13.
KAPITEL
Kapitulation
Bei Sonnenuntergang kamen sie die Treppe herunter.
Cyrus’ erster Gedanke galt der Tür, die er besser hätte abschließen sollen, doch dann besann er sich, dass er genau das getan hatte. Sie wurde einfach aus den Angeln gerissen, flog mitsamt den Scharnieren die Treppe herunter und landete krachend auf dem billigen Esstisch, der prompt auseinanderbrach.
Mouse schrie auf, rappelte sich mühsam neben ihm hoch und schlang die Arme um sich.
Sie waren nur zu dritt, aber Cyrus war menschlich. Schwach und menschlich. Als einer ihn packte, war er nicht in der Lage, sich zu befreien. Er konnte nichts tun als tatenlos dabei zusehen, wie zwei von ihnen Mouse auf das Bett pressten.
Gellend schrie sie seinen Namen, flehte ihn um Hilfe an.
Cyrus musste daran denken, warum sie keinen Widerstand geleistet hatte, als die Nonne getötet wurde; warum sie nicht gebetet und Gott um Hilfe angefleht hatte.
Weil sowieso niemand zuhörte.
Deshalb hatten sie auch keine Freude an ihrem Treiben gehabt. Cyrus wusste aus erster Hand, dass der eigentliche Spaß am Töten sich erst beim Quälen des Opfers einstellte.
Jetzt, wo sie wieder ein Fünkchen Hoffnung in sich hatte, würde sie eine viel süßere Frucht sein.
Du musst sie gefühllos betrachten, abgebrüht. Verstell dich, tu so, als bedeute sie dir nichts, und sie wird aufhören, sich zu sträuben. Doch er konnte es nicht. Sein umfassendes Repertoire an grausamen Bemerkungen, sonst allgegenwärtig, löste sich in Nichts auf. Aber er war sich nicht sicher, ob er es überhaupt hätte einsetzen können.
Schutz und Sicherheit hatte er ihr versprochen und sein Versprechen nicht halten können. Er hatte gelogen und war nur ein unnützer Junge, der den Helden spielte. Retten konnte er dieses Mädchen in Nöten nicht.
Das Biest über Mouse riss ihr mit einem heftigen Ruck den Kopf nach hinten und entblößte ihre Kehle. Beim Anblick der heilenden Spuren, die Cyrus’ Zähne hinterlassen hatten, lachte der Vampir laut auf. Für einen perversen Moment dachte Cyrus fast erleichtert, dass das Monster vielleicht nur hinter ihrem Blut her war. Dann geißelte er sich selbst dafür, dass er den Wert ihrer Keuschheit über den ihres Lebens stellte.
Du bist wahrlich deines Vaters Sohn.
Diese Erkenntnis lag schwer wie Blei auf seiner Brust. Er schloss die Augen und betete, es möge schnell gehen, damit sie nicht noch mehr leiden musste.
Die Tonlage ihrer Schreie änderte sich, schlug um in fassungsloses Entsetzen, und die groben Hände, die ihn eben noch fest im Griff hielten, lockerten ihre Umklammerung.
Cyrus öffnete die Augen, sah, wie Mouse sich ängstlich duckte, als der Vampir über ihr in Flammen aufging und rasend schnell verbrannte. Wie aufgehängt schwebte für einen Augenblick ein Skelett aus Asche in der Luft, dann zerfielen seine Rippen rund um das blau lodernde Herz. Zuletzt verglühte auch das in Flammen stehende Organ und fiel als schwarze Staubwolke auf das Bett. Der Pfahl, der sein Herz durchbohrt hatte, plumpste mit einem dumpfen Geräusch neben Mouse auf die Matratze.
Die beiden anderen drängten hastig in Richtung Treppe, wurden jedoch in rascher Folge von Pfählen durchbohrt und von dem gleichen Schicksal ereilt.
Auf der obersten Treppenstufe stand Angie und drückte ihre Zigarette aus.
„Tut mir leid wegen deiner Tür.“
Cyrus wäre am liebsten mit einem Splitter der zerbrochenen Tür auf sie losgegangen, um ihr Herz damit zu durchbohren. Aber Mouse war so still. Blass und zitternd kauerte sie unter den Überresten des toten Vampirs. Sein Drang, zu ihr zu gehen, war stärker als das Verlangen, Angie zu töten. Er half Mouse beim Aufstehen und entfernte behutsam die Asche aus ihrem Haar, dabei schob er ein paar Strähnen zur Seite, um ihren Hals zu untersuchen. Er fand keine frischen Bissspuren. Trotzdem fragte er: „Hat er dich verletzt?“
Mouse schüttelte den Kopf. Ihm war nicht ganz klar, ob zur Verneinung oder als Folge des Grauens, das ihren Körper noch schaudern und zucken ließ.
