15. KAPITEL
Ich kann dir nie die Treue
brechen.
Du kannst mich nie verlassen.
In Liebe für immer,
in diesem Leben und im nächsten.
Du bist mein Herz.
Dominic zu Solange
Cesaro sah Dominic und Solange kommen und ritt ihnen auf seinem dunklen Pferd entgegen. In voller Gaucho-Ausrüstung bot er einen beeindruckenden Anblick. Das Pferd tänzelte buchstäblich unter ihm. Er schenkte ihnen zur Begrüßung ein vorsichtiges Lächeln. »Alles in Ordnung?«, rief er.
Dominic schüttelte den Kopf. »Wir haben möglicherweise gerade eine Verschwörung gegen Zacarias entdeckt, Cesaro. Wir sind uns nicht sicher, würden die Angelegenheit aber gern mit Ihnen besprechen. Sie wissen mehr über diese Ranch und die Leute, die darauf leben, als irgendjemand sonst, vermute ich.«
Cesaro ließ sich aus dem Sattel gleiten und hielt das Pferd am Zügel fest. »Natürlich. Sie müssen mir nur sagen, was Sie brauchen.«
»Die Untoten versammeln sich hier in der Nähe, und Ihre Leute sind in Gefahr. Die Vampire werden jede Nacht auf die Jagd nach Blut gehen, und da sie so zahlreich sind, werden sie vielen das Leben nehmen. Sie können jede Gestalt annehmen, ob die eines Menschen oder die eines Tieres, und sie können auch als Fledermäuse auftreten. Wie gut sind Sie gewappnet, falls sie kommen sollten?«
»Jedes Haus ist geschützt, aber wir müssen das Vieh bewachen«, antwortete Cesaro.
Neulich nachts sind sie ins Haus gekommen, erinnerte Solange Dominic auf geistigem Wege, um Cesaros Behauptung nicht zu widerlegen und seinen Stolz zu verletzen. Und er würde es schon gar nicht mögen, wenn der Widerspruch von einer Frau kam.
»Verzeihen Sie die Frage«, sagte Dominic mit einer angedeuteten Verbeugung, »doch wie ist der Vampir neulich abends ins Haus gekommen? Er hat die arme Marguarita angegriffen. Haben Sie Nachforschungen angestellt?«
Cesaro runzelte die Stirn, nahm den Hut ab und kratzte sich am Kopf. »Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie so etwas passieren konnte. Marguarita würde nie jemanden ins Haus lassen, und sie muss gewusst haben, dass sie drinnen sicher war. Don Zacarias hat sehr präzise Anweisungen hinterlassen, die wir alle genauestens befolgen. Niemand würde den Untoten die Tür öffnen. Für niemanden.«
Zacarias wird auch alle vor geistigem Zwang geschützt haben, gab Solange zu bedenken. Alle Brüder de la Cruz schützen ihre Familien auf diese Weise. Jemand hat die Tür geöffnet und den Vampir hereingelassen. Irgendjemand arbeitet hier für die Untoten.
Dominic dachte über Solanges Schlussfolgerung nach. Aber sie erschien ihm immer noch nicht schlüssig. Irgendetwas fehlte noch. »Ich würde gern nach Marguarita sehen und die Sache dann noch ausführlicher mit Ihnen besprechen, Cesaro. Vielleicht könnten Sie mich mit den anderen Arbeitern und Angestellten der Ranch bekannt machen.«
Cesaros Augenbrauen fuhren in die Höhe. Er war verantwortlich für die Männer und Frauen, die bei den Brüdern de la Cruz beschäftigt waren. »Glauben Sie, wir haben einen Verräter unter uns?«
Dominic wählte die folgenden Worte mit Bedacht. Die meisten der Beschäftigten auf den De-la-Cruz-Ranches waren in irgendeiner Form miteinander verwandt. »Ich möchte mich nur überzeugen, dass hier alle sicher sind.«
Cesaro drehte sich um und stieß einen Pfiff aus. Sofort kam ein junger Bursche herbeigerannt und übernahm neugierig, aber ohne Fragen zu stellen, die Zügel von Cesaros Pferd. Als der ihn wegwinkte, wirkte er enttäuscht, führte das Pferd jedoch gehorsam auf die Koppeln zu.
Dominic blickte in Solanges Gesicht herab und sah die Frage in ihren Augen. Ihr Bewusstsein war mit seinem verschmolzen gewesen, als er an den Geist des Jungen gerührt und festgestellt hatte, dass Zacarias’ Barrieren fest an Ort und Stelle waren. Falls ein Magier es irgendwie geschafft hatte, von einem der Arbeiter Besitz zu ergreifen, hätte er diese Barriere überwinden müssen.
Und Marguarita? Könnte sie von dem Magier besessen gewesen sein und ihm die Tür geöffnet haben?
Dominic schüttelte den Kopf. Der Untote versuchte, in ihren Kopf zu gelangen, und hat es nicht geschafft. Er hat sie verhört und gequält, und obwohl ich den geistigen Zwang in seiner Stimme spürte, hat sie sich geweigert, Informationen preiszugeben.
Sie folgten Cesaro zum Haus. Dominic hörte dem Vorarbeiter genau zu, als dieser ihm die Namen der Ranch-Angestellten nannte, an denen sie vorbeikamen. Dominic wollte es nicht so aussehen lassen, als untersuchte er den Geist einer jeden Person in Reichweite, aber alle schienen gut geschützt zu sein.
Ein Zittern ging durch das Haus, als sie hineingingen, und Dominic verhielt abrupt den Schritt. »Ist Zacarias hier gewesen?«
»Ja. Wegen all der Untoten da draußen ist das Vieh unruhig, und gestern Nacht haben wir mehrere Tiere an die Blutsauger verloren. Sie fielen einfach aus dem Himmel, diese Monster. Zwei meiner Männer kamen gerade noch mit dem Leben davon. Don Zacarias kehrte kurz danach zurück und verstärkte den Schutz in allen Häusern. Er sagte, das Vieh sei es nicht wert, dafür zu sterben, und er wolle alle seine Männer bei Nacht in ihren Häusern haben.«
»Aber es ist Nacht, und Sie bewachen die Rinder.«
Cesaro runzelte die Stirn. »Wir können sie nicht einfach abschlachten lassen. Das ist unsere Art zu leben, und so sind wir eben. Doch wir sind vorsichtig. Bei der kleinsten Unruhe gehen wir sofort hinein. Wir haben den einen oder anderen Unterschlupf zu unserem Schutz errichtet.«
Dominic wechselte wieder einen Blick mit Solange. Auf ihre Weise lebten diese Männer nach wie vor in einem feudalistischen System. Sie hatten eine Arbeit, auf die sie sehr stolz waren, und dachten nicht daran, ihr Vieh den in der Nähe ihrer Häuser randalierenden Vampiren zu überlassen.
