Liebes Tagebuch... dachte Sabrina und schlug eine neue Seite in ihrem Tagesablaufs-Berichtsheft auf.
Wo früher seitenlang leeres, weißes Papier gegähnt hatte, gelegentlich von Langeweile und Frust in stenografischer Kürze die Rede gewesen war, von öden Jobangelegenheiten und Eintragungen über das kontrollierte monatliche Übel, fand sich nun ellenlanger Text. Georgias Name tauchte öfter und öfter auf. Gedanken, Philosophien über Sinn und Unsinn, sich von einer Frau, die sich weigerte, erwachsen zu werden und Verantwortung für sich zu übernehmen, dazu verleiten zu lassen, die Welt mit ihren Augen zu sehen. Bedenken, dass sie selbst nicht ganz rund lief, sich von ihr begeistern, ganz und gar kirre machen zu lassen.
Sie fragte sich, was aus dem strahlenden Prinzen geworden war, Georgias Vorgänger in Sachen spätpubertärer Schwärmerei. Verblasst wie Aufdrucke auf T-Shirts nach Kochwaschgängen, verloren gegangen im Strudel neuer, aufregender Eindrücke, die Georgia ihr zu geben vermochte. Gänzlich aus dem Rennen geworfen.
«Ziemlich flatterhaft, Frau Sommerfeld» rügte sie sich selbst, während sie das Datum eintrug. «Heute der... » Sie musste lachen, «morgen die... lieber Gott, was fange ich Übermorgen an? Läuft mir da ein Massai über den Weg? ... Wieso eigentlich» sie blickte fragend gen Himmel, «bin ich gar nicht so erschrocken darüber, dass es eine Frau ist?»
Meine Mutter, begann sie zu schreiben, würde mir sicherlich vorschlagen, zum Doktor zu gehen. Sie hat's ja so mit Zipperlein, und ein Arzt macht alles wieder gut. Mein Vater... na ja... weiß nicht, ob der das lustig finden würde. Bin ich jetzt aus der Art geschlagen? Na, wenn schon. Warum auch nicht? Muss denn wirklich immer alles im Voraus geplant werden? Wahrscheinlich bin ich die erste Geisteskranke in der Familie. Soll ja vorkommen. Wer sich willenlos einer Verliebtheit ergibt, die nur mit einem Aua! Enden kann, der muss schon ein bisschen meschugge sein. Carla sagt, sie hat das geahnt, aber nicht so recht für möglich gehalten, obwohl sie schon Pferde hat kotzen sehen - hurra, wir verrohen auch schon von der Sprachweise her... danke, Georgia - sie hat es in ihrer Glaskugel gesehen, Madame Salomé, die Allwissende, bevor ich es überhaupt geschnallt habe. Natürlich ist Carla nicht erschüttert. Nur ein globales Erdbeben kann diese Frau erschüttern. Ganz Frau Doktor Psych., rät sie mir, meinen Horizont zu erweitern und es, wenn es mir halt so wichtig ist, auszuprobieren. Fein. Das habe ich schon. Gestern Abend. Und ich befürchte, es gefällt mir. Es gefällt mir sogar so sehr, dass ich alles andere als sicher bin, ob ich noch warten möchte ... und wenn ja, worauf überhaupt? Wie viel Zeit bleibt mir mit ihr? Und wenn ich mich an sie gewöhnt habe, muss ich sie dann nicht sowieso wieder hergeben...?
Sabrina legte Stift und Tagebuch beiseite und glaubte, Georgias Berührungen zu spüren, ihre zarten Lippen...
Zu gern hätte sie gewusst, was wohl in ihr vorging. Ihre eigenen Gefühle schossen Kapriolen, ihr ganzes Weltbild brach buchstäblich in sich zusammen - und was war mit ihr? War ihr «ich bin ganz high von dir» wie eine kleine Liebeserklärung zu werten, oder nichts weiter als eine Verführungsphrase, mit der sie gut durchkam bei den Frauen?
Georgia war ein bisschen zu geübt in der erotischen Disziplin und leider - doppelt leider - auch viel zu gut in Übung, wie Sabrina fand. Und das wirkte auch im heftigsten Sinnestaumel noch etwas ernüchternd, teuflischer Charme und Verliebtheit hin oder her, verflixt.
