SIEBENTES KAPITEL
Polizeiangelegenheiten

1

Als die Polizei kam, saß Thad in seinem Arbeitszimmer und schrieb.
Liz war im Wohnzimmer und las, während sich Wendy und William in ihrem großen Laufstall miteinander vergnügten. Sie ging zur Tür und schaute durch eines der schmalen Seitenfenster hinaus, bevor sie öffnete. Das war eine Gewohnheit, die sie seit Thads »Debüt in People«, wie sie es scherzhaft nannten, angenommen hatte. Alle möglichen Leute - zum größten Teil flüchtige Bekannte, dazu eine gute Portion neugieriger Ortsansässiger und sogar ein paar völlig Fremde (übrigens ausschließlich Stark-Fans) - waren an ihrer Haustür aufgetaucht. Thad hatte es das »Besichtigungs-Syndrom des lebendigen Krokodils« genannt und vorausgesagt, daß es sich in ein bis zwei Wochen wieder geben würde. Liz hoffte, daß er recht hatte. Dennoch, fürchtete sie, könnte es sich bei einem der fremden Besucher um einen irren Krokodiljäger handeln, einen von der Sorte des Mörders von John Lennon, und deshalb schaute sie zuerst durch das Seitenfenster hinaus. Sie wußte nicht, ob sie einen echten Irren erkennen würde, wenn sie ihn vor sich sah, aber sie konnte zumindest dafür sorgen, daß Thads Gedanken während der zwei Stunden, die er jeden Vormittag am Schreibtisch verbrachte, nicht abschweiften. Danach ging er selbst zur Tür, wobei er ihr immer einen Blick zuwarf, der sie an einen schuldbewußten kleinen Jungen erinnerte und bei dem sie nicht recht wußte, wie sie reagieren sollte.
Bei den drei Männern, die an diesem Samstagvormittag vor der Tür standen, handelte es sich allem Anschein nach weder um Fans von Beaumont oder Stark noch um Irre - es sei denn, sie wären neuerdings dazu übergegangen, Streifenwagen der Staatspolizei zu benutzen. Sie öffnete die Tür und verspürte das leise Unbehagen, das die meisten unbescholtenen Bürger empfinden, wenn die Polizei erscheint, ohne gerufen worden zu sein. Wenn sie Kinder gehabt hätte, die bereits so groß waren, daß sie an diesem regnerischen Samstagvormittag draußen herumtollten, hätte sie sich vermutlich schon jetzt gefragt, ob ihnen vielleicht etwas passiert war.
»Ja?«
»Sind Sie Mrs. Elizabeth Beaumont?« fragte einer von ihnen.
»Ja, die bin ich. Kann ich Ihnen helfen?«
»Ist Ihr Mann zu Hause, Mrs. Beaumont?« fragte ein zweiter. Diese beiden trugen identische graue Regenmäntel und Polizeimützen.
Nein, das ist der Geist von Ernest Hemingway, den Sie da oben auf der Schreibmaschine hämmern hören. Diese Antwort kam ihr in den Sinn, aber natürlich sprach sie sie nicht aus. Zuerst kam die Angst, ob jemand einen Unfall gehabt hatte, denn das Phantom-Schuldbewußtsein, das einen drängte, etwas Grobes oder Sarkastisches zu sagen, etwas, das ungeachtet der tatsächlich ausgesprochenen Worte besagte: Verschwinden Sie. Sie sind hier unerwünscht. Wir haben nichts verbrochen. Verschwinden Sie und suchen Sie sich jemanden, der es getan hat.
»Darf ich fragen, warum Sie ihn sprechen möchten?«
Der dritte Polizist war Alan Pangborn.
»Polizeiangelegenheiten, Mrs. Beaumont«, sagte er. »Können wir ihn bitte sprechen?«

2

Thad Beaumont führte nicht regelmäßig Tagebuch, aber manchmal notierte er Ereignisse in seinem Leben, die ihn interessierten, belustigten oder ängstigten. Er hielt derartige Dinge in einer gebundenen Kladde fest, und seiner Frau war, obwohl sie es nie ausgesprochen hatte, beim Gedanken an diese Notizen immer etwas unbehaglich zumute. Die meisten von ihnen waren seltsam leidenschaftslos und erweckten fast den Eindruck, als stünde ein Teil von ihm abseits und kommentierte sein Leben so, wie es sich seinem eigenen, fast gleichgültigen Blick darbot. Nach dem Besuch der Polizei am Vormittag des 4. Juni schrieb er eine längere Passage mit einer starken und recht ungewöhnlichen Unterströmung von Gefühlen.
»Jetzt verstehe ich Kafkas Prozeß und Orwells 1984 ein wenig besser. Es ist ein grober Fehler, sie ausschließlich als politische Romane zu verstehen. Ich vermute, die Depression, in die ich verfallen bin, nachdem ich The Sudden Dancers beendet und festgestellt hatte, daß ich nichts mehr schreiben konnte, war - von Liz’ Fehlgeburt abgesehen - die schwerwiegendste emotionelle Erfahrung, die ich in meinem Leben durchmachen mußte; aber das, was heute passiert ist, kommt mir schlimmer vor. Vielleicht, rede ich mir ein, liegt es daran, daß die Erinnerung noch ganz frisch ist, aber es steckt doch wesentlich mehr dahinter. Ich glaube, wenn diese dunkle Zeit und der Verlust meiner ersten Zwillinge im vierten Schwangerschaftsmonat verheilte Wunden sind, von denen nur Narben zurückblieben, dann kann ich davon ausgehen, daß auch diese Wunde verheilen wird, aber ich glaube nicht, daß die Zeit imstande ist, sie wieder vollständig zu glätten. Auch dies wird eine Narbe hinterlassen, die zwar kürzer, aber auch tiefer ist - wie die Hinterlassenschaft eines plötzlichen Messerhiebs.