Angie kam langsam die Stufen herunter und verschaffte sich mit kalten Augen einen Überblick. Mouse fing augenblicklich wieder an zu schreien, als sie die Vampirfratze erblickte.
Cyrus stellte sich zwischen Angie und Mouse.
„Du jagst ihr schreckliche Angst ein! Um Gottes Willen, setz das ab!“
Mit einem gleichmütigen Achselzucken schüttelte die Vampirin den Kopf und verwandelte ihr Gesicht.
„Haben die ihr was getan?“
Wütend drehte er sich um und zog Mouse in seine Arme. Die Tränen ihres hysterischen Weinens stachen und brannten auf seiner bloßen Haut, als sie ihr Gesicht an seins legte.
„Wir hatten eine Vereinbarung“, knurrte er Angie an. Für einen Augenblick lag etwas vom alten Cyrus in seiner Stimme. Es gab ihm die Kraft, sie herausfordernd anzufunkeln. „Was zur Hölle war da los?“
„Nicht meine Schuld. Diese schwachsinnigen Trottel kamen aus eigenen Stücken hier runter.“
Unbeteiligt zündete sie sich eine neue Zigarette an.
„Nebenbei bemerkt, ich hab mich ja wohl darum gekümmert, oder etwa nicht?“
Doch, aber das dämpfte seinen Zorn nur unwesentlich.
Sie hätten Mouse töten können, und das wäre genauso, als hätten sie ihn getötet.
Welchen Grund hätte er noch zu leben, wenn sie tot wäre?
Keinen.
Kalte Angst schoss ihm durchs Herz.
Aber es ließ sich nicht leugnen. Die Art, wie er sie während des Tages immer wieder verstohlen ansah. Die Art, wie sein sündiger Körper sich beim Anblick ihrer unschuldigen Gestalt spannte, wenn er nachts wach lag und sie betrachtete. Das war nicht nur Lust. Er war schmerzlich vertraut mit Lust, und sie war leicht von dem zu unterscheiden, was er jetzt empfand.
Cyrus schluckte und starrte außer sich vor Wut zu Angie hinüber.
„Was wird mit der Tür? Wie sollen wir sie nun draußen halten?“
Ihr heiseres, verrauchtes Lachen kräuselte sich wie Tabakqualm an der Zigarette vorbei, die zwischen ihren Lippen klemmte.
„Hat sie eben auch nicht aufgehalten, oder? Aber sie wird heute Nacht repariert und wieder eingesetzt.“
„Sorg dafür, dass das auch wirklich passiert.“
Seine Stimme zitterte beim Sprechen. Als er an sich hinunterblickte, sah er, dass seine Hände ebenfalls zitterten, und er zwang seinen Körper zur Ruhe. Die Vampirschlampe würde sonst annehmen, dass er sie fürchtete. Dabei war das, was ihm wirklich Angst machte, an ihn geschmiegt, schluchzte mittlerweile aber kaum noch.
Angie war die Treppe schon halb wieder hinaufgestiegen, als sie stehen blieb. „Der Bote deines Vaters wird morgen Nacht hier sein.“
Die Finger von Mouse gruben sich verzweifelt in Cyrus’ Schultern, als ihr Körper sich in neuer Angst verkrampfte.
Die Vampirin schenkte ihrer Reaktion keine Beachtung. „Ich lasse ihn in der Stadt einen Spender einsammeln, falls du sie nicht nehmen willst, wenn du verwandelt bist.“
„Danke.“
Es schien seltsam, das zu sagen, aber er war ihr tatsächlich dankbar, dass er Mouse nicht würde töten müssen.
Wenigstens nicht morgen.
Mit einem elenden Gefühl im Magen führte er sie zum Bett.
Würde er noch imstande sein, in ihr etwas anderes als Beute zu sehen, wenn sie ihn erst verwandelt hatten? Als er früher menschlich gewesen war, besaß er nicht so eine hohe Achtung vor dem Leben wie jetzt. Würde er nun als Vampir anders sein, oder würde der Sadist in seiner wertlosen Seele sich als mächtiger erweisen als diese suspekte Menschlichkeit?