Warum ging ihr Ramon, eine Prachtausgabe der Gattung Mann, gutaussehend, geist- und humorvoll, noch dazu sehr an ihr interessiert, buchstäblich am Allerwertesten vorbei? Sie hatte sich kaum mit ihm unterhalten. Er und Carlas Neuer waren für sie lediglich Mittel zum Zweck gewesen. Sie hatten die Männer nicht einmal lange überreden müssen, mit ihnen in diesen zwielichten Club zu fahren, und bestimmt war Ramon enttäuscht gewesen, denn sie hatte trotz der anregenden Atmosphäre nicht einen Blick für ihn gehabt. Sicherlich wäre er die weit bessere Alternative zu Georgia, die, wie Carla es auf ihre skrupellos direkte Art auf den Punkt gebracht hatte: in eine technisch hochentwickelte, leider noch nicht existente Verhaltensentstörungsmaschine gehörte, bevor sie auch nur halbwegs für mehr als eine Bettgeschichte zu gebrauchen war.
«Eine Frau wie diese» hatte sie lebenserfahren von sich gegeben, «hat Vergangenheit - und davon `ne ganze Menge - aber keine Zukunft, Liebes. Lebt einfach zu exzessiv. Wenn du es willst, kannst du eine Zeitlang an so einem verrückten Leben teilhaben, aber verändern, Sabrina, kannst du Georgia nicht. Nicht mit aller Liebe und allem Verständnis der Welt.»
Hieß zu gut Deutsch: Sie brauchte professionelle Hilfe und den festen Willen, sich selbst zu retten; Keinen Strohhalm, um sich daran festzuhalten.
«Was mach' ich nur mit dir ...?, murmelte Sabrina in Gedanken, die Vergrößerung von Georgias Portrait in der Hand, auf dem sie ihr liebevoll entgegen lächelte. «Von wegen: Ich bin kuriert, wenn ich dich mit eigenen Augen dort sehe, wo du arbeitest ... es hat mich nicht kuriert. Du warst großartig auf der Bühne. Du tanzt wunderbar. - Wenn du nur nicht mit diesem Mann mitgegangen wärest. - Himmel, Georgia, was willst du denn nur von mir? Du kannst jede haben ... wieso ich?»
Am Abend saß sie mit einer Nachbarin im Wohnzimmer und tratschte, um auf andere Gedanken zu kommen. Man tauschte Erfahrungen aus, lästerte über dies und das, bewunderte sich gegenseitig für die gute Wahl der Wohnungseinrichtung und redete allerlei unbedeutenden Kram, wie Gefrierbrand, geeignete Lichtschutzfaktoren in Sonnencremes und wann das Auto das letzte Mal knapp an einem Kolbenfresser vorbeigeschrammt ist, weil den Ölstand zu testen einfach lästig ist.
Durch die offenstehende Balkontür klang plötzlich Musik herauf. Neugierig geworden, was sich wohl da unten im Hof tat, traten sie hinaus auf den Balkon.
Sabrina traf fast der Schlag, als sie Georgia erblickte: sommerlich in ausgeblichenen Jeans, T-Shirt und Lederweste, eine akustische Gitarre im Arm, brachte sie ihr ungeniert ein kleines Ständchen, das bereits auch andere Nachbarn an Fenster und Balkone lockte.
Das dezente Rot eines Feuermelders im Gesicht, blickte Sabrina über die Brüstung, wünschte sich ein Loch, das sie gnädigst verschlingen möge, und murmelte: «Kneif' mich doch bitte mal in meine Problemzone, Elke.»
Elke kniff sie nicht. Sie schien nur ein wenig befremdet. «Na hör' mal, so außergewöhnlich sind Musiker im Hof nun auch nicht» bemerkte sie. «Denk' mal an diesen Typen neulich - den mit der Quietschkommode. Ich find' das süß. So eine alte Tradition sollte beibehalten werden. Es ist viel zu selten - »
«Schsch!» machte Sabrina, bemüht, zu verstehen, was Georgia ihr zu sagen, vielmehr zu singen hatte. I may not be here tomorrow, sang sie mit weicher, klarer Stimme zum Klang ihrer Gitarre, but I'm close beside you today ... so lie to me a little, say you love me a lot and I'll be true to you in my way ...
