27.
KAPITEL
Offene Enden
Max hatte sein bisschen Gepäck schon in den Pontiac geladen, als Bella kam, um sich von ihm zu verabschieden. Sie stand auf dem Gehweg und beobachtete, wie er so tat, als sei er noch mit etwas im Kofferraum beschäftigt.
„Wann geht dein Flieger“, fragte er, ohne sie anzusehen.
„Das Flugzeug ist noch in Afrika. Ich muss zwei Tage warten.“ Sie trat näher zu ihm heran. „Dein Freund hat mir netterweise seine Wohnzimmer-Couch angeboten.“
Der Gedanke, dass Bella allein bei Nathan blieb, drehte ihm fast den Magen um. Natürlich wusste er, dass zwischen ihr und Nathan nichts laufen würde. Sein Verstand sagte ihm, dass sein Freund viel zu fertig war von den Ereignissen der letzten Tage, um überhaupt einen Gedanken an eine neue Romanze zu verschwenden. Aber der Neandertaler in ihm wäre am liebsten mit Nathan in den Ring gestiegen, um für seine Frau zu kämpfen.
„Wenn du mal nach Spanien kommst, weißt du ja, wo du mich findest“, sagte sie, und wollte ihm offensichtlich den Abschied leicht machen.
Obwohl er es eigentlich besser wusste, und obwohl ihm den ganzen schlaflosen Tag der Vorsatz „Max Harrison bettelt nicht“ durch das Gehirn geklungen war, sagte er: „Bleib bei mir.“
„Du weißt, dass ich das nicht kann.“ Ihre Antwort kam sofort, als hätte sie mit der Frage gerechnet und als wenn es nur eine Frage der Zeit war, bis er sie stellen würde.
Jetzt hasste sich Max noch mehr dafür, dass er überhaupt gefragt hatte. Trotzdem sagte er: „Das weiß ich eben nicht. Da ist etwas zwischen uns, Bella.“
Sie zuckte zusammen, als er ihren Namen sagte. „Du verwechselst Sex mit Liebe.“
„Wirklich?“ Er lachte ärgerlich. „Gut, dass wenigstens du über meine Gefühle Bescheid weißt. Kann ich deine Durchwahl haben, falls ich mal in der Klemme sitze und nicht entscheiden kann, ob ich sauer bin oder nur scheißen muss?“
„Werde nicht ausfallend! Nur weil du dir in deiner Fantasie ausgemalt hast, wie ich … was eigentlich? In deinen Armen dahinschmelze? Mein bisheriges Leben und alle meine Pläne für dich aufgebe?“ Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust. „Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass das zwischen uns nur eine Bettgeschichte war.“
„Das ist eine Lüge!“ Er knallte den Kofferraumdeckel zu und marschierte zur Wohnung. Sie mussten los, sonst würden sie es nicht bis Sonnenaufgang nach Chicago schaffen. Aber er konnte Bella nicht so gehen lassen. Wenn sie sich schon für immer aus seinem Leben verabschieden wollte, dann musste sie sich verdammt noch mal zumindest anhören, was er zu sagen hatte.
Als er sich zu ihr umdrehte, starrte sie ihn immer noch aus ihren ausdruckslosen goldenen Augen an. Wahrscheinlich blieb sie nur, damit er sich wieder beruhigte. Genauso würde sie sich auch jede Beleidigung, die er ihr an den Kopf werfen wollte, geduldig anhören und sich dann ohne jedes Schuldgefühl von dannen machen.
Aber diesen Gefallen tat er ihr nicht. „Ich hab dich gern, Bella. Nicht, weil wir miteinander geschlafen haben und auch nicht, weil wir uns unter diesen Umständen kennengelernt haben. Ich mag dich einfach. So wie du bist, ohne das ganze beschissene Drumherum.“
Tränen füllten ihre Augen, aber sonst reagierte sie nicht.
„Und du weißt genau, dass es zwischen uns funktionieren könnte, wenn du uns eine Chance gibst.“ Er klang heiser, und er schluckte, um den rauen Ton aus seiner Stimme zu vertreiben.
Sie schloss die Augen. „Es tut mir leid, dass ich dich verletzt habe.“
„Mir tut es auch leid.“ Dann drehte er sich um und ging. Er wollte sich nicht an diesen Abschied erinnern müssen, wenn er später an sie dachte, aber sein Schmerz hatte jetzt schon eine Bitterkeit über all die schönen Erinnerungen gelegt.
Er ließ sie auf dem Gehweg stehen und ging hoch in die Wohnung. Hoffentlich tauchte sie erst wieder auf, wenn er schon weg war. Unnötig, sich so einen perfekten Abschiedsstreit durch höfliche Nettigkeiten zu ruinieren.
„Rufst du mich an?“ Nathan schaute zu, wie ich packte. Er gab sich besorgt und hilfsbereit, aber sein Ärger und seine Erleichterung waren deutlich zu spüren. Seine Gefühle waren zu stark. Er konnte sie nicht vor mir verbergen, auch wenn er es versuchte.
Als ich ihm Max’ Vorschlag unterbreitete, dass ich nach Chicago gehen könnte und wir beide uns eine Zeit lang nicht sehen würden, hatte ich eigentlich mit Widerstand gerechnet. Doch er stimmte sofort zu, und traf mich mit dieser Reaktion zutiefst.