Lautlos weinend stand sie daneben, als er die Asche aus den Laken schüttelte und das Bett wieder herrichtete. Er schlug eben eine Ecke der Bettdecke ein, als er aufblickte und sie mit Handfeger und Kehrblech am Fuß der Treppe stehen sah. „Lass mich das tun“, sagte er schroffer, als er beabsichtigt hatte, und nahm ihr den Handfeger aus der Hand. Er hatte gehofft, die Beseitigung der Überreste der Monster würde ihm helfen, seine Nerven zu beruhigen, aber Anspannung und Aufregung nahmen eher noch zu.
Sie waren so unglaublich viel stärker als er. Wenn Angie nicht aufgetaucht wäre, hätte er nur hilflos zusehen können, wie Mouse starb. Die Erinnerung an ihre Schreie war wie Salz in der Wunde seines verletzten Stolzes, und fluchend schleuderte er den Handfeger beiseite.
Mouse fuhr zusammen. Er hatte sie aus ihrem stillen Entsetzen aufgeschreckt.
Noch nie hatte er seine Angst vor der eigenen Unzulänglichkeit jemandem anvertraut. Wenn andere erst wussten, dass er unter Selbstzweifeln litt, mussten sie ja ebenfalls an ihm zweifeln. Aber er konnte seine Sorgen nicht länger verschweigen und vor ihr geheim halten. Er verspürte einen regelrechten Zwang, sich ihr mitzuteilen. Zum Teil lag das am jahrelangen einsamen Erdulden seiner Ängste, zum Teil an den erschreckenden neuen Gefühlen, die in seinen Eingeweiden tobten. Er murmelte: „Ich konnte dich nicht schützen. Nicht so, wie ich jetzt bin.“
„Wie du bist?“
Ihr starrer Blick wanderte von seinen Füßen aufwärts an ihm hoch.
„Nackt?“
Gern hätte er darüber gelacht, wenn er in einer besseren Stimmung gewesen wäre. Mit einem Mal fühlte er sich verwundbar, verletzlich, wie ausgestellte Ware. Er griff sich seine Hose vom Fußende des Bettes und zog sie an.
„Ich scherze nicht. So bin ich nutzlos, wertlos.“
Sie schlang ihre Arme um sich selbst. „Du bist nicht wertlos.“
„Ich bin menschlich!“ Cyrus fuhr sich mit der Hand durchs Haar und strich es sich aus der Stirn. „Solange ich so bin wie jetzt, kann ich dich nicht beschützen, und wenn sie mich erst verwandelt haben, werde ich nicht mal mehr in der Lage sein, dich vor mir selbst zu schützen.“
„Du machst mir Angst.“ Rückwärts schob sie sich auf eine Treppenstufe, schaute dann über ihre Schulter zu der drohenden leeren Türöffnung und kam wieder zurück nach unten.
Angst wollte er ihr ganz sicher nicht einjagen. Er mochte es viel lieber, wenn sie ihm ihr schüchternes Lächeln zuwarf und in leicht gestelzte Konversation mit ihm verfiel. Doch er wollte mehr. Er wollte sie bereitwillig und freiwillig an seiner Seite, wollte sie in Sicherheit wissen, und wünschte sich, dass sie das wusste.
„Ich will nicht, dass du stirbst.“ Er ging zum Bett, ließ sich darauf fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Als er wieder zu sprechen begann, fand er überraschenderweise Worte, die schlicht und wahr, aber auch beängstigend klangen.
„Ich will, dass du lebst, dass du gemeinsam mit mir lebst. Ich möchte hier weggehen, und ich will, dass du mit mir kommst. Dieses eine Mal will ich wirklich, dass mir jemand folgt. Denn ich will dich. Ich liebe dich. Und …“
Sie kniete an seiner Seite nieder und legte ihre Hand auf sein Bein, sagte aber nichts.
Gott, was hatte er da gesagt? Was würde wohl als Nächstes kommen, wenn er den Mund aufmachte?
Doch Cyrus konnte sich nicht zurückhalten. Die Worte strömten aus ihm heraus wie die heißen Tränen, die in seinen Augen standen. Er hob den Kopf, um sie anzusehen. Ihr Gesicht war liebevoll und betroffen, als wäre er ein kleiner Junge, der sich die Knie aufgeschürft hatte.
