«Sabrina, mach die Tür auf» forderte Jürgen eindringlich. « - In Ordnung, von mir aus rede ich auch mit dir, wenn es denn unbedingt nötig ist. Aber du musst dich erst mal beruhigen.»

«Ich bin ruhig!!» brüllte Sabrina, warf mit einem Agatha-Christie-Krimi nach der Schlafzimmertür und raufte sich wild die Haare. «Ich war noch nie so ruhig!! Alles, was ich brauche, ist meine Wohnung für mich alleine! Geh endlich!»

Vor der Tür herrschte Stille.

«Na schön» sagte Jürgen schließlich kompromissbereit. «Ich werde jetzt bei Harry ein Bier trinken gehen, hörst du. Ich komme in einer Stunde wieder. Bis dahin wirst du bestimmt etwas ruhi - »

Ein unbeherrschter, völlig entnervter Schrei unterbrach ihn jäh.

«Sabrina, hör mal, ich mache mir ernsthaft Sorgen.» Er klopfte gegen die Tür. «Du wirst dir doch meinetwegen wohl da drin nichts antun? Schau mal, ich verstehe ja, dass du im Moment - »

«Jürgen! Wenn du nicht willst, dass ich hier tatsächlich etwas Unüberlegtes tue, dann  g e h  bitte. - Und lass gleich die Schlüssel hier!!»

Sie konnte ihn bildlich vor sich sehen, wie er sich ratlos am Kopf kratzte. Seine Gedanken zu erraten, fiel ihr nicht schwer. Frauen, dachte er sicher jetzt abfällig, die spinnen. Die wollen immer nur reden. Über alles. Dauernd.

Das Zuziehen der Tür war kein Garant, dass er wirklich gegangen war, also wartete sie und lauschte. Fünf Minuten absolute Stille. Sie steckte den Kopf zur Tür hinaus und stellte fest, dass er tatsächlich gegangen war. Allerdings suchte sie die Schlüssel vergeblich.

Dieser Kerl war ja so verdammt überzeugt von sich.

Sie legte die Kette vor die Wohnungstür und lehnte sich bleischwer gegen die Wand, düstere Vorahnungen im Kopf, was er wohl tun würde, um wieder in die Wohnung zu kommen.

Keine zwanzig Minuten später, sie war gerade damit fertig geworden, Jürgens Habe in einer seiner Sporttaschen zu verstauen, klingelte ihr Handy.

«Und?» fragte Carla, die Sabrinas Hilferuf per Anrufbeantworter erhalten hatte. «Hast du ihn endlich rausgeschmissen?»

«Carla, ich bitte dich: Der Mann wiegt achtzig Kilo! Für wen hältst du mich -- für Herkules? Und glaubst du vielleicht, der geht freiwillig? Ich habe es weiß Gott versucht. So lange, bis wollte, dass ich meine Hysterie in den Griff kriege, deswegen ist er jetzt ein Bier trinken gegangen.»

«Immerhin ist er raus» betonte Carla und drängte: «Schlosser kommen lassen, Türschloss auswechseln, hopp-hopp.»

«Vergiss es. Die Zeit reicht nicht.»

«Und warum hast du das nicht gleich gemacht?»

«Weil ich manchmal echt blond bin. Weil mir die einfachsten Sachen immer zu spät einfallen!» Sabrina atmete geräuschvoll aus. «Ich bin eben nicht so patent wie du.»

Die Türklingel ging. Typisch, bloß nicht nach dem Schlüssel suchen...!

«Wenn du ihm die Tür aufmachst» beeilte sich Carla zu sagen, «dann breche ich dir eigenhändig das Genick! Ich schwöre es dir!»

«Ja, ja.»

«Halte die Stellung, ich bin gleich da!»

Sabrina legte das Handy beiseite und schlurfte mit Bleischuhen an den Füßen in den Flur. Geräusche hinter der Tür ließen darauf schließen, dass er bereits oben war.

«Jürgen, es ist aus» verkündete sie matt. «Du wirst diese Wohnung nicht mehr betreten. Zieh doch bei einer von deinen Weibern ein oder geh zum Teufel. Ich bin' s leid. Ich will nicht mehr mit dir streiten. Ich will mich von dir nicht mehr mies behandeln lassen.»