Ich packte noch eine Handvoll Unterwäsche – wahrscheinlich hatte ich jetzt mehr als genug – und stopfte sie in meine Reisetasche. Bald war ich wieder unterwegs. „Sobald ich da bin. Bist du sicher, dass du alleine zurechtkommst?“
„Ich komme schon wieder in Ordnung. Es braucht nur Zeit.“ Er nahm meine Armbanduhr vom Nachttisch und reichte sie mir.
Ich riss sie ihm aus der Hand und wandte mich wieder der Tasche zu. „Zeit, in der du mich nicht sehen willst.“
„Für dich ist es auch gut, wenn wir uns eine Weile nicht sehen.“ Dann sagte er nichts mehr, und ich nahm mich zusammen, um nicht wieder mit dem Streiten anzufangen. Ich schloss den Reißverschluss der Reisetasche. Falls ich etwas vergessen hatte, konnte ich es mir in Chicago besorgen. Im Moment wollte ich so schnell wie möglich fort von hier. „Du solltest nicht hierbleiben“, versuchte ich es ein letztes Mal. Er hatte sich schon vorher nicht umstimmen lassen, keine Ahnung, warum ich es noch einmal versuchte. „Du bist hier nicht sicher. Max sagt, Dahlia ist noch in der Stadt. Die Männer des Souleaters sind hier. Du musst weg von hier.“
„Nein“, sagte er leise und schüttelte den Kopf. „Er hat mir sonst alles genommen. Er wird mich nicht auch noch aus meinem Haus vertreiben.“
„Du bist so ein Starrkopf.“ Wie konnte er nur sein Leben aufs Spiel setzen, nur um seinem Schöpfer zu beweisen, dass er keine Angst vor ihm hatte? Wir hatten wirklich unterschiedliche Vorstellungen davon, was es heißt, zu gewinnen.
„Ich weiß, dass du es nicht verstehst.“ Seine Züge wurden weicher. „Ich lebe hier seit zehn Jahren, Carrie. Vorher hat mir noch nie wirklich etwas gehört. In dieser Wohnung ist alles, was mir je etwas bedeutet hat. Ziggy ist hier aufgewachsen. Hier habe ich dich kennengelernt. Das ist unser Zuhause.“
Ich schluchzte leise auf und hielt mir mit der Hand den Mund zu.
Er legte seine Finger um mein Handgelenk. „Du bist immer noch mein Zögling. Vergiss das nicht.“
„Das werde ich nie vergessen!“ In meinem Innern tat alles weh, und kalte Tränen liefen mir über die Wangen. Er wollte mich in die Arme nehmen, aber ich schüttelte heftig den Kopf und warf den Trageriemen der Tasche über meine Schulter. „Ich bin dein Zögling, aber ich will so viel mehr von dir, Nathan.“
Ich küsste ihn nicht zum Abschied. Das hätte die Gefühle in meinem Herzen nur wieder durcheinandergebracht, und dieses verräterische Organ hatte schon zu oft über meinen Verstand gesiegt. Wenn ich ihn jetzt küsste, würde ich ihm sagen, dass ich bei ihm bleiben wollte. Ich würde mir einreden, dass ich mit ihm zusammenleben und den Schmerz ertragen könnte, dass er die Frau, die er nie mehr haben konnte, immer mir vorziehen würde. Und meine größte Angst war, dass ich das irgendwann wirklich glaubte.
Max wartete im Wagen auf mich. Er hatte für mich sein lässiges, sorgenfreies Max-Gesicht aufgesetzt. „Alles bereit?“
Ich nickte. „So bereit wie möglich.“
Meine Tasche landete auf dem Rücksitz und ich setzte mich auf den Beifahrersitz. In tiefliegenden Autos wurde mir immer schlecht. Die fünf Stunden nach Chicago kamen mir plötzlich wahnsinnig lange vor.
„Glaubst du, er kommt zurecht? Ich meine, was ist mit diesen Kerlen, die für den Souleater arbeiten? Sie könnten immer noch …“, fing er an.
Entschieden schüttelte ich den Kopf. „Er möchte bleiben. Sein Haus verteidigen. Und er will, dass ich gehe.“
„Er kommt schon wieder zur Vernunft“, sagte Max, aber er klang nicht überzeugt. „Du wirst schon sehen.“
Ich würde auf Nathan warten. Die Frage war nur, wie lange?
Und wie lange sollte Nathan darauf warten, dass sein Schöpfer ihn zu sich rief? Der Souleater gab nicht schon nach einem Rückschlag auf. Nein, er würde seine Kräfte neu sortieren und dann mit noch größerer Gewalt zurückkommen. Auch die Bewegung suchte immer noch nach Nathan. Und er wartete auf seine beiden Feinde, zu stolz, um sein Haus zu verlassen, zu schwach, um es gegen eine solche Bedrohung zu verteidigen.
Wie lange sollte ich warten? Bis mein Schöpfer tot war, und mir das Herz noch einmal gebrochen wurde? Wie lange hatte ich Zeit bis zur nächsten Katastrophe, die mir alles abverlangen würde?
Warten. Jetzt konnten wir mit dem Warten anfangen, wachsam bleiben, uns vorbereiten auf was auch immer uns bevorstand. Oder wir versteckten uns und warteten ab.
Doch so wie ich die Dinge sah, hatten wir nicht die Zeit, um lange abzuwarten.
– ENDE –