6. KAPITEL
Mein Traumgeliebter und
Seelengefährte,
du kennst jeden Teil von mir.
Solange zu Dominic
Solange blickte auf – und legte den Kopf zurück. Im wahren Leben war Dominic noch viel größer, kräftiger und beeindruckender, als er ihr in ihrem Traum erschienen war. Seine Schultern waren breiter, seine Brust muskulöser. Ihr Blick glitt an seinem Körper hinauf, registrierte jede Wunde, jeden Kratzer, aber auch die schmalen Hüften und die harten Muskeln seines flachen Bauches. Der Anblick verschlug ihr den Atem. Sie hatte buchstäblich keine Ahnung, wie sie auf diesen Mann reagieren sollte.
Ihr Blick blieb an seinem Mund hängen … Wie gebannt blickte sie auf seine schön geschwungenen Lippen, stand einfach nur da, mit wild pochendem Herzen und protestierendem Verstand, ohne ihren Blick von ihm abwenden zu können. Sie fühlte sich richtig klein und unbedeutend neben ihm. Unerfahren wie ein junges, naives Mädchen, das keine Ahnung hatte von den Dingen zwischen Mann und Frau …
Wahrscheinlich würde sie jeden Moment mit irgendetwas Beleidigendem herausplatzen. Denn leider hatte sie die Angewohnheit, die Leute von sich wegzustoßen, wenn sie sich verwundbar fühlte, und Solange hatte sich in ihrem ganzen Leben nie verwundbarer gefühlt als in diesem Augenblick. Dieser Mann konnte ihr das Herz brechen. Wenn ihre Gefühle beteiligt waren, war Solange Sangria am gefährlichsten. Ihre Krallen waren mit Gift versehen. Sie konnte sehr gemein sein; sie war imstande, Dominic mit beleidigenden Worten schier in Stücke zu reißen. Schließlich hatte sie ihre sarkastische, gleichgültige Haltung zu einer Kunst entwickelt.
Aber sie hatte ihn ohnehin bereits verloren, sie musste gar nichts mehr sagen. Denn diese Begegnung war einfach zu viel für Solange. Sie presste die Lippen zusammen, ihre Beine zitterten, und sie wollte nur noch fliehen. Solange schmeckte Furcht in ihrem Mund. Furcht. Sie, Solange Sangria, fürchtete sich vor einem Mann! Wie sie das Gefühl hasste!
Zum ersten Mal in ihrem Erwachsenenleben hatte sie Angst. Eine Höllenangst, mit der sie nicht umgehen konnte. Sie wurde damit einfach nicht fertig: Dominic war die einzige Person auf Erden, der sie ihr Herz geschenkt, ihre Seele offenbart und jedes ihrer Geheimnisse anvertraut hatte, jede Befürchtung, alles. Weibliche Jaguarmenschen waren von Natur aus unterwürfig ihren Männern gegenüber. Sie kämpften, bis die stärksten, aggressivsten Männer es wagten, sich mit ihnen zu paaren; dann ergaben sie sich ihnen. Auch sie war vorprogrammiert auf diesen Tanz zwischen Mann und Frau, erkannte sie, und das beängstigte sie. Sie würde diese Seite ihrer Persönlichkeit nie anerkennen können, würde sich niemals unterwerfen können … Aber ein Teil von ihr sehnte sich auf einmal danach – doch das durfte nicht sein …
Solange erschauerte – oder zitterte; sie hätte wirklich nicht sagen können, was genau es war. Plötzlich hatte sie Schmetterlinge im Bauch, als Dominic eine Hand um ihr Kinn legte. Seine Berührung war so, wie Solange sie sich vorgestellt hatte, sanft und trotzdem fest, die Berührung eines Mannes, der sich vollkommen unter Kontrolle hatte – und sie.
»Sieh mich an, Solange!«
Seine Stimme war ebenso liebevoll, wie die Liebkosung warmen, weichen Samts an ihrer Haut. Zärtlich, aber auch gebieterisch.
Solange kämpfte mit ihrer Natur, mit der Hitze zwischen ihnen und ihrer Sehnsucht nach einem Seelengefährten, der ihre Einsamkeit vertrieb. Es war so stark, dieses Bedürfnis, dass sie kaum noch denken konnte und nur von dem einen Wunsch beherrscht war, alles zu sein, was Dominic begehrte.
Ein lastendes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Sie sollte ihn ansehen? Ihm zu gehorchen war die schiere Qual. Noch schlimmer jedoch war, es nicht zu tun. Dominic überließ die Entscheidung ihr, aber seine Persönlichkeit war von geradezu beängstigender Kraft.
»Erfordert es denn Mut, mich anzuschauen, kessake?« Kleine Katze. Die tiefe Stimme, die wie Samt über ihre Nervenenden strich, erschütterte Solange.
Er klang so sanft, dabei hatte sie gesehen, wie er einem Meistervampir das Herz herausgerissen hatte. Sehr zu ihrem Ärger überlief wieder ein Zittern ihren Körper.
»Ich glaube, wenn es eine Frau mit Mut auf dieser Erde gibt, ist es meine Gefährtin.«
Sie erhob endlich den Blick zu ihm und schaute in seine kühlen grünen Augen. Nein, sie wurden langsam blau wie das tiefste Wasser. Sie wechselten die Farbe, als der Krieger in ihm dem Mann Platz machte. Solanges Magen schlug einen Purzelbaum, ihr Herz zog sich zusammen.
Er lächelte sie an. Es war ein langsames, sexy Lächeln, das ihr schier den Atem raubte. Seine weißen, perfekten Zähne blitzten auf. Seine Narben, die nun wieder deutlich sichtbar waren, unterstrichen nur noch seine starke maskuline Ausstrahlung. Alles an ihm schien perfekt zu sein. Und sie stand da, bis auf die Haut durchnässt, fröstelnd und mit feuchtem Haar, das wieder einmal wild und ungebändigt war. Ihr Körper war mit Narben, Prellungen und Schnitten übersät, mit Blut besudelt und verschwitzt. Welch schrecklichen Anblick musste sie bieten!
