SIEBZEHNTES KAPITEL
Wendy fällt
1
Die Situation wäre so oder so zum Abschluß
gekommen, einerlei, was passierte oder nicht passierte - dessen war
sich Thad ganz sicher. George Stark würde nicht einfach
verschwinden. Aber er hatte das Gefühl, und nicht ohne eine gewisse
Berechtigung, daß Wendys Sturz von der Treppe zwei Tage nach Starks
Anruf in Dave’s Market ein für allemal den Kurs bestimmte, auf dem
sich die Situation weiterentwickeln würde.
Die wichtigste Folge davon war, daß er ihm endlich
eine Möglichkeit des Handelns aufzeigte. Er hatte diese beiden Tage
in einer Art atemloser Flaute verbracht. Es fiel ihm schwer, selbst
den primitivsten Fernsehsendungen zu folgen, er war nicht imstande
zu lesen, und die Vorstellung, zu schreiben, hatte eine gewisse
Ähnlichkeit mit der Idee, schneller als mit Lichtgeschwindigkeit zu
reisen. Zumeist wanderte er von einem Zimmer ins andere, setzte
sich ein paar Augenblicke hin und wanderte wieder weiter. Er stand
Liz im Wege und ging ihr auf die Nerven. Sie fuhr ihn nicht an,
aber er vermutete, daß sie sich mehr als einmal auf die Zunge
beißen mußte, um zu verhindern, daß die Schärfe zum Vorschein kam
und in ihn einschnitt wie in ein Stück Papier.
Zweimal war er nahe daran, ihr von Starks zweitem
Anruf zu erzählen, dem Anruf, bei dem der gerissene alte George
genau gesagt hatte, was er im Sinne hatte, in dem sicheren Wissen,
daß die Leitung nicht angezapft war und sie vertraulich miteinander
sprachen. Beide Male hatte er sich selbst auf die Zunge gebissen,
weil er wußte, daß er damit nichts erreicht hätte, als sie noch
nervöser zu machen.
Und zweimal hatte er sich dabei ertappt, daß er in
seinem Arbeitszimmer saß und tatsächlich einen dieser verdammten
Berol-Bleistifte in der Hand hielt, obwohl er sich geschworen
hatte, sie nie wieder zu benutzen, und einen Stapel frischer, noch
in Zellophan verpackter Notizbücher von der Art betrachtete, in die
Stark seine Romane geschrieben hatte.
Du hattest eine Idee - die mit der Hochzeit und
dem gepanzerten Wagen.
Und das stimmte. Thad hatte sogar bereits einen
Titel: Steel Machine. Und noch etwas stimmte: irgend etwas
in ihm verlangte danach, das Buch zu schreiben. Es juckte ihn, wie
an der Stelle auf dem Rücken, die man nicht erreichen und an der
man sich deshalb nicht kratzen kann.
George würde sie für dich kratzen.
O ja, er würde sie mit Vergnügen für ihn
kratzen. Aber irgend etwas würde mit ihm vorgehen, weil sich die
Dinge jetzt geändert hatten, nicht wahr? Was genau würde es sein?
Er wußte es nicht, wollte es vielleicht nicht wissen, aber
immer wieder erschien ein beängstigendes Bild vor seinen Augen. Es
stammte aus dem rassistischen, aber dennoch wundervollen alten
Kinderbuch Little Black Sambo. Als Black Sambo auf den Baum
geklettert war und die Tiger ihn nicht erreichen konnten, wurden
sie so wütend, daß sie sich gegenseitig in die Schwänze bissen und
immer schneller um den Baum herumrannten, bis sie zu Butter
geworden waren. Sambo hatte die Butter in einen Topf gefüllt und
seiner Mutter gebracht.
George der Alchimist, hatte Thad gedacht,
während er in seinem Arbeitszimmer saß und mit einem unangespitzten
Berol Black Beauty gegen die Schreibtischkante klopfte. Stroh zu
Gold. Tiger zu Butter. Bücher zu Bestsellern. Und Thad zu -
was?
Er wußte es nicht. Er scheute davor zurück, es zu
wissen. Aber er würde verschwinden, Thad würde verschwinden, dessen
war er sich sicher. Vielleicht würde jemand hier leben, der
aussah wie er, aber hinter diesem Thad-Beaumont-Gesicht
würde ein anderer Geist stecken. Ein brillanter, krankhafter
Geist.
Er glaubte, daß der neue Thad Beaumont entschieden
weniger tolpatschig sein würde - und entschieden
gefährlicher.
Liz und die Kinder?
Würde Stark sie ungeschoren lassen, wenn er es
schaffte, auf den Fahrersitz zu gelangen?
