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Unwillkürlich glitt meine Hand in die Jackentasche. Die Schachtel war noch da. Ich zitterte, obwohl der Wind wärmer wurde, je näher wir ans Südufer kamen. Über dem Wasser hing ein dichter Nebel aus Rauch und Dampf. In meinem Kopf stand das Globe so hell wie immer da, ein kleines weißes Cottage am Ufer, in sich geschwungen wie ein schlafender Schwan. Ein absurdes Bild natürlich, angesichts des Feuers. Das Theater war groß genug, um sechzehnhundert Zuschauer zu fassen, und in seiner künstlichen Altertümlichkeit sahen viele mehr Kitsch als Charme darin. Disneys Shakespeareland, wie Ros es nannte. Bis heute Nachmittag hatte sie sich geweigert, auch nur einen Fuß in das Remake des alten Theaters zu setzen.
Wenn es um Shakespeare ging, lag Ros nur selten falsch, doch beim Globe Theatre irrte sie sich. Ob sie wollte oder nicht, es ging eine seltsame Kraft von seiner Bühne aus. Im Globe erwachten Shakespeares Worte zum Leben, mit einer geradezu magischen Intensität.
Tuckernd näherten wir uns dem Pier. Um uns wogte der Nebel, dann gab er die Sicht auf Cyril Cunningham frei, den Intendanten, der wie ein ramponierter Storch am Dock auf und ab stelzte. »Alles hin«, krächzte er, als wir auf den Steg kletterten. »Alles verloren.«
Vor mir blieb Sir Henry wie versteinert stehen, und ich spürte, wie meine Hoffnungen starben. Dann hob sich der Nebel, und aus den Schwaden tauchte ein Brandmeister auf, mit rotem Helm und einer schweren blauen Jacke mit reflektierenden Streifen. »Ganz so schlimm ist es nicht«, brummte er, »aber ich kann auch nicht behaupten, dass es gute Nachrichten sind. Kommen Sie mit und sehen Sie selbst.«
Eilig folgten wir ihm am Ufer entlang. Meine Gedanken wanderten durch die Dunkelheit zum Theater hinauf. Die Planer des neuen Globe hatten sich so weit wie möglich an Shakespeares Original gehalten. Sie hatten das Theater buchstäblich um die Bühne herum gebaut - eine große überdachte Plattform am Ende eines achteckigen Hofes unter freiem Himmel. Rings um den Hof erhoben sich die Ränge wie ein enges dreistöckiges Puppenhaus. Jedes Stockwerk war mit mehreren Reihen blanker Eichenbänke ausgestattet, von denen man über die Balustrade in den Hof und auf die Bühne blickte.
Das ganze Bauwerk war von einer Schlichtheit, die die Shaker gutgeheißen hätten - bis auf die Bühne. Dort war jeder Zentimeter Holz und Putz aufwendig bemalt, um Marmor, Jaspis und Porphyr vorzutäuschen, und mit geschnitzten Karyatiden und vergoldeten Atlanten verziert. Ein baldachinartiges Dach, dessen Himmel mit Sternen bemalt war, schützte die Schauspieler vor Sonne und Regen. In der nordischen Mythologie wurde das Himmelsgewölbe von einer Esche getragen, und aus irgendeinem Grund gefiel mir der Gedanke, dass Shakespeares Himmel auf den Stämmen von zwei massiven englischen Eichen ruhte. Nicht dass sie als Eichen zu erkennen wären. Wie roter Marmor bemalt und verziert mit prächtigen Kapitellen erinnerten die »Säulen des Herakles« eher an einen der Tempel von Persepolis, bevor Alexander der Große die Stadt in Schutt und Asche legte.
Was hatte das Feuer vom Globe übrig gelassen?
Wir passierten ein Labyrinth von Polizeiabsperrungen und Notzelten und standen plötzlich vor einer großen Flügeltür. Ich runzelte die Stirn. Sie sah aus wie der Haupteingang des Theaters. »Alles andere mussten wir opfern«, erklärte der Brandmeister und strich zärtlich über den Türstock. »Verwaltung, Kasse, Cafeteria - das ganze Drum und Dran.« Dann sah er uns an, und in seinem roten, erschöpften Gesicht strahlte ein Anflug von Stolz. »Aber ich glaube, wir haben das Globe gerettet.«
Gerettet?
Der Brandmeister zog die Tür einen Spalt auf, gerade weit genug, um uns nacheinander hineinzulassen. Dann nickte er mir zu.
»Nur Mut«, sagte Sir Henry und drückte meine Schulter. Ich schob mich durch den Spalt und trat vorsichtig durch das Foyer in den Hof wo ich wie versteinert stehen blieb. Ich hatte damit gerechnet, alles in Trümmern zu sehen, doch was vor mir lag, war von überirdischer Schönheit.
Rauchfahnen kräuselten sich über der Bühne wie Luftschlangen. Die Säulen des Herakles glänzten schwarz von Ruß. Am Boden stand Wasser, eine schimmernde, spiegelglatte Fläche. Am Himmel über dem Hof funkelten die Sterne, als würde es glitzernde Blüten regnen. Das Theater war alles andere als eine Ruine. Es hatte sich in den unheimlichen, majestätischen Tempel einer dunklen Gottheit verwandelt. In einen Ort, wo Druiden und Geister verkehrten und Blutopfer dargebracht wurden. Durch die Luft schwebte ein Stück glimmendes Papier, und ich fing es auf - es war die halb verbrannte Seite eines Regiebuchs. Kein gutes Zeichen. Hastig stieg ich die Stufen zur unteren Galerie hinauf, wo ich meinen Arbeitsplatz hatte. Der Schreibtisch war umgefallen, und meine Bücher und Aufzeichnungen lagen am Boden verstreut. Irgendwie musste ein Funke hereingelangt sein, denn sie waren zur Hälfte verbrannt. Der Ordner mit dem Regiebuch lag offen da, die Ringe waren aufgesprengt. Die Seiten waren herausgefallen, durch die Luft gewirbelt und im Wasser gelandet. Hastig kniete ich mich hin und begann zu retten, was sich retten ließ. Weitere Papiere waren hinter den Tisch gerutscht. Auf allen vieren kroch ich hinterher, doch dann hielt ich inne und schnappte nach Luft.
Am Boden lag ein breitkrempiger Hut mit dunkelroten Pfingstrosen, die auf der weißen Krempe wie Blut wirkten. Ein Stück weiter, auf einer der Zuschauerbänke zusammengerollt, lag eine Frau. Sie sah aus, als schliefe sie, doch ihre Augen waren offen. Der Blick einer Statue, leer und intensiv zugleich, nur dass ihre Augen nicht aus Marmor waren. Sie waren grün.
»Ros«, stöhnte ich.
Neben mir tauchte Sir Henry auf, gefolgt von Cyril. Er schob mich zur Seite und legte ihr zwei Finger an den Hals. Einen Augenblick später richtete er sich auf und schüttelte den Kopf. Diesmal fehlten selbst Sir Henry die Worte.
Ros war tot.