Unendlich sanft glitt Dominics Daumen über ihre Lippen, und nicht weniger zärtlich legte er die Hand an ihre Wange. Er sah sie an, als gäbe es keine andere Frau auf dieser Welt …
Es ist nur eine Illusion, sagte Solange sich – eine Illusion, die ihr aber das Herz wärmte und zumindest etwas von der Kälte in ihr vertrieb.
»Hallo.«
Dieses simple Wort, begleitet von dem eindringlichen Blick seiner blauen Augen, seinem langsamen, sexy Lächeln und der weichen dunklen Stimme, brachte sie vollends aus dem Gleichgewicht. Sie konnte nur hilflos zu ihm aufblicken und wünschen, sie wäre Juliette oder Jasmine. Jede andere – nur nicht sie selbst, Solange Sangria.
»Ich muss dich untersuchen, sívamet.« Mein Herz.
Ihr stockte der Atem. Sie untersuchen? Wozu? Um zu sehen, ob sie gut genug war für einen Mann wie ihn? Tausend bissige Bemerkungen schossen Solange durch den Kopf, aber sie brachte kein einziges Wort heraus. Und so schüttelte sie nur stumm den Kopf, während Tränen hinter ihren Lidern brannten. Sie würde keiner Prüfung standhalten, wenn er die perfekte Frau suchte.
Die Kleider würde sie jedenfalls ganz bestimmt nicht ausziehen. Das kam nicht infrage! Für einen schrecklichen Moment sah Solange sich nackt vor Dominic stehen, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und seinen Blicken ausgeliefert. Sie hatte viel zu pralle Oberschenkel, und an ihre Hüften oder ihren Po wollte sie gar nicht erst denken. Okay, ihre Brüste waren hübsch, und sie hatte eine schmale Taille, aber überall waren ausgeprägte Muskelstränge, und sie war auch viel zu schwer …
Panik erfasste Solange. Doch Dominics Hände waren so sanft an ihrer Haut, dass sie die Augen schloss und ein Aufschluchzen unterdrückte. Sie würde nicht wie ein Feigling vor ihm davonlaufen. Sie war von königlichem Blut, auch wenn Juliette sie oft einen »königlichen Schmerz im Nacken« nannte – womit sie nicht ganz unrecht hatte. Wie verhielten sich andere Frauen in so einer Situation?
Dominics Finger glitten an ihren Armen hinunter und verweilten. Ihr Herz klopfte noch schneller. Behutsam drehte er sie um und senkte den Kopf auf den Biss an ihrer Schulter, der noch immer blutete. Dominic atmete tief ein und prägte sich den Geruch genau ein, um überall denjenigen zu erkennen, der sie angegriffen hatte. »Halt still, kessake!«
Ha! Sie hätte sich nicht bewegen können, selbst wenn sie es gewollt hätte. Solange fühlte sich wie ein in die Enge getriebenes wildes Tier, das keinen Ausweg sah. Dominics Zunge strich über die Bisswunde, um sie mit heilendem Speichel zu bedecken. Das Gefühl ließ Solange den Atem stocken – und erst recht, als er ihr Hemd zur Seite schob und den Wunden auf ihrem Rücken folgte.
Natürlich hatte er sie nicht »untersuchen« wollen, um zu sehen, wie sie aussah. Solange errötete vor Verlegenheit bei der Erkenntnis und hoffte, dass er ihre lächerlichen Gedanken nicht gelesen hatte. Es schockierte sie, dass er sich die Zeit nahm, sich um ihre verhältnismäßig geringen Verletzungen zu kümmern, obwohl er selbst viel schwerer verletzt war. Er nahm ihrem Schmerz sogar die Schärfe. Solange hatte noch nie eine wirklich sinnliche Erfahrung gemacht, aber das Gefühl seiner Finger und seines Mundes auf ihrer Haut ließ ihren Körper kribbeln und pochen.
»Du brauchst Blut.«
Zacarias! Die Stimme schreckte sie auf, und Solange fuhr von Dominic zurück und zog sich schnell das Hemd herunter. Wie hatte sie Zacarias vergessen können? Fast hätte sie … Na schön, sie hatte sich erotischen Gedanken hingegeben und vergessen, dass sie nicht allein waren. Was war nur mit ihr los? Sie konnte die hässliche Röte spüren, die ihr ins Gesicht stieg. Solange blinzelte ein paar Mal schnell, um den Zauber zu brechen, mit dem Dominic sie vielleicht belegt hatte.
Es dauerte einen Moment, bis sie erkannte, dass Dominics hochgewachsene Gestalt Zacarias den Blick auf sie verstellte. Aus irgendeinem idiotischen Grund verursachte die Tatsache, dass Dominic sie in einem schwachen Moment vor neugierigen Blicken geschützt hatte, in ihr ein warmes, tröstliches Gefühl.
»Wie du«, antwortete Dominic dem anderen Karpatianer. Erst jetzt drehte er sich um, hielt Solange aber mit einem Arm umschlungen und dicht an seiner Seite.
Beide Männer sahen sie an. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Solange hatte gesehen, wie Juliette Riordan Blut gegeben hatte. Zacarias war schwer verletzt, und er gehörte zu ihrer Familie. Daher stand er auch unter ihrem Schutz. Aber das … nein. Solange hätte sich nie träumen lassen, dass sie einmal einem Mann sogar ihr Blut geben müsste.
»Das ist unsere Lebensweise, kessake.« Dominics Stimme war eine leise, zärtliche Liebkosung, die tief in ihr etwas zum Klingen brachte und sich verführerisch in ihren Geist einschlich.
Ein Zittern durchlief Solange, und sie biss sich auf die Lippen, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Dominic die Freude zu machen, und dem Drang, fortzulaufen. Stumm und reglos stand sie da und kämpfte gegen ihre eigene Natur.
Dominic war der Auserwählte, ihr Seelengefährte. Sie wollte die Frau sein, die er brauchte, und was er jetzt von ihr brauchte, war ihr Blut.