Der nicht. Thad kam ein alter Schlager in den Sinn,
in dem es hieß: »All of me - why not take all of me?«
Er hatte auch ans Fortlaufen gedacht. Daran, Liz
und die Kinder in den Suburban zu packen und einfach davonzufahren.
Aber welchen Sinn hätte das? Welchen Sinn, solange der gerissene
alte George keine Mühe hatte, mit den Augen des dämlichen alten
Thad zu sehen? Es würde nicht das geringste ändern, selbst wenn sie
bis ans Ende der Welt führen. Sie würden dort ankommen, sich
umschauen und feststellen, daß George Stark, das Rasiermesser in
der Hand, mit einem Team von Schlittenhunden hinter ihnen
herjagte.
Den Gedanken, Alan anzurufen, schob er noch rascher
und entschlossener beiseite. Alan hatte ihnen mitgeteilt, wo Dr.
Pritchard sich aufhielt, und sein Entschluß, den Neurochirurgen
nicht ausfindig zu machen, sondern zu warten, bis Pritchard und
seine Frau aus dem Urlaub zurückgekehrt waren, sagte Thad genug
über das, was Alan glaubte - und, was noch wichtiger war, nicht
glaubte. Wenn er Alan von dem Anruf erzählte, den er in Dave’s
Market erhalten hatte, würde Alan das für schiere Erfindung halten.
Selbst wenn Rosalie bestätigte, daß er in ihrem Laden von
jemandem angerufen worden war, würde Alan zu keinem anderen
Schluß kommen. Er und all die anderen Polizisten, die sich selbst
zu dieser speziellen Party eingeladen hatten, waren auf diesen
Schluß angewiesen.
Und so vergingen diese Tage sehr langsam; sie waren
eine Art leerer Zeit. Am zweiten Tag notierte Thad kurz nach Mittag
in sein Tagebuch: Mir ist zumute, als befände ich mich in einem
seelischen Äquivalent zu den Roßbreiten. Es war die einzige
Eintragung, die er im Laufe einer Woche machte, und er begann sich
zu fragen, ob er je eine weitere machen würde. Sein neuer Roman,
The Golden Dog, lag tot im Wasser. Aber das, vermutete er,
verstand sich wohl von selbst. Es war überaus schwierig, sich
Geschichten auszudenken, wenn man fürchtete, ein böser Mann - ein
sehr böser Mann - könnte
auftauchen und seine Angehörigen hinschlachten, bevor man selbst
an die Reihe kam.
Er erinnerte sich nur an eine einzige Zeit, in der
er sich ebenso verloren vorgekommen war, und das waren die Wochen,
nachdem er mit dem Trinken aufgehört hatte - nach dem Schnapsbad,
in dem er sich nach Liz’ Fehlgeburt und vor Starks Auftauchen
gesuhlt hatte. Damals hatte er dasselbe Gefühl gehabt wie jetzt:
daß es ein Problem gab, an das er ebensowenig herankam wie an eine
dieser Wasser-Fata-Morganas, die man manchmal an einem heißen
Nachmittag am Ende einer ebenen Highway-Strecke sieht. Je
entschlossener er auf das Problem zurannte und sich wünschte, es
mit beiden Händen anzugehen, es auseinanderzunehmen, es zu
vernichten, desto schneller wich es vor ihm zurück, bis er
schließlich atemlos keuchend dastand und nichts hatte als das
täuschende Wellengeflimmer, das am Horizont seiner spottete.
In diesen Nächten schlief er schlecht und träumte,
George Stark zeigte ihm sein eigenes, leerstehendes Haus, ein Haus,
in dem Dinge zerfielen, wenn er sie berührte, und in dessen letztem
Zimmer die Leichen seiner Frau und Frederick Clawsons auf ihn
warteten. Sobald er es betrat, begannen die Vögel zu fliegen, sich
aufzuschwingen von Bäumen und Telefonleitungen und Strommasten,
Tausende von Vögeln, Millionen von Vögeln - so viele, daß sie die
Sonne verdunkelten.
Bis Wendy die Treppe herunterfiel, kam er sich vor
wie jemand, der nur darauf wartet, daß der richtige Mordbube
auftaucht, sich eine Serviette in den Kragen steckt, die Gabel zur
Hand nimmt und zu essen beginnt.