« ... Was?»

«Wie: was? Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Spreche ich Spanisch - hallo? Wer ist denn da?»

Das war nicht Jürgen im Stimmbruch. Das war zweifellos eine Frauenstimme. Carla? Unmöglich, die war ja gerade noch am Telefon gewesen.

Der Blick durch den Spion sagte ihr, dass Jürgen sich kurzfristig einer sehr gelungenen Geschlechtsumwandlung unterzogen hatte - oder Georgia stattdessen vor der Tür stand.

«Du ...? Wo kommst du denn her?»

Intelligente Frage. - Intelligente Antwort, was hatte sie erwartet? «Von draußen. - Lässt du mich rein?»

«Moment. Ich muss erst ...» Sie stellte sich in ihrer Nervosität mit der Türkette außerordentlich ungeschickt an. Die Kette verhakte sich und hing fest. «Augenblick noch, ich hab's gleich - verflixt noch mal, das gibt's doch wohl nicht! Geh nicht weg, es kann sich nur um Stunden handeln.»

«Gut. Kein Problem. Ich fahr kurz zum Shopping nach London. - Anyway - what are you doing? - Hast du die Klinke kaputt gemacht?»

«Ich hab's gleich!» Sie zottelte ungeduldig an der Kette. «Georgia, sei mir nicht böse, aber: sollte, bevor ich dieses SCHEISSDING aufkriege, ein dunkelhaariger Mann mit viel Gel in den Haaren die Treppen `raufkommen, dann kann ich die Tür leider nicht aufmachen - aua! Scheiße! Breche ich mir hier auch noch einen Nagel ab, verdammt!»

«Wer soll das sein? Ein Kuckuckkleber? Ich kenne die Typen. Den verjag` ich, no fuckin' worries! Ist es okay für dich, wenn ich ihn die Treppe runter schubse?»

«Tu das! Meinen Segen hast du.» Sabrina grinste säuerlich und mahnte sich zur Vernunft. «Nein, halt! War nicht ernst gemeint! Himmel, endlich! Kommt er?»

« -- Meinst du den da?»

Sabrina zuckte zusammen und Georgia brach in Gelächter aus. «Just a Joke, okay? Ich sehe niemand.»

«Schönen Dank auch.» Der Schlüssel wurde herumgedreht und die Tür geöffnet. Sabrina zog sie flugs in die Wohnung und verschloss die Tür wieder.

«Hallo.»

«Selber hallo.»

Sabrina küsste sie zur Begrüßung auf die Wange und widmete sich dann mit tiefem Bedauern im Blick ihrem abgebrochenen Fingernagel. «Wunderbar. Die waren gerade so schön lang ... »

Von Georgia vernahm sie ein süffisantes: «Werdet ihr Hetero-Püppis es nie leid, dieses Nagelstudio-Thema?»

Sie blickte zu ihr auf, und es war nicht zu überhören, dass sie vergnatzt war. «Also, mit dir hätte ich jetzt wirklich nicht gerechnet.»

«Ich auch nicht» gab Georgia trocken zurück. « - Und meine Mutter damals auch nicht.»

Sabrina schüttelte den Kopf. «Du hast einen merkwürdigen Sinn für Humor, Georgia.»

«Merkwürdige Menschen haben den oft ... übrigens ich bin da, um zu sagen, dass es mir leid tut. Ich habe es vergessen - weil: da ist so viel Platz zwischen meine Ohren, dass manchmal etwas in diese Leere verloren geht.»

«Vergessen» maulte Sabrina und hielt ihr ein Versäumnis vor, über das sie sich sehr geärgert hatte: «Du verabredest dich mit mir und lässt mich hängen. Das ist jetzt drei Wochen her, und du hast nicht mal angerufen! Hör mal, wenn du dich mit mir anfreunden willst, ist das eine verflucht schlechte Voraussetzung. Ich hasse unzuverlässige Leute.»

Georgia zog den Reißverschluss ihrer Lederjacke auf und hielt ihr eine leicht zerknautschte rote Rose hin. «Sorry» murmelte sie zerknirscht. «Ich weiß, ich bin in so was die totale Plage.»