Solange wagte kaum zu atmen, als Zacarias näher trat. Er blutete aus tausend Wunden, die ihm die Fledermäuse zugefügt hatten. Bei dem Anblick drehte sich Solange der Magen um, und Galle stieg in ihrer Kehle auf. Er würde seine Zähne in ihre Haut bohren, und sie würde dastehen und es sich, zitternd vor Ekel, aber wie behext von Dominic, gefallen lassen. Sie musste die Kraft finden, dem Wahnsinn zu widerstehen, der sie ergriffen hatte und diese bleierne Schwere in ihrem Körper bewirkte!
Sie schluckte hart und blickte auf zu Dominic. Sein Lächeln war zärtlich und nur für sie bestimmt, als läse er ihre Gedanken und sähe ihren Abscheu vor dieser Handlung, als wüsste er, dass sie kurz davor war, die Flucht zu ergreifen, und es nur die schiere Macht seiner Persönlichkeit war, die sie an Ort und Stelle hielt. Dominic zog sie an sich, ihr Rücken berührte seine Brust, und sein Arm lag unter ihren bebenden Brüsten, doch sein Griff war so sanft, dass sie anfangs nicht einmal bemerkte, mit welch enormer Kraft er sie an sich drückte. Mit der anderen Hand streckte er langsam, aber unaufhaltsam Zacarias ihren Arm entgegen.
»Nimm ihr Handgelenk – und sei behutsam!«, warnte er.
Solange erschauderte, als der andere Karpatianer noch näher trat.
Dominic senkte den Kopf und flüsterte ihr zärtliche Worte in der alten Sprache der Karpatianer zu. »Solange. Emnim. Tódak pitäsz wäke bekimet mekesz kaiket. Te magköszunam nä naman kac taka arvo.« Solange. Meine Frau. Ich wusste, dass du den Mut hattest, mit allem fertig zu werden. Ich danke dir für dieses unermesslich kostbare Geschenk.
Sein warmer Atem fächelte ihren Nacken, und Dominic drückte die Lippen an ihren wild pochenden Puls. Seine Zähne strichen so unendlich sacht über ihre Haut, dass ihr Herz schier zu zerspringen drohte und ihr das Atmen immer schwerer fiel. Mit jeder Faser ihres Körpers war Solange sich seiner bewusst.
Sie schloss die Augen und nahm den Klang seiner Stimme in sich auf, die Freude darin, die ihr das Gefühl gab, als wüsste er, dass sie dem anderen Mann nur seinetwegen half. Es war, als schenkte sie sich Dominic, als gäbe sie ihm alles, was sie war. Doch es war ja ein anderer Mann, der nun ihr Handgelenk ergriff …
Solange überfiel Panik, und sie entriss Zacarias fast den Arm. Bevor sie sich jedoch rühren konnte, biss Dominic sie in den Nacken, und der erste Schmerz verwandelte sich augenblicklich in ein solch intensives Lustgefühl, dass sie aufschrie und ihr Körper mit einer Flutwelle puren Feuers reagierte. Solange hatte schon oft die Hitze ihrer Katze erlebt, die ein natürlicher Trieb war, der sie weder geistig noch emotional berührte. Aber dieses Gefühl … war so überwältigend, dass es einen heißen Schauder über ihre Nervenenden sandte und sie mit einer Welle köstlichster Empfindungen durchströmte.
Ihr Schoß zog sich zusammen. Ein heißes Kribbeln erwachte zwischen ihren Schenkeln, und sie spürte, wie ihre Brustwarzen sich zu zwei harten kleinen Spitzen zusammenzogen. Es war, als versengte Feuer ihre Haut und ihr Innerstes, als flösse es wie geschmolzenes Gold durch ihren Körper, bis sie sich nicht mehr beherrschen konnte und sich lustvoll unter Dominics heißen Lippen wand. Sie, Solange Sangria, die sich sonst stets so perfekt unter Kontrolle hatte! Solange Sangria, die Männer hasste, schenkte sich mit Leib und Seele Dominic Drachensucher und seinen Bedürfnissen! Ein kleines Aufschluchzen entrang sich ihr.
Dominic hätte nie gedacht, dass irgendetwas so erotisch sein könnte, wie das Blut seiner Seelengefährtin zu nehmen. Für ihn war der Blutaustausch immer etwas ganz Alltägliches gewesen, eine Notwendigkeit. Daher war er völlig unvorbereitet auf das jähe, überwältigende Verlangen, das ihn nun durchzuckte, und die fast schmerzhafte Erregung, die seine gewohnte Gelassenheit erschütterte wie noch niemals etwas anderes zuvor. Er war diszipliniert und beherrscht. Nie wäre er auch nur auf die Idee gekommen, dass Solange in den Armen zu halten und ihr Blut zu nehmen ein ebenso intimer Akt sein könnte wie die Inbesitznahme ihres Körpers oder Geistes.
Er war so hart und erfüllt von drängendem Verlangen, dass es ihm so vorkam, als teilte er Solange mit einem anderen Mann in einem extrem intimen Akt – was eine absolut ungeheuerliche Vorstellung für ihn war. Es war seine Pflicht, sie zu beschützen, sie zu lieben und zu ehren. Er wollte nicht, dass ein anderer Mann sie verwundbar, ängstlich oder sexy sah, und im Augenblick war sie für ihn das sinnlichste Geschöpf auf Erden. Doch dieser Teil von ihr gehörte einzig und allein ihm. Wäre ihm bewusst gewesen, wie es sein würde, ihr Blut zu nehmen, hätte er sie niemals, unter gar keinen Umständen, gezwungen, Zacarias zu stärken.
Und er hatte sie gezwungen – oder sie zumindest doch dazu gedrängt. Er wusste, dass sie die Vorstellung abscheulich fand, dass Zacarias für sie aber zu ihrer Familie gehörte. Solange lebte nach ihrem eigenen Ehrenkodex und hätte es sich nie verziehen, einen Familienangehörigen im Moment der Not im Stich zu lassen. Auch er selbst, Dominic, hatte einen Kodex, der sein Handeln bestimmte. Oberste Maxime war für ihn, seine Seelengefährtin stets mit allem zu versorgen, was sie brauchte. Solange brachte all seine Beschützerinstinkte zum Vorschein, und das Tier, das in ihm lauerte, brüllte nach ihr. Erst sie machte ihn vollständig.