Ich bin sicher, daß sich die Polizisten so benahmen, wie es ihr Eid verlangt (wenn sie überhaupt einen ablegen müssen, was vermutlich der Fall ist). Dennoch hatte ich das Gefühl und habe es noch, daß ich Gefahr lief, in eine gesichtslose bürokratische Maschine hineingezerrt zu werden, eine Maschine, die ganz methodisch zu Werke gehen und mich in Fetzen reißen würde, weil diese Maschine dazu da ist, Menschen in Fetzen zu reißen. Mein Aufschrei würde die Reaktion der Maschine weder beschleunigen noch verlangsamen.
Ich spürte, daß Liz nervös war, als sie nach oben kam und mir sagte, die Polizei wollte mich wegen irgend etwas sprechen, sich aber weigerte zu sagen, um was es sich handelte. Sie sagte, einer der Polizisten wäre Alan Pangborn, der Sheriff von Castle County. Ich bin ihm vielleicht ein- oder zweimal begegnet, aber wiedererkannt habe ich ihn nur, weil der Castle Rock Call von Zeit zu Zeit sein Foto gebracht hat.
Ich war neugierig und dankbar, eine Pause einlegen und meine Schreibmaschine verlassen zu können, wo meine Romanhelden die ganze letzte Woche darauf bestanden haben, Dinge zu tun, die sie nicht tun sollten. Wenn ich überhaupt etwas dachte, dann vielleicht, daß es sich um Frederick Clawson handeln könnte oder um irgend etwas anderes im Zusammenhang mit dem People-Artikel. Und so war es auch, allerdings nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Ich weiß nicht, ob es mir gelingt, die Atmosphäre der Begegnung, die dann erfolgte, richtig darzustellen. Ich weiß nicht einmal, ob es eine Rolle spielt, aber es erscheint mir wichtig, daß ich es versuche. Sie standen in der Diele, nicht weit von der Treppe entfernt, drei große Männer (kein Wunder, daß manche Leute sie Bullen nennen), und von ihren Regenmänteln tropfte das Wasser auf den Teppich.
>Sind Sie Thaddeus Beaumont?< fragte einer von ihnen - es war Sheriff Pangborn, und das war der Augenblick, in dem der emotionale Umschwung einsetzte, den ich zu beschreiben (oder zumindest anzudeuten) versuche. In die Neugier und die Freude, von der Schreibmaschine erlöst zu sein, und sei es auch nur für kurze Zeit, mischte sich Verwunderung. Und ein bißchen Unbehagen. Mein voller Name, aber kein >Mister<. Wie ein Richter, der einem Angeklagten sein Urteil verkünden will.
>Ja, der bin ich<, sagte ich, >und Sie sind Sheriff Pangborn. Das weiß ich, weil wir ein Haus am Castle Lake haben.< Dann streckte ich, wie jeder wohlerzogene Amerikaner es getan hätte, die Hand aus.
Er sah sie nur an, und auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck, als hätte er gerade die Tür seines Kühlschranks geöffnet und festgestellt, daß der Fisch, den er fürs Abendessen eingekauft hatte, verdorben war. >Ich habe nicht die Absicht, Ihnen die Hand zu geben<, sagte er. >Sie können sie also zurückziehen und uns beiden die Peinlichkeit ersparen.< Das war eine überaus seltsame Bemerkung, eine regelrechte Grobheit, aber es störte mich weniger als die Art, auf die er es sagte. Es hörte sich an, als glaubte er, ich hätte den Verstand verloren.
Und das bewirkte, daß ich es mit der Angst zu tun bekam. Noch jetzt fällt es mir schwer zu glauben, wie rapide, wie unvorstellbar rapide meine Gefühle das ganze Spektrum von gewöhnlicher Neugier und einer gewissen Freude über die Unterbrechung der gewohnten Routine zu nackter Angst durchliefen. In diesem Moment wußte ich, daß sie nicht gekommen waren, um mit mir über irgend etwas zu sprechen, sondern weil sie glaubten, daß ich etwas verbrochen hatte, und im ersten Augenblick des Entsetzens - >Ich habe nicht die Absicht, Ihnen die Hand zu geben< - war ich sicher, daß das der Fall war.
Das war es, was ich festhalten muß. In dem Augenblick der Totenstille, die auf Pangborns Weigerung, mir die Hand zu geben, folgte, dachte ich tatsächlich, daß ich alles verbrochen hatte - und mir nichts übrigblieb, als meine Schuld einzugestehen.«

3

Thad ließ seine Hand langsam sinken. Aus dem Augenwinkel heraus sah er Liz, deren zusammengekrampfte Hände wie ein harter weißer Ball zwischen ihren Brüsten lagen, und plötzlich wäre er gern wütend gewesen auf diesen Cop, der anstandslos in sein Haus eingelassen worden war und sich dann weigerte, ihm die Hand zu geben. Den Cop, dessen Gehalt, zumindest zu einem kleinen Teil, aus den Steuern bezahlt wurde, die die Beaumonts auf ihr Haus in Castle Rock zahlten. Den Cop, der Liz ängstigte. Den Cop, der ihn ängstigte.