«Geh schon mal rein und setz dich» wies Sabrina sie an und entschloss sich, nicht allzu nachtragend zu sein. Mit diesem Blick konnte die Frau Betonklötze erweichen. «Willst du was trinken? Kaffee, Tee? Bier?»

«Ist egal.» Georgia schlenderte ins Wohnzimmer. «Wer ist der Typ, der nicht in deine Wohnung soll?» fragte sie interessiert, während sie Sabrinas Bücherregal inspizierte.

«Der Typ ist mein Exfreund» rief Sabrina aus der Küche, wo sie der lädierten Rose erste Hilfe leistete. «Ich hoffe es jedenfalls. Kaffee, Cola, Tee?» zählte sie erneut auf, ein bisschen durch den Wind.

«Öhhh ... Kaffee.»

«Mit Milch? Zucker? Schwarz?»

«Schwarz, bitte. Wie meine Seele.»

Sabrina trug zwei große Tassen Kaffee herein und stellte sie auf dem Tisch ab. «Du hast eine schwarze Seele?» fragte sie an. «Wohl eher eine schwarze Lunge bei deinem Zigarettenkonsum.»

«Beides, ich denke.» Georgia bot ihr eine Gauloises an. «Mh?»

Sabrina zögerte, dachte an all ihre guten Vorsätze und an das viele Geld, dass sie in den vielen Jahren ihrer Abstinenz gespart hatte -- und griff zu. «Auch egal jetzt. Ich leb' eh viel zu gesund. -- Und zu moralisch.»

Georgia reichte ihr Feuer. Der erste Zug schmeckte, was sie nicht gedacht hätte. Sie blies genüsslich den Rauch aus und murmelte: «Was soll's ...»

«Hang on! Hast du nicht gesagt, du rauchst nicht?» fiel Georgia ein. «Du schwindelst?» Sie wies auf einen undefinierbaren Gegenstand und fragte an: « - Kann ich das da als Ascher nehmen?»  

«Bloß nicht! - Das ist Kunst!» empörte sich Sabrina, überlegte es sich jedoch bereits im nächsten Moment anders. « - Nimm es» erlaubte sie ihr, «es ist von Jürgen - und im Übrigen potthässlich.»

Kaum, dass Georgia und Sabrina einige Worte gewechselt hatten, versuchte Jürgen, die Wohnungstür zu öffnen - und scheiterte kläglich. Die Kette spannte sich und es krachte.

«Sabrina! Lass den Quatsch!» tönte es ärgerlich in den Flur. «Brauchst du jetzt die Jungs im weißen Kittel oder wie?»

«Das ist der Typ» nickte Sabrina, ging in den Flur und verschränkte kampfbereit die Arme vor der Brust. «Hast du dein Bier aus einem Schnapsglas getrunken? Ich hab' mich nicht abgeregt in der kurzen Zeit.»

Jürgen wirkte ein bisschen albern, wie er da durch den schmalen Türspalt den Macho gab. «Du machst auf der Stelle die Tür auf!»

Rauchend, lässig an die Wand gegenüber gelehnt, weil: die schützende Tür war ja zwischen ihnen, verkündete Sabrina: «Du machst den Lärm umsonst. Ich meinte, was ich sagte, Jürgen. Ich mache Schluss.»

«Du machst Schluss?!» rief er zornig. «Was soll das heißen: Du machst Schluss? Weißt du, was du da sagst?» Er stutzte. « -- Wieso rauchst du denn? Ich fass' es nicht! Du hast nie geraucht! -- Zum Teufel, mach die Tür auf, aber hurtig! Was soll das Theater?»

«Das ist kein Theater.» Sie überwand den Anflug aufkommender Einschüchterung und sagte trocken: «Warum verpisst du dich nicht einfach?»

War es Georgias Anwesenheit? So hatte sie noch nie mit ihm geredet.

«Ich muss was an den Ohren haben» vermutete Jürgen lauernd, «was hast du gerade gesagt?» Er trat ungehalten gegen die Tür, doch die Kette hielt - der Hersteller hatte nicht zu viel versprochen. «In einer Minute ist die Tür auf, oder - »

«Oder was ... ?» Georgia stand, breitbeinig und herausfordernden Blickes, auf dem Plan, und, sinnbildlich gesehen, stellten sich ihr gerade gefährlich die Nackenhaare auf.