Ihre Freundlichkeit war wie ein hochgelegener hervorstehender Sims an einem großen, hohen Gebäude, von dessen Tragfähigkeit er sich nur überzeugen konnte, indem er einen Fuß darauf setzte. „Könntest du mich jemals lieben?“
Sie antwortete nicht sofort. Welch eiserne, fürchterliche Tür würde vor ihm zuschlagen, wenn sie das verneinte? Würde er dann seinen Schmerz in blutigen Grausamkeiten ertränken, wie er es immer getan hatte, wenn ihn jemand ablehnte? Das war nicht die Art Mensch, die er sein wollte. Seine Zunge fühlte sich dick und gelähmt an, als er versuchte, seine Frage zu wiederholen. „Könntest du …“
„Du kannst mich nicht lieben“, unterbrach sie ihn ruhig. Ihre Handfläche berührte warm sein Gesicht, aber es war nicht diese grässliche Hitze, die er gespürt hätte, wenn er noch ein Vampir wäre. Nein, menschliche Berührung war nicht länger schmerzhaft. Mit tief traurigen Augen streichelte sie seine Wange. „Du kennst mich doch erst seit drei Tagen.“
Er musste über seine eigene Naivität lachen. „Es fühlt sich aber so an, so …“
„Wirklich“, beendete sie den Satz für ihn. Nach einem Augenblick des Zögerns nahm sie seine Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen. „Ich weiß. Und ich weiß auch, dass es nie Wirklichkeit werden kann. Aber ich habe immer dafür gebetet, dass irgendetwas geschieht, etwas, das mich glücklich macht. Ich weiß, dass ich sterben muss. Vielleicht bist du … vielleicht ist dies alles Glück, das ich jemals bekommen werde.“
Ihre Vernunft stach ihm ins Herz, aber er war nicht so närrisch, sich einzubilden, er könnte sie wirklich lieben. Die erschreckende, abstoßende Verzweiflung, die er schon bei Hunderten von angsterfüllten, fallen gelassenen Mädchen gesehen hatte, sah er auch in ihr. Und in sich selbst. Er öffnete den Mund, um ihr zu widersprechen, um darauf zu bestehen, dass sie leben und Besseres erlangen konnte, doch da presste sich ihr Mund auf seinen, und sie schlang ihm ihre Arme um den Nacken.
Cyrus verlor das Gleichgewicht, und sie fielen quer über das Bett, ihre Hände in seinem Haar vergraben, um sein Gesicht fest an das ihre zu ziehen.
Als hätte er vorgehabt, sie loszulassen.
Ihm wurde bewusst, wie er seine Arme hob, aber er hatte keine Gewalt darüber, als sie sich um ihren Rücken legten und fest zudrückten. Sie pressten Mouse so fest an seine Brust, dass er kaum noch Luft bekam. Sie wand sich in seinem Griff, und er lockerte ihn etwas. Er wollte sie nicht ängstigen. Aber er hatte dieses verrückte Gefühl, dass er sie für immer verlieren würde, wenn sie sich ihm jetzt entzog.
Ihre Hände lagen mit gespreizten Fingern auf seiner Brust. Die Berührung brannte, und doch schauderte er, als wären ihre Hände aus Eis. Er ließ seine Lippen von ihrem hungrigen Mund zu den zarten Kurven ihres Kinns gleiten, dann weiter zu ihrem Ohr. Wie hatte er nur jemals denken können, sie sei reizlos? Sie stöhnte, ein Laut, der zugleich liebenswert unschuldig und schmerzlich erregend war. Er grub seine Finger in die sanften Wellen ihres Haars und berührte ihre zarte Haut mit seinem Gesicht.
Wie sie sich anfühlte, wie sie roch, weckte Erinnerungen an all die Nächte, die er in den Armen von Liebhaberinnen oder Ehefrauen verbracht hatte, von denen er still hoffte, sie würden seine Zuneigung erwidern, während er vorgab, nur ihre Körper zu begehren. Keine von ihnen erwiderte je seine Liebe, nicht einmal dann, wenn er es ausdrücklich forderte.
Vielleicht empfand auch sie nicht dasselbe für ihn, aber er hatte sie nicht gebeten, die Worte auszusprechen. Er hatte gefragt, ob sie ihn lieben könnte. Und er fand die Antwort in ihrem Kuss. Sie konnte es, und sie tat es. Aus unerfindlichen Gründen vertraute sie ihm und liebte ihn.
Zärtlich legte er seine Hände unter den Saum ihres T-Shirts, schob es über ihre nackten Beine aufwärts und über die Rundung ihres Hinterns hoch bis zu ihrer Taille. Dann rollte er sie auf den Rücken und breitete seinen Körper über sie. Erschrocken riss sie die Augen auf. Für einen Moment dachte er, sie wolle es beenden, doch dann verschleierte neues Verlangen ihre Augen. Seine Lippen eroberten wieder die ihren, bevor erneut Zweifel aufkeimen konnten. Sie glaubte, dass er ihre letzte Aussicht auf ein wenig Glück darstellte. Er konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob sie nicht dasselbe für ihn bedeutete. Wenn es so war, dann brauchte er genau dies.
