23
Ich blickte ihn über die Distanz von drei oder vier Metern hinweg an, die uns trennte. Der Gruppenführer der Quäker, der auf Neuerde die Gefangenen umgebracht hatte, hatte ebenfalls von Gottes Auserwählten gesprochen.
„Wenn Sie die Papiere durchsehen, die an Sie adressiert sind“, sagte ich, „dann finden Sie sie. Die Nachrichtendienste und ihre Mitarbeiter sind objektiv. Wir ergreifen nicht Partei.“
„Das Recht“, sagte das dunkle und junge Gesicht mir gegenüber, „ist parteilich.“
„Ja, Kommandeur“, erwiderte ich. „Das stimmt. Doch manchmal kann man sich darüber streiten, wo das Recht liegt. Sie und Ihre Truppen hier sind jetzt Eindringlinge auf der Welt eines Sonnensystems, das von Ihren Vorfahren nie kolonisiert wurde. Und Ihnen gegenüber stehen die Streitkräfte von Söldnern, die von zwei Planeten gemietet wurden, die nicht nur Kinder Prokyons sind, sondern auch die Verpflichtung haben, die kleineren Welten ihres Sonnensystems zu beschützen – und Santa Maria ist eine davon. Ich bin nicht sicher, ob das Recht auf Ihrer Seite ist.“
Er schüttelte andeutungsweise den Kopf und sagte: „Wir erwarten kaum, daß uns die nicht Auserwählten verstehen.“ Er wandte seinen Blick von mir ab und betrachtete die Papiere, die er in Händen hielt.
„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Platz nehme?“ fragte ich. „Mein eines Bein ist nicht ganz in Ordnung.“
„Selbstverständlich.“ Er nickte in Richtung eines Stuhls neben dem Tisch, und als ich mich setzte, ließ er sich ebenfalls nieder. Ich blickte auf die Papiere auf dem Tisch vor ihm. Auf der einen Seite stand das Massivbild einer der fensterlosen, hohen und nach oben spitz zulaufenden Kirchen, die die Quäker bauten. Es war eine religiöse Aufnahme und Ausdruck seines Bekenntnisses. Doch wie es der Zufall wollte, waren im Vordergrund des Bildes drei Menschen zu sehen: ein älterer Mann, eine etwa gleichaltrige Frau und ein junges Mädchen von etwa vierzehn Jahren. Alle drei waren Jamethon so ähnlich, daß man auf eine Verwandtschaft schließen konnte. Als er von meinen Beglaubigungen aufsah, bemerkte er meinen Blick. Und für einen Moment richtete er seine Aufmerksamkeit ebenfalls auf das Bild; dann sah er wieder mich an, und es war, als müsse er die Aufnahme vor mir schützen.
„Wie ich sehe“, sagte er, und seine Augen fingen meinen Blick ein, „verlangt man von mir, mit Ihnen zusammenzuarbeiten und Ihnen Unterstützung zu gewähren. Wir werden Ihnen hier eine Unterkunft besorgen. Brauchen Sie einen Wagen mit Fahrer?“
„Danke“, sagte ich. „Der Mietwagen draußen wird ausreichen. Und fahren kann ich selbst.“
„Wie Sie wollen.“ Er legte die an ihn adressierten Unterlagen beiseite, reichte mir die restlichen Papiere zurück und beugte sich zu einem in die Tischoberfläche eingelassenen Gitter vor. „Gruppenführer.“
„Sir“, antwortete das Gitter sofort.
„Eine Unterkunft für einen einzelnen männlichen Zivilisten. Parkzuweisung für ein ziviles Privatfahrzeug.“
„Jawohl, Sir.“
Die Stimme aus dem Gitter verstummte. Über seinen Schreibtisch hinweg sah mich Jamethon Black an. Ich hatte den Eindruck, er wartete darauf, daß ich ging.