«Das gibt's doch wohl gar nicht!!» stutzte Jürgen erneut. «Was macht die denn hier?»

«Saangse ma, hamse noch alle Tassen im Schrank?» meldete sich ein Nachbar zu Wort, bevor Jürgen auf Georgias Provokation reagieren konnte. Kunze von Nebenan, seines Zeichens bierbäuchiger, notorischer Unterhemdträger, stand mit ineinander verschränkten Maurerarmen in der Nachbartür. «Andere Leute ham Feierabend, sie Flitzpiepe! Jeht's jefälligst `n bisschen leiser?»

Von Jürgen erntete er einen distanzierten, feindseligen Blick. «Was geht sie das denn an?»

«Dit jeht mich 'ne Menge an! Ick bin Mieta hier, acker' Schicht und hab' `n Anrecht uff meen erholsamen Feierabend. Kapiert? Ick hab' ditt jar nich' jerne, wenn eena hier draußen lauta iss wie meen Fernseher da drinne.»

Georgia und Sabrina blickten interessiert durch den Türspalt.

«Ihr Feierabend ist mir scheißegal! Sabrina, die Minute ist um!»

Diesmal sah es ganz so aus, als ginge er daran, die Wohnungstür niederzumachen.

Georgia trat ihm mit ihrem schweren Bikerstiefel durch den Türspalt vors Schienbein und schob die Tür ins Schloss, woraufhin Jürgen draußen sekundenlang eine Art wehgeheulunterdrückten, experimentellen Indianertanz auf einem Bein aufführte. Sie schob die Sicherheitskette beiseite, sah Sabrinas schockgefrorenen Gesichtsausdruck - und hakte sie, verständnislos den Kopf schüttelnd, wieder ein.

«Wenn sie die junge Frau nicht zufriedenlassen, rufe ich die Polizei, sie Flegel!» zeterte eine hohe Frauenstimme draußen, und Sabrina linste sensationslüstern durch den Spion.

«Das ist die alte Heinemann» kommentierte sie die Szene für Georgia, die ihr die herunter gerauchte Zigarette aus der Hand nahm, um sie in der Spüle zu entsorgen. «Eine richtige Zicke - die kriegt die Krise, wenn im Haus nicht Ruhe und Ordnung herrscht. - Ja! Gib's ihm» feuerte sie sie hitzig an, «zeig ihm mal, was Frauenpower ist!»

Georgia verstand zwar die ganze Aufregung nicht, war aber überaus angetan von diesem amüsanten Trara.

Im Hausflur kam es zu einem lauten Wortwechsel, weil Jürgen pampig wurde, und Frau Heinemanns Keifstimme dominierte krähend über die anderen: «Das ist ja eine UNVERSCHÄMT-HEIT! Was fällt ihnen ein? Sie sind doch nicht einmal Mieter hier, was haben sie überhaupt hier zu suchen?!»

«Ich wohne hier!!» schrie Jürgen aufgebracht.

«Die wird mir direkt sympathisch» kicherte Sabrina und ging in Deckung, als ein weiterer Stoß die Tür erschütterte. «Oh Mann, ist der sauer ...!»

«Sabrina! Ich habe die Faxen dicke! Mach sofort auf!!»

«Lass mal den Rescue-Trupp ran» bestimmte Georgia und ging nun resolut daran, die Kette zurückzuschieben, die Hand bereits an der Klinke.

Sabrina hielt sie nur durch energischen Zugriff zurück. «Bist du irre, Georgia?»

«Ich mach das für dich klar.»

«Verwechselst du Mut mit Wahnsinn?»

«Hey, komm schon» Georgia blickte sie kampflustig an, «den hauen wir um!»

«Wir?» Sabrina erstarrte erneut. «Sehe ich aus, als ob ich früh sterben will?»

Georgias Antwort beschränkte sich auf eine skeptisch hochgezogene Augenbraue.

«Schau mich nicht so an» verteidigte sich Sabrina peinlich berührt. «Ich weiß, ich bin feige, aber Feigheit ist besser als ein Arm in Gips ... nein?» Sie hob ratlos die Schultern. «Na ja, du siehst das wohl anders ... Also okay, wenn ich ehrlich bin, denke ich nicht, dass er wirklich gewalttätig wird, der tut nur so, und das -- »

«Ruhestörung ist das, mein Lieber!» quäkte Frau Heinemann draußen mit lautstarker Zustimmung von Kunze samt Ehefrau, die in schmucker Kittelschürze und Hausschlappen angetreten war.