«Das ist ein Lied von Elvis Presley» kommentierte Elke, offenbar versiert im Musikalischen, und begann, sich ein wenig zu wundern, warum die Sängerin nur zu ihnen hinaufschaute.
Sabrina erblickte Frau Heinemann am Fenster, die sichtlich gerührt auf der Fensterbank lehnte, während Georgia sang: So smile when you kiss me ... tomorrow you will cry ... but I'll be true to you in my way...
Vom Balkon gegenüber warf jemand eine in ein Taschentuch gewickelte Münze in den Hof.
«Sie sieht nicht aus, als würde sie aus Armutsgründen singen» entsandte Elke einen weiteren Kommentar. «Die gehört doch hier zu jemandem ... mh?»
Frau Kunze, neben sich in Orgelpfeifenaufstellung die fasziniert dreinblickenden Kinder, lächelte angetan und erkannte ebenfalls Elvis Presley. «Können sie auch Love me tender?» rief sie hinunter.
Weitere Münzen folgten der ersten und Georgia ließ die Melodie ausklingen und rief: «Danke, danke, sehr nett! Ich erfülle aber nur vorbestellte Wünsche! Von der Dame in Blau -- hallo!»
Sabrina setzte an und brachte nur ein heiseres: «Was?» zustande. Die Blicke der Nachbarn ruhten andächtig auf ihr.
«Love me tender!» rief Frau Kunze erneut, diesmal in Sabrinas Richtung, und kramte eine Münze aus der Schürze.
«Jailhouse Rock!» rief Elke Georgia in Sabrinas Namen zu.
Frau Heinmanns Augen ruhten abwechselnd auf Georgia und auf Sabrina, und es schien, als schließe sie einen geheimen Pakt mit ihnen, denn in ihrem Gesicht glaubte Sabrina liebevolles Verständnis zu erblicken, das sie bei jedem Menschen, nur nicht bei ihr erwartet hatte.
Georgia spielte ein paar gelangweilte Akkorde und wartete auf Sabrinas Ansage. Diese jedoch gab ihr stattdessen versteckt und ziemlich dringlich zu verstehen, dass sie heraufkommen sollte.
«Danke, Leute» rief Georgia, als sie ihr Spiel abbrach und vereinzelter Applaus ihrer Darbietung Anerkennung zollte. «Ein schönen Abend noch!»
«Tolle Stimme» murmelte Elke.
Sabrina nickte zerstreut und ging in die Wohnung, um Georgia die Tür zu öffnen. Sie hörte sie ins Treppenhaus kommen, dann ein Geräusch, als würde eine weitere Tür geöffnet, und leises Getuschel.
«Schönen Gruß von Frau Heinemann» sagte Georgia mit breitem Grienen, als sie oben ankam und ein kleines Blümchen für Sabrina hervorzauberte, bevor sie in die Wohnung trat. «Sie freut sich für uns und wünscht uns beiden Turteltäubchen alles Gute!»
Sabrina stand der Mund offen. «Die olle Heinemann...?» flüsterte sie ungläubig. «Aber die kann doch nicht - das glaub' ich nicht, ach komm!»
Georgia klappte ihr sanft den Kiefer zu und küsste sie auf den Mund. «Du hast nicht gewusst, dass sie von der Flanellhemden-Fraktion ist, was? ... Well ... es gibt Lesben schon länger, you know?»
Sabrina sah zu, dass sie Elke, die Georgia mit freundlichem Geplänkel entgegentrat und sie wohl gern näher kennen gelernt hätte, möglichst bald hinauskomplimentierte.
«Was ist mit deinem Auge?» erkundigte sie sich sofort, als sie allein waren, und nahm teilnahmsvoll Georgias Gesicht zwischen ihre Hände. «Was ist passiert?»