„Kommandeur“, sagte ich und legte meine Beglaubigungen in den Koffer zurück, „vor zwei Jahren stellten die Ältesten Ihrer Vereinigten Kirchen von Harmonie und Eintracht fest, daß die planetare Regierung von Santa Maria mit einem gewissen strittigen Zahlungsausgleich in Verzug geraten war. Deshalb entsandten sie ein Expeditionskorps als Besatzungstruppe hierher, um so die Bezahlung zu erzwingen. Was ist von diesem Expeditionskorps noch übriggeblieben in Hinsicht auf Männer und Ausrüstung?“
„Das, Mr. Olyn“, gab er zurück, „ist eine militärisch relevante Information, die der Geheimhaltung unterliegt.“
„Wie dem auch sei“, sagte ich und schloß den Koffer, „Sie stehen im regulären Rang eines Kommandeurs, doch für die Überbleibsel Ihres Expeditionskorps fungieren Sie als Truppen-Kommandeur. Eine solche Position erfordert einen Offizier, der etwa fünf Ränge über Ihnen steht. Erwarten Sie, daß ein solcher Offizier hier ankommt und das Kommando übernimmt?“
„Es tut mir leid, Mr. Olyn, aber diese Frage müssen Sie im Hauptquartier auf Harmonie stellen.“
„Erwarten Sie die Entsendung von Verstärkungstruppen und den Nachschub von Material?“
„Selbst wenn das der Fall wäre“, sagte er, und seine Stimme war ganz ruhig, „so müßte ich berücksichtigen, daß auch diese Information der Geheimhaltung unterliegt.“
„Sie kennen sicher das Gerücht, das so ziemlich in aller Munde ist: Danach hat Ihr Generalstab auf Harmonie entschieden, diesen Feldzug auf Santa Maria als verlorene Sache aufzugeben. Doch um nicht das Gesicht zu verlieren, ziehen die Herren es vor, daß man Sie hier fertigmacht, anstatt Sie und Ihre Männer abzuziehen.“
„Ich verstehe“, sagte er.
„Sie möchten keinen Kommentar dazu abgeben?“
Sein dunkles und junges und ausdrucksloses Gesicht veränderte sich nicht. „Ich pflege keine Gerüchte zu kommentieren, Mr. Olyn.“
„Dann noch eine letzte Frage. Haben Sie vor, sich nach Westen zurückzuziehen oder zu kapitulieren, wenn die Frühjahrsoffensive der exotischen Söldnertruppen gegen Sie beginnt?“
„Die Auserwählten des Heiligen Krieges ziehen sich niemals zurück“, sagte er. „Sie ergeben sich nicht und lassen auch nicht zu, daß ihre Brüder die Pein der Kapitulation erleiden.“ Er erhob sich. „Ich habe Arbeit, an die ich zurückkehren muß, Mr. Olyn.“
Ich stand ebenfalls auf. Ich war größer als er, älter und von gröberer Statur. Es war nur seine fast unnatürliche Ruhe, die es ihm möglich machte, den äußeren Eindruck zu behaupten, mir gleichwertig oder gar überlegen zu sein.
„Vielleicht können wir uns später noch einmal unterhalten, wenn Sie mehr Zeit haben“, sagte ich.
„Selbstverständlich.“ Ich hörte, wie sich die Bürotür hinter mir öffnete. „Gruppenführer“, sagte Jamethon und blickte an mir vorbei, „Sie kümmern sich um Mr. Olyn.“
Der Gruppenführer, dem er mich anvertraut hatte, wies mir eine kleine Betonkammer mit einem einzelnen, hohen Fenster, einem Feldbett und einem Spind zu. Er ließ mich einen Augenblick allein und kehrte dann mit einem Passierschein zurück.