«Berliner sind irgendwie cholerisch, findest du nicht?» entfuhr es Sabrina.

Die Türklingel schrillte und ließ Georgias Trommelfell erbeben. Sie stand ungünstig. «Wer ist das jetzt?» fragte sie, halbseitig taub ihr Ohr massierend.

«Carla bestimmt. Na, klasse. Und die jetzt auch noch mitten im Gewühl.» Sabrina drückte auf den Türöffner.

Jürgen war derweil etwas ruhiger geworden, sich der aussichtslosen Situation bewusst. «Ja, doch. Ist ja gut» versuchte er gereizt, die Heinemann milde zu stimmen, deren Gezeter die Schallgrenze der Belastbarkeit erreicht hatte. Diese Frau brauchte keine polizeiliche Unterstützung - sie hatte die Gabe, Leute bewusstlos zu kreischen.

Stöckelschritte kündigten Carlas Erscheinen an.

Georgia hing vorgebeugt am Spion und bedauerte sichtlich, dass sich die Gemüter beruhigten.

Vor der Tür wandte sich Jürgen SOS-funkend an Carla, dem Irrglauben erlegen, ausgerechnet ihren Beistand ergattern zu können: «Carla, gut, dass du kommst» brachte er gehetzt hervor. «Du musst Sabrina zur Vernunft bringen. Sie hat so eine Art Nervenzusammenbruch.»

«Sie wird schon ihre Gründe haben!» mischte sich Frau Heinemann mit drohend erhobenen Zeigefinger ein. «Das ist so ein anständiges junges Ding, die Frau Sommerfeld. Wer weiß, was sie der Ärmsten angetan haben!»

«Gar nichts!» schrie Jürgen, der Verzweiflung nahe. «Es gibt nichts, was dieses idiotische Theater hier rechtfertigt!»

«Ich mache jetzt die Tür auf» wandte sich Georgia an Sabrina. «das ist feige.» Ihre Augen begannen in freudiger Erwartung zu funkeln, als sie das Türschloss öffnete. «Wenn er dir etwas tun will, kann ich ihn ja ein bisschen auf die Schnauze hauen...?»

«Himmel» erwiderte Sabrina zerknirscht, «du bist ja richtig heiß drauf ... könntest du ... ich meine: könntest du dich zügeln, wenn es nicht unbedingt nötig ist, bitte?» Ihre Sorge galt, wie sie feststellte, eher Jürgen als Georgia. Die schien ja direkt einen Faible für Gemetzel zu haben. «Moment noch» winkte sie und verschwand für einen Augenblick, kam mit der prall gefüllten Sporttasche zurück, öffnete selbst todesmutig die Tür und ließ sie Jürgen die vor die Füße poltern. «Ist alles drin! - Ach, warte!» Tür zu. Kurzer Gang ins Wohnzimmer und zurück. Der Tasche folgte ein Stapel Computerzeitschriften, die platschend zu Boden fielen. «Hatte ich glatt vergessen.»

«Ja, bist du denn jetzt völlig durchgedreht ...?» ächzte Jürgen.

«Völlig» bestätigte sie.

Sein Blick heftete sich an Georgia, deren verwegenes Lederoutfit nicht eben vertrauenerweckend wirkte. «Was hat die Perle hier zu suchen? Hast du dir einen weiblichen Bodyguard zugelegt oder was?»

«Sie wohnt ab heute hier» tönte Sabrina im Affekt.

Georgia ließ sich kein Fragezeichen anmerken.

Carla blieb gerecht und gab einige Minuten die verständnisvolle Therapeutin. Sie redete ruhig auf Jürgen ein und transformierte ihn im Handumdrehen mit wenigen Worten zum Lämmchen, ganz im Sinne der Anwesenden - ausgenommen Georgia -- und überzeugte ihn, dass es besser war, erst einmal zu gehen.