»Wie Sie wollen«, sagte Thad gelassen. »Wenn Sie mir schon nicht die Hand geben wollen, dann erklären Sie mir vielleicht wenigstens, warum Sie hier sind.«
Im Gegensatz zu den Staatspolizisten trug Alan Pangborn keinen Regenmantel, sondern eine wasserdichte Jacke, die ihm nur bis zur Hüfte reichte. Er griff in die Innentasche, zog eine Karte heraus und begann, sie abzulesen. Es dauerte einen Moment, bis Thad begriffen hatte, daß er eine Version der vom Gesetz vorgeschriebenen Warnung hörte.
»Wie Sie sagten, ist mein Name Alan Pangborn, Mr. Beaumont. Ich bin Sheriff von Castle County, Maine. Ich bin hier, weil ich Sie im Zusammenhang mit einem Kapitalverbrechen verhören muß. Das Verhör wird auf dem Revier der Staatspolizei in Orono geführt. Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern...«
»Großer Gott«, sagte Liz, und praktisch gleichzeitig hörte Thad sich sagen: »Moment mal. Einen Moment.« Er beabsichtigte, die Worte herauszubrüllen, aber obwohl sein Gehirn seine Lungen aufforderte, die Lautstärke auf das Gedröhn zu steigern, mit dem er im Hörsaal für Ruhe sorgte, brachte er nicht mehr hervor als einen sanften Einwand, den Pangborn mühelos beiseite wischte.
»... und Sie haben das Recht auf juristischen Beistand. Wenn Ihre Mittel das nicht erlauben, wird Ihnen ein Anwalt gestellt.«
Er steckte die Karte wieder in die Tasche.
»Thad?« Liz drängte sich an ihn wie ein kleines Kind, das Angst vor einem Gewitter hat. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten Pangborn an. Zwischendurch wanderte ihr Blick immer wieder zu den Staatspolizisten, die ihr so groß vorkamen, daß sie als Verteidiger in einer Profi-Football-Mannschaft hätten spielen können, aber die meiste Zeit ruhte er auf Pangborn.
»Ich gehe mit ihnen nirgendwo hin«, sagte Thad. Seine Stimme bebte, zitterte auf und ab, schlug um wie die eines Jungen im Stimmbruch. Er versuchte immer noch, wütend zu sein. »Ich glaube nicht, daß Sie mich dazu zwingen können.«
Einer der Staatspolizisten räusperte sich. »Die Alternative, Mr. Beaumont«, sagte er, »besteht darin, daß wir zurückfahren und uns einen Haftbefehl holen. In Anbetracht der Informationen, über die wir verfügen, wäre das allerdings eine Kleinigkeit.«
Er warf einen Blick auf Pangborn.
»Vielleicht ist es nur fair zu sagen, daß Sheriff Pangborn von uns verlangt hat, daß wir den Haftbefehl gleich mitbringen. Er hatte gute Argumente dafür, und wahrscheinlich hätte er seinen Willen durchgesetzt, wenn Sie nicht - eine so bekannte Persönlichkeit wären.«
Pangborn blickte angewidert drein, vielleicht wegen dieses Umstands, vielleicht deswegen, weil der Staatspolizist Thad über diesen Umstand informierte, wahrscheinlich wegen beidem.
Der Staatspolizist bemerkte den Blick, scharrte mit den nassen Füßen, als wäre er verlegen, sprach aber trotzdem weiter. »Wie die Dinge liegen, macht es mir nichts aus, Sie das wissen zu lassen.« Er schaute fragend zu seinem Partner, der nickte. Pangborn blickte weiter angewidert drein. Und wütend. Er sieht aus, dachte Thad, als würde er mir am liebsten mit den Fingernägeln den Bauch aufreißen und mir die Därme um den Kopf wickeln.
»Das klingt sehr professionell«, sagte Thad. Die Feststellung, daß er aber zumindest einen Teil seiner Fassung zurückgewonnen hatte, erleichterte ihn. Er wollte wütend sein, weil Wut die Angst gemildert hätte, aber er kam über den Zustand der Bestürzung nicht hinaus. »Aber es läßt die Tatsache, daß ich keine Ahnung habe, welche Dinge wie liegen, völlig außer acht.«
»Wenn wir glaubten, daß das der Fall ist, wären wir nicht hier, Mr. Beaumont«, sagte Pangborn. Der Ausdruck des Abscheus auf seinem Gesicht schaffte, was Thad von sich aus nicht gelungen war. Jetzt war Thad plötzlich wütend.
»Was Sie glauben, ist mir völlig egal!« sagte Thad. »Ich habe Ihnen gesagt, daß ich weiß, wer Sie sind, Sheriff Pangborn - meine Frau und ich haben ein Sommerhaus in Castle Rock, seit 1973 - also seit lange vor der Zeit, zu der Sie zum ersten Mal von diesem Ort gehört haben. Ich weiß nicht, was Sie hier wollen, an die hundertsechzig Meilen von Ihrem Bezirk entfernt, oder weshalb Sie mich mustern, als wäre ich ein Spritzer Vogeldreck auf einem neuen Wagen, aber eines kann ich ihnen sagen - solange ich das nicht weiß, begleite ich Sie nirgendwohin. Wenn Sie meinen, einen Haftbefehl zu brauchen, dann ziehen Sie los und besorgen Sie einen. Aber dann werden Sie feststellen, daß Sie bis zum Hals in einem Kessel mit heißer Scheiße sitzen, und ich sitze darunter und schüre das Feuer. Weil ich nämlich nichts verbrochen habe. Das ist unerhört. Das ist - verdammt - unerhört
Jetzt hatte seine Stimme die volle Lautstärke erreicht, und die beiden Staatspolizisten schauten ein wenig verschüchtert drein. Pangborn nicht. Er fuhr nur fort, Thad auf diese beunruhigende Art zu mustern.