»Marguaritas Zustand hat sich verschlechtert«, berichtete Cesaro. »Sie hatte hohes Fieber und konnte kaum noch atmen. Don Zacarias muss gespürt haben, dass sie in Lebensgefahr war, und kam wieder, um sie erneut zu retten. Er verbrachte viel Zeit mit ihr und verließ uns dann wieder. Don Zacarias schläft nicht hier. Er meinte, es sei zu gefährlich für uns alle.«
»Vielleicht hat er recht«, gab Dominic zu. Er hatte einen Anflug von Schuldbewusstsein in Cesaros Stimme wahrgenommen, als beschämte es ihn, dass Zacarias glaubte, sie könnten ihn nicht beschützen, während er ruhte. »Er wird sehr gefürchtet von den Untoten, und sie wissen nicht, dass ich hier bin. Sie glauben, er sei der Einzige zwischen ihnen und der Verwirklichung ihrer Pläne. Sie werden alles versuchen, um ihn zu töten.« Dominic sah Cesaro in die Augen. »Verstehen Sie, was ich Ihnen sagen will? Zacarias würde alles tun, um Sie zu beschützen, sogar vor sich selbst. Sie sind seine Familie.«
Cesaro stieß einen schweren Seufzer aus. »Ja, ich verstehe. Aber es ist unsere Pflicht, ihm zu dienen und ihn ebenfalls zu beschützen. Es ist nicht richtig, dass er unseretwegen gehen muss.«
»Er kann sich glücklich schätzen, Sie zu haben«, sagte Dominic mit einer weiteren kleinen Verbeugung.
Frag ihn, ob irgendjemand regelmäßig zu Besuch kommt, der vielleicht nicht für Zacarias arbeitet, sich jedoch schon mal eines seiner Fahrzeuge ausleiht, bat Solange.
Dominic unterdrückte ein Lächeln. Wie typisch für sie, dass sie genau die richtige Frage stellte! Und er liebte Solange noch mehr dafür, dass sie Verständnis für die Denk- und Verhaltensweise dieser Männer hatte und sich nicht daran störte. Sie würden mit einem Mann wie ihm viel offener über die Funktionsweise einer Ranch sprechen als mit ihr. Außerdem war er Karpatianer wie die Familie, für die sie arbeiteten, und sie wussten, dass er Zacarias’ Freund war. Sie dagegen war eine Gestaltwandlerin – eine Raubkatze, die sie mit einem Feind gleichsetzten. Cesaro fühlte sich unbehaglich in ihrer Gegenwart, auch wenn er sehr respektvoll war.
Ich pfeife darauf, was andere denken, sagte Solange. Mich interessiert nur deine Meinung.
Dominic, der spürte, wie wahr ihre Worte waren, wurde es ganz warm ums Herz. Sie gehörte ihm – wollte ganz allein ihm gehören. Und du weißt, dass ich dich über alles schätze … ihre Meinung, ihre Fähigkeiten, am meisten aber die Liebe, die sich in ihren Katzenaugen widerzuspiegeln begann.
Sein Herz geriet ein bisschen aus dem Takt bei diesem scheuen Blick. Manchmal, wenn sie ihn ansah, löste allein ihr Gesichtsausdruck eine heftige, fast schmerzhafte Erregung in ihm aus. Die Vorstellung, ihr Leben mit jemandem zu teilen, war so neu für sie, und trotzdem gab sie sich enorme Mühe, einen Ausweg aus der Angst zu finden, um sich ihm rückhaltlos zu schenken. Dominic liebte es, sie mit sich kämpfen zu sehen, um nicht nur ihn, sondern auch ihre wachsende Liebe zu ihm zu akzeptieren. Es war eine unerwartete Reise, von der er nie geglaubt hätte, dass er sie einmal mit einer Frau unternehmen würde, und er merkte, dass er Solange auch dafür nur noch mehr liebte.
»Cesaro.« Dominic blieb vor Marguaritas Zimmer stehen. »Gibt es einen Nachbarn, der die Fahrzeuge der Ranch benutzen darf? Vielleicht jemanden, der am Tag des Angriffs und zwei Nächte zuvor hier war?«
Cesaro erstarrte, die Hand schon auf dem Griff von Marguaritas Tür. Langsam drehte er sich um. Sein Gesicht wechselte die Farbe, und seine Augen wurden hart wie Diamanten. »Es gibt einen solchen Mann. Er hat versucht, Marguarita zu umwerben. Don Zacarias’ Familie ist sehr gut zu ihm gewesen. Dieser Mann hat vor etwa einem Jahr die angrenzende Ranch gekauft. Nach dem Erwerb war ihm wenig Geld geblieben, und wir haben ihm mehrmals ausgeholfen.«
»Sie sagen, er macht Marguarita den Hof?«
»Er versucht es. Wir fanden es alle ziemlich lustig. Marguarita ist sehr schön, wie Sie gesehen haben, doch sie ist jung und ein bisschen wild. Nicht was Männer angeht, verstehen Sie mich nicht falsch. Sie ist ein anständiges Mädchen. Aber sie liebt ihre Unabhängigkeit. Sie kocht und putzt auf der Farm und kann sich die Pferde aussuchen, die sie reiten will. Sie ist eine Pferdenärrin und eine gute Reiterin. Dieser Mann kann sie nicht zähmen. Ihr Vater und ich haben uns oft über seine Avancen amüsiert. Marguarita scheint nicht einmal bemerkt zu haben, was er mit seinen Blumen und Pralinen bezweckt. Sie lächelt ihn an wie alle Arbeiter und dankt ihm im Namen ihres Vaters und all derer, die Freude an seinen Geschenken haben werden. Sie tut so, als brächte er all diese Dinge mit, weil er die Erlaubnis hat, sich Geräte auszuborgen.«
»Ist er mal verärgert über ihre Ablehnung gewesen?«
»Niemand kann Marguarita böse sein. Sie ist ein Schatz.«
Dominic bedeutete Cesaro, die Tür zu öffnen. Sowie sie das Zimmer betraten, wusste er, dass der Tod sehr nahe gewesen war. Wäre Zacarias nicht erschienen, wäre diese junge, einst so temperamentvolle Frau gestorben. Sie war so blass, dass ihre Haut fast durchsichtig erschien. Dominic warf Solange einen Blick zu, die nickte, und ging dann zum Bett hinüber. Er würde seinen Körper verlassen und in Marguaritas eindringen, um sie zu untersuchen und sicherzugehen, dass sie überlebte, und diesmal würde er auch nach Anzeichen für Besessenheit suchen. Solange würde währenddessen auf Dominic achtgeben müssen.