2
Die Zwillinge krabbelten seit einiger Zeit, und
seit ungefähr einem Monat zogen sie sich mit Hilfe des nächsten
stabilen (in einigen Fällen auch instabilen) Gegenstandes zum
Stehen hoch - ein Stuhlbein war gut, der Couchtisch ebenfalls;
selbst ein leerer Pappkarton tat seine Dienste, zumindest so
lange, bis das jeweilige Kind zu viel Gewicht darauf legte und er
einknickte oder umkippte. Kleinkinder sind immer imstande, sich
selbst in Schwierigkeiten zu bringen, aber im Alter von acht
Monaten, wenn das Krabbeln seinen Zweck erfüllt hat und das Laufen
noch nicht richtig gelernt ist, leben sie gewissermaßen im Goldenen
Zeitalter der Schwierigkeiten.
Liz hatte sie gegen Viertel vor fünf auf den
Fußboden gesetzt, und nach ungefähr zehn Minuten sicheren Krabbelns
und unsicheren Stehens (letzteres begleitet von fröhlichem Krähen,
mit dem sie den Eltern und sich selbst ihre Leistung verkündeten),
zog sich William an der Kante des Couchtisches hoch, schaute sich
um und machte mit dem rechten Arm ein paar gebieterische Gesten,
die Thad an alte Wochenschauen erinnerten, in denen der Duce vom
Balkon aus Reden an seine italienischen Landsleute hielt. Dann
bekam er die Teetasse seiner Mutter zu fassen und schaffte es, das,
was noch darin war, über sich selbst auszugießen, bevor er wieder
auf seinem Hinterteil landete. Der Tee war glücklicherweise kalt,
aber William brachte es fertig, die Tasse nicht loszulassen und
sich damit kräftig genug auf den Mund zu schlagen, daß seine
Unterlippe ein wenig blutete. Er begann zu weinen, und Wendy folgte
prompt seinem Beispiel.
Liz hob ihn hoch, untersuchte ihn, warf Thad einen
verzweifelten Blick zu und trug ihn nach oben, um ihn zu beruhigen
und zu säubern. »Behalte die Prinzessin im Auge«, sagte sie, als
sie ging.
»Mach ich«, sagte Thad, aber er hatte festgestellt
und würde es gleich wieder feststellen, daß solche Versprechungen
im Goldenen Zeitalter der Schwierigkeiten nicht viel zu besagen
hatten. William hatte es geschafft, Liz’ Teetasse praktisch unter
ihrer Nase zu erwischen, und Thad sah einen Moment zu spät, daß
Wendy im Begriff war, von der dritten Treppenstufe zu fallen.
Er hatte ein Nachrichtenmagazin betrachtet - nicht
darin gelesen, sondern nur geblättert und hin und wieder einen
Blick auf die Fotos geworfen. Als er damit fertig war, ging er zu
dem großen Wollkorb beim Kamin, der als eine Art
Zeitschriftenständer
diente, um die Zeitschrift zurückzulegen und sich eine andere zu
holen.
Wendy krabbelte auf dem Fußboden herum, ihre Tränen
waren vergessen. Sie gab das leise ram-ram-ram von sich, das
beide beim Krabbeln hören ließen, ein Laut, bei dem sich Thad
gelegentlich fragte, ob sie tatsächlich all ihre Bewegungen mit den
Autos und Lastwagen in Verbindung brachten, die sie im Fernsehen
sahen. Er hockte sich nieder, legte das Heft in den Korb, suchte
dann in dem Zeitschriftenhaufen herum und entschied sich
schließlich für ein einen Monat altes Exemplar von Harper’s.
Ihm kam der Gedanke, daß er sich verhielt wie ein Mann beim
Zahnarzt, der auf eine Extraktion wartet.
Er drehte sich um und Wendy war auf der Treppe. Sie
war bis zur dritten Stufe hochgekrabbelt und erhob sich jetzt
unsicher auf die Beine, wobei sie sich an einer der Docken
festhielt, die den Handlauf des Treppengeländers mit dem Fußboden
verbanden. Als er hinschaute, entdeckte sie ihn und reagierte mit
einer schwungvollen Armbewegung und einem Lächeln. Der Schwung des
Arms ließ ihren pummeligen Körper nach vorn kippen.
»O Gott«, flüsterte er, und als er mit trocken
knackenden Knien hochkam, sah er, wie sie einen Schritt vorwärts
tat und die Docke losließ. »Nicht, Wendy!«
Er sprang beinahe durchs Zimmer, und fast hätte er
es geschafft. Aber er war ein tolpatschiger Mann, und einer seiner
Füße verhakte sich hinter einem Stuhlbein. Der Stuhl kippte um, und
Thad stürzte hin. Wendy fiel mit einem erschrockenen kleinen
Quieken nach vorn. Im Fallen vollführte ihr Körper eine leichte
Drehung. Thad kam auf die Knie, versuchte sie aufzufangen, und
verfehlte sie um einen halben Meter. Ihr rechtes Bein prallte gegen
die unterste Treppenstufe, und ihr Kopf landete mit einem dumpfen
Laut auf dem teppichbelegten Fußboden des Wohnzimmers.