Leicht unbeholfen presste sie ihre Hüften gegen seine, unsicher, die Stirn über den geschlossenen Augen zweifelnd gefurcht. Er lehnte sich etwas zurück und fixierte die Naht am Saum ihres T-Shirts. Wenn er woanders hinsah, auf den fragenden Ausdruck in ihrem erröteten Gesicht oder auf das dunkle Haar, das die Scham zwischen ihren Schenkeln umschattete, würde er womöglich Bedenken kriegen, würde sich ausreden, was er zu tun im Begriff war, und den Moment zerstören.
Cyrus warf einen flüchtigen Blick durch den verdunkelten Raum hinüber zur Treppe, aber er wusste, dass niemand sie beobachten würde. Keiner von denen würde es wagen zurückzukommen, nach dem Schicksal, das ihre Gefährten ereilt hatte.
Mouse stützte sich auf die Ellenbogen und half ihm, ihr das T-Shirt über den Kopf zu ziehen. Der mutige Augenblick war kurzlebig und verging, als sie nunmehr entkleidet vor ihm lag. Sie kreuzte die Arme vor ihren Brüsten. Mit zitternden Händen schob er sie sanft beiseite und gab ihre nackte Blöße seinem Blick frei. Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig. Es war nicht kalt im Raum, trotzdem bekam sie eine Gänsehaut, und die rosigen Spitzen ihrer Brustspitzen wurden hart.
Cyrus umfasste eine ihrer Brüste, Mouse stöhnte und bog sich unter seiner Berührung. Er widerstand der Versuchung, sie mit den anderen zu vergleichen, all den Frauen, die er verführt und dazu verleitet hatte, ihm ihren Körper und ihr Leben zu überlassen. Dies war etwas anderes. Wenn die Nacht vorbei war, würde sie noch immer an seiner Seite sein. Das war eine beängstigende und zugleich tröstliche Vorstellung.
Er neigte seinen Kopf auf ihren Hals herab und küsste die kleine Mulde an ihrer Kehle. Als seine Lippen sich zu der mittlerweile gelblich verfärbten Quetschung verirrten, wo er sie in jener ersten Nacht gebissen hatte, war sie kein bisschen angespannt, doch er hielt abrupt inne.
Sie streichelte seinen Rücken, zog ihre Fingerspitzen über seine Schultern. „Es ist schon gut. Du hast es nicht mit Absicht getan.“
„Doch.“ Er rollte sich von ihr herunter. „Ich wollte dir wehtun. Ich habe es genossen.“
Das liebevolle Verstehen in ihren Augen trieb einen Speer aus Selbsthass in sein Herz.
Sie griff nach ihrem T-Shirt und hielt es sich vor die Brust. „Ich verzeihe dir.“
Um die Tränen zurückzuhalten, schloss er die Augen. Konnte ihn etwas so Einfaches wie ihre Absolution vor sich selbst retten? Er bezweifelte es. Vielleicht würde er immer an seiner eigenen Fähigkeit zum Guten zweifeln.
Aber allem Anschein nach war Mouse aus genau diesem Grund hier: Um ihn von seinen Zweifeln zu befreien. Während er sich damit abgefunden hätte, der Gutartigkeit seiner Seele zu misstrauen, schien Mouse beschlossen zu haben, ihn wieder in weltlichere Belange zurückzuholen. Sie drängte sich an ihn und presste behutsam ihre Lippen auf seine Brust. Da er nichts dagegen zu haben schien, fuhr sie fort, ihn zu küssen. Dazu strichen ihre Handflächen enervierend sinnlich über die Haut zwischen seinen Rippen und seinem Hosenbund. Sie legte sich wieder hin, und er glitt neben sie. Seine Hände packten sie fest, und er schob sich an ihr herunter, bis sein Gesicht auf Höhe ihrer Schenkel war. Als Vampir hätte er nun das zarte, weiße Fleisch an ihrer Kniekehle durchbohrt, um ihr Blut zu trinken. Das waren seine liebsten Momente gewesen, wenn er in ihren Gesichtern las, dass sie einen ersten Vorgeschmack auf den Schmerz bekamen, den er ihnen noch bereiten würde. Doch als Mensch, der einen anderen Menschen liebte, verspürte er keinerlei Verlangen, ihr wehzutun. Er neigte seinen Kopf und leckte über eine Hautfalte in ihrer Kniebeuge. Sie fuhr zusammen, die Augen geweitet. Cyrus konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als sein Mund sich an ihrem Bein nach oben schob, wobei seine Hand auf ihrer warmen, festen Wade lag. Je näher er an ihre Scham herankam, desto schneller ging ihr Atem. Als er sich auf den Fußboden kniete und sie zur Bettkante zog – ein bisschen grob, denn es gab noch mehr als nur reine Zärtlichkeit – und mit der Spitze seiner Zunge den Spalt zwischen ihren Beinen suchte, bäumte sie sich auf der Matratze auf und krallte sich keuchend in seine Schultern.