Georgia nutzte die Gelegenheit, Mitleid zu erregen, senkte den Blick und erklärte: «Dein Ex hat mir eine runtergehauen für etwas, was ich nicht gemacht habe, und ich bin mein Job los wegen etwas, was ich nicht wollte - au! Careful!» Sie befreite sich vorsichtig von Sabrinas vorsichtig tastender Hand und grinste. «Das ist lustig, nicht?»
«Sehr lustig, wirklich» entgegnete Sabrina kaum amüsiert, «du solltest das kühlen, weißt du.»
«Hab' ich schon. - Woher hat der gewusst, wo er mich findet?»
«Ich kann nicht glauben, dass Jürgen so etwas tut!» Sabrina geleitete sie ins Wohnzimmer, einen schuldbewussten Ausdruck im Gesicht. «Ich weiß nicht, von wem er wusste, wo du arbeitest. Er findet alles raus, was er wissen will. Aber das da» sie deutete auf die Brüsche an ihrer Augenbraue, «das geht auf mein Konto, Georgia. Das Ganze tut mir furchtbar leid, das habe ich natürlich nicht gewollt.»
«Wie, es tut dir leid?» fragte Georgia, in den Sessel sinkend.
«Ich habe ... mit ihm gestritten. Über Sachen, die in unserer Beziehung gelaufen sind. Und weil ich ihn treffen wollte, habe ich behauptet, ich hätte was mit dir.»
«Interesting!» Georgias Miene hellte sich augenblicklich auf. «Und dann?»
«Natürlich ist er voll darauf eingestiegen, und dann hat er mir erzählt, du würdest dealen und - und anschaffen in diesem Nachtclub - »
«So bist du in den Club gekommen ... es war kein Zufall» sagte Georgia. «Du wolltest sehen, ob es stimmt?»
«Ja. Ich dachte, er lügt! Andererseits -- passte es ja, ich -- herrje, dass du keine Nachtschwester Hildegard bist, das war mir ja klar!» Sie seufzte schwer. «Ich habe doch nicht ahnen können, dass er ausflippt und dich schlägt.»
Georgia lachte und zog sie auf ihren Schoß. «Macht nichts. Ich bin so was gewöhnt, no worries. Ich krieg' irgendwie immer Haue. Und wenn es wegen dir ist, ist es okay.» Dass sie die Ohrfeige letztlich ihrer großen Klappe zu verdanken hatte, behielt sie für sich.
Die Macho-Tour brachte sie überzeugend, auch wenn sie nur eine Rolle war. Eine allerdings, mit der sie Sabrina weich zu klopfen trachtete. Schließlich spielte diese ja auch überzeugend ‚Mädchen', obwohl sie es in Wirklichkeit nicht war.
Sabrina umarmte sie gewissensgeplagt und schmiegte sich an sie. «Es tut mir leid. Jetzt hast du es gekriegt, weil ich ihm eins auswischen wollte.»
«Who cares - was denkst du, wie er aussieht?»
«Ihr habt euch richtig geprügelt?» Sabrina standen förmlich die Haare zu Berge.
«Nein, ich mehr ihn» korrigierte Georgia. «Und deshalb bin ich jetzt gefeuert.»
«Na ja, diesen Umstand darf ich später bedauern, ja? Im Moment muss ich gegen Freudentränen ankämpfen.» Sabrina griente schräg und nahm an, dass Georgia nun ausreichend Grund hatte, verärgert zu reagieren. Aber das tat sie nicht. Sie schmunzelte.
Heimlich und leicht beschämt feierte Sabrina ein kleines inneres Missionsfest: Gleich zwei Verehrer hatten sich zu Ehren des Burgfräuleins duelliert. Wie aufregend! - Nein, wie furchtbar.
«Und ist es schlimm für dich wegen des Clubs? Will sagen: Gibt es nicht eine andere Möglichkeit für dich, Geld zu verdienen? -- Modeln vielleicht? Und - du singst fantastisch» fast hätte sie über die ganze Geschichte Georgias Ständchen vergessen. «Oh! Entschuldige, ich habe mich noch gar nicht bedankt ... es ... es war ... außergewöhnlich. Danke.» Sie küsste sie auf den Mund und lachte. «Es hat noch nie jemand für mich unterm Balkon gesungen. Eine süße Idee, ehrlich ... wenn auch ein bisschen peinlich.»