Sie schrie, und er hatte Zeit zu denken, wie
entsetzlich sich die Schmerzensschreie eines Kindes anhören; dann
hatte er sie aufgehoben und hielt sie in den Armen. Von oben rief
Liz mit bestürzter Stimme: »Thad?«, und er hörte, wie sie den Flur
entlangrannte.
Wendy versuchte zu weinen. Mit dem ersten
Schmerzensschrei hatte sie fast die gesamte Luft aus ihren Lungen
ausgestoßen, und nun kam der qualvolle, endlose Augenblick, in dem
sie versuchte, ihren Brustkorb zu entkrampfen und Luft zu holen für
den nächsten Aufschrei. Er würde ein Schlag gegen die Trommelfelle
sein, wenn er kam.
Wenn er kam.
Er hielt sie, betrachtete angstvoll ihr verzerrtes,
tief gerötetes Gesicht. Es war fast purpurn, abgesehen von einem
roten Fleck von der Form eines sehr großen Kommas auf der Stirn.
Himmel, was ist, wenn sie bewußtlos ist? Was ist, wenn sie
erstickt, nicht imstande ist, Luft zu holen und den Schrei
auszustoßen, der in ihren flachen kleinen Lungen
festsitzt?
»Schrei, verdammt nochmal!« brüllte er sie an. Oh,
dieses purpurfarbene Gesicht! Diese hervorquellenden, gequälten
Augen! »Schrei!«
»Thad!« Liz hörte sich jetzt sehr verängstigt an,
aber sie schien auch sehr weit fort zu sein. In diesen endlosen
Sekunden zwischen Wendys erstem Schrei und ihrem Bemühen, den
zweiten auszustoßen und weiterzuatmen, wurde George Stark zum
ersten Mal in den letzten acht Tagen aus Thads Denken vertrieben.
Wendy tat einen tiefen, krampfhaften Atemzug und begann zu brüllen.
Thad, vor Erleichterung zitternd, drückte sie an seine Schulter und
begann ihr sanft über den Rücken zu streichen, wobei er beruhigende
Laute von sich gab. Liz kam die Treppe heruntergestürzt, einen
zappelnden William unter den Arm geklemmt wie einen kleinen
Mehlsack. »Was ist passiert, Thad?«
»Sie ist von der dritten Treppenstufe gefallen.
Jetzt ist alles wieder in Ordnung. Nachdem sie angefangen hat zu
weinen. Zuerst war es, als wäre sie - einfach ausgerastet.« Er
lachte zittrig und tauschte Wendy gegen William aus, der jetzt in
teilnehmender Harmonie mit seiner Schwester brüllte.
»Hast du denn nicht aufgepaßt?« fragte Liz
vorwurfsvoll. Sie schwang ihren Körper automatisch in den Hüften
vor und zurück, schaukelte Wendy, versuchte sie zu beruhigen.
»Ja - nein. Ich ging hinüber, um mir eine
Zeitschrift zu holen. Fast im gleichen Moment war sie auf der
Treppe. Es war
wie bei Will und der Teetasse. Sie sind so verdammt flink. Was
meinst du - ist ihr Kopf in Ordnung? Sie ist auf den Teppich
gestürzt, aber ziemlich hart.«
Liz hielt Wendy einen Moment auf Armeslänge von
sich, betrachtete die rote Stelle und küßte sie dann sanft. Die
Lautstärke von Wendys Geschrei begann bereits abzunehmen.
»Ich glaube schon. Sie wird ein oder zwei Tage lang
eine Beule haben, das ist alles. Gott sei Dank für den Teppich. Ich
wollte dich nicht anschreien, Thad. Ich weiß, wie flink sie sind.
Es ist nur - mir ist irgendwie zumute wie sonst vor meiner Regel,
nur daß ich dieses Gefühl jetzt ständig habe.«
Wendys Schluchzen ebbte zu einem Schnüffeln ab.
Dementsprechend begann auch William zu verstummen. Er streckte
einen pummeligen Arm aus und ergriff das weiße T-Shirt seiner
Schwester. Sie sah sich um.
Er krähte, dann plapperte er etwas. Thad kam ihr
Plappern immer etwas unheimlich vor - wie eine Fremdsprache, gerade
so schnell gesprochen, daß man nicht sagen kann, um welche es sich
handelt, von Verstehen ganz zu schweigen. Wendy lächelte ihren
Bruder an, obwohl ihr immer noch Tränen aus den Augen kamen und
ihre Wangen naß waren. Sie krähte und plapperte eine Antwort. Einen
Augenblick lang war es, als hielten sie Zwiesprache in ihrer
eigenen, ganz privaten Welt, der Welt von Zwillingen.
