Angriff!
Die Besatzung der Black Rose hatte die 11 Tage, in der sie auf die fremde Flotte wartete, gut genutzt. Die Schwingungsdämpfer der schweren Geschütze waren mit zusätzlichen Messinstrumenten verbunden, die vor einem Ausfall warnen sollte. Auch hatte die Maschinencrew es fertig gebracht, die defekten Dämpfer von Geschütz 2 durch eine Notlösung zu ersetzen. Sie hatten jedoch gewarnt, dass dieser Notbehelf nicht für Salvenfeuer geeignet war. In der Zeit hatte die Black Rose ihren Kurs den feindlichen Schiffen angepasst und lief jetzt eine Million Kilometer vor ihnen und ließ sich langsam einholen. Die Sensoren hatten bisher noch keine Impulse von dem feindlichen Radarsystem festgestellt. Die Position der vier feindlichen Verbände hatte sich nicht geändert, die vorderen drei Verbände flogen in einem Dreieck mit 63000 km Abstand voneinander, der vierte Verband folgte dem Mittelpunkt des Dreiecks mit einem Abstand von 55000 km, so das die feindliche Flotte den Eindruck einer durch den Raum fliegenden Pyramide erweckte. Jeder der vier Verbände bildete wie beim letzten Angriff ein Quadrat aus acht mal acht Schiffen, deren Abstand untereinander wieder 3150 km betrug. Auch die Sensoren der Black Rose hatten es von ihrer Position direkt vor den abbremsenden Schiffen wegen des direkt auf sie zu rasenden Plasmas der Fusionstriebwerke nicht geschafft, genauere Daten von dem hinteren Verband zu bekommen.
Als die Entfernung zu den vorderen Schiffen auf 550000 km gesunken war, befahl Gabby ihre Besatzung auf Gefechtsstation. Dank dem Übungsdrill waren alle Stationen nach acht Minuten besetzt, was bei der umständlichen Anziehprozedur der schweren Raumanzüge ein neuer Rekord war. Nach längeren Diskussionen mit ihren Waffenspezialisten hatte Gabby sich entschieden, den Angriff mit einer Raketensalve zu beginnen. In der Hoffnung, auch bei den nicht direkt getroffenen Schiffen Schäden zu verursachen, sollte nur jedes zweite Schiff angegriffen werden. Auch wollte sie den Angriff aus größerer Entfernung starten als es seinerzeit die Kampfgruppe 1 getan hatte, um die Einschlagenergie der kinetischen Waffen zu vergrößern. Da die Raketensensoren genau auf die Triebwerke der feindlichen Schiffe blickten, bestand auch keine Gefahr, dass sie die Zielaufschaltung verloren.
Als der Abstand auf 500000 km gefallen war, gab Gabby den Befehl zum Aussetzen der Raketen. Leise drang der Klang der von den beiden Werfern im Unterdeck aus dem Schiff ausgesetzten Raketen trotz der Schallisolierung bis in die Kommandozentrale, danach war eine Ruhepause von zehn Sekunden, danach startete die nächste Ladung. Nach etwas über zwei Minuten waren wie geplant 128 Raketen ausgesetzt und trieben von der Black Rose weg. Stefan Maier, der aus dem Hilfskontrollraum den Waffeneinsatz leitete, meldete sich: „Alle Raketen ausgesetzt, Sir. Telemetrie meldet einwandfreie Zielaufschaltung.“ „Dann feuern sie wie besprochen!“ „Aye, aye, Sir! Erster Schwarm startet!“
Die ersten 32 Raketen begannen mit 100 Gravos auf den schweren Verband hin zu beschleunigen und verschwanden nach wenigen hundert Kilometern aus dem Ortungsbereich der passiven Sensoren. Die Computer der Black Rose konnten auf Grund des bekannten Flugprofils die ungefähren Positionen errechnen und zeigten sie im Hologramm der zentralen Kommandokonsole als blinkende grüne Pünktchen an, als Zeichen, das die genauen Positionen unbestimmt waren. Nach 53 Sekunden starteten auch die restlichen Raketen. Stefan Maier meldete: „Sir, Schwarm 2 bis 4 gestartet! Einschlag in 1000 Sekunden!“ Durch die zeitlich versetzten Startzeitpunkte wollte man erreichen, dass alle Raketen gleichzeitig einschlugen. Gabby sagte ruhig: „Jetzt kommt das Schwerste! Ruhig dasitzen und warten!“ Dann ordnete sie an: „In 900 Sekunden den Magnetschirm auf volle Stärke!“ Swetlana bestätigte die Anweisung mit einem lakonischen „Aye, aye, Sir!“