Er zog verdrossen von hinnen, mit seiner Sporttasche und dem Stapel Zeitschriften, und die Maulhelden der Stunde kehrten Kommentare murmelnd in ihre Wohnungen zurück. Kunze bot ihr noch an, jederzeit klingeln zu dürfen, «solltet noch ma Stress mit den Eierkopp da je'm.»

«Vielen Dank!» rief Sabrina allen nach und schenkte ihnen ein braves-Mädchen-Lächeln.

Jürgen wurde beglückt hinterher gewunken. Dummerweise drehte er sich noch einmal um und sah ihren Triumph.

«So speist du mich nicht ab, Sabrina» orakelte er kerlig-arrogant, um das Gesicht zu wahren. «So nicht! Das hat ein Nachspiel!»

Er war schon immer ein schlechter Verlierer gewesen. Und rachsüchtig.

Georgia stand Spalier und grinste ihn erwartungsvoll an. «Oh bitte, jetzt gleich, ja? - Komm her, Kumpel!» Sie unterstrich ihre Äußerung, indem sie ihn auffordernd zu sich heranwinkte.

Sabrina wandte sich ab und zog sie mit sich in die Wohnung. Die Tür fiel ins Schloss und Carla und Sabrina fielen sich jauchzend um den Hals. Georgia hielt Sabrina auffordernd die ausgestreckte Hand hin und Sabrina schlug lächelnd darauf. Siegesgesten waren angebracht.

«Du hast es geschafft!» beglückwünschte Carla sie. «Du kannst doch, wenn du willst. Grandios, wie du dich machst. Also - wie du ihm die Zeitschriften vor die Füße geknallt hast: Ich hätte es nicht besser machen können.»

«Das war mir ein Bedürfnis. Georgia wäre beinahe auf ihn losgegangen. Ich konnte sie gerade noch stoppen. Ihr kennt euch ja noch, mh?» Sie tauschte einen schnellen Blick mit beiden.

«Klar. Miss Australia.» Carla reichte Georgia kameradschaftlich die Hand. «Du bist also die Verstärkung gewesen, ja?»

«Ich platze immer rein, wo Zoff ist. Ist so eine ... wie sagt man?»

«Marotte?» riet Carla.

«Exactly - sowas.»

Sabrina klatschte sich die Hand vor die Stirn. «Die Schlüssel!» fiel ihr ein. «Ich habe die Schlüssel vergessen!»

«Er hat sie?» fragte Georgia.

«Ja. Und er wird sie nicht rausrücken.»

Georgia zog die Wohnungstür auf. «Er wird» versprach sie und lief im Sauseschritt die Treppe hinunter. « - Was hat er für ein Auto?» rief sie eine Etage tiefer.

«Daimler ... äh ... Anthrazit - Sportcoupé. - Was hat sie vor?»

«Sie holt deine Wohnungsschlüssel, nehme ich an.»

Beide schauten ins Treppenhaus, wechselten dann einen schnellen Blick und liefen, derselben Eingabe folgend, zum Küchenfenster, das zur Straße hinausging. Überm Fensterbrett hängend beobachteten sie, wie Georgia hinter Jürgen her sprintete und ihn am Auto abfing. Sie sprach mit ihm und streckte fordernd die Hand aus.

Er lachte überlegen, legte die Zeitschriften auf dem Wagendach ab und schloss völlig unbeeindruckt die Wagentür auf.

Als Sabrina gerade ansetzen wollte, laut zu vermuten, dass sie die Schlüssel nicht bekommen würde, schlug Georgia Jürgen die Wagentür vor der Nase zu und packte ihn am Kragen. Sie sah ganz und gar nicht aus, als ob sie sich noch auf eine Diskussion einlassen würde, tätschelte nicht eben zärtlich seine Wangen, als ohrfeige sie einen Schuljungen, und redete auf ihn ein. Jürgen wirkte, als hielte er das alles nur für einen bösen Traum.

Seine Solariumbräune schwand ein wenig. Er kam ins Taumeln, als Georgia ihn urplötzlich losließ, um ihren Wunsch nonverbal etwas drastischer zu formulieren: Mit verklärtem Gesichtsausdruck ging sie neben dem Vorderreifen des Daimlers in die Hocke und zog ihren von oben nicht erkennbaren, persönlichen kleinen Argumentationsverstärker aus der Jackentasche, den Carla mit kurzsichtigem Blinzeln zu erfassen versuchte.