„Danke“, sagte ich, als ich ihn entgegennahm. „Wo finde ich das Hauptquartier der exotischen Streitkräfte?“
„Nach den letzten Informationen unserer Aufklärer, Sir“, sagte er, „liegen sie neunzig Kilometer östlich von hier. Bei Neu Sankt Markus.“ Er war so groß wie ich, doch, wie die meisten von ihnen, ein halbes Dutzend Jahre jünger als ich. Und seine unschuldige und schlichte Erscheinung stand in einem krassen Gegensatz zu der eisernen Selbstbeherrschung, die sie alle hatten.
„Sankt Markus.“ Ich blickte ihn an. „Ich nehme an, ihr Soldaten wißt, daß sich euer Großes Hauptquartier auf Harmonie dagegen entschieden hat, Verstärkung für euch zu verschwenden?“
„Nein, Sir“, erwiderte er. Er zeigte so wenig Reaktion, als hätte ich zu den fallenden Regentropfen gesprochen. Selbst die jungen Männer der unteren Ränge waren noch immer zuversichtlich und ungebrochen. „Ist sonst noch etwas?“
„Nein“, sagte ich. „Danke.“
Er ging hinaus. Und ich ebenfalls … um in meinen Wagen zu steigen und neunzig Kilometer nach Osten zu fahren, nach Neu Sankt Markus. Ich legte die Strecke in einer knappen Dreiviertelstunde zurück. Aber ich suchte nicht sofort das Hauptquartier des exotischen Militärlagers auf. Zunächst hatte ich wichtigere Dinge zu erledigen.
Und die führten mich zum Juwelier der Wallace-Straße. Dort, drei flache Stufen unter dem Straßenniveau, gelangte ich durch eine milchige Tür in einen großen, matt beleuchteten und mit Glasvitrinen ausgestatteten Raum. Im Hintergrund des Ladens, hinter der letzten Vitrine, stand ein älterer Mann. Er schielte auf mein Berichterstatter-Cape und das Abzeichen, während ich näher kam.
„Sir?“ fragte er, als ich vor der Vitrine verharrte, hinter der er stand. Er hatte ein sonderbar weiches Gesicht, und als er seinen Blick zu mir hob, sah ich in graue und schmale und vom Alter getrübte Augen.
„Ich glaube, Sie wissen, was ich repräsentiere“, sagte ich. „Die Nachrichtendienste sind auf allen Welten bekannt. Wir sind nicht in die lokale Politik verwickelt.“
„Sir?“
„Sie werden ohnehin herausfinden, wie ich zu Ihrer Adresse gelangte.“ Ich lächelte ihn weiterhin an. „Deshalb will ich Ihnen sagen, daß ich sie von einem Autovermieter am Raumhafen habe, einem Mann namens Imera. Ich habe ihm versprochen, daß ihm aufgrund seiner Auskunft kein Leid geschieht. Wir würden es sehr zu schätzen wissen, wenn er heil und gesund bliebe.“
„Ich fürchte …“ Er legte seine Hände auf die Glasfläche der Vitrine. Sie waren vom Alter gezeichnet. „Sie möchten etwas kaufen?“
„Ich bin bereit“, sagte ich, „für Informationen mit Wohlwollen zu bezahlen.“
Seine Hände glitten von der Scheibe herunter.
„Sir.“ Er seufzte schwach. „Ich fürchte, Sie befinden sich im falschen Geschäft.“
„Ganz bestimmt“, sagte ich. „Aber ich werde hier dennoch finden müssen, was ich suche. Ich behaupte sogar, daß dies der richtige Laden ist und ich mit jemandem spreche, der der Blauen Front angehört.“
Er schüttelte langsam den Kopf und trat von der Vitrine zurück.
„Die Blaue Front ist verboten“, sagte er. „Auf Wiedersehen, Sir.“
„Einen Augenblick. Zunächst habe ich Ihnen noch einige Dinge zu sagen.“
„Dann tut es mir leid.“ Er zog sich in Richtung eines Vorhangs zurück, der einen in einen anderen Raum führenden Zugang verdeckte. „Ich kann Ihnen nicht zuhören. Und Sie werden hier in diesem Raum allein bleiben, Sir, wenn Sie weiterhin von solchen Dingen sprechen.“
Er schob sich durch den Vorhang hindurch und war verschwunden. Ich sah mich in dem großen, leeren Raum um.