Aber das hier – diese schockierende körperliche und geistige Reaktion – brachte Dominic völlig durcheinander. Solanges Blut drang in seinen Körper ein, und die Parasiten duckten sich ängstlich davor. Sie zogen sich zurück, wurden still und verbargen sich vor dem königlichen Jaguarblut, als fürchteten sie sich vor der großen Katze. Als Solanges Blut sich in Dominics Organismus verbreitete, jagte ein großes, alles mitreißendes Feuer durch seinen Körper.
Der ihre bewegte sich an seinem und verschärfte seine ohnehin schon schmerzhafte Erregung noch. Aber Dominic wollte nicht aufhören; seine Hand streichelte die Unterseite ihrer Brust, obwohl das, was er wirklich wollte – nein, brauchte –, das Gefühl ihrer seidigen Haut an seiner war. Ihr leises Aufschluchzen ließ ihn jedoch innehalten, rief ihn zur Ordnung und brachte ihm wieder zu Bewusstsein, wo er war und was um ihn herum geschah. Er hatte sich so tief verloren in diesem Fieber, dass er erstaunt war, als er mit der Zunge über die beiden kleinen Einstiche strich und den rubinroten Blutstropfen folgte, die über Solanges Schulter liefen. Langsam straffte er sich, atmete ihren Duft ein und nahm das Gefühl ihres schmalen, kurvenreichen Körpers an dem seinen in sich auf. Nichts hatte sich je so gut, so richtig für Dominic angefühlt.
Da er sich jedoch ihrer wachsenden Furcht bewusst war, drückte er die Lippen an ihren Puls, nur um sie zu beruhigen und zu trösten. Seine kleine Wildkatze hatte eine feminine Seite, die sie als unterwürfig empfand, und das ängstigte sie. Es war seine Aufgabe, ihr zu zeigen, dass dieser Teil von ihr genauso wichtig war wie ihre kriegerische Seite.
»Pesäd te engemal«, flüsterte er an ihrem Puls. Bei mir bist du sicher. Mit der Zunge umkreiste er sanft die wild pochende Stelle und hielt Solange in seinen Armen. Endlich beruhigte sie sich.
Für ihre wilde Natur hatte Dominic allergrößtes Verständnis. Solange hatte ihr ganzes Leben am Rande der Gesellschaft gelebt und nie in ihrer Mitte. Gesetze waren nicht anwendbar auf ihre Welt. Darin ging es ausschließlich ums Überleben – und so ähnlich war es auch in Dominics Welt gewesen.
Zacarias wollte mit der Zunge über die kleine Wunde streichen, um sie zu schließen, aber Dominic zog Solanges Handgelenk an seinen Mund. Er trank einen Schluck, spürte wieder den Feuerball durch seinen Körper rasen und schloss dann selbst die Wunde.
»Danke«, sagte Zacarias schlicht.
Dominic wusste, dass der karpatianische Jäger ihm dankte, nicht Solange. In den alten Zeiten waren Seelengefährtinnen heilig gewesen, und andere Männer hatten nicht einmal ohne ausdrückliche Erlaubnis das Wort an sie gerichtet. Zacarias war ein Mann der alten Schule, und vielleicht war er, Dominic Drachensucher, das ja auch.
Dominic hob den Kopf, um den anderen Karpatianer anzusehen. »Der Morgen naht.«
Zacarias nickte. »Kolasz arwa-arvoval«, verabschiedete er sich mit dem traditionellen Gruß der Krieger. Mögest du mit Ehre sterben. Aber Zacarias zögerte noch, bevor er ging. »Es ist lange her, seit ich unsere eigene Sprache gehört habe. Für einen Moment verspürte ich den Ruf unseres Heimatlandes.«
»Veri olen piros, ekäm«, antwortete Dominic. Das Blut sei rot, mein Bruder. Was er damit sagen wollte, war klar: Finde deine Seelengefährtin!
Zacarias blickte von ihm zu Solange, deren Kleider und Haut mit Blut besudelt waren, und schüttelte den Kopf. »Meine Zeit dafür ist abgelaufen. Die Welt hat sich verändert und mich zurückgelassen. Ich werde dir beistehen, wenn du rufst, alter Freund.«
Und dann verschwand er einfach, und der Dunst, in dem er sich auflöste, vermischte sich mit dem Rauch des erlöschenden Feuers.
Schweigen entstand. Solange wandte nicht den Kopf, um Dominic über die Schulter anzusehen; sie stand nur ganz still da und wartete darauf, dass er ihr sagte, wie es weiterging. Aber er konnte das Frösteln spüren, das sie erschauern ließ.
Er lächelte hinter ihr und fühlte, wie die Anspannung aus seinem Körper wich, da nun kein anderer Mann mehr in ihrer Nähe war. Dominic zog sie an sich. »Ich werde uns an einen sicheren Ort bringen, an dem wir baden und uns ausruhen können.«
Am liebsten hätte sie Dominic losgelassen und sich in einem Mauseloch verkrochen. Erging es anderen Frauen auch so? Ihren Mann glücklich machen und tun zu wollen, was er sagte, aber gleichzeitig solche Angst zu haben, dass sie keine Luft bekamen? Und was verlangte Dominic? Etwas ganz Einfaches. Baden und Ausruhen. Er hatte von nichts anderem gesprochen. Zum Glück. Denn sie könnte ihm nie, niemals ihren Körper schenken. Nicht ihm. Ein heftiges Erschaudern durchlief sie, und sie schüttelte nur stumm den Kopf.
Ihr scharfes Einatmen entging ihm nicht, als er sie hochhob. »Nur Mut«, flüsterte er an ihrem Nacken.