Gabby starte auf ihre Konsole, in der in der oberen Ecke die Restlaufzeit eingeblendet war. Die Sekunden zogen sich wie Kaugummi und sie fragte sich, ob die interne Borduhr versagte. Doch die Zeit ging auch vorbei und zwei Minuten vor der errechneten Einschlagzeit befahl sie das Laden der schweren Geschütze. Sie fragte Otto Özdemir, der an seinen Sensoren saß: „Haben die Kraken schon irgendeine Reaktion gezeigt?“ „Nein, Sir! Bisher haben sie noch nicht einmal ihr Radar aktiviert.“ erwiderte Otto in einem Tonfall, der erkennen ließ, das er diese Frage zu diesem Zeitpunkt für überflüssig hielt, da er eventuelle Änderungen bei den Feindschiffen sofort gemeldet hätte.
Die letzten Sekunden verstrichen und dann begannen in den feindlichen Verbänden die Explosionen, als die Raketen mit 1000 kps in die Triebwerke einschlugen. Die beim Einschlag freiwerdende Energie entzündete in den meisten Fällen in dem direkt hinter den Triebwerken liegenden Wasserstofftank eine unkontrollierte Fusionsreaktion, die dazu führte, das sich die getroffenen Schiffe in hell aufleuchtende, sich ausdehnende Plasmawolken verwandelten. Wie Gabby gehofft und nach ihren Erfahrungen bei der Kampfgruppe 1 auch erwartet hatte, führten die Plasmawolken bei den nicht getroffenen Schiffen zu schweren Beschädigungen oder sogar zur Zerstörung. Sie wurden kilometerweit aus ihrer Flugbahn geworfen und in vielen Fällen hielt der Rumpf dieser mechanischen Belastung nicht stand, so dass diese Schiffe in ihre Einzelteile zerbrachen.
Gabby ließ die Radargeräte der Black Rose mit den Worten aktivieren: „Radarabtastung mit voller Stärke! Wenn die jetzt noch nicht mitbekommen haben, dass hier jemand ist, der ihnen Böses will ...“ Leises Lachen erfüllte die Kommandozentrale. Otto meldete sich zu Wort. „Sir, Verband 1 und 3 bestehen nur noch aus einzelnen Wrackstücken, bei Verband 2 ist noch ein Schiff zu erkennen, dessen Triebwerk aber nicht läuft. Bei dem schweren Verband kann ich noch drei Schiffe erkennen, aber nur bei einem läuft das Triebwerk noch!“ Stefan warf aus dem Hilfskontrollraum ein: „Nach der Analyse der Explosionen haben beim schweren Verband zwei, bei Verband 2 eine Rakete das Ziel nicht getroffen. Ob das ein Raketenfehler war oder ob die geortet und abgeschossen wurden, können wir noch nicht sagen, Sir!“ Gabby entgegnete: „Da machen sie sich mal keine Gedanken! Mit einer Trefferquote von über 97 Prozent haben sie ein Superergebnis erzielt! Und jetzt wollen wir mal sehen, wie sie auf unsere schweren Geschütze reagieren. Eröffnen sie das Feuer auf das eine noch funktionsfähige Schiff, aber nur Einzelschüsse bitte, wir wollen ja nicht mehr bei uns kaputt machen als nötig!“ Stefan nickte. „Aye, aye, Sir!“
Wieder ließ der laute Knall der Entladung des schweren Lasergeschützes alle zusammen zucken und die Zelle erbeben. Gabby hatte sich das letzte überlebende Feindschiff groß auf ihren Bildschirm gelegt. Als der Laserschuss über eine Distanz von 450000 km einschlug, heizten sich die Spulen, deren Magnetfelder das heiße Plasma von der Düsenwandung fernhalten sollten, bis zur Rotglut auf, kühlten wieder ab und wurden dann weißglühend, als der zweite Schuss nach 120 Sekunden einschlug. Stefan hatte mit dem zweiten Schuss gewartet, bis alle Belastungsanzeigen der Black Rose wieder im grünen Bereich waren. Gabby murmelte erstaunt: „Ich möchte wissen, was die für Supraleiter haben, das die auch noch weißglühend ihre Leitfähigkeit behalten.“ Der dritte Schuss, wieder nach 120 Sekunden und wieder aus Geschütz 1, ließ dann aber die Abschirmung des Triebwerkes versagen.