„Nun gut“, sagte ich etwas lauter. „Ich denke, dann muß ich zu den Wänden sprechen. Ich bin sicher, die Wände werden mir zuhören.“
Ich hielt inne. Es war vollkommen still.
„Also gut“, sagte ich. „Ich bin Berichterstatter. Und ich bin an nichts weiter als an Informationen interessiert. Nach unserer Einschätzung der militärischen Lage hier auf Santa Maria …“ – und damit sagte ich die Wahrheit – „… wird das Expeditionskorps der Quäker von seinem Hauptquartier daheim sich selbst überlassen. Und somit steht fest, daß es von den Streitkräften der Exoten aufgerieben wird, sobald der Boden trocken und fest genug ist, um den Stellungswechsel schwerer Waffen zu ermöglichen.“
Ich erhielt noch immer keine Antwort, doch mein Nacken wußte, daß sie mir zuhörten und mich beobachteten.
„Und daher“, fuhr ich fort – und hier log ich, obwohl sie keine Möglichkeiten haben würden, das zu erkennen –, „halten wir es für ziemlich sicher, daß das hiesige Kommando der Quäker Kontakt mit der Blauen Front aufnehmen wird. Die Ermordung von gegnerischen Befehlshabern ist ein ganz klarer Verstoß gegen den Söldnerkodex und die Artikel der Zivilisierten Kriegsführung – aber Zivilisten können das bewerkstelligen, was Soldaten verwehrt ist.“
Hinter dem Vorhang war noch immer alles still; nichts rührte sich.
„Ein Repräsentant der Gilde“, sagte ich, „unterliegt dem Grundsatz der Unparteilichkeit. Sie wissen, welche große Bedeutung dieses Prinzip für uns hat. Ich möchte Ihnen nur einige Fragen stellen. Und die Antworten werden vertraulich behandelt.“
Ich wartete zum letztenmal … und es gab noch immer keine Antwort. Ich wandte mich um, schritt durch den großen Raum und trat hinaus. Erst als ich ganz draußen und auf der Straße war, ließ ich zu, daß sich das Gefühl des Triumphes in mir ausbreitete und mein Innerstes wärmte.
Sie würden den Köder schlucken. Das war bei Leuten ihres Schlages immer der Fall. Ich stieg in meinen Wagen und fuhr zum Hauptquartier der Exoten.
Es befand sich außerhalb der Stadt. Dort half mir ein Söldner im Kommandeurs-Rang namens Janol Marat weiter. Er führte mich zu den Blasengebäuden ihres Hauptquartiers. Hier im Lager herrschte unterschwellige Siegeszuversicht, ein anregender und aufmunternder Hauch von Aktivität. Die Soldaten waren gut bewaffnet und ausgebildet. Es beeindruckte mich nach dem eher düsteren Bild, das sich mir bei den Quäkern dargeboten hatte. Ich sagte das Janol auch.
„Wir haben einen Dorsai-Kommandeur, und wir sind unserem Gegner zahlenmäßig überlegen.“ Er lächelte mich an. Er hatte ein tief gebräuntes, langes Gesicht, in dem sich viele Falten zeigen, als er die Lippen verzog. „Dadurch sind wir alle ziemlich optimistisch. Außerdem wird unser Kommandeur befördert, wenn er gewinnt. Dann kehrt er mit einem Stabsrang zu den Exoten zurück – von seinem allerletzten aktiven Kampfeinsatz. Sie sehen also, uns bleibt gar nichts anderes übrig, als zu gewinnen.“
Ich lachte und er ebenfalls.