Im Nebenzimmer begann eines der Kinder zu weinen.
»Großer Gott«, stöhnte Liz. »Was soll das alles? Sagen Sie es uns!«
»Kümmere dich um die Kinder, Baby«, sagte Thad, ohne den Blick von Pangborn abzuwenden.
»Aber...«
»Bitte«, sagte er, und nun weinten beide Kinder. »Das kommt schon in Ordnung.«
Sie bedachte ihn mit einem letzten unsicheren Blick, ihre Augen sagten Versprichst du mir das?, dann ging sie ins Wohnzimmer.
»Wir müssen Sie im Zusammenhang mit dem Mord an Homer Gamache verhören«, sagte der zweite Staatspolizist.
Thad hörte auf, Pangborn anzustarren, und wendete seinen Blick dem Staatspolizisten zu. »An wem?«
»Homer Gamache«, wiederholte Pangborn. »Wollen Sie etwa behaupten, der Name sagt Ihnen nichts, Mr. Beaumont?«
»Natürlich nicht«, sagte Thad verblüfft. »Homer bringt unseren Müll auf den Schuttabladeplatz, wenn wir in Castle Rock sind. Macht kleine Reparaturen an unserem Haus. Er hat in Korea einen Arm verloren und dafür den Silver Star bekommen.«
»Den Bronze Star«, sagte Pangborn eisig.
»Homer ist tot? Wer hat ihn umgebracht?«
Jetzt sahen sich die beiden Staatspolizisten überrascht an. Nach Kummer ist Verblüffung vielleicht das Gefühl, das sich am schwersten vortäuschen läßt.
Der erste Staatspolizist erwiderte mit seltsam sanfter Stimme: »Wir haben allen Grund zu der Annahme, daß Sie es getan haben, Mr. Beaumont. Deshalb sind wir hier.«

4

Thad sah ihn einen Augenblick lang völlig fassungslos an, dann lachte er. »Himmel. Herr im Himmel. Das ist ja Wahnsinn.«
»Wollen Sie sich einen Mantel holen, Mr. Beaumont?« fragte der andere Staatspolizist. »Draußen regnet es ziemlich stark.«
»Ich gehe nirgendwo mit hin«, wiederholte Thad geistesabwesend, ohne den Ausdruck von Wut und Erbitterung, der plötzlich auf Pangborns Gesicht erschienen war, zur Kenntnis zu nehmen. Er dachte nach.
»Das werden Sie leider müssen«, sagte Pangborn. »Auf diese oder auf die andere Art.«
»Dann muß es eben die andere sein«, sagte er, und dann löste er sich aus seiner Gedankenversunkenheit. »Wann ist das passiert?«
»Mr. Beaumont«, sagte Pangborn. Er sprach langsam und sorgfältig formulierend, als wendete er sich an einen Vierjährigen, und zwar einen nicht sonderlich intelligenten. »Wir sind nicht hier, um Ihnen Informationen zu geben.«
Liz kehrte mit den Zwillingen zurück. Aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen; ihre Stirn leuchtete grellweiß. »Das ist Irrsinn«, sagte sie. Sie ließ den Blick von Pangborn zu den Staatspolizisten und wieder zurück zu Pangborn wandern.
»Totaler Irrsinn. Wissen Sie das nicht?«
»Hören Sie«, sagte Thad, trat zu Liz und legte einen Arm um sie, »ich habe Homer nicht umgebracht, Sheriff Pangbom, aber ich verstehe jetzt, warum Sie so wütend sind. Kommen Sie mit in mein Arbeitszimmer. Dort können wir uns hinsetzen und zusehen, ob wir etwas Licht in diese Angelegenheit bringen...«
»Holen Sie Ihren Mantel«, sagte Pangborn. Dann wendete er sich an Liz. »Entschuldigen Sie die harten Worte, aber inzwischen habe ich so ziemlich allen Scheiß gehört, den ich an einem regnerischen Samstagvormittag verkraften kann. Mr. Beaumont, Sie kommen mit.«
Thad schaute zu dem älteren der beiden Staatspolizisten. »Können Sie diesen Mann nicht zur Vernunft bringen? Ihm sagen, daß er sich eine Menge Ärger und Peinlichkeit ersparen kann, nur indem er mir mitteilt, wann Homer ermordet wurde. Und wo. Wenn es in Castle Rock war - und ich kann mir nicht vorstellen, was Homer hier zu suchen gehabt hätte -, so kann ich nur sagen: ich bin die letzten zweieinhalb Monate nicht aus Ludlow herausgekommen, ausgenommen meine Fahrten zur Universität.« Er sah zu Liz hinüber, die nickte.