«Ich dachte, wenn ich dir den Romeo gebe, versinkst du im Boden» entgegnete Georgia und streichelte versonnen ihr Gesicht. «Aber das wäre auch spaßig gewesen. Vor allem für mich.»
«Den Romeo! Schau an.»
«Ja, Shakespeare's Romeo. Den kann ich»
«Du bist der mit Abstand der hübscheste und bezauberndste Romeo, den ich mir vorstellen kann» erklärte Sabrina anerkennend lächelnd.
«Danke, Darling.» Georgia küsste sie. «Ich brauche das. Mehr bitte.»
Es machte Sabrina schwach, wie sie dieses zärtliche ‚Darling' aussprach. Sie war nicht lapidar ‚Schätzchen' oder ‚Süße', nicht mehr eine von all denjenigen, die Georgia gewohnheitsmäßig so ansprach.
«Ich freu mich so, dass du da bist» sagte sie, und strich ihr zärtlich eine lange Haarsträhne aus der Stirn. «Ich hab so viel an dich gedacht... ich konnte mich kaum auf meine Arbeit konzentrieren. Und so wie du gegangen bist ... »
«Mir ging es auch so, Brini, ich war ganz wuschig... ich wollte dich unbedingt sehen. Ich kann nicht warten, bis du dich an mich gewöhnt hast -- schlimm...?»
Ihr Blick ging ihr durch und durch.
Sie spürte Georgias Lippen wieder sanft auf ihren, bevor sie etwas erwidern konnte, und schloss die Augen. Ihr Kuss löste dieses leise aufkommende Gefühl aus, das wie ein Prickeln durch ihre Venen ging, wie Champagner, wenn sich ein Schwips ankündigt. Alles in ihr sehnte sich danach, sie zu berühren, spüren, erkunden zu dürfen, mehr noch als beim letzten Mal, als alles noch immer viel zu verwirrend gewesen war. Sie hatte nie eine andere Frau liebkost - schon gar nicht auf diese Weise; wissentlich nie das Bedürfnis empfunden, einen weiblichen Körper fühlen, erleben zu wollen. Inzwischen hatte sich das grundlegend geändert, und die Angst davor, eine Dummheit zu begehen, kam gegen die Neugier, die Sehnsucht, und nicht zuletzt den Wunsch nach mehr nicht ein zweites Mal an.
Dass auch Georgia mehr wollte, verriet ihr kontrolliertes, leises Atmen, die Art, wie sie sie berührte. Sabrina glaubte ihre Empfindungen zu spüren, als seien es ihre eigenen, als sie sie streichelte, sie ganz in sich aufnahm, fast andächtig, versunken. Mit einer solchen Intensität nicht nur berührt, sondern mit allen Sinnen wahrgenommen zu werden, war für Sabrina neu - war sie doch Jürgens eher plump grapschende Männerhände gewohnt, die meist ohne Umschweife zur Sache kamen. Es war eine sehr sinnliche, aufregende Erfahrung.
Georgias Hände machten sich mit unendlicher Zärtlichkeit auf Entdeckungsreise. Als würde sie sich zum ersten Mal damit vertraut machen wollen, wie sich die Haut eines anderen Menschen anfühlte, streichelte sie sanft und mit erstaunlicher Geduld ihre Arme, ihre Schultern, ihren Rücken. Als es gerade begann, wirklich aufregend zu werden, vibrierte Georgias Handy in ihrer Jeans und zerstörte den schönen Moment.
«Huh. Good vibrations...» lachte Georgia und half ihr, aufzustehen, damit sie das Gerät aus der Hosentasche fischen konnte. «Sorry... wichtig» erklärte sie etwas verzagt mit Blick aufs Display.
Während Georgia telefonierte, verschwand Sabrina im Bad, kam frisch und duftend wieder heraus, das Haar gekämmt, das Makeup aufgefrischt -- und unendlich konfus. Am liebsten hätte sie Carla angerufen und sie angefleht, ihr zu sagen, was sie tun sollte. Oder um sich zumindest ihr Okay zu holen für das, was sie vorhatte.
Was, wenn du sie danach nicht wiedersiehst, meldete sich der Zweifel zurück.