Sie fürchtete sich nicht vor der Transportmethode, die er wählte, das wusste er. Und sie fürchtete auch nicht ihn – Dominic den Krieger. Ihm vertraute sie, sonst hätte sie nicht neben ihm gekämpft. Es war Dominic der Mann, vor dem sie Angst hatte, und er war es, der ihr Vertrauen gewinnen musste. Weil er alles von ihr wollte. Er wusste, dass das egoistisch war, aber er hatte bisher sehr wenig Licht in seinem Leben gehabt, und Solange strahlte wie der hellste aller Sterne. Ihren Körper fest an sich gedrückt, erhob er sich mit ihr in die Lüfte.
Solange presste eine Faust vor ihren Mund, um nicht zu protestieren. Sie wollte nichts falsch machen, doch da sie keine Ahnung hatte, wie sie sich verhalten sollte, blieb es gar nicht aus, dass ihr Fehler unterliefen. Die Katze war hin- und hergerissen. Im einen Moment schnurrte sie zufrieden, und im nächsten zischte und fauchte sie, als sie Solanges zunehmende Furcht verspürte.
Wie sollte sie sich vor ihm ausziehen? Warum hatte sie nicht auf MaryAnn gehört, als sie ihr geraten hatte, sich ein bisschen weiblicher zu geben?
Dominic beugte sich über ihren Nacken und strich mit der Zunge über genau dieselbe Stelle, wo er ihr Blut genommen hatte. Solange vergaß ihre Gedankengänge, als eine pulsierende Hitze sich zwischen ihren Schenkeln ausbreitete, ihre Bauchmuskeln sich unter seiner Hand zusammenzogen und ein fast schmerzhaftes Ziehen in ihren Brüsten erwachte. Zu allem Übel würde sie auch noch wie eine rollige Katze auf ihn reagieren! Nur würde sie nie … mit ihm intim sein können, sich ihm niemals hingeben können, weil er sie vollkommen mit Beschlag belegen und sie das Nachsehen haben würde.
Er küsste ihren Nacken. Hör auf zu denken und lass uns genießen, was von der Nacht noch übrig ist! Lehn dich an mich und entspann dich!
Sie hielt sich steif, denn sie war ganz starr vor Angst davor, seine enorme Kraft zu spüren, und wie gelähmt von der Verpflichtung, die allein ihn zu begleiten schon bedeutete. Wie viel weiter würde sie noch gehen, um es ihm recht zu machen? Würde sie sich selbst verlieren?
Ist es so schwierig, dich mir zuliebe zu entspannen, kessa ku toro – meine kleine Wildkatze?
War es das? Sie benahm sich wie ein kleines Kind. Nachdem Solange tief Luft geholt und sie langsam wieder ausgelassen hatte, zwang sie sich, die Augen zu öffnen und in die Nacht hinauszublicken. Sie befanden sich oberhalb des dichten Blätterdachs am freien Himmel. Hoch. Höher, als sie je zuvor gewesen war. Sie hatte noch nie den Regenwald verlassen – und natürlich war sie auch noch nicht geflogen. Wieder überfiel sie Angst, und sie klammerte sich an Dominic.
Breite die Arme aus, minan – mein Liebstes!
Sie schluckte heftig. Da war dieses leise Schnurren in seiner Stimme, als bräuchte sie nur die Arme wie Flügel auszustrecken, um ihn über alle Maßen zu erfreuen. War es so einfach? Sie musste darauf vertrauen, dass er sie vor einem Sturz bewahren würde. Im Kampf hatte sie ihm ja auch vertraut. Natürlich würde er sie absichern. Es war lächerlich, etwas anderes zu denken. Und sie würde erfahren, wie es war, zu fliegen, vielleicht das einzige Mal in ihrem Leben.
Sie atmete tief aus und löste einen Finger nach dem anderen von seinen Armen. Erst da bemerkte sie, dass sie mit ihren Krallen an seinen Unterarmen hing, und stieß beschämt einen kleinen Schrei aus.
Keine Bange, kleine Katze. Lass einfach los und flieg mit mir!
Was für ein verführerisches Flüstern! Sein warmer Atem, den sie an ihrem Nacken spürte, ermutigte sie irgendwie. Um Dominic zu erfreuen – und um ihm zu zeigen, dass sie es bereute, ihm unabsichtlich wehgetan zu haben –, ließ sie ihn los und streckte die Arme in den Wind, als wäre sie ein großer Vogel. Der Wind schlug ihr ins Gesicht und zerzauste ihr das Haar. Über ihnen war ein Meer aus Wolken, aufgewühlt und unruhig, aber wunderschön, um sie herum nur offener, freier Himmel. Unter ihnen sah sie die Wipfel der Bäume, von denen einige aus dem dichten Blätterdach hervorlugten, um sich triumphierend von der Masse abzuheben. Die Erde tief unten bezauberte ihre Augen. Solange hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so frei gefühlt.
Wieder strichen Dominics Lippen über ihren Nacken, sehr sacht nur, und trotzdem empfand sie die Berührung schon fast wie ein Brandzeichen, das er ihr aufdrückte. Niemand hatte ihr je ein solches Gefühl gegeben – als wäre sie das Wichtigste auf der Welt – und seine ganze Konzentration nur auf sie gerichtet. Mit einer einzigen Berührung hatte Dominic es ihr gesagt. Und er hatte gefragt. Er konnte mühelos in ihre Gedanken eindringen, Karpatianer machten das ständig – was Solange bei anderen immer für einen dreisten Eingriff in die Privatsphäre gehalten hatte. Niemand sollte Zugriff zu privaten Gedanken haben, hatte sie gedacht. Und dennoch …
Es muss nicht sein.
Sie konnte keine Enttäuschung bei ihm spüren, aber warum konnte sie nicht trotzdem einfach Ja sagen? Er schenkte ihr ein so wundervolles Erlebnis. War es denn dann so eine große Sache, ihn sehen zu lassen, wie sehr sie diesen Moment genoss? War sie wirklich so ein Feigling? Was konnte schon passieren, wenn sie nur für diesen wundervollen Moment einmal Ja sagte?
Sie holte tief Luft und wusste, dass Dominic es bemerkte. Es macht mir nichts aus, übermittelte sie ihm.