„Doch erzählen Sie mir noch mehr“, sagte ich. „Ich brauche etwas Hintergrundmaterial, das ich für die Berichte verwenden kann, die ich an die Nachrichtendienste weiterleite.“
„Nun …“ – er erwiderte den zackigen Gruß eines vorbeikommenden Gruppenführers, eines Cassidaners, wie es schien – „… ich denke, Sie könnten das Übliche erwähnen: die Tatsache, daß unsere exotischen Auftraggeber für sich selbst jede Gewaltanwendung ablehnen und sich infolgedessen immer weitaus großzügiger als andere gezeigt haben, wenn es soweit war, für Männer und Ausrüstung zu bezahlen. Und daß der Außenbürge … das ist der Botschafter der Exoten hier auf Santa Maria, wissen Sie …“
„Ja, ich weiß.“
„Er hat den früheren Außenbürgen hier vor drei Jahren abgelöst. Nun ja, er ist außergewöhnlich, selbst für jemanden von Mara oder Kultis. Er ist ein Experte in ontogenetischer Kalkulation. Wenn Ihnen das etwas sagt. Mir ist das zu hoch.“ Janol deutete voraus. „Hier ist das Büro des Truppen-Kommandeurs. Sein Name ist Kensie Graeme.“
„Graeme?“ sagte ich und runzelte die Stirn. Ich hätte zugeben können, Kensie Graeme zu kennen, aber ich wollte Janols unbeeinflußte Stellungnahme. „Kommt mir bekannt vor.“ Wir näherten uns dem Bürogebäude. „Graeme …“
„Wahrscheinlich denken Sie an einen anderen Angehörigen der gleichen Familie.“ Janol schluckte den Köder. „Donal Graeme. Ein Neffe. Kensie ist Donais Onkel. Er ist nicht durch so spektakuläre Aktionen hervorgetreten wie der junge Graeme, aber ich wette, Sie finden ihn sympathischer, als das bei seinem Neffen der Fall wäre. Kensie besitzt die Liebenswürdigkeit zweier Männer.“ Er sah mich an, und erneut grinste er andeutungsweise.
„Das hat vermutlich etwas Besonderes zu bedeuten?“ fragte ich.
„Das stimmt“, gab Janol zurück. „Er besitzt nicht nur seine eigene Liebenswürdigkeit, sondern auch die seines Zwillingsbruders. Suchen Sie einmal Ian Graeme auf, wenn Sie in Blauvain sind. Das ist der Ort, wo sich die exotische Botschaft befindet; er liegt östlich von hier. Ian ist ein düsterer Mann.“
Wir betraten das Büro.
„Ich kann mich einfach nicht an die Vorstellung gewöhnen“, sagte ich, „daß so viele Dorsai miteinander verwandt zu sein scheinen.“
„Ich auch nicht. Aber ich nehme an, dieser Eindruck entsteht dadurch, weil sie in Wirklichkeit gar nicht so viele sind. Dorsai ist eine kleine Welt, und jene, die länger als ein paar Jahre leben …“ Janol blieb vor einem Kommandeur stehen, der an einem Tisch saß. „Können wir den alten Herrn sprechen, Hari? Dies hier ist ein Berichterstatter von den Interstellaren Nachrichtendiensten.“
„Nun, ich denke schon.“ Er warf einen Blick auf die Signaltafel des Tisches. „Der Außenbürge ist bei ihm, aber er verabschiedet sich gerade. Gehen Sie nur rein.“
Janol führte mich zwischen den Tischen hindurch. An der Rückwand des Büros öffnete sich eine Tür, bevor wir sie erreichten, und ein Mann mittleren Alters mit einem ruhigen und weichen Gesicht trat hervor. Er trug eine blaue Exotenrobe, und sein weißes Haar war kurzgeschnitten.
Es war Padma.