«Das verkraftet er nicht» sagte Sabrina atemlos, «dass eine Frau ihm zeigt, wo's langgeht.»

«Was hat sie da in der Hand?» fieberte Carla.

Sie beobachteten gespannt, wie Jürgen sich seinen Hemdkragen lockerte und beschwichtigend die Hände hob. Leider war bedingt durch den Straßenlärm nicht zu verstehen, was er sagte.

«Was hat sie vor?» murmelte Sabrina. «Kannst du was erkennen?»

«Ist ja clever» frohlockte Carla, «ich denke mal, sie stellt ihm in Aussicht, einen neuen Vorderreifen kaufen zu müssen. - Schau mal, jetzt schwitzt er ab, unser Macho.»

Jürgens Blässe wich fast übergangslos der Zornesröte. Die Schlüsselübergabe erfolgte alsbald. Ein besseres Druckmittel als das zerstörerische Antasten des Heiligtums hätte sich Georgia nicht einfallen lassen können.

«Ha!» machte Sabrina triumphierend. «So leicht geht das. Man muss nur wissen, wie.»

Sobald der kleine Gegenstand, den Carla trotz Sehfehler als Klappmesser identifiziert hatte, nicht mehr in Reifennähe war, kam Bewegung in die Sache. Georgia lief wieselflink außer Reichweite und feixte sich noch eins, indem sie mit den Schlüsseln in der Luft herum wedelte, während Jürgen zu toben begann. Er besann sich abrupt eines Besseren, als er durch Zufall die beiden Frauen oben am Fenster entdeckte. Schlagartig wurde Haltung bewahrt. Sein ausgestreckter Zeigefinger folgte Georgias Richtung, als sie ins Haus ging.

«Jetzt droht er ihr Konsequenzen an» untertitelte Sabrina den Stummfilm und blickte ein bisschen mitleidig drein. «Der Ärmste. Er ist völlig außer sich. Findest du nicht, dass Georgia zu grob mit ihm war?»

«Von wegen!» entgegnete Carla ohne zu überlegen im Brustton der Überzeugung. «Ganz bestimmt nicht. So ein kleiner Schlag mitten ins übersteigerte Selbstwertgefühl ist genau das Richtige für ihn. Ich kann dir auf Anhieb fünf bis sechs Situationen in Erinnerung bringen, die diese Behandlung mehr als rechtfertigen. - Wenn er dich wie eine Haussklavin in die Küche gejagt hat, zum Beispiel, um seine Gäste zu bewirten. Wenn er dich vor allen Leuten wie ein dummes Gör behandelt hat und dir bösartig über den Mund gefahren ist. Vor anderen musste er ja immer den großen Macker raus kehren. - Und privat war er ein Schlaffi.»

«Du hast Recht» pflichtete Sabrina kleinlaut bei und schloss geräuschvoll das Fenster. « ... Aber ich hab's mir auch ja auch lange genug gefallen lassen.»

Kurz darauf wurde die Wohnungstür aufgeschlossen, und unten auf der Straße fuhr der heilgebliebene Daimler mit quietschenden Reifen davon.

«Hier - catch!» rief Georgia, als sie hereinkam, und warf Sabrina die Schlüssel zu.

«Ich danke dir. - Was hat er gesagt?»

«Weiß nicht. Hab nicht zugehört.» Georgia ließ sich auf die Couch fallen und gönnte sich eine Gauloises.

Carla klopfte ihr anerkennend auf die Schulter. «Gut gemacht. Du hast es drauf.»

Sie nahm das Lob gelassen entgegen, ohne Anzeichen von Stolz. «Er wollte ihn nicht freiwillig geben» sagte sie achselzuckend.

Carla setzte sich in einen Sessel, und Sabrina sorgte für eine dritte Tasse und goss nicht mehr ganz heißen Kaffee ein. «Ich glaube nicht, dass er das jetzt auf sich sitzen lässt» gab sie zu bedenken, als sie sich zu den anderen setzte. «Diese Blamage ... er hat 'ne Stinkwut auf uns. Ich meine - ich konnte ja nicht wissen, dass es so ausartet und er eine halbe Armee gegen sich hat.»