Ich fühle mich geehrt.
Und dann konnte sie auch schon spüren, dass er in ihrem Denken war. Sein langsames, behutsames Eindringen in ihren Geist sandte tausend feurige Pfeile über ihre Haut und in ihr Innerstes, die ihren Körper vor Verlangen brennen ließen und eine pulsierende Hitze zwischen ihren Schenkeln weckten. Sie fühlte Dominic in sich, als teilten sie dieselbe Haut, als wären sie so fest miteinander verschmolzen, dass sie nicht wusste, wo er begann und sie endete.
Ihr war klar, dass er ihre Unsicherheiten würde sehen können, ihr schwaches Selbstvertrauen, das quälende Verlangen, das sie nach ihm verspürte, und die entsetzliche, fast unüberwindbare Furcht, ihn zu enttäuschen.
Pst, minan, sieh dir die Nacht mit mir an! Das ist alles. Teile die Nacht mit mir!
Sein beruhigendes Flüstern, das fast wie ein Streicheln war, beruhigte den Aufruhr in ihr, und sie wandte die Aufmerksamkeit der spektakulären Erfahrung zu, durch die Luft zu fliegen. Und das Gefühl mit Dominic zu teilen, machte es irgendwie noch schöner. Er führte sie in einem weiten Bogen über den Fluss, wo sie die seltenen pinkfarbenen Delfine entdeckte. Sie hatte sie natürlich vorher schon gesehen, aber nicht so, nicht aus dieser Höhe, wo sie ihre erstaunliche Geschwindigkeit im Wasser bewundern konnte. Solange lachte, weil sich sein Glück durch die enge geistige Verbindung mit ihm auf sie übertrug. Nach Hunderten von Jahren ohne Emotionen war er wie ein Kind, das alles zum ersten Mal erlebte, und das erhöhte ihre Freude daran noch.
Sie blickte sich nach ihm um und merkte, dass sie in einer seltenen Zurschaustellung von Zuneigung seinen Nacken küssen wollte, aber sie wagte es trotzdem nicht, sondern atmete nur tief ein, füllte ihre Lunge mit seinem maskulinen Duft und hielt ihn dort fest, als drückte sie ihn selbst an ihr Herz.
Ich werde jetzt meine Hände um deine Taille legen, Solange. Beuge dich vor und lass dich einfach hängen, damit du das Fliegen auch wirklich fühlen kannst!
Ihr Herz verkrampfte sich bei dem Gedanken. Er strapazierte ihr Vertrauen wirklich sehr, schien sich dessen aber nicht bewusst zu sein. Oder doch? Mit Sicherheit. Schließlich war er in ihrem Bewusstsein und kannte ihre Ängste. Ihr Puls dröhnte ihr in den Ohren, und sie befeuchtete sich nervös die Lippen. Wie vorher blieb Dominic still und wiederholte seine Bitte nicht, sondern wartete nur ruhig ihre Entscheidung ab.
Wieder fuhr Solange mit der Zungenspitze über ihre plötzlich trockenen Lippen. Sie würde ihr Leben in seine Hände legen. Mit ausgebreiteten Armen, den Körper vorgestreckt, als flöge sie tatsächlich, würde sie nicht die Möglichkeit haben, sich an ihm festzuhalten. Sie glaubte nicht, dass sie sich schnell genug verwandeln könnte, um sich blitzschnell umzudrehen und sich mit ihren Krallen an ihn zu hängen, sollte er sie fallen lassen. Konnte sie seine Bitte erfüllen? Würde es ihn ärgern, wenn sie ablehnte? Aber spielte das eine Rolle? Sie versuchte, sein Bewusstsein anzurühren, doch er wartete nur ab.
Sie konnte jedoch seinen eindringlichen Blick spüren. Diesen unbeirrbaren, zielstrebigen Blick. Seine vollkommene Konzentration auf sie allein. Ihre Augen brannten von nur mühsam unterdrückten Tränen. Sie wollte es für ihn tun. Es war alles, was sie ihm schenken konnte. Momente wie diesen. Sie wusste, dass es keine andere Frau für ihn gab. Nicht, weil er sie liebte oder begehrte, sondern weil er einfach keine Wahl hatte. Und trotzdem war er bereit, ihr die Wahl zu lassen. Das Problem war nur, dass seine Persönlichkeit so übermächtig war.
Solange schloss die Augen und nickte.
Er strich mit den Lippen über ihr Haar und löste damit wieder ein ganz merkwürdiges Flattern in ihrem Magen aus. Sie hielt den Atem an, als sein Mund zu ihrer Schläfe glitt, und dann drückte er seine kühlen, festen Lippen an ihr Ohr.
Meine Frau.
Ihr Herz und ihr Magen zogen sich zusammen, und sie konnte eine Flut von feuchter Hitze zwischen ihren Schenkeln spüren. Zwei Worte, und sie schmolz förmlich dahin. Was sagte das über sie aus? War sie so verzweifelt um seine Anerkennung bemüht, dass er nur glücklich mit ihr erscheinen musste und sie jeden seiner Wünsche erfüllen wollte?
Er wartete darauf, dass sie ihre Position von selbst änderte. Fast wünschte sie, er möge ihr dabei helfen, aber er überließ die Initiative ihr. Langsam und vorsichtig beugte sie sich in seinen Händen vor, und sogleich vermisste sie die tröstliche, solide Stärke seines Körpers. Der Wind nahm zu, und sie konnte nicht verhindern, dass ihre Hände schnell wieder nach seinen Handgelenken griffen. Sofort zog er sie an sich heran und … wartete.
Solange wusste, dass er ihr Zeit geben wollte, Mut zu fassen und Vertrauen in ihn zu setzen. Erschöpfung vorzutäuschen würde ihr nichts nützen, denn er trug ihr Gewicht ja. Sie brauchte einfach nur dort am Himmel zu hängen und sich vom Zauber der Nacht betören zu lassen. Ein solch unglaubliches Geschenk machte Dominic ihr. Sie hatte keine Geschenke mehr erhalten, seit ihre Familie ermordet worden war – bis zu diesem magischen Moment. Dominic schien ein dunkler Zauberer zu sein, dem sie nicht widerstehen konnte – besonders, wenn er ihr ein solch seltenes, phänomenales Erlebnis bot.