Auf dem Bildschirm konnte Gabby gut erkennen, wie das jetzt außer Kontrolle geratene Plasma das Triebwerk zusammen schmolz. Der unkontrollierte Ausfall des Triebwerkes hatte das Feinschiff in eine langsame Rotation versetzt, so dass die Besatzung der Black Rose erstmals Bilder von einen schweren Schiff des Feindes erhielt. Es hatte Ähnlichkeit mit einer in der Mitte verdickten Walze, die 1150 Meter lang war und an der dicksten Stelle einen Durchmesser von 120 Metern aufwies. Im Gegensatz zu dem bereits bekannten kleineren Typ konnten die Sensoren keinerlei Laserkanonen oder Raketenwerfer feststellen, auch die Rohre der Plasmakanonen waren nirgends zu entdecken. Dafür waren über die Länge des Schiffes große Türen zu erkennen. „Das könnte ein Frachter sein.“ mutmaßte Stefan. „Ja, vielleicht.“ erwiderte Gabby nachdenklich. „Aber die Art der Fracht würde mich dann interessieren. Wozu braucht man 64 Frachtschiffe dieser Größe? Landungstruppen? Das werden wir erst feststellen können, wenn wir ein Enterkommando an Bord schicken. Und nein ...“ sie seufzte vernehmlich, bevor sie fort fuhr. „... da wir keine Waldos an Bord haben und die Krakenforschungsstation noch nichts über biologische Gefahren herausgegeben hat, lassen wir lieber die Finger davon! Außerdem ist unsere Besatzung ein bisschen zu klein, um ein Schiff dieser Größe zu untersuchen!“ Dann setzte sie mit traurigem, verträumten Tonfall hinzu: „Aber reizen würde es mich schon!“ Dann wurde sie wieder die nüchterne Kommandantin. „Tobias, schauen sie mal, ob Admiral van Bibber bereits Unterstützung für uns auf den Weg gebracht hat. Otto, ich möchte eine Aufzeichnung mit Flugbahnanalyse von so vielen Wrackteilen wie möglich, falls die Krakenforschungsstation an irgendetwas besonderes Interesse zeigt. Ach ja, und schauen sie mal, ob sie abgesprengte Projektoren von dem sagenhaften Tunnelantrieb finden. Wie die aussehen, finden sie in der Datenbank. Ich glaube, Admiral van Bibber würde sich über dieses Geschenk besonders freuen!“
Jörg meldete sich: „Sir, zwei Schiffe sind gerade über dem Sonnenrand erschienen. Keine Fusionstriebwerke! Könnten Labora und einer der bewaffneten Frachter sein.“ „Gut, bitten sie sie um Weiterleitung unserer Nachricht. Feindliche Flotte vernichtet! Bitten um Enterkommandos und Schlepper für drei vermutete Frachtschiffe und ein Kampfschiff. Halte Stellung zur Analyse der Wrackteile.“