Der Staatspolizist dachte kurz nach, dann sagte er: »Entschuldigen Sie uns ein paar Minuten.«
Die drei Männer durchquerten die Diele. Es hatte fast den Anschein, als würde Pangborn von den beiden Staatspolizisten geführt. Sie gingen durch die Vordertür hinaus. Sobald sie ins Schloß gefallen war, überschüttete ihn Liz mit einer Fülle fassungsloser Fragen. Thad kannte sie gut genug, um zu wissen, daß ihre Bestürzung die Form von Empörung über die Cops - sogar Wut auf sie - angenommen hätte, wenn sie nicht erfahren hätte, daß Homer Gamache ermordet worden war. Sie war den Tränen nahe.
»Das kommt schon wieder ins Lot«, sagte er und küßte sie auf die Wange. Dann küßte er auch William und Wendy, die aussahen, als fühlten sie sich nicht wohl in ihrer Haut. »Ich glaube, die Staatspolizisten wissen bereits, daß ich die Wahrheit sage, oder sind zumindest halbwegs davon überzeugt. Pangborn - nun ja, er kannte Homer. Du hast ihn auch gekannt. Er hat einfach eine Mordswut.« Und seinem Verhalten nach zu urteilen, muß er irgendwelche unumstößlichen Beweise haben, die mich mit dem Mord in Verbindung bringen, dachte er, sprach es aber nicht aus.
Er durchquerte die Diele und blickte wie zuvor Liz durch das kleine Seitenfenster hinaus. Unter anderen Umständen wäre das, was er da sah, komisch gewesen. Die drei Männer standen auf dem Vorplatz, fast, aber nicht ganz vor dem Regen geschützt, und diskutierten hitzig. Thad konnte zwar ihre Stimmen hören, aber nicht verstehen, was gesprochen wurde. Die beiden Staatspolizisten redeten auf Pangborn ein, der den Kopf schüttelte und eine wütende Erwiderung von sich gab.
Thad kehrte zu Liz zurück.
»Was machen sie?« fragte sie.
»Ich weiß es nicht«, sagte Thad, »aber ich glaube, die beiden Staatspolizisten versuchen, Pangborn dazu zu bringen, daß er mir sagt, warum sie so sicher sind, daß ich Homer Gamache ermordet habe. Oder zumindest einen Teil des Warum.«
»Armer Homer«, sagte sie. »Das Ganze kommt mir vor wie ein böser Traum.«
Er nahm ihr William ab und sagte ihr noch einmal, sie solle sich keine Sorgen machen.

5

Ungefähr zwei Minuten später kamen die Polizisten wieder herein. Pangborns Gesicht war eine Gewitterwolke. Thad vermutete, daß die Cops Pangborn gesagt hatten, was er bereits wußte, aber nicht zugeben wollte: der Schriftsteller zeigte keine Spur jener Nervosität, die auf Schuld hindeutete.
»Also gut«, sagte Pangborn.
Er versucht, Schroffheit zu vermeiden, dachte Thad, und es gelingt ihm halbwegs. Nicht ganz, aber immerhin halbwegs. Eine gute Leistung in Anbetracht der Tatsache, daß er seinen Hauptverdächtigen für den Mord an einem einarmigen alten Mann vor sich bat. »Diese Herren wünschen, daß ich Ihnen hier wenigstens eine Frage stelle, Mr. Beaumont, und das werde ich tun. Können Sie mir sagen, wo Sie sich in der Zeit vom 31. Mai, 23 Uhr, bis zum 1. Juni, 4 Uhr morgens, aufgehalten haben?«
Thad und Liz wechselten einen Blick, und Thad spürte, wie sich ein großes Gewicht auf seinem Herzen lockerte. Es fiel nicht ganz ab, noch nicht, aber ihm war, als wären alle Riemen, die dieses Gewicht hielten, gelöst worden. Jetzt fehlte nur noch ein kräftiger Stoß.
»War es der Tag?« fragte er seine Frau. Er glaubte, daß er es war, aber er hatte das Gefühl, daß es einfach zu gut war, um wahr zu sein.
»Ich bin ganz sicher«, erwiderte Liz. »Der einunddreißigste, sagten Sie, Sheriff?« Sie sah Pangborn mit hoffnungsvollem Lächeln an.
Pangborn erwiderte ihren Blick voller Argwohn. »Ja, Madam. Aber ich fürchte, Ihre unbewiesene Aussage wird nichts...«
Sie achtete nicht auf seine Worte, sondern zählte an den Fingern rückwärts. Plötzlich grinste sie. »Dienstag! Dienstag war der einunddreißigste!« rief sie. »Gott sei Dank!«
Pangborn blickte verwirrter und wütender drein als je zuvor; die Staatspolizisten waren nur verwirrt. »Wollen Sie uns sagen, was Sie meinen, Mrs. Beaumont?«
»Am Abend des einunddreißigsten hatten wir hier eine Party!« erwiderte sie und bedachte Pangborn mit einem Blick, der Triumph und heftige Abneigung verriet. »Wir hatten das ganze Haus voller Gäste. War es nicht so, Thad?«
»Es war so.«
»In einem Fall wie diesem ist ein gutes Alibi eher eine Veranlassung zum Argwohn«, sagte Pangborn, aber er blickte noch verwirrter drein.