Sie wanderte durch die Wohnung, tat hier etwas, dann dort, um sich irgendwie zur Ruhe zu bringen, hörte Georgia lebhaft telefonieren, ging ins Schlafzimmer und schloss die Jalousien, räumte Kleidung fort, tausend Bilder im Kopf vom Verlauf des Abends -- insbesondere der Variante, das Georgia ihr im nächsten Moment zu verstehen geben würde, sie müsse fort. Vielleicht wäre das ja doch das Beste.
Vor dem Wandspiegel legte sie sich gedankenvoll ihre Halskette an und sah im Spiegel, wie Georgia hinter ihr in der Tür lehnte. Eine Augenbraue frech-charmant angehoben, raunte sie: «Du bist schon im Schlafzimmer, Darling...?»
Sabrinas Lächeln wirkte fast ein wenig scheu. «Ja. Und ich warte auf dich.» Sie streckte die Hand nach ihr aus, und Georgia folgte nur zu gern. Sie ging zu ihr und legte ihr von hinten die Arme um die Taille. Angetan ihr gemeinsames Spiegelbild betrachtend, flüsterte sie ihr ins Ohr: «Wir sind ein schönes Paar, mh?» Sie küsste sanft ihre Halsbeuge und fügte hinzu: «Und warte, wie schön wir erst aussehen im Bett zusammen... »
Etwas Elektrisierendes ging durch Sabrinas Körper. Sie neigte den Kopf zur Seite, genoss Georgias Zärtlichkeit und spürte ihre Knie leicht nachgeben.
«Du zitterst ja» flüsterte Georgia und versuchte, ihre Gesichtszüge Halbdunkel des Raumes zu erkennen. «Hast du Angst, Brini?» fragte sie deren Spiegelbild. «Wir müssen das nicht tun...ich will dich nicht... wie sagt man: drängeln.»
«Es ist okay, schsch» erwiderte Sabrina leise. Ihre Hände strichen über Georgias Hüften. Sie hatte die Augen geschlossen. «Ich hab keine Angst, Georgia. Nicht hiervor.»
« ...Okay.» Georgia legte ihre Hände auf Sabrinas, führte sie ein wenig ihren Körper entlang, ganz sanft. Ihr Atmen an ihrem Ohr erregte sie. Auch der Blick in den Spiegel, ihr gemeinsames Tun.
Sie sah Georgias Hände behutsam unter den weichen Stoff ihrer Bluse gleiten, spürte sie warm auf ihrer Haut. An ihrem Bauch, und sanft in den Bund ihrer Jeans eintauchend, was ihr einen leisen Seufzer entrang. Sie fühlte sich leicht schwindlig.
Kaum merklich hatte Georgia bereits geschickt Knopf und Reißverschluss geöffnet, und streifte ihr sanft die Jeans über die Hüften. Geübte Finger öffneten die Bluse, ließen den Stoff von ihren Schultern gleiten und streichelten über die weiche Haut ihrer Schultern, ihres Nackens.
«Wunderschön» hauchte Georgia, die den Blick nicht von ihrem Spiegelbild ließ und sie immer wieder liebevoll küsste. «Schau dich an... sag, ist es ein Wunder, das ich nicht warten kann...?»
Sabrina schob mit dem Fuß die am Boden liegende Jeans beiseite und wandte sich zu ihr um. Sie nahm ihr Gesicht in ihre Hände und begann nun von sich aus, Georgia zu küssen. Zögerlich zunächst. Sie wusste vom letzten Mal, dass sie aufs Küssen hypersensibel reagierte. Sie hatte nicht nur ahnen lassen, dass in ihr ein ungestümes sexuelles Feuer sein Unwesen trieb. Denn während sie selbst selig geschwebt war, sanft aufsteigende Lustgefühle in vollen Zügen genießend, hatten Georgia die Berührungen und Küsse allmählich hochexplosiv werden lassen, zu allem bereit und am liebsten sofort. Dieses Wissen, gepaart mit der Erinnerung an ihre hemmungslos erotische Show auf der Bühne des Noblesse, übten auf Sabrina eine besondere Art von Reiz aus, dem sie sich nicht mehr entziehen wollte.
