Labora

Sechs Tage waren vergangen, sechs Tage, in denen die Besatzung der Labora bis auf kurze Ruhepausen mit drei Gravos in die Liegen gedrückt worden war, sechs Tage, in den die Labora den Abstand zur flüchtenden Flotte mühsam immer weiter verringert hatte, bis sie ihr jetzt auf einem Parallelkurs in einem Abstand von einer viertel Million km folgte. Die von der Verkehrsleitzentrale  an die Labora weiter geleitete Telemetrie der Kittywake zeigte, dass diese dem einprogrammierten Kurs einwandfrei folgte und es keinerlei Systemausfälle an Bord computergesteuerten des Schiffes gab. Auf allen Bildschirmen der Labora war eine kleine Countdownuhr eingeblendet, die die Zeit bis zur Kollision anzeigte. Fünf Stunden, 32 Minuten, fünfzehn Sekunden wurde in rot leuchtenden Ziffern angezeigt. Da die Labora bereits die gewünschte Beobachtungsposition erreicht hatte, hatte Max allen außer der Dienst habenden Wache  frei gegeben. Sie selber saß vor dem großen Wandbildschirm und betrachtete das Abbild der feindlichen Flotte. Theodor Carabali kam aus der Messe zurück und brachte ihr einen Becher Kaffee mit. „Was überlegen sie denn?“ fragte er.

„Ich hatte gehofft, dass unsere Freunde da draußen mir einen Hinweis geben, wo sie hin wollen. Aber nach unseren astronomischen Daten ist da im Umkreis von 40 Lichtjahren kein Stern, auf den sie zufliegen!“ 

„Wir würden doch in der gleichen Situation auch nicht direkt nach Hause fliegen!“ warf Theodor ein. „Damit würde man ja den Gegner direkt zu seiner Basis führen! Geben denn die Daten von der Pegasus auch keinen Anhaltspunkt, wo sie her gekommen sind?“

Max lächelte. „Doch! Und sie sagen uns auch, warum sie jetzt gekommen sind.“ Sie ließ über ihr CGI die Pegasus Daten auf dem Bildschirm auftauchen und führte die Kurslinien weiter. Sie zeigten eindeutig auf einen roten Riesen in 32 Lichtjahren Entfernung. „Sie haben allerdings langsam reagiert! Sie sind erst fünf  Jahre, nachdem das Licht von der Explosion des Transferpunktes sie erreicht hat, hier aufgetaucht.“

„Wir kennen aber doch ihre Geschwindigkeit ihres Überlichtantriebes nicht!“ gab Theodor zu bedenken. „Vielleicht braucht man für die Strecke fünf Jahre!“

Max schüttelte den Kopf. „Möglich, aber ich glaub nicht, dass das der Grund ist! Anhand der Feldprojektoren, die die Black Pearl und die Tramp erbeutet haben, würde ich mit einer Flugzeit von zwei bis sechs Monaten rechnen. Und ihre Technik scheint im Allgemeinen mindestens genauso gut  zu sein als unsere! Nein, das ist nicht der Grund! Und ihr Heimatsystem kann dort auch nicht liegen.“ Auf Theodors fragenden Blick erklärte sie: „Im System eines roten Riesen kann sich nach unserem Kenntnisstand kein intelligentes Leben entwickeln. Die Zeit reicht dafür nicht aus. Dort kann also nur eine Basis oder eine Kolonie der Fremden sein. Aber egal. Das hilft uns im Moment auch nicht weiter. Die Kittywake wird in einer halben Stunde eintreffen. Schicken wir die Mannschaft wieder mal auf Gefechtsstation!“

Das tiefe Brummen des Gefechtsalarms tönte wieder einmal durch die Labora und die Besatzung besetzte die Stationen. Max befahl: „Wir halten unsere Position in Bezug auf die feindlich Flotte. Zwei Minuten, bevor die Kittywake einschlägt, werden wir mit voller Stärke eine Radarabtastung der Flotte vornehmen. Wir müssen sie etwas von der Kittywake ablenken. Deshalb werden wir auch drei Minuten vor dem voraussichtlichen Einschlag Kurs auf den Gegner nehmen mit drei Gravos. Wenn sie dann unsere Radarabtastung orten, sind wir für sie auf Angriffskurs. Noch fünf Minuten bis Einschlag! Magnetfeldschirm aktivieren!“ 

Die Besatzung wurde wieder mit den fast schon gewohnten drei Gravos in ihre Liegen gepresst und beobachtete den Countdown, der nach ihrem Gefühl viel zu langsam zurück zählte. Theodor meldete den Status der Kittywake. „Ziel aufgefasst! Bisher keine Anzeichen für feindliche Ortung. Entfernung 500000 km, noch 25 Sekunden bis zum Einschlag. Labora von feindlicher Ortung erfasst! 20 Sekunden bis Einschlag, 15 Sekunden... 10 Sekunden... 5 Sekunden... Null!“ 

Die Null schrie er mit voller Lautstärke, aber auch andere, die auf ihren Bildschirmen die Bilder der Sensoren sahen, schrieen auf. Auch die besten Sensoren der Labora konnten den Einschlag nicht mehr auflösen, als die Kittywake mit einer Relativgeschwindigkeit von 20000 kps das an zentraler Position in der feindlichen Flotte fahrende Feindschiff traf. Im Gegensatz zu den Raketeneinschlägen bildete sich hier sofort ein weiß strahlender Plasmaball, als die Kollisionsenergie freigesetzt wurde. Er dehnte sich immer weiter aus und verschlang die feindliche Flotte. An einigen Stellen blitzte es leicht auf, als die Wasserstofftanks einiger Schiffe explodierten, aber was im Normalfall eine Katastrophe gewesen wäre, war hier nur ein schwaches Aufflackern von Energien. Die Plasmawolke dehnte sich auf über 150000 km aus, bevor sie sich langsam auflöste. Max hatte schon die Befürchtung gehegt, dass der Sicherheitsabstand zu gering bemessen sei und die Labora selbst beschädigt oder gar vernichtet würde. Nun stieß sie einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, bevor sie befahl: „Alle Triebwerke stopp. Wir lassen uns hier treiben, bis sich die Wolke verflüchtigt hat und wir eine Radarabtastung der Umgebung durchgeführt haben. Auch die optischen Sensoren suchen verstärkt die Umgebung ab! Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass das jemand überlebt hat, aber wir sind nicht so weit gekommen, um jetzt zu schludern! Und ich möchte eins hinzufügen: Ich bin stolz auf jeden einzelnen von ihnen!“

Der Jubel, der durch die Labora hallte, war ohrenbetäubend, als allen klar wurde, dass sie eine überlegene Feindflotte vernichtet hatten!