»Es wäre das Beste«, sagte sie freundlich, »wenn Sie uns einen Moment allein ließen, Cesaro. Und dann wüssten wir auch gern den Namen des Mannes, der zu Besuch kommt und eines Ihrer Fahrzeuge benutzen darf.«
Cesaro nickte und verließ den Raum. Dominic wusste, dass er mit der Waffe in der Hand neben der Tür Wache halten würde. Ob er sie beschützte oder Marguarita, spielte keine Rolle. Der Vorarbeiter betrachtete es als seine Pflicht und war bereit, den Besitz der Brüder de la Cruz und jedermann, der sich darauf befand, zu schützen.
»Sehr loyale Leute«, bemerkte Solange leise.
Dominic wusste, dass Loyalität eine Eigenschaft war, die sie sehr bewunderte. Er warf ihr einen kurzen Blick zu. Cesaro war ein gut aussehender Mann …
Solange lachte. »Gott, was bist du für ein Macho!«
Er schlang die Arme um ihre Taille und zog sie an sich. »Oh ja«, bestätigte er. »Und ich behalte, was mir gehört.«
Sie verdrehte die Augen. »Du scheinst heute Abend ein bisschen unsicher zu sein. Habe ich etwas getan, um dich auf die Idee zu bringen, ich sähe einen anderen Mann an?«
»Du hast mich nicht angesehen.«
Ihr leises Lachen war wie ein Aphrodisiakum für ihn, sexy, frech und sehr, sehr weiblich. »Ich sehe dich immer an, Dominic.« Ihre Stimme wechselte, der schelmische Ton verschwand daraus, und nur pure Aufrichtigkeit blieb zurück. »Du füllst mein Innerstes so völlig aus, dass kein Platz mehr bleibt, um einen anderen Mann zu sehen – nie wieder. Ich sehe nur dich, Dominic.«
Seine Hand legte sich um ihren Nacken, und er senkte den Kopf, um sie zu küssen. Sie schmeckte nach Honig und Gewürzen, und er würde nie genug von ihr bekommen. »Ich könnte dich ewig küssen«, flüsterte er an ihren Lippen.
»Ich hatte keine Ahnung, dass Küssen so süchtig machen kann«, sagte sie, und einen Moment schmiegte sie sich an ihn. Dann blickte sie auf die blasse Frau in dem Bett hinab. »Glaubst du, der Nachbar hat sie absichtlich für den Tod durch einen Vampir bestimmt, weil sie ihn nicht wollte?«
Er sah die Veränderung in ihrem Geist, die Verderbtheit der Jaguarmänner, und wusste, dass ihr ganz übel wurde von ihren Gedanken. Seine Hand glitt zu ihrem Pferdeschwanz und spielte mit den dicken Strähnen. »Es gibt gute und schlechte Männer, in jeder Rasse und Spezies, Solange. Das Leben hier und die Arbeit, die du leistest, hat dich alle Männer in einem schlechten Licht sehen lassen. Cesaro würde seine Frau nie schlagen. Wenn du erst einmal Gedanken lesen kannst, wirst du selbst erkennen können, dass es viele gute Männer auf der Welt gibt.«
Sie fröstelte ein wenig. Sein Hinweis darauf, dass sie voll und ganz Karpatianerin sein würde, war ihr ein bisschen unangenehm. Solange hatte das Thema einmal indirekt angesprochen, aber Dominic wusste, dass sie sich noch nicht erlaubte, ernsthaft darüber nachzudenken. Sie brauchte Zeit, sich nach und nach an den Gedanken zu gewöhnen, wie ihr Zusammenleben sein würde.
Dominic wandte sich wieder dem Bett zu und verließ seinen physischen Körper, um mit seinem Geist in Marguaritas eindringen zu können. Er zweifelte nicht daran, dass Solange seine verletzbare Hülle vor Schaden bewahren würde, während er versuchte, die junge Frau zu heilen, deren Kehle so schrecklich zugerichtet war. Zacarias hatte Marguarita Blut gegeben, vermutlich sogar mehr, als er erübrigen konnte. Das Interessante war, dass Dominic auch Spuren von Solanges reinem königlichem Geblüt entdeckte. Das karpatianische Blut überwog gewöhnlich, und es war auch da, aber Solanges Blut war völlig anders, und irgendwie hatte es sich an das karpatianische gehängt, mit dem es kompatibel war, doch es hatte sich nicht damit verbunden. Ihr Blut war völlig einzigartig und hatte eindeutig heilende Eigenschaften.
Es gab keine Möglichkeit, die Stimmbänder voll und ganz wiederherzustellen. Mit seinen messerscharfen Krallen hatte der Untote die Bänder geradezu zerfetzt. Sowohl Dominic als auch Zacarias hatten sich auf die Muskeln an ihrer Kehle konzentriert, die sie zum Atmen und zum Schlucken brauchte. Sie würde leben, schön wie zuvor, aber wahrscheinlich nie wieder sprechen können, oder falls doch, würde es kaum mehr als ein heiseres Flüstern sein. Doch sie würde leben, und das war das, was zählte.
Dominic untersuchte auch ihren Geist und ihre Erinnerungen, aber rein gar nichts deutete auf fremde Inbesitznahme hin. Marguarita hatte dem Vampir nicht die Tür geöffnet. Sie hatte die Warnung ihres sterbenden Vaters gehört und befolgt, war in ihr Zimmer zurückgegangen und hatte dort auf das Erscheinen der Arbeiter gewartet. Sie hatte um ihren Vater geweint, weil sie wusste, dass er gestorben war, aber sie war nicht an die Tür gegangen.