Die Zeit schien sich zu verlangsamen. Noch immer konnte Solange das wilde Pochen ihres Herzens hören. Dominic gab ihr das Gefühl, anerkannt zu werden, von Wichtigkeit zu sein, und so hatte sie sich noch nie zuvor gefühlt, bei niemandem. Die Luft war klar und frisch, die Nacht wie eine kühle Decke. Mit geschlossenen Augen atmete Solange tief ein, ließ los und breitete die Arme weit aus. Dominic nahm seine Hände von ihr, und sie wusste, dass dies der Moment war: Entweder wagte sie es jetzt … oder niemals, weil sie nie wieder diese Art von Mut oder Vertrauen aufbringen würde. Sie ließ sich nach vorne fallen. Das Gefühl drehte ihr fast den Magen um, und für einen Moment befürchtete sie, dass Dominic sie nicht auffangen würde. Aber dann waren seine Hände da, und sie schwebte in der Luft.
Ganz langsam öffnete sie die Augen, und ihr stockte der Atem, als sie Kreise zog und auf und ab stieg mit der Freiheit eines Vogels. Wieder erfasste sie dieser schwindelerregende Taumel, der das Adrenalin durch ihre Adern brodeln ließ wie dunkles Gold, ihr Blut verdichtete und sie mit Hitze durchströmte. Und während dieser berauschenden Momente war Dominic bei ihr – in ihr –, und sie konnte spüren, dass er ihre Verzückung teilte. Es war pure Magie – er war magisch.
Der Wind trieb ihr Tränen in die Augen. Nach einem der schlimmsten Tage ihres Lebens, nachdem sie Annabelle verloren hatte, mit zwei Männern gekämpft und fast von ihrem eigenen Vater gefangen und getötet worden war, Vampire bekämpft und sich mit ihrem Seelengefährten konfrontiert gesehen hatte, war sie überwältigt von ungetrübter Euphorie und Freude, als sie durch die Lüfte flog. Es war zu viel, und dennoch wollte sie es noch nicht enden lassen.
Dominic zog sie zu sich heran und drehte sie so, dass ihr Gesicht an seinem Herzen lag. Das gleichmäßige Pochen beruhigte sie und half ihr, nicht laut aufzuschluchzen. Sie weinte nur still, ihre Finger in der Vorderseite seines Hemdes vergraben. Nichts kümmerte sie in diesem Moment, weder wohin sie unterwegs waren noch was geschehen würde, wenn sie ihr Ziel erreichten. Denn Dominic hatte ein Ziel im Sinn, und da es offensichtlich war, dass er sie nicht fallen lassen würde, überließ sie sich ganz und gar seiner Verantwortung.
Dominic spürte den exakten Moment, in dem sie losließ und sich in seine Obhut gab. Seine Arme schlossen sich noch fester um sie und drückten sie an seinen Körper. Sie war sehr zerbrechlich und überaus verletzlich. Nicht nur ihr körperliches Ich, sondern vor allem die Frau, die sie vor dem Rest der Welt verbarg. Sie war völlig entkräftet und hätte sich wahrscheinlich in irgendein feuchtes Loch verkrochen, um allein ihre Wunden zu lecken und sich zu erholen, bevor sie sich wieder dem Feind stellte.
Diesmal nicht, meine kleine Katze. Diesmal werde ich mich um dich kümmern.
Er erhielt keine Antwort, aber ihr Weinen, die Tränen, die ihm schier das Herz zerrissen, ließen nach. Sorgfältig suchte er die Umgebung nach Anzeichen für Untote ab, bevor er sich mit ihr zum Waldboden hinuntersinken ließ und direkt vor dem Eingang ihres liebsten Unterschlupfes landete. Er hatte die gemütliche kleine Höhle in dem Kalksteinlabyrinth ein Dutzend Mal gesehen, wenn sie sich im Traum begegnet waren, und hatte eine sehr detaillierte Vorstellung davon. Solange hatte keine Ahnung, wie viele Informationen er in Sekundenschnelle ihrem Kopf entnehmen konnte, wenn es nötig war. Und im Augenblick war es für beide nötig.
Als er feststellte, dass der Eingang zu schmal war, um Solange hindurchzutragen, setzte er sie widerstrebend ab, ließ seinen Arm jedoch auch weiterhin um ihre Taille liegen.
»Woher wusstest du …?« Mit glänzenden Augen, die Wimpern noch feucht von Tränen, blickte Solange sich verwundert, aber auch ein bisschen erschrocken um.
»Ich bin dein Seelengefährte«, erinnerte Dominic sie sanft. »Ich weiß, dass du dich hier wohlfühlst und dieser Ort dir Trost verschafft.«
Sie wandte sich von ihm ab, blinzelte, um die Tränen zurückzudrängen, und ging geduckt hinein. Dominic bezweifelte, dass irgendjemand sich in den letzten Jahren darum geschert hatte, ob Solange sich wohlfühlte. Als er ihr folgte, fielen ihm wieder einmal ihre geschmeidigen Bewegungen auf, die so sehr denen der Katze glichen, die ein solch großer Teil von ihr war. Sie hatte einen wilden, ungezähmten Duft, der Dominic mehr ansprach als jedes andere Parfum, das er je gerochen hatte. Sie gehörte in den Urwald, und selbst in menschlicher Gestalt bewegte sie sich mit der Lautlosigkeit einer großen Raubkatze.
Der Tunnel führte abwärts, tief unter die Erde. Als sie an eine Art Sackgasse gelangten, blieb sie stehen und bückte sich, um an mehreren Steinen herumzuhantieren. Dominic schob sie sanft aus dem Weg, hob die großen Kalksteinblöcke einfach auf und legte sie beiseite, bevor er Solange mit einer Verbeugung zu verstehen gab, voranzugehen.