»Was sind Sie doch für ein törichter, arroganter Mann!« rief Liz. Ihre Wangen waren jetzt lebhaft gerötet. Die Angst war gewichen, Zorn trat an ihre Stelle. Sie wendete sich an die Staatspolizisten. »Wenn mein Mann kein Alibi für die Tat hat, die er begangen haben soll, nehmen Sie ihn mit aufs Revier! Wenn er eines hat, dann sagt dieser Mann, das bedeutete wahrscheinlich nur, daß er es trotzdem getan hat! Was ist los - fürchten Sie sich vor ein bißchen ehrlicher Arbeit? Weshalb sind Sie überhaupt hier?«
»Laß das, Liz«, sagte Thad ruhig. »Sie haben gute Gründe für ihr Hiersein. Wenn Sheriff Pangborn sich seiner Sache nicht so sicher wäre und nur auf blauen Dunst hin handelte, wäre er allein gekommen.«
Pangborn bedachte ihn mit einem verdrossenen Blick, dann seufzte er. »Erzählen Sie uns von der Party, Mr. Beaumont.«
»Wir haben sie für Tom Carroll gegeben«, sagte er. »Tom hat neunzehn Jahre lang der Englischen Fakultät der Universität angehört und war in den letzten fünf Jahren ihr Chairman. Am 27. Mai, an dem das akademische Jahr offiziell endete, ist er in Pension gegangen. Deshalb haben wir für ihn und seine Frau eine Abschiedsparty gegeben.«
»Wie lange hat die Party gedauert?«
Thad grinste. »Nun, sie war vor vier Uhr morgens zu Ende, aber nicht viel früher. Wenn sie einen Haufen Englischprofessoren mit einem fast unerschöpflichen Vorrat an Getränken zusammenbringen, können Sie ein ganzes Wochenende auf den Kopf hauen. Die ersten Gäste trafen gegen acht ein, und wer waren die letzten, Liebling?«
»Rawlie DeLesseps und diese junge Geschichtsprofessorin, mit der er liiert ist«, sagte sie. »Die, die allen Leuten verkündet >Nennen Sie mich einfach Billy, das tut jeder<.«
»Stimmt«, sagte Thad. »Widerliche Person.«
Er lügt, und wir wissen es beide, besagte Pangborns Blick ganz deutlich. »Und wann sind diese Freunde gegangen?«
Thad schauderte ein wenig. »Freunde? Rawlie, ja. Aber diese Person ganz bestimmt nicht.«
»Gegen zwei«, sagte Liz.
Thad nickte. »Es muß mindestens zwei Uhr gewesen sein, als wir sie zur Tür brachten. Es fehlte nicht viel, daß wir sie hinauswarfen. Wie ich bereits andeutete - ich werde dem Wilhelmina-Burks-Fanclub erst beitreten, wenn es in der Hölle schneit, aber ich hätte trotzdem darauf bestanden, daß die beiden bei uns übernachteten, wenn sie mehr als drei Meilen zu fahren gehabt hätten oder es früher gewesen wäre. Aber um diese Zeit sind an einem Dienstagabend - Entschuldigung, Mittwochmorgen - die Straßen völlig leer. Abgesehen vielleicht von ein paar Rehen, die über die Gärten herfallen.« Er machte abrupt den Mund zu. Vor Erleichterung wäre er fast ins Schwatzen geraten.
Es folgte ein Moment der Stille. Die beiden Staatspolizisten betrachteten den Fußboden. Auf Pangborns Gesicht lag ein Ausdruck, den Thad nicht recht deuten konnte - er glaubte nicht, ihn je zuvor wahrgenommen zu haben. Nicht Enttäuschung, obwohl Enttäuschung ein Teil davon war.
Was zum Teufel geht hier vor sich?
»Nun, das ist recht überzeugend, Mr. Beaumont«, sagte Pangborn schließlich, »aber noch lange nicht hieb- und stichfest. Was die Zeit angeht, zu der Sie dieses letzte Paar zur Tür brachten, haben wir Ihre Behauptung und die ihrer Frau - beziehungsweise ihre Schätzung. Wenn Ihre letzten Gäste so voll waren, wie Sie zu glauben scheinen, dürften sie kaum in der Lage sein, Ihre Aussage zu bestätigen. Und wenn dieser DeLesseps wirklich ein guter Freund von Ihnen ist, dann erklärt er vielleicht... wer weiß?«
Dennoch verlor Pangborn den Wind aus den Segeln. Thad sah es und glaubte - nein, wußte - es, und den Staatspolizisten erging es nicht anders. Dennoch war der Mann nicht bereit aufzugeben. Die Angst, die Thad zuerst gefühlt hatte, und die Wut, die darauf gefolgt war, verwandelten sich in Faszination und Neugierde. Ihm war, als hätte er noch nie erlebt, wie Unsicherheit, Verwirrung und felsenfeste Überzeugung dermaßen miteinander im Kampf lagen. Die Tatsache der Party - und er mußte sie als leicht zu überprüfende Tatsache akzeptieren - hatte ihn erschüttert, aber nicht überzeugt. Auch die Staatspolizisten waren nicht voll und ganz überzeugt. Der Unterschied bestand nur darin, daß sie der Angelegenheit gelassener gegenüberstanden. Sie hatten Homer Gamache nicht gekannt und nahmen deshalb nicht persönlich Anteil. Pangborn hatte ihn gekannt und war unmittelbar betroffen.
Ich habe ihn auch gekannt, dachte Thad. Also bin ich vielleicht auch unmittelbar betroffen. Abgesehen davon natürlich, daß es um meine Haut geht.
»Sehen Sie«, sagte er geduldig. Er sah Pangborn unverwandt in die Augen und versuchte, dessen Feindseligkeit nicht mit gleicher Münze heimzuzahlen. »Machen wir Nägel mit Köpfen, wie meine Studenten zu sagen pflegen. Sie haben gefragt, ob wir eindeutig beweisen können, wo wir uns in der Nacht vom einunddreißigsten Mai auf den ersten Juni aufgehalten haben...«
»Wo Sie sich aufgehalten haben, Mr. Beaumont«, sagte Pangborn.
