Juli

 

Und plötzlich habe ich die Prinzessin auf dem Hals. Das sind so Sachen, die passieren und man fragt sich hinterher: Wie konnte das passieren? Der Anfang war natürlich, dass Nicki mich mit zu dem Deutschentreff mitgenommen hat. In Vancouver. Der Abend in der Backstage Lounge. Da habe ich Paul kennengelernt. Wir haben uns total gut verstanden. Als ich wieder zu Hause war, haben Paul und ich geskypt und dann ist passiert, was eben passiert ist oder doch eher wohl nicht passiert ist ...

Danach war dann für eine ganze Weile Sendepause. Und dann hat sich Paul eines Tages wieder in mein Leben zurückgeskypt und plötzlich haben wir wieder regelmäßig Kontakt. Ein kurzer Gruß zwischendurch. Hier und da ein Klagen über viel Arbeit, um ein tröstendes du Arme oder du Armer vom anderen zu bekommen. Allerdings meist kombiniert mit Symbol fieses Grinsen. Na eben so ein bisschen flachsen und flirten ab und an. Links zu Videoclips auf You Tube, damit der andere was zum Lachen oder zum Staunen hat. Und immer wieder unsinnige Dialoge über die Schneekönigin und den Eispalast.

Eine nette Unterbrechung zwischen Scheidungsurteilen und zahnärztlichen Gutachten, Unfallberichten und Bankbescheinigungen.

Aber jetzt ist Pauls Vater krank und seine Mutter muss ihn pflegen, Lenas Mutter fliegt mit ihrem neuen Lover nach Cancún und Paul muss eine Delegation nach China begleiten und dolmetschen. Pauls Freunde arbeiten alle. Und schon stehe ich am Flughafen von Porto und warte auf das Prinzesschen. Wie heißt es doch so schön? Wenn in Moskau eine Schaufel umfällt ... Hier ist die Schaufel wohl eher in Peking oder Vancouver umgefallen, aber das Konzept ist im Prinzip das Gleiche.

 

Ich bin bisher kinderlos durchs Leben gekommen, das hat sich so ergeben, und nun weiß ich gar nicht so recht, was man mit so einem Kind anfängt. Was macht man mit denen den ganzen Tag? Füttern, natürlich, irgendwann, vermutlich am besten regelmäßig. Unterhalten? Spielen? Vor den Fernseher setzen? Keine Ahnung.

Die Prinzessin steht bei mir im Arbeitszimmer und ich versuche, ein Buch für sie zu finden. Meine Güte, was lesen die in diesem Alter? Lesen die überhaupt?

Lena betrachtet interessiert meine Pinnwand und sieht auf das Entenfoto.

„Das Foto kenne ich“, sagt Lena. „Das ist von Paul.“

„Stimmt“, sage ich.

„Sein einziges Entenfoto, ist er ganz stolz drauf“, sagt Lena.

„Ehrlich?“, sage ich. Mist – und ich habe ihn noch dafür kritisiert, von wegen kopfloser Ente.

„Ja“, sagt Lena. „Hat er extra für dich gemacht.“

Ich sage nichts. Mist. Scheiße.

„Aber die eine Ente hat keinen Kopf“, sagt Lena. „Und die andere hat keinen Schwanz.“

Oha. Lieber nicht kommentieren.

„Ehrlich?“, sage ich. „Ist mir gar nicht aufgefallen.“

Dann sieht Lena die Fotos von den Blumen, die auch an der Pinnwand hängen. Die lila Beeren. Die weiße Rose. Den Papageienschnabel.

„Sind die echt?“, fragt Lena.

„Ja“, sage ich. „Die sind echt.“

„Cool“, sagt Lena. „Mein Oma macht auch immer solche Blumenfotos.“

„Ich weiß“, sage ich. „Ich weiß.“

Ich finde ein paar Bücher, die für Lena geeignet sein könnten, bisschen alt, aber werden immer wieder gern genommen. Die Pension zum ewigen Frieden mit den schönen Popups. Eine neue Ausgabe von Alice im Wunderland. Eine alte Ausgabe von Pu der Bär. Die Prinzessin zieht Liebe mit Hindernissen aus dem Regal.

„Was ist mit dem hier?“, sagt sie. „Kann ich das lesen?“

Tja - äh. Ich weiß nicht, ist das was für dreizehnjährige Mädchen? Keine Ahnung. Müsste ich Clara fragen. Allerdings ist die Prinzessin ja bald vierzehn, oder. Also. Tja.

„Klar“, sage ich. „Kannst du lesen.“

Lena schlägt das Buch auf und sieht die Widmung.

„Das hat eine Freundin von mir da reingeschrieben“, sage ich. „Die hat nämlich das Buch geschrieben.“

„Cool“, sagt Lena.

Am Abend kommt Dona Ermelinda mit einem großen Topf Suppe. Sie stellt die Suppe auf den Tisch und betrachtet Lena.

„Du bist also die Kleine vom Paul“, sagt sie.

Ich wunder mich über gar nichts mehr, ich weiß ja, dass da irgendwelche Verbindungen bestehen und ich weiß auch, dass ich nichts dagegen tun kann. Ich frage mich, was sie von Paul und mir weiß. Obwohl, da gibt es ja eigentlich nichts, was man wissen könnte, nicht wahr. Aber trotzdem. Und ich habe nun wirklich versucht, hier den Ball flach zu halten. Aber bei dem eng gespannten Netz von Verwandten ist das nicht so einfach.

„Ich habe für Sie und das Kind eine Suppe gebracht“, sagt Dona Ermelinda zu mir. „Ich habe auch Fleisch reingetan, damit die Suppe kräftig wird. Kinder müssen regelmäßig essen. Was Vernünftiges. Bei Erwachsenen ist es nicht so wichtig, aber Kinder wachsen noch.“