Tatsächlich spürte sie Georgias wachsende Aufruhr auch jetzt, sie sah sie auch in ihren Augen. Ihre Hände tasteten ein wenig forscher, auch wenn sie sich zusammen zu nehmen schien.
«Komm» hauchte Sabrina, nahm sie beim Handgelenk und zog sie mit sich aufs Bett.
Diese Einladung brauchte Georgia nicht erst schriftlich.
Prickelnd und aufregend war es, wie beim ersten Mal. Georgias tiefe, gefühlvolle Casanova-Küsse verfehlten ihre Wirkung nicht. Wahrscheinlich taten sie das nie. Geradezu lawinenartig überkamen Sabrina ihre Gefühle, noch bevor Georgia der Länge nach auf sie niedersank, ihre Körper sich vollkommen berührten.
Bald schon außer Atem, als wäre sie einmal um den Block gerannt, ertastete Georgia ihren Körper, jetzt schon ohne jede Zurückhaltung, während ihre Lippen leidenschaftlich küssend über ihren Hals wanderten, über ihr Dekolleté. Der exklusive BH fiel achtlos zu Boden, der Routine wegen in Sekundenbruchteilen geöffnet.
Sie berührte nackte Haut, und es brachte sie fast noch mehr aus der Fassung als Sabrina, die sich wie berauscht fühlte.
Sie atmete scharf ein und strich, mühsam beherrschtes Verlangen in den Augen, über ihre Brüste.
Sabrina stöhnte leise auf und streckte sich ihr entgegen. Georgia bedeckte ihren Oberkörper mit Küssen, und es schien Sabrina so natürlich, sich ihr, einer Frau, hinzugeben -- nicht, weil sie wusste, wie man mit Frauen im Bett umging. Nicht, weil sie befürchtete, sie zu verlieren, würde sie sie noch einmal zurückweisen - einfach deshalb, weil es sich so unsagbar gut anfühlte. Sie ließ sich in ihre Gefühle fallen, küsste und liebkoste ihrerseits Georgia, als hätte es nie etwas anderes gegeben, als sei es nicht das erste, sondern das hundertste Mal. Niemand brauchte ihr irgendetwas beizubringen, denn dieser Körper, den sie begehrte, war weiblich wie ihr eigener, fühlte sich genauso an, und sie wusste, wo es sich wie anfühlte, wenn man ihn berührte. Georgias Empfindungen waren wie ihre eigenen. Sie spürte, was Georgia spürte, und es war der pure Wahnsinn, instinktiv zu wissen, statt zu ahnen.
Georgia zog sich das Top über den Kopf und brachte Sabrina mit dem Anblick ihrer Nacktheit in bloßes Entzücken. Ihre Haut fühlte sich samtiger, geschmeidiger an, als Sabrina es gewohnt war, das Berühren und Streicheln ihrer Brüste war aufregend und schön; um so mehr, weil sie zum ersten Mal erfahren durfte, wie sinnlich und erregend es war, die Reaktion einer Frau auf diese Berührungen zu sehen und zu erleben. - Georgias Erregung und Lust, ihre pure Körperlichkeit, ihre bisher unbekannte Seite. Ihr Stöhnen wirkte so viel erotischer auf sie als das eines Mannes, ihre hingebungsvollen Bewegungen, ihr sinnlicher Blick, ihr Streicheln ging tiefer als alles, was sie bisher mit Männern erlebt hatte.
Irgendwo weit entfernt nahm sie das Prasseln von Regen wahr. Im Zimmer war es noch etwas dunkler geworden. Georgia langte nach der Nachttischlampe und knipste sie an, konnte sich nicht satt sehen an ihr, während sie sie zu verwöhnen begann, jedem Zentimeter ihres Körpers Aufmerksamkeit schenkte. Sie hielt beständig Augenkontakt, auch, als sie sich schließlich zärtlich-wild Sabrinas Lendengegend zuwandte, Empfindungen auslösend, die Sabrina nie für möglich gehalten hatte.