»Okay, wo ich mich aufgehalten habe. Fünf ziemlich problematische Stunden, in denen die meisten Leute im Bett liegen. Durch nichts als pures Glück sind wir - bin ich, wenn Ihnen das lieber ist - in der Lage, über mindestens drei dieser fünf Stunden Rechenschaft abzulegen. Vielleicht sind Rawlie und seine widerliche Freundin um zwei gegangen, vielleicht auch halb zwei oder Viertel nach zwei. Auf jeden Fall war es sehr spät. Das werden sie bestätigen, und die Burks würde mir bestimmt kein Alibi zurechtlügen. Ich glaube, wenn Billie Burks mich halb ertrunken am Strand liegen sähe, würde sie mir noch einen Eimer Wasser über den Kopf gießen.«
Liz bedachte ihn mit einem eigentümlich verschmitzten Lächeln, als sie ihm William abnahm, der unruhig zu werden begann. Anfangs verstand er nicht, was dieses Lächeln zu bedeuten hatte, doch dann fiel es ihm ein. Es waren natürlich die Worte ein Alibi zurechtlügen, eine Redewendung, deren sich Alexis Machine, der Erzschurke der George-Stark-Romane, gelegentlich bediente. Das war wirklich merkwürdig; er konnte sich nicht erinnern, jemals eine der für Stark typischen Formulierungen in einem Gespräch verwendet zu haben. Aber andererseits war er ja auch nie des Mordes beschuldigt worden, und Mord war nun einmal George Starks Domäne.
»Selbst wenn wir annehmen, daß wir uns um eine Stunde geirrt haben und sie schon um eins gegangen sind, und wenn wir weiter annehmen, daß ich eine Minute - eine Sekunde, nachdem sie um die Ecke gebogen waren, in meinen Wagen gesprungen und wie ein Wahnsinniger nach Castle Rock gerast wäre, hätte ich keinesfalls vor halb fünf oder fünf dort eintreffen können. In Richtung Westen gibt es keine Schnellstraße, wie Sie wissen.«
Einer der Staatspolizisten sagte: »Und diese Mrs. Arsenault sagte, es wäre Viertel vor eins gewesen, als sie...«
»Das tut hier nichts zur Sache«, unterbrach ihn Pangborn schnell.
Liz gab einen erbitterten Laut von sich, und Wendy horchte interessiert auf. William auf ihrem anderen Arm war in die Betrachtung seiner Finger versunken. Zu Thad sagte sie: »Um eins war noch ein ganzer Haufen Leute da.«
Dann holte sie zum Schlag gegen Pangborn aus.
»Was ist eigentlich los mit Ihnen, Sheriff? Warum sind Sie so finster entschlossen, meinem Mann diesen Mord anzuhängen? Sind Sie beschränkt? Oder faul? Oder boshaft? Sie machen nicht den Eindruck, als wären sie etwas von alledem, aber Ihr Verhalten ist mir schleierhaft. Vielleicht war es eine Lotterie. War es das? Haben Sie seinen Namen aus irgendeinem Zylinder gezogen?«
Pangborn fuhr ein wenig zusammen, von ihrer wütenden Attacke offensichtlich überrascht und bestürzt. »Mrs. Beaumont...«
»Ich fürchte, ich befinde mich im Vorteil, Sheriff«, sagte Thad. »Sie glauben, ich hätte Homer Gamache ermordet...«
»Mr. Beaumont, wir haben keine Anklage erhoben...«
»Nein. Aber Sie glauben es, nicht wahr?«
Massive Ziegelröte - nicht von Verlegenheit, sondern von Enttäuschung hervorgebracht - war langsam auf Pangborns Wangen hochgestiegen, wie die Quecksilbersäule in einem Thermometer.
»Ja«, sagte er, »das glaube ich. Trotz allem, was Sie und Ihre Frau gesagt haben.«
Diese Antwort verblüffte Thad. Was mochte vorgefallen sein, daß sich dieser Mann (der, wie Liz gesagt hatte, ganz und gar keinen beschränkten Eindruck machte) seiner Sache so sicher war? So verdammt sicher?
Thad spürte, wie ihn ein Schauder überlief - und dann geschah etwas Seltsames. Einen Augenblick lang erfüllte ein Phantomgeräusch sein Denken - nicht seinen Kopf, sondern sein Denken. Es war ein Geräusch, mit dem sich ein fast schmerzhaftes Empfinden von dejà vu verband, denn es war fast dreißig Jahre her, seit er es zum letztenmal gehört hatte. Es war das gespenstische Tschilpen von Hunderten, vielleicht Tausenden von kleinen Vögeln.
Er hob eine Hand zur Stirn und berührte die kleine Narbe, die sich dort befand, und wieder überkam ihn das Schaudern, diesmal stärker, wie ein Draht, der durch sein Fleisch fuhr.
Lüg mir ein Alibi zurecht, George, dachte er. Ich stecke in der Klemme, also lüg mir ein Alibi zurecht.
»Thad?« fragte Liz. »Fehlt dir etwas?«
»Wie bitte?« Er drehte sich zu ihr um.
»Du bist so blaß.«
»Es ist alles in Ordnung«, sagte er, und so war es. Das Geräusch war verschwunden. Wenn es überhaupt dagewesen war.