Und das bedeutete, dass jemand anderes ohne ihr Wissen im Haus gewesen war. Dass jemand vertraut genug mit den Gegebenheiten war, um unbemerkt hereinzukommen, und dass die Schutzzauber bei ihm nicht wirkten, weil er nicht als Eindringling betrachtet wurde.
Als Dominic in seinen eigenen Körper zurückkehrte, schwankte er ein wenig und hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Solange, die auf und ab lief wie eine ruhelose Katze, blickte sich über die Schulter nach ihm um. »Alles in Ordnung? Du siehst blass aus. Brauchst du Blut?«
»Nicht deins. Es bringt die Parasiten um, und wir brauchen sie, um uns unauffällig den Vampiren nähern zu können. Ich werde Cesaro fragen, wer der stärkste Mann hier ist.«
»Er wird dir seines geben wollen.«
Dominic lächelte sie an. »Ich weiß.«
Sie deckte Marguarita behutsam zu und strich ihr das Haar aus dem blassen Gesicht. »Sie wird traumatisiert sein von alldem. Und falls es ein Freund war, der sie verraten hat, wird es noch schlimmer sein. Vielleicht sollten wir MaryAnn bitten, zu Besuch zu kommen.« Sie blickte fragend und mit vertrauensvollen Augen zu ihm auf. »Könntest du Cesaro bitten, sie holen zu lassen?«
Da er wusste, wie sehr ihr daran lag, von Männern missbrauchten Frauen beizustehen, nickte er. »Ich glaube, das ist eine gute Idee.«
Dominic führte sie zur Tür. Sie mussten noch den Schutz dieser Leute erhöhen und dann den Nachbarn finden. Und die Untoten hielten sich in großer Zahl dort draußen auf. Wahrscheinlich würden sie ihnen begegnen, und deshalb musste er all seine Kraftreserven mobilisieren.
Cesaro blickte sie fragend an, als sie aus dem Zimmer kamen.
»Sie schläft so friedlich, wie es nur geht«, sagte Dominic. »Ich glaube, sie hat die Krise überstanden und ist jetzt auf dem Weg der Besserung. Kennen Sie alle Brüder de la Cruz?«
Cesaro nickte. »Sie kommen von Zeit zu Zeit hierher. Die Brüder teilen sich die Ranches.«
»Manolitos Frau, MaryAnn, wäre die richtige Person, um Marguarita über all das hinwegzuhelfen. Vielleicht würde sie kommen, wenn Sie sie holen ließen.«
»Und damit hätten wir noch einen weiteren Mann zum Schutz der Ranch«, antwortete Cesaro, der wusste, dass Manolito seine Seelengefährtin begleiten würde. »Danke.« Er verbeugte sich leicht vor Solange, als wüsste er, wessen Idee es gewesen war. »Ich werde mich sofort darum kümmern.«
»Erzählen Sie uns von Ihrem Nachbarn!«
»Sein Name ist Santiago Vazquez. Er ist um die dreißig und hat nur zwei oder drei Männer, die für ihn arbeiten. Ich sehe ihn nur selten bei seinem Haus. Die Ranch ist sehr heruntergekommen. Er braucht Geld, um sie wieder aufzubauen, und mit einer Ranch in der Anlaufphase ist wenig Geld zu verdienen.«
»Haben Sie einen sehr gesunden, starken Mann unter Ihren Leuten, der bereit wäre, mir heute Nacht Blut zu geben? Ich habe etwas Wichtiges zu erledigen und kann nicht auf die Jagd gehen.«
»Ich bin bei guter Gesundheit«, erwiderte Cesaro. »Und es ist mir eine Ehre. Sie helfen uns in so vielfältiger Weise, und ich habe keine Angst mehr, einen Karpatianer zu nähren.«
»Gut, dann nehme ich dankend an«, sagte Dominic und trat sofort zu dem Mann, um ihm keine Zeit zu lassen, sich wieder zu fürchten.
Solange blickte auf ihre Hände herab, und Dominic rührte an ihr Bewusstsein, als sein Körper schon den Rausch der Energie spürte, die das heiße Blut des Vorarbeiters ihm lieferte. Solange war verstimmt, dass Dominic nicht ihre Hilfe annahm, und das verstärkte nur noch ihre absurde Angst, unzulänglich zu sein. Deshalb streckte er die Hand aus und strich mit dem Daumen über ihre Wange. Ihr Blick flog zu ihm, und er bemühte sich, sie auf telepathischem Wege zu beruhigen.
Dein Blut ist seinem überlegen, kessake. Und ich würde es viel lieber von meiner Frau nehmen, doch ich muss noch in das Lager des Feindes hineingelangen.
Ich weiß. Es ist nur so, dass ich noch keins deiner Bedürfnisse erfüllt habe. Kein einziges. Ich will diejenige sein, die dir gibt, was du benötigst. Eine andere Frau …
Würde mich nie so glücklich machen wie du, fiel er ihr ins Wort.
Er spürte den Anflug eines Lächelns in ihrem Geist, obwohl ihr Gesichtsausdruck sich nicht änderte. Höflich schloss er die beiden kleinen Bisswunden und verbeugte sich vor Cesaro, bevor er das komplizierte Gewebe von Schutzzaubern zu entwerfen begann, die die von Zacarias angelegten noch verstärken sollten. So würde die Ranch doppelt gegen die Untoten geschützt sein.
»Lassen Sie keine Fremden in Ihre Nähe!«, warnte er Cesaro. »Oft erscheinen die Untoten als schöne Menschen. Wenn sie sehr mächtig sind, können sie ihr Aussehen und ihre Sprache kontrollieren und nehmen häufig die Gestalt von jemandem an, den Sie kennen. Sie können nicht in Ihr Bewusstsein blicken, doch sie werden die Bewohner der Farm beobachten und versuchen, wie einer von ihnen zu erscheinen. Ihre Augen können sie verraten, und wenn sie über Gras gehen, verwelkt oder verdorrt es sehr oft. Die Natur schreckt vor ihnen zurück, die Tiere fühlen sich unwohl in ihrer Nähe, und Hunde können diese Kreaturen nicht ausstehen.«
Cesaro nickte, und Dominic gab Solange zu verstehen, dass es ungefährlich war, hinauszugehen. Als sie ins Dunkel hinaustraten, atmeten sie ein paar Mal ganz tief durch, um den Gestank von Furcht, Krankheit und nahem Tod aus ihren Lungen zu vertreiben.