Ihr Geruch, ihr Geschmack, ihre Wärme berauschten ihn. Ihre Finger in seinem Haar vergraben, zog sie ihn dichter an sich heran. Er stöhnte auf und schob einen Finger in sie hinein. Als er sie das erste Mal berührte, hatte er richtig vermutet: Sie war noch Jungfrau. Obwohl sie jetzt weit offen, willig und bereit war, stand noch diese eine dünne Hürde zwischen ihnen.
„Ich weiß, dass es Sünde ist“, stöhnte sie. „Aber ich will es. Ich will, dass du es tust.“
Seine Zunge fuhr über ihr begieriges Fleisch, er reizte und neckte sie spielerisch mit seinen Zähnen, bis ihr Körper sich erneut aufbäumte und starr wurde, wobei sie bis an die Schmerzgrenze an seinen Haaren zog. Das Geräusch ihres Kommens begann als tiefes Stöhnen und gipfelte in einem leidenschaftlichen, heulenden Schrei, und ihr Körper bebte und zitterte, als sie den Gipfel ihres Höhepunktes erreichte. Noch bevor ihre Lust verebbte, erhob er sich und spreizte ihre Schenkel. Ihr Blick wurde unvermittelt bange, dann flackerte Panik darin auf, und sie hob die Hände, als wolle sie ihn wegstoßen. Würde sie abbrechen? Wenn ja, würde er tun, was sie wollte. Aber ihre Arme fielen zur Seite, die Hände zu Fäusten geballt, als müsse sie sich stählen für das, was jetzt kam.
Ihre Hitze war verlockend und erregte ihn. Sein Körper drängte ihn, fortzufahren, und früher hätte er sofort auf ihn gehört. Wie oft hatte er besonderes Vergnügen darin gefunden, junge Mädchen auf grausame Weise zu entjungfern. Aber auf keinen Fall wollte er diese Art Schmerz in ihren Augen sehen, die Angst, dass sie etwas begonnen hatte, was sie aus eigener Kraft weder abbrechen noch zu Ende bringen konnte. Es kostete ihn Anstrengung, seine angespannten Kiefermuskeln zu lockern. Zärtlich streichelte er ihr Gesicht. „Bist du sicher?“
Eine Sekunde zögerte sie, befeuchtete dann ihre Lippen, atmete tief ein und wieder aus und nickte. Ehe sie sich Gedanken machen konnte, wann der Schmerz kam, drang er mit einem tiefen Stoß in sie ein.
Die Hürde gab nach, begleitet von einem leicht unangenehmen Schwall von Flüssigkeit, und es war vollbracht. Sie versteifte sich unter ihm. Halb erwartete er, dass sie schreien würde, und für einen Moment sah sie aus, als erwarte sie das auch selbst. Doch der Schrei blieb aus.
„Das war gar nicht so schlimm“, flüsterte sie und lachte leise. Sie presste sich ihm entgegen und keuchte, als er tiefer in sie eindrang. „Es ist überhaupt nicht schlimm.“
Beide mussten sie lachen, und er küsste sie. Seine Brust fühlte sich eng an vor lauter Glück. Als sie anfing, sich unter ihm rhythmisch zu bewegen, wich das reine Glücksgefühl dem drängenden Bedürfnis seiner Männlichkeit nach Erfüllung und Erleichterung. Erstaunlich schnell überwand Mouse ihre Unerfahrenheit, stieß sich ihm stöhnend entgegen und umklammerte seine Schultern. Cyrus musste die Augen schließen, damit ihn der erotische Anblick nicht zu sehr mitriss und er seine Selbstbeherrschung noch etwas aufrecht erhalten konnte.
Doch ihr lustvolles Stöhnen konnte er nicht aussperren, so wenig wie die heiße und feuchte Umklammerung ihres Geschlechts, das ihn fest umschloss. Er suchte ihre rosige, geschwollene Knospe und massierte sie leicht mit der Kuppe seines Daumens, bis ihr Atem raste. Außer sich vor Lust stammelte sie sinnlose Bitten um Erlösung und näherte sich dem Höhepunkt. Daraufhin stützte er sich an der Matratze ab und gab alle vornehme Zurückhaltung auf. Hart und heftig stieß er in sie hinein, bis ihr Atem bei jedem seiner Stöße wie eine Explosion entwich.