Georgia vollbrachte nie Erlebtes. Aufeinanderfolgende orgiastische Zustände, wahre Feuerwerke der Lust, noch bevor sie dazu überging, sie mit den Händen nahe der Ohnmacht zu bringen. Ihr Mund, ihre kundigen Hände, ihre Zärtlichkeit, ihre Lust wurden zu Sabrinas Himmel und Hölle, denn was sie mit ihr tat, war ganz neu und grenzte ans unerträgliche.
Der Rausch hielt an, als Sabrina Georgia lieben durfte, ohne zu ahnen, welches Privileg sie ihr mit ihrer Hingabe zugestand; Und es ließ sich mit nichts was sie kannte vergleichen, zu sehen, was sie mit ihrer Zärtlichkeit bei ihr auslösen konnte. Sie zu hören, zu spüren, zu schmecken, zu atmen, zu erleben wie sie kam und sie dann erschöpft und zufrieden in die Arme schloss - das war es, was sie sich immer ersehnt und nie wirklich bekommen hatte. Sie durchlebte mit Georgia einen unwirklich anmutenden erotischen Traum, und erst als sie, Stunden später, ermattet und eng aneinander gekuschelt, zur Ruhe kamen, begann sie, ihre Umgebung wieder wahrzunehmen.
Es war Nacht. Es regnete noch immer, und die Kerzen, die sie aufgestellt hatten, waren fast heruntergebrannt. Friedlich lag Georgia jetzt neben ihr. Ihr Atem ging wieder gleichmäßig, die Augen hatte sie geschlossen, fast schien es, als schliefe sie fest.
Sabrina betrachtete sie wie die Inkarnation eines überirdischen Wesens, das sich für eine Mission auf die Erde begeben hatte. Nämlich die, unerfüllte sinnliche Sehnsüchte wahr zu machen. Sie schwelgte im Glücksgefühl und empfand Georgias Nähe und Zuwendung geradezu als göttliches Geschenk.
Mit den feinsinnigen Worten: «Oh heavens, ich brauche eine Zigarette» erwachte die ruhende Göttin zum Leben und machte den sakralen Augenblick gekonnt zunichte. «Gosh... du hast mich ganz schön geschafft, weißt du das ...? Bist du sicher, dass du noch nie mit eine Frau geschlafen hast, du kleine Schwindlerin...?»
«Ja. Absolut sicher.» Sabrina lachte matt und strich ihr liebevoll über den noch schweißnassen Bauch, bevor sie erschöpft auf die Beine kam, um ihrem Wunsch zu entsprechen.
Sie lächelten sich an, als Sabrina ihr die Zigarette bereits angezündet reichte, und Georgia kuschelte sich selig zurück in ihren Arm. Sie rauchte mit einer bisher unbekannten Ruhe. Schweigend, mit einem sanften Schmunzeln auf den Lippen.
Sabrina sah ihr an, dass sie - anders als sie selbst - nicht mehr in gefühlvoller Trunkenheit weilte, sondern eher zu Unsinn aufgelegt war.
«Na komm schon, frag' mich» forderte sie sie, ebenfalls schmunzelnd, auf. «Frag' mich schon, wie du warst ... Macho.»
Georgia grinste breit. « ... War ich gut?»
Sabrina schob ihre Hand mit der Zigarette beiseite, umarmte und küsste sie mit einem Hauch von Übermut. «Du warst unbeschreiblich gut.»
«Ich weiß.»
Sie lachten und neckten sich und waren weit, weit von dem entfernt, was Sabrina von Jürgen kannte: Fertig, umdrehen, schlafen, schnarchen.
Mitten in der Nacht machten sie auf Georgias Begehr, sich Abkühlung zu verschaffen, einen Spaziergang im Regen. Georgia sang Singing In The Rain und tanzte wie wild durch Pfützen. Sie wurden beide pudelnass und kicherten die gesamte Umgebung wach.
Wieder daheim, wurde gemeinsam geduscht, gealbert, geschäkert, wie es Verliebte eben tun, und an Schlaf war nicht einmal zu denken.
Als Georgia sie im Morgengrauen noch einmal liebte, glaubte sie ihr jedes Wort, als sie ihr zuflüsterte: «Du wirst mich nicht mehr vergessen. Du wirst keine andere Frau und kein Mann mehr wollen ... nur mich.»
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