – irgendwann“, antwortete Tyler leise. „Ob wir uns dann erkennen werden, ist eine andere Frage. Ich wünsche dir viel Glück, Mäuschen.“
Damit war er verschwunden.
„Tyler!“, rief Amy verzweifelt hinter ihm her. „Geh nicht!“
Völlig verwirrt richtete Amy sich auf und knipste die Nachttischlampe an. Ihr Gesicht war nass, die Bettdecke zerknittert, und ihre Hände schmerzten. Dann erinnerte sie sich an ihren Traum. Sie machte das Licht wieder aus, warf sich ins Kissen zurück und weinte sich in den Schlaf.
Als Harry am nächsten Morgen anrief, war ihre Stimme heiser, und sie hatte das Gefühl, tagelang nicht geschlafen zu haben. Er teilte ihr mit, dass er am nächsten Tag wieder da sein würde und dass er sie liebte. Aber das war alles, was Amy von ihrem Gespräch in Erinnerung blieb.
„Ich habe letzte Nacht wieder von Tyler geträumt“, erzählte sie Debbie später, als sie sich zu einer Pizza und einem großen Salat in der Nähe des Krankenhauses trafen.
Debbie nahm die Nachricht gelassen auf. „Er wollte sich von dir verabschieden, nicht wahr?“
Amy nickte und sah gedankenverloren auf ihren Teller.
„Liebst du ihn noch?“, wollte Debbie wissen, während sie eine Tomatenscheibe aus ihrer Salatschüssel fischte und sich diese in den Mund steckte.
„Tyler?“ Amy ging einen Moment in sich und empfand eine süße Trauer in ihrem Herzen. „Nicht so wie zuvor“, gestand sie leise.
„Dann ist die Trennung vollzogen“, stellte Debbie fest.
„Du hältst mich für verrückt.“
„Ich halte dich für eine ganz normale Frau, die ihren ersten Mann über alles geliebt hat. Aber du bist jung und gesund und liebst jetzt einen anderen.“
Amy wischte sich die Tränen mit der Serviette aus dem Gesicht. „Gestern Abend schien dir das nicht sonderlich zu behagen.“
„Das war ein ganz persönlicher Interessenskonflikt“, erklärte Debbie sachlich. „Du bist meine allerbeste Freundin. Und ich bin nicht gerade erbaut von dem Gedanken, dass du jetzt nach Australien ziehen könntest.“
„Ich habe dir doch gesagt, dass es nur jeweils für sechs Monate sein wird.“
„Ich bin es aber nicht gewöhnt, sechs Monate auf eine Essensverabredung zu warten, Amy“, konterte Debbie. „Ich werde mich ganz schön umstellen müssen. Wie, glaubst du, werden die Kinder die Neuigkeit aufnehmen? Und Tylers Eltern?“
Amy seufzte. „Ashley und Oliver sind begeistert von Harry“, sagte sie. „Und die Ryans mögen ihn natürlich auch. Ich weiß nur nicht, wie es ihnen gefallen wird, sechs Monate im Jahr auf ihre Enkelkinder verzichten zu müssen.“
„Sie könnten euch doch besuchen“, schlug Debbie vor.
„Genau wie du.“
Debbie strahlte. „Da hast du recht! Würdest du mich dann bitte Paul Hogan vorstellen?“
„Warum nicht?“, ging Amy auf den Scherz ihrer Freundin ein. „Ich kenne sowieso bald alle Australier beim Vornamen.“
Als Amy am späten Nachmittag mit einer Einkaufstüte im Arm nach Hause kam, war Mrs Ingallstadt in der Küche und gab Mimi frisches Futter.
„Mein Gott, haben Sie mich erschreckt!“, sagte die alte Frau und legte eine Hand an ihre Brust.
Amy lächelte. „Das tut mir leid – ich hätte Sie anrufen sollen. Aber ich war so müde, als ich gestern Abend nach Hause kam …“
„Ist schon in Ordnung, meine Liebe“, erwiderte Mrs Ingallstadt freundlich und sah Amy aufmerksam an. „Sie sehen immer noch etwas mitgenommen aus. Ich denke, Sie hätten ruhig etwas länger Urlaub nehmen sollen. Es ist nicht so leicht, sich mit dem Tod eines Menschen abzufinden, den man wirklich geliebt hat.“
„Da haben Sie recht“, sagte Amy und seufzte, während sie die Einkäufe im Kühlschrank verstaute.
„Wissen Sie, ich habe oft von meinem Walter geträumt – nachdem er gestorben war, meine ich –, und das hat mir sehr geholfen.“
Amy horchte auf. Sie ließ die Einkäufe liegen und stieß die Kühlschranktür zu. „Wirklich?“, fragte sie interessiert. „Erzählen Sie mir davon.“
Die alte Frau lachte. „Ich glaubte hinterher oft, mein Walter hätte mich tatsächlich besucht – so echt waren die Träume. Das ging beinahe drei Jahre lang so. Erst als ich merkte, dass ich auch allein zurechtkommen würde, wurden die Träume seltener. Ich meine, ich träume natürlich immer noch manchmal von ihm, aber jetzt sind das nur noch schöne Erinnerungen.“
Amy zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und ließ sich darauf sinken. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, so aufgewühlt war sie.