Wendy streckte die Hand aus und legte sie William
auf die Schulter. Sie schauten sich ins Gesicht und plapperten
weiter.
Ist alles in Ordnung, Süße?
Ja, ich habe mir wehgetan, lieber William, aber
nicht schlimm.
Willst du heute abend lieber nicht zur
Dinnerparty der Stadleys gehen, mein Herz?
Es wird schon gehen, aber es ist sehr
rücksichtsvoll von dir, das zu fragen.
Bist du ganz sicher, liebe Wendy?
Ja, lieber William, es ist weiter nichts
passiert, aber ich fürchte, ich habe meine Windel
vollgemacht.
Oh, Liebling, wie LÄSTIG!
Thad lächelte ein wenig, dann betrachtete er Wendys
Bein. »Das gibt einen blauen Fleck«, sagte er. »Es sieht aus, als
bildete
er sich bereits.« Liz bedachte ihn mit einem kleinen Lächeln. »Der
verschwindet auch wieder«, sagte sie. »Und es wird nicht der letzte
sein.«
Thad beugte sich vor und küßte Wendy auf die
Nasenspitze, wobei ihm der Gedanke kam, wie schnell und wie heftig
diese Stürme aufkamen - keine drei Minuten zuvor hatte er
gefürchtet, sie könnte an Sauerstoffmangel sterben - und wie
schnell sie wieder abflauten. »Nein«, pflichtete er ihr bei. »So
Gott will, wird es nicht der letzte sein.«
3
Als die Zwillinge gegen sieben aus ihrem
Spätnachmittagsschläfchen aufwachten, hatte sich die Prellung an
Wendys Oberschenkel dunkel purpurn verfärbt. Sie hatte eine ganz
eigentümliche Form - wie ein Pilz.
»Thad?« sagte Liz, die am anderen Wickeltisch
stand. »Sieh dir das an.«
Thad hatte Wendys Windel abgenommen, leicht feucht,
aber nicht wirklich naß, und sie in den mit WENDY beschrifteten
Windeleimer geworfen. Er trug seine nackte Tochter hinüber zum
Wickeltisch seines Sohnes, um zu sehen, was Liz ihm zeigen wollte.
Er blickte auf William herab, und seine Augen weiteten sich.
»Was hältst du davon?« fragte sie ruhig. »Ist das
nun gespenstisch oder nicht?«
Thad blickte lange Zeit auf William herab. »Ja«,
sagte er schließlich, »das ist gespenstisch.«
Sie hielt ihren zappelnden Sohn mit einer Hand auf
seiner Brust auf dem Wickeltisch fest. Jetzt schaute sie auf und
warf einen scharfen Blick auf Thad. »Bist du okay?«
»Ja«, sagte er. Er war überrascht, wie gelassen ihm
seine Stimme vorkam. Es war, als wäre ein großes weißes Licht
aufgeflammt, nicht vor seinen Augen wie ein Blitzlicht, sondern
dahinter. Plötzlich glaubte er zu verstehen, was es mit den Vögeln
auf sich hatte, ein wenig davon, und wie der nächste Schritt
aussehen mußte. Nur indem er auf seinen
Sohn herabblickte und den blauen Fleck an seinem Bein betrachtete,
in Form, Farbe und Ort genau identisch mit dem auf Wendys Bein,
hatte er plötzlich verstanden. Als Will Liz’ Tasse ergriffen und
sich mit Tee begossen hatte, war er auf dem Hinterteil gelandet.
Soweit Thad wußte, war mit seinem Bein nicht das mindeste passiert.
Und dennoch war er da - ein blauer Fleck auf dem rechten
Oberschenkel, eine Prellung, die die Form eines Pilzes hatte.
»Bist du wirklich okay?«
»Sogar die blauen Flecken haben sie gemeinsam«,
sagte er und blickte auf Williams Bein herab.
»Thad?«
»Alles in Ordnung«, sagte er und gab ihr einen Kuß
auf die Wange. »Und jetzt sollten wir Psycho und Somatik anziehen,
meinst du nicht?«
Liz brach in Gelächter aus. »Thad, du bist
verrückt«, sagte sie.
Er lächelte sie an. Es war ein etwas seltsames,
etwas abwesendes Lächeln. »Verrückt wie ein Fuchs.«
Er trug Wendy zu ihrem Tisch zurück und machte sich
daran, sie frisch zu wickeln.