Dann schrie sie, und ihre Fingernägel krallten sich in seine Arme, die sie gepackt hielt. In diesem Moment gab er nach und ließ sich erbebend und zitternd in ihr kommen. Nachdem er wieder zu Sinnen gekommen war, zog er sich behutsam zurück und zuckte zusammen, als sie sich besitzergreifend an seinen schmerzhaft empfindlichen Körper schmiegte.
Eine lange Zeit lagen sie still da, während ihre Beine seitlich aus dem Bett hingen. Cyrus betrachtete sie gelöst und unvoreingenommen. Das Mondlicht, das durch das kleine Fenster über ihnen fiel, tauchte ihre Haut in silbrigen Glanz, und er sah, wie sich eine leichte Gänsehaut ausbreitete. Wie sie frösteln konnte, wo sein Herz hämmerte, als wäre er einen Marathon gelaufen, und der Schweiß ihm in Strömen runterlief, war ihm ein Rätsel.
„Mir ist kalt“, flüsterte sie schläfrig, und er setzte sich auf, damit sie es sich gemütlich machen konnte. Als er die Decke um sie legte, sah er ihr Blut und schloss die Augen. Wie war es möglich, dass er sich je an Schmerz und Leid von Frauen wie ihr hatte weiden können? Wie hatte er Vergnügen darin finden können, anderen das Leben zu nehmen, wenn er sich jetzt schon beim Anblick eines jungfräulichen Blutflecks dermaßen schuldig fühlte?
Die Tage der gefühllosen Ignoranz waren vorbei. Alles, was jetzt noch zählte, war die Frau an seiner Seite, die real war und beständig, die ihn liebte, selbst wenn sie Angst vor ihm hatte. Wie ein Narr, der immer wieder die Hand ins Feuer streckt und überrascht ist, wenn es wehtut, vertraute Cyrus noch einmal der schwachen Hoffnung auf Glück, die sich in seiner Seele regte.
Dieses Mal wird es anders, versicherte er sich selbst. Es würde anders werden, weil es anders werden musste. Sonst nämlich würde er in seinem schwachen, menschlichen Zustand nicht weiterleben können.
Aber er machte sich etwas vor. Selbst wenn er die Kraft eines Gottes besäße, würde er es nicht überleben, Mouse zu verlieren.
Obwohl sich die Morgenröte des Sonnenaufgangs bereits bedrohlich am Horizont andeutete, setzte Max auf Dahlias Glaubwürdigkeit und beschloss, noch einen allerletzten Friedhof aufzusuchen. Auf den ersten beiden hatte er lediglich ein paar schlafende Obdachlose aufgeschreckt sowie einige Teenager, die einen besonderen Nervenkitzel suchten. Aber so kurz vor Tagesanbruch würden sich solche Stammgäste längst aus dem Staub gemacht haben.
Er lenkte den Wagen direkt neben das geschlossene Eisentor am Eingang, achtete nicht weiter auf die ausgeschilderten Besucherhinweise mit den Öffnungszeiten und kletterte über die Steinmauer. Der frühmorgendliche Tau machte den Aufstieg zu einer nassen und rutschigen Angelegenheit. Als er auf der anderen Seite landete, klebte sein T-Shirt an ihm, und die Jeans spannte sich unangenehm klamm um seine Oberschenkel.
„Nathan, wenn du hier bist, bring ich dich um.“
Nicht, dass er sonderlich scharf darauf war, Nathan wirklich hier anzutreffen.
Seit dem Tag, an dem sie sein Leben verschonten, hatte Max es sich zur Regel gemacht, niemals der Bewegung in die Quere zu kommen. Sicher, er war manchmal ein wenig lax beim Verfolgen einer Beute, aber es bestand ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Verpassen einer Gelegenheit und dem mutwilligen Entschluss, eine manifeste Chance ungenutzt verstreichen zu lassen.
Zwei Wege verliefen in entgegengesetzten Richtungen um den Hügel herum, auf dem sich zerstreut alte schiefe und beschädigte Grabsteine befanden. Nach außen begrenzten kunstvolle Mausoleen die Wege, marmorne Gebäude, die derart übel nach Tod stanken, dass Max kaum glauben konnte, dass Menschen das wirklich nicht rochen.