Sie gingen, bis sie außer Sicht des Hauses und wieder im Schutz der Bäume waren. Dort nahm Dominic Solange in die Arme und erhob sich mit ihr in die Luft. Sie reckte das Gesicht in den Wind und war vollkommen entspannt in Dominics Armen, weil sie darauf vertraute, dass er sie beschützte, egal, wie hoch oder wie schnell sie flogen.
Ich liebe das, gestand sie. Das Fliegen hat etwas sehr Befreiendes, etwa so, wie in Jaguargestalt durch die Baumkronen zu laufen. Sie lachte leise und küsste Dominic auf den Nacken. Du hast mir einige der besten Erfahrungen meines Lebens geschenkt.
Und ich will dir noch so viel mehr geben, Solange.
Wie sehr er es liebte, wenn ihre Stimme so glücklich klang! Ob sie es wusste oder nicht, ihr Vertrauen in ihn wuchs mit jedem Moment, den sie zusammen verbrachten. Sie hatte sich ihm völlig angeschlossen. Die Frau und die Kriegerin verschmolzen. Ihr Glaube, dass er sie reizvoll fand, wurde auch zusehends stärker. Dominic senkte den Kopf und biss sie sanft in den Nacken, direkt über ihrem verführerisch pochenden Puls. Er würde auf jeden Fall nach dem nächsten Erwachen zu der Versammlung gehen, um endlich sein Blut von den Parasiten reinigen und sich unbesorgt mit ihr vereinigen zu können – falls er es so lange aushielt.
Dominic kreiste über der kleinen Ranch, die in den Hügeln an der südlichen Spitze der De-la-Cruz-Ländereien lag. Während dort die Felder gepflegt, die Zäune fest und die Rinder in einem guten Zustand waren, war es das genaue Gegenteil auf dieser Ranch. Das Wasserloch war schmutzig, und die Rinder standen bis zu den Knöcheln im Schlamm. Sie wirkten apathisch und ließen den Kopf hängen, was ein deutliches Anzeichen für ihren miserablen Zustand war. Der Wald hatte begonnen, das Land zurückzuerobern; schwere Kletterpflanzen hatten die Zäune hier und da bereits umgerissen. Niemand schien in letzter Zeit auch nur versucht zu haben, die Zäune zu flicken, obwohl Dominic mehrere Stellen entdeckte, an der das Weideland kürzlich gerodet worden war.
Er hat Land gekauft, das schon einmal bestellt worden war, bemerkte er.
Aber er hat nichts verbessert.
Dominic landete am Waldrand. »Verwandle dich, Solange! Ich werde zuerst hineingehen.«
»Ich habe ein kleines Waffenlager in der Nähe und werde dir Deckung geben. Vazquez ist ein Mensch, kein Jaguar, und ich habe irgendwie ein komisches Gefühl bei der Sache. Ich glaube, diesmal werde ich meinen Verstand benötigen, und er wird schärfer sein müssen als meine Krallen.«
Sein dunkler Blick glitt über sie. Solange fragte ihn nicht, sondern äußerte ihre Meinung. Sie kam nicht einmal auf den Gedanken, dass er ihren Vorschlag ablehnen könnte. Und er liebte dieses Vertrauen, das sie in sich hatte, wenn sie ein gefährliches Szenario erahnte.
»Beeil dich, Solange! Die Nacht währt nicht ewig.«
Sie nickte und lief los. Es dauerte gute fünf Minuten, bis sie mit einem kleinen, schmutzbedeckten Kästchen zurückkehrte. »Ich denke, der beste Platz für mich ist in den Bäumen direkt über dem Haus. Versuch, Vazquez vor die Fenster zu locken – oder, besser noch, nach draußen! Dann müsste ich dich absichern können, falls er Gesellschaft hat. Nimmst du mehr als eine Person wahr?«
»Nicht im Haus. Im Moment ist er allein, aber jemand hält sich in dem kleineren Gebäude hinter dem Haupthaus auf, und in der Scheune scheint ein dritter Mann zu sein.«
»Aus den Bäumen müsste ich alle drei Orte abdecken können. Meine Raubkatze ist unruhig, Dominic. Für sie ist etwas sehr Beunruhigendes an diesem Ort. Sei vorsichtig!«
Er wusste, dass es Solange verlegen machen würde, doch er beugte sich zu ihr hinab, nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und küsste sie ausgiebig. »Vergiss nicht, was ich sagte: Jage mir nie wieder einen Schrecken ein!«
Sie rieb die Wange an seiner Hand wie die Katze, die sie war. »Keine Bange. Bring mich zu diesem Ast hinauf! Das geht schneller, als wenn ich klettern muss.«
Dominic blickte auf. Der Ast befand sich gute fünfzig Fuß über dem Boden. Die meisten Leute hätten Angst vor dieser Höhe, erst recht in einer dunklen Nacht mit wenig Mondlicht. Außerdem hatte es wieder zu regnen begonnen, und obschon es nur ein leichter Nieselregen war, würde der Ast rutschig sein. Trotzdem legte Dominic wortlos den Arm um Solanges Taille und flog mit ihr zu dem hohen Aussichtspunkt hinauf.
Es fiel Dominic schwerer, sie dort zurückzulassen, als er gedacht hatte. Aber er vertraute ihrem Urteil, und wenn ihre Katze unruhig war, stimmte irgendetwas nicht auf dieser Ranch. Dominic erwartete, einen Mann zu finden, dessen Körper von einem anderen in Besitz genommen worden war, doch er wusste, dass Solange noch etwas anderes befürchtete. Und zum ersten Mal hatte er keinen richtigen Anhaltspunkt, wer genau ihre Gegner waren – oder worum es ihnen ging. In Solanges Blut befand sich etwas, das es ungewöhnlich machte, und Dominic nahm an, dass sie jetzt die Gejagten waren – Solanges Blutes wegen. Aber wer war hinter ihr her? Die Vampire? Brodrick? Jemand anderes?
Frustriert stieß Dominic den Atem aus.