„Diese Träume haben mir sehr geholfen, seinen Tod zu überwinden“, fuhr Mrs Ingallstadt lächelnd fort. „Für mich war das, als passe Walter auf mich auf. Wissen Sie, er hatte mir immer versprochen, stets an meiner Seite zu bleiben, ganz gleich, was geschehen würde.“ Sie trat auf Amy zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Geht es Ihnen nicht gut, meine Liebe? Sie sehen ein wenig blass aus.“
Amy brachte es nicht über sich, ihrer Nachbarin zu erzählen, dass auch sie ihren Mann „gesehen“ hatte. Aber das Wissen, nicht die Einzige zu sein, die eine solche Erfahrung gemacht hatte, machte sie überglücklich. „Ganz im Gegenteil“, sagte sie.
An diesem Abend machte Amy sich einen frischen Salat, aß ihn ganz auf und ging früh zu Bett.
Am späten Vormittag erschien Harry mit einer riesigen Tüte voller Rosenblütenblätter. Er streute sie wie eine weiße duftende Wolke auf den Wohnzimmerteppich, auf der Amy und er sich langsam und genussvoll liebten.
„Ich habe auch ein Bett, weißt du?“, sagte Amy eine ganze Weile später, als sie mit dem Kopf auf seiner Brust ruhte.
Harry richtete sich so weit auf, dass er ihr in die Augen sehen konnte. „Tylers Bett.“
„Tyler wäre glücklich zu wissen, dass wir heiraten.“ Das hatte er ihr schließlich selbst gesagt.
„Ich weiß.“ Harry strich ihr zärtlich über die Innenseiten der Oberschenkel. „Aber das Bett eines Mannes ist heilig.“
Amy schloss die Augen, als er mit dem Finger in sie eindrang und sie mit kreisenden Daumenbewegungen zu neuem Leben erweckte.
Doch Amy wollte es genau wissen. Heftig keuchend sagte sie: „Du willst also sagen, dass ich meinen dritten Mann – solltest du einmal sterben – nicht mit ins Baumhaus nehmen dürfte.“
Harry beugte sich nach vorn, um an ihrer Brustspitze zu saugen, die noch vom letzten verführerischen Spiel seiner Zunge feucht war. „Unter keinen Umständen. Ich würde dich bis in deine tiefsten Träume verfolgen.“
Amys letzter klarer Gedanke war: Das wäre nicht das erste Mal, dass mir das passiert.
Stunden später, als Amy und Harry in Amys Küche saßen und selbst gemachte Spaghetti aßen, sagte sie geradeheraus: „Ich möchte, dass du heute Nacht hierbleibst.“
„Nein.“
Harrys schnelle, energische Antwort überraschte Amy. „Wir könnten im Gästezimmer schlafen“, schlug sie vor. Zwei Jahre lang war sie allein gewesen, und jetzt, da sie ihr Leben wieder mit jemandem teilen konnte, wollte sie nicht allein schlafen.
Harry schüttelte den Kopf. „Dies ist Tylers Haus.“ Amy hatte Angst, obwohl sie nicht genau zu sagen vermochte, warum. „Das hat dich nicht davon abgehalten, mitten im Wohnzimmer mit mir zu schlafen“, hielt sie ihm entgegen.
„Ich war verrückt nach dir“, antwortete Harry. „Wir haben uns zwei Tage nicht gesehen.“
„Das ist doch nicht zu glauben!“
„Glaub es. Ich liebe dich, Amy, und ich bin überzeugt, dass Tyler über unser Zusammensein sehr glücklich wäre. Aber er war einer meiner besten Freunde. Unter seinem Dach mit seiner Frau zu schlafen, entspricht nicht meiner Vorstellung, eines Toten zu gedenken.“
Jetzt wusste Amy, warum sie Angst hatte: Harry würde jedes Mal, wenn sie zärtlich miteinander waren, an Tyler denken. Vielleicht würde es sogar so schlimm werden, dass es ganz egal war, wo sie sich gerade aufhielten.
„Nimm mal an, ich würde dir erzählen, dass ich von Tyler geträumt habe“, sprudelte es in ihrer Verzweiflung aus Amy heraus. „Nimm mal an, er hätte mir erzählt, dass wir beide heiraten würden und zwei Kinder bekämen!“
Harry schob seinen Teller von sich weg. „Dann würde ich sagen, du hast seinen Tod noch nicht überwunden und bist noch gar nicht in der Lage, eine neue Bindung einzugehen.“
Alles begann sich um Amy zu drehen. Sie hielt sich an der Tischkante fest. „Was ist überhaupt los hier?“, begehrte sie auf. „Bekommst du etwa kalte Füße?“
„Wenn hier jemand ein Recht hat, diese Frage zu stellen, Liebling, dann bin ich das wohl!“ Harry war laut geworden, warf seine Serviette auf den Tisch und stand auf. „Hast du mit Tyler nun abgeschlossen oder nicht?“
Amy war wie versteinert. Sie hatte zwar schon miterlebt, dass Harry sich einmal ärgerte, hatte ihn aber noch nie schreien hören. „Ja, er ist ein Teil meiner Vergangenheit. Ich habe mit ihm abgeschlossen“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme.
„Aber du träumst immer noch von ihm!“
Amy hätte am liebsten alles zurückgenommen, aber sie konnte nicht lügen. Nicht Harry gegenüber. Deshalb sagte sie gar nichts.
Harry sah traurig aus. „Für mich ist es ganz offensichtlich, dass du für eine neue Ehe noch etwas Zeit brauchst, Amy.“ Er griff nach seinem Pullover, den er über die Stuhllehne gehängt hatte. „Ich rufe dich irgendwann an.“
„Harry!“ Amy lief hinter ihm her bis zur Haustür und musste dann hilflos zusehen, wie er, ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen, in seinen Wagen stieg und abfuhr.