Zügig beschritt er einen der Wege. Bevor er sich einen tödlichen Sonnenbrand zuzog, musste er das Gelände durchsucht haben. Dann nahm er einen üblen Geruch wahr, etwas Unheilvolles lag in der Luft.
Erst nahm er an, es handelte sich einfach um irgendeine Leiche, schlimmstenfalls ein neues Opfer von Nathan. Dann merkte er jedoch, dass die kupferne Note im Bouquet eine warme, lebendige Schärfe besaß. Max spurtete los in Richtung Blut.
Als Erstes sah er ein Bein, das aus einem von Efeu bedeckten, unterirdischen Gewölbe, einer Art Krypta, herausragte. Der schwarze Lederstiefel an ihrem Fuß war mit Schlamm beschmiert und übel zerfetzt, als hätte ein heftiger langer Kampf stattgefunden. Unter ihrem aufgerissenen Hosenbein war eine tiefe Wunde vom Knie bis zum Knöchel zu sehen. Durch das klaffende Fleisch sah er erschreckend weiße Knochen aufblitzen.
Der Anblick war übel genug, um ihm einen heftigen Brechreiz zu bereiten. Als Bella ihn vor dem Café angegriffen hatte, schien sie unbesiegbar zu sein. Jetzt war die Werwölfin nur noch ein schwer verletzter, blutender Körper.
Wer auch immer das getan hatte, befand sich ganz in der Nähe, schwer atmend, knapp außerhalb seiner Sichtweite. Max hastete um die Ecke des Gewölbes und blieb wie angewurzelt stehen.
Es dauerte einen Augenblick, bis er in dem Monster, das über sie gebeugt war, Nathan erkannte. Als die grässliche Erkenntnis ihn durchdrang, war Max unfähig, sich zu rühren und seine Waffe zu ziehen. Die Kreatur, die einmal sein bester Freund gewesen war, drehte sich um, das Gesicht blutig vom Fraß, und stieß ein wütendes Knurren aus. Aber statt ihn anzufallen, warf er einen Blick auf den heller werdenden Himmel und ergriff die Flucht. Mit einem gewaltigen Satz sprang er auf das Mausoleum, dann verschwand er dahinter.
Max ergriff den steinernen Sims des Mausoleums und wollte der Bestie nachsetzen, da hörte er Bella stöhnen. Wenn er sie liegen ließ, wo sie war, wurde sie vielleicht gefunden. Der Friedhofsverwalter kam bestimmt bald, schloss das Tor auf und drehte seine Runde, um sich zu überzeugen, dass über Nacht kein fauler Zauber stattgefunden hatte. Nur kannte sich Max mit den Heilungsprozessen von Werwölfen nicht aus. Er war nicht sicher, ob sie ohne Hilfe so lange überleben konnte.
Scheiß auf sie. Sie hat versucht, dich zu töten, rief er sich ins Gedächtnis. Wenn sie stirbt, hast du eine Sorge weniger.
Aber so war er nicht. Auch wenn er es sich manchmal wünschte.
Bis Sonnenaufgang waren es nur noch wenige Minuten. Ihm blieb keine Zeit mehr, Nathan zu verfolgen. Wenn er ihn dennoch jagte, würden sie beide sterben. Und, Werwolf oder nicht, Bella war eine Jagdgefährtin, eine Kollegin aus der Bewegung. Er konnte sie nicht sterben lassen.
Max fluchte so laut und herzhaft über ihre Dummheit, dass sie es eigentlich hören musste, selbst wenn sie schon den Löffel abgegeben hatte. Dann bückte er sich und hob ihren schlaffen Körper hoch. „Du solltest beten, dass Nathan in seiner Bude einen erstklassigen Erste-Hilfe-Koffer stehen hat, sonst bist du echt in Schwierigkeiten, Lady.“
Es kostete ihn einige Anstrengung, sie über die Mauer zu bugsieren, ohne ihr das Genick zu brechen, doch die Anwendung der klassischen Feuerwehrmann-Tragetechnik half ihm schließlich aus der Klemme. Max verstaute sie mühsam in seinem Wagen und lehnte ihren Kopf gegen das Fenster, damit Bella aussah, als würde sie schlafen und nicht tödlich verwundet sein. „Wenn du mir den Sitz vollblutest, streiche ich dich von meiner Weihnachtskarten-Liste.“
Irgendwo auf dem Friedhof entwischte gerade seine eigentliche Beute. Von den zerklüfteten Steinen auf dem Gipfel des Hügels sah er zu der sterbenden Frau auf dem Sitz neben sich und fluchte. Mit einer letzten wilden Verwünschung packte er das Lenkrad und raste davon.