„Sir“, sagte Janol zu Padma, „dies ist …“
„Tam Olyn, ich weiß“, sagte Padma weich. Er lächelte mir entgegen, und seine Augen schienen für einen Augenblick aufzuglühen und mich zu blenden. „Es tat mir sehr leid, als ich das von Ihrem Schwager hörte, Tam.“
Ein eisiger Schauer erfaßte meinen ganzen Körper. Ich wollte in Graemes Büro hineingehen, doch nun stand ich reglos wie ein Felsblock und sah ihn an.
„Mein Schwager?“ sagte ich.
„Der junge Mann, der in der Nähe von Hauptburg starb, auf Neuerde.“
„Ach ja“, sagte ich, und meine Lippen waren taub. „Es überrascht mich, daß Sie davon wissen.“
„Ich weiß davon, weil ich Sie kenne, Tam.“ Erneut schienen die nußfarbenen Augen Padmas zu erglühen. „Erinnern Sie sich nicht mehr? Ich habe Ihnen einmal erzählt, daß wir eine Wissenschaft namens Ontogenetik haben, mit der wir die Wahrscheinlichkeiten menschlicher Handlungen in gegenwärtigen und zukünftigen Situationen berechnen können. Eine Zeitlang sind Sie ein bedeutender Faktor in diesen Kalkulationen gewesen.“ Er lächelte. „Aus diesem Grund habe ich erwartet, Ihnen hier und jetzt zu begegnen. Wir haben Ihre Anwesenheit in der gegenwärtigen Lage hier auf Santa Maria vorausberechnet, Tam.“
„Haben Sie?“ sagte ich. „Tatsächlich? Das ist interessant.“
„Ich habe mir gedacht, daß es das ist“, sagte Padma weich. „Ganz besonders für Sie. Ein Berichterstatter wie Sie muß es interessant finden.“
„Richtig“, gab ich zurück. „Es klingt so, als wüßten Sie mehr davon als ich, was ich hier tun werde.“
„Zu diesem Zweck“, sagte Padma mit seiner sanften Stimme, „haben wir Kalkulationen erstellt. Kommen Sie mich in Blauvain besuchen, Tam, und ich zeige sie Ihnen.“
„Das mache ich“, sagte ich.
„Sie sind immer willkommen.“ Padma neigte den Kopf. Seine blaue Robe strich flüsternd über den Boden, als er sich abwandte und aus dem Raum schritt.
„Hier entlang“, sagte Janol und berührte meinen Ellbogen. Ich fuhr hoch, als sei ich gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht. „Sie finden den Kommandeur dort drinnen.“
Mit mechanischen Bewegungen folgte ich ihm in ein weiter im Gebäudeinnern liegendes Büro. Kensie Graeme erhob sich, als wir durch die Tür traten. Zum erstenmal stand ich diesem großen, hageren Mann nun von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Er trug eine schlichte Uniform; seine Haare waren schwarz und leicht gelockt, und sein Gesicht war grobknochig, aber offen. Er lächelte. Diese einzigartige, goldene Wärme seiner Persönlichkeit – etwas Außergewöhnliches für einen Dorsai – schien aus ihm herauszuströmen und mir entgegenzufließen, als er aufstand, um mich zu begrüßen. Seine langgliedrige, kräftige Hand verschluckte meine, als wir uns die Hände schüttelten.
„Nehmen Sie Platz“, sagte er. „Lassen Sie mich Ihnen einen Drink anbieten. Janol“, fügte er an den Söldner-Kommandeur von Neuerde gerichtet hinzu, „es ist nicht nötig, daß Sie in der Nähe bleiben. Sie können Essen fassen. Und sagen Sie den anderen draußen im Büro, daß sie für heute Feierabend machen sollen.“
Janol salutierte und ging. Ich setzte mich, als sich Graeme zu einem kleinen Barfach hinter seinem Schreibtisch umdrehte. Und zum erstenmal seit drei Jahren – unter dem magischen Einfluß dieses ungewöhnlichen Frontsoldaten – tropfte wieder ein wenig Frieden in meine Seele. Mit einem solchen Mann auf meiner Seite konnte ich nicht verlieren.