Sie zögerte jedoch und blieb in dem schmalen Tunnel so dicht vor ihm stehen, dass er ihren aufgeregten Herzschlag hören konnte. Sie hatte noch immer Angst, aber sie gab sich in seine Hände, und ihr Mut beschämte ihn. Um sie zu ermutigen, nahm er ihre Hand und hob sie an die Lippen. Während er die Handinnenfläche küsste, strich er mit seinen langen Fingern über das Handgelenk, aus dem Zacarias Blut genommen hatte.
Solange stockte der Atem, ihr Blick hob sich zu seinem Gesicht und huschte dann schnell wieder weg. »Du musst kriechen, um in die Kammer zu gelangen, und deine Schultern …«
Dominic ließ ihre Hand nicht los; er hielt ihre Finger immer noch an seinen Lippen. »Ich kann mich in Dunst verwandeln«, erinnerte er sie mit einem Lächeln in der Stimme.
Er spürte ihre Verlegenheit darüber, dass sie das vergessen hatte. Eine jähe Hitze durchflutete ihren Körper, der sich sofort versteifte. Sie wollte Dominic die Hand entziehen, doch er dachte nicht daran, ihr die Kontrolle zurückzugeben, sondern zog ihre Finger einen nach dem anderen in die Wärme seines Mundes und küsste sie. Ein heißes Prickeln durchzuckte Solange, als er dann ganz sacht nur hineinbiss. »Du bist sehr müde, Liebstes. Aber danke, dass du dir Gedanken um mich machst.«
Wieder glitt ihr Blick zu ihm. Sie sah so unsicher aus, dass er sie in die Arme nehmen und an sich drücken wollte. Stattdessen jedoch gab er ihre Hand frei, legte ihr seine auf die Schulter und drückte sie schweigend auf die Knie. Für einen Moment genoss er das Gefühl ihres warmen Atems an seiner fast schmerzhaften Erektion unter dem Hosenstoff. Es wäre so leicht, die Hose auszuziehen. Der Gedanke an Solanges Mund auf ihm war überaus verlockend, aber er erlaubte sich nicht, sein eigenes Vergnügen vor die Sorge um sie zu stellen. Und so drängte er sie nur sanft, sich hinzuknien, bis sie auf allen vieren hockte und durch den schmalen Tunnel in die dahinterliegende Kammer kroch.
Der Tunnel erinnerte ihn an einen Kaninchenbau. In Dunst verwandelt, schwebte Dominic jedoch mühelos hindurch und folgte seiner Gefährtin in ihre Höhle. Sie hatte sie zu einer Art Zuhause gemacht, und ihm blieb beinahe das Herz stehen, als er erkannte, dass sie diesen geheiligten Ort, ihr einziges wahres Refugium, noch nie mit jemandem geteilt hatte. Solange ging zu der nördlichen Wand, um die Laterne zu holen, aber Dominic zündete mit einer Handbewegung die Kerzen an. Sogleich warf das sanfte Licht seine Schatten über alles.
Er war froh über den Boden aus schwarzer, nährstoffreicher Erde. In einer Ecke lag ein handgewebter Teppich, neben dem ein paar hölzerne Schalen standen. Das Geräusch des Wassers, das in einem stetigen Rinnsal an einer Wand herunterlief und ein relativ großes Becken in dieser Ecke füllte, bildete die Hintergrundmusik. Die Decke war hoch und rief die Illusion von Raum hervor, obwohl die Höhle in Wirklichkeit recht klein war.
Dominic bemerkte, dass Solange sich in einiger Entfernung von ihm hielt und ihre grünen Katzenaugen jede seiner Bewegungen verfolgten, als er sich in der Höhle umsah. Er nahm sich Zeit, ließ das Schweigen sich ausdehnen und lauschte Solanges Herzschlag, in der Hoffnung, dass sie sich beruhigte. Als er Bücher sah, nahm er einige in die Hand, um sich die Titel anzuschauen. Die meisten behandelten die Herstellung von Waffen und die Pflanzen, die am Amazonas wuchsen. Er blätterte in einem der Pflanzenbücher und sah, dass die Namen vieler Heilpflanzen unterstrichen waren.
Nun trat er näher zu Solange, und sie reagierte wie ein in die Enge getriebenes Tier und wich zurück. Obwohl sie den Kopf gesenkt und das Gesicht leicht abgewandt hielt, ließ sie ihn nicht aus den Augen. Erst als er zu einem kleinen Stapel Sachen hinüberging, die ordentlich auf einem Felsvorsprung aufgereiht waren, schien ihre Anspannung ein wenig nachzulassen. Dominic konnte es an ihrem etwas ruhigeren Herzschlag hören.
Bei den Sachen lag eine ausgefranste alte Decke, die jemand einmal liebevoll für ein Kind gehäkelt hatte. Aber es war nicht ihre, vermutete er der blauen Farbe wegen. Sie musste einem Jungen gehört haben, den Solange geliebt zu haben schien. Ein verblasstes Foto einer Frau, das offensichtlich ihre Mutter zeigte, stand in einem hölzernen Rahmen auf einem Regal. Sie hatte die gleichen erstaunlichen Augen wie Solange. Daneben lag ein handgeschnitzter Kamm aus feinstem Holz. Dominic berührte jeden Gegenstand und las die darin enthaltenen Erinnerungen. Sie hatte einen Bruder – nein, zwei Brüder gehabt. Der Kamm war von ihrem Vater hergestellt worden. Dominic runzelte die Stirn. Es war nicht ihr leiblicher Vater gewesen, sondern der Mann, den sie geliebt hatte wie einen Vater. Aber alle waren tot. Jeder einzelne von ihnen.
Dominic hob den Kopf und suchte Solanges Blick. »Komm her zu mir, Solange. Hierher«, sagte er sanft und deutete auf eine Stelle direkt vor ihm.
Sie machte ein erschrockenes Gesicht. Ihre Augen verdunkelten sich, und ihr Herz begann wieder zu rasen und die kleine Kammer mit seinem lauten Pochen zu erfüllen.