Georgias: «No worries» hatte immer so etwas völlig Zuversichtliches. Wenn es nach ihr ging, die nach diesem Prinzip zu leben schien, brauchte sich niemand jemals Sorgen zu machen. Easy Going auf ganzer Linie war angesagt, und sie schien auch voll und ganz dahinter zu stehen. Nach Sabrinas Empfinden hatte sie eine geradezu erschreckend positive Grundeinstellung.

«Was macht dich denn so sicher, dass er mich in Ruhe lässt?» erkundigte sie sich entsprechend skeptisch.

«Ich habe ihn gesagt, wenn sein Auto so bleiben soll, wie es ist, soll er dich nicht mehr nerven» entgegnete Georgia schlicht und kreuzte lässig ein Bein über das andere. «Ich finde das Teil, egal wo. Und dann mache ich eine Obstkiste daraus.»

«Bravo!» applaudierte Carla. «Das ist sein wunder Punkt. Da kriegst du ihn mit.»

«Deutsche Männer» murrte Georgia kopfschüttelnd. «Die haben alle die gleiche Klatsche. So was Albernes. Ein Auto ist ein Verbrauchsgegenstand, nichts weiter.»

«Gebrauchsgegenstand» verbesserte Sabrina nachsichtig. «Jedenfalls sollte es einer sein. Für die meisten ist es mehr ein Prestigeobjekt ... oder ein Potenzverstärker.»

«Po-tenz-ver-stär-ker» sprach Georgia beeindruckt nach. «Hört sich gut an, muss ich mir merken.»

Sabrina schlug sich unvermittelt mit den Händen auf die Oberschenkel und jauchzte: «Ich bin frei! Ich kann's noch gar nicht glauben! Es ist vollbracht!»

«Wurde auch Zeit» stimmte Carla zu. «Irgendwann musstest du ja mal wach werden. Ich hatte dich auch noch nicht aufgegeben.»

«Danke, Liebes.» Sabrina warf ihr ein Kusshändchen zu. «Beim nächsten Mann wird alles anders» stellte sie froh in Aussicht, «irgendwann muss ich ja schließlich mal den richtigen erwischen.»

«Kauf ein aus Gummi» meldete sich Georgia kategorisch zu Wort, nahm einen letzten Zug aus ihrer Zigarette und machte der Kippe im Aschenbecher den Garaus. «Oder so ein Männchen zum Aufblasen ... da kannst du die Luft raus lassen, ihn zusammenrollen und in den Schrank legen, wenn er lästig ist. Ist total praktisch, der Typ. Der schreit nicht, schlägt nicht, ist nicht ansteckend und hält das Maul.» Es klang wie eines ihrer Zitate, mit denen sie öfter an passender Stelle brillierte. Sie stand auf und sagte: «Ich muss gehen jetzt.»

Ihr Aufbruch hatte meist etwas Panikartiges.

Carla bekam der Einfachheit halber auch schnell ein Küsschen aufgedrückt, und Sabrina brachte sie, als Protestgeschwafel erfolglos abprallte, höflich zur Tür.

«Danke für deine Hilfe» sagte sie verlegen lächelnd. «Schade, dass du nicht noch bleiben kannst.»

«Geht nicht.» Georgia war bereits zur Tür raus. «Wenn etwas ist - give me a call.» Sie reichte ihr eine Visitenkarte, die nicht auf ihren derzeitigen Hauptberuf hinwies, lief die Treppe hinunter und zwinkerte ihr noch einmal zu. «Tschüs, Süße! Wir sehen uns.»

«Bist du im Lobo's morgen Abend?» rief Sabrina ihr nach.

«Weiß noch nicht» hallte es von unten rauf, und dann schloss sich die Haustür auch schon hinter ihr.

 

«Gott, die hat ein Tempo drauf» stellte Sabrina kopfschüttelnd fest, als sie zu Carla ins Wohnzimmer zurückkehrte. Sie bediente sich von deren Zigaretten, zündete sich unter dem fassungslosen Blick der Freundin, die sie nie hatte rauchen sehen, eine an und fragte: «Was meinst du, tankt sie bleifrei oder super?»

 

 

 

 

 

*

 

Showtime!
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