Er wendete sich wieder an Pangborn.
»Wie ich schon sagte, befinde ich mich in dieser Sache in einem gewissen Vorteil. Sie glauben, ich hätte Homer ermordet. Aber ich weiß, daß ich es nicht getan habe. Außer in Büchern habe ich noch nie einen Menschen umgebracht.«
»Mr. Beaumont...«
»Ich verstehe Ihre Empörung. Er war ein netter alter Mann unter dem Pantoffel seiner Frau, mit einem trockenen Sinn für Humor und nur einem Arm. Auch ich bin empört. Ich werde Ihnen helfen, wo ich nur kann, aber dazu müssen Sie auf diese Polizei-Heimlichtuerei verzichten und mir sagen, warum Sie hier sind - und wie Sie ausgerechnet auf mich gekommen sind. Das verstehe ich einfach nicht.«
Pangborn musterte ihn lange Zeit schweigend und sagte dann: »Meine sämtlichen Instinkte erklären mir, daß Sie die Wahrheit sagen.«
»Gott sei Dank«, sagte Liz. »Der Mann kommt zur Vernunft.«
»Und wenn das der Fall ist«, fuhr Pangborn fort und sah dabei nur Thad an, »dann knüpfe ich mir den Kerl bei A.S.R. and I., der diesen Mist gebaut hat, persönlich vor und ziehe ihm das Fell über die Ohren.«
»Was ist das?« fragte Liz.
»Armed Services Records and Identification«, sagte einer der Staatspolizisten. »In Washington.«
»Ich habe noch nie erlebt, daß dort jemand Mist gebaut hat«, fuhr Pangborn fort, ebenso nachdenklich wie zuvor. »Es heißt, für alles gäbe es ein erstes Mal, aber... wenn diese Leute keinen Mist gebaut haben und wenn bei Ihnen tatsächlich eine Party stattgefunden hat, dann verstehe ich überhaupt nichts mehr.«
»Können Sie uns nicht sagen, um was es eigentlich geht?«
Pangborn seufzte. »Warum nicht, nachdem wir nun schon so weit sind? Wann Ihre letzten Gäste gegangen sind, spielt keine große Rolle. Wenn Sie um Mitternacht hier waren, wenn es Zeugen gibt, die das beschwören können...«
»Mindestens fünfundzwanzig«, sagte Liz.
»... dann sind Sie aus der Sache heraus. Anhand des Augenzeugenberichts der Dame, die mein Kollege erwähnte, und der Autopsie des Gerichtsmediziners können wir ziemlich sicher sein, daß Homer zwischen ein und drei Uhr nachts ermordet wurde. Er wurde mit seiner eigenen Armprothese zu Tode geprügelt.«
»Großer Gott«, murmelte Liz, »und Sie haben geglaubt, daß Thad...«
»Homers Wagen wurde vorgestern abend auf dem Parkplatz einer Raststätte an der I-95 in Connecticut gefunden, nicht weit von der Grenze des Staates New York entfernt.« Er hielt einen Moment inne. »Er war voller Fingerabdrücke. Einige davon stammten von Homer. Und eine ganze Menge von dem Täter. Etliche seiner Fingerabdrücke waren hervorragend. Einer hatte fast die Qualität eines Gipsabdrucks und befand sich auf einem Klumpen Kaugummi, den der Kerl aus dem Mund genommen und mit dem Daumen aufs Armaturenbrett gedrückt hat, wo er hart wurde. Der beste von allen befand sich auf dem Rückspiegel. Er stand einem auf dem Revier abgenommenen Fingerabdruck in nichts nach. Nur daß der auf dem Rückspiegel mit Blut gemacht wurde statt mit Tinte.«
»Aber wieso Thad?« fragte Liz entrüstet. »Party oder nicht Party - wie sind Sie auf den Gedanken gekommen, daß Thad...«
Pangborn sah sie an und sagte: »Als die Leute von A.S.R. and I. die Fingerabdrücke in ihren Computer eingaben, kamen die Militärdienstunterlagen Ihres Mannes heraus. Um ganz genau zu sein - die Fingerabdrücke Ihres Mannes kamen heraus.«
Einen Moment lang konnten Thad und Liz sich nur sprachlos anstarren. Dann sagte Liz: »Das muß ein Irrtum sein. Die Leute, die diese Dinge überprüfen, machen doch gewiß hin und wieder Fehler.«
»Ja, aber kaum Fehler dieser Größenordnung. Gewiß, bei der Identifizierung von Fingerabdrücken gibt es Grauzonen. Die Leute, die sich im Fernsehen Kojak und Barnaby Jones ansehen, halten die Identifizierung von Fingerabdrücken für eine exakte Wissenschaft; das ist sie nicht. Aber die Computer haben einen großen Teil der Grauzonen beseitigt, und in diesem Fall hatten wir besonders gute Abdrücke. Wenn ich sage, daß es die Abdrücke Ihres Mannes waren, dann weiß ich, was ich sage. Ich habe die Computer-Ausdrucke gesehen, und auch die Vergleichsbilder. Sie sind sich nicht nur ähnlich.«
Jetzt richtete er den Blick auf Thad und fixierte ihn mit seinen unerbittlichen blauen Augen.
»Sie stimmen genau überein.«
Liz starrte ihn mit offenem Mund an, und auf ihren Armen begannen zuerst William und dann auch Wendy zu weinen.