Spielt das wirklich eine Rolle? Ihre Stimme war in seinem Kopf; sie klang weich und zärtlich und strich über Nervenenden, die sich roh und wund anfühlten. Es ist meine Lebensweise, und ich habe mich vor langer Zeit dafür entschieden, genau wie du deine Lebensart gewählt hast. Unsere Feinde erwarten nicht uns beide. Sie glauben, sie hätten es nur mit einem weiblichen Jaguar zu tun, und ihnen wird ein Fehler unterlaufen – wenn dies nicht bereits geschehen ist.
Dominic dachte an diese silbernen Augen. Sich des Körpers eines anderen zu bemächtigen, ihn ohne dessen Einwilligung zu übernehmen und ihn wie eine Marionette zu benutzen, war ein abscheuliches Verbrechen. Selbst nach allem, was Dominic in seiner jahrhundertelangen Existenz gesehen hatte, konnte er sich nicht vorstellen, dass ein anderer als Xavier, der Meistermagier, der so viele Jahrhunderte zuvor den Krieg mit den Karpatianern begonnen hatte, bereit wäre, diese Grenze der Menschlichkeit zu überschreiten.
Solanges Reaktion war beruhigend. Ihre Sachlichkeit im Angesicht des Todes und die ruhige Annahme ihrer beider Lebensweisen erlaubten Dominic, sich voll und ganz auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Solange war keine Frau, die in Panik geraten oder, schlimmer noch, sich in unnötige Gefahr begeben würde, um irgendetwas zu beweisen. Sie war erfahren und verstand es, Situationen richtig zu beurteilen, hatte grenzenlose Geduld und wusste, wann sie sich, ohne Rücksicht auf ihr Ego, aus dem Kampf zurückziehen musste. Sie war eine gute Partnerin. Wenn nötig, würde sie ihm ohne Zögern Rückendeckung geben – oder an seiner Seite stehen. Es war etwas sehr Angenehmes, eine Partnerin zu haben, auf die man sich verlassen konnte.
Sie wusste, dass seine Beschützerinstinkte ins Spiel kommen würden, und akzeptierte das wie alles andere in ihrem gemeinsamen Leben. Irgendwie war Solange zu seiner Welt geworden und hatte alles darin verbessert.
Wer auch immer in der Scheune war, ist jetzt im Haus bei Santiago Vazquez. Ich konnte ihn gut sehen und habe ihn nicht erkannt. Ich kenne die meisten der Menschen, die im Labor arbeiten, und auch fast alle Jaguarmänner. Dieser Mann stammt nicht aus dieser Gegend.
Dominic erreichte unbemerkt die Veranda. Jemand lief drinnen herum, und Dominic konnte eine Stimme aus dem hinteren Teil des Hauses hören. Der Mann, den er für Vazquez hielt, klang deutlich ungehaltener.
»Sie lebt. Ich war gerade dort, und sie lebt noch immer.«
Dominic stand auf der Veranda und lauschte. Sie sprachen anscheinend über Marguarita.
»Du hast versprochen, dass er sie töten würde, wenn ich den Befehl ausführe. Das habe ich. Aber diese verdammte kleine Schlampe, die einen nur scharf macht, lebt noch, und es gibt nichts in diesem Dreckloch, wo man seinen Spaß haben kann.«
Der andere Mann sprach viel leiser, jedoch mit einem gebieterischen Tonfall. »Sie ist jetzt nicht mehr von Belang für uns.«
»Für mich war sie es aber. Sie war mein Zugang zu den Brüdern de la Cruz. Ich habe versucht, mit ihr allein zu sein, um sie zu verführen, doch sie wollte nicht mal mit mir ausreiten.«
Der Mann mit der leisen Stimme seufzte. »Ihre Familie hätte dich umgebracht, wenn du dich zu so einer Dummheit hättest hinreißen lassen, und dann wäre alles, wofür wir gearbeitet haben, dahin gewesen. Sie ist nicht wichtig, Santiago. Es gibt viele Frauen, und wir können uns jede gefügig machen, wenn wir erst mal das Buch und das Blut des königlichen Jaguar-Weibchens haben. Also konzentrier dich auf das, was zählt! Wenn wir diese beiden Dinge in die Hände kriegen, haben wir alles. Macht. Frauen. Reichtum, der deine kühnsten Träume übertrifft. Und die Vampire, Karpatianer und Jaguarmänner werden sich vor uns verbeugen. Wir können herrschen, wo wir herrschen wollen.«
Hast du das gehört, Solange? Dominic hatte ihr das Gespräch in Gedanken wiederholt, damit sie folgen konnte.
»Dieser verdammte Brodrick! Er ist so durch und durch böse, dass sein Blut jetzt auch verdorben ist«, beschwerte sich Santiago. »Sein Kopf ist so verrottet wie alles andere in seinem Körper.«
»Wir werden sie finden«, erwiderte der zweite Mann beschwichtigend.
Sie sind also Magier, schloss Solange. Und sie haben ganz eigene Pläne. Was ist so besonders an meinem Blut? Und warum genügt ihnen Brodricks nicht? Sie scheinen doch irgendeine Beziehung zu ihm zu haben und müssten wissen, dass wir Verwandte ersten Grades sind.
Irgendwie muss seine frevelhafte Lebensweise – sein Morden und seine Vergewaltigungen – die Reinheit seines Blutes verdorben haben, antwortete Dominic. Er hatte keine Ahnung, wie, aber es konnte keine andere Erklärung geben.
Die beiden Männer im Haus hatten offensichtlich miteinander ein Komplott geschmiedet. Einer wollte das Leben eines reichen Ranchers führen, und dem anderen ging es um Macht. Santiago war wahrscheinlich das schwächere Glied und der, dessen Körper von dem anderen gesteuert wurde. Doch Dominic war sich sicher, dass sie auch verwandt waren, denn die beiden rochen wie Geschwister.
Ich werde hinter den Schuppen gehen, das kleinere Gebäude, um zu sehen, wer da draußen ist. Sie haben bestimmt niemanden hier, der nicht in ihre Pläne eingeweiht ist.
Dort kann ich dich nicht beschützen, wandte Solange ein. Ich kann die beiden Männer im Haus durch die großen Fenster sehen, aber von hier aus habe ich keinen Einblick in den Schuppen.
Ich werde mich in anderer Form annähern. Dominic merkte, dass er lächelte, als er sich in einem sehr schwachen Dunststreifen um die Veranda herum dem hinteren Teil des Hauses näherte.
Nun hatte er den Schuppen vor sich, ließ den Dunst noch feiner werden und schwebte förmlich um das kleine hölzerne Gebäude herum. Dominic konnte das Pulsieren einer machtvollen Energie innerhalb der Hütte spüren. Die verzogenen Wände konnten die darin eingeschlossene Macht kaum halten. Fühlst du das?
Er registrierte Solanges scharfes Einatmen. Vorsicht, Dominic! Geh nicht zu nahe heran!
Wo sich vorher kein Lüftchen geregt hatte und der Dschungelboden völlig still unter dem Blätterdach gewesen war, kam jetzt ein jäher Wind auf, der die Bäume peitschte, die auf drei Seiten die Ranch umgaben, und sich geradewegs auf Solange zubewegte. Ein Brüllen ertönte aus dem Schuppen, etwas Orangefarbenes flammte darin auf und flimmerte durch die Ritzen und Spalten in dem alten Holz.
Dann schlug etwas Großes hart genug gegen die Tür der Hütte, um das ganze alte Bauwerk heftig zu erschüttern. Die Tür zersplitterte halb und wölbte sich nach außen.
Verschwinde, Solange!, befahl Dominic.
Steht mir Dummheit auf der Stirn geschrieben? Ein unsicheres Lachen, Verärgerung und eine Prise sehr gesunder Furcht klangen in ihrer Stimme mit. Solange wusste, dass das, was in diesem Schuppen war, Blut gewittert hatte – ihr Blut – und ihr nachjagen würde.
Dominic änderte die Richtung des Windes und trieb ihn von Solange weg, damit die Kreatur – was immer sie auch war – ihren Duft nicht wahrnehmen konnte. Der Schuppen erzitterte ein zweites Mal, als das große Tier sich erneut gegen die Tür warf. Diesmal gab das Holz in der Mitte nach und zerbrach in lange, scharfe Splitter.
Zwei Männer stürmten aus der Hintertür des Hauses und rannten über den unebenen, schlammigen Boden auf den Schuppen zu. Die beiden sahen sich zum Verwechseln ähnlich – und keiner hatte silberne Augen. Beide blieben auf halbem Weg zum Schuppen wie angewurzelt stehen und fuhren herum, um sich Rücken an Rücken und mit erhobenen Händen hinzustellen. Einer entdeckte die feinen Nebelschwaden und zischte seinem Zwillingsbruder etwas zu.
»Alistair!«, brüllte Santiago, als die mächtige Kreatur in dem Schuppen sich ein drittes Mal gegen die Tür warf und dieses Mal hindurchgelangte. Eine gewaltige schwarze Katze sprang heraus und rannte direkt auf den Wald zu.
Dominic erkannte Santiagos Stimme, wusste, dass er in Schwierigkeiten war, und schickte sich an, den Hof zu überqueren. Erschieß die Katze, Solange!
Die Hintertür des Schuppens flog auf, und ein dritter Mann stürmte heraus, auch er mit erhobenen Händen. Seine Augen waren silberfarben! Santiago fuhr herum, Schulter an Schulter mit seinem Bruder, und beide Männer stießen die Hände gleichzeitig in den Nebel. Hinter ihnen vereinte der silberäugige Alistair seine machtvolle Energie mit der der beiden anderen. Für einen Moment sahen sie so aus, als wären sie zu einem Geschöpf verschmolzen.
Licht entsprang ihren Fingerspitzen, flammte auf und explodierte in dem sich schnell entfernenden Nebeldunst. Das Krachen eines Schusses hallte durch den Wald, und eine Kugel riss ein Loch in Santiagos Stirn. Der zweite Mann ließ sich fallen, rollte sich über den Boden und versuchte so, sich in Deckung zu begeben. Die Kraft der Explosion erschütterte Dominic und warf ihn aus der Luft.
Ein zweiter Schuss ertönte, und der Mann auf dem Boden schrie auf. Dominic prallte gegen einen Baum und schaffte es gerade noch, in der Hocke auf den Füßen aufzukommen. Sein ganzer Körper brannte, und er nahm sich einen Moment Zeit, um den Schaden einzuschätzen. Solange bestrich den Boden vor ihm mit Kugeln, um weitere Angriffe der Magierbrüder zu verhindern.
Die Katze war für Dominic außer Sichtweite, versuchte aber, an Solange heranzukommen, sodass er sich entscheiden musste, entweder die Magier zu vernichten oder seine Gefährtin zu beschützen. Da das jedoch keine Frage war, folgte er der riesigen schwarzen Katze. Gebaut wie ein Säbelzahntiger und sehr muskulös, konnte die Katze sich in einen substanzlosen Schatten verwandeln und nur getötet werden, wenn sie sich in ihrer Gestalt aus Fleisch und Blut befand.
Dominic jagte ihr hinterher und übernahm das Kommando über den Himmel. Donner grollte und ließ die Erde erbeben. Dunkle, Unheil verkündende Wolken brauten sich zusammen. Dicke Regentropfen klatschten zu Boden. Blitze zuckten am Himmel auf und schlugen schier unablässig in blendend grellen Strahlen in den Hof zwischen den Gebäuden ein. Einer traf den Schuppen und ließ ihn zu schwarzen Holzsplittern zerbersten. Das Innere der Hütte wurde sichtbar.
Drinnen befanden sich Jungtiere in verschiedenen Stadien des Elends, einige halb entwickelt, andere schreiend vor Schmerzen, da ihre verkrümmten Körper zur Hälfte physisch und zur Hälfte Schatten waren. Ihr bemitleidenswertes Miauen und Fauchen war über den Donner hinweg zu hören, der die Erde erbeben ließ. Der unverletzte Magier rannte auf eine der entkommenden Katzen zu und schrie einen Befehl. Das halb ausgewachsene Tier, dessen Körper zur Hälfte transparent war, fuhr mit rot glühenden Augen herum und kämpfte fauchend und zischend gegen den geistigen Zwang des Magiers an, zu ihm zurückzukehren.
Wieder schlugen Blitze in die Erde ein, und große weißglühende Explosionen töteten die verstümmelten Katzen so schnell, dass sie nicht einmal die Hitze spürten. Nur die halb ausgewachsene Katze war noch am Leben, kauerte tief am Boden und versuchte, sich von dem Magier wegzuschleichen.
Töte sie nicht! Solange klang zutiefst entsetzt, und Dominic konnte sie im Geiste weinen hören. Ihr Jaguar war empört und kämpfte sich an die Oberfläche. Wir können diese Katze retten, Dominic. Bitte lass sie leben!
Er hielt das Blitzgewitter aufrecht und trieb den Magier von der Schattenkatze weg. Gleichzeitig versuchte Dominic, an den Geist des Tieres zu rühren. Er war gar nicht sicher, dass es eine gute Idee war, ein mutiertes, auf die Jagd nach Solanges Blut programmiertes Katzenjunges zu retten, doch er konnte der flehentlichen Bitte und den Tränen in Solanges Geist nicht widerstehen.
Lauf!, befahl er dem Jungtier. Versuch, den Fluss zu erreichen, und dann helfe ich dir, wenn ich kann.
Die junge Katze riss sich mit der zusätzlichen Hilfe Dominics von dem Bann des Magiers los, fuhr herum und rannte in den Wald.
Solange gab mehrere Schüsse ab, als die andere, schon fast riesige schwarze Katze an dem Stamm des Baumes hinaufkletterte, auf dem Solange saß, und mit ihren schweren Pranken die Rinde zerfetzte. Sie war ein schweres Tier, und deshalb stieg Solange noch höher, in die dünneren Äste, die jedoch so dicht mit Blättern bewachsen waren, dass Dominic seine Gefährtin aus den Augen verlor. Er konnte allerdings die Katze sehen, ein riesiges Exemplar mit enormen Muskeln, die sich beim Klettern anspannten. Wenn Dominic das Tier in die Luft jagte, würde es den Baum – und Solange! – mitnehmen, falls er nicht exakt den richtigen Moment erwischte.
Die Katze schimmerte, als wäre sie fast schon transparent, und sprang mit einem großen Satz auf die kräftigeren unteren Äste. Ihr Knurren war so laut und hässlich, dass die anderen Waldbewohner verstummt waren und ängstlich in ihrem Unterschlupf kauerten. Selbst die allgegenwärtigen Zikaden waren ausnahmsweise einmal still. Der Wald schien den Atem anzuhalten, als die Katze ihren mächtigen Körper zur nächsten Ebene hinaufzog.
Bist du bereit?, fragte Dominic Solange mit wild pochendem Herzen.
Würde sie schnell genug ihre Kleider abstreifen und sich verwandeln können, falls der Baum umstürzte? Dominic wusste, wie flink sie war, aber … Er schob den Gedanken beiseite. Was er brauchte, war eine freie Angriffsfläche. Solange wartete, um einen gut gezielten Schuss durch das dichte Blätterdach abgeben zu können. Sie hatte kaum Bewegungsfreiheit und auch keinen sicheren Halt dort oben. Nicht nur, weil der Ast, auf dem sie saß, relativ dünn war. Das Gewicht der großen Katze brachte die Baumwipfel zusätzlich ins Schwanken.
Dominic beeilte sich, zu Solange zu gelangen, um sie, falls nötig, aufzufangen, doch all seine Sinne waren auf die Katze konzentriert. Das große Tier hörte nicht auf, knurrend und fauchend direkt zu Solange hinaufzustarren.
Kannst du ihren Geist erreichen? Solange klang immer noch ruhig – viel ruhiger, als Dominic selbst es war mit diesem riesigen Tier vor Augen, das seine Seelengefährtin jagte.
Die Katze war von dem Magier mit einer starken geistigen Barriere geschützt worden. Es gelang Dominic zwar, in ihr Bewusstsein einzudringen, aber was er sah, war, dass das Tier nur für einen einzigen Zweck lebte: seinem Herrn Solanges Blut zu bringen. Die veränderten Sinne der Katze waren alle nur auf einen Geruch und eine Person programmiert. Nichts würde sie davon abhalten können, Solange vom Baum herabzuzerren und sie zu dem Magier hinüberzuschleifen.
Dominic holte tief Luft, verengte die Augen und konzentrierte den Blick auf die Stelle gleich unter Solange – die einzige freie Fläche.
Halt dich bereit, Liebste!
Die Katze griff an! Dominic sandte einen Blitz auf sie herab, der sie mitten in der Luft erwischte, aber ihren mächtigen Körper durchdrang und in den Baumstamm einschlug. Die Katze zerfiel zu Asche, und der Baum stürzte mit einem grässlichen Splittern, Knacken und Krachen um.
Solange passte den richtigen Moment für ihren Sprung ab, dafür nutzte sie Dominics Bewusstsein. Als der Blitz die Katze durchfuhr, ließ sie sich fallen und versuchte noch in der Luft, sich so weit wie möglich von dem Baum zu entfernen. Das Gewehr nach wie vor in den Händen, unternahm Solange keinen Versuch, sich zu verwandeln, sondern verließ sich einfach nur darauf, dass Dominic sie auffangen würde. Er schaffte es, die Arme um sie zu werfen, als sie etwa zwei Drittel des Weges in die Tiefe gestürzt war. Zu keiner Zeit spürte er Panik in ihr.
Dominic dagegen war so panisch, dass sein Herz ihm die Brust zu sprengen drohte, und als er Solange gepackt hatte, drückte er sie an sich, bis sie kaum noch atmen konnte. Trotzdem versuchte sie nicht, sich ihm zu entziehen, sondern gewährte ihm diesen Moment der Erleichterung.
Dominic erhob sich mit ihr in die Luft und flog über die Ranch. Santiagos Leiche lag noch auf dem Boden. Eine Blutspur führte zu einer Stelle, wo ein Fahrzeug geparkt gewesen war. Der silberäugige Magier und sein Bruder waren längst verschwunden. Dominic blickte in die andere Richtung, wo es zum Fluss hinunterging. Das Katzenjunge lief jämmerlich miauend an der Böschung auf und ab. Dominic hob das Tier auf und drückte es Solange in die Arme.
Sie ergriff es unter seinen Vorderbeinen, legte es sich in den Arm und wiegte es wie ein kleines Kind. Die Katze ließ den Kopf zur Seite fallen und schlief fast augenblicklich ein.
Na prima. Jetzt haben wir ein süßes kleines Katzenbaby. Was sollen wir damit machen?, fragte Dominic verstimmt.
Solanges leises Lachen wärmte ihm das Herz, wie nichts anderes es in diesem Moment vermocht hätte. Er hatte das Gefühl, dass es etwas ganz Alltägliches in ihrem Leben sein würde, Tiere, Kinder und möglicherweise auch